Cherringham Sammelband IX Folge 25-27 - Matthew Costello - E-Book

Cherringham Sammelband IX Folge 25-27 E-Book

Matthew Costello

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Beschreibung

Very British - drei England-Krimis in einem Band!

Diese E-Book-Sonderausgabe beinhaltet die Fälle 25 - 27 der Cosy-Crime-Serie "Cherringham - Landluft kann tödlich sein" - ein Muss für Fans von Miss Marple und Sherlock Holmes!


Folge 25: Ganz Cherringham freut sich auf die Weihnachtstage, doch dann wird die festliche Stimmung durch eine schlimme Nachricht getrübt: Der Weihnachtsmann ist verschwunden! Seit Jahren tritt Bill Vokes auf der Weihnachtsfeier des kleinen Cotswolds-Städtchens als Weihnachtsmann auf. Nur in diesem Jahr ist er kurz vor der Feier nicht aufzufinden - und allen in Cherringham ist klar, wer der Sache auf den Grund gehen muss: Jack und Sarah. Der pensionierte amerikanische Polizist und die Webdesignerin fangen an nachzuforschen und entdecken schon bald, dass diesen Weihnachtsmann Geheimnisse umgeben, die sich niemand hätte vorstellen können ...


Folge 26: Was beweisen schon Beweise?

Ein Schuss in der Dunkelheit. Am nächsten Morgen wird die Leiche von Lee Taylor, Baumarktleiter von Cherringham, gefunden. Sämtliche Beweise sprechen gegen seinen Stellvertreter Nick. Dann wird auch noch die Mordwaffe aus der Themse gefischt: Es ist Nicks Schrotflinte. Der junge Mann taucht unter. Für Jack und Sarah ist die Beweislage etwas zu eindeutig und sie fangen an, Nachforschungen anzustellen. Ist Nick tatsächlich der Täter oder versucht jemand, ihm die Tat anzuhängen?


Folge 27: Gefangen in einem Horrorfilm?!

Basil Coates ist bekannt für die Kult-Horrorfilme, in denen er mitgespielt hat. Als er das Opfer einer Reihe übler Streiche wird, geht die Polizei davon aus, dass ein verrückter Fan des Schauspielers dafür verantwortlich ist und nimmt die Sache nicht sonderlich ernst. Schließlich ist niemand zu Schaden gekommen ... Doch kurz vor Halloween wird aus den Streichen tödlicher Ernst - ein Mörder geht um in Basils unheimlichen Haus vor den Toren Cherringhams! Jack und Sarah lassen sich davon nicht schrecken und finden sich in einen Fall verstrickt, der Basils unheimlichsten Filmen in nichts nachsteht ...

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung!


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Inhalt

Cover

Weitere Serien der Autoren

Über diesen Sammelband

Über die Autoren

Sammelband IX

Impressum

Ungebetene Gäste

Mord in heller Nacht

Tod zur Geisterstunde

Weitere Serien der Autoren

Mydworth. Ein Fall für Lord und Lady Mortimer

Über diesen Sammelband

Ungebetene Gäste

Seit Jahren tritt Bill Vokes auf der großen Weihnachtsfeier von Cherringham als Weihnachtsmann auf. Nur in diesem Jahr ist er kurz vor der Feier auf einmal spurlos verschwunden. Das ganze Dorf ist ratlos. Ist dem liebenswerten Bill, der wie kein anderer die Weihnachtszeit in Cherringham verkörpert, etwas zugestoßen? Jack und Sarah übernehmen den Fall und entdecken bald, dass diesen Weihnachtsmann Geheimnisse umgeben, die sich niemand hätte vorstellen können …

Mord in heller Nacht

Ein Schuss in der Dunkelheit. Am nächsten Morgen wird die Leiche von Lee Taylor, Baumarktleiter von Cherringham, gefunden. Sämtliche Beweise sprechen gegen seinen Stellvertreter Nick. Dann wird auch noch die Mordwaffe aus der Themse gefischt: Es ist Nicks Schrotflinte. Der junge Mann taucht unter. Für Jack und Sarah ist die Beweislage etwas zu eindeutig und sie fangen an, Nachforschungen anzustellen. Ist Nick tatsächlich der Täter oder versucht jemand, ihm die Tat anzuhängen?

Tod zur Geisterstunde

Basil Coates ist bekannt für die Kult-Horrorfilme, in denen er mitgespielt hat. Als er das Opfer einer Reihe übler Streiche wird, geht die Polizei davon aus, dass ein verrückter Fan des Schauspielers dafür verantwortlich ist und nimmt die Sache nicht sonderlich ernst. Schließlich ist niemand zu Schaden gekommen … Doch kurz vor Halloween wird aus den Streichen tödlicher Ernst – ein Mörder geht um in Basils unheimlichen Haus vor den Toren Cherringhams! Jack und Sarah lassen sich davon nicht schrecken und finden sich in einen Fall verstrickt, der Basils unheimlichsten Filmen in nichts nachsteht …

Über die Autoren

Matthew Costello ist Autor erfolgreicher Romane wie Vacation (2011), Home (2014) und Beneath Still Waters (1989), der sogar verfilmt wurde. Er schrieb für verschiedene Fernsehsender wie die BBC und hat dutzende Computer- und Videospiele gestaltet, von denen The 7th Guest, Doom 3, Rage und Pirates of the Caribbean besonders erfolgreich waren. Er lebt in den USA.

Neil Richards hat als Produzent und Autor für Film und Fernsehen gearbeitet sowie Drehbücher für die BBC, Disney und andere Sender verfasst, für die er bereits mehrfach für den BAFTA nominiert wurde. Für mehr als zwanzig Videospiele hat der Brite Drehbuch und Erzählung geschrieben, u.a. The Da Vinci Code und, gemeinsam mit Douglas Adams, Starship Titanic. Darüber hinaus berät er weltweit zum Thema Storytelling. Bereits seit den späten 90er Jahren schreibt er zusammen mit Matt Costello Texte, bislang allerdings nur fürs Fernsehen.

Cherringham ist die erste Krimiserie des Autorenteams in Buchform.

Matthew CostelloNeil Richards

CHERRINGHAM

LANDLUFT KANN TÖDLICH SEIN

Sammelband IX

Folge 25: Ungebetene GästeFolge 26: Mord in heller NachtFolge 27: Tod zur Geisterstunde

beTHRILLED

Digitale Erstausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe von »Ungebetene Gäste«:

Copyright © 2016 by Neil Richards & Matthew Costello, Titel der englischen Originalausgabe: »Secret Santa«

Für die deutschsprachige Ausgabe: Copyright © 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Für die Originalausgabe von »Mord in heller Nacht«:

Copyright © 2017 by Neil Richards & Matthew Costello, Titel der englischen Originalausgabe: »Death on a Moonlit Night«

Für die deutschsprachige Ausgabe: Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Für die Originalausgabe von »Tod zur Geisterstunde«:

Copyright © 2017 by Neil Richards & Matthew Costello, Titel der englischen Originalausgabe: »Scared to Death«

Für die deutschsprachige Ausgabe: Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Für diese Ausgabe:Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat/Projektmanagement: Rebecca Schaarschmidt

Covergestaltung: Thomas Krämer nach einem Entwurf von Jeannine Schmelzer unter Verwendung von Motiven © shutterstock / xpixel| suns07butterfly | © Adam Burton / Alamy Stock Photo

E-Book-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-7096-6

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Matthew CostelloNeil Richards

CHERRINGHAM

LANDLUFT KANN TÖDLICH SEIN

Ungebetene Gäste

Aus dem Englischen von Sabine Schilasky

1. Ein wundervoller Abend

Bill Vokes trat hinaus auf den Balkon des Gemeindehauses und betrachtete die weihnachtliche Szenerie.

Es hatte aufgehört zu schneien, und von hier oben sah der Abendhimmel funkelnd und klar aus, da sich die Wolken vorerst verzogen hatten. Überall glitzerten die schneebedeckten Dächer im Schein des aufgehenden Mondes.

Kaminrauch wehte träge aus den Schornsteinen.

Bill atmete das Gemisch herrlicher Düfte ein, die von der High Street aufstiegen: Kiefernharz, Äpfel mit Schokoglasur, Zimt, Glühwein …

Hm, sind das Donuts? Oder vielleicht dieser köstliche deutsche Kuchen? Zum Teufel, wie heißt der noch gleich? Ach ja, Stollen! Ich muss Emily daran erinnern, heute Abend welchen zu kaufen.

Seine Frau mochte diesen Kuchen fast so sehr wie er selbst.

Er sah hinab zur High Street: Mein Gott, was für ein Anblick von hier oben! Verdammt, der Gemeinderat sollte diesen Balkon das ganze Jahr über öffnen. Wir könnten den Tagesausflüglern ein Vermögen abknöpfen!

Er stützte die Hände auf die alte Sandsteinbrüstung und ließ seinen Blick über das Dorf wandern.

Der Weihnachtsmarkt erstreckte sich bis hinunter zum Ploughman und der Cherringham Bridge Road, und Bill sah Scharen von Menschen im warmen, orangenen Schein der Lichterketten, die an und zwischen den Buden hingen.

Einheimische, Touristen, Besucher aus anderen Dörfern und überall Kinder, die natürlich mit Schneebällen warfen. (Doch wen kümmerte das? Sollten sie ruhig ihren Spaß haben!) Leute unterhielten sich, lachten, lächelten, hatten Ballons in den Händen, kauften Geschenke, tranken Glühwein und teilten sich Tüten mit glühend heißen Maronen.

Direkt unter sich konnte Bill die Umrisse des diesjährigen Weihnachtsbaums sehen, dessen Lichter noch dunkel waren, aber bald erstrahlen würden.

Zur einen Seite gab sich Cherringhams Laien-Blaskapelle redliche Mühe, Jingle Bells zu spielen.

Vor den Musikern tanzte eine Handvoll sehr kleiner Kinder mit jener besonderen Ausgelassenheit, wie sie die Jüngsten zur Weihnachtszeit ergriff.

Bill beobachtete sie verzückt. Hin und wieder verlor eines der Kinder das Gleichgewicht und plumpste in den frischen Schnee, um sich sogleich mit einem aufgeregten Schrei wieder aufzurappeln und weiterzutanzen.

Wieder mal ein perfektes Cherringham-Weihnachten!, dachte er. Kann das Leben schöner sein?

Selbstverständlich war es kein Wunder, eine solch überwältigende Menschenmenge hier zu sehen – immerhin dürfte es nicht mehr allzu lange dauern, bis die Weihnachtsbeleuchtung feierlich eingeschaltet wurde.

Und danach wurden Geschenke an die Kinder verteilt. Eine vorzeitige Gabe vom Weihnachtsmann! Das Hauptereignis! Seine große Rolle!

Er wusste nicht mehr ganz genau, wann man ihn zum ersten Mal dazu überredet hatte, sich für diesen traditionellen Anlass als Weihnachtsmann zu verkleiden. Sicher könnte dabei auch sein beachtlicher Bauchumfang eine gewichtige Rolle gespielt haben – zumindest behauptete das die gute, alte Emily.

Aber er hatte es nie, niemals bereut. Rund zehn Jahre als Cherringham-Weihnachtsmann – und mit jedem Jahr machte es mehr Spaß.

»Fantastischer Zulauf, was, Bill?«

Bill drehte sich zu Praveer Singh um. Der Vorsitzende des örtlichen Rotary Clubs, ein guter Freund von ihm, trat auf den Balkon.

»Oh ja. Jemand da oben passt auf das Wetter auf«, sagte Bill und schüttelte Praveer die Hand.

»Das steht fest«, stimmte Praveer ihm zu. »Wenn es am heutigen Abend nicht mehr schneit, sollten wir eine hübsche Summe zusammenbekommen.«

»An einem Abend wie diesem? Und für solch einen guten Zweck? Wer da nichts geben will, muss schon ein elender Tropf sein.«

»Genau.«

»Die schönste Weihnachtsbeleuchtung in den Cotswolds, schätze ich«, sagte Bill. »Aber mit Todd sind wir ja auch klar im Vorteil – der beste Elektriker diesseits von Oxford.«

»Das kann ich nur unterschreiben. Übrigens, hast du ihn gesehen?«

»Er ist eben noch mal runter, um alles zu prüfen«, antwortete Bill. »Ich glaube, er ist wegen der neuen Anlage ein wenig nervös.«

Bill zeigte auf den kleinen Tisch, auf dem ein Laptop und ein Mikrofon lagen.

»Ah, Cherringham wird digital, was?«, entfuhr es Praveer.

»Ich muss gestehen, dass mir der alte Messinghebel fehlt«, sagte Bill. »Dieses Gefühl von Macht, wenn man zuschaut, wie erst der Baum erstrahlt – und dann alle anderen Lichter in der ganzen High Street.«

»Mich wundert eher, dass du nie mit erstrahlt bist«, erwiderte Praveer. »Dieser Schalthebel war eine echte Todesfalle.«

»Wenigstens machen wir immer noch den Countdown – den kann der Computer bisher nicht«, meinte Bill. »Apropos, wie lange noch?«

Er sah, wie Praveer auf seine Uhr blickte.

»Eine halbe Stunde, zumindest nach meiner. Alles klar bei dir?«

»Keine Sorge, alter Knabe«, antwortete Bill. »Mein Kostüm ist unten im Hausmeisterraum, und ich brauche nur ein paar Minuten, um es überzuziehen.«

»Der Bart auch?«, fragte Praveer. »Brauchst du dabei wirklich keine Hilfe?«

»Ich kenne das alles aus dem Effeff«, entgegnete Bill. »Jahrelange Übung.«

Bill bemerkte noch zwei Gestalten, die durch die offenen Glastüren auf den Balkon kamen.

»Roger! Cecil!«, begrüßte er die beiden. »Was für eine Freude, euch beide zu sehen!«

Eine glatte Lüge, dachte Bill, während er strahlend lächelte.

Roger Reed, Manager der einzigen Bank in Cherringham, hatte Bill wie Dreck behandelt, als er vor vielen Jahren neu in der Stadt war.

Und Cecil Cauldwell – der Chef von Cauldwell’s Fine Properties und ein Snob erster Güte (Emily zufolge) – war mehr als herablassend gewesen, als Bill sein erstes Cottage kaufte.

Tja, leben und leben lassen, dachte Bill. Schließlich ist jetzt Weihnachten …

»Haben Sie die Zeit im Blick?«, fragte Roger und tippte auf seine Armbanduhr. »Wird ein bisschen knapp für Sie, oder?«

»Das Timing ist entscheidend, wie Sie wissen, Bill«, sagte Cecil neben ihm. »Wir waren noch nie auch nur eine Sekunde zu spät.«

Als würde ich das Dorf enttäuschen, dachte Bill. Dennoch erwiderte er: »Recht habt ihr, Jungs. Ich geh jetzt mal lieber in meine Rolle schlüpfen, was?«

»Hm, ja, na ja«, sagte Cecil und blähte die wabbeligen Wangen noch mehr auf als sonst. »Wir wollen die Kleinen nicht warten lassen.«

Mit einem verstohlenen Zwinkern zu Praveer ging Bill durch die großen Glastüren in den oberen Saal des Gemeindehauses und in Richtung Treppe.

Bill sah in den Spiegel und klebte sich sorgfältig den weißen Rauschebart an.

Der Geruch des Klebstoffs versetzte ihn jedes Mal in seine Schulzeit in West London zurück: in den engen Backstage-Bereich voller Sechzehnjähriger, die äußerst unglaubwürdig als Shakespeare’sche Könige und Adlige kostümiert waren.

Fünfzig Jahre ist das schon her, dachte er. Kaum zu glauben.

Er griff nach unten in den Kostümkarton, nahm die große rote Mütze mit dem weißen Pelzrand und der dazu passenden Troddel heraus und setzte sie sich vorsichtig auf die weiße Perücke.

Dann trat er einen Schritt zurück und begutachtete sich.

Nicht schlecht. Vielleicht ein bisschen … weit.

Er richtete das Polster unter dem roten Kittel und zog den Gürtel enger.

»Ho, ho, ho!«, sagte er.

Na also! Perfekt.

Er prüfte, ob die weißen Handschuhe in seiner Hosentasche waren, dann sah er auf die Uhr. Zwanzig vor sechs.

Hm, dachte er, gerade noch genug Zeit für eine Zigarette … vor allem außer Sichtweite von Emily.

Er holte sein Feuerzeug aus der Jackentasche und eine einzelne Zigarette aus der Schachtel heraus. Dann verließ er den Lagerraum des Hausmeisters und ging den Flur hinunter. Vom letzten Jahr her kannte er die kleine Tür, die sie dort für Lieferungen nutzten. Hoffentlich war sie nicht abgeschlossen.

An der Tür hob er den Riegel und zog fest daran.

Ja!

Er öffnete die knarrende Tür und ging hinaus auf den Gehweg.

Hier, weit weg vom Trubel, war es sehr still.

Ein schöner Moment.

Er achtete darauf, nicht die Tür hinter sich zu schließen.

Ich will ja nicht hier draußen festsitzen, wenn die Show losgeht!

Er steckte sich die Zigarette in den Mund, zündete sie an und blickte sich um. Der Dorfplatz lag im Dunkeln; die Straßenbeleuchtung war abgeschaltet worden, um den Moment hervorzuheben, wenn die Weihnachtsbeleuchtung anging – vom einen Ende der High Street bis hinunter zum anderen.

Aber die muss ich erst mal einschalten!, dachte er.

Das Bell Hotel gegenüber war natürlich schon hell erleuchtet, und auch aus dem Angel auf dieser Seite schien etwas Licht heraus.

Ein Jammer, dass ich da jetzt nicht ein schnelles Pint trinken kann.

Sobald ich alle Geschenke verteilt habe, muss ich mich runter in den Ploughman schleichen …

An diesem Ende der High Street standen keine Buden; hier parkten lediglich die zahlreichen Transporter der Standbetreiber.

Bill stand ganz allein hier, was es umso unvorstellbarer machte, dass gleich auf der anderen Seite des Gemeindehauses solcher Trubel herrschen würde.

Er nahm noch einen Zug von seiner Zigarette und blies den Rauch in die Abendluft. Die Kälte ließ ihn frösteln, denn aufgrund des klaren Himmels fielen die Temperaturen noch weiter.

Bill gönnte sich einen Moment, um die Straße und den Gehweg mit dem festgefahrenen und –getretenen Schnee zu betrachten, dessen Eiskristalle in dem Licht glitzerten, das aus dem Pub fiel.

Es war noch mehr Schnee angesagt worden, doch bisher hielt sich das klare Wetter.

Bei diesen Straßenverhältnissen möchte ich heute Abend nicht fahren müssen, dachte er.

Wie aufs Stichwort kroch ein Transporter die High Street in Richtung Gemeindehaus entlang und bog langsam auf den Platz ein.

Bill beobachtete, wie er näher kam und direkt vor ihm anhielt. Der Motor tickte leise.

Muss ein Nachzügler sein, der die Feierlichkeiten miterleben will.

Sollte sich lieber beeilen …

Die Autoscheiben waren von innen beschlagen, sodass Bill nicht erkannte, wer in dem Wagen saß.

Er wartete, dass der Transporter weiterfuhr, was er jedoch nicht tat.

Sucht der jetzt nach einem Parkplatz? Na, viel Spaß!

Er blickte auf seine Uhr.

Zehn vor sechs. Es wurde Zeit, zurück auf den Balkon zu gehen – Zeit für seinen dramatischen Auftritt: Er würde der jubelnden Menge zuwinken, den neuen Knopf für die Lichter drücken und so die Weihnachtszeit in Cherringham offiziell einläuten.

Die Zigarette kann ich aber noch aufrauchen. In meinem Alter hetzt man nicht bei den kleinen Freuden des Lebens …

Also zog er abermals an der Zigarette und sandte einen formvollendeten Kringel aus Rauch zum Abendhimmel.

2. Der Baum wird erleuchtet

»Wie wäre es mit noch einem Glühwein?«, fragte Sarah und ging Jack voraus auf die warmen Lichter der Bude zu.

»Klar«, antwortete er und folgte ihr durch die wuselnde Menge. »An einem Abend wie heute kann ich gut noch eine warme Schicht vertragen.«

Er wartete vor dem Stand, während Sarah die Getränke bezahlte. Die Bedienung – die Jack von ihrem Tagesjob im Sandwich-Laden wiedererkannte – füllte mit einer Kelle den Glühwein aus einem riesigen Kessel in winzige Styroporbecher. Sarah reichte ihm einen.

Komisch, dass die hier in England alle Getränke in Hobbit-Größe reichen, dachte Jack.

»Cheers«, sagte er und nippte vorsichtig an dem kochend heißen Gebräu.

»Cheers«, antwortete Sarah.

»Wow, das tut gut!«

Eine Minute lang blieben sie am Rand des Gedränges stehen, tranken ihren dampfenden Glühwein und ließen die Atmosphäre auf sich wirken.

Jack war schon bei einigen dieser Veranstaltungen gewesen, seit er hier lebte, doch jedes Jahr wirkten sie größer und schienen mehr Leute anzuziehen. Zwar kannte er viele Gesichter in der Menge, doch es mussten mehr Besucher als jemals zuvor von außerhalb gekommen sein.

Der rege Betrieb an den Buden und die vielen weihnachtlich gestimmten Menschen auf der Straße sorgten für eine großartige Stimmung.

Und das Tüpfelchen auf dem i war, dass zwei Tage ununterbrochener Schneefall alles in eine Szene aus einem Dickens-Roman verwandelt hatte.

Wie vollkommen anders als Bay Ridge in Brooklyn, dachte Jack.

»Na komm, du Träumer«, sagte Sarah schmunzelnd. »Wir wollen die Zeremonie doch nicht verpassen.«

»Es sieht aus wie eine Filmkulisse, oder?«

»Stimmt«, antwortete sie. »Ich sollte es nicht für selbstverständlich nehmen.«

»Du hast Glück, an einem Ort wie diesem Kinder großzuziehen.«

Er sah, wie sie lächelnd nickte.

»Ich glaube, als sie diese Veranstaltung zum ersten Mal so groß aufzogen, mit den Buden und allem, war Chloe sieben. Daniel muss ungefähr fünf gewesen sein. Er hockte im Schnee neben dem Baum und wollte partout nicht von dort weggehen, ehe der Weihnachtsmann kam, um Geschenke zu verteilen.«

»Sind die Kinder heute Abend hier?«

Wie die Zeit vergeht, dachte Jack.

»Irgendwo, ja. Chloe hilft beim Verkauf der Tombola-Lose, und Daniel ist mit seinen Freunden unterwegs. Ich vermute, die versuchen, an einem der Stände ein Bier zu ergattern.«

»Tja, wahrscheinlich finden sie die Zeremonie, bei der die Weihnachtsbeleuchtung eingeschaltet wird, nicht mehr ganz so spannend – ich hingegen schon«, sagte Jack.

»Ich auch«, pflichtete Sarah ihm bei. »Und übrigens müssen wir uns jetzt auf den Weg zum Gemeindehaus machen.«

Sie drehte sich um und bahnte sich einen Weg durch das Gedränge. Jack blieb dicht hinter ihr.

Als sie vor dem Gemeindehaus ankamen, hatte sich dort schon eine beachtliche Menge eingefunden.

Sarah erkannte einige der jüngeren Mütter aus dem Dorf wieder. Wie es aussah, wartete hier die halbe Cherringham Primary School auf den Weihnachtsmann. Überall waren aufgeregte Kinder: Sie plapperten, spielten, hüpften auf und ab oder schlitterten über den hart gefrorenen Schnee.

Und obwohl Jack und sie in dem dichten Gedränge nicht näher herankamen, war der Balkon auch aus ihrer Warte gut zu sehen.

»Ist es hier okay?«

»Bestens«, antwortete Jack. »Wie lange noch bis zum Countdown?«

»Ein paar Minuten.«

Sie sah, wie Jack zum Balkon, zu den Leuten und schließlich wieder zu ihr blickte.

»Meinst du?«, fragte Jack. »Die da oben sehen nicht aus, als wären sie bereit.«

Sarah schaute hinauf zum Balkon. Dort schien wirklich nicht alles reibungslos zu laufen.

Normalerweise müssten ungefähr jetzt der Bürgermeister und der Vorsitzende des Rotary Clubs jeweils eine kurze Ansprache über den guten Zweck in diesem Jahr halten und sich bei allen Organisatoren bedanken.

Danach sollte der Weihnachtsmann vortreten, während alle jubelten und warteten, dass die Kirchenglocken zu läuten begannen. Sie wären das Zeichen für den Countdown, an dessen Ende die Lichter angingen und der Spaß begann.

Doch inzwischen war es bereits zwei Minuten vor sechs, und die Reden hatten noch nicht mal angefangen.

Sarah sah Praveer, den Freund ihres Dads, oben auf dem Balkon in ein Gespräch mit einigen anderen Rotariern vertieft. Hin und wieder verschwanden Leute in dem Haus, um wenig später wild gestikulierend zurück auf den Balkon zu kommen.

Irgendwas stimmt da nicht, dachte Sarah.

Sie entdeckte Todd Robinson, den Elektriker, der für die Technik zuständig war. Er stand an der Seite, hatte die Arme verschränkt und beobachtete das Durcheinander.

Der Elektriker machte den Eindruck, als wäre bei ihm alles startklar. Also gab es hier offensichtlich kein Problem mit den Lichtern.

»Was kann denn da los sein?«, fragte Sarah.

»Ich denke, das werden wir gleich erfahren«, erwiderte Jack.

Sarah sah, wie Cecil Cauldwell ans Mikrofon trat und einmal dagegentippte.

»Meine Damen und Herren!« Er räusperte sich und blickte außergewöhnlich unsicher drein. »Ich bitte, ähm, vielmals um Entschuldigung für die kleine Verzögerung heute Abend. Wir haben geringfügige technische Probleme, weshalb ich befürchte, dass das Geschenkeverteilen vom Weihnachtsmann nach der Weihnachtsbeleuchtungszeremonie leider ausfallen muss.«

Ein Stöhnen ging durch die Menge. Sarah drehte sich zu Jack, der den Kopf schüttelte und mit den Schultern zuckte.

Um sie herum standen lauter enttäuschte Eltern und Kinder, die diese unerwartete Neuigkeit nicht gut aufnahmen.

»Danke, danke«, sagte Cecil laut ins Mikrofon. Er bemühte sich eindeutig, die Menge mittels Stimmgewalt zu beruhigen. »Nun, ähm, die Nachrichten sind nicht nur schlecht. Sicher wird es Sie alle freuen zu hören, dass es eine kleine Abweichung vom bisherigen Prozedere gibt und nun der Bürgermeister persönlich die wunderschöne Weihnachtsbeleuchtung von Cherringham einschalten wird. Ist das nicht großartig? Und hiermit, meine Damen und Herren, übergebe ich an den Bürgermeister!«

Keine Reaktion von den Zuschauern.

Der Bürgermeister anstelle des Weihnachtsmanns? Der ist ja wohl keine ernst zu nehmende Konkurrenz!

»Das wird gar nicht toll ankommen«, murmelte Jack.

Sarah beobachtete, wie der Bürgermeister ans Mikrofon trat, es antippte und gewichtig hüstelte: »Ähäm! Ähäm!«

»Oh Gott!«, stöhnte Sarah. »Bitte nicht der Bürgermeister! Jetzt stehen wir den ganzen Abend hier.«

»Kein Fan von ihm?«, fragte Jack grinsend.

Sarah lachte. »Mein Dad ist der Ansicht, dass man ihn absetzen sollte.«

»Meine Damen und Herren«, begann der Bürgermeister. »Es ist mir das allergrößte Vergnügen, mich heute Abend durch gewisse Umstände in der Position wiederzufinden, mich direkt an Sie wenden zu dürfen – noch dazu bei diesem überaus festlichen Anlass für die Menschen in Cherringham …«

Ehe er mehr sagen konnte, läuteten zum Glück die Glocken von St. James, und die Menge setzte sofort mit dem Countdown ein.

»Zehn! Neun! Acht!«

Ganz so schnell wollte sich der Bürgermeister nicht geschlagen geben. Er erhob die Stimme, und es gab eine Rückkopplung, als er sich zu dicht ans Mikrofon beugte. »Es sind heute Abend so viele hier, denen ich danken möchte. Menschen, die einiges …«

»Hätte ich doch bloß meine Kamera dabei«, sagte Jack. »Meine Tochter würde so etwas zu gerne sehen.«

Das laute Zählen der Leute hatte den Bürgermeister endgültig übertönt, und Sarah sah ihm an, dass er aufgab.

»Sieben! Sechs! Fünf!«

»Die Freuden der Kleinstädter, meinst du?«, fragte Sarah.

»Vier! Drei! Zwei!«

»Ja, die sind überall auf der Welt gleich«, antwortete Jack lächelnd. »Und doch ist es hier irgendwie anders …«

»Eins!«

Nun zuckte der Bürgermeister oben auf dem Balkon mit den Schultern und nickte Todd zu, der irgendwie einen Schalter betätigte – und schon schienen die Lichter am Weihnachtsbaum in einem prächtigen Farbenrausch auf. Winzige Schneekristalle in der Luft und auf dem Boden fingen das bunte Leuchten ein.

»Ooooh!«, ertönte es aus der Menge, und alle applaudierten jubelnd.

Dann gingen eine nach der anderen die bunten Lichterketten auf der High Street an, und sämtliche Dekorationen wurden erhellt: Rentiere, Kerzen, Tannenbäume und Sterne erstrahlten – vom unteren Ende der High Street angefangen, um das Gemeindehaus herum und dann bis zum Dorfende.

»Was für eine Show! Das macht die ausgefallenen Geschenke wieder wett, oder?«, fragte Jack.

»Fürs Erste. Aber ich schätze, dass es noch eine Menge Tränen und heikle Fragen geben wird, ehe die Leute heute Abend ihre Kinder im Bett haben«, sagte Sarah. »Sicher werden sie stattdessen Geschenke beim Weihnachtskonzert nächste Woche verteilen. Die Frage ist allerdings: Was ist hier schiefgegangen?«

»Ich glaube, darauf weiß ich die Antwort.«

»Ach ja?«

»Jemand ist nicht erschienen.«

»Ja, klar, unser Weihnachtsmann«, konstatierte Sarah, die nun begriffen hatte, worin die »kleinen technischen Probleme« tatsächlich bestanden. »Aber warum ist er nicht gekommen?«

»Tja, das ist die Frage.«

»Ich nehme an, dass wir die Antwort darauf bald hören werden«, vermutete Sarah. »Dad gibt hinterher noch Drinks im Angel aus. Er sitzt im Komitee, daher dürfte er Bescheid wissen.«

»Im Angel? Wie nett. Worauf warten wir dann noch?«, rief Jack. »Gehen wir das Rätsel knacken.«

Mit diesen Worten nahm er Sarah beim Arm und lenkte sie durch das Gedränge.

Jack schob die Tür zum Angel auf und drängte sich durch die Menschenmenge in Richtung Bar. Sarah blieb direkt hinter ihm.

»Was nimmst du?«, fragte er, als sie endlich an der Theke waren und bestellen konnten.

»Ein Pint Hooky, bitte.«

»Gute Idee. Das nehme ich auch.«

Jack bestellte von dem hiesigen Ale, bevor er sich im Pub umblickte.

Drüben in einer Ecke sah er Michael, Sarahs Vater, inmitten einer kleinen Gruppe. Wie es schien, fand dort ein heftiges Streitgespräch statt.

Jack winkte Michael zu und erhielt ein ernstes Nicken zur Antwort.

»Bleiben wir lieber erst mal hier«, sagte Jack, nachdem er ihre Biere bezahlt hatte. »Wie es aussieht, gibt dein Dad gerade den Schiedsrichter.«

»Zum Wohl, Jack!« Sarah nahm das Glas, das er ihr hinhielt. »Hm, das sind die hohen Tiere vom Rotary Club. Cherringhams reiche Wohltäter.«

Jack beobachtete, wie Michael sich mit einem verlegenen Lächeln von der Gruppe löste. Er kam zu ihnen, schüttelte Jack die Hand und umarmte Sarah zur Begrüßung.

»Hat euch die Show gefallen?«, fragte er.

»Die Lichter sind wunderbar«, antwortete Jack.

»Aber …«, sagte Sarah.

»Wo war der Weihnachtsmann?«, half Michael ihr aus.

»Sein Fehlen war schlecht zu übersehen.«

»Tja, das ist eine gute Frage.«

»Willst du es uns nicht verraten, Michael?«, forderte Jack ihn auf.

»Ach Gott, wenn ich nur könnte! Tatsache ist, dass er kurz vor der Zeremonie noch da war, und plötzlich war er … verschwunden.«

»Wirklich?«, fragte Jack. »Dann war er also heute Abend da?«

»Oh ja. Er hat die Probe mitgemacht, die Geschenke überprüft, ist die Technik mit Todd durchgegangen – alles.«

»Und was ist passiert?«

»Na ja, ich war nicht im Gemeindehaus, sondern im Büro, um noch einigen Papierkram zu erledigen. Aber Praveer erzählte mir, dass Bill nach unten gegangen sei, um sein Kostüm anzuziehen, und … einfach nicht zurückkam.«

»Haben sie nach ihm gesucht?«, wollte Sarah wissen.

»Oh ja. Sie haben sofort einen Suchtrupp losgeschickt – wie es sich anhört, war der allerdings ein bisschen chaotisch organisiert.«

»Und keine Spur vom Weihnachtsmann?«

»Nein, nichts. Er hatte sich eindeutig sein Kostüm angezogen, denn seine normalen Sachen hingen unten. Und dann … ist er verschwunden.«

Jack stellte sein Glas auf den Tresen.

Interessant.

Diese Geschichte entwickelte sich wirklich zu einem Rätsel.

»Warte mal kurz. Heißt das, er ist in seinem Weihnachtsmannkostüm gewesen, und trotzdem hat ihn keiner gesehen?«

Was für ein verrückter Gedanke.

»Anscheinend nicht. Zumindest bisher nicht«, antwortete Michael. »Das ist seltsam, oder?«

Jack sah Sarah an, die ihrerseits ihn mit der gleichen Besorgnis anblickte, die er plötzlich empfand.

»Wer genau ist denn der Weihnachtsmann?«, erkundigte sich Jack.

Michael lachte. »Willst du etwa behaupten, dass du nicht an den Weihnachtsmann glaubst, Jack?«

»Na, nach ein paar von denen hier könnte es schon sein«, sagte Jack und nickte zu seinem Pint Hook Norton.

Michael lachte wieder. »Bill Vokes ist schon seit Jahren unser Weihnachtsmann. Kennst du ihn?«

»Nein; nicht, dass ich wüsste. Und sonst ist er immer verlässlich gekommen?«

»Oh ja. Er hat uns noch nie versetzt. Obwohl der gute, alte Bill – nun ja, er kann schon ein bisschen …«

Jack beobachtete, wie Michael sich umblickte, als wollte er sich vergewissern, dass sie nicht belauscht wurden. Danach erst fuhr er fort.

»Die Sache ist die: Ich mag Bill sehr. Er ist ein feiner Kerl. Witzig, immer guter Dinge, ihr wisst schon – und so großherzig. Jedes Jahr spendet er Hunderte für wohltätige Zwecke. Immer verfügbar, immer hilfsbereit. Aber …«

Michael verstummte auf einmal. Jack sah ihn daraufhin abwartend an und blickte schließlich auch kurz zu Sarah, die mittlerweile genauso gut wie er wusste, dass Schweigen manchmal die beste Methode war, anderen ihre wahren Gefühle zu entlocken.

»Bill ist es völlig schnurzegal, was andere von ihm denken. Er schert sich nicht um Konventionen und kann bisweilen ein wandelndes Pulverfass sein. Versteht ihr, was ich meine? Bei den Golfausflügen ist Bill zum Beispiel immer der Letzte, der sich von der Bar trennen kann. Dann wiederum muss man nach ihm suchen und stellt schließlich fest, dass er schlichtweg schon fortgegangen ist. Schwups, einfach so! Wir machen schon Witze darüber – Bill hat sich mal wieder weggezaubert und so. Sehr witzig.«

»Und wohin verschwindet er – wenn er sich wegzaubert?«, hakte Sarah nach.

»Wer weiß!«, sagte Michael. »Ein Techtelmechtel vielleicht? Andererseits höre ich immer, dass er und seine reizende Frau Emily ein sehr glückliches Paar sind.«

»Könnte es nicht sein, dass er bloß gerne … für sich ist?«, fragte Jack. »Manchmal geht es mir auch so. Gerade noch unterhalte ich mich nett in einem gut besuchten Pub, und im nächsten Moment wird mir bewusst, dass es Zeit ist, nach Hause zu gehen und mich aufs Ohr zu hauen.«

»Ja, das ist mir auch schon aufgefallen«, merkte Sarah grinsend an.

»Oh nein, und ich dachte, es würde keiner merken!« Jack lachte.

»Könnte sein«, sagte Michael. »Nur klingt das überhaupt nicht nach dem Bill, den ich kenne.«

»Du hast anklingen lassen, dass er ziemlich trinkfreudig ist, nicht wahr?«, fragte Jack.

»Und wie!«, antwortete Michael. »Also, er ist kein Säufer, so auch nicht. Er … hebt lediglich gerne mal einen, ist gern unter Leuten und amüsiert sich.«

»Wäre es denkbar, dass es ihm heute Abend auf einmal zu viel wurde, im Rampenlicht zu stehen?«, fragte Sarah. »Dass er es sich anders überlegt hat?«

»Denkbar wäre alles. Aber ich kann euch verraten, dass die da drüben« – Jack sah, wie Michael zu den Rotariern nickte – »ihn allesamt am liebsten rausschmeißen würden. Sie finden, dass er zu weit gegangen ist. Angeblich hat er den Club in Verruf gebracht. Und ich muss zugeben – egal, aus welchem Grund er weg ist –, dass es mir selbst schwerfällt, ihm zu verzeihen.«

Jack dachte über Michaels Worte nach. Zunächst hatte die Geschichte vom vermissten Weihnachtsmann nach einem harmlosen Fall von einem Pint zu viel geklungen.

Nun sagte ihm sein Gefühl, dass hier noch etwas anderes sein könnte.

Etwas ganz und gar nicht Harmloses.

Menschen verschwinden nicht einfach.

Er sah zu Sarah, die ebenfalls nachdenklich wirkte.

»Was meinst du, Sarah?«, fragte er.

Sie überlegte kurz, bevor sie antwortete: »Ich weiß es nicht, Jack, aber irgendwas kommt mir komisch vor.«

»Mir auch«, pflichtete Jack ihr bei. Dann wandte er sich zu Michael um. »Ist noch jemand drüben im Gemeindehaus?«

»Jetzt? Hm. Wahrscheinlich ist Todd noch da.«

»Hat er die Schlüssel zu allen Räumen?«

»Müsste er haben«, antwortete Michael. »Warum?«

Jack leerte sein Pint und stellte das Glas auf den Tresen.

»Tja, weil deine Rotarier offenbar ziemlich wild darauf sind, es als einen weiteren Fall von Bills Eigenart abzutun, auf ›magische Weise‹ zu verschwinden. Noch dazu bei einem Anlass, bei dem sein Verschwinden sehr ärgerlich ist. Aber die Geschichte kaufe ich ihnen nicht ab.«

»Woran denkst du, Jack?«

»Na ja, was wäre, wenn Bill plötzlich krank wurde? Er könnte einen Herzinfarkt, Schlaganfall oder sonst was gehabt haben.«

»Mein Gott«, sagte Michael, »du hast recht! Sie waren alle so sehr damit beschäftigt, über ihn herzuziehen, dass wohl keiner etwas anderes in Betracht gezogen hat.«

»Warte mal, dann könnte er jetzt noch irgendwo im Gemeindehaus sein – noch dazu schwer krank?«, fragte Sarah.

»Geht bitte beide sofort dahin«, forderte Michael sie auf. »Ich trommle ein paar Leute zusammen. Wie ungeheuer dumm von mir, dass ich nicht selbst darauf gekommen bin.«

»Lieber spät als nie, Michael«, tröstete Jack ihn. »Komm mit, Sarah.«

Damit ging er zur Tür und hoffte dabei, dass er mit seiner Vermutung falschlag.

Er wünschte dem Weihnachtsmann Bill ehrlich, dass er nicht krank war … oder sich noch Schlimmeres ereignet hatte.

3. Ein leerer Raum

Sarah beobachtete, wie Todd Robinson den Schaltkasten öffnete und sämtliche Lichtschalter auf »on« kippte.

»Okay. Das sind die drei Etagen und der Keller. Alles hell erleuchtet«, sagte er.

Er schloss die Tür zum Schaltkasten, wischte sich die Hände an einem Lappen ab und wandte sich zu ihnen um.

»Ich hoffe, ihr irrt euch. Bill ist ein netter Kerl, und es wäre unsere Schuld, hätten wir ihn hilflos irgendwo liegen gelassen.«

»Dad bringt noch mehr Leute her, Todd«, erklärte Sarah. »Vielleicht fangen wir an den Orten an, die naheliegend sind. Wo wurde er zuletzt gesehen?«

»Im Lagerraum des Hausmeisters«, antwortete Todd. »Da hat er sein Kostüm angezogen.«

»Zeigst du uns, wo das ist?«, bat Jack.

»Sicher.«

Sarah und Jack folgten Todd durch den großen Korridor zur Treppe nach unten.

Die Treppe endete unten in einem Flur, von dem das Büro des Gemeindehauses sowie kleine Sitzungsräume abgingen. Sarah kannte diese Räumlichkeiten sehr gut. Nachdem sie sich kurz umgeschaut hatten, führte Todd sie weiter nach hinten, wo die Lagerräume und die kleine Küche waren, die sie bei Veranstaltungen nutzten, um Tee und Kaffee zu kochen. Kurz vor der Küche teilte sich der Flur. Nach rechts ging der Küchenbereich ab, doch Todd eilte nach links, wo der Korridor so eng wurde, dass Sarah schon vermutete, er würde bei einer Art von Wandschrank enden.

Todd blieb vor einer offenen Tür stehen. Als die beiden anderen zu ihm traten, führte er sie in einen Raum hinein, der dem Hausmeister als Lager dienen musste.

Jack und Sarah blickten sich einige Sekunden stumm um.

Wie die meisten solcher Räume – zumindest stellte Sarah es sich so vor – enthielt auch dieser ein Sammelsurium an unterschiedlichsten Dingen: lauter Werkzeuge und Ersatzteile, die das alte Gebäude am Laufen hielten.

Jedes Jahr wurde im Gemeinderat darüber diskutiert, dass das ganze Haus dringend grundrenoviert werden müsste. Und jedes Jahr wieder erwiesen sich die Kosten als viel zu furchteinflößend. Dieser Raum jedenfalls sah wie die sprichwörtliche Brandfalle aus.

»Ganz schön eng«, stellte Jack fest, was im Grunde überflüssig war; andererseits dürfte er die Enge bei seiner Größe ganz besonders stark empfinden.

Todd nickte.

»Wenn ihr mich fragt, bin ich schon erstaunt, dass hier überhaupt irgendwas funktioniert. Sam, der Hausmeister, tut, was er kann. Aber auf so vollgepacktem Raum …«

»Gibt es keinen Keller?«, fragte Jack.

»Keinen richtigen. Es handelt sich eher um einen ›Kriechkeller‹, und er ist uralt. Da unten haben sie früher Kostüme und Instrumente gelagert, aber nach der Flut vor über fünfzehn Jahren …«

An die erinnerte Sarah sich noch gut!

Solch ein Unwetter hatte Cherringham noch nie zuvor erlebt. Der heftige Orkan drohte die mächtigen Bäume zu entwurzeln, die jedoch – größtenteils – den Sturmböen trotzten. Dazu hatte es unablässig geregnet, sodass der Fluss über die Ufer trat und das Umland weit über die Wiesen hinaus überschwemmte.

Und sogar dieses Gebäude, das sich im höher gelegenen Teil des Dorfes befand, wurde von den Wassermassen beschädigt, die von oben kamen …

Was für Schlammmassen …

»Danach wurde alles in das obere Stockwerk getragen. Einige Sachen wurden sogar bei Leuten zu Hause untergebracht, weil hier nicht genug Lagerplatz ist.«

Dann sah Sarah die drei Kleiderhaken, die nebeneinander angebracht waren. An dem einen hing die Jeans von Bill, an dem anderen ein Flanellhemd, ein Pulli und eine Jacke.

Als hätte er vorgehabt, direkt nach seinem großen Auftritt wieder hier runterzukommen, sich umzuziehen und zu seinem normalen Leben zurückzukehren.

Nur war das heute Abend nicht geschehen.

Sarah ging hinüber zu den Haken.

Direkt unter den Kleidungsstücken von Bill standen seine Schuhe auf dem Boden.

Klar, als Weihnachtsmann müsste er noch seine blanken schwarzen Stiefel tragen.

Beim Anblick der von den Haken herunterhängenden Kleidungsstücke und der wartenden Schuhe hatte es tatsächlich den Anschein, als wäre Bill Vokes einfach so verschwunden.

Sarah drehte sich zu Jack um.

»Wir sollten in die Taschen sehen«, sagte sie.

Jack nickte, kam zu ihr, und gemeinsam durchsuchten sie Bills Klamotten.

»Brieftasche, etwas Kleingeld.« Sarah hielt ihm hin, was sie gefunden hatte. »Ein Schlüsselbund. Hausschlüssel, wie es aussieht.«

Sie sah Jack an.

»Eine Schachtel Zigaretten«, sagte er und zeigte sie ihr.

»Sonst nichts?«, fragte Sarah. »Kein Handy?«

Er schüttelte den Kopf und öffnete behutsam die Zigarettenschachtel.

»Ganz frische Packung. Es fehlt nur eine.«

Dann roch er an der Schachtel.

»Menthol«, stellte er fest. »Ich wusste gar nicht, dass die noch jemand raucht.«

»Ha, Bill muss wohl der Letzte sein«, meinte Todd.

»Glaubst du, wir sollten all das Zeug wieder in die Taschen zurückstecken?«, fragte Sarah.

»Behalten wir es einstweilen bei uns«, antwortete Jack. »Falls Bill diese Nacht noch aufkreuzt, kann er sowieso nicht wieder hier reinkommen.«

Sarah reichte ihm die Brieftasche, die Schlüssel und das Kleingeld und schaute zu, wie Jack all das in die riesigen Taschen seines großen Wintermantels steckte.

Jack begann sich im Raum umzusehen, und Sarah half ihm bei der Durchsuchung. Sie hob einige zusammengerollte Kabel aus einem Regal (wahrscheinlich alte Lampenschnüre) und öffnete die Lade eines quietschenden Aktenschranks, deren klappernder und klimpernder Inhalt nach Nägeln, Schrauben und Muttern klang.

In einer Ecke lehnten Wischmops und Besen, und nahe der Tür stand ein Industriestaubsauger.

Als sie all dies hier sah und sich vorstellte, wie Bill sich in diesem Raum sein Weihnachtsmannkostüm anzog – die Stiefel, der weiße Rauschebart …

Hatte sie eine Frage.

»Todd, sind der Gang und der Raum hier hinten eine Sackgasse?«

Er blickte zur Seite, als müsste er über die Antwort nachdenken.

»Ähm, ganz sicher bin ich mir nicht, aber ich glaube, es gibt noch eine Seitentür für Lieferungen und so, draußen auf dem Flur.«

Sarah sah Jack an.

»Werfen wir mal einen Blick auf die«, sagte er.

Der schmale Seitenflur machte eine Biegung zur einen Seite, dann zur anderen, führte an einer kleinen, vollgeräumten Toilette vorbei und endete schließlich vor zwei Türen.

Eine von ihnen öffnete Todd, und zum Vorschein kam ein Wandschrank voller Kram. Darin war kein Fitzelchen Platz mehr. Die andere Tür jedoch, in deren oberer Hälfte es zwei schmutzige kleine Fenster gab, war eindeutig ein Ausgang.

Und diese Tür steht tatsächlich einen Spaltbreit offen.

Todd wollte sie ganz öffnen, doch Jack streckte rasch die Hand aus und berührte seinen Arm.

»Warte mal kurz, Todd.«

Der Elektriker drehte sich mit der Hand am Türknauf zu ihm um.

Natürlich war Sarah bereits klar, worauf Jack hinweisen wollte.

»Was ist?«, fragte Todd.

Jack sah Sarah direkt an. Bei der Ermittlungsarbeit waren ihre Gedanken inzwischen so aufeinander abgestimmt, dass sie beide dies hier wortlos registrierten, auch wenn sie noch nicht recht wussten, was es zu bedeuten hatte.

»Die Tür ist offen.«

»Ich vermute, das passiert schon mal«, erwiderte Todd. »Bei einer Windböe zum Beispiel. Da draußen kann es manchmal ganz schön pusten.«

Stimmt, dachte Sarah. Und jemand lässt seine normale Kleidung hier drinnen hängen und verschwindet mal so eben in einem leuchtend roten Weihnachtsmannkostüm.

Passiert so was auch schon mal?

Sarah blickte zu Jack. »Meinst du, er ist hier rausgegangen?«

Er nickte. »Und ließ die Tür vielleicht einen Spalt offen, damit er wieder reinkonnte.«

Sarah betrachtete die leicht geöffnete Tür, durch die ein wenig Schnee hereingeweht war, der nun auf den alten Holzdielen schmolz.

»Aber der Boden ist ziemlich trocken«, sagte sie. »Also kann er nicht wieder reingekommen sein.«

»Scheint so.«

Und Todd, der mit ihnen in dem engen Flur neben der Tür stand, musste jetzt lachen.

»Ihr beide! Ich habe ja schon eine Menge darüber gehört, wie ihr Sachen rausbekommt. Richtige Detektivarbeit. Aber ist echt witzig, das live mitzuerleben!«

Jack grinste.

»Wie sagt Sherlock Holmes immer? Es ist ›die Methode der Deduktion‹, Todd. Na gut, gehen wir draußen nachsehen.«

Er nickte dem Elektriker zu und zog die Tür auf. Mit der Zugluft wurde Schnee hereingeblasen.

Dann trat Todd beiseite, damit Jack vorausgehen konnte.

4. Ein Blick auf den Schnee

Sarah war nur wenige Schritte hinter Jack, als er stehen blieb und sich zu ihr umdrehte.

»Hier ist nicht besonders viel Licht.«

Und Todd, der sich mittlerweile fast ein bisschen wie ein Mitglied des Teams fühlte, bot sofort an: »Ich hole eine Taschenlampe.«

Dann war er auch schon weg …

»Sarah, hier hinten, kurz bevor die Weihnachtsbeleuchtung eingeschaltet wurde, war doch sicher niemand sonst, oder?«

»Nein, alle müssen vorne vorm Haus gewesen sein. Ausgenommen Bill, der sich für seinen großen Auftritt bereitgemacht hatte.«

Tom kehrte zurück und reichte Jack eine lange silberne Taschenlampe, die – sobald Jack sie angeschaltet hatte – einen großen Lichtkegel erzeugte.

Sarah tat es Jack gleich und stellte sich wie er nur wenige Schritte vom Ausgang entfernt hin. Mit der Lampe leuchtete Jack erst die Tür und dann den Bereich auf dem Boden langsam ab.

Anfangs sah Sarah nichts als eine weiche weiße Schneedecke. Diese wurde nun allerdings etwas dicker, weil offenbar der Wind wieder auffrischte und Schnee herüberwehte. Auf dem Parkplatz, der zur Hälfte mit Transportern vollstand, war der Schnee schmutzig und grau.

Aber dann …

Sie berührte Jack am Arm, und er hörte sofort auf, die Taschenlampe hin und her zu schwenken.

»Warte mal. Siehst du das da?«

Sie zeigte auf den Gehweg neben dem Gebäude, und Jack richtete den Lampenstrahl auf die Stelle.

»Was ist da?«, fragte Todd.

Jack nickte.

»Fußspuren. Kaum noch zu erkennen, weil Schnee drübergeweht ist. Dennoch … kann man sie sehen. Gut beobachtet, Sarah.«

Während Sarah sich die Fußspuren anschaute, die schnell unter dem Schnee verschwanden, fiel ihr noch etwas auf.

»Jack – diese Spuren …«

Mitten in der Stille klingelte Todds Telefon.

»Oh, Verzeihung. Praveer sucht nach mir. Oben. Ich muss da noch alles abbauen und für die Nacht sichern.«

»Wir kommen hier allein klar, Todd. Danke!«

Der Elektriker wandte sich zum Gehen.

»Ach, und Todd … vielleicht solltest du vorerst nichts von der Tür und den Fußspuren erwähnen. In Ordnung?«

Todd grinste breit. »Klar doch. Könnten Beweise sein, was?« Eine Sekunde lang sah er zur Seite. »Ich hoffe bloß, dass dem alten Bill nichts Schlimmes passiert ist.«

Dann verschwand er im Gebäude.

»Was wolltest du sagen?«, fragte Jack.

Sarah wunderte sich. Konnte Jack wirklich nicht erkennen, was ihr aufgefallen war? Oder wollte er schlicht prüfen, wie gut ihre Beobachtungsgabe heute Abend war?

»Die Spuren da … sie sind eigentlich kaum noch zu erkennen. Aber sieh doch mal. Schritte nach links, dann nach rechts. Nur hin und her, nicht? Aber außer den Spuren, die von der Tür wegführen …«

»Sind keine da, die zurückführen.«

»Genau.«

Für einen Moment blieben beide regungslos stehen.

Doch dann schritt Jack näher heran.

Zwar musste er dabei einige der Spuren zertreten, doch das machte wohl nichts, schätzte Sarah. Denn so schnell, wie der Schnee inzwischen fiel, dürften ohnehin bald sämtliche Anzeichen fort sein, dass hier jemand auf und ab gegangen war.

Jack ging in die Hocke, sodass die Taschenlampe nur noch Zentimeter über dem Schnee war.

»Wonach suchst du?«, fragte Sarah und kam ebenfalls näher.

»Weiß ich noch nicht.«

Mit der rechten Hand strich er langsam etwas Schnee weg, als siebte er die pudrigen Flocken durch.

Erst an einer Stelle, dann an einer anderen.

Bis …

»Okay.«

Sie sah es, sobald seine Hand noch ein wenig mehr Schnee umgeschichtet hatte.

Er hob die Zigarette auf und schnupperte daran.

»Menthol.«

»Wow«, sagte Sarah. »Diese Stelle hier hinten erzählt ja eine richtige Geschichte.«

»Ja. Bill ist dort rausgegangen …« Jack leuchtete zurück zur Tür. »… lässt die Tür offen, damit er zeitig zu seinem großen Moment wieder reinkommt, geht auf und ab und raucht eine Zigarette.«

»Doch er geht nicht wieder rein.«

»Scheint so. Aber warum nicht?«

Sarah sah immer noch die Zigarette an. Sie kannte Bill Vokes nicht.

Aber …

»Jack, die Zigarette …«

»Hm?«

»Er hat sie nicht aufgeraucht.«

Jack hielt die halb gerauchte Zigarette zwischen den Fingern, als handelte es sich um ein entscheidendes Beweisstück.

Was sie, dachte Sarah, durchaus sein könnte.

»Ja. Und?«

»Man geht auf eine Zigarette nach draußen, will sie rauchen und dann wieder reingehen, stimmt’s?«

Jack richtete sich wieder auf.

»Ja, höchstwahrscheinlich.«

»Es sei denn«, fuhr Sarah fort, »irgendwas stört einen beim Rauchen. Etwas geschieht, sodass man nicht wieder nach drinnen stapft, bereit für den Auftritt.«

Nun leuchtete Jack die Straße hier hinten ab.

»Eine Menge Wagenspuren.«

Und jetzt bemerkte auch Sarah, dass hier einige Wagen durchgefahren waren und deutliche Rinnen in den Schnee gegraben hatten.

»Es ist der Parkbereich für die Standbetreiber«, sagte sie.

Jack ging hinüber zu den Spuren. »Es könnte sein, dass hier ein Wagen vorgefahren ist … direkt auf Bill zu. Der lässt seine Zigarette fallen … und verschwindet.«

»Vielleicht ein Freund von ihm«, mutmaßte Sarah.

»Und der ihm ein Angebot macht, das Bill unmöglich ablehnen kann?«

»Aber wenn er irgendwohin mitgefahren ist – selbst aus einer spontanen Laune heraus –, würde man doch denken, dass er sich vorher wieder umzieht, oder? Und seine Brieftasche mitnimmt?«

»Und seine Zigaretten«, ergänzte Jack.

Er drehte sich zu ihr um.

»Also wissen wir nach wie vor nicht, was passiert ist?«, fragte sie.

Jack sah sich weiter um, als wären in diesem Bereich hinter dem Gemeindehaus noch mehr Geheimnisse zu enthüllen.

»Nein. Für mich ergibt das nicht viel Sinn.«

Und als wäre dieser Abend, an dem es zunehmend windiger wurde, nicht schon kalt genug, bewirkten Jacks Worte, dass er sich nur noch eisiger anfühlte …

In diesem Augenblick kam ihr Vater durch die offene Tür und sagte munter: »Na, ihr zwei? Was treibt ihr hier?«

Und die plötzliche Kälte, die nichts mit den Temperaturen zu tun gehabt hatte, verflog sofort.

Sarah folgte ihrem Vater zurück ins Gebäude, und Jack kam ihnen nach.

»Tja, wir haben das gesamte Haus abgesucht«, berichtete ihr Vater. »Von oben bis unten. Keine Spur von Bill, leider.«

Sie erreichten den Hauptkorridor und stiegen die Treppe hinauf.

Einige der anderen Männer verließen gerade das Gemeindehaus, nachdem ihre Suche nichts ergeben hatte.

Sarah erblickte Praveer, der abseits der übrigen Leute stand, mit Todd sprach und nickte.

Ihr Vater blieb stehen, wandte sich um und sah erst Jack, dann Sarah an. »Ich habe eben seine Frau angerufen. Emily. Eine nette Frau.«

»Was hast du ihr erzählt?«

»Nicht viel. Dass Bill verschwunden zu sein scheint. Natürlich kennt sie seine Angewohnheit, von Zeit zu Zeit abzutauchen.«

»Klang sie besorgt, Michael?«

»Ein bisschen. Aber ich habe ihr gleich gesagt: ›Tja, so ist Bill nun mal. Der kreuzt garantiert wieder auf.‹ Allerdings habe ich ihr nicht etwas in der Art erzählt wie: ›Ich verstehe nicht, wie er das heute Abend verpassen und all die Kinder enttäuschen konnte …‹«

Ihr Vater senkte den Blick.

Und Sarah dachte: Das kommt ihm genauso eigenartig vor.

Er blickte wieder auf. »Habt ihr unten irgendwas gefunden?«

Sarah sah zu Jack.

Es war noch verfrüht, egal, ob sich hier ein Fall abzeichnete oder nicht. Und Sarah wusste, dass Jack in diesem Stadium gern für sich behielt, was sie herausgefunden hatten. Selbst gegenüber ihrem Dad, den Jack sehr mochte.

»Na ja, er hatte sich unten umgezogen und ist nach draußen gegangen. Vielleicht, um eine zu rauchen. Und das ist auch schon ungefähr alles.«

Es war eine reduzierte Version dessen, was sie bisher zu wissen glaubten.

Michael nickte.

»Verdammt komische Sache, und das mitten in der Weihnachtszeit. Ich frage mich …«

Nun sah er Sarah direkt an.

»Ich denke, wir sollten abwarten. Heute Nacht jedenfalls. Sehen wir, ob er wiederauftaucht. Es könnte gar nichts sein.«

Sein Tonfall verriet, dass er das kein bisschen glaubte.

»Was meint ihr?«

Jack nickte. »Klar. Wir wissen ja, was Alan sagen würde … Es ist kein Vermisstenfall, solange jemand nur wenige Stunden weg ist.«

»Eben. Also, wie wäre es, wenn ich euch morgen früh anrufe und Bescheid gebe, falls sich irgendwas tut?«

Sarah gefiel nicht, wie besorgt ihr Vater klang.

Sie wusste, dass Advent und Weihnachten eine ganz besondere Zeit für ihre Eltern war. Eine feierliche Zeit voller Musik, Freunde und Toasts auf das kommende Jahr. Und geprägt von den extravaganten – und experimentellen Festmahlen ihrer Mutter. Die konnten häufiger mal schiefgehen. (Was natürlich niemand auch nur mit einer Silbe erwähnen würde.)

»Hört sich gut an, Dad.« Sie umarmte ihn. »Hier können wir nichts mehr tun, also gehen wir lieber alle nach Hause, hm?«

Michael zögerte kurz, als könnte er irgendwas übersehen haben.

Während Sarah dachte: Vielleicht ist uns allen etwas entgangen.

Dann jedoch lächelte Michael aufmunternd und ging als Erster von ihnen aus dem Gemeindehaus.

Weg von dem Ort, an dem Bill Vokes einfach … verschwunden war.

5. Die »Weihnachtsgans« Grey Goose

»Was meinst du, Riley?«, fragte Jack seinen Hund. Der Spaniel beobachtete, wie Jack die bunte Lichterkette durch die Deckenbalken in seinem schmalen Wohnraum fädelte.

Und in diesem Jahr würde Jack nicht bloß bunte Weihnachtslichter haben, sondern sogar einen Tannenbaum.

Im Vergleich zu dem, was sich die meisten Leute im Dorf in ihre Wohnzimmer stellten, war der Baum mickrig, nur einen Meter zwanzig hoch. Aber immerhin war es ein richtiger Baum, der das Hausboot mit seinem unvergesslichen Harzaroma erfüllte.

Riley hockte mit seitlich geneigtem Kopf da, betrachtete die Lichter und machte eine Miene, als wollte er sagen … Na, ich weiß ja nicht.

Jack ging hinüber zu dem Baum, der mit einer kleinen blauen Lichterkette und einigen dekorativen Anhängern geschmückt war.

Sehr wenige, die jedoch etwas ganz Besonderes sind.

Einen davon hatte seine Tochter im Kindergarten gemacht: ihr winziger Handabdruck in Gips.

Ein anderer war ein kleiner Teddybär mit einem winzigen Fotorahmen im Bauch. Und in dem war ein Bild von Jacks Enkelkind.

Schließlich noch ein Anhänger – ihn anzusehen konnte bisweilen, nun ja, schwierig sein.

Es handelte sich um eine Karte, auf deren Rückseite geschrieben stand: »Metropolitan Opera, 1989.« Und vorne drauf …

Die goldene Silhouette des großen Opernhauses.

Jack erinnerte sich an den Abend, als er mit Katherine zusammen diese Karte gekauft hatte.

Sie waren noch nicht mal verheiratet gewesen, doch diese Karte gemeinsam zu kaufen war irgendwie … besonders gewesen.

Und die Oper selbst … jene magische Inszenierung von La Bohème, bei der die Pariser Straßen auf der riesigen Met-Bühne lebendig wurden, Kunstschnee auf die Mansardenwohnungen der hungernden Künstler rieselte, die Puccini-Musik sie in eine andere Welt entführte, und, und …

Er hielt inne.

Dieses Andenken in seiner Hand.

Mit der freien Hand wischte er sich die Augen.

Das hat mich jetzt eiskalt erwischt, dachte er.

Und als würde er etwas spüren – waren Hunde nicht klug? –, kam Riley zu Jack getapst und rieb seinen Kopf an dessen Bein.

»Klar, Zeit für einen Spaziergang, hm?«

Doch beim Blick in die seelenvollen Augen seines Springer Spaniels fragte Jack sich, ob Riley wusste, dass Jack für wenige Momente woanders gewesen war.

In einer fernen Zeit. Weit weg.

»Ein Spaziergang wird uns beiden guttun.«

Ehe er allerdings nach Rileys Leine griff – die mehr eine Requisite war, falls jemand sich beschwerte, dass der Hund frei über die verschneiten Wiesen flitzte –, arrangierte er die Geschenke unter dem Baum ein bisschen hübscher.

Viele waren es nicht. Für Daniel, Chloe, Michael und Helen. Sie alle sollten in wenigen Tagen zu einem Feiertagsessen auf die Grey Goose kommen.

Für Sarah hatte er allerdings immer noch nichts. Auf seiner Suche in den Geschäften von Cherringham, von Bourton-on-the-Water und sogar Oxford war ihm nichts ins Auge gesprungen, das ein perfektes Geschenk für Sarah abgegeben hätte.

An Riley gewandt, sagte er beschwichtigend: »Ein bisschen Zeit ist ja noch, hm?«

Riley wandte sich vom Baum weg zu der Treppe, die ihn aus der Goose herausführte – der Anfang seines Weges zu den Wiesen.

Doch die Uhr für dieses Geschenk tickt erbarmungslos.

Riley sprang von der Laufplanke des Boots und fiel der Länge nach in den weichen Schnee.

Er war nur einige Zentimeter tief, aber das reichte für eine Rutschpartie: Jack sah, wie sein Hund sich schlitternd überschlug, bevor er aufsprang und gen Wiese rannte.

Im Gehen beobachtete Jack, wie Rileys Pfoten irre Zickzackmuster im Schnee hinterließen, die sich hier und da mit den Spuren eines anderen Hundes kreuzten. Diese wiederum verliefen eher schnurgerade über die Wiese.

Obwohl die Temperaturen wohl noch um den Gefrierpunkt lagen, vermutete Jack, dass einiges von dem Schnee bis zum Nachmittag schmelzen würde.

Anders als in New York, wo der vorweihnachtliche Schnee meist bis zum Frühjahr liegen blieb. Dort konnten manche Winter erstaunlich hart sein.

Hier nicht, und das war gut so.

Jack musste grinsen: Hier besitze ich nicht mal einen Schneeschieber.

Er sah Riley plötzlich anhalten, als hätte er ein unsichtbares Kaninchen entdeckt. Der Hund blickte sich zu Jack um und stürmte erneut davon, um wie verrückt umherzuflitzen.

Nach einem Marsch wie diesem wäre ein längeres Nickerchen angebracht.

Und Jack musste unwillkürlich an den gestrigen Abend denken.

Der ein besonderer Abend hätte sein sollen. Der riesige Baum, dessen Beleuchtung feierlich eingeschaltet wurde, die Buden voller Kunden, das ganze Dickens-Bild – alles war perfekt gewesen.

Nur dass zwischendurch der Weihnachtsmann abhandenkam.

Andererseits … vielleicht auch nicht.

Dieser Bill Vokes hatte anscheinend einige komische Gewohnheiten.

Folglich war denkbar, dass sich der ganze Vorfall als vollkommen harmlos erwies. Dann könnten die Feiertage kommen, und es bliebe nur noch das eine Problem, was Jack als letztes, wichtigstes Geschenk besorgen sollte.

Riley war mittlerweile fast bei der Straße jenseits der Wiese. Dort blieb der Hund stehen – wie immer – und war im Begriff, in weitem Bogen im Zickzack zu Jack zurückzurennen, der langsam mehr oder weniger in dieselbe Richtung stapfte …

Als Jacks Telefon klingelte.

Es war verblüffend, dass man so weit draußen, wo nichts außer Wiesen und Fluss war, ein genauso starkes Handysignal hatte wie mitten in London. Bald würde es auf der ganzen Welt keinen klingeltonfreien Flecken mehr geben, vermutete Jack. Er holte sein Telefon hervor und wischte auf »Annehmen«, ohne auf die Nummer zu achten.

»Hallo?«

Riley erreichte das Ende seines Zickzacklaufs, der ihn zu Jack zurückführte, und war bereit, wieder zum Boot zu rennen.

»Jack, hier ist Michael. Leider habe ich schlechte Neuigkeiten …«

Sarah beugte sich über Grace’ Stuhl.

Mit ihren Fähigkeiten als Grafikerin, ihrer kreativen Ader und ihrem charmanten Wesen, das potenzielle Kunden förmlich verzauberte, war Sarahs Assistentin ein enormer Gewinn für das kleine Büro.

Und dies hier – eine dicke Werbebroschüre für den Ausverkauf nach den Feiertagen – war eines der letzten großen Projekte, die fertig werden mussten, ehe sie über Weihnachten für einige Tage schließen konnten.

»Was meinst du?«, fragte Grace.

»Hm, die Farben sind klasse. Sie springen definitiv ins Auge. Und ich denke, dass sie in den Geschäften begeistert sein werden.«

»Dann sind wir fertig?«

»Lassen wir unsere Kunden noch kurz die Entwürfe absegnen. Aber eigentlich glaube ich, dass sie rundum zufrieden sein werden.«

Grace strahlte. Obwohl sie in ihrer Zwei-Frauen-Agentur mittlerweile so gut wie gleichgestellt waren, verließ Grace sich immer noch auf Sarahs Urteil.

Fürs Erste musste Sarah zurück zu ihren eigenen letzten Projekten – mehrere neue Visitenkarten und Website-Updates.

Nicht unbedingt die spannendste Arbeit, aber angesichts der Hypothekenraten …

Und an die Studienkosten für Chloe und Daniel, die in den nächsten Jahren auf sie zurollten, wollte sie nicht mal denken.

Da würde sie den Gürtel um einiges enger schnallen müssen.

Doch als sie zu ihrem Schreibtisch kam – auf dessen Ecke ein Mini-Tannenbaum mit winzigen elektrischen Lichtern stand, der von Weihnachtskarten umgeben war, die Firmen und Kunden ihnen geschickt hatten –, hörte sie eine Glocke bimmeln. Die Tür unten wurde geöffnet.

Die Glocke war Grace’ Idee gewesen.

Warum nicht etwas Altmodisches … eine Türglocke, die Besucher ankündigt?

Bei den nahenden Schritten auf der Treppe drehte Sarah sich zur Bürotür um. Es standen keine Termine an. Die Tür ging auf, und Jack kam herein. Grace sprang von ihrem Stuhl auf.

Sie freut sich immer, wenn Jack vorbeikommt!

Jack lächelte ihr strahlend zu, dann sah er Sarah an. Und die dachte sofort: Er kommt nicht zufällig vorbei.

Irgendetwas war passiert.

6. Das Bill-Problem

»Jack!«, sagte Grace. »Du hättest anrufen sollen, dann wäre ich zu Huffington’s gelaufen und hätte etwas Weihnachtsgebäck geholt – und den Wasserkocher angestellt.«