Christoph Columbus - Jakob Wassermann - E-Book

Christoph Columbus E-Book

Jakob Wassermann

0,0

Beschreibung

Die Biografie über den großen Entdecker Christoph Kolumbus ist spannend und unterhaltsam geschrieben. Sie profitiert von der belletristischen Erfahrung des Biografen Jakob Wassermann, der vor allem als Autor von Romanen, Novellen und Erzählungen in Erscheinung getreten ist. Als der Genuese Christoph Kolumbus (1451-1506) mit 32 Jahren nach Portugal kommt, kennt ihn noch niemand. Er zeigt dem portugiesischen Königshaus seine Entdeckerpläne, wirbt mit den wirtschaftlichen Chancen der Seefahrten, und wirbt für deren Finanzierung. Doch dazu kommt es nicht. Christoph Kolumbus verlässt Portugal und geht nach Spanien, denn vermutlich hat der portugiesische König einen anderen Kapitän mit den von Columbus entwickelten Plänen auf die Reise geschickt. Dieser scheitert jedoch. In Spanien kann Christoph Kolumbus das Königshaus davon überzeugen, ihn zu unterstützen. Er stellt für den Ruhm, den er Spanien mit der Erschließung neuer Kontinente einbringen kann, aberwitzige Forderungen: Er will den Titel eines Vizekönigs aller entdeckter Gebiete. Auch ein »Admiral der Weltmeere« will er sein. Christoph Kolumbus bekommt, was er will. Jakob Wassermann beschreibt detailreich die nun folgenden abenteuerlichen Seefahrten des Christoph Kolumbus, die mit der Entdeckung Amerikas als Höhepunkt den Kern der Biographie ausmachen. Christoph Kolumbus begeht unterwegs manche Fehler und Irrtümer. So bezeichnet er die Einwohner des neu entdeckten Kontinents Amerika als »Indios«, weil er sich in Indien wähnt. Dennoch bringen die Fahrten große ökonomische und wissenschaftliche Erfolge. Christoph Kolumbus sichern sie einen Ehrenplatz in den Geschichtsbüchern. Der in Jakob Wassermanns Biographie von 1929 beschriebene Weg dorthin liest sich phasenweise wie ein Abenteuerroman.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 264

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Christoph Columbus

Christoph ColumbusErstes KapitelZweites KapitelDrittes KapitelViertes KapitelFünftes KapitelSechstes KapitelSiebentes KapitelAchtes KapitelNeuntes KapitelZehntes KapitelElftes KapitelZwölftes KapitelLetztes Kapitel, das düsterste von allenImpressum

Christoph Columbus

  Biografie

Erstes Kapitel

Ahnung des Unbekannten

Leben und Schicksal des Christoph Columbus zeigen mit augenscheinlicher Deutlichkeit, dass auch der zu großer Vollbringung bestimmte Mensch nur aus seiner zeitlichen Beschlossenheit heraus erklärt werden kann. Unsere Phantasie ist nur allzu geneigt, eine unsterbliche Figur mit den Eigenschaften auszustatten, die erst von ihren Wirkungen herkommen, sonach ihrer irdischen Existenz und Persönlichkeit mit nichten angehaftet haben. Ruhm ist ein höchst geheimnisvoller Kristallisationsprozess, bei welchem viel Schlacke verarbeitet wird. Deshalb sehen die Zeitgenossen eine bedeutende Erscheinung entweder falsch oder gar nicht, während die Nachwelt stets die Endergebnisse vorwegnimmt, d. h. durch ihr Wissen vom Gewordenen (das im Grunde schon ein Erstarrtes ist) ihre Anschauung vom Werden und Sein entkräftet. Deshalb auch gleichen alle unsere Urteile über historische Epochen wie über historische Personen abgegriffenen Münzen, deren Wert nur bei seltenen Anlässen untersucht wird. Jede Überlieferung erhält sich durch die Summe der mit ihr verknüpften Irrtümer, anders kann und soll es auch nicht sein, denn der Irrtum ist ein zeugendes Element, aus ihm entsteht das Bild, der Mythos und immer erneutes Leben. Wer könnte die Wahrheit ertragen, vorausgesetzt, dass es Wahrheit gibt? An ihr zerbräche jeder Aufschwung, jede Illusion, jeder über die Wirklichkeit triumphierende Idealismus. Sie hat mit dem Dokumentarischen und der gültigen Pragmatik der Geschichte wenig zu schaffen, diese Wahrheit, wie Goldkörner im Erz ist sie in einem rauen und schwer zu behandelnden Material verborgen, und sie auszugraben und herauszuschmelzen, bedarf es vieler Mühe, vieler Liebe und eines gewissen Mutes, denn die menschliche Seele, worin man sie allein finden kann, ist ein finsteres und von abschreckenden Gespenstern bevölkertes Labyrinth.

