Christoph Blumhardt Predigten -  - E-Book

Christoph Blumhardt Predigten E-Book

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Beschreibung

Eine Nachlese aus den Predigten, Andachten und Schriften von Christoph Blumhardt (1842 - 1919) unter Verwendung der Aufzeichnungen aus dem Nachlass von Robert Lejeune, dem Herausgeber der ersten vier Predigtbände.

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Seitenzahl: 678

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhaltsverzeichnis

Der neue Tag Lk 19, 1 - 10

Die kleine Herde Lk 12, 3

Die heilige Stadt Off 21, 1- 8

Der Vater im Himmel Jh 14, 11 – 13

Vom Seligwerden Mt 5, 3 – 12

Der Prediger Joh. Chr. Blumhardt

Himmlisches Heimweh Ps 126

Das neue Israel Ps 130, 8

Gruß vom Himmel Off 1, 4 – 9

Himmlische Antwort Jes 65, 24

Die Krone des Lebens Off 2, 8 – 11

Die Gerechtigkeit Gottes Rö 5, 1 - 5

Jesus und die Kinder Mk 10, 14

Die Kraft aus der Höhe Lukas 24, 49 – 53

Erinnerung an F. Zündel

Joh. Chr. Blumhardt – eine Charakteristik

Von der Liebe Gottes Jes 57, 15 – 19

Geöffnete Ohren Mk 7, 31 – 37

Glaube an Christus Jh 14, 1

Pflanze des Guten Rö 7, 22 – 25

Der Geist Gottes Jo 3, 1 – 2

Der Sieg des Glaubens 1 Jh 5, 4

Das Ende der Dinge 1 Pt 4, 7

Lebendiges Wasser Jh 7, 37 – 39

Gottes Wege Ps 32, 8

Ich und Gott Jes 44, 6 –

Der Tag Jesu Christi 2 Ti 1, 12

Joh. Chr. Blumhardt – 100 Jahre

Die befreiende Macht Mt 9, 2 – 7

Der gegenwärtige Heiland Off 3, 20 – 21

Schafe unter Wölfen Mt 10, 16 – 20

Das Licht in der Finsternis Ps 18, 29

Das Licht des Lebens Jh 8, 12

Von der richtigen Klugheit Mt 25, 1 – 13

Das Väterliche Gottes Jh 12, 44 – 48

Vom Anfang des Evangeliums Mt 4, 12–17

Der Sonntag der Kinder Mk 10, 13 – 16

Von der Wachsamkeit 1 Ko 16, 13 – 14

Das Gebet Jesu für die Seinen Jh 17, 1–16

Die Heilandskräfte Lk 10, 17 – 20

Leiden mit Christus 1 Pt 4, 12 – 14

Das Brot des Himmels Jh 6, 47

Das Erbteil der Heiligen Kol 1, 12

Jesus in Gesellschaft Mk 14, 3

Das Bild von Jesus Mt 12, 14 – 21

Kreuzigung und Tod Mt 26, 20 – 27, 26

Die Leidensgeschichte

Lebenslasten Ps 55, 23

Barmherzigkeit und Treue 1 Mo 32, 10

Der Geist der Kindschaft Rö 8, 15

Hinein in die Welt! Mt 28, 18 – 20

Die Werke Gottes Jh 9, 1 – 7

Arm und reich Ps 9, 10 – 11

Von der Geburt Jesu Lk 2, 1- 14

Jahreswechsel

Literatur

Abkürzungen der biblischen Bücher

Vorwort

Die Predigten und Ansprachen Christoph Blumhardts (1842 – 1919) sind auch nach über 100 Jahren von bleibender Aktualität. Der Schweizer Robert Lejeune hat sich im Auftrag der Familie und der Nachlassverwalterin, Schwester Anna von Sprewitz, der Aufgabe gestellt, die Manuskripte und Erstveröffentlichungen zu sichten und einen repräsentativen Querschnitt zu erstellen, den er in die akzentuierten Abschnitte einteilte:

Jesus ist Sieger11880 – 1888Sterbet, so wird Jesus leben!21888 – 1896Ihr Menschen seid Gottes!31896 – 1900Gottes Reich kommt.41907 – 1917

Inzwischen ist eine Neuauflage diese Sammlungen bei Books on Demand erschienen.

Blumhardt sprach ohne ein Manuskript. Seine Reden wurden mitstenografiert und in den ersten Jahren seiner Bad Boller Tätigkeit in der Nachfolge seines Vaters von ihm selbst für den Erstdruck freigegeben und dann im Selbstverlag veröffentlicht. Robert Lejeune lagen diese Publikationen vor. Er durchforschte die Mitschriften der beiden qualifizierten Stenografinnen und gab zunächst eine Probepublikation heraus, um zu sehen, ob ein Interesse vorhanden war. Als erstes erschien dann der zweite Band der Reihe.

Im Vorwort spricht Lejeune davon, dass er einen fünften Band beabsichtige. Diese Bemerkung weckte meine Neugier. Ich suchte nach dem Nachlass von Lejeune und hoffte eine unveröffentlichte Zusammenstellung für diesen Band zu finden.

Bei meinen Recherchen nach Briefen von Blumhardt bei meiner Arbeit an den Auseinandersetzungen der Blumhardt-Schüler5 erfuhr ich, dass der Nachlass von Robert Lejeune von dessen Familie der Universitätsbibliothek Basel übergeben worden war. Eine erste Anfrage ergab, dass die Dokumente sehr ungeordnet weitergeben wurden und sicherlich keine Vorauswahl enthielten.

Nach Abschluss meiner Arbeit, eine Auswahl der Briefe Christoph Blumhardts herauszugeben6, kündigte ich in Basel meinen Besuch an.

Besonderer Dank gilt an dieser Stelle Lorenz Heiligensetzer, dem Leiter der Abteilung Handschriften und alte Drucke der Universitätsbibliothek Basel, und dessen Mitarbeitenden, die vorab das Material sichteten und so vorbereiteten, dass es von mir durchgesehen werden konnte. Ich hatte eine Kartei angelegt von den bereits veröffentlichten Predigten, Ansprachen und Reden Christoph Blumhardts und fertigte deshalb nur Ablichtungen von Mitschriften an, von denen es noch keine Veröffentlichung gab.

Eine mühevolle Übertragungsarbeit begann in der ersten Hälfte 2022. War es eine große Mühe gewesen, die Handschrift Christoph Blumhardts in Maschinenschrift7 zu übertragen, so wurde diese Mühe jetzt erheblich übertroffen: die Predigtprotokolle waren von sehr verschiedenen Menschen mit sehr verschiedenen Handschriften aufgezeichnet worden. Die Besonderheiten mussten erkannt und gedeutet werden. Davon lege ich heute zwei Nachlese-Dokumentbände vor, in denen sich manches findet, dass die Botschaft Christoph Blumhardts8 ergänzt und erweitert.

Als gebürtiger Schwabe hat Blumhardt schwäbische Wörter und Redewendungen immer wieder einfließen lassen. In den Mitschriften der Stenographinnen fanden sich diese zwar noch, wurden aber bei der Transskription für den Druck fast ausnahmslos ins Hochdeutsche übertragen. Wie in der Neuauflage werden Wörter und Redewendungen im Kursivsatz hervorgehoben, wo ein schwäbischer Ausdruck zu vermuten war. Das besonders typische schwäbische Diminutiv (Festle, Dächle, Käpple, Häärle ) hat ein größeres Bedeutungsspektrum (nicht nur Verniedlichung und Verkleinerung) als man bei der Wiedergabe im Hochdeutschen vermuten würde. Das Diminutiv drückt Bewertungen aus: wohlwollend, ironisierend (Lieblingsversle ), verächtlich (Teufele Stölzle, Trötzle, Trotzköpfle, Völkle ) oder scherzhaft (Frömmigkeitsfensterle, Sprüchle, Versle ). kann auch ein Lob und eine Anerkennung ausdrücken, umgekehrt aber auch Verärgerung (Fündle, Menschenfündle ) oder einfach schwäbisches Understatement (Äckerle, Häusle, Sächle )

Auch typische schwäbische Wörter: bruddeln, Bruddelgeist, schaffen, das Geschäft, gescheit, Gescheitheit, geschickt, halten, lottern, Krutscht oder Gruscht, Lotterei, passen, Schnitzer, surren umtriebig, Umtrieb, unangenehm, Unannehmlichkeit, ungeschickt, Unverstand, wacker, weislich, wohlweislich, wüst, wurden ebenso kenntlich gemacht. Der Nuancenreichtum dieser Wörter ist für das Verständnis wichtig9.

Darüber hinaus fallen Schwäbische Redewendungen auf:

Deutsch sagen, ja holla!, Grausig, grausemäßige, halten, hinlangen, einen Lebtag machen, nagelsgroß, schier gar, wer weiß was, wunder was, was wunder,

Sprachschöpfungen Blumhardts aus armer Tropf wird Tröpfle , Gemeinde zu Gemeindle , Christenhäufle , ein Andächtler Andächteleien, aus alternativen Heilmethoden werden Hilfle und Hilfsmittele, aus Humanität Liebesgedusel , das Theologiestudium wird Gstudier abqualifiziert. Phrasenmacherei. Sterberei.

Die Menschen in der Gefolgschaft der beiden Blumhardts werden Erlebensleute genannt.

Eine weitere Eigentümlichkeit ist die Verwendung des besitzanzeigenden Genetivs: Ihr Menschen seid Gottes. Ihr Menschen seid des Heilands.

Wenn Blumhardt vom einzelnen Menschen seiner Zuhörerschaft spricht, spricht er von jedes (Gemeindeglied, Einzelne) von Euch.

Darüber hinaus ist die Sprache Christoph Blumhardts geprägt vom Deutsch der Lutherbibel[1872]. Seinen Ansprachen liegen oft die tägliche Losung (Sie wird jedes Jahr in Herrnhut aus ca. 1800 altestamentlichen Bibelversen ausgelost) und der Lehrtext (Er stammt immer aus dem Neuen Testament und wird, thematisch passend, zur Losung ausgesucht.) der Herrnhuter Brüdergemeine zugrunde. Als roter Faden stellt sich die Verkündigung des wiederkommenden Jesus Christus und das Reich Gottes heraus.

Die Zeichensetzung und Rechtschreibung wurde heutigen Regeln behutsam angepasst. Während der Zeit seiner parlamentarischen Tätigkeit (1900 – 1906) hat Blumhardt es angeblich es untersagt, dass seine Predigten mitgeschrieben wurden. In der Sammlung von Robert Lejeune fehlen Dokumente aus dieser Zeit. Im Nachlass fanden sich jedoch Mitschriften auch aus dieser Zeit.

An dieser Stelle soll auf die Forschungsarbeit Eberhard Kerlens hingewiesen werden, der in der Schule Rudolf Bohrens die Predigten sprachanalytisch nach der Heidelberger Methode10 untersucht hat.11

Die beiden Blumhardts, der Vater Johann Christoph (1805 – 1881) und dessen Sohn Christoph Friedrich (1842 –1919), haben die Blumhardt-Bewegung12 angestoßen, aus der die religiös-soziale und die dialektische Theologie13hervorgingen und wesentliche Impulse bekamen. Ohne dass sie je ein wissenschaftliches theologisches Buch geschrieben haben, gaben sie den nachfolgenden Generationen neue Ideen, Sprache und Formulierungshilfen14. An dieser Stelle müssen die Namen von Karl Barth (1886 – 1068), Rudolf Bohren (1920 - 2010), Emil Brunner (1889 – 1966), Hermann Kutter (1863 – 1931), Jürgen Moltmann (1926), Leonhard Ragaz (1868 – 1945), Johannes Rau (1931 - 2006), Eduard Thurneysen (1888 – 1974) genannt werden.

Jürgen Mohr

Reutlingen, im Juni 2022

1 Lejeune, Robert: Jesus ist Sieger! Predigten und Andachten 1880-1888, Zürich-Erlenbach/Leipzig 1937, Books an Demand Norderstedt 2021.

2 Lejeune, Robert: Sterbet, so wird Jesus leben! Predigten und Andachten 18881896. Zürich-Erlenbach/Leipzig 1925. Books an Demand Norderstedt 2021.

3 Lejeune, Robert: Ihr Menschen seid Gottes! Predigten und Andachten, 1896 – 1900. Zürich-Erlenbach/Leipzig 1936 . Books an Demand Norderstedt 2021.

4 Lejeune, Robert: Gottes Reich kommt! Predigten und Andachten 1907 – 1917. Zürich-Erlenbach/Leipzig 1932 . Books an Demand Norderstedt 2021.

5 Mohr, Jürgen: Von der Schwierigkeit, Christoph Blumhardt (1842 – 1919) richtig zu verstehen; oder: Mit Christoph Blumhardt auf das Reich Gottes warten – aber wie geht das? Theologische Studientexte (ThST), Band 27, Kamen 2019.

6 Blumhardt, Christoph: Briefe; Sohn eines berühmten Vaters, Band 1, Norderstedt 2022. Blumhardt, Christoph: Briefe; Pfarrer einer Gemeinde, Band 2, Norderstedt 2022. Blumhardt, Christoph: Briefe; Freund der Arbeiterschaft, Band 3, Norderstedt 2022. Blumhardt, Christoph: Briefe; Seelsorger im Hintergrund, Band 4, Norderstedt 2022 . Blumhardt Christoph: Briefe; ein gefragter Lehrer, Band 5, Norderstedt 2022.

7 Mohr, Jürgen: Die Seelsorge Christoph Blumhardts des Jüngeren (1842 -1919) in seinen Briefen, Kamen 2019.

8 Mohr, Jürgen: Macht-Ohnmacht-Vollmacht; Die Entwicklung Christoph Blumhardts des Jüngeren (1842-1919) zum „Großen Seelsorger“, Kamen 2021.

9 Fischer, Hermann: Schwäbisches Handwörterbuch / auf der Grundlage des „Schwäbischen Wörterbuchs“ von Hermann Fischer und Wilhelm Pfleiderer, bearb. von Hermann Fischer und Hermann Taigel, Tübingen, 19912

10 Bohren, Rudolf; Jörns, Klaus-Peter: Die Predigtanalyse als Weg zur Predigt, Tübingen 1989.

11 Kerlen, Eberhard: Zu den Füßen Gottes: Untersuchungen zur Predigt Christoph Blumhardts, München 1981.

12 Buess, Eduard/ Mattmüller, Markus; Prophetischer Sozialismus. Blumhardt -Ragaz-Barth, Freiburg/ Schweiz 1986.

13 Mohr: Studientexte

14 Mohr: Macht

1.

Der neue Tag

Und er ging nach Jericho hinein und zog hindurch. Und siehe, da war ein Mann mit Namen Zachäus, der war ein Oberer der Zöllner und war reich. Und er begehrte, Jesus zu sehen, wer er wäre, und konnte es nicht wegen der Menge; denn er war klein von Gestalt. Und er lief voraus und stieg auf einen Maulbeerfeigenbaum, um ihn zu sehen; denn dort sollte er durchkommen. Und als Jesus an die Stelle kam, sah er auf und sprach zu ihm: Zachäus, steig eilend herunter; denn ich muss heute in deinem Haus einkehren. Und er stieg eilend herunter und nahm ihn auf mit Freuden. Da sie das sahen, murrten sie alle und sprachen: Bei einem Sünder ist er eingekehrt. Zachäus aber trat herzu und sprach zu dem Herrn: Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück. Jesus aber sprach zu ihm: Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, denn auch er ist ein Sohn Abrahams. Denn der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.

Lk 19, 1 – 10.15

Geliebte in dem Herrn Jesus!

Mit unserem Heiland ist es Tag geworden auf Erden. Das ist die Freude, welche wir heute noch an jedem Sonntag in etwas wenigstens fühlen dürfen. Tag ist es geworden zum Leben der Menschen in diesem einen Herrn Jesus Christus, der als ein Heiland aller Menschen unter uns aufgetreten ist und jedem anderen Menschen kundgegeben hat, dass er für ihn da sei und ihn aus dem herausholen wolle, was ihn unglücklich mache und verloren. Es ist Tag, ihr Lieben, wenn wir leben können, und es ist Nacht, ihr Lieben, wenn wir nicht leben können. Wir sind in der Nacht verloren, wenn wir sterben. Wir sind am Tage gerettet, wenn wir leben. Ist es denn aber vorher, ehe der Herr Jesus kam, nicht auch Tag gewesen? Und haben wir, die wir auf Erden wohnen, nicht auch ohne den Heiland Tag? Gewiss, ihr Lieben, es ist ein Tag, ausgebreitet über alle Menschen. Und sie leben auch. Und wir können sagen, es ist ein Tag Gottes, welcher noch über die ganze Menschheit ausgebreitet ist seit jenen Tagen Noahs, an welchen Gott das Zeichen am Himmel festsetzte, dass er wolle nimmer die Menschen umkommen lassen in ihrer Sünde, sondern sie erhalten bei ihrem Leben. Es ist also ein Tag der Freundlichkeit, ein Tag der Güte Gottes, welcher zu einem Leben auf Erden noch ausgebreitet ist über die ganze Menschheit. Und dieses Tages freuen sich auch ihrer viele. Es kann alles Lebendige in irgendwelcher Weise einmal etwas von einer Freude spüren, welche von Tag zeugt und welche Leben in sich schließt.

Aber ihr wisst wohl, ihr Lieben, wenn die Sonne aufgeht und es bei uns Tag wird nach der Nacht und wir anfangen, uns zu regen und zu bewegen, wenn wir unseren Beschäftigungen uns hingeben und alle Tage wieder neu mit Lust und Freude daran gehen, – ehe wir’s uns versehen, können wir nicht mehr weiter. Wo fehlt es? Da ist es, wie wenn Stricke und Bande um unseren Leib hergezogen würden und wir darniederliegen müssten unter einer Gewalt, die wir wahrhaftig nicht mehr Tag nennen können, die wir vielmehr »Nacht« und »Finsternis« nennen. Ja, wir machen die Beobachtung, dass gerade das, was uns am Tag zur Beschäftigung ruft, was den menschlichen Geist anregt und zum Schaffen treibt auf allen Gebieten des Lebens, gerade das, was ihn auf Erden zu einem großen Menschen macht in allerlei Künsten und Wissenschaften, in Geistestaten der Menschen, dass das alles uns mehr und mehr ermüdet, sodass wir nur zu leicht, gerade durch den Erwerb unseres Lebens in Schaden und in Nacht kommen, in Schaden unseres Lebens und damit in die Nacht des Todes.

Ach, ihr Lieben, das ist das traurige Los auch der Menschheit, die wir noch unter der Güte und Langmut Gottes wenigstens eine Zeitlang leben sehen: deswegen muss ein »neuer Tag« werden in dem irdischen Tag, in welchen wir gesetzt sind durch unsere Geburt, durch unser Leben, durch unsere Tätigkeit. Mit diesem Tag können wir noch nicht zufrieden sein. Unsere Seele lechzt nach etwas anderem, und wenn es nirgends zu sehen wäre und wenn wir gar nichts wüssten davon, so könnten wir doch nicht anders, als mit Inbrunst unseres Herzens umhersehen und suchen, ob wir nicht noch etwas anderes finden als nur das, was dieser Weltentag uns darbietet und was wir in demselben tun und treiben können.

Oh, ihr Lieben, da freut es uns, dass wir so glücklich sind, nicht mehr lange suchen zu müssen, sondern, dass wir mit klarem hellem Blick einen Tag erkennen können, welcher wahrhaftig alle unsere Bedürfnisse stillt, welcher unserem Sehnen entgegenkommt und welcher uns wahrhaftiges Leben, ewiges Leben und ganze Gnade und Wahrheit verleiht. Ihr wisst, welchen Tag ich meine, der über dem Erdentag steht, ich meine: Den Tag des Jesus Christus. Dieser Tag ist aufgegangen, wie der Heiland in die Welt gekommen ist. Er blieb eine Zeitlang verborgen, aber als der Heiland öffentlich ins Leben hereintrat und sich kundgab unter seinem Volk, da war es, wie wenn ein Lichtstrom und Lebensstrom durch das Land gezogen wäre. Ja, die Herrlichkeit unseres Gottes, des großen Schöpfers Himmels und der Erden, war im Verborgenen um ihn her, sodass es wirklich Tag wurde in dem Land. Es wurde Leben. Es wurde Wahrheit. Es wurde Licht unter allen denen, unter welchen sich der Herr Jesus befand, weil ein »neuer Tag« mit ihm sich ausbreitete.

Geliebte in dem Herrn, in diesem Tag leben wir heute noch, denn der Herr Jesus will nicht von der Erde geschieden sein, wenn er auch jetzt in den Himmeln droben herrscht zur Rechten des Vaters im Himmel. Aber dazu herrscht er droben, damit er von droben her in seinem Herrscherrecht auf Erden bleibe, damit diejenigen, die ihn suchen wollen als den Vertreter des »neuen Tages«, wirklich in einen »neuen Tag« auch kämen, dass diejenigen, die mit dem irdischen Tag und Tagewerk nicht zufrieden sind, einen »neuen Tag«, ein neues Tagewerk fänden und in diesem Tag und Tagewerk lebten, nicht nur ein, zwei, drei, zehn, zwanzig, sechzig Jahre, nein, damit sie ewiglich lebten und nimmer stürben, ob sie gleich stürben16. Wollen wir, Geliebte in dem Herrn, heute doch auch alle miteinander diesen Herrn Jesus Christus und seinen Tag suchen! Wahrlich, wenn wir Vertrauen haben auf die Erscheinung unseres Herrn Jesus Christus, wenn wir Vertrauen haben zu dem, was er gesprochen, was er getan hat, zu dem, was er gelitten hat, wie er gestorben ist am Kreuz um unserer Nacht willen, wenn wir Vertrauen haben zu dem, der auferstanden ist von den Toten und nun lebt von Ewigkeit zu Ewigkeit, zu dem, von dem es heißt. »Ich bin das A und das O, der Erste und der Letzte, der da war und der da ist und der da kommt.«17, wenn wir Vertrauen haben zu unserem lieben, erhöhten, zur Rechten des Vaters im Himmel sitzenden und herrschenden Heiland Jesus Christus, dann wollen wir in dieser Welt seinen Tag suchen. Dann können wir ihn auch suchen und dann dürfen wir ihn suchen, wer wir auch seien, ob wir Gerechte oder Ungerechte heißen, ob wir verlorene oder verdammte Menschen heißen, ob man uns lobt oder tadelt in dieser Welt, wir dürfen und müssen ihn suchen, denn eines fehlt uns allen gleichmäßig: es ist das ewige Leben, und in diesem Jesus sehen wir den Tag, der uns zum ewigen Leben ruft.

Freut euch, ihr Lieben! Jauchzt, dass es der Himmel höre und die Erde dröhne! Jauchzt, dass wir einen Tag haben, und dass wir ihn suchen dürfen. Es ist auch schon große Freude geworden über diesen Tag auf Erden; so unvollkommen wir Christen auch sind im Suchen des Tages, der mit dem Herrn Jesus uns schon angeboten ist zu unserem Leben, so ist es doch immer wieder so gewesen, seitdem der Herr Jesus auf Erden wandelte, dass es in ihm und in seinem Namen Licht wurde über vielen Menschen. Wir können uns auch in unserer Zeit nicht beklagen, ja, wir können sagen: unsere Zeit bringt uns mehr Tag, mehr Licht, mehr Leben aus den Gebieten des Himmels heraus unter die Menschenkinder herein als irgendeine andere Zeit. Wir sehen auch, wie das Evangelium sich ausbreitet in der ganzen Welt, wie auch in der Christenheit ein Regen und Bewegen ist, ein Eifer und eine Tätigkeit, manchmal auch in Unklarheit und Unverstand, aber viele redliche Herzen, viele treue Gemüter sehen wir doch. Es ist Tag geworden auf Erden, und es bleibt Tag, und es wird auch wieder Tag werden, ganzer Tag werden. Darum freuen wir uns und wollen unsererseits mit an dem großen Werk des Suchens des Tages von Jesus Christus teilnehmen, damit wir selber in diesem Tag ewiges Leben gewinnen und damit wir auch mithelfen, dass andere Leute diesen Tag finden und ewiges Leben gewinnen.

Aber, ihr Lieben, fragen wir uns weiter: Was tut dieser Tag des Jesus Christus an uns? Darauf soll unsere Geschichte heute führen, da wir einen Mann sehen, der im irdischen Tag ein großer Mann geworden ist, ein »Oberster der Zöllner«, d.h. ein rechter Geschäftsmann, der seine Sache durch und durch verstand und sich viel erworben hatte, auch allgemeines Ansehen genoss, wie es eben geht: wenn einer viel Geld hat, ist er bald ein angesehener Mann. Und man drückt die Augen zu über dem, was nicht ganz in der Ordnung bei ihm ist. Dieser Mann, Zachäus, muss uns predigen, was der Tag des Jesus Christus schafft; in vier Worten können wir es zusammenfassen:

1. Der Tag zieht uns heraus aus der Nacht unseres diesseitigen Lebens.

2. Der Tag bringt uns mit dem Mann des Tages, mit dem Herrn Jesus, zusammen.

3. Der Tag aber richtet uns auch.

4. Der Mann des Tages nimmt uns in Ehren an.

Das, ihr Lieben, dürfen wir heute ein wenig betrachten und dürfen sehen, wie der allmächtige Gott in diesem Tag durch den Herrn Jesus in Gnaden alles an uns zurechtbringt, was zurechtgebracht werden muss, damit wir Sünder zu dem Ziel kommen des ewigen Lebens und des Heils im ewigen Leben.

1. Der Tag zieht uns aus unserer Nacht heraus.

Wie der Herr Jesus im Lande auftrat, da hat alles gemerkt: Es ist etwas Neues im Lande. Es ist nicht so wie gewöhnlich, wenn ein großer König kommt oder sonst ein beliebter Mann, dem alles zuströmt. Es regt sich nicht in äußerlichem Wesen, sondern es regt sich in den Seelen der Menschen. Sie merkten: jetzt ist etwas für unser tieferes Bedürfnis gegeben! Ins Land gekommen ist ein Mann, der hat etwas, was uns mehr geben kann, als die ganze Welt enthält. Und das zieht an den Seelen, das reißt sie heraus aus dem, was sie sonst liebgewonnen haben, selbst aus ihren Ehren und Würden. Und sie müssen – ihre Seele tut es nicht anders – sie müssen heraus und begehren den Mann zu sehen, in welchem der Tag leuchtet. So ist es dem Zachäus gegangen. Und er hat dem Ziehen seiner Seele nachgegeben. Er konnte nimmer anders. Er merkte: »In dem Heiland Jesus Christus ist etwas, das brauche ich auch! Da muss ich heraus aus meinem Geschäft, aus meinem Hause, da muss ich Zeit dranrücken, da muss ich hin und sehen, was doch das ist!«

Ach, ihr Lieben, lassen wir uns doch auch recht ziehen! Ich habe euch schon gesagt: »Der Tag unseres Heilandes ist noch da.« Es verbreitet sich da und dort ein Licht von diesem Heiland. Und es strahlt in dein Herz hinein, wenn du dir Rechenschaft gibst über das, was du vom Herrn Jesus weißt und gelernt hast und lernen kannst, wenn du dir Rechenschaft gibst über den Eindruck, den dir die Erscheinung des Herrn Jesus macht. Du musst gestehen, dass dein Herz dich zu ihm hinzieht, einen liebenswürdigeren Mann hat es nicht gegeben, einen für dich passenderen Mann auch nicht, denn er ist deine Ausfüllung. Das, was dir fehlt, das ist er und das will er dir sein. Das, was du an Tod in dir hast, das ist er Leben. Das spürst du, und deswegen hast du den Heiland lieb. Ich glaube es keinem einzigen Menschen, wenn er mir sagt, er habe den Heiland nicht lieb. Erst in den letzten Tagen hat jemand zu mir gesagt: »Ja, zu Gott kann ich alle Tage beten, aber den Heiland habe ich noch nicht gefunden und weiß nicht, wie ich es machen soll, um an ihn hinzukommen.« Dann habe ich geantwortet: »Sei getrost, wenn du es auch noch nicht weißt, wie machen, wenn deine Gedanken auch noch nicht Herr sind über die Sache. Du hast doch den Heiland lieb und sollst ihm gehören in Zeit und Ewigkeit.« So möchte ich euch heute allen sagen: wir gehören dem Herrn Jesus in Zeit und Ewigkeit, denn wenn wir uns recht beobachten und in unsere Seele hineinsehen, so müssen wir sagen, wie haben den Heiland lieb, wie er zu uns kommt und wie er uns darreicht das ewige Leben. Wenn ihn viele nicht liebhaben, so ist’s, weil sie ihn nicht verstehen und ihre Gedanken ihnen Mühe machen. Aber Gott Lob und Dank, man wird uns einmal nach unserem Herzen richten, nicht nach unseren dummen Gedanken. Und wer ein redliches Herz hat, ein suchendes Herz, der wird auch zuletzt hingezogen von der lieblichen Erscheinung von Jesus Christus, dass er auch seufzt und sich sehnt nach etwas Neuem, das sein Leben in den Tag stellt und ihm seine Bedürfnisse stillt.

2. Wenn es so mit uns steht, ihr Lieben, dann kommt eben auch der Mann des Tages uns entgegen. Ja, das Sehnen unserer Herzen zieht den Mann des Tages selbst her. Schon dass der Herr Jesus in die Welt gekommen ist, dass der Vater im Himmel die Welt also geliebt hat, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben18, schon das ist Ursache geworden, dass der Tag angebrochen ist in seiner Erscheinung. Das Sehnen der Menschen kann der allmächtige Gott nicht ewiglich übersehen, und das Sehnen der Menschen, die jetzt Christen geworden sind, aber den Herrn Jesus nicht selber sehen, nicht mit leiblichen Augen wahrnehmen können, – dieses Sehnen, das aber schon gesteigert ist, nachdem wir so viel von einem Heiland gehört haben, das kann der liebe Gott nicht übersehen, weder bei einer einzelnen Seele, noch bei einem ganzen Volk. Ja, das Sehnen der ganzen Menschheit, die jetzt in Christus Jesus neugestellt ist und durch sein Blut Neues haben soll zur Vergebung der Sünden und die durch seine Auferstehung zum ewigen Leben bestimmt ist, – das Sehnen der ganzen Welt, es muss den Mann des Tages mehr und mehr herunterziehen von den Höhen des Himmels, in welchen er jetzt ist, sodass wir können mit ihm eine Begegnung haben. Ach, ihr Lieben, das bedürfen wir freilich! Mit bloßem Sehnen und Verlangen, mit bloßem Weinen und Jammern, mit bloßem Hunger und Durst kommen wir nicht weiter; sondern wir müssen etwas von dem Mann selbst haben, der den Tag bringt. Daran wird es sich jetzt auch beweisen, ob es wirklich Tag geworden ist in dem Herrn Jesus: ob der Mann des Tages uns begegnet oder nicht. Seid kühn in dem Herrn Jesus, ihr lieben Christen! Ihr dürft begehren, Jesus zu sehen! Ihr dürft es vom Vater im Himmel verlangen, dass der Mann des Tages euch begegne. Wenn ihr wie Zachäus, von eurer Sehnsucht getrieben, es euch auch etwas kosten lasst, vielleicht euch auch auslachen lasst auf dem Maulbeerbaum, wenn ihr vielleicht auch lange warten müsst, bis euch der Mann des Tages etwas tut, an dem ihr merkt: »Jesus lebt! Jesus ist für mich ein Heiland!« so gebt es doch nicht auf! Wachet! Betet! Der Mann des Tages weiß über kurz oder lang auch euch zu finden. Seien wir noch so sehr im Verborgenen, er erscheint dir und mir und zuletzt vielen miteinander. Er kann sich nicht entziehen, wo sehnende Herzen ihm entgegenschlagen. Er kommt! Er kommt uns entgegen, und wenn er kommt, so gibt es eine liebliche Begegnung. Ach, ihr Lieben, und wie wacht dann unser Glaubensleben auf, wenn der Heiland uns entgegenkommt! Wir spüren es, dass er sagt: »Lieber Mensch, komm doch! Komm eilend her! Ich muss heute in deinem Hause einkehren!« Und dann wird unserer Seele Labsal gegeben.

Ach, was wäre es, wenn wir das heute dürften alle empfinden! Ich weiß wohl, es ist bei vielen noch nicht Zeit. Es ist auch in der Welt noch nicht so weit, dass der Heiland sich könnte aufmachen und überall einkehren. Im Einzelnen erfährt man es wohl da und dort, dass der Heiland einkehrt. Er tut es bei denen, bei welchen die Zeit gekommen ist, deren Sehnen einen Höhepunkt erreicht hat. Aber im Großen ist es noch nicht so weit. Beten aber dürfen wir, ihr Lieben, dass wir in der Spannung bleiben, etwas von diesem Tag zu erleben und den Mann des Tages zu ergreifen, denn der Herr Jesus selbst muss schließlich eine Tat an uns tun, sonst weiß ich nicht, was ich mit unserem Christentum anfangen soll. Christentum ist ja vorhaben, und es leuchtet etwas von dem Herrn Jesus herein in die Welt, aber es schlägt nicht durch. Es muss zuletzt etwas von dem Herrn Jesus selber geschehen, dem Mann des Tages, damit uns wirklich geholfen werde. Er muss dich selbst in die Hand nehmen und dich herausreißen. Dieser Menschensohn muss uns helfen, muss in unsere Sünde und in unseren Tod eingreifen, und dessen eigene, mächtige Herrscherhand muss uns ergreifen, dass wir herauskommen. Denn das wisst ihr alle wohl: wer in den Werken dieser Welt verwickelt ist, wer lange in diesem Tag der Erde gelebt hat, wer auch wie Zachäus in seinem Geschäftseifer Übergriffe sich erlaubt hat, dass er Unverantwortliches getan hat und sich verwickelt in Sünden und Untaten, der kann nicht nur so eben herauslaufen und wieder ein ehrenwertes Kind Gottes sein. Da muss ein Mann eintreten. Es muss einer her, der die Gewalt hat vom Vater im Himmel und das Recht hat vom Vater im Himmel, seine Brüder an die Hand zu nehmen und ihnen zu sagen: »Kommt mit mir! Jetzt bin ich und du zusammengefügt. Du bist mein und ich bin dein, darum vertraue mir, denn du sollst jetzt heraus aus allen deinen Sünden und aus deiner Todesnacht.«

Das, ihr Lieben, möge auch uns begegnen! Fassen wir es ins Auge und glauben wir es! Und wenn ihr es wollt, so will ich es euch heute bezeugen im Namen des allmächtigen Gottes: der Herr Jesus wird euch begegnen! Denn ich kenne ihn. Ich weiß, wer er ist! Ich weiß, was eine Begegnung von ihm ist! Glaubt es! Sehnt euch danach! Jedes einzelne Herz hat ein Recht, dass der Herr Jesus ihm begegne, dass er, der allmächtige Herr, der Fürst und König aller Lande, dass er uns verbleibe und uns herausziehe aus den Wassern der Sünde und des Verderbens, die uns umschlingen.

3. Aber freilich, ihr Lieben, wir müssen noch anderes bedenken. Wenn wir mit dem Mann des Tages zusammengekommen sind, so geht es nicht so einfach zu. Der Tag tut weiter seine Wirkung: nun geht es ins Gericht. Viele Christen meinen, wenn sie einmal mit dem Heiland zusammengekommen seien, dann werde alles zugedeckt und ins Dunkel gehüllt, wenn man auch noch so ein böser Mensch gewesen sei. Aber so ist es nicht, sondern wenn ihr mit dem Herrn Jesus zusammenkommt, wenn er etwas an euch tut, dann macht euch gefasst darauf, dann gibt es zuerst Gericht, ohne dass er ein Wörtle verliert, ohne dass er nur irgendetwas verlauten lässt. Das ist die Wirkung des Tages. Denn wo Tag wird, da wird es hell. Da sieht man dich, wer du bist. Und wo man dich sieht, und wie man dich sieht, da treten deine Sünden und Gebrechen heraus. Kannst du dir diese Wirkung des Tages gefallen lassen oder nicht? Viele Christen machen sich äußerst anständig als Christen. Sie haben alle Formen und Worte und Gebräuche von Christen. Sie kennen die Heilige Schrift in- und auswendig. Aber wenn es gilt, durch den Tag des Jesus Christus sich richten zu lassen, dann weichen sie aus. Diese Leute aber nennt der Heiland Heuchler. Oh, ihr Lieben, lasst euch richten vom Heiland! Ich habe es schon vielen gesagt: Das Allerbeste am Heiland ist, dass unsere Sache an den Tag kommt bei ihm, dass unsere Sünden herauskommen. Wir sind sonderbare Menschen. In unserem gewöhnlichen Leben, da merken wir nicht, dass der irdische Tag Nacht ist. Da halten wir uns in Ehren, wenn nur unsere Sache vor Menschen versteckt bleibt. Wenn nur gewisse Sachen vor keines Menschen Ohr kommen, dann bleibt man ganz beruhigt. Man sucht nur die Sachen, die nicht in der Ordnung sind, zu unterdrücken und zu vertuschen. Nur still! Nur still, dass kein Mensch es merkt! Und dann erscheinen wir wieder in der Gesellschaft in strammer Haltung, höchst ehrenhaft, wie wenn gar nichts geschehen wäre. Oh, ihr Lieben, was ist denn das? Das ist Nacht. Wer aber in die Nähe des Herrn Jesus kommt, kann in solcher Nacht nicht mehr bleiben. Da muss es heraus, wer du bist! Es blasen es gleichsam die Winde in die Ohren der Leute. Die Leute sagen es wieder, wer du bist. Kannst du das ertragen?

Mein lieber Christ, ich rate dir: ertrage es! Sei froh, wenn es herauskommt. Und wenn du dich auch schämen musst, lass dir’s gefallen! Das ist der Tag des Jesus Christus über dir, wenn deine Sache herauskommt. Ach, ihr Lieben, darum flehe ich auch so sehr, ihr wisst es alle wohl, um eine Begegnung mit dem Heiland, dass er sich aufmache und vielen Menschen begegne, weil es gar so verlogen in der Christenheit hergeht, – verzeiht mir den groben Ausdruck! – Aber es geht mir das ans Herz, und ich möchte wieder den Tag sehen, der scheidet zwischen Gut und Böse, nicht zwischen einer christlichen Lehre und einer anderen, den Tag haben wir lange genug gehabt. Aber einen Tag möchte ich haben, der die Herzen scheidet: wer ist redlich? Wer meint es gut mit dem Heiland und seiner Gnade, und wer nicht? Wer meint es unehrlich? Wer meint es ehrlich? Eine Reformation unserer Herzen muss werden, und die wird bloß, wenn uns die Augen aufgehen, dass wir sehen, dass es in uns und um uns her Licht wird, dass wir sehen, wer wir sind.

Fürchtet euch nicht vor solchem Gericht! Es ist die größte Heilstat unseres Herrn Jesus, die am Kreuz geoffenbart worden ist: dass wir sollen in unseren Übeltaten ans Licht kommen. Oh, lieber Christ, verstecke dich nicht mehr! Es dringt auch gerade in unserer Zeit dieser Tag immer mächtiger zu uns heran. Ihr könnt nicht mehr so leicht in Sünden leben wie in anderen Zeiten. Wie viele Menschen werden unruhig? Wie viele, die früher gemeint haben, sie haben ihre Sache im Himmel sicher, werden unsicher! Wie viele verzagen und sagen: sie seien verloren, sie können nicht mehr glauben, dass sie angenommen werden um ihrer Sünden willen. Oh, ihr Lieben, der Heiland ist nahe in unserer Zeit! Er will euren Herzen begegnen. Aber das Erste, wenn er uns begegnet, ist, dass er uns herauskommen lässt als das, was wir sind. Ja, was du getan hast bei Leibesleben, es kann nicht verborgen bleiben, es sei gut oder böse, heraus muss es! Wenn es aber herauskommt, sei es gut oder böse, dann sei getrost! Was ans Licht kommt, das kann man besorgen. Was im Dunkeln bleibt, das reißt dich ins Dunkle. So ist es schon im irdischen Leben. Da sollst du nichts verstecken. Du sollst nie ein heimlicher, unordentlicher Mensch sein. Was du als Heimlichkeit in dir hegst, das reißt dich ins Unglück. Was du als Sünde in dir willst verborgen halten und dabei doch recht scheinen, das reißt dich in das Dunkel des Todes. Wenn es herauskommt und du gestraft wirst darum, wenn du vielleicht verlästert wirst darüber und verspottet, es tut nichts, denn was am Licht ist, das kann in die Hand genommen werden durch den allmächtigen Gott in dem Heiland Jesus Christus. Es kann besorgt werden. Und du kannst zum Heil gelangen, auch als armer Sünder.

4. Denn, ihr Lieben, im Gericht, das der Tag des Heilands bringt, tritt der Mann des Tages am mächtigsten hervor. In doppelter Hinsicht sehen wir die Gewalt des Jesus Christus an einem armen, zum Sünder gewordenen Menschen hervortreten. Erstens gibt ihm der Herr Jesus die Macht, seine Sünden von sich zu stoßen. Das Gericht sieht er, aber an der Seite des Herrn Jesus bekommt der arme Mensch, der viele Schulden hat, die jetzt alle am Tag sind, die Kraft, seine Sünde wegzustoßen. Zweitens bekommt der Herr Jesus die Macht, diesem Menschen zu sagen: »Heute ist dir und deinem ganzen Hause Heil widerfahren«, sodass er nun ein gerechter Mann ist.

Oh, ihr Lieben, was wollen wir dazu sagen? Wollen wir nicht auch ins Gericht gehen, wenn wir alsdann die Kraft bekommen von unserem Herrn Jesus her, das Böse unseres Herzens, unsere Übeltaten, wie sie gewesen sind, wegzustoßen? Das ist das Allergrößte, was der Herr Jesus uns gebracht hat, dass wir an seiner Seite uns lösen dürfen von dem, was wir getan haben. Es kostet Schmerzen, es kostet Verleugnung, es kostet Drangabe von allem, aber wir können uns lösen, Gott Lob und Dank! Der Ehebrecher, der Mörder, der Dieb, der Sabbatschänder, der Gotteslästerer, alle Sünder können sich lösen, wenn der Mann des Tages zu ihnen tritt und sie ins Gericht kommen. Dann sollen sie auch sehen, wie der Herr Jesus das Gericht zum Siege führt, und zwar in ihrer eigenen Seele. Hast du es nicht auch schon an dir bemerkt, wenn du Kraft bekommen hast zu Buße und Glauben und zu einer Begegnung mit dem Herrn Jesus und in dieser Begegnung zu einer lebendigen Hoffnung des ewigen Lebens, dass du dann fähig geworden bist, auch deine begangenen Sünden von dir zu stoßen, sodass dein eigenes Ich jetzt zu seiner Berechtigung kam und du sagen konntest: »Das, was jene Sünden waren, das bin nicht ich! Ich bin das, was der Herr Jesus da ist.« So darfst du jetzt hinstehen, lieber Mensch, vorher konntest du das nicht, vorher war es Nacht, und das weiß auch der liebe Gott. Wenn du aber Jesus ansiehst, so weißt du: »Das ist der Mann, der mir helfen kann! Und das, was ich sein möchte, das, wonach ich immer gerungen und habe es nicht zuwege gebracht, das hat er, und deswegen halte ich es mit ihm! In ihm will ich der nicht mehr sein, der ich gewesen bin, nein, der bin ich nicht mehr! An der Seite des Herrn Jesus will ich kein Sünder sein! Vorher wusste ich es nicht, aber jetzt weiß ich es: ich bin das, was dieser Jesus ist. Deswegen lasse ich auch nichts mehr gelten, was ich vorher gewesen bin. Was ich Böses getan, will ich wieder gutmachen, aber lasst mich in Ruhe mit meinen Sünden! Ich habe den Herrn Jesus gefunden. Und da stehe ich als ein neuer Mensch. Und alle Welt soll es wissen: mit diesem Heiland bin ich meines alten Wesens los!«

So, ihr Lieben, wird es, dass in unserer Seele jauchzend das Wort ertönt: »Das Alte ist vergangen, siehe! Es ist alles neu geworden!«19 »Ja, mit mir ist alles neu geworden!«, kann ein Mensch sagen, der im Tage des Jesus Christus gerichtet ist und den die Gewalt dieses »Mannes des Tages« an der Hand gefasst hat. Das möchten wir alle zuwege bringen! Ich weiß, wir sind alle Zachäus-Leute! Was haben wir nicht alles getan, schon in jungen Jahren, ohne dass es zu einer eigentlichen Begegnung mit dem Herrn Jesus kam. Wie viel häuft sich da bei jedem einzelnen an! Man kann nie eine Lebensgeschichte von einem Menschen schreiben, ohne etwas vertuschen zu müssen. Man darf nie alles aufdecken, was wir schon getan haben! Aber sollen wir uns dadurch niederdrücken lassen? – Ja, freilich, wenn wir keinen Heiland wissen, dann müssen wir es uns gefallen lassen, dass wir fehlervolle, verkehrte Menschen sind und bleiben und im Schwindel unser Leben verbringen und zugrunde gehen. Aber wenn wir einen Mann wissen, der uns Gerechtigkeit geben kann an seiner Seite und zur Gerechtigkeit Gottes uns emporbringen kann, dann wollen wir nichts mehr von einem Versteck in unserer Sünde, dann wollen wir heraus! Dann soll unser eigener von Gott geschaffener Mensch in neuem Glanz hervortreten, dann wollen wir in einem neuen Wandel leben20, es muss zu einem neuen Leben kommen.

Das bewirkt der Mann Jesus. Diesen Glauben bekommen wir in seiner Gemeinschaft, ja, dieses Herrscherrecht wider die Sünde, wider das verlorene Leben, ja selbst wider den Tod, dieses Herrscherrecht bekommen wir Menschen durch den Herrn Jesus. Und wir sind es, die in dem Namen des Herr Jesus hinstehen und Sünde und Tod unter unsere Füße treten21, weil wir das Recht bekommen haben dazu in diesem großen »Mann des Tages«.

Lassen wir uns darum richten! Lassen wir alles ans Licht kommen! Wagen wir es! Glauben wir! Hoffen wir! Ringen wir nach dem Tag, der uns ewiges Leben verleiht! Wir werden nicht zuschanden werden, denn Jesus hilft uns. Und er beweist noch seine Macht zuletzt damit, dass er uns gerichteten, aber auch uns neu gewordenen Menschen zuruft: »Heute ist euch Heil widerfahren!« Und zwar nicht nur euch einzelnen, sondern auch noch eurem Hause! Ja, ihr Lieben, wenn nur ein einziger Mensch durchdringt zum Sieg des Herrn Jesus, so gibt es Licht um ihn her, so ist es, wie wenn eine Quelle um ihn her aufginge22. Das, was der Einzelne als Tag bekommt, dürfen auch andere bekommen: Heil wird gegeben! Heil macht der »Mann des Tages«, der der Herr ist und mit seiner Gewalt es auszurichten weiß in denen, die ihn liebhaben.

Heute! Ja, heute, d.h. in dem Augenblick, in welchem du durch den Herrn Jesus die Kraft bekommst, dich loszulösen von deinem alten Leben und das Neue mit Mut und Glauben zu ergreifen, dann ist dein »Heute« gekommen, dann ist dir Heil widerfahren.

Was sollen wir zum Schluss noch wünschen, ihr Lieben? Ich meine das, dass uns auch der heutige Sonntag diesem »Heute« entgegengebracht haben möchte, dass dieser Gottesdienst nicht umsonst sei, sondern dass wir auseinandergehen als mutige Leute, freudige Leute, ob wir auch arme Sünder sind. Aber eines wissen wir: das ewige Leben ist zu erwerben, Jesus ist da und mit ihm der Tag. Er ist der »Mann des Tages«, dein Herr, dein König, dein Fürst, deine Macht, dein Heiland, der dich liebhat, der dich herausreißen will, der dich ganz neu machen will, der dich zu Ehren bringen will vor Gott dem Vater, dass du als ein Kind des Lichts wiedergeboren, aus der Nacht herausgerissen wirst, in die dich dein irdisches Leben hineingestellt hat, und du nun in das Leben der Heiligen und Engel im Himmel kommst, droben beim Vater im Himmel. So, ihr Lieben, bleiben wir wenn auch nur eine kleine Schar auf Erden, welcher Heil widerfahren ist, aber diese kleine Schar sieht doch den Tag des Lebens, welcher der ganzen Menschheit zugedacht ist. So werden wir stark zu kämpfen, wenn uns Heil widerfahren ist, dass wir können nun auch einstehen für die ganze Welt, dass wir Eifer bekommen, dass dieser Mann Jesus selbst aufgehen möchte wie eine Sonne über der ganzen Welt, damit alle Mühseligen und Beladenen mögen Erquickung finden, ja, damit zuletzt alle Kreatur in neuem Tag erglänze zu neuem Leben. Wahrlich, das ist Gottes Rat! Da ist Jesus! Das ist Christus der Herr! Neuer Tag durch die ganze Kreatur, das ist es, was er bringt. Endlich wird es werden, so gewiss er lebt und auferstanden ist von den Toten, so gewiss er herrscht im Himmel droben zur Rechten des Vaters im Himmel, so gewiss wird er auch kommen zu neuem Tag in aller Welt!

Gelobt sei Gott der Vater droben in den Höhen des Himmels, in diesem Jesus Christus! Ja: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erde und den Menschen ein Wohlgefallen.9

15 Predigt in der Stadtkirche, Winterthur, 29.8.1886; Predigten und Vorträge gehalten in der Schweiz, Zürich 1886, S. 16ff.

16 Jh 11, 25.

17 Off 1, 8.

18 Jh 3, 16.

19 2 Ko 5, 17; Off 21, 4.

20 Eph 4, 22; 2 Pt 3, 11.

21 Rö 16, 20

22 Jh 4, 14; 7, 38.

2.

Die kleine Herde

Fürchte dich nicht, du kleine Herde, denn es ist eures Vaters Wohlgefallen, euch das Reich zu geben.

Lk 12, 3.24

So sagt der Heiland zu einer kleinen Herde Menschen, die um ihn her standen. Es war ein sehr kleines Herdle25. Wisst ihr, wie groß es war? Man hat es zählen können, es waren zwölf. Dieses kleine Herdle , das soll sich nicht fürchten in der Welt. Warum nicht? Weil es stärker ist als die ganze Welt. In der Welt sind viele große Dinge und böse Sachen, die einem Schaden bringen könnten, vor denen muss man Angst haben, wenn sie über einen kommen, denn wenn sie Herr werden über einen, dann ist man verloren. Ihr wisst wohl, was für böse Sachen alle in der Welt herrschen. Und das Böseste steckt noch dazu in unseren eigenen Herzen, wie der Heiland sagt: »Aus dem Herzen kommen arge Gedanken, Mord, Ehebruch, Hurerei, Dieberei, falsch Zeugnis, Lästerung.«26 Aus diesen Herzenssachen werden dann böse Taten der Menschen, sodass es viele böse, böse Menschen gibt. Und daraus gestalten sich wieder große Gesellschaften, ganze Reiche, Obrigkeiten, die alle nichts Gutes im Sinne haben. Diese Obrigkeiten sind nicht nur in der sichtbaren Welt, sondern auch in der unsichtbaren Welt, sodass es satanische Gewalten gibt, unsichtbare Herrschaften und Reiche, welche immer an die bösen Sachen unseres Herzens anknüpfen, um uns ins Verderben zu bringen, so dass der Mensch, wenn er alles überlegt, worin er steckt, von seinem bösen Herzen an bis zu den finsteren Gewalten in den Regionen der unsichtbaren Welt schreckliche Angst haben muss, wie es ihm auch noch gehen werde. Es kommen wenige Menschen durch dieses Leben hindurch ohne diese Angst. Und ob sie es auch lange treiben, wenn es zuletzt zu ihrem Lebensende kommt, so zittern sie und beben und denken: Ach, wie wird es mir auch gehen! Wird es jetzt für mich in etwas Gutes hineingehen oder kommt etwas Böses für mich heraus? Das ist eine schwere Sache, die wir recht ins Auge fassen müssen. Ihr lieben Kinder, ihr seid noch klein, da wisst ihr noch nicht recht, wie es in der Welt ist. Aber ich weiß ganz gewiss, eure Eltern haben Angst, wie es auch gehen werde. Solange die Kinder klein sind, ach, da sind sie so lieb und herzig und nett. Sind sie ein wenig größer, so muss man schon aufpassen, dass sie keine dummen Streiche machen. Und wenn sie noch größer sind, da können Vater und Mutter aufpassen, solange sie wollen, ehe sie sich’s versehen, hat ihr Sohn oder ihre Tochter einen recht dummen Streich gemacht. Und wenn sie noch ein wenig größer werden, so fragen sie nichts mehr nach Vater und Mutter und gehen ihre eigenen Wege. Die Welt mit ihren bösen Sachen hat sie gefangen. Und zuletzt müssen sie sehen: Oh, in welch einer bösen Welt sind wir doch, wie müssen wir da doch Angst haben!

Da aber sagt nun der Heiland zu seinem Herdle : »Ihr lieben Leute, ihr Zwölfe, die ihr bei mir seid, ihr braucht euch nicht zu fürchten, denn ich bin bei euch. Und ich bin stärker als die ganze Welt. Und wenn ihr bei mir seid, so seid auch ihr Wenigen stärker als die ganze Welt. Dann könnt ihr alles zwingen. Ihr könnt alle bösen Sachen in euren Herzen zwingen. Ihr könnt die bösen Menschen um euch her zwingen. Ihr könnt die ganze Obrigkeit der Finsternis zwingen. Ja, ihr könnt alles, was Hölle und Tod heißt, zwingen, wenn ihr bei mir bleibt. Also fürchtet euch nicht, und wenn ihr noch so eine kleine Herde seid!«

Wir haben es auch erfahren, wie die Apostel sich nicht zu fürchten brauchten. Sie haben es gezwungen in der ganzen Welt. So finster die Welt damals war und wie schauerlich man sie verfolgt hat, die Apostel haben es doch gezwungen. Und heute – nach fast neunzehnhundert Jahren – stehen wir noch in den Siegen jener kleinen Herde, welche es gezwungen hat gegen die ganze Welt.

Aber freilich, es sollte immer wieder eine kleine Herde geben. Jetzt fragt es sich, ob wir auch eine kleine Herde sind? Wir sind hier auch solch eine kleine Herde, freilich ein wenig größer als damals die Jüngerschar, die man mit einem Blick übersehen konnte, weil es nur Zwölf waren, während es heute schon langweilig wäre, wenn man wollte anfangen, die Menschen zu zählen. Aber ein kleines Herdle sind wir doch auch und zwar ein solches, das dem Heiland gehören will, und diesem kleinen Herdle , wenn es treu ist, nota bene27, – merkt es euch wohl, nicht bloß wenn es nachläuft, sondern wenn es treu ist – sagt der Heiland noch heute: »Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Du sollst die ganze Welt gewinnen, du sollst stärker sein als alle anderen. Wenn ihr bei mir bleibt, wenn ihr treu seid, dann zwingt ihr’s!« Wenn wir auch hier solch eine kleine Herde sind, dann ist es schön, dann haben wir eine Freude, und wenn wir über’s Jahr vielleicht wieder zusammenkommen, dann haben wir etwas gezwungen. Haben wir denn auch im letzten Jahr etwas gezwungen? Vor einem Jahr saßen wir hier auch beieinander. Da waren‘s freilich nicht so viele Leute, sondern wir hatten noch Platz im Zimmer. Vielleicht haben wir schon etwas gezwungen, dass wir heute in den Garten mussten. Ich möchte aber, dass die kleine Herde es so zwinge, dass man die großen Wiesen dort draußen brauche, dass hunderttausend herzukämen und sagten: »Ich will auch dazu gehören!« Ja, wir dürfen daran denken, dass wir noch die ganze Welt zwingen, nicht wie ein Kaiser, der seine Völker mit dem Schwert zwingt, sondern wir wollen es zwingen mit lauter Liebe, mit lauter Sanftmut, mit lauter Demut, wenn wir wie der Herr Jesus selber alle Leute liebhaben, sie mögen heißen, wie sie wollen; damit zwingen wir’s. Und wenn der Heiland uns jetzt mustern wollte, ob wir eine rechte kleine Herde sind, so sieht er uns darauf an, ob wir die Leute so liebhaben wie er. Nun besinne dich! Daran können wir uns mustern, ob wir eine apostolische kleine Herde sind: Hast du die Leute lieb? Hast du sie so lieb wie der Heiland? Hast du keinen Neid mehr im Herzen? Keinen Geiz, keinen Stolz, keinen Streit mehr, keine bösen Sachen im Herzen gegen deine Verwandten und Nachbarn? Hast du ein sanftmütiges, ein demütiges Herz? Danach wollen wir uns jetzt einmal mustern, ich möchte wissen, ob noch Zwölf herauskämen? Ich kann nicht in euer Herz sehen, aber ich denke, der Heiland ist jetzt da, und der sieht hinein, und wenn wir es noch nicht sind, dann können wir uns in dieser Stunde vornehmen, es zu werden. Nehmt es euch vor: Ich will werden wie der Heiland, ich will lieb werden, ich will demütig werden wie der Heiland! Und wenn wir es nur recht wollen, dann werden wir auch eine kleine Herde, zu welcher dann gesagt wird: »Fürchte dich nicht, du sollst es gewinnen.« Ach, ihr Lieben, wenn wir nur daran denken, dass wir es gewinnen sollen über alle diese Sachen, die in der Welt noch böse sind, was sind wir dann für glückliche Leute? Wenn wir diese bösen Sachen in unseren Herzen alle zwingen dürfen, wenn wir auch um uns her die bösen Gesellschaften in der Welt zwingen dürfen, dass zuletzt auch die bösen Sachen in der unsichtbaren Welt aufhören, wenn es keine satanische Einwirkung mehr gewinnt über uns, sondern wir alles zwingen dürfen als kleine Herde, dann sind wir die glücklichsten Menschen von der ganzen Welt. Auch wenn es noch Kampf kostet und ich mich ein wenig anstrengen muss, oder auch, wenn man sagen muss wie der Heiland: Ich will das Kreuz auf mich nehmen, ich will mein Leben verleugnen, ich will gar nichts für mich haben in dieser Welt, sondern nur darauf sehen, dass ich es gewinne über diese bösen Sachen, – wenn wir so stehen, wer ist dann glücklicher als wir?

Seht, liebe Leute, von dem spüre ich etwas, und deswegen bin ich immer so vergnügt. Die Leute wundern sich oft darüber, warum ich unter allem Gedränge immer so fortmachen kann. Wisst ihr, warum? Weil ich der glücklichste Mensch bin in der ganzen Welt. Und warum bin ich der glücklichste Mensch? Weil ich mich vor gar nichts zu fürchten brauche. Wenn man zur kleinen Herde gehört, dann braucht man sich nicht zu fürchten, dann ist man der stärkste, glückseligste Mensch. Man kann alle Tage weiterschaffen. Dann kommen die Sachen nicht über einen hinauf, sondern wir drücken sie unter uns hinunter. Und zuletzt drücken wir die ganze Welt hinunter, dass sie sagen muss: »Ja, wahrlich! Jesus Christus ist der Herr. Ihr habt recht gehabt. Und wir wollen auch brav werden!«

Das ist die Verheißung, die wir haben. Wie wird sie aber wahr an uns? Wie kann die kleine Herde so viel zwingen? Der Heiland sagt: »Es ist eures Vaters Wohlgefallen, euch das Reich zu geben.« Wer ist denn dieser Vater? Auf Erden gibt es viele Väter. Jedes von uns hat einen Vater. Und wenn wir an unseren eigenen Vater denken, ja, der kann uns kein Reich geben, er kann uns ein Stück Boden geben, ein Vermögen hinterlassen, aber mit dem zwingt man nicht viel. Und wenn wir alle Prinzen wären und denken könnten, unser Vater hinterlässt uns ein großes Reich, so würden wir sagen: »Wir bedanken uns für den Plunder , mit dem zwingen wir nichts.« Ein solcher Vater kann also nicht gemeint sein. Wir wollen einen anderen Vater haben. Und das ist der himmlische Vater, der alles in der Hand hat, der nichts nach den äußeren Dingen fragt, sondern im Geist uns anders machen will und im Geist die Welt unter sich bringen will, dass sie wieder gut werde. Dazu brauchen wir keine Fürstensöhne zu sein, die allerärmsten Leute, denen es im Irdischen sehr fehlt, können es sein, denen der Vater sein Reich bescheidet. Dann läuft es zum Sieg hinaus in unserem Leben und läuft nicht nur für uns zum Sieg hinaus, sondern auch für unsere Umgebung. Ja, der kleinen Herde Sieg muss zuletzt darauf hinauslaufen, dass das Reich des Vaters im Himmel über alle Welt und alle Kreatur sich ausbreite. Das heißt es, wenn uns das Reich beschieden wird.

Es gibt viele Christen, die denken immer nur daran, dass sie wollen selig werden. Die meinen, darin bestehe das Reich, dass sie in den Himmel kommen und ein möglichst bequemes Plätzchen erhalten, damit sie es sich ja recht wohl sein lassen können. So ist es aber nicht gemeint. Wir sind einstweilen nicht dazu da, dass wir für unsere Behaglichkeit sorgen im Himmel, sondern wir sind dazu da, dass wir das Interesse unseres Vaters im Himmel ins Auge fassen. Und da darfst du nicht faul sein. Ein General eines großen Königs darf nicht darin sein Glück suchen, dass er einen großen Sold hat und ein gutes Leben führen kann, sondern sein ganzes Glück muss darin bestehen, dass seines Königs Gedanken und Pläne durchgesetzt werden. So müsst ihr als Christenleute, als Kinder des Vaters, als Heilandsleute immer wieder als Erstes in euren Herzen und Gedanken haben, dass eures Vaters Pläne in der Welt durchgesetzt werden. Denkt nur auch ein wenig über diese Pläne nach! Es ist das der große Plan, dass die Welt ihm untertan gemacht werde, die Welt im Himmel, die Welt auf Erden, und die Welt unter der Erde. Im Himmel, da sind große und viele Gewalten und Obrigkeiten, die oft auch schädlich sich bemerkbar machen, wie ihr es z.B. im Wetter bemerken könnt. Diese Gewalten sollen untertan werden unter den Vater, damit Frieden werde im Himmel. Ebenso soll jetzt auf Erden durch die ganze Welt hindurch unter den Menschen Friede werden, dass es heißt: Jetzt wollen sie alle das Gute, und so beugen sie sich unter das Gute. Aber auch unter der Erde, wo Tod und Hölle hausen, wo alles im Durcheinander liegt, der auch hinauf wirkt auf die Erde, so dass wir oft fühlen, wie wir von satanischen Gewalten in unseren Herzen getrieben werden, da will der Vater im Himmel in dieses Durcheinander hineinregieren und zuletzt es zwingen, dass statt einer Unordnung eine Ordnung würde, statt irdischer Ungerechtigkeit Gottes Gerechtigkeit, dass statt des vielen Todes Leben, statt des Verderbens in der ganzen Schöpfung ein fröhliches Aufblühen und gesegnetes Dasein wieder aufkommen. Das ist eures Vaters Reich, und das sollt ihr als euer Reich ansehen. Das ist unsere, der kleinen Herde Seligkeit. Und wenn wir recht darauf losgehen, dann bekommen wir es. Freilich, ich muss es noch einmal wiederholen: dann sei ein rechter Mensch in der kleinen Herde! Ein rechter Mensch in der kleinen Herde, der ist wie der Heiland, und der Heiland, der ist aufs Gute bedacht und vor lauter Denken aufs Gute mag er die Leute nicht mehr verdammen, nicht mehr wegwerfen. Er kann nur noch lieb sein, nur nach seines Vaters Willen die Gerechtigkeit seines Vaters ins Auge fassen, dass er es zwinge mit seiner Person, im Himmel, auf Erden und unter der Erde. Als ein Solcher ist der Heiland noch heute im Himmel. Es gibt so viele Leute, die sagen, sie seien verloren, – als ob der Heiland gekommen wäre, die Sünder zu verdammen! Das ist ein »neues Evangelium«, das man heutzutage in vieler Herzen findet. Da verzweifeln sie, anstatt dass sie am Heiland sich aufrichten ließen und sagen: »Gott Lob und Dank, mir ist jetzt aber geholfen, mir, der ich den Heiland liebhabe, wenn es mir auch noch nicht immer in allem gut geht, mir ist doch schon geholfen. Und das ist noch nicht einmal die Hauptsache, jetzt kann ich drauf achten, dass auch anderen geholfen werde, dass der Welt geholfen werde, dass das Reich komme und uns in die Hände falle, denn das ist der kleinen Herde verheißen. Und zur kleinen Herde gehöre auch ich, und so gilt dieses Wort auch mir!« Darauf wollen wir miteinander dichten und trachten28, dabei kommen wir am weitesten, und ganz gewiss, wenn wir das ins Auge fassen und im Herzen behalten, dann zwingen wir etwas von Jahr zu Jahr. Und vielleicht kommt bald die Zeit, in welcher alles gezwungen erscheint, ja die ganze Welt untertan gemacht ist unter den Vater im Himmel in Jesus Christus und seiner kleinen Herde. Wir sind nicht mehr so sehr weit von dem entfernt. Zwar sieht die Welt noch aus, wie wenn sie noch ganz die alte wäre, allein es ist doch schon vieles anders geworden: Der Heiland kommt immer weiter durch alle Schichten der Menschen hindurch. Es geht immer mehr vorwärts, wenn wir es auch noch nicht so sehr merken. Im Himmel geht es gewaltig vorwärts. Und wenn ihr gegenwärtig den Himmel anseht, wie er oft so schön leuchtet, so könnt ihr denken: Da ist etwas vom Reich des Vaters im Himmel darin. Wenn oft der ganze Himmel rot wird und so lieblich herunter scheint, – was erst in den letzten Jahren geworden ist, so denkt: »Ja, da droben wird es anders, da war es früher viel wüster und finsterer, nun aber sieht es aus, als werde es besser!« und allmählich wird es dann auch auf Erden besser werden, dass es auch da Licht wird. Eine kleine Herde bleibt es zwar bis zum Ende, denn der Heiland hat nicht einer großen Herde das Reich versprochen, sondern einer kleinen. Aber dass wir klein bleiben, darf uns nicht schrecken; es kommt doch die Zeit, in welcher uns das Reich in die Hand gegeben wird und dann muss es durch die ganze Erde hindurch hell werden.

Wer glaubt’s? Ja, wer glaubt’s? Glaubt es, dann seid ihr glückliche Leute, und wenn wir übers Jahr etwa wieder zusammenkommen, dann erzählen wir uns, was wir gewonnen haben, jeder in seiner Familie, in seinem Haus, in seinem Herzen. Denkt darüber nach, was jedes von euch in der Liebe, in der Sanftmut und Demut von Jesus Christus zwingen kann, probiert es einmal, ob ihr nicht Jünger eures Heilands werden könnt! Aber ich sage es euch, nicht mit Grobheit und Unverschämtheit, nicht mit Eigensinn und Rechthaberei, sondern mit Untertänigkeit, mit Kreuztragen, mit unschuldigem Leiden und Unrechtgelten zwingt ihr’s. So hat es der Herr Jesus gewonnen, so muss es auch die kleine Herde gewinnen. Es ist nur, bis man es heraushat, dass man ein wahrhaftig demütiges Herz bekommt, dann zwingt man etwas, und zuletzt heißt es: »Jesus ist der Siegesheld geworden und hat das Reich eingenommen, und jetzt sind die Reiche unseres Gottes seines Christus geworden!«6 Dann, ja dann, werden wir uns freuen mit unaussprechlicher und herrlicher Freude7.

23 Lk 2, 14.

24 Ansprache in der Sonntagsschule Winterthur, 29.August 1886. Die Sonntagsschule dient in vielen, vor allem protestantischen, Kirchen der sonntäglichen Katechese von Kindern und – seltener – Jugendlichen oder Erwachsenen. Sie hat sich heute häufig zum sogenannten Kindergottesdienst entwickelt. Ursprünglich vermittelte die Sonntagsschule nicht nur religiöses Wissen, sondern half auch bei der Alphabetisierung unterprivilegierter Schichten. Diese Funktion hat sie bis heute noch in manchen unterentwickelten Ländern.

25 Im Druck: Herdchen.

26 Mt 15, 19.

27 Wohl bemerkt.

28 1 Mo 6, 5; 8, 21.

3.

Die heilige Stadt