Cherringham Sammelband IV - Folge 10-12 - Matthew Costello - E-Book
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Cherringham Sammelband IV - Folge 10-12 E-Book

Matthew Costello

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Beschreibung

Very British - drei England-Krimis in einem Band.

Diese E-Book-Sonderausgabe beinhaltet die Fälle 10 -12 der Cosy Crime Serie ′Cherringham - Landluft kann tödlich sein′ - ein Muss für Fans von Miss Marple und Sherlock Holmes!

Folge 10: Tödliche Beichte.

Am Rande von Cherringham befindet sich das Kloster St. Francis. In dem kleinen katholischen Lehrorden lebt eine Handvoll Nonnen, die sich der Religion, der Kontemplation und dem Gebet widmen. Genau an diesem Ort ereilt den beliebten örtlichen Pfarrer Pater Byrne an Ostern gänzlich unerwartet der Tod. Die Umstände sind verdächtig, und bald beschäftigen sich Jack und Sarah mit dem Fall. Welche Geheimnisse nahm Pater Byrne mit ins Grab? Wer wollte seinen Tod? Und ist Frömmigkeit gleichbedeutend mit Unschuld?

Folge 11: Spuren an Deck.

Es sind nur noch wenige Tage bis zur Cherringham Regatta, dem jährlichen Ereignis, das Luxusjachten aus dem ganzen Land anzieht. Auch die örtlichen Bootsbesitzer freuen sich auf die große Party auf dem Fluss. Allerdings wird die Vorfreude darauf getrübt, als es zu vermehrten Schiffsverwüstungen kommt und ein wohlhabender Manager verschwindet, auf dessen Bootsdeck sich Spuren von seinem Blut finden. Und während die Regatta beständig näher rückt, entdecken Jack und Sarah, dass hinter dem Vandalismus vermeintlichen ein Mord steckt.

Folge 12: Verhängnisvolle Sommernacht.

In einer Sommernacht vor fünfundzwanzig Jahren verließ Tim Bell zusammen mit der begabten jungen Musikerin Dinah Taylor den Jahrmarkt im Dorf, um mit ihr zu einem abgelegenen Plätzchen zu fahren. Dinah wurde danach nie wieder gesehen, und Bell, dessen Kleidung voller Blutspritzer war, wanderte wegen Mordes ins Gefängnis. Nach seiner Entlassung kehrt Bell nach Cherringham zurück, wo ihm jene nach dem Leben trachten, in deren Augen noch keine Gerechtigkeit geübt wurde. Jack und Sarah hingegen fragen sich, ob Bell tatsächlich schuldig war oder der wahre Mörder damals ungeschoren davonkam.

Während Cherringham unter einer Hitzewelle ächzt, bleibt den beiden nur wenig Zeit, um die Wahrheit aufzudecken bevor noch jemand stirbt.

Jack und Sarah ermitteln weiter - jeden Monat erscheint ein neuer, in sich abgeschlossener Fall mit Cherringhams Ermittlerduo.

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Seitenzahl: 398

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Inhalt

Cover

Cherringham - Landluft kann tödlich sein - Die Serie

Über diesen Sammelband

Über die Autoren

Die Hauptfiguren

Sammelband IV

Impressum

Tödliche Beichte

Spuren an Deck

Verhängnisvolle Sommernacht

Im nächsten Sammelband

Cherringham – Landluft kann tödlich sein – Die Serie

»Cherringham – Landluft kann tödlich sein« ist eine Cosy Crime Serie, die in dem vermeintlich beschaulichen Städtchen Cherringham spielt. Jeden Monat erscheint sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch ein spannender und in sich abgeschlossener Fall mit dem Ermittlerduo Jack und Sarah.

Über diesen Sammelband

Dieser Sammelband beinhaltet die Cherringham-Fälle zehn, elf und zwölf:

Cherringham – Tödliche BeichteCherringham – Spuren an DeckCherringham – Verhängnisvolle Sommernacht

Über die Autoren

Matthew Costelloist Autor erfolgreicher Romane wie Vacation (2011), Home (2014) und Beneath Still Waters (1989), der sogar verfilmt wurde. Er schrieb für verschiedene Fernsehsender wie die BBC und hat dutzende Computer- und Videospiele gestaltet, von denen The 7th Guest, Doom 3, Rage und Pirates of the Caribbean besonders erfolgreich waren. Er lebt in den USA.

Neil Richards hat als Produzent und Autor für Film und Fernsehen gearbeitet sowie Drehbücher für die BBC, Disney und andere Sender verfasst, für die er bereits mehrfach für den BAFTA nominiert wurde. Für mehr als zwanzig Videospiele hat der Brite Drehbuch und Erzählung geschrieben, u.a. The Da Vinci Code und, gemeinsam mit Douglas Adams, Starship Titanic. Darüber hinaus berät er weltweit zum Thema Storytelling.

Bereits seit den späten 90er Jahren schreibt er zusammen mit Matt Costello Texte, bislang allerdings nur fürs Fernsehen. Cherringham ist die erste Krimiserie des Autorenteams in Buchform.

Die Hauptfiguren

Jack Brannen ist pensioniert und frisch verwitwet. Er hat jahrelang für die New Yorker Mordkommission gearbeitet. Alles was er nun will ist Ruhe. Ein Hausboot im beschaulichen Cherringham in den englischen Cotswolds erscheint ihm deshalb als Alterswohnsitz gerade richtig. Doch etwas fehlt ihm: das Lösen von Kriminalfällen. Etwas, das er einfach nicht sein lassen kann.

Sarah Edwards ist eine 38-jährige Webdesignerin. Sie führte ein perfektes Leben in London samt Ehemann und zwei Kindern. Dann entschied sich ihr Mann für eine andere. Mit den Kindern im Schlepptau versucht sie nun in ihrer Heimatstadt Cherringham ein neues Leben aufzubauen. Das Kleinstadtleben ist ihr allerdings viel zu langweilig. Doch dann lernt sie Jack kennen …

Matthew CostelloNeil Richards

CHERRINGHAM

LANDLUFT KANN TÖDLICH SEIN

Sammelband IV

Folge 10: Tödliche BeichteFolge 11: Spuren an DeckFolge 12: Verhängnisvolle Sommernacht

beTHRILLED

Digitale Originalausgabe

»be« - Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Copyright © 2014 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Dr. Arno Hoven

Übersetzung: Sabine Schilasky

Lektorat/Projektmanagement: Esther Madaler

Covergestaltung: Jeannine Schmelzer unter Verwendung von Motiven © shutterstock: Buslik | Andy Poole | Adam Fraise | Perfect Vectors | Longjourneys | Volodymyr Baleha | conrado; © istockphoto: BackyardProduction

eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-0574-6

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Matthew CostelloNeil Richards

CHERRINGHAM

LANDLUFT KANN TÖDLICH SEIN

Tödliche Beichte

1. Karfreitag

Eamon Byrne lief ihm Zickzack durchs Unterholz. Die dicken Profilsohlen seiner teuren neuen Laufschuhe fanden auf dem matschigen Trampelpfad mühelos Halt. Mit den Armen wehrte er überhängende Zweige ab, die ihm ins Gesicht zu schlagen drohten.

Den »fliegenden Pfarrer« nannten sie ihn … Und Mannomann, wie er jetzt flog!

Er riskierte einen kurzen Blick auf seine Sportleruhr und war begeistert, als er die Zahlen sah: Seine Zwischenzeiten heute Morgen waren fantastisch. Ihm würde sicherlich ein neuer persönlicher Rekord gelingen.

Kleb dir das auf deine Pfeife und qualm sie, Liam, dachte er.

Geschwindigkeit: fast dreizehn Kilometer die Stunde. Herzfrequenz: ein bisschen hoch, aber definitiv nicht beunruhigend.

Drei von insgesamt zehn Kilometern musste er noch schaffen, aber das waren die leichten drei auf der flachen Uferstrecke an den Wiesen entlang. Einzig der steile Abschnitt durch Marchmain’s Woods könnte ihm jetzt noch sein grandioses Durchschnittstempo verderben.

Tage wie dieser, an denen das Laufen fließend, leicht und mühelos vonstattenging, waren selten und unvorhersehbar. Auch mit noch so viel Training würde es sie nicht häufiger geben. Vielmehr kamen sie aus dem Nichts, und Eamon hatte längst gelernt, sie nicht zu hinterfragen.

Genieße das Gefühl einfach, dachte er, denn es ist ein Geschenk Gottes, und viel hat er dir in letzter Zeit wahrlich nicht gegönnt.

Hätte Liam heute Morgen doch nur mitkommen können. Er verstand, was diese Zahlen bedeuteten, und hätte sich mit ihm gefreut.

Ach, na ja, wenn Liam schon nicht mein Zeuge sein kann, muss es eben Gott sein, beschloss Eamon. Gott in seiner unendlichen Güte.

Und was für ein Wochenende, um seine Güte zu feiern!

In nur einer Stunde würde Eamon – geduscht, rasiert und den Geist frei von allem Fleischlichen – die Karfreitagsmesse mit den Nonnen in der Kirche von St. Francis feiern.

Karfreitag, der ernsteste Tag im christlichen Kalender. Und zugleich der Vorbote auf den freudigsten Tag – den Ostersonntag.

Oft hatte er im Laufe der Jahre seine Berufung und seinen Glauben angezweifelt. Und damit war er durchaus nicht allein; sogar der Bischof schien neuerdings mit großem Ehrgeiz darum bemüht, Eamon aus dem Priesteramt zu verstoßen.

Doch jedes Mal, wenn eines der großen Ereignisse im Kirchenjahr näher rückte – Ostern, Weihnachten, Palmsonntag –, erinnerten ihn das ergreifende Drama und das Mysterium der Geschehnisse wieder daran, dass Priester zu sein für ihn das einzig denkbare Leben war.

Auch wenn es ihm zeitweilig vorkam, als würde er in seinem Amt als Priester zwei Leben führen.

Einerseits war er der Hirte seiner Schäfchen, der sich all ihrer spirituellen Bedürfnisse annahm; andererseits der fliegende Pfarrer des internationalen Marathon-Zirkus, der bereits Hunderttausende Pfund für die Armen, die Bedürftigen und die Verlorenen gesammelt hatte.

Und dann war da natürlich noch dieses … andere Leben, das er so strikt abschirmte und geheim hielt, dass kaum jemand – falls überhaupt irgendwer – davon wusste …

Wie gut, dass er fest an einen barmherzigen Gott glaubte.

Aber nein, das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber nachzudenken.

Er kam aus dem Wald und bog scharf nach rechts auf den Sandweg, der am Fluss entlangführte. Hier unten roch die Luft süß und klar.

Eamon hob den Kopf, um die Schönheit des Frühlingsmorgens auszukosten.

Die Sonne war erst vor einer Stunde aufgegangen, und über Kilometer hinweg glitzerten die Wiesen taufeucht.

Oben auf dem fernen Hügel schlummerte das Dorf Cherringham noch. Am ersten Tag eines langen freien Wochenendes schliefen die Leute eben gerne länger. Im warmen Licht der aufgehenden Sonne schimmerte der helle Cotswolds-Stein warm.

Eamon hörte ein Geräusch hinter sich auf dem Fluss. Im Laufen drehte er sich um …

… und erblickte ein Schwanenpaar im Landeanflug auf das Wasser nahe den festgezurrten Kähnen. Ihm schien es, als hingen die Vögel neben ihm in der Luft, und für einen winzigen Moment glaubte er, das Band von Gottes Schöpfung zu spüren, das seine laufende Gestalt mit den Schwänen, dem Wasser, den Wiesen und der aufsteigenden orangefarbenen Sonne verknüpfte.

Dann landeten die Schwäne auf dem Wasser. Eamon lief schneller und ließ sie hinter sich.

Heute Morgen fühlte er sich in Topform: Seine Beinmuskeln bewegten sich schmerzfrei, sein Atem ging stark und mühelos.

Zweiundsechzig Jahre alt und fitter als die Hälfte der Männer von Cherringham!, dachte er.

Die Medikamente, die er für sein Herz nahm, wirkten wahrlich Wunder – wenn auch wissenschaftliche. Ganz gleich, wie viel Stress er hatte, es bestand nun nicht mehr die Gefahr, jenen schrecklichen Moment vom letzten Herbst noch einmal zu erleben, als sich seine Brust zusammenzog, sein Puls raste und er hörte, wie der Kommunionkelch auf dem Stein zu seinen Füßen aufschlug, bevor alles um ihn herum schwarz wurde …

Nein! Die Wissenschaft erhielt ihn am Leben, auch wenn der Allmächtige da selbstverständlich noch das eine oder andere Wörtchen mitzureden hatte.

Fühlt es sich so an, wahrhaft glücklich zu sein?, fragte er sich. Wenn ja, verdiene ich es garantiert nicht!

Während seine Füße auf dem matschigen Leinpfad einen ebenmäßigen Takt klopften, versuchte er, die Sorgen zu bändigen, die ihn seit einer Woche plagten. Wegen ihnen war er jeden Morgen schweißnass aus dem Schlaf hochgeschreckt, und ein ums andere Mal hatten sie ihn genötigt, sich auf dem harten Steinboden von St. Francis niederzuknien und um göttliche Weisung zu beten …

Sie sind wie Dämonen, dachte er. Dämonen, die ich jedoch selbst erschuf.

Er war schon früher in Bedrängnis gewesen. Oft sogar. Doch da war er jünger und agiler gewesen. Vielleicht nicht ganz so gewitzt wie heute, aber allemal sehr von sich eingenommen.

Vor allem war der Einsatz nie so hoch gewesen.

Was in Gottes Namen hatte ihn dazu verleitet? Wie war er nur auf die Idee gekommen, dass er damit durchkäme? Die Antworten wusste er eigentlich schon, noch bevor er die Fragen zu Ende gedacht hatte.

Stolz. Lust. Gier.

Dieses ach so vertraute Dreigespann der Sünden überschattete sein Leben, seit er als junger Mann aus dem Priesterseminar gekommen war. Bis zum heutigen Tag.

Welch tröstliche Wonnen hatten ihm die drei über die Jahre beschert. Doch welch hohen Preis forderten sie nun!

Wie in aller Welt wollte er sich aus dieser entsetzlichen Lage befreien?

Ihm lief die Zeit davon. Vielleicht konnte er an diesem Wochenende den einen oder anderen Gefallen einfordern. Ja, das könnte funktionieren. Ein Flug zurück nach Dublin und dann dort ein kurzer Ausflug nach Temple Bar, wo er sich unter die Touristen mischen würde. In diesem Stadtteil hatte er immer noch alte Freunde, denen er vertrauen konnte.

Leute, auf die Verlass war, die ihm halfen – und die keine Fragen stellten.

Und dann … verdammt! Da war noch die andere Sache. Bei Gott, es wäre noch viel schlimmer, sollte die ans Licht kommen. Es wäre sein Ende.

Das reicht! Konzentriere dich aufs Laufen – renn einfach!

Seine Uhr piepte, und er sah auf die Anzeige. Noch eine fantastische Zwischenzeit. Unglaublich! Nur noch zwei Kilometer.

Zieh dir das rein, Liam, und ärgere dich, bis du die Krätze bekommst!

Vor ihm vollführte der Fluss eine träge Biegung – weg von Cherringham und um den dicht bewaldeten Marchmain’s Hill herum, dessen Hänge recht steil waren.

Er könnte auf dem Uferweg bleiben, aber seine Strecke, die er regelmäßig lief, führte nun mal den schweißtreibenden Hang hinauf und durch das Waldstück, bevor es bergab zum Kloster St. Francis ging.

Genau zehn Kilometer.

Mit einem letzten Blick auf seine Uhr verließ er den Weg und lief in Richtung des dunklen Waldes.

Eamons Atem ging jetzt schwer, und jedes Luftholen schien seine Brust zu sprengen. Es war unnötig, bei der Steigung auf seine Herzfrequenz zu sehen, denn er wusste, dass sie sich dem Gefahrenpunkt näherte – mit oder ohne Medikamente.

Marchmain’s Hill war immer hart. Und bei einem Lauf wie heute, mit so einem schnellen Anfangstempo, tat es stets weh.

Ohne Fleiß kein Preis.Welcher Heilige hatte das noch gleich gesagt?

Eamon zwang sich, seine Gedanken auf die Erfordernisse des Laufens zu konzentrieren. Tief einatmen, kontrolliert ausatmen, jeder Schritt ein weiterer Meter. Brust raus, Kopf hoch.

Sieh nach vorn, fixiere den Hügelkamm! Nur noch ein paar Hundert Meter auf dem Waldweg.

Er erinnerte sich an den New-York-Marathon – jene mörderischen letzten anderthalb Kilometer, als die Menge ihn angefeuert hatte und die Ziellinie nur verschwommen zu sehen gewesen war. Sein ganzer Körper fühlte sich wie Pudding an, und sein Verstand schaltete sich aus.

Und dann diese Welle von Glauben, die ihn praktisch abheben ließ, ihn weitertrug, als wären ein Paar Engel gekommen, um ihn zu retten.

Der fliegende Pfarrer schafft es wieder!

Beinahe zehntausend hatte er an Spenden gewonnen und persönlich dem Kardinal den Scheck übergeben, direkt auf den Stufen von St. Patty’s! Seine Zeit war unglaublich gewesen – nicht von dieser Welt.

Die Erinnerung an jenen Triumph trieb ihn weiter. Seine Füße trommelten über den festen Lehmboden hinweg, und die hohen Bäume rauschten an ihm vorbei, während er sich in Windeseile durch tief hängende Äste und hohes Unterholz zwängte.

Nur noch fünfzig Meter bis oben, danach ging es bergab zum Kloster – der Wind in seinem Gesicht würde ihn kühlen und erfrischen. Dann eine lange Dusche, heißer Kaffee, ein warmes Frühstück …

Nur noch Minuten bis dahin!

Und plötzlich …

Er sah nicht, worüber er stolperte, doch irgendwie verfing sich sein Fuß, und er stürzte mit Schwung. Mit der Brust voran prallte er hart auf dem festen Boden auf, und seine Arme und Beine wurden aufgeschürft, als er weiterpurzelte.

Ein Baumstamm, mit dem sein Rücken kollidierte, beendete schließlich seinen Sturz. Er stöhnte vor Schmerz auf.

Was zum Teufel war das? Etwa ein Seil?

Einen Augenblick lag er nur da und versuchte zu spüren, ob seine Arme und Beine ernsthaft verletzt, ob Knochen gebrochen waren. Das Herz …

Mann, wie das rast. Lieber erst mal ruhig werden, langsam atmen.

Durch die Bäume blickte er auf zum wässrig blauen Himmel. Wenn ihn sein Herz jetzt im Stich ließ, würde ihn hier oben in den nächsten Stunden keiner finden. Er war auf sich allein gestellt.

Doch nein, das war er wohl nicht; denn jetzt hörte er Geräusche, die wie menschliche Schritte klangen, in den Bäumen direkt hinter ihm.

Gott sei Dank!

Während er noch auf dem Rücken lag und zum Himmel hochstarrte, erschien eine Gestalt vor ihm und sah zu ihm hinunter.

Jemand, den er kannte.

Und jemand, der wusste, was er getan hatte.

Oh Gott!, dachte Pater Byrne, als das Gesicht näher kam.

Und er begann zu beten – nur schien Gott plötzlich verschwunden zu sein.

2. Überraschender Besuch

Jack trank seinen Kaffee, lehnte sich auf seinem Campingstuhl zurück und prüfte ein weiteres Mal, ob die alte Angelrute neben ihm auch sicher befestigt war.

Zwanzig Meter weit draußen auf dem Fluss wippte der Schwimmer sanft auf dem Wasser – immer noch keinerlei Anzeichen, dass ein Fisch angebissen hatte.

Aber was machte das schon? Er hatte an diesem Vormittag sowieso nichts anderes vor, als sich zu entspannen.

Und was für einen Morgen er sich dafür ausgesucht hatte!

Keine Andeutung von Wind; und obwohl es erst neun war, spürte er bereits die wärmende Frühlingssonne in seinem Nacken.

Er sah hinüber zu Riley, seinem Springer Spaniel, der im hohen Gras am Ufer lag und döste. Er hatte es aufgegeben, Kaninchen zu jagen, und sich ebenfalls den Tag freigenommen.

Abgesehen von den muhenden Kühen auf den Weiden am anderen Ufer und den munteren Vögeln gab es keinen Laut, der den Frieden störte. Zwar war heute Ostersonntag, doch noch war es viel zu früh für die Feiertagshorden – die Picknick-Ausflügler, Wanderer und Kajakfahrer –, als dass sie es schon so weit flussaufwärts geschafft hätten.

Jack blickte wieder zu dem Schwimmer. Der Fluss bewegte sich träge, allerdings hatte es auch schon seit mindestens einer Woche keinen Regen mehr gegeben, wie Jack auf einmal bewusst wurde.

Na, das dürfte ein englischer Rekord sein, dachte er.

Er beobachtete ein Schwanenpaar, das flussabwärts auf sein Zuhause zuglitt: auf das kastenförmige holländische Kanalboot Grey Goose, das ganz hinten in einer Reihe von Kähnen und Hausbooten lag, einen knappen Kilometer von der Cherringham Bridge entfernt.

Seit zwei Jahren war die Grey Goose mittlerweile sein Zuhause – seit er sich vom NYPD verabschiedet und seinen eigenen Traum und den seiner Frau Katherine wahrgemacht hatte: den Ruhestand auf einem Hausboot in England zu verleben.

Sie hatten Pläne geschmiedet, aber dann …

Aber dann war alles anders gekommen.

Wie schnell sie krank geworden war, wie aggressiv sich ihr Krebs entwickelt hatte. Und so war ihr gemeinsamer Traum geendet, bevor seine Realisierung angefangen hatte.

Erst Monate später – nach Monaten, in denen er das gemeinsame Haus kaum verlassen hatte –, war Jack klar geworden, was Katherine gewollt hätte.

Also war er allein hierher nach Cherringham gekommen.

Jack griff nach unten in den Korb neben seinen Beinen und nahm sich einen der Kekse aus der hiesigen Bäckerei, die er so gern mochte. Er brach einige Krümel ab und warf sie ins Wasser.

Ob es funktionierte, wusste er nicht, doch er hatte es schon bei richtigen Anglern gesehen. Und einen Versuch war es wert, nicht wahr?

Er war mit seiner Angel zu einer kleinen Biegung am Fluss gezogen, wo er im letzten Jahr zum ersten Mal seit der Kindheit wieder geangelt hatte – und zwei kleine Fische fing, die sein Nachbar Ray als Hasel identifizierte.

Zum Essen waren sie nicht groß genug gewesen, deshalb hatte Jack sie zurück ins Wasser geworfen.

Eigentlich interessierte es ihn nicht sonderlich, ob er etwas fing oder nicht. Einfach ganz sorglos hier in der englischen Natur zu sitzen, das war der Sinn und Zweck des Ganzen.

Wie jeder Angler bestätigen würde.

Jack bemerkte eine Bewegung weiter unten am Ufer. Von der Brücke aus schritt jemand langsam an den vertäuten Booten entlang. Und da Jack den Mann nicht kannte, behielt er ihn lieber im Blick.

Boote stellten ein leichtes Ziel für Gelegenheitsdiebe dar, und Jack hatte bislang einfach nur Glück gehabt, dass er von ihnen verschont geblieben war.

Deshalb lautete das oberste Gebot für alle Hausbootbesitzer: Jeder passte auf die Kähne der anderen auf.

Er sah, wie der Mann die Grey Goose erreichte, stehen blieb und dann langsam das Boot entlangging, wobei er eindeutig in die Fenster linste.

Jack erkannte, dass er hier im Uferknick für den Fremden offenbar nicht zu sehen war. Sein Blick fiel auf Riley, der nun mit gespitzten Ohren neben Jack stand und auf dessen Kommando wartete.

Ist der Kerl bloß neugierig … oder nimmt er den Platz oder das Boot in Augenschein … oder hat er Schlimmeres im Sinn?

Lautlos hakte Jack die Angelroute aus und legte sie zur Seite, sodass er notfalls schnell loslaufen konnte.

Er beobachtete, wie der Mann die Laufplanke betrat, an Deck ging – und dann verschwand der Unbekannte aus seiner Sicht. Binnen Sekunden war Jack hoch und lief mit Riley an seiner Seite am Ufer entlang.

Auch als er sich seinem Boot näherte, war nichts von dem ungebetenen Gast zu sehen.

Jack und sein Hund gingen leise an Bord. Riley begann zu knurren.

»Noch nicht, Riley. Ich sage dir, wann.«

Jack schlich auf das Brückenhaus zu und verfluchte sich, weil er es nicht verriegelt hatte. War der Kerl drinnen? Er bewegte sich langsam vorwärts und versuchte, die Treppe hinunter in die Kabine zu sehen …

»Mr Brennan?«, erklang eine Stimme vom Vorderdeck. Jack trat zurück und blickte zum anderen Ende des Boots, wo der Fremde stand und ihm zuwinkte.

Jack betrachtete ihn schweigend, als er näher kam. Dann streckte der Mann ihm die Hand entgegen.

Jack schüttelte sie nicht.

»Ah, Sie denken sicher, dass ich hinter dem Familiensilber her war«, sagte der Fremde. »Da es keine Türklingel gibt, war ich so frei, mich selbst an Bord einzuladen.«

»Das sehe ich«, konstatierte Jack. Der andere war groß, gut gebaut, schätzungsweise Anfang fünfzig und hatte ein forsches, selbstbewusstes Auftreten – sowie ein breites, leutseliges Grinsen.

»Liam O’Connor«, sagte er und bückte sich, um Riley die Ohren zu kraulen. »Und wer ist dieser Bursche hier?«

»Das ist Riley. Wir arbeiten noch an dem Angriffstraining, wie Sie sehen.«

»Nun, es besteht kein Grund, mich anzugreifen.«

»Das bleibt abzuwarten, Mr O’Connor – zumindest bis Sie erklärt haben, warum Sie auf meinem Boot sind.«

»Mea culpa, Jack«, entschuldigte sich O’Connor lächelnd.

Jack war nicht in der Stimmung für eine freundliche Plauderei.

»Sie haben unaufgefordert mein Boot betreten, und ich überlege nach wie vor, Sie über Bord zu werfen.«

»Leider kann ich nicht schwimmen; folglich wäre es mir lieber, Sie würden das nicht tun.«

»Na, dann nennen Sie mir lieber einen guten Grund für Ihr unbefugtes Betreten.«

O’Connor hob übertrieben beide Hände: eine Parodie der bekannten Kapitulationsgeste.

»Ich bin hier, weil ich Ihre Hilfe brauche.«

»Und weiter?«

»Könnten wir irgendwo reden, wo wir ungestört sind?«

»Sind wir.«

O’Connor zuckte mit den Schultern. »Ich bin hergekommen, weil, nun ja, ein guter Freund von mir vor zwei Tagen gestorben ist. Am Karfreitag.«

»Tut mir leid, das zu hören.«

Connor zögerte einen Moment. »Es ist nur etwa anderthalb Kilometer von hier entfernt passiert.«

Jack hatte sich die letzten Tage mehr oder weniger eingeigelt. Die großen religiösen Feiertage fand er nach wie vor recht schwer auszuhalten … also war er einfach auf der Goose geblieben.

»Ich denke – ich bin mir da nicht sicher –, dass er eventuell ermordet wurde.«

Das waren … Neuigkeiten.

»Und im Dorf heißt es, Sie wären der Mann, der herausfinden kann, wer es war.«

»Mord? Das ist eigentlich Sache der Polizei«, entgegnete Jack. »Und ich habe nichts von einem Mord gehört.«

»Ja, klar. Weil man sagt, dass er einen Herzinfarkt hatte.«

»Dann hatte er vielleicht auch einen«, meinte Jack. »Übrigens sollten Sie mir endlich verraten, über wen wir da reden.«

»Pater Eamon Byrne.«

»Ein Priester?«

»Ja.«

»Was denkt die Polizei?«

»Jeder glaubt, dass er es mit dem Laufen übertrieben hat und deswegen gestorben ist.« O’Connor blickte über den Fluss zu den Wiesen, als stellte er sich vor, wie der Priester dort zusammenbrechen würde. »Eamon hat es nie übertrieben. Zumindest nicht mit dem Laufen …«

»Und Sie glauben, dass ihn jemand umgebracht hat?«

»Ja, das glaube ich.«

»Warum?«

»Pater Byrne war nicht … Sagen wir einfach, er war kein durchschnittlicher Priester.«

»Da, wo ich herkomme, gibt es so etwas wie durchschnittliche Priester gar nicht.«

»Ah, dann haben Sie schon einige Priester gekannt?«

»In Brooklyn? Kann man wohl sagen.«

»Sind Sie katholisch, Mr Brennan?«

»Früher. Es war einmal …«

»Wie in den Märchen?«

»Ihre Worte, nicht meine.«

Jack wartete.

O’Connors Grinsen war verschwunden.

»Ich bin hier, weil ich hoffe, dass Sie mir helfen können. Können … würden Sie?«

Wieder wartete Jack und fragte sich, ob er wirklich in einen neuen Fall verwickelt werden wollte. Er sah zu dem kleinen, geschützten Flecken am Fluss, wo der Kaffee und die Angelrute seiner harrten.

»Ich kann Sie bezahlen«, sagte O’Connor.

»Mich kann man nicht anheuern.«

»Verstehe. Zufällig habe ich einen sehr alten Lagavulin, den ich gern mit jemandem teilen würde.«

Nun musste Jack grinsen. »Wie alt?«

»Dreißig Jahre.«

»Ein echter?«

»Ja. Und er ist noch nie geöffnet worden.«

»So etwas haben die meisten Leute nicht herumliegen.«

»Ich habe ihn geschenkt bekommen. Ein Dankeschön.«

»Und was für eines!«

»Die Leute brauchten Hilfe, und ich tat, was ich konnte.«

Jack entging nicht, dass O’Connor ihm damit andeuten wollte, er solle nun ebenfalls helfen. Und das – vor allem aber die reizvolle Aussicht auf einen dreißig Jahre alten Single-Malt – überzeugte ihn.

»Okay. Das kann ich nicht ablehnen. Kommen Sie mit nach unten, und ich setze Kaffee auf. Dann können Sie mir erzählen, warum jemand einen Priester umbringen wollte.«

3. Das Fest

»Kriege ich eine Gefahrenzulage?«

Sarah hielt vor der Kirche von St. Francis und blickte zu ihrem Sohn Daniel, der neben ihr auf dem Beifahrersitz saß.

»Gefahrenzulage?«, wiederholte sie.

»Ja. Na, weil ich doch an einen Tatort gehe.«

Sarah lachte. Vielleicht war es keine so gute Idee gewesen, ihren Sohn zu dem Treffen mit Jack bei dem Klosterfest mitzubringen.

»Nein«, antwortete sie. »Aber du kannst einen Fünfer haben, um dir etwas an den Ständen zu kaufen.«

»Hmm, ich weiß nicht, Mum. Ein Fünfer ist nicht viel.«

»Das hier ist ein Kirchenfest, Daniel, nicht Alton Towers.«

»Ich wette, Grace bezahlst du mehr.«

»Grace ist erwachsen, und sie arbeitet nicht an Fällen mit.«

»Also ist das ein Fall!«

»Kann sein. Kann aber auch nicht sein. Zunächst mal ist es ein Fest – vorausgesetzt, wir finden es.«

Sie blickte zu dem im viktorianischen Stil errichteten Bauwerk – Cherringhams katholischem Gotteshaus –, das so ganz anders war als die alte St.-James-Kirche im Zentrum des Dorfes. Neben der Kirche stand ein großes Haus. War dies das Pfarrhaus? Falls ja, wo befand sich dann das Kloster?

Während ihrer Teenagerjahre in Cherringham hatte es das Kloster noch nicht gegeben. Und Sarah erinnerte sich nicht, jemals in der St.-Francis-Kirche hier an der belebten Straße gewesen zu sein, die aus dem Dorf führte.

An einer Seite der Kirche befand sich ein Sandweg, der von überwachsenden Hecken gesäumt war. Führte der Weg zu dem Ort, wo das Fest veranstaltet wurde?

»Meinst du, es ist da?«, fragte sie.

»Vielleicht«, sagte Daniel und spähte den Weg hinunter. »Ich glaube, da hinten sehe ich Autos.«

Sarah hatte Daniel auf Jacks Vorschlag hin mitgenommen. Was wäre ein besserer Grund, ein Kirchenfest mit Buden und Spielständen zu besuchen, als ein Zwölfjähriger?

Nur dass Sarahs Zwölfjähriger lieber an seiner PlayStation säße, weshalb er auch einen Lohn für seine »Mühen« verlangte.

Wenigstens ist er geschäftstüchtig, dachte Sarah.

Sie lenkte ihren RAV4 langsam den Sandweg hinunter. Die Bäume und Sträucher zu beiden Seiten waren so ungepflegt, dass Sarah Zweifel bekam, ob sie auf diesem Weg tatsächlich zum Ziel kommen würde. Doch als sie um eine Biegung fuhr, zeigten ihr Wimpel und Fahnen an, dass sie hier richtig waren.

Sie erreichte ein Tor, neben dem eine Nonne an einem kleinen Kartentisch saß, auf dem ein Schild verkündete: »Frühlingsfest – Rettet das Kloster St. Francis!«

Sarah hielt vor dem Tisch und ließ ihr Fenster herunter.

»Eine Erwachsene und ein Kind, bitte«, sagte sie zu der Nonne, die selbst so aussah, als wäre sie kaum älter als ein Kind.

»Drei Pfund.« Die Nonne lächelte. »Waren Sie schon mal bei uns?«

»Nein, es ist das erste Mal.« Sarah reichte ihr das Geld, und die Nonne warf es in einen kleinen Korb.

»Folgen Sie den Schildern zum Gästehaus, und parken Sie hinter dem alten Stall. Sie können es gar nicht verfehlen.«

»Danke.«

Die junge Nonne lächelte Daniel zu.

»Und gönnen Sie sich unbedingt einen Cream Tea. Das dazugehörige Gebäck schmeckt wirklich wunderbar.«

Sarah nickte und fuhr weiter.

»Das ist cool, Mum. Ein echter Fall«, sagte Daniel. »Haben die Nonnen jemanden ermordet? Ist hier irgendwer ein Mörder? Sollen wir auch Leute verhören?«

Daniel ging ganz in seiner Fantasie von der Detektivarbeit auf, wohl aufgrund all der amerikanischen Serien, die er sich im Fernsehen ansah.

»Darin bin ich bestimmt richtig gut«, fuhr er fort.

»Worin?«

»Im Verhören.« Daniel grinste. »Ich könnte den Mörder zum Reden bringen!«

Sarah schüttelte den Kopf. »Daniel, bisher weiß ich nur, dass irgendwas ‚passiert’ ist und Jack sich mit uns treffen will.«

»Richtig. Und ich wette, dass es einen Mord gegeben hat. Das ist so klasse!«

»Und er will unauffällig bleiben – allein aus diesem Grund bist du hier, schon vergessen? Wir wollen uns nur das Klosterfest ansehen, klar?«

»Klar. Ich bin die Tarnung, die euch harmlos aussehen lässt.«

»Genau.«

»Das ist ein Fall von Kinderausbeutung«, konstatierte Daniel.

»Nein, das ist Vermittlung von praktischer Erfahrung«, entgegnete Sarah lachend.

Was für ein Junge …

Sie fuhr weiter, und vor ihnen tauchte das Kloster auf.

»Wow!«, entfuhr es Daniel. »Das ist ja irre. Ich habe gar nicht gewusst, dass das hier ist.«

»Ich auch nicht«, gestand Sarah.

Während sie dem Weg weiterhin folgte, beugte sie sich vor, um das Bauwerk besser in Augenschein zu nehmen. Es war ein verfallenes, weiß verputztes Landhaus mit pastellblauen Akzenten und einer riesigen Glyzinie, die an einem Gebäudeflügel emporrankte.

Vom Haus aus erstreckten sich Grünflächen bis hinunter zum Wald. Bei genauerem Hinsehen konnte Sarah ein Stück vom Fluss dahinter erkennen.

Was für ein schöner, erhabener Ort!

»Die vielen Bäume schirmen das Kloster ab«, sagte sie. »Kein Wunder, dass wir es nie gesehen haben.«

»Und ein guter Platz, um eine Leiche zu verstecken«, stellte Daniel fest.

Sie warf ihm einen drohenden Blick zu. »Noch ein Wort über Leichen oder Mord, und aus den fünf Pfund werden drei, verstanden? Oder eine sofortige Rückfahrt nach Hause«, warnte Sarah ihn und parkte ihren Wagen neben einem fleckigen Schild mit der Aufschrift »Klausur-Parkplatz«. Es beruhigte sie, Jacks kleinen grünen Sportwagen unter einem Baum zu entdecken.

Daniel hob die Hände.

»Ich bin ja schon still, Mum.« Dann, als er aus dem Fenster sah, fragte er: »Was ist denn Klausur?«

»Leute gehen in Klausur, wenn sie Ruhe und Stille haben wollen«, erklärte Sarah. »Ich frage mich, ob hier noch etwas frei ist.«

»Sieht aber nicht sehr gemütlich aus.«

Sarah folgte Daniels Blick: Unter den hohen Bäumen war ein langes, eingeschossiges Gebäude – ein umgebauter Stall. Es fehlten einzelne Dachschindeln, die Außenfarbe blätterte ab, und in den Fenstern hingen fadenscheinige Vorhänge.

»Ich glaube nicht, dass es um Gemütlichkeit geht«, sagte Sarah, stieg aus dem Wagen und wartete, bis Daniel draußen war, ehe sie verriegelte. »Komm, gehen wir los, um die fünf Pfund auf den Kopf zu hauen und Jack zu suchen.« Sie schritt auf das Kloster zu.

Jack zu finden dauerte nicht lange.

Sarah hatte ihn schon häufiger im Gemeindechor singen gehört, und diese Tenorstimme, die nun vom unteren Ende des Rasens erklang, war unverwechselbar.

Mit Daniel zusammen ging sie zwischen einer Handvoll Ständen hindurch, die neben dem Haupthaus aufgebaut waren und für Lotterien, Schatzsuchen und eine Tombola warben.

Viele Leute waren nicht da, aber noch war es früher Nachmittag, und das Fest hatte eben erst angefangen. Soweit Sarah es sehen konnte, wurden sämtliche Stände von Nonnen betreut, und die meisten waren so jung wie die vorn am Tor.

Sie folgte dem Gesang.

Zwischen den Bäumen am Ende des Rasens konnte sie eine Marienstatue sehen, die von Plastikstühlen umringt war, und vor ihnen spielte eine Nonne laut auf einem elektrischen Piano.

Hinter der Nonne war ein großes, handbeschriftetes Schild: »Ein Kirchenlied Ihrer Wahl für 1 Pfund!«

Jack schmetterte gerade Abide With Me zusammen mit zwei alten Damen und einem Kind. Als Sarah mit Daniel näher kam, bemerkte er sie und reckte grinsend beide Daumen.

Sarah wartete, bis das Lied vorbei war, und applaudierte dann begeistert. Nachdem Jack sein Pfund bezahlt hatte, schritt er zu ihnen.

»Hi, Sarah«, begrüßte er sie. »Daniel, wie geht’s?«

»Einsatzbereit, Jack.«

»Sehr gut. Dein Auftrag lautet, dich hier überall umzusehen, rauszufinden, wer wer ist, die Stände abzuklappern und auf Verdächtiges zu lauschen. Alles klar?«

Ach du Schande, er ermuntert ihn auch noch!

»Klar«, antwortete Daniel.

Sarah sah ihm an, wie ernst er das hier nahm.

»Wenn dir irgendwas Komisches auffällt, misch dich nicht ein, sondern komm zu uns.«

Sarah sah stumm zu, wie Jack einen Fünf-Pfund-Schein aus einem Clip in seiner Tasche nahm und ihn Daniel reichte. »Teil es dir vernünftig ein. Und ich brauche keine Spesenquittungen.«

Jetzt hat der Junior-Detective schon zehn Pfund!

»Cool!«

»Wir treffen uns in einer Stunde zum Cream Tea, okay?«

»Drei Uhr fünfzehn zum Tee; ich werde da sein – pünktlich!«, versprach Daniel mit Blick auf seine Uhr, bevor er sich unter die nun wachsende Menge bei den Ständen mischte.

Sarah drehte sich zu Jack, während sie beide langsam hinter Daniel in Richtung Haus gingen. »Also, was hat es mit diesem mysteriösen Treffen auf sich, Partner?«

Sie hörte aufmerksam zu, als Jack ihr von Liam O’Connors Besuch erzählte.

»Wer würde einen Priester ermorden wollen?«, fragte sie schließlich.

»Genau das habe ich auch gefragt. Er weiß es nicht.«

»Und welche Beweise gibt es?«

»Ziemlich dünne, ehrlich gesagt. Liam hat lediglich das Gefühl, dass etwas nicht stimmt«, antwortete Jack. »Er und Pater Byrne sind normalerweise jeden Morgen zusammen gelaufen, bei jedem Wetter. Sie waren ständig im Training für den nächsten Marathon, stell dir das mal vor. Anscheinend ist unser Opfer wegen seiner Spendenläufe in den zurückliegenden Jahren recht berühmt gewesen. Jedenfalls hat Byrne letzten Donnerstagabend bei Liam angerufen und ihm gesagt, ihm gehe es nicht so gut und er wolle am nächsten Morgen kein Lauftraining machen.«

»Vielleicht hatte er es sich einfach anders überlegt, aber da war es schon zu spät, um Liam Bescheid zu sagen.«

»Wäre möglich. Doch anscheinend ist er nicht bloß gelaufen, sondern er hat am Ende auch noch die Strecke geändert, die sie stets nahmen. Und das, behauptet Liam, hätte er niemals getan.«

»Warum nicht?«

»Sie laufen eine genau abgesteckte Zehn-Kilometer-Strecke, damit sie ihre Zeiten vergleichen können. Anscheinend sind die beiden sehr wettbewerbsorientierte Priester.«

Sie kamen bei den Ständen an. Sarah bog an einer weiteren gigantischen Glyzinie nach links zu einem heruntergekommenen Wintergarten ab, wo Tee und Kuchen serviert wurden.

»Also ist Liam auch Priester?«, hakte sie nach.

»War er vor langer Zeit. Er und Pater Byrne waren zusammen auf dem Priesterseminar. Wie er erzählt hat, waren das ziemlich wilde Zeiten. Sie blieben in Kontakt und eng befreundet, obwohl Liam aus der Kirche austrat. Er hat mir anvertraut, er habe seinen Glauben verloren, jedoch nicht verraten, wie dies geschah.«

»Und was macht er jetzt?«

»Hat er nicht gesagt«, antwortete Jack. »Ich weiß nur, dass er trinkt, läuft, segelt, feiert, wettet und sich in Schwierigkeiten bringt.«

»Was nicht unbedingt zu einem Priester passt – nicht mal zu einem ehemaligen Priester«, meinte Sarah.

»Glaub das lieber nicht. Ich habe Geistliche in New York gekannt, die all das und mehr gemacht haben.«

»Natürlich!«, rief Sarah und zeigte auf die Statuen und Kreuze in dem Wintergarten. »Dies hier ist ja deine Welt, nicht?«

»War sie mal, als ich in Brooklyn aufwuchs. Ich bin bei den Dominikanern zur Schule gegangen, Ministrant gewesen, das ganze Register. Der Bruder von meinem Dad war ein Priester, ein Jesuiten-Missionar. Die Brennans waren die Stütze der Gemeinde.«

»Mit Ausnahme von dir.«

»Stimmt, ich war immer schon ein großer Skeptiker. In dem Moment, in dem ich von zu Hause auszog, war ich da raus.«

»Und es zieht dich nicht zurück?«, fragte Sarah.

»Ich mag die Musik. Und manchmal nimmt mich der Weihrauch ganz unvermittelt gefangen. Zu Weihnachten werde ich hin und wieder sentimental – aber zurück?« Er schüttelte den Kopf. »Nein, das ist nichts für mich.«

Sarah blieb vor einer der hohen Marienstatuen stehen. »Liam muss noch einen anderen Grund haben, weshalb er denkt, dass Pater Byrne ermordet wurde …«

»Hat er. Wie es aussieht, war Byrne ein großer Fan von Pferderennen, und Liam erzählte, dass er sich mit einigen recht finsteren Gestalten eingelassen hatte, die ihm die Daumenschrauben anlegten.«

»Ernsthaft? In dieser Gegend?«

»Er hatte gewaltige Schulden, wie Liam glaubt«, sagte Jack. »Und er bekam Drohungen. Liam meint, er hätte Byrne noch nie so verängstigt erlebt wie zuletzt.«

»Okay. Vielleicht ist da was dran. Allerdings habe ich im Dorf gehört, dass Pater Byrne an einem Herzinfarkt gestorben ist.«

»Richtig. Aber was ist, wenn besagter Herzinfarkt auftritt, während einem der Arm verdreht und die Brieftasche abgenommen wird? Dann sind die Todesumstände alles andere als natürlich.«

Bei diesen Worten stutzte Sarah.

Inzwischen kannte sie Jack gut genug, um seinem Gefühl zu vertrauen.

»Wie ist der Plan?«, fragte sie.

»In diesem Kloster leben nur fünf Nonnen, und sie alle dürften Pater Byrne gut gekannt haben«, erklärte Jack. »Wir teilen uns auf, schnüffeln ein bisschen herum, stellen einige Fragen – und vielleicht finden wir heraus, was genau am Freitagmorgen passiert ist.«

»Ich weiß nicht, ob das den Nonnen gefällt.«

Jack lächelte. »Wahrscheinlich genauso wenig wie mir, als Nonnen mich damals über amerikanische Geschichte ausgequetscht haben. Mir hingegen könnte es durchaus Spaß machen …«

4. Schweigegelübde?

Jack kaufte einen Scone – wie empfohlen – und gab der jungen Nonne am Kuchentisch ein Pfund.

Sie wollte aufstehen und Wechselgeld holen.

»Nein, behalten Sie den Rest«, sagte Jack. »Ist ja alles für einen guten Zweck, nicht wahr?«

Die junge Nonne lächelte. Ihr rundes Gesicht wurde vom gestärkten Schleier ihres Habits eingerahmt, und Jack dachte daran, was für ein hartes Leben diese Nonnen führten und wie viel sie aufgeben mussten.

Unweigerlich fragte er sich, was sie dazu brachte, sich für ein solches Leben zu entscheiden.

»Vielen Dank, Sir«, sagte die Nonne.

Jack nickte. »Ach, übrigens habe ich gehört, was mit Ihrem Pater Byrne passiert ist, Schwester …«

Ihre Gesichtszüge verdüsterten sich.

»Schwester Julienne. Und ja, das war ein Schock für unsere Gemeinschaft.«

»Kann ich mir vorstellen. Anscheinend war er vollkommen gesund, ein Sportler noch dazu.«

Ein Junge kam angelaufen. In der Hand hielt er ein paar Münzen, die er auf den Tisch legte.

Julienne beugte sich zu ihm. »Möchtest du noch einen?«

Der Junge nickte grinsend.

»Na schön. Aber wenn du so weitermachst, habe ich bald nichts mehr!«

Der Junge schnappte sich einen Scone, stopfte ihn in den Mund und flitzte weg, als hätte er das Gebäck gestohlen.

»Wie entzückend die Kleinen sind«, sagte die Nonne. »So unschuldig. Noch hat die Welt keine Spuren an ihnen hinterlassen …«

Unschuldig, dachte Jack. Was für eine interessante Wortwahl!

»Kannten Sie Pater Byrne gut?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Ich meine, ich war bei seinen Messen, und er erzählte gerne Witze. Allerdings war er wegen der vielen Läufe ja oft auf Reisen.«

»Er muss ziemlich fit gewesen sein«, betonte Jack das Offensichtliche.

»Schon, doch anscheinend …«, sagte sie zögernd, »… nicht sein Herz.«

Jack dachte nach. Wusste Schwester Julienne, dass er und Sarah gelegentlich im Dorf ermittelten?

Oder wollte sie einfach nur reden?

»Das habe ich auch gehört. Dennoch, solch ein Läufer – das ergibt irgendwie keinen Sinn, oder?«

Schwester Julienne verstummte plötzlich, als würde ihr gerade bewusst, dass sie mit einem Fremden über jemanden aus der Kirche sprach.

Ehe Jack weiterging, hatte er noch eine Frage.

»Schwester, ich nehme an, es gibt hier jemanden, der für alles verantwortlich ist: eine -«

»Mutter Oberin, ja. Schwester Mary Bryan.«

»Ah ja, eine Oberin hatten wir auch an meiner New Yorker Schule!« Er beugte sich näher zur Nonne. »Die hat mir damals immer eine Heidenangst eingejagt.«

Das entlockte ihr ein Schmunzeln.

»Und wo finde ich die Mutter Oberin?«

»Drüben beim Tombola-Tisch. Von dort aus kann sie alle Stände sehen.«

Jack grinste. »Ein wachsames Auge auf alles, was? Danke. Vielleicht muss ich später noch mal wiederkommen. Diese Scones machen … süchtig.«

Schwester Julienne errötete.

Und Jack machte sich auf den Weg zum Tombola-Tisch.

Sarah fand dies alles ein wenig … merkwürdig.

Unter dem strahlenden Frühlingshimmel verlief das Fest vollkommen normal. Und dabei war erst wenige Tage zuvor jemand gestorben, der dem Kloster sehr nahegestanden hatte.

Könnte es sein, dass sie schlicht das Geld brauchten? Dem Zustand der Gebäude und Wege nach zu urteilen, ging es dem Kloster nicht gut: Das Haupthaus war eindeutig renovierungsbedürftig und der Asphalt auf der Zufahrt rissig, die Dächer wiesen Schäden auf, und an mehreren Fenstern fehlten Vorhänge.

Sarah selbst war sich immer noch nicht ganz sicher, was genau sie hier tun sollte.

Einfach jemanden auf den verstorbenen Priester ansprechen?

Das kam ihr schwierig vor, weshalb sie hoffte, dass Jack mehr Glück hatte.

Plötzlich spürte sie ein energisches Zupfen an ihrem Ärmel.

»Mum!« Daniel war hinter ihr.

An seiner Oberlippe haftete weißer Puder.

»Doughnut?«, fragte sie.

»Nur einen. Aber, Mum, ich habe gemacht, was Jack gesagt hat, bin rumgegangen und habe richtig gut zugehört, was die Leute so sagen.«

Oh nein!, dachte sie. Jack hat ein Monster erschaffen! Jetzt habe ich meinen eigenen Sherlock Holmes junior.

»Ja, und?«

Daniel beugte sich nah zu ihr und erklärte verschwörerisch: »Hier sind nicht nur Nonnen, Mum.«

»Richtig, Daniel, zu dem Fest sind alle eingeladen.«

»Nein, ich meine, die hier wohnen. In dem Kloster. Hier gibt es auch normale Frauen! Ich habe gehört, wie eine von denen mit einer von den Nonnen geredet hat. Wegen ihrer Klausur … jetzt, wo der Priester tot ist. Siehst du die da?« Daniel zeigte nach vorn. »Dort drüben, die Frau mit der Jeans – die wohnt hier.«

Rasch drückte Sarah Daniels ausgestreckten Arm nach unten.

»Nicht mit dem Finger zeigen, Daniel. Und ich hatte dir doch gesagt, dass Leute auch in Kloster fahren, um ein bisschen Ruhe zu haben, um zu beten und zu meditieren. Daher wundert mich nicht -«

»Aber wenn hier auch normale Leute sind, kann doch einer von denen der Mörder gewesen sein!«

Gott, wenigstens flüstert er!

»Daniel, wir wissen doch noch gar nicht -«

»Oder vielleicht sind hier noch andere.«

Sie legte eine Hand auf Daniels Schulter.

»Okay. Das war gute Arbeit. Wir wissen jetzt, dass hier auch Gäste sind. Hast du Lust, noch ein bisschen mehr herumzuhorchen?«

»Und ob!«

»Super. Dann mal los. Ach, und, Daniel …?«

»Ja?«

»Keine Doughnuts mehr.«

Er grinste – und sie ebenfalls.

Dann blickte Sarah sich nach Jack um und fragte sich, ob er irgendetwas erfahren hatte.

Jack entdeckte die Nonne, bei der es sich um die Mutter Oberin handeln musste: Ganz allein stand sie da mit verschränkten Armen, den Blick auf ihr Team fixiert, ähnlich einem stämmigen Football-Coach.

»Furchteinflößend« war das Wort, das Jack bei ihrem Anblick aus einiger Entfernung als Erstes in den Sinn kam.

Und prompt holten ihn die Erinnerungen an seine Tage als nicht gerade bravster Schüler von der St.-Vincent-Ferrer-Schule ein.

Jack hatte keinen Police Captain gekannt, der es an Strenge mit St. Vinnys Schwester Elizabeth damals in Flatbush aufnehmen konnte.

Er holte tief Luft, setzte ein, wie er hoffte, warmherziges Lächeln auf und wappnete sich für das, was unweigerlich geschehen würde.

Die Nonne drehte sich zu ihm um, als er näher kam.

»Schwester Mary Bryan?«

»Ja.« Sein Lächeln schaffte es nicht, eine entsprechende Erwiderung auf ihr graues, faltiges Gesicht zu zaubern.

Jack sah sich um, als bewunderte er das rege Treiben auf dem Fest, dabei wich er eigentlich nur dem vernichtenden Blick der Nonne aus.

Alte Gewohnheiten legt man nicht so leicht ab …

»Ein herrlicher Tag für Ihr Fest.«

»Ja, es ist Ostermontag, und der Herr hat uns einen schönen Tag geschenkt.«

Er wandte sich wieder ihr zu. »Das hat er. Ich habe mich gefragt …«

Was er sich wirklich fragte, war, ob die Frau ahnte, was er tatsächlich wollte. Mittlerweile kannten ihn die meisten Einwohner Cherringhams: Er war für sie der »amerikanische Detective«. Aber wusste man auch hier in der abgeschiedenen Atmosphäre dieses Klosters, versteckt am Dorfrand, von ihm und seiner Tätigkeit als Freizeit-Ermittler?

»Ich habe mich gefragt, ob ich mit Ihnen über Pater Byrne sprechen könnte.«

»Möge er in Frieden ruhen«, sagte Schwester Mary, die Arme immer noch verschränkt.

»Ja. Die Beerdigung wird wohl diese Woche noch sein, nehme ich an.«

»Warum sagen Sie das?«, fragte sie unüberhörbar misstrauisch. »Kannten Sie ihn?«

Jack verneinte stumm und dachte: Vielleicht wäre Sarah hier besser geeignet.

»Nein, überhaupt nicht. Mich hat nur ein alter Freund von ihm angesprochen – Liam O’Connor.«

Die Nonne schüttelte abfällig den Kopf, sagte aber kein Wort.

»Na ja, Liam wunderte sich, wie seinem Freund so etwas passieren konnte.«

Jetzt war es die Nonne, die den Blick abwandte – vielleicht, weil er zu viel preisgeben würde?

»Der Arzt hat bestätigt, dass es ein tödlicher Herzanfall war, Mr …«

»Jack.«

»Seine vielen Läufe, wie er kreuz und quer in der Weltgeschichte herumreiste …«

Endlich löste sich ihre Zunge.

»Aber das ist es ja gerade, Schwester! Er war ein Langstreckenläufer und ist überall auf der Welt Marathon gelaufen.«

Einen Moment lang blieb sie still, als hoffte sie, Jack würde sich wieder zurückziehen.

Dann sagte sie: »Ja, er ist gelaufen, und offenbar hatte er auch Herzprobleme, wegen denen er Medikamente nehmen musste. Mich wundert es gar nicht, was ihm passiert ist.«

Jack merkte, dass sich die Lage veränderte und er nun in seinem Element war: Und so ging er auf Konfrontationskurs mit der Oberin.

»Sehen Sie, Schwester Mary, genau das ist der springende Punkt. Wenn die Ärzte ihm erlaubt hatten, weiterhin zu laufen, und seine Medikamente dafür sorgten, dass seine Pumpe richtig arbeitete, dann, nun ja, bin ich verwirrt. Verstehen Sie, was ich meine?«

Jack war nicht sicher, ob Schwester Mary begriff, was er ansprach. Und er fragte sich, ob die oberste Nonne in St. Francis womöglich ein oder zwei eigene Geheimnisse hatte, zusätzlich zu denen des verstorbenen Pater Byrne.

»Wäre es eventuell möglich, dass ich mir mal ansehe, wo der Pater gewohnt hat?«

»Das Pfarrhaus?«, erwiderte sie in einem Tonfall, als grenzte bereits die bloße Idee ans Skandalöse.

»Vielleicht finde ich etwas, das mir eine Vorstellung davon gibt, wie es passieren konnte. Sind seine Sachen noch in dem Haus?«

Das verhaltene Nicken der Oberin war noch keine Zustimmung. Sicher wog sie erst einmal ab, ob sie es wirklich erlauben sollte.

»Und ich bin sicher, dass es seinen Freund Liam beruhigen würde, wenn ich mich einmal kurz umsehen dürfte.«

Nachdem sie sich abermals umgeschaut hatte, blickte sie Jack mit versteinerter Miene an. »Na gut. Es ist ja im Grunde nichts dabei, vermute ich.«

Sie ist sich kein bisschen sicher …

Dann ging Schwester Mary voraus zur Auffahrt, die zum Pfarrhaus führte.

5. Das Zimmer des guten Pfarrers

Sarah suchte nach Jack.

Außer der Information, dass anscheinend drei Laien in Klausur im Kloster waren, was sie nur dank Daniel wusste, hatte sie wenig herausgefunden.

Schließlich sprach Sarah die fröhliche Nonne an der Zuckerwattemaschine an. Die Frau schien passenderweise immerfort zu lächeln – bis Sarah den Namen von Pater Byrne erwähnte.

Als die Nonne schwieg, stellte Sarah sich vor.

»Schwester Evangeline«, erwiderte die Nonne zurückhaltend.

Die Nonne ließ den Stiel weiterkreisen, um die Zuckerwatte einzufangen, doch ihr Lächeln blieb weiterhin verschwunden.

»Bedaure, aber ich kannte ihn eigentlich nicht«, behauptete sie schließlich. »Er hielt die Messe für uns und nahm uns die Beichte ab, sonst nichts.

Nach dem, was Sarah bisher über Byrne erfahren hatte, hätte er gut jemanden brauchen können, der sich seine Beichte anhörte.

»Und er kam Ihnen gesund vor?«

Die Nonne nickte und reichte einem Jungen mit großen Augen eine dicke rosafarbene Wattewolke, bevor sie sich an die nächste machte.

»Er war ein Langstreckenläufer, nicht? Das ist für uns alle ein Schock gewesen.«

»Ja, kann ich mir gut vorstellen«, sagte Sarah.

Wieder blickte sie sich um.

Wo steckt Jack nur?

Dann sah sie wieder zu Schwester Evangeline.

»Hatten Sie je den Eindruck, dass Pater Byrne … Feinde hatte?«

Bei diesen Worten hielt die Nonne in ihrer Tätigkeit inne.

Und sie antwortete nicht auf die Frage, sondern entgegnete: »Wenn Sie bitte entschuldigen, ich muss mich um die Maschine kümmern. Die Kinder warten.«

Es war eine sehr durchsichtige Ausrede, denn bis eben war es Schwester Evangeline problemlos gelungen, Zuckerwatte zu machen und gleichzeitig zu reden. Sarah nickte lächelnd.

Auch wenn sie keine Informationen bekommen hatte, spürte Sarah etwas.

Pater Eamon Byrne war fraglos ein beliebter »Laufpriester« gewesen – aber was war da noch, worüber niemand reden wollte?

In diesem Moment kam Daniel herbeigerannt.

»Oh, Zuckerwatte! Darf ich eine, Mum, bitte?«

Sarah lachte. »Wenn es unbedingt sein muss. Ich glaube, ich -«

Ihr Handy summte.

Es war eine SMS von Jack: Kommst du zu mir ins Pfarrhaus?

Wie in aller Welt hat er sich denn Zugang zu diesem Gebäude verschafft?

Sie wandte sich zu Daniel. »Ich gehe kurz zum Pfarrhaus, Daniel.«

In überzeugter Detektivmanier verkündete er: »Ich komme mit!«

Kopfschüttelnd strich Sarah ihm das Haar aus der Stirn.

Gott, wie sie den Jungen liebte!

»Nein, du isst eine Zuckerwatte.« Sie beugte sich zu ihm. »Bleib bei deiner Tarnung, halte die Augen offen, und spitz die Ohren, ja?«

»Okay, alles klar!«, sagte Daniel, der plötzlich ein bisschen amerikanisch klang.

Ja, das Fernsehen …

Und dann ging Sarah auf dem Sandweg zum Pfarrhaus.

Die Vordertür des strengen Backsteinbaus stand offen, und als sie eintrat, nahm Sarah einen Geruch wahr. Was war das?

Weihrauch? Kerzen? Sie war keine sonderlich eifrige Kirchgängerin – schon ihre Eltern hatten in dieser Hinsicht eine eher laxe Einstellung –, und die katholische Welt war ihr erst recht vollkommen fremd.

Jack hatte ihr mitgeteilt, dass er sich hier befand – doch wo genau?

Schließlich, als sie bereits halb durch den langen, dunklen Flur war, rief sie: »Jack? Bist du hier?«

Nichts.

Sarah blickte die schmale Treppe hinauf, die wahrscheinlich zu den Schlafzimmern führte.

Nach ein, zwei weiteren Schritten musste sie unwillkürlich an die Treppe in diesem schaurigen Film von Hitchcock denken.

Sie rief wieder: »Jack?«

»Hier drinnen, Sarah.«

Jacks Stimme durchschnitt das Halbdunkel und den Geruch, der wohl von Kerzen stammte. Sogleich eilte Sarah weiter den Flur hinunter.

Ihr fiel auf, dass der Teppich durchgelaufen und ausgeblichen war. Wie alles andere, was sie hier bisher gesehen hatte, musste auch in diesem Haus alles dringend renoviert oder ersetzt werden.

Am Ende des Korridors sah sie eine offene Tür, durch die Licht auf den dunklen Flur fiel. An den Wänden hingen religiöse Bilder.

Und genau in dem Augenblick, als sie die offene Tür erreichte, kam eine Nonne heraus – wie bei einer dieser Jahrmarktsattraktionen, bei denen man erschreckt werden sollte.

»Oh!«, entfuhr es Sarah. »Verzeihung, ich …«

Im Gegensatz zu ihren Mitschwestern draußen beim Fest war diese Nonne alt, und der Schleier ihres Habits umrahmte ein Gesicht mit zahlreichen Falten und Schrunden. Die Frau trat zur Seite und sagte steif: »Er ist drinnen.«

Sarah lächelte, was gegen den frostigen Ausdruck der Frau nichts auszurichten vermochte, und ging an ihr vorbei in das Zimmer.

Jack saß an einem alten, zerkratzten Schreibtisch.