Eine eigentümliche Rätselhaftigkeit, ja Zweideutigkeit schillert um die Gestalt des Columbus seit jeher. Alles ist umstritten, der Charakter, die Leistung, der Werdegang, die Lebensereignisse und die Geburt. Sieben Städte im Genuesischen kämpfen um die Ehre, seine Wiege beherbergt zu haben, ihnen hat sich Korsika und Frankreich gesellt. Mit ziemlicher Sicherheit kann angenommen werden, dass sein Vater ein armer Wollweber war, aber diese Tatsache hat er selbst zu verwischen sich bemüht. Die geringe Herkunft erschien ihm als ein Makel, denn in den Tagen der Glorie spricht er von seinen adligen Ahnen; ich bin nicht der erste in meiner Familie, der als Admiral die Meere befahren hat, behauptet er. Den Beweis dafür bleibt er schuldig. Einige seiner Gegner nennen ihn deshalb einen Lügner. Sie haben wenig Einbildungskraft und eine dürftige Vorstellung dieser tiefen, schier unergründlichen Natur.

Sein Lebenslauf hat manche Ähnlichkeit mit einer mittelalterlichen Legende. In einem Zeitraum von zwanzig Jahren habe ich mich, von Frist zu Frist, immer wieder mit ihm beschäftigt; immer wieder musste ich mich fragen: ist dies verbürgt? ist jenes nicht bloß Sage? sind die oder die Geschehnisse nicht apokryph, und die oder die überhaupt nur wahrscheinlich? Aufsteigend aus dem Nichts, ein hergelaufener italienischer Abenteurer, wird er Großadmiral von Spanien, Vizekönig ungeheurer Reiche, bezahlt sieben Jahre des Glanzes und der Macht mit jähem Sturz und beispielloser Demütigung, und nach schwachem Wiederaufflammen stirbt er als beinahe vergessener Mann einen einsamen Tod.

Außerordentliches Schicksal. Es zu verstehen, muss man das Außerordentliche der allgemeinen Situation erwägen. Man kann es nur, wenn man den inneren Blick von allem Gewussten reinigt, auch von allen schematischen Prägungen, den Verfälschungen der Ideen und Zusammenhänge. Um unbetrogen zu bleiben, müsste man als Wiederauferstandener aus der Geistesstimmung und den Begriffen der Epoche heraus sehen und zugleich über die Zeitferne hinweg das einander Widerstrebende zur Einheit bringen können. Da sich der Ehrgeiz so hoch nicht versteigen darf, hat man sich mit Geringerem zu begnügen, mit dem Versuch der möglichsten Annäherung.

Wenn heute ein tollkühner Pilot sich entschlösse, nach dem Mars zu fliegen, die Reise auch anträte, auf dem Weg aber einen bisher unbekannten Planeten entdeckte und mit der Kunde von diesem neuen Stern zurückkehrte, von fremdartigen Menschenwesen und nie gesehenen Tieren und Pflanzen Nachricht brächte, die in einer fremdartigen Atmosphäre gedeihen, von Ausmaßen und Größenverhältnissen, die alles, was das Auge bisher gewohnt gewesen, zwerghaft erscheinen ließe, so wäre die Revolution der Menschheitsphantasie ungefähr die nämliche, die damals die Entdeckung des Columbus hervorrief. Denn das und nichts anderes ist es, was sie zunächst bewirkte: Revolution der Phantasie.

Neue Welt; heute ein geographischer Begriff; dem Menschen vom Ende des fünfzehnten Jahrhunderts ein abergläubisch-religiöser. Kraft eines Zaubers, von dem er noch nicht wusste, ob er gut oder böse war, verschwanden die Wände seines Hauses, des altbewährten Hauses Europa, das er sich nach jahrtausendelangen Plagen halbwegs wohnlich eingerichtet hatte. Unheimlich genug war ihm schon Asien, das dem endlich vertraut gewordenen Besitz anhing wie einem Garten eine gefürchtete Wildnis, mit sehr fernen Lockungen allerdings; Afrika, von dem er, seit Urzeiten, nur die nördlichen Randgebiete kannte, war jenseits dessen, was man zu benennen vermochte, tödliche Wüste und bedrohliche Finsternis. Die Botschaft von neuer Welt erschütterte das Gerüst der alten. Was man vernahm, war schauerlich; ein unendliches Meer, von dem man nichts gewusst, das zu durchfahren die Schiffe Monate unterwegs waren, ohne seine Grenzen zu erreichen; namenlose Völker, die nackt gingen und namenlose Gottheiten verehrten; unzählbare Inseln, unermessliche Länder mit barbarischen Königen und wilden Sitten: war es nicht einfach Sinnentrug, so war es das Vorzeichen des längst prophezeiten Untergangs der Welt. Die Angst, von der die europäische Menschheit erfasst wurde, konnte nur aufgehoben werden durch eine ebenso intensive Begierde. Das Wort, das sie auslöste und bis zur Raserei hinauftrieb, hieß: Gold.

Freilich war der Glaube an den angenommenen Bestand der Welt schon gelockert gewesen. Die Entdeckung war in der Gemütsverfassung des alten Kontinents durch Ahnung wie durch sagenhafte Überlieferung vorbereitet. Die Reisen kühner Missionare und waghalsiger Kaufleute, die Unternehmungen italienischer und portugiesischer Seefahrer hatten sie in traumgleiche Nähe gerückt. Zudem hatte der weitschauende Geist einzelner Forscher denen die Bahn geebnet, die es drängte, Annahme und Erratenes zur Tat zu machen.

Es scheint immer mehr, dass die ägyptische Sage von der Atlantis, die schon Plato erzählt, keine bloße Fabel war, sondern auf der dunklen Erinnerung an eine gewaltige Erdkatastrophe beruhte. Zweifellos gibt es ein Generationengedächtnis, das den Eindruck großer Ereignisse durch die Jahrtausende trägt und in welchem jene Kraft wurzelt, die die mit ihr begabten Männer befähigt, den Kerker wenn nicht zu öffnen, so doch Schritt für Schritt zu erweitern, worin das menschliche Geschlecht gefangen liegt.

So rüsteten sich die phönizischen Schiffer zur Fahrt nach der Ultima Thule, die, ob man sie fand oder nicht, letztlich nur ein Symbol der schwebenden Sehnsucht war; so segelten, vom Urinstinkt des Wanderns getrieben, skandinavische Normannen in frühhistorischer Zeit nach den Küsten Neufundlands; so suchten die Araber, die mutigsten Seefahrer des Mittelalters, den Ozean bis zu den Azoren und Kanarischen Inseln nach neuen Ländern ab.

Doch es war das Chaos, das die weiten Gewässer begrenzte, keine Vermutung konnte da vordringen, eine Art Geisterfurcht lähmte schon die Absicht. Xerif al Edrizi, ein maurischer Schriftsteller, sagt sehr ausdrucksvoll: »Dieses Meer umgibt die letzten Ränder der bewohnten Erde, und alles dahinter ist unbekannt. Niemand war noch imstande, etwas darüber ins Klare zu setzen wegen der schweren und gefahrvollen Schifffahrt, des großen Dunkels, der häufigen Stürme und der gefährlichen Raubfische. Die Wellen, wiewohl sie sich hoch wie Berge türmen, tragen sich, ohne zu bersten, denn bersteten sie, so wäre es den Schiffern gar nicht möglich, sie zu durchfurchen.«

Aber das Unbekannte lockte ohne Unterlass und verschlang die Verlockten, Tausende in jedem Jahrhundert. Von wenigen sind die Namen erhalten. Um 1290 verließen die Brüder Vivaldi auf zwei Galeeren den Hafen von Genua, um das unerforschte Afrika zu umschiffen. Sie kamen nicht mehr heim. Alle romanischen Völker nannten die Italiener ihre Lehrer im Seewesen; der Genuese Porsagno war portugiesischer Admiral, der Venezianer Cadomosto erforschte Senegambien. In vergessenen Chroniken geschieht bisweilen solcher unerhörten Fahrt Erwähnung, die das bewundernde Grauen der Zeitgenossen erregte; die mittelbaren Wirkungen zeigten sich, wie vorher bei den Kreuzzügen, in Dichtung und Märchen, die sich in Motiven und ganzen Motivenkreisen vielfach um die abenteuerlichen Reisen bewegten.

Religiöser Eifer war ein Antrieb, kaufmännischer Handelsgeist ein anderer. Da der Ozean unwegsam blieb und die Nautik noch ohne wissenschaftliche Befehle war, kannte man doch vor dem Jahr 1200 den Kompass noch nicht, erzwangen sich furchtlose Pioniere den Weg über Syrien und Indien bis zum äußersten Osten Asiens. Um 1250 zogen der Dominikaner Aszelin und der Franziskaner Piano Carpini als Glaubensboten in den Orient. Bis zum Sturz der mongolischen Dynastie im fünfzehnten Jahrhundert bestand eine regelmäßige Verbindung genuesischer und venezianischer Firmen mit China. Einige betrieben sogar auf den Molukken ihre Geschäfte, und da ging es natürlich um praktischere Dinge als um die Verbreitung christlicher Lehre; sie erhandelten Pfeffer, Ingwer, Zimt, Kardamom und Indigo, begehrte und hochbewertete Ware, die schon das Wagnis des Erwerbs teuer machte.

Ja, es ging um Gewinn, aber nicht allein um Gewinn. Es war da auch ein Stück Romantik im Spiel. Die Zeit brachte den Typus des romantischen Händlers und Kaufmanns hervor, dessen charakteristischste Verkörperung Marco Polo ist. Die phantasievolle Beschreibung seiner Reise und des jahrzehntelangen Aufenthalts in den Reichen des Groß-Chans gehört zum unveräußerlichen Gut der europäischen Literatur. Das Buch hat, in seiner Weise, eine ebenso tiefe Wirkung geübt wie die Schriften des Aristoteles oder wie Ariosts rasender Roland, es ist in die untersten Schichten des Volks gedrungen, wandernde Erzähler verbreiteten seinen Inhalt bis in das Herz des Kontinents, bis ans nördliche Meer, und Jahrhunderte hindurch hat es wie eine beglückende Fiktion in allen an die Scholle Geketteten wirklichkeitslose, wirklichkeitserlöste Bilder von fremden Ländern und Menschen erzeugt. Die Geschichte kennt nicht viele geistige Ereignisse dieser Art, Defoes Robinson Crusoe war eines.

Bei der Rückkehr der Poli von ihrer zweiten Reise wollte sie niemand in Venedig erkennen. Sie waren ziemlich entstellt, trugen schmutzige und abgerissene Kleider, und die Verwandten weigerten sich, ihnen ihre eigenen Häuser aufzuschließen. Erst nach Wochen gelang es ihnen, die Freunde zu überzeugen, dass sie die waren, für die sie sich ausgaben. Um jeden noch übriggebliebenen Verdacht zu zerstreuen und zugleich eine feine Rache zu nehmen, veranstalteten sie ein Fest, zu dem sie die vornehmsten Familien der Stadt einluden. Das Haus war prächtig geschmückt, silberne und goldene Gefäße zierten die Tafel, reichgekleidete Diener servierten köstliche Speisen und die edelsten Weine. Die Wirte erschienen zuerst in langen Schleppkleidern aus karmesin Atlas, dann entfernten sie sich und kamen zum Erstaunen der Gäste in noch schöneren Gewändern aus karmesin Damast wieder, dies wiederholten sie abermals und zeigten sich in karmesin Samt. Jedes Mal wurden die abgelegten Gewänder zerschnitten und der Stoff unter die Dienerschaft verteilt. Am Schluss des Abends schickten sie alle Diener hinaus, und Marco holte aus dem Nebenzimmer seine schäbigen Reisekleider von grobem Wollzeug herbei. Als die Damen darüber die Nase rümpften, reichte Marco einer von ihnen, der herzhaftesten, eine Schere und forderte sie auf, den weiten Ärmel, den unsauberen Kragen, den geflickten Gürtel aufzuschneiden. Als die andern sahen, dass aus den geöffneten Stellen Perlen und Edelsteine herausrollten, ließen sie sich nicht mehr bitten; keine Naht blieb unaufgetrennt, denn alles was herausfiel durften sie behalten. Von da an genossen die Polos hohe Achtung, und Marco, der mit so unvergleichlicher Beredsamkeit von den Palästen und Schätzen des Groß-Chans zu erzählen wusste, wobei er mit dem Wort Million äußerst freigebig war, wurde überall der Messer Millioni genannt; sein in der Straße San Chrysostomo gelegenes Haus hieß die Casa Millioni.

»Zipangu«, berichtet er, »ist eine große Insel des Morgenlands und liegt von den Küsten von Mangi in hoher See fünfzehnhundert Miglien entfernt. Die Einwohner sind weiß, sehr schön, von angenehmem Wesen. Sie beten Götzen an und werden von ihrem eigenen König regiert. Gold haben sie in allergrößtem Überfluss, man findet es, wo man will. Der Palast des Herrschers ist ganz mit Goldplatten belegt, wie wir unsere Häuser und Kirchen mit Blei decken. Auch die Säle und Zimmer sind mit Gold getäfelt, die Fenster mit Gold verziert. Es gibt Perlen in Menge, Edelsteine so viel, dass man sich nur danach zu bücken hat, und der Stadt Quinsay, die ihren Namen, Stadt des Himmels, von ihrer Herrlichkeit hat, kommt keine in der Welt gleich. Man findet dort Vergnügungen von einer Art, dass man im Paradies zu sein wähnt. Die Frauenzimmer in allen Straßen sind so verführerisch, dass ich gar nicht davon sprechen will, und sie haben solche Erfahrungen in den Liebkosungen, dass, wer einmal davon genossen hat, sie nie mehr vergessen kann.«

Den tiefsten Eindruck jedoch machte Cambalu auf ihn (es scheint das heutige Peking zu sein), die Residenz des Groß-Chans in der Provinz Cathajo. Die Wunder der Gärten und der zwölfhundert Marmorbrücken, die Pracht des Hofstaats, der unermessliche Reichtum des Fürsten, die Feste, die Aufzüge, die Schönheit der Landschaft verleiten ihn zu trunkener Überschwänglichkeit. Es ist die pure Aufschneiderei, natürlich. Aber man darf annehmen, dass er alles glaubte, was er erzählte, schon deswegen, weil er keine Konfrontation mit den Tatsachen und der Wirklichkeit zu fürchten hatte. Da er das Vertrauen seiner Zuhörer und Leser besaß, log er längst nicht mehr, wenn er Niegesehenes darstellte, sondern hielt in heiterer Selbstberauschung an Erdichtetem fest. Und seine Welt zweifelte nicht im geringsten an ihm. Seine Reisebeschreibung galt als geographisches und ethnographisches Werk für unanfechtbar, die Namen der Reiche und Städte, die er besucht oder von denen er gehört, wurden nach seinen Angaben in die Landkarten aufgenommen, und erst durch seine Mitteilungen gewannen sie im Bewusstsein Europas ihre Existenz. Zweihundert Jahre später waren sie es dann, auf die Columbus immer wieder verwies, in ihnen wurzelte der sonderbare donquichotische Irrtum seines Lebens, sie waren ihm offenbarende Kundgebungen und zugleich die wissenschaftlichen Quellen, auf die er sich stützte.

Nicht sie allein allerdings. Einer von seinen Kronzeugen war der sogenannte Sir John Mandeville, eine mysteriöse Persönlichkeit, von der man nicht weiß, ob ein Phantast, ein Schelm oder ein Gelehrter dahintersteckte. Doch nahm man ihn nicht minder ernst als Marco Polo, wenn er von dem Reich Abthas fabelte und einer Provinz Buonavison, die niemand zu betreten wagt, weil sie ganz mit Nebel bedeckt ist, aus dem nur manchmal Pferdewiehern und Hähnekrähen klingt; von einem ungeheuren Sandmeer, worin Fische leben; vom Tal der Gefahren am Strome Frison, das voll von Dämonen und bösen Geistern ist; von der Insel Fracan, deren Bewohner sich vom Duft wilder Äpfel ernähren. Polos Schilderungen sind armselig gegen seine, zumal der Groß-Chan wird zu einer orientalischen Märchenfigur; dreimalhunderttausend Sklaven stehen im Dienst des Palastes, zehntausend Elefanten und zehntausend Adler hausen in goldenen Räumen, überhaupt wird mit Gold und Edelsteinen in diesen Schilderungen so verschwenderisch, so schwelgerisch umgegangen, dass man es dem Verfasser noch ehrenvoll anrechnet, wenn von gewöhnlichen Dingen die Rede ist.

Hier wirft sich die Frage auf, inwieweit die Menschen verschiedener Epochen fähig sind, Wirklichkeit zu erfassen. Dieses Vermögen ist im fünfzehnten Jahrhundert ein vollständig anderes als im zwanzigsten. Es gibt eine Faktentreue, die den kindlicheren Zeiten abgeht, der Begriff der Wahrheit ist so unscharf wie die Verpflichtung zur Wahrheit unverbindlich. Zwischen dem Gegenstand und dem Bild von ihm ist noch zu viel leerer Raum, den die Phantasie mit vorgelebten Anschauungen, mit Angst-, Wunsch- und Traumvorstellungen füllt und der sich erst bei zunehmendem Wissen und geordneter Erfahrung verengert. Das Auge Keplers ist nicht mehr das des Ptolemäus, das des modernen Bakteriologen ein ganz anders beschaffenes Organ als das des mittelalterlichen Alchimisten. Solange die Menschheit von der Natur und vom Leben Wunder verlangt, weil Gott nur im Wunder geglaubt wird, fühlen sich diejenigen, die tiefer in unerforschtes Wesen dringen, beinahe gezwungen, Wunder zu berichten, um sich zu legitimieren. Und berichten sie sie, so werden sie ihnen auch schon zugeschrieben, der Schwindler wird zum Hexenmeister, ohne dass ers recht merkt.

Zweites Kapitel

Frühe Wege

Einige Bewunderer des Columbus versichern, er habe seine Studien auf der Universität Padua gemacht, sie haben sogar mit vielem Fleiß die Namen der Professoren herausgefunden, deren Collegia er besucht haben soll. Es gibt keinen Beweis dafür. Wahrscheinlich wurde ihm nur der primitivste Unterricht zuteil, und obgleich er sich mündlich und schriftlich oftmals auf die klassischen Autoren beruft, kann man annehmen, dass er sie nicht in der Ursprache gelesen, vielleicht überhaupt nicht gelesen, sondern nur von ihnen gehört und das ihm wichtig Dünkende sich eingeprägt hat. Sicherlich war sein Geist von Anfang an auf den einen einzigen Zweck gerichtet und hat alles hierzu Dienliche mit manischer Gier aufgesogen.

Das Jahr seiner Geburt ist unbestimmt. Er selbst nennt es nicht, die Angaben anderer schwanken zwischen 1436 und 46. Schon im Alter von vierzehn Jahren soll er zur See gegangen sein, doch über den Erlebnissen seiner Jugend liegt unaufhellbares Dunkel. Er schweigt so beharrlich darüber, dass man auf den Gedanken kommen muss sich viel herumgetrieben, viel Missgeschick erlitten, hart ums Brot gerungen haben, denn es wird berichtet, dass er in verhältnismäßig jungen Jahren schon grauhaarig gewesen sei.

Einmal erzählt er eine sonst nirgends verbürgte Geschichte aus dem Dämmer seines Aufstiegs, wonach er im Dienste des Königs René von Neapel eine Fahrt nach Tunis unternommen habe, um eine feindliche Galeere abzufangen. Da die Besatzung mutlos geworden sei und die Rückkehr gefordert habe, sei er zum Schein darauf eingegangen, habe jedoch heimlich die Richtung des Kompasses verändert und so die Mannschaft getäuscht. Bei Sonnenaufgang habe sich das Schiff am Kap von Cartagena befunden, während alle glaubten, es segle nach Marseille.

Davon abgesehen, dass ein historischer Anhalt für diese Begebenheit fehlt, verrät sie durch die Analogie mit einem ähnlichen Betrug während der ersten Fahrt nach Westindien, dass ihr die charakteristischen Züge erst durch eine spätere Erfahrung verliehen worden sind. Wann immer er sich über seine eigene Vergangenheit äußert, geschieht es in der Absicht, Heldenmythos zu erzeugen. Er wusste nie, wer er war, er wusste nur, wer er sein wollte.

Ebenso unerwiesen ist die Seereise nach Island und ins Polargebiet, die er unternommen zu haben behauptet, und zwar im Monat Februar des betreffenden Jahres. Seine Berichte darüber sind sehr wenig glaubwürdig, die geographischen und klimatischen Angaben falsch, auch wo sie nicht schlechthin absurd sind wie die, dass die Flut in jenen Breiten täglich sechsundzwanzig Klafter hoch steige. Nicht als ob er löge, er lügt nicht, er sieht es so oder er will es so gesehen haben, jedes Gewesene und ihm Geschehene wird ihm Roman, kein Ereignis bleibt in seinen natürlichen Maßen und Grenzen, alles drängt zum Ungeheuern hin, alles ist Katastrophe und Äußerstes. Man spürt einen Menschen, der im Gefühl einer Sendung geradezu verbrennt, aber er weiß noch nicht die Richtung und sieht noch keinen Weg.

Darum hat er auch keinen bestimmten Plan, noch ist er bestrebt oder imstande, sich wissenschaftliches Material zu beschaffen. Wie aus den zeitgenössischen Zeugnissen hervorgeht, ist er ein Dilettant in den nautischen Künsten, seine Unwissenheit in der Erdkunde erregt den Spott der Fachleute. Es wäre nicht ohne Reiz, zu untersuchen, wann und bei welchem Anlass der Gedanke zum ersten Mal in ihm auftauchte, die Ostküste Asiens auf geradem Weg vom Westen her zu erreichen (denn nur dieses und nichts anderes wollte er), aber darüber findet sich nicht einmal eine Andeutung, und seinem mystischen Hang gemäß musste ihm alles daran liegen, solche Spuren zu verwischen.

Kurz vor seinem Tode schrieb er an die spanischen Hoheiten: »Zur Ausführung meiner Fahrt nach Indien haben mir weder Vernunft, noch Mathematik, noch Weltkarten geholfen, es ist ganz einfach in Erfüllