Cherringham Sammelband XIII - Folge 37-39 - Matthew Costello - E-Book

Cherringham Sammelband XIII - Folge 37-39 E-Book

Matthew Costello

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Beschreibung

Very British - drei England-Krimis in einem Band!

Diese E-Book-Sonderausgabe beinhaltet die Fälle 37 - 39 der Cosy-Crime-Serie "Cherringham - Landluft kann tödlich sein" - ein Muss für Fans von Miss Marple und Sherlock Holmes!

Folge 37: Ein junger Mann stirbt auf mysteriöse Art und Weise in einem alten, verlassenen Haus, einem so genannten "Lost Place". Doch was hat er dort gemacht? Wollte er wirklich nur das einsam gelegene Gebäude erforschen und ist dabei verunglückt? Seine Freunde glauben nicht an einen Unfall und wenden sich an Jack und Sarah. Schon bald muss das Ermittler-Duo erkennen, dass es ziemlich gefährlich sein kann, an alten Geheimnissen zu rühren ...

Folge 38: Ein Mitarbeiter der weltberühmten Cherringham Gin Company wird eines Morgens tot in der Brennerei aufgefunden. Doch war es wirklich ein Unfall, wie alle zunächst glauben? Ein alter Freund von Jack und Sarah bezweifelt das und bittet sie, die Sache zu untersuchen. Bald entdecken die beiden Hinweise darauf, dass der Tote Arnold Pettifer das exzentrische Genie hinter dem berühmten Gin war - und dass es eine Menge Leute mit einem Mordmotiv gibt ...

Folge 39: Jedes Jahr öffnet Lady Repton ihr großes Anwesen, um das "Cherringfest" zu veranstalten - das beliebteste Musikfestival der Cotswolds. Und dieses Jahr wird besonders: Nicht nur die Rückkehr der legendären und berüchtigten Hard-Rockband "Lizzard" steht auf dem Programm, sondern auch das Heimdebüt der jungen und überaus erfolgreichen neuen Gruppe "Unlost". Aber was ein Sommerwochenende mit fantastischer Musik, Essen und Spaß für alle sein sollte, kippt ins Bedrohliche, als einer der Musiker fast getötet wird. Jack und Sarah nehmen die Ermittlungen auf und versuchen fieberhaft, ein Netz aus Eifersucht, übersteigerten Egos und Rache zu entwirren, damit dieses Cherringfest nicht mit einem tödlichen Höhepunkt endet ...

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Inhalt

Cover

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Über diesen Sammelband

Sammelband XIII

Das vergessene Haus

Eine tödliche Rezeptur

Song für einen Mord

Über die Autoren

Weitere Serien der Autoren

Impressum

 

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Über diesen Sammelband

Das vergessene Haus

Ein junger Mann stirbt auf mysteriöse Art und Weise in einem alten, verlassenen Haus, einem so genannten »Lost Place«. Doch was hat er dort gemacht? Wollte er wirklich nur das einsam gelegene Gebäude erforschen und ist dabei verunglückt? Seine Freunde glauben nicht an einen Unfall und wenden sich an Jack und Sarah. Schon bald muss das Ermittler-Duo erkennen, dass es ziemlich gefährlich sein kann, an alten Geheimnissen zu rühren …

Eine tödliche Rezeptur

Ein Mitarbeiter der weltberühmten Cherringham Gin Company wird eines Morgens tot in der Brennerei aufgefunden. Doch war es wirklich ein Unfall, wie alle zunächst glauben? Ein alter Freund von Jack und Sarah bezweifelt das und bittet sie, die Sache zu untersuchen. Bald entdecken die beiden Hinweise darauf, dass der Tote Arnold Pettifer das exzentrische Genie hinter dem berühmten Gin war – und dass es eine Menge Leute mit einem Mordmotiv gibt …

Song für einen Mord

Jedes Jahr öffnet Lady Repton ihr großes Anwesen, um das »Cherringfest« zu veranstalten – das beliebteste Musikfestival der Cotswolds. Und dieses Jahr wird besonders: Nicht nur die Rückkehr der legendären und berüchtigten Hard-Rockband »Lizzard« steht auf dem Programm, sondern auch das Heimdebüt der jungen und überaus erfolgreichen neuen Gruppe »Unlost«. Aber was ein Sommerwochenende mit fantastischer Musik, Essen und Spaß für alle sein sollte, kippt ins Bedrohliche, als einer der Musiker fast getötet wird. Jack und Sarah nehmen die Ermittlungen auf und versuchen fieberhaft, ein Netz aus Eifersucht, übersteigerten Egos und Rache zu entwirren, damit dieses Cherringfest nicht mit einem tödlichen Höhepunkt endet …

Matthew CostelloNeil Richards

CHERRINGHAM

LANDLUFT KANN TÖDLICH SEIN

Sammelband XIII

Folge 37: Das vergessene HausFolge 38: Eine tödliche RezepturFolge 39: Song für einen Mord

Matthew CostelloNeil Richards

CHERRINGHAM

LANDLUFT KANN TÖDLICH SEIN

Das vergessene Haus

Aus dem Englischen von Sabine Schilasky

1. Urbex

Megan Dunn schaltete den kleinen Citroën C1 einen Gang runter und hoffte, er würde nicht auf diesem schlammigen Feldweg stecken bleiben, der obendrein noch voller Schlaglöcher war.

Schlimm genug, dass die Sträucher zu beiden Seiten am Lack kratzten.

»Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?«, fragte sie und blickte hinüber zu Luke, der auf dem Beifahrerplatz saß und sich an den Türgriff klammerte, während der Wagen rumpelte und schaukelte.

»Ich glaube schon«, antwortete er. »Ich meine, die Karte vom Navi könnte veraltet sein, aber mir kommt es trotzdem irgendwie richtig vor.«

Megan lachte. »Na gut, solange du dich an den Kosten für die Lackreparaturen beteiligst. Mein Mum bringt mich um, wenn ich Kratzer am Wagen mache.«

Sie spähte durch die Windschutzscheibe. Seit Minuten fuhren sie durch dunklen Wald.

Und jetzt waren die Kronen der Bäume, die den Weg säumten, so ineinander gewachsen, dass sich dadurch ein finsterer, Unheil verkündender Tunnel gebildet hatte. Megan hätte gern die Scheinwerfer eingeschaltet, doch sie wusste, dass dies zu riskant wäre.

Im Urban Explorers’ Online Forum hatte klipp und klar gestanden, dass Blackwood House ein echtes No-Go war: Es wurde rund um die Uhr bewacht und war mit Stacheldraht und sonst was gesichert, um Besucher abzuschrecken.

Jedenfalls solche Besucher, die sich nichts dabei dachten, in verlassene Häuser einzusteigen, alles zu filmen, was sie dort fanden, und es in Blogs oder auf YouTube zu posten.

Sogar hier draußen, meilenweit von Cherringham entfernt in einem kleinen bewaldeten Tal, lockte ein Ort wie Blackwood die Urbexers an, wie sie sich selbst gerne nannten.

Aber auch wenn Megan und Luke sich als Urban Explorers sahen, ging es ihnen heute nicht um Videos zum Posten, Statusmeldungen oder Klicks.

Nein, dies hier war ernster.

Es ging darum, Zach zu finden.

Den genialen, fantastischen, coolen, wundervollen Zach.

Zach war der cleverste Explorer, den Megan je kennengelernt hatte. Eine Legende, berühmt für sagenhafte Posts von überall auf der Welt: von Militärbunkern in Estland bis hin zu verlassenen Krankenhäusern auf den Philippinen; von russischen Datschas bis hin zu schottischen Burgen.

Zach, der dauernd unterwegs war und nach seinen eigenen Regeln lebte – eben noch hier, postete er kurze Zeit später von einer vergessenen Insel im Pazifik.

Zach, den Megan mit jeder Faser ihres Seins liebte.

Zach, der vor einer Woche aus dem Dorf verschwunden war, ohne irgendwem ein Wort zu sagen.

Was an sich kein großes Ding war. So tickte Zach nun einmal. In dem Jahr, das sie beide inzwischen zusammen waren, hatte Megan es halbwegs geschafft, sich daran zu gewöhnen.

Allerdings war es diesmal anders. Denn zum allerersten Mal war Zach auch online weg. Kein Instagram, kein Facebook, kein Twitter, kein Blog. Nicht mal eine E-Mail.

Total offline.

Megan hatte ihn als vermisst melden wollen, aber die Polizei war daran nicht interessiert gewesen. Wegen seiner Vorgeschichte.

Doch Luke und die anderen Urbexer dachten dasselbe wie sie. Etwas stimmt nicht.

Deshalb waren Luke und sie jetzt hier.

Weil Luke sich erinnerte, dass er vor Wochen bekifft mit Zach über Blackwood House geredet hatte. Die beiden hatten darüber gesprochen, dass es quasi vor ihrer Haustür war. Und weil die Einheimischen behaupteten, dass es dort spuke, wäre es doch ganz bestimmt cool, da mal nachts hinzufahren, oder?

»Wie spät ist es?«, fragte sie, während sie um eine weitere enge Biegung fuhr. Immer noch war nicht zu erkennen, dass dieser Feldweg bald irgendwohin führte.

»Ähm, zehn vor fünf.«

»Und du bist sicher, dass der Wachmann um fünf Feierabend macht?«

»Das hat Zach gesagt. Glaube ich.«

Megan beugte sich ein bisschen weiter über das Lenkrad und konzentrierte sich noch stärker.

»Ja, solche Sachen hat Zach drauf«, sagte sie.

»Meistens«, merkte Luke an.

»Immer«, korrigierte Megan ihn und nahm die nächste Kurve. »Guck mal! Da ist es.«

Vor ihnen tauchte ein Gatter mit fünf Querbalken auf. Dahinter konnte sie eine verwilderte Wiese sehen, und jenseits davon waren die Umrisse eines großen Gebäudes zu erkennen, das zu drei Seiten von Wald umgeben war.

Es wirkte ein bisschen … gruselig. Und so finster, als würde es alles Licht aus dem Himmel saugen. Megans Herz schien einen Schlag auszusetzen.

»Blackwood House?«, fragte Luke.

»Muss es sein.«

Sie hielt den Wagen an und stellte den Motor ab. Ohne ein Wort zu sagen, stieg sie aus dem Wagen, blieb stehen und lauschte.

Stille. Nur das Rascheln des Winds in den hohen Bäumen um sie herum. In der Ferne hörte sie einen Fasan krähen.

Hoch oben, durch die Lücken zwischen den schwankenden Ästen, sah sie schnell vorüberziehende Wolken, die in der spätnachmittäglichen Sonne drohend näher rückende Schatten warfen.

Draußen auf der Wiese war es womöglich noch warm, doch hier im Wald, wo die Sonne kaum durchkam, fühlte sich die Luft klamm und kalt an.

Hatte Zach vor einer Woche auch hier gestanden – allein und bereit, diese Wiese zu überqueren und ins Blackwood House zu gehen?

Megan fröstelte. »Komm«, sagte sie.

Geduckt – und mit Luke hinter sich – eilte sie über den matschigen Feldweg zum Gatter.

Von hier aus konnte sie das Haus besser sehen.

Es wirkte viel älter als die meisten Herrenhäuser in der Gegend um Cherringham: zahlreiche Giebel und Dachgauben, Geländer aus Stein, von Efeu überwucherter roter Backstein. Auf den ersten Blick war es eindrucksvoll, ja, imposant.

Doch als sie genauer hinschaute, bemerkte Megan, dass Schieferplatten auf dem Dach fehlten, Fensterscheiben gesprungen waren und der unkontrolliert wachsende Efeu die Regenrinnen abgerissen hatte. Der Garten war ungepflegt und verwildert.

Das Haus stand leer. Verlassen.

Neben ihr stieß Luke einen leisen Pfiff aus.

»Wow, das müssen mindestens zwanzig Zimmer oder so sein«, sagte er. »Und sieh mal dort hinten – ist das ein Swimmingpool?«

Megan veränderte ihre gebückte Haltung, um zwischen den diversen Garagen und Nebengebäuden hindurchzusehen. Tatsächlich waren dort verschimmelte Fliesen, eine kaputte Chromleiter, braunes Wasser und Laub zu erkennen.

»War es mal«, antwortete sie und blickte sich um. »Okay, keine Spur von einem Wachmann.«

Dann hörte sie, wie irgendwo in der Nähe des Hauses ein Motor angelassen wurde, und wenige Sekunden später sah sie einen großen Geländewagen mit einer Lichtschiene über der Kabine von den Gebäuden weg- und auf die Wiese fahren.

»Verdammt«, sagte Luke und duckte sich tiefer. »Der Wachdienst. Wenn er herkommt, war es das für uns.«

Die zwei kauerten sich jeweils neben einem der beiden Enden des Gatters zu Boden: Megan war hinter einer Trockenmauer versteckt und Luke auf der anderen Seite hinter einer dichten Hecke.

Megan beobachtete, wie der Wagen über die Wiese auf sie zugerast kam und schließlich nur wenige Meter entfernt anhielt. Der Motor blieb an.

Durch einen Spalt in der Mauer konnte sie den Fahrer aussteigen sehen, von dem kaum mehr als die Silhouette auszumachen war. Megan erkannte lediglich, dass es ein großer Kerl war, der Stiefel, Jeans und T-Shirt trug und einen Militärhaarschnitt hatte.

Er ging auf das Gatter zu. Megan presste sich fest an die Steine und betete, dass er nicht über die Mauer blickte oder auf sie stieg.

Sie blickte kurz zu Luke, der sich auf der anderen Seite des Feldwegs dicht an die Hecke drängte.

Worauf wartet der Typ?, dachte sie. Kann er den Citroën sehen?

Doch dann hörte sie, wie er zurück in den Geländewagen stieg und die Tür zuknallte. Er ließ den Motor aufheulen, dann düste das Auto los und raste den Hügel hinunter.

»Wow«, sagte Luke und lachte kurz vor Erleichterung. »Ich dachte schon, er erwischt uns.«

Megan schaute zu, wie Luke aufstand, und erhob sich ebenfalls. Sie sah, wie der Geländewagen in Richtung Hauptstraße fuhr, die eine halbe Meile weit weg war. Aber auf einmal bog er ab und verschwand durch eine Lücke in der Hecke auf die nächste Wiese.

Megan konnte in der Ferne einen Wohnwagen erkennen, der in einem kleinen Hain parkte. Will er etwa dahin?

»Glaubst du, er lebt dort in dem Wohnwagen?«, fragte Luke. »Was ist, wenn er zurückkommt?«

Megan drehte sich zu ihm.

»Was kann er uns schon tun?«, erwiderte sie und versuchte, selbstsicher zu klingen. »Uns wegschicken?«

»Typen wie der … die haben manchmal keine Regeln.«

Megan schüttelte den Kopf. »Jetzt sind wir so weit gekommen. Falls Zach irgendwo da drinnen ist …«

»Falls …«

»Falls er es ist, würde ich mir nie verzeihen, jetzt umzukehren. Und er mir auch nicht.«

Sie sah Luke an und erkannte an seinen Augen, welche Angst er hatte. Und er war nicht der Einzige.

Doch all ihre Gefühle waren darauf konzentriert, Zach zu finden. Und hatte er ihr nicht einmal gesagt, dass es so etwas wie Angst nicht gab?

Angst ist bloß ein Geisteszustand, und dein Geist ist etwas, das du kontrollieren kannst, hatte er erklärt. Diese Worte würde sie niemals vergessen.

»Holen wir die Ausrüstung«, sagte sie.

»Gehen wir rein?«, fragte Luke.

»Sind wir nicht deshalb hergekommen?«

Megan lächelte, um ihm Mut zu machen.

Doch innerlich – trotz Zachs Worten und seinem breiten Grinsen, als er sie gesagt hatte – fürchtete Megan sich.

Sich hatte schreckliche Angst davor, was sie in dem verlassenen Herrenhaus finden könnten.

2. Blackwood House

Megan stieg durch den kaputten Fensterrahmen und achtete trotz ihrer Handschuhe darauf, die Glasscherben nicht zu berühren. Drinnen schaltete sie ihr Rotolight ein und blickte sich um.

Sie war in einer Art Speisekammer mit hohen Metallregalen. In vielen von ihnen standen immer noch verstaubte Schachteln, Dosen und Flaschenkästen.

Sie machte ihre Helmkamera an und filmte einmal den ganzen Raum ab, wobei sie zum Schluss auch Luke einfing, der hinter ihr durch das Fenster eingestiegen war.

»Mann, das Zeug sieht aus, als wäre es nie angefasst worden«, sagte sie und nickte zu den Regalen.

»Ich schätze, die Leute nehmen die Sicherheitswarnungen ernst.« Luke schaltete sein Helmlicht und auch seine Taschenlampe ein und leuchtete damit durch den Raum, sodass die grellweißen Strahlen spitze Schatten an die Decke warfen.

»›Betreten verboten!‹, ›Vorsicht – Kampfhund!‹, ›Warnung – Lebensgefahr!‹ Wie oft haben wir solche Schilder einfach ignoriert?«

»Ich habe das Gefühl … hier sind sie vielleicht berechtigt«, sagte Luke.

Megan lächelte ihn wieder an.

Luke war schon seit einem Jahr bei ihnen, aber immer noch sorgte er sich dauernd und wurde leicht nervös.

Weshalb sie sich fragte, warum er überhaupt so etwas tat.

Doch eigentlich wusste sie die Antwort bereits: wegen des Team-Feelings, der gemeinsam erlebten Gefahr und des Lachens hinterher.

Für sie alle war es eine Droge – für Tom, Ella, Luke … und Zach.

Ihr Motto war dasselbe wie das aller Urbexers auf der Welt: Macht nichts als Fotos, hinterlasst nichts als Fußabdrücke.

»Los, weiter!«, sagte sie, ging zur Tür und öffnete sie. Sie gelangten in eine riesige Küche mit lauter verstaubten Edelstahloberflächen, Regalen voller Töpfe und Pfannen sowie einer Reihe von Herden und Öfen.

Diese Küche war … unheimlich.

»Wow«, entfuhr es Luke, der mit einer Hand über eine lange Reihe von herabhängenden Löffeln und Sieben fuhr. »Das ist ja eine echte Profiküche. Oder war jedenfalls eine. Jetzt schau dir das mal alles an! Oh Mann, wer hat hier wohl gewohnt?«

»Wer auch immer die waren …«, antwortete Megan, »die waren stinkreich.«

»Und anscheinend sind sie sehr eilig von hier verschwunden«, sagte Luke, der seine Lampen auf einen Tisch in einer Ecke richtete.

Dort waren noch die Überreste einer Mahlzeit – ein halbes Dutzend Teller, verschrumpeltes Essen, überall Schimmel, kreuz und quer herumliegendes Besteck, als wären alle einfach aufgesprungen und weggerannt.

»Dies hier ist die Personalküche«, stellte Megan fest. »Und es sieht beinahe aus, als … als hätte etwas sie in Angst und Schrecken versetzt. Sie sind weggelaufen und nie wieder zurückgekommen.«

»Aber was?«, fragte Luke, dessen umherhuschendes Taschenlampenlicht für einen Augenblick von der Fensterscheibe gespiegelt wurde und Megan blendete.

»Ich bin mir nicht sicher, ob ich das wissen will«, antwortete Megan.

Und sie bemerkte, dass die Kälte, die sie vorher draußen am Gatter empfunden hatte, hier drinnen noch viel schlimmer war.

Was nicht nur an den Temperaturen lag.

Sie hörte ein Geräusch aus einer Ecke und wirbelte herum. Mit ihrer Helmlampe leuchtete sie dorthin. Sie sah, dass Wasser die Wand herunterlief und die Decke sich nach unten bog, als hätte es eine Überschwemmung gegeben.

»Oh, oh!«, sagte Megan. »Passen wir lieber auf. Wie es aussieht, sind oben Rohre geplatzt – oder Dachrinnen. Die Fußböden werden morsch sein.«

Sie drehte sich um, und die beiden gingen durch die Küche in einen Korridor, der in zwei Richtungen führte.

»Wo lang?«, fragte Luke.

»Keine Ahnung. Aber Zach denkt immer logisch. Also sollten wir auch logisch vorgehen. Als Erstes überprüfen wir jedes Zimmer in diesem Stockwerk. Dann gehen wir nach oben und machen es da genauso.«

»Du hast recht«, stimmte Luke zu. »Und falls Zach hier war …«

»Falls er hier war …« Megan bemühte sich sehr, optimistisch zu bleiben, und hoffte, dass sie bloß um die Ecke gehen müssten, um Zach zu finden – der vielleicht verletzt war, aber sie grinsend anschauen und mit einem Augenzwinkern zu ihr sagen würde: »Wusste ich’s doch, dass du mich retten kommst, Megs!«

Sie sah, dass Luke nickte, worauf sie ihm ebenfalls zunickte. Sie war froh, dass er bei ihr war.

Gemeinsam wagten sie sich weiter ins Haus vor.

Megan war schon in zahlreichen Bauwerken als Urbexer unterwegs gewesen. In Häusern, Kirchen, Bürogebäuden, Fabriken und verlassenen Bunkern.

Aber dieses Haus? Das war einfach der schrägste Ort von allen bisher. Das Innere war nicht mal ansatzweise so, wie sie es erwartet hatte.

Große weiße Ledersofas, dicke Teppiche und gigantische Fernsehbildschirme an den Wänden. Fantastische Soundsysteme, die, wie Megan vermutete, alle miteinander verbunden waren.

Jetzt jedoch war alles schmutzig, verstaubt und fleckig. Und einige von den Sofas waren aufgeschlitzt, als wären sie regelrecht angegriffen worden.

Weiß der Himmel, welches Ungeziefer hier jetzt lebt!

Megan und Luke glitten über Marmorböden durch das Erdgeschoss, vorbei an Badezimmern mit in den Boden eingelassenen Wannen, einem Kinoraum, einem Billardzimmer und noch mehr Fernsehzimmern.

»Wer hat hier gewohnt?«, fragte sie.

»Ich glaube, das weiß keiner«, antwortete Luke. »Vielleicht irgendein Promi?«

»Ein Fernsehstar?«, mutmaßte Megan, öffnete eine leere Schublade und schloss sie wieder. »Eines jedoch ist echt schräg.«

»Was denn?«

»Sieh dich um. Keine Fotos, nirgendwo etwas Persönliches. Fällt dir das nicht auf?«

»Doch, stimmt«, sagte Luke. »Vielleicht haben die Geister alles mitgenommen.«

Sein kleiner Witz verlief im Sande, noch bevor er ihn zu Ende gesprochen hatte.

Denn eines war dieses Haus ganz und gar nicht – nämlich witzig.

Megan ging weiter, bewegte sich stumm von Zimmer zu Zimmer, öffnete Türen und schaute sich in jedem Raum um, bevor sie weiterging. Das Erdgeschoss war ein Labyrinth aus Korridoren.

Sämtliche Türen waren unverschlossen, bis auf eine ganz hinten in einem Flur.

Megan erreichte sie, wollte sie aufmachen, doch sie rührte sich nicht. Aufmerksam glitt Megans Blick den Rahmen entlang, und sie klopfte gegen die Tür.

Abgeschlossen? Aber hier war nicht mal ein Schlüsselloch.

»Die Tür ist nicht aus Holz«, sagte Megan. »Es fühlt sich wie Stahl an.«

Luke kam zu ihr. »Und kein Schloss auf dieser Seite.«

»Also ist sie von der anderen Seite abgeschlossen, nicht wahr?«

Sie presste ein Ohr an die Tür und versuchte zu hören, ob sich dahinter etwas rührte. Dann trat sie zurück.

Nichts.

»Okay, wenn wir hier drinnen fertig sind, sehen wir uns draußen um. Vielleicht ist da eine Tür oder ein Fenster.«

Sie drehte sich um, und beide gingen durch den Flur zurück, bogen in einen anderen ab und erreichten schließlich eine Flügeltür. Als Megan hindurchschritt und den Raum dahinter ableuchtete, erkannte sie, dass sie in einer Art zentraler Diele waren, von der zwei geschwungene Treppen ins nächste Stockwerk führten.

Auf dem Treppenabsatz stand eine alte Standuhr, deren großes Messingpendel still und reglos herabhing.

»Ich denke nicht, dass es hier spukt«, sagte Megan. »Denn … Also, so etwas wie Geister gibt es doch gar nicht. Trotzdem fühlt es sich …«

»Beängstigend an?«

»Ja. Beängstigend – in Verbindung mit Menschen. Als wären hier schlimme Sachen passiert.«

Sie drehte sich zu Luke, sodass ihr Licht in sein Gesicht schien – und sah, dass er genauso empfand.

Für einen Moment war es sehr still.

Bis plötzlich ein Knall von oben zu hören war, als wäre etwas umgefallen.

»Was zur Hölle war das?«, fragte Megan.

»Mir gefällt das nicht«, sagte Luke.

»Mir auch nicht.« Ihr Puls raste. »Doch jetzt sind wir schon mal hier, da müssen wir es machen.«

»Okay, okay.«

Sie legte eine Hand auf seinen Arm, und Luke rang sich ein Grinsen ab.

»Komm«, forderte Megan ihn auf. »Und lass deine Lampen an. Falls jemand anders hier ist, können wir den vielleicht verscheuchen.«

Langsam und vorsichtig ging Megan voraus die breite, mit Teppich ausgelegte Treppe hinauf.

Megan erreichte das obere Ende der Treppe und blickte einen langen Korridor hinunter.

Auf der einen Seite waren dunkle Fenster mit wuchtigen, gemauerten Leibungen. Auf der anderen gab es eine ganze Reihe von Türen. Sie führten wohl in Gäste- und Schlafzimmer, wie sie vermutete.

Und am Ende des Flurs war eine einzelne Tür, hinter der sie nun ein Geräusch hörte. Eine Art …

Kratzen.

Rhythmisch. Kratzend. Unangenehm. Wie Fingernägel, die über eine Schreibtafel fuhren.

Ja, vielleicht sollten wir einfach … fortgehen, dachte sie.

»Megan … Oh Mann, ich kann das nicht«, flüsterte Luke hinter ihr. Sie drehte sich zu ihm und presste einen Finger an ihre Lippen.

Das Letzte, was ich jetzt brauche, ist, dass Luke kneift, dachte sie.

»Bleib einfach bei mir, okay?«, sagte sie mit so viel Selbstvertrauen, wie sie aufbringen konnte.

Obwohl sie sich alles andere als selbstsicher fühlte.

Zögerlich ging sie den Korridor hinunter und leuchtete immer wieder zu beiden Seiten.

Hier oben war klar zu erkennen, dass das Haus verlassen war. Ein paar Fenster waren eingeschlagen worden – vielleicht von Kindern, die vom Wald aus Steine geworfen hatten. Glasscherben lagen auf dem Teppichboden.

Große Putzbrocken aus der Decke verschmutzten den Flur – wahrscheinlich waren sie infolge des Regenwassers herabgefallen, das aus dem undichten Dach kam –, und die Tapete blätterte in Fetzen ab.

Der Boden bog sich durch und knarzte, als sie über die Trümmer stiegen.

»Pass auf!«, warnte Megan. »Dieser Fußboden fühlt sich morsch an. Er könnte nachgeben. Beweg dich am Rand entlang.«

Während sie durch den Flur ging, öffnete sie eine Tür nach der anderen. Alle Zimmer waren protzig in Gold und Silber eingerichtet. Es gab noch mehr weiße Ledersessel, riesige Betten, einst funkelnde Bäder, die nun von dicken Staubschichten bedeckt waren.

Und jedes der Zimmer roch feucht und schimmlig. Ja, wie … verfallen.In einigen Räumen waren die schmutzigen Oberbetten zurückgeschlagen, sodass man einen freien Blick auf die vergilbten, zerwühlten Laken hatte.

Noch ein Hinweis darauf, dass hier Leute in Eile verschwunden waren – als wären die mysteriösen Bewohner grob aus dem Schlaf gezerrt worden.

In ein paar Zimmern waren die Teppiche weggezogen und Möbel verrückt worden. In anderen schienen wahllos Löcher in die Wände geschlagen und Backsteine herausgelöst worden zu sein.

Und überall hatte man die Schubladen aufgezogen oder vollständig herausgerissen und einfach auf dem Boden liegen gelassen. Die Schränke standen weit offen, oder deren Türen waren sogar aus den Angeln gehoben worden.

»Hier oben war jemand«, sagte Megan leise. »Und hat alles auseinandergenommen.« Luke blieb dicht neben ihr, während sie weiterging.

»Jugendliche vielleicht?«, mutmaßte er. »Und weil sie nichts zum Klauen gefunden haben, haben sie hier alles zerlegt?«

Wie zur Antwort …

… ertönte noch ein lautes Krachen hinter der Tür am Ende des Korridors, die inzwischen nur noch wenige Meter entfernt war.

»Oh Gott!«, keuchte Luke und packte Megans Arm. »Wir müssen hier echt weg …«

Megan hatte ebenfalls Angst, doch das durfte sie nicht zeigen.

Sie musste für Zach stark sein.

Denn was, wenn er hinter jener Tür war? Gefangen. Verletzt. Auf Rettung wartend.

Kaum noch imstande, mit der Hand auf den Holzboden zu klopfen, um auf sich aufmerksam zu machen.

»Komm«, sagte sie wieder. Sie ging die letzten Schritte zum Ende des Flurs. Luke war nicht mehr ganz so dicht hinter ihr.

Vor der Tür wurde ihre Atmung schneller. Ihr Herz raste.

Sie benetzte ihre Lippen mit der Zunge. Das war es. Jetzt oder nie.

Rasch schaute sie sich zu Luke um, griff dann nach dem Türknauf und begann ihn zu drehen.

Im Gegensatz zu der Tür unten war die hier nicht verschlossen.

Megan holte tief Luft, drehte den Knauf ganz herum und schob die Tür langsam auf. Ihr Licht schien in den Raum hinein, als sie einen Schritt vortrat.

Und dann schien alles ganz schnell zu gehen.

Sie sah – ein Zimmer. Leer. Ihr gegenüber war ein eingeschlagenes Fenster, aus dessen Rahmen überall Glassplitter ragten. Ein Ast knallte immer wieder gegen den leeren Rahmen.

Irgendwie kam auch Licht von oben – durch ein Loch in der Decke.

Gab es auch eines im Dach?

Ein Fensterladen schwang hin und her und schlug immer mal wieder gegen die Mauer …

Megan atmete erleichtert auf.

»Es ist bloß …«, sagte sie und ging einen weiteren Schritt vorwärts …

Ins Nichts! Wo der Fußboden sein sollte, war ein gewaltiges Loch.

Plötzlich hatte Luke seinen Arm um sie geschlungen und verhinderte so, dass sie in den dunklen Raum hinabstürzte.

Allerdings war der nicht so dunkel, dass sie den Umriss dort nicht sehen konnte. Es war eine menschliche Gestalt – die Gestalt von …

Er musste es sein.

Zach. Ihr wunderbarer Zach.

Er lag rücklings auf einem Schutthaufen, rund sechs Meter weit unten. Sein gelber Helm war nach hinten gekippt, und er starrte sie mit offenen Augen an. Doch diese Augen sahen nichts, denn Zach war tot.

Megan stieß einen gellenden Schrei aus.

3. Ein neuer Fall

Jack löste die Leine, stieß sich vom Flussufer ab und vergewisserte sich, dass die Ruder fest in ihren Dollen waren.

Dann blickte er sich nach seinem Hund Riley um, der im Bug des kleinen Beiboots hockte, tauchte die Blätter der Ruder ins Wasser und begann sie gleichmäßig zu bewegen. Er fuhr flussabwärts, weg von der Grey Goose.

Es war ein idealer Sommerabend – die Themse floss spiegelglatt dahin, die Wiesen waren sattgrün vom vielen Regen im Frühsommer, und die Sonne würde erst in einer guten Stunde untergehen.

Jack ruderte langsam, vorbei an den anderen Hausbooten und Kähnen, die an der Viertelmeile nahe der Cherringham Bridge lagen. Hin und wieder winkte er Nachbarn zu, die oben an Deck saßen, um an der frischen Luft zu essen oder ihren ersten Gin-Tonic am Abend zu genießen.

Als er unter der mittelalterlichen Brücke hindurchglitt, schreckte er eine Entenfamilie auf, deren Quaken unter dem uralten Steinbogen widerhallte. Wasser schwappte sanft gegen das Mauerwerk.

Hinter der Brücke schaute Jack nach links, wo Cherringham oben auf einem Hügel thronte. Im Sonnenschein mutete der warme Stein der Häuser und Cottages beinahe italienisch an, wie ein Ort in der Toskana.

Hinter einer langen Flussbiegung – die Jack mit schönen, ruhigen Ruderschlägen genommen hatte – glitt ein Doppelzweier lautlos an ihm vorbei, der deutlich mehr Tempo hatte. Hier war der Fluss breit genug, sodass Jack nicht ausweichen musste.

Weiter vorn sah er den kleinen Steg am unteren Ende von Sarahs Garten.

Schon jetzt, obwohl nicht mal die kleinste Brise zu wehen schien, konnte er riechen, dass sie den Grill angezündet hatte.

Riley streckte sich und stand auf, um nachzusehen, welche möglichen Freuden dieser Abend noch bereithielt.

Vielleicht einen Knochen von einem der Steaks?

Ein kurzer Blick über die Schulter, um zu prüfen, ob sich das Boot auch gut ausrichtete; dann zog Jack die Ruder ein und ließ sich von der Strömung an den Steg treiben. Dort erschien nun Sarah mit einer Grillgabel in der Hand und ihrem Hund Digby neben sich.

»Ich habe etwas Mais – unsere Vorspeise – aufs Feuer gelegt«, sagte sie, als sie Jack die Leine abnahm und das kleine Boot fachmännisch vertäute. »Ich konnte nicht mehr warten.«

»Sehr gut«, antwortete Jack, stieg aus und küsste sie kurz auf beide Wangen. Dann hielt er einen kleinen Leinenbeutel in die Höhe. »Ich habe die Steaks, und ich muss sagen, die sehen großartig aus.«

»Und ich habe Salat gemacht. Für deine Martinis steht alles bereit. Ich bin schon beim Prosecco.«

»Ah – einer dieser Tage, was?«, fragte er.

»In letzter Zeit scheint jeder Tag einer von denen zu sein«, antwortete Sarah lachend. »Chloe und ich haben Unmengen zu tun. Ich dachte, zum Ende des Sommers wird es ruhiger …«

Jack lachte, als Riley an Land sprang und mit Digby den Rasen hinaufflitzte. Dann ging er zum Tisch, wo die Zutaten für einen perfekten Martini standen.

»Bist du bereit?«

Doch Sarah hob ihre Sektflöte an. »Ich trinke erst mal den hier aus.«

Also mixte Jack sich einen Wodka-Martini: drei kleine Messbecher Ketel One-Wodka, ein Schuss extratrockener Wermut von Dolin und ein oder zwei Tropfen Orangenbitter von Regan.

Das Ganze mit Eis geschüttelt, was wunderbar klang.

Und während er schüttelte, sah er sich Sarahs neu gestalteten Garten an.

Die alten Sträucher waren ebenso verschwunden wie die morsche Holzterrasse, die schon bei Sarahs Einzug vor wenigen Jahren hier gewesen war.

Stattdessen gab es jetzt eine erhöhte Terrasse aus Bruchsteinen mit eingebautem Grill. Dort befanden sich außerdem eine Schieferplatte zur Vorbereitung von Essen und sogar ein kleiner Kühlschrank und eine Spüle.

Auf einer Seite waren eine eingebaute Bank mit Kissen, die sich um einen Steintisch bog, und kleine Lichter, die entlang eines Hochbeets standen.

Jack schenkte den Martini in ein Glas, an dessen Rand sich ein Zitronenschnitz klammerte.

»Cheers«, sagte Sarah.

»Cheers.« Jack stieß mit ihr an.

»Wie findest du es?«, fragte Sarah und zeigte auf die neue Terrasse.

»Ich finde es fantastisch. Hier könnte man im Prinzip wohnen.«

»Genau das habe ich die letzten Wochen praktisch getan. In jeder freien Minute.«

Er betrachtete sie. Sarah trug eine Schürze, hatte ihr Haar hochgebunden und hielt eine Grillgabel in der einen und ein Glas Prosecco in der anderen Hand.

Dies sind die Momente im Leben, die man einfach bewusst wahrnehmen und tief im Gedächtnis festhalten muss, denn besser wird es nicht, dachte er.

»Jack!«, erklang eine vertraute Stimme aus dem Garten.

Er drehte sich um und erblickte Sarahs Tochter Chloe, die über den Rasen zu ihnen kam. Sie war inzwischen Anfang zwanzig und sah ihrer Mutter verblüffend ähnlich. Zudem besaß sie das gleiche lässige Selbstbewusstsein und das gleiche Lächeln.

Wo ist nur die schüchterne Zehnjährige geblieben?

»Gesellst du dich zu uns?«, fragte er und umarmte sie. »Das hoffe ich doch. Du darfst mir auch verraten, wie es wirklich ist, für deine Mutter zu arbeiten.«

»Sie liebt es, und zwar jeden Augenblick«, sagte Sarah. »Stimmt’s nicht, Schatz?«

»Ha! Willst du die Wahrheit hören, Jack?«, fragte Chloe.

»Unbedingt!«

»Ich liebe es tatsächlich. Im Ernst. Ich genieße es.«

»Und nicht nur das«, ergänzte Sarah, die nach dem Mais auf dem Grill schaute und sich dann wieder den beiden zuwandte. »Sie ist sagenhaft gut und bringt uns ohne Ende neue Kunden.«

»Tatsächlich?«, fragte Jack. »Ist ja prima für euch! Sicher ist es hart, in Grace’ Fußstapfen zu treten.«

»Grace war unglaublich, und ich denke nicht, dass ich sie jemals ersetzen kann«, antwortete Chloe. »Aber vielleicht habe ich einfach andere Kontakte in der Gegend.«

»Jüngere Kontakte meint sie, Jack«, erklärte Sarah. »Da fühle ich mich gleich alt.«

»Du bist alt, Mum. Das Erstaunliche ist bloß, dass du nicht so aussiehst.«

»Das nehme ich mal als Kompliment … glaube ich«, sagte Sarah lachend.

Jack trat zurück, als Sarah die Maiskolben auf eine Platte legte und sie hinüber zum Tisch brachte. Dann sah er, dass dort nur zwei Gedecke waren.

»Also isst du nicht mit uns?«, fragte er Chloe.

»Würde ich gern, aber ich will rüber nach Hooky, einige Freunde im Pub treffen«, antwortete sie.

»Schade! Es wäre schön gewesen, mal wieder zu reden.«

»Oh, keine Sorge, wir sehen uns morgen«, sagte Chloe, beugte sich zu Sarah und küsste sie zum Abschied. »Nicht wahr, Mum?«

»Treffen wir uns wirklich?«, fragte Jack und aß von dem Mais. »Klingt geheimnisvoll.«

»Mum erklärt es dir«, erwiderte Chloe und ging hinauf zum Haus. Dann rief sie über die Schulter: »Einen schönen Abend euch!«

Jack wandte sich zu Sarah.

»Möchtest du mich aufklären? Es klingt nach etwas Ernstem.«

»So ist es – denke ich jedenfalls«, antwortete Sarah. »Aber essen wir erst mal. Danach erzähle ich dir, was los ist.«

Jack spürte, wie sich Sarahs Stimmung veränderte.

»Okay«, sagte er mit einem Schmunzeln. »Bereit für die Steaks?«

»Und ob.« Er sah ihr an, dass sie ihre finsteren Gedanken verdrängte, wenn auch nur vorübergehend. »Genau das brauche ich jetzt!«

Er ging zum Grill.

»Wie wäre es, wenn du dich um die Getränke kümmerst, solange ich brate?«

»Der Junge hieß Zach Woodcote«, sagte Sarah, die sich in eines der großen Kissen zurücklehnte. »Genau genommen war er auch kein ›Junge‹, sondern fast in Chloes Alter. Anfang zwanzig.«

Sie öffnete den Nachrichtenartikel auf ihrem Tablet und reichte es Jack über den Tisch. Dann beobachtete sie, wie er sich durch den Artikel scrollte.

Die Teller standen schon gestapelt an der Seite, und sie saßen noch bei gedämpftem Licht und leisem Jazz auf der lauschigen Terrasse am Fluss, eine zweite Cafetière und eine offene Cointreau-Flasche vor sich auf dem Tisch.

Die beiden Hunde hatten sich müde getobt und schlummerten zu ihren Füßen.

Sarah wartete, bis Jack den Bericht gelesen hatte.

»Traurig«, sagte er, senkte das Tablet und schüttelte den Kopf. »Sehr traurig. Ich nehme an, solche Häuser sind Todesfallen.«

»Sieh dir die anderen Tabs an. Da sind ein paar unterschiedliche Sichtweisen der Geschichte und etwas über Urban Exploring.«

»Solche Sachen sind mir schon untergekommen«, stellte Jack fest, nachdem er mehr gelesen hatte. »Es gab ein paar größere Vorfälle damals in New York. Mehrere verlassene Häuser gleich nördlich der Stadt in Westchester. Allerdings gingen nur wenige so übel aus.«

Nach einer Minute legte er das Tablet wieder auf den Tisch, schenkte ihnen beiden Kaffee ein und schob Sarah ihren Becher hin.

»Und worum geht es?«, fragte er.

»Zachs Freundin Megan …«

»Die den Toten gefunden hat?«

»Ja«, antwortete Sarah. »Sie und Chloe waren an der Cherringham High befreundet. Und jetzt hat sie sich plötzlich bei Chloe gemeldet und behauptet, dass Zachs Tod kein Unfall war.«

»Stimmt das wirklich?«, hakte Jack nach. »Hat sie einen triftigen Grund, das zu denken?«

»Ich habe nicht mit ihr gesprochen. Aber Chloe hat gestern ein paar Stunden mit ihr verbracht und sagt, sie glaubt ihr.«

»Und was meinst du?«

»Ich denke, wenn Chloe diese Sache an mich weiterreicht, sollte ich es ernst nehmen.« Sarah lächelte. »Anscheinend hat sie den Instinkt ihrer Mutter geerbt.«

»Einen fürwahr guten Instinkt«, sagte Jack. »Und Chloe hat schon genug Zeit mit uns verbracht, um die richtigen Fragen zu stellen; da bin ich mir sicher.«

Sarah nickte zufrieden und auch sehr stolz, weil Jack eine solch hohe Meinung von ihrer Tochter hatte.

»Hier steht, dass Zach so etwas wie ein Internetstar war«, sagte Jack, während er nochmals auf das Tablet blickte. »Müsste ich von ihm gehört haben?«

»Na ja, er hat Millionen Follower auf seinem YouTube-Kanal. Aber sagen wir mal, diese Leute sind nicht ganz unsere demografische Gruppe.«

»Ha, ich bin mir nicht mal sicher, ob wir beide in derselben sind!«, erwiderte Jack. »Kannst du auf dem Ding hier auf seinen Kanal zugreifen?«

Sarah nahm das Tablet, öffnete YouTube und ging auf Zachs Kanal. Dann gab sie Jack das Gerät zurück.

»Ich habe ihn mir heute Morgen mal kurz angesehen«, erzählte sie. »Natürlich muss ich ihn noch gründlicher durchgehen. Nun, das Wesentliche ist, dass Zach schon seit ein paar Jahren ein Urban Explorer ist. Siehst du die Videos? Man kann sie geografisch sortieren – er war überall auf der Welt – oder nach der Art der Objekte: Wohnhäuser, Bürogebäude, Militäranlagen, geheim und so weiter.«

Sie sah, wie Jack einen Clip anklickte und ihn anzuschauen begann.

»Ah, die Grundidee ist also, irgendwo einzubrechen?«

»Nein, nicht direkt einbrechen«, entgegnete Sarah. »Es gibt so etwas wie einen Ehrenkodex bei dieser Sache: reinkommen, ohne irgendwas zu beschädigen, filmen, erkunden, darüber reden, das Wissen teilen und, ohne Schaden anzurichten, wieder verschwinden.«

»Ein teures Hobby«, meinte Jack.

»Deshalb der Kanal«, erklärte Sarah. »Nach den Klicks und der Anzahl an Followern zu schließen, würde ich sagen, dass Zach einige Millionen pro Jahr verdient hat.«

»Was? Nimmst du mich auf den Arm? Ich bin in der falschen Branche.«

»Jack, du bist in gar keiner Branche, sondern pensioniert, schon vergessen?«

»Ja, trotzdem. Denkst du, ich kann Millionen verdienen, wenn ich auf meinem Boot Filme drehe?«

Sarah grinste. »Nun ja …«

»Ha, vielleicht hast du recht.«

Sie beobachtete, wie er noch einige Videos anklickte, ehe er das Tablet wieder hinlegte.

»Mal sehen, ob ich es richtig verstehe«, sagte er. »Und ich gehe einzig von den Medienberichten aus, klar?«

»Fahr fort.«

»Okay. Also, der Junge ist eine Woche lang verschwunden, seine Freundin macht sich Sorgen und überprüft mit einem Kumpel zusammen das Haus, von dem er gesprochen hatte. Und siehe da, dort ist Zach, der eine Woche zuvor zu Tode gestürzt war.«

»Ja, das fasst es zusammen«, bestätigte Sarah.

Er dachte nach.

»Also normalerweise würde ich denken … Ja, das klingt sehr nach einem Unfall.«

»Ich auch.«

»Aber zwei Dinge machen mich neugierig.«

»Lass mich raten«, bat Sarah. »Eines ist die Tatsache, dass er schwerreich war?«

»Korrekt, Detective. Geld ist immer ein Motiv. Und das andere?«

»Die Tatsache, dass seine Freunde gewusst haben, wo sie ihn finden können?«

»Wieder richtig! Und die Dame mit dem Dutt gewinnt die Zigarre!«

»Ich sehe keine Zigarre.«

»Ja, leider sind jene Tage längst Vergangenheit«, antwortete Jack schmunzelnd. »Befehl vom Arzt. Wie wäre es stattdessen mit einem deiner Kräutertees?«

»Abgemacht«, sagte Sarah. »Übrigens geht es morgen frühzeitig los – für uns beide.«

»Oh, das Treffen mit Chloe, ja?«

»Mit Chloe und Megan – in meinem Büro um neun.«

»Mit Megan, der Freundin?«

»Ja. Es könnten auch ein oder zwei von den anderen kommen.«

Sie stand auf und begann das Geschirr zusammenzustellen. Als Jack ihr half, bemerkte sie, wie er für einen Moment innehielt.

»Glaubst du, das ist ein Fall, Sarah?«

»Das weiß ich wirklich nicht. Noch nicht.«

»Okay, warten wir ab, was Megan zu sagen hat. Ich müsste noch etwas mehr von der Sache überzeugt werden.«

»Sicher.«

»Bis dahin dürfte eine schöne Ruderpartie nach Hause ideal zum Nachdenken sein. Danach fahre ich vielleicht meinen alten Computer hoch und schaue mal nach, was ich über dieses Urban Exploring finde.«

»Chloe wird beeindruckt sein. Der coolste Bootsbesitzer auf dem Fluss.«

»Soll das etwa heißen, dass ich der nicht längst schon bin?«, fragte er grinsend.

Und gemeinsam trugen sie das Geschirr im Dunkeln zum Haus, um abzuwaschen. Selbst das gehörte zu diesem vollkommenen Abend.

Doch jetzt schwebte dazu noch der Hauch einer Kriminalgeschichte in der Luft.

4. Megan

Mit einem Becher Kaffee von Huffington’s in der Hand stieg Jack die schmale Treppe zu Sarahs Büro hinauf und klopfte oben an die Tür.

»Es ist offen«, erklang Sarahs Stimme, und Jack ging hinein.

Er erkannte sofort, dass sich der Raum während der letzten paar Wochen, in denen er nicht hier gewesen war, verändert hatte.

Einige der großen Computer waren weg, und die alten Schreibtische waren durch schlankere, skandinavisch wirkende ersetzt worden.

Dadurch erschien alles geräumiger, ja … moderner.

Chloes Einfluss macht sich schon bemerkbar, dachte Jack. Und vielleicht ist das gut so.

Sarah und Chloe saßen an einem neuen großen Konferenztisch gegenüber einer jungen Frau in Jeans und einem neuen Ramones-T-Shirt, das absichtlich ausgebleicht war, um abgetragen auszusehen.

Ein paar Nasenstecker funkelten im Licht, und auf einer Hand hatte sie ein kleines Tattoo.

Die junge Frau blickte zu Jack auf und lächelte.

»Das ist Megan«, stellte Sarah sie vor, als Jack seinen Kaffee abstellte. »Und das ist …«

»Sie sind Jack«, kam die junge Frau ihr zuvor. »Ich habe viel von Ihnen gehört.«

»Ach ja?«, erwiderte Jack. »Hoffentlich Gutes.«

»Sie haben vor einigen Jahren meiner Großmutter geholfen«, erklärte sie. »Und dann die Sache an der Schule – wissen Sie noch? Das war irre!«

»Ich versuche immer nur zu helfen«, sagte Jack, der sich sehr gut an den Fall erinnerte, den sie an der Cherringham High School aufgeklärt hatten. »Und vergessen Sie nicht, dass Sarah und ich als Team arbeiten. In diesem Gespann ist Chloes Mutter der wahre Kopf.« Er schaute sich wieder um. »Und … sollte nicht noch jemand kommen?«

»Ella, ja«, antwortete Megan. »Ich schätze, sie ist aufgehalten worden.«

»Fangen wir trotzdem an, Jack«, sagte Chloe und öffnete einen Laptop vor sich auf dem Tisch. »Megan, erzähl meiner Mutter und Jack, was du mir berichtet hast.«

Jack sah, wie sie zu ihm und ihrer Mutter blickte. »Oh, Verzeihung, ich wollte mich eigentlich nicht einmischen. Ihr solltet sagen, was …«

Jack lächelte. »Kein Problem, Chloe, und du hast ja recht. Megan, wie wäre es, wenn Sie uns von Zach erzählen und erklären, warum Sie glauben, dass an seinem Tod mehr dran ist, als die Leute denken?«

Er sah sie direkt an, lächelte ihr aufmunternd zu und zückte seinen Notizblock und einen Stift.

»Am besten von Anfang an.«

Und Megan begann zu erzählen.

Sarah hörte aufmerksam zu, während Megan beschrieb, wie Zach und sie zusammen in Cherringham zur Schule gegangen waren, einander aber erst viel später richtig wahrnahmen, als sie an derselben Uni landeten und beide mit dem Exploring anfingen.

»Wir haben einige echt coole Reisen zusammen gemacht, und ich habe Zach geholfen, seinen Blog und seinen YouTube-Kanal zum Laufen zu bringen. Und dann … tja, dann sind wir irgendwie ein Paar geworden.«

»Und … Sie sind schließlich zurück nach Cherringham gekommen, ja?«, fragte Sarah.

»Nun, genau genommen blieb mir nichts anderes übrig«, antwortete Megan. »Ich habe keinen Job gefunden und wohne daher wieder bei meinen Eltern.«

»Kommt mir bekannt vor«, sagte Chloe.

Sarah lächelte ihrer Tochter zu.

Gutes Kind, dachte sie. Sie sorgt dafür, dass es locker bleibt.

»Und was ist mit Zach?«, erkundigte sich Jack. »Ist er auch wieder bei seinen Eltern eingezogen?«

»Musste er nicht«, antwortete Megan. »Sein YouTube-Kanal hat abgehoben und ihm sehr viel Geld eingebracht. Er hat eine Wohnung in der Cherringham Crescent gekauft.«

Sarah sah zu Jack. Sie beide waren schon in der Crescent gewesen, der einzigen Straße im Ort mit georgianischen Reihenhäusern – die berühmt dafür war, dass die Wohnungen dort nicht unter einer halben Million weggingen.

»Und Sie beide haben mit dem Exploring weitergemacht?«, fragte sie.

»Ja. Wir haben uns mit einigen anderen Freunden zusammengetan, uns irgendwie alle gegenseitig unterstützt und gemeinsam Trips gemacht.«

»Nur noch mal zur Erinnerung: Wer gehört zur Gruppe?«

»Oh, das sind Tom, Luke und Ella.«

»Und alle sind hier aus dem Dorf?«, hakte Jack nach.

»Ähm, ja. Wir sind richtig gut befreundet.«

»Luke war bei Ihnen, als Sie Zach gefunden haben, nicht wahr?«, fragte Jack.

»Es war seine Idee, zum Blackwood House zu gehen und dort nach ihm zu suchen.«

»Und das war letzten Montag, oder?«, merkte Sarah an, die sich notierte, Luke zu fragen, woher er wusste, wo sie suchen sollten.

»Ja«, bestätigte Megan.

Sarah sah, dass sich ihre Augen bei der Erinnerung mit Tränen füllten. Sie beugte sich vor und legte ihre Hand auf Megans.

»Ist es okay für Sie, wenn wir Ihnen diese Fragen stellen?«

»Ja, klar, alles cool. Es muss ja sein.«

Sarah blätterte in ihrem Notizblock zurück. »Nur um sicherzugehen, dass wir alles in der richtigen zeitlichen Abfolge haben … Wann hatten Sie Zach zuletzt gesehen?«

»Das war so sieben, acht Tage vorher. An dem Samstag. Wir fuhren alle nach Reading, um uns dort dieses alte, verlassene Bürogebäude anzusehen. Danach waren wir hier im Ploughman, haben ein bisschen Billard gespielt, einige Biere getrunken. Als der Pub zugemacht hat, bin ich mit Zach zu seiner Wohnung zurückgegangen. Am Sonntag haben wir nur gechillt, Netflix geguckt, rumgehangen und so.«

»Verstehe«, sagte Jack. »Und in welcher Stimmung war Zach? Erinnern Sie sich noch?«

»Zach? Dem ging es gut. Er war immer gut drauf. Ausgeglichen, verstehen Sie? Wir haben sogar davon geredet, zusammen nach Japan zu reisen und ein paar Live-Feeds zu machen.«

»Aber Blackwood House hat er nicht erwähnt?«, fragte Sarah.

»Nein. Ich erinnere mich nicht, dass er jemals über das Haus gesprochen hat.«

»Und an dem Sonntagabend – haben Sie da wieder bei ihm übernachtet?«

»Nein, ich musste nach Hause. Am nächsten Tag sollte ich ja arbeiten und so.«

»Okay, und was ist am Montag passiert?«, wollte Jack wissen.

»Nichts«, sagte Megan. »Das war es ja eben. Er hat sich überhaupt nicht gemeldet. Am nächsten Tag dasselbe. Und dann habe ich die ganze Woche nichts von ihm gehört.«

»War das ungewöhnlich?«

»Oh ja, das war es. Zach konnte schon mal auf Einzelgänger machen, einfach verschwinden, in einen Flieger steigen. Aber früher oder später hat er mir immer eine Nachricht geschickt, wo er ist.«

»Und diesmal nichts?«

»Nein. Das war das Unheimliche. Er blieb sonst immer in Kontakt mit mir.«

»Deswegen waren Sie also besorgt, Megan. Und was war das Letzte, was Sie von ihm gehört haben?«, fragte Jack.

»Das war am Sonntagabend, als ich ins Bett gegangen war. Der übliche Gutenachttext.«

Sarah entging nicht, dass Megan zur Seite blickte, und sah zu Jack – dem es wahrscheinlich auch auffiel.

»Gut, damit ich es richtig verstehe …«, sagte Jack. »Er war komplett offline – keine Nachrichten, nichts – ab Montagmorgen. Und die Polizei sagt, dass er am Donnerstag gestorben ist?«

»Ja«, bestätigte Megan.

»Wissen Sie zufällig, warum sich die Polizei dessen so sicher ist?«, fragte Sarah.

»Oh ja, wegen seiner GoPro.«

»Das ist seine Helmkamera, nicht?«, wollte sich Jack vergewissern.

»Ja. Die hat man nämlich beim Exploring immer an. Die Polizei hat uns erzählt, dass sein Kameravideo zeigt, wie er an dem Donnerstagabend im Blackwood House war, bis zu …«

Schnell stellte Sarah eine andere Frage, ehe Megan Zeit zum Nachdenken hatte: »Sie meinen, die Zeitanzeige legt es auf den Donnerstagabend fest?«

»Ja, eindeutig.«

Wieder sah Sarah zu Jack. Er dachte offensichtlich dasselbe wie sie.

Wo genau war Zach vom Sonntagabend, als Megan ihn verlassen hatte, bis zum Donnerstag?

Abermals schaute Sarah in ihre Notizen, und ihr fiel noch eine andere Frage ein: »Sie haben gesagt, dass Luke vorgeschlagen hatte, im Blackwood House nach Zach zu suchen?«

»Ja.«

»Wie ist er darauf gekommen, dass Zach dort sein könnte?«

»Ihm ist kurz zuvor wieder eingefallen, dass die beiden einige Wochen vorher, als sie zusammen abhingen, über das Spukhaus sprachen. Luke hat gesagt, dass Zach ganz scharf darauf war, es sich mal anzusehen.« Megan holte tief Luft. »Mir hat er das aber nie erzählt.« Sie rang sich ein trauriges Lächeln ab. »Vielleicht hat er gedacht, dass ich mir dann Sorgen mache.«

»Was ist denn mit Blackwood House? Heißt es wirklich, dass es dort spukt?«, fragte Sarah.

»So lautet jedenfalls das Gerücht. Dort sind schon üble Sachen passiert, wenn man alles glaubt, was geredet wird. Das hat Zach anscheinend zu Luke gesagt. Und hat hinzugefügt, dass es, wenn es da wirklich spukt, doch riesig wäre, das auf seinem Kanal zu bringen. Die Zahlen dort würden wieder richtig raufgehen.«

Sarah war sogleich klar, was Megan mit dem letzten Satz unausgesprochen angedeutet hatte.

»Die Zahlen von Zachs YouTube-Kanal – also die Anzahl der Klicks, Follower oder von was auch immer – sind demnach zurückgegangen, ja?«, hakte sie nach. »Und mit ihnen seine Einnahmen?«

Die junge Frau zuckte mit den Schultern. »Es gibt so viel Konkurrenz durch andere Explorers. Da darf man in seiner Arbeit nie stehen bleiben, sonst gehen die Leute woandershin. Und das Geld geht mit ihnen. Es muss immer was Neues, was Aufregendes kommen.«

Sarah sah, dass Jack zu ihr schaute und kaum merklich nickte.

»Etwas Gefährliches vielleicht? Erzählen Sie mir von diesem Blackwood House«, übernahm er nun die Befragung. »Hat es Sie überrascht, dass er allein hingegangen ist?«

Natürlich war Sarah gleich klar, dass Jack hier auf etwas gestoßen war. Wieder blickte Megan zur Seite. Der Verlust war noch so frisch, von dem Horror ganz abgesehen, dass sie selbst die Leiche ihres Freundes gefunden hatte.

Sarah, die dicht neben Jack und Chloe saß, wartete einfach geduldig.

Langsam drehte Megan sich wieder zu ihnen.

»Und wie!«, antwortete sie. »Wir sind nie allein urbexen gegangen. Das war für uns wie eine feste Regel. Eine klare Abmachung unter Freunden.«

»Und dennoch hat er es getan?«

Megan nickte.

»Erzählen Sie uns, was sich genau abgespielt hat, als Sie mit Luke dorthin gegangen sind«, forderte Jack sie auf.

Sarah hörte aufmerksam zu, als Megan beschrieb, wie sie das Haus inspizierten – erst die Räume unten, dann den Korridor oben, schließlich die Tür, den Schock.

An diesem Punkt lehnte sich Jack vor und fragte sehr ruhig: »Und irgendwie war Zach an dieselbe Stelle wie Sie gelangt und dort hinabgestürzt?«

Hierauf schüttelte Megan den Kopf. »Nein, das ist es ja gerade! Wir reden hier über Zach Woodcote! Er ist der Beste von uns allen. Vielleicht sogar der weltbeste Urbexer überhaupt!« Wieder schüttelte sie den Kopf. »Zach wäre niemals versehentlich so gestürzt. Er wäre auch nie einfach so in ein Zimmer hineingegangen wie ich.«

Sarah wurde stutzig. Megans Worte konnten nur eines heißen.

»Denken Sie, dass ihm etwas passiert ist, Megan?«, fragte sie. »Dass jemand ihn vielleicht absichtlich verletzt hat? Irgendwie den Sturz herbeigeführt hat?«

Hier sah sie Megan die Stirn runzeln, als würde sie jetzt zum ersten Mal begreifen, was ihre Worte implizierten.

»Ja, ich glaube schon. Ich meine …«

Sarah senkte die Stimme. »Haben Sie eine Ahnung, wer das sein könnte?«

Stille.

Hat Megan tatsächlich jemanden in Verdacht? Oder versucht sie hier schlicht, der Realität von Zachs Tod auszuweichen?, fragte Sarah sich.

»Ich meine, hatte Zach Feinde? Oder könnte er in irgendwelchen Schwierigkeiten gesteckt haben?«

Sarah blickte kurz zu Chloe, um zu sehen, wie sie all dies aufnahm. Teilte sie Megans feste Überzeugung, dass es kein schrecklicher Unfall gewesen sein konnte?

Chloe bemerkte ihren Blick, dennoch konnte Sarah nicht erkennen, was ihre Tochter dachte.

Gott sei Dank, dass Chloe kein Urbexer ist!

Sarah dachte an die nächsten schwierigen Fragen, als sie hörte, wie die Tür unten geöffnet wurde und Schritte die Treppe hinaufkamen.

Ein weiteres Mitglied der Gruppe, die in verlassene Häuser eindrang, kam hereingeeilt. Dunkles, lockiges Haar, leuchtend blaue Augen, die selbst aus einigen Schritten Entfernung auffielen. Die Miene des Mädchens war sehr ernst.

»Entschuldigung! Ich bin Ella. Wurde leider von einem Haufen Sachen aufgehalten.«

Ohne Megan anzusehen, schnappte Ella sich einen Stuhl und zog ihn an den Tisch.

Sarah entging nicht, wie Megan ihre Freundin ansah, die zu spät zu diesem Gespräch gekommen war.

Es war ein verärgerter, fast wütender Blick, der Sarah aufgrund seiner Intensität überraschte.

Im nächsten Moment war er fort, und Megan berührte lächelnd Ellas Hand.

Doch Sarah hatte es bemerkt.

5. Ella

»Ella«, sagte Sarah, »wir sprechen gerade mit Megan darüber, dass es bei Ihnen solch eine Regel gibt, nie irgendwo allein reinzugehen. Also warum hätte Zach allein ins Blackwood House gehen sollen und …«

Doch hier stockte Sarah.

Denn kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, nahm sie etwas in Ellas Augen wahr. Und dann kam Sarah der Gedanke, dass Ella vielleicht Megan widersprechen würde.

Falls ja, könnte das wichtig sein.

Jack fragte: »Ella, ist es seltsam, dass jemand von Ihnen allein in solch ein Haus geht?«

Ein kleines Zögern.

»Na ja, wir haben einen Code. Geh niemals allein – für den Fall, Sie wissen schon, dass so etwas passiert, was Zach zugestoßen ist. Man braucht jemanden bei sich. Das ist eine Art Regel.«

»Die Zach«, fuhr Jack fort, »in diesem Fall ignoriert hat. War es das erste Mal, dass das vorgekommen ist?«

Megan nickte. Doch wieder achtete Sarah auf Ella.

Sie stimmt nicht zu.

»Ella, wissen Sie, ob Zach das früher schon einmal gemacht hat?«

»Na, da ist das eine Mal, von dem alle wissen«, antwortete Ella achselzuckend. »War ja im verfluchten Internet.«

Inzwischen hatte Megan sich zu ihrer Freundin umgedreht – vielleicht war sie sich nicht sicher, ob sie wollte, dass Ella diese Geschichte gleich enthüllen würde.

»Oben in Aberdeen. Ein großes, verlassenes Elektrizitätswerk. Es hieß, dass es da gefährlich ist. Und Zach ist ganz alleine rein.«

Nun war Sarah verwirrt. Wenn die Gruppe einen Kodex hatte, wie solche Dinge zu handhaben waren, warum unternahm Zach dann einen Alleingang?

Diese Frage müssten sie noch stellen. Doch zuerst wollte sie wissen: »Megan, haben Sie auch gewusst, dass Zach so etwas schon mal gemacht hat?«

Sie zuckte mit den Schultern, als wäre es nebensächlich, erklärte dann jedoch: »Er hat gewusst, dass er es nicht soll. Wir haben sogar darüber geredet, und er hat mir versprochen, dass er so etwas nicht mehr macht.«

Woran er sich offenbar nicht halten wollte, dachte Sarah.

»Also – eine Frage an Sie beide: Warum hätte Zach es trotzdem tun sollen?«

Hierauf schüttelte Ella den Kopf.

»Ist doch offensichtlich. Er hat es allein gemacht, damit er die Klicks auf seinem Kanal bekommt. Eine Solo-Hausinvasion. Ohne Absicherung durch andere. Mich wundert, dass er es nicht live gestreamt hat. Die Leute mögen solchen Kram. Und so gut Zach auch gewesen ist – bei ihm hat sich alles ums Geld gedreht.«

Megan widersprach sofort. »Stimmt nicht. Das ist überhaupt nicht wahr!«

Rasch drehte Ella sich zu Megan. »Komm schon, Megan. Ich weiß ja, dass du Zach sehr gemocht hast. Haben wir alle. Aber du weißt auch, dass es für ihn eher ein Geschäft war. Eine Solo-Invasion? Pures Gold.«

Das schien Megan zum Schweigen zu bringen.

»Tja, wir wissen, dass er allein war«, stellte Jack fest, der ruhig sprach, denn er spürte deutlich, dass hier intensive Gefühle im Spiel waren. »Wie man uns gesagt hat, ist niemand anders auf dem GoPro-Video zu sehen. Und nach dem, was Sie beide erzählen, haben wir auch eine recht gute Vorstellung, warum er das gemacht hat.«

»Gut«, befand Ella. »Schön, dass wir das geklärt haben.«

Sarah hatte den Eindruck, dass Ella beinahe wütend auf den toten Zach zu sein schien. Eine merkwürdige Reaktion, auch wenn Trauer sehr Unterschiedliches bei Menschen auslösen konnte.

Auf jeden Fall sollte sie mit Jack darüber sprechen.

»Okay, Ella«, sagte er, »eines hat Megan noch erwähnt. Zach war gut in dem, was er tat – und dann unterlief ihm solch ein Fehler? So ein Sturz? Wie kann das passieren?«

»Ich schätze, auch die Besten haben mal einen miesen Abend.«

Sarah bemerkte, dass ihre Tochter sie aufmerksam beobachtete. Chloe hat Jack und mich noch nie bei dem hier erlebt.

Und erst recht nicht mit einer Person, die sie kannte – mit der sie sogar befreundet war.

»Glauben Sie das wirklich? Dass er nur ›einen miesen Abend‹ hatte?«

Ella ließ sich Zeit mit der Antwort.

»Was soll es sonst gewesen sein?«

Sarah blickte hinüber zu Megan, die nun selbst eine Frage hatte.

»Aber Sie gehen dem doch trotzdem nach, oder? Bitte. Sagen Sie, dass Sie nachforschen!«

Sarah sah zu Jack, der sehr dezent nickte, während er seinen Notizblock zuklappte.

»Ja. Natürlich könnte sich herausstellen, dass es ein schrecklicher Unfall war. Doch es schadet nicht, wenn wir uns mal ansehen, wie es passiert ist.«

Auf Sarahs Worte hin stand Ella auf.

Was sie dann sagte, überraschte Sarah. »Gut. Zach hätte das gewollt. Ich meine, bei seinem Ruf und so. Also, danke.«

Megan erhob sich gleichfalls und sah erst Jack, dann Sarah an. »Ja, danke.«

Sarah glaubte, damit wäre es vorbei. Aber als sie aufstand, sagte Jack: »Oh, Ella, nur eine Frage noch.«

»Klar.« Ella runzelte die Stirn.

»Danke.« Abermals schlug Jack seinen Notizblock auf. »Wann haben Sie Zach zuletzt gesehen?«

»Ich?«

»Ja.«

»Ähm …«

Diese simple Frage schien Ella zu schockieren. Sie war wie versteinert.

Und Sarah bemerkte, dass Megan ebenso erstarrt war … Doch vielleicht aus einem anderen Grund.

»Tut mir leid«, sagte Jack. »Ich weiß, wie das ist. Wenn so etwas geschieht, ist das Gedächtnis auf einmal wie leer gefegt. Keine Sorge, wenn Sie sich nicht genau erinnern können –«

»Nein, nein, ist schon gut«, fiel Ella ihm ins Wort.

Und dann platzte sie mit der Antwort heraus, als wäre sie erleichtert darüber, dass ihre Aussage völlig plausibel klang. »Das war am Samstagabend, einige Tage bevor er … In dem Pub. Dem Ploughman. Wir haben Billard gespielt. Zusammen. Alle von uns. Stimmt es nicht, Megan?«

Megan nickte stumm.

»Großartig«, sagte Jack, steckte seinen Notizblock ein und lächelte Ella und Megan an. »Passen Sie beide auf sich auf.«

Sarah beobachtete, wie die beiden jungen Frauen sich umdrehten und die Treppe hinuntergingen. Sie wartete, bis sie hörte, wie die Tür unten hinter ihnen ins Schloss gefallen war.

»Tja. Was sagen wir dazu?«, fragte sie.

Jack gingen eine Menge Gedanken durch den Kopf. Dieses Gespräch war nicht ganz so verlaufen, wie er gedacht hatte.

Aber eine Sache hatte Vorrang.

»Ich würde sagen, wir schlendern hinüber zu Huffington’s und planen ein bisschen.«

Ihm fiel auf, dass Chloe nun neben ihrer Mutter stand. Womöglich dachte sie, sie drei würden ins Café gehen.

Er musste nichts sagen, denn Sarah wandte sich bereits an ihre Tochter.

»Du bleibst am besten hier und arbeitest weiter an dem –«

»Moment mal!«, unterbrach Chloe sie verblüfft. »Wir reden hier über meine Freundin! Ihr Freund ist tot. Findest du nicht, ich sollte helfen?«

Sarah legte eine Hand auf Chloes Unterarm und erklärte sehr behutsam: »Chloe, genau deshalb solltest du nicht dabei sein. Jack und ich können nicht wissen, was wir finden werden. Oder was möglicherweise noch geschieht. Vielleicht nichts. Eventuell ist es kein Fall. Aber das sind deine Freunde, und darum wäre es keine allzu gute Idee, wenn du bei den Nachforschungen mitmachst.«

Jack fand nicht, dass Chloe – ihrem Blick nach zu schließen – besänftigt wirkte.

Und er musste daran denken, wie Chloe vor Jahren ihr Brückenjahr in Frankreich um ein weiteres verlängerte und sich um ein Haar verlobt hätte.

Sarahs Chloe hätte für immer fort sein können. Ihr Leben, ihre Entscheidung.

Doch am Ende war Chloe älter und klüger zurückgekommen. Und jetzt schien das Band zwischen Sarah und ihrer Tochter stärker denn je. Dennoch …

»Ich kann helfen, Mum. Das weißt du. Bei vielem. Ich könnte …«

Sarahs Hand blieb auf ihrem Unterarm.

»Ja, das weiß ich. Aber vielleicht ein anderes Mal. Bei einem anderen Fall, wo du nicht persönlich involviert bist. Das ist vielleicht besser. Stimmt’s, Jack?«

Jack lächelte. »Sicher kannst du uns helfen, nur nicht dieses Mal.«

Und schließlich sah er, wie sich Chloes Miene veränderte, als sie es einsah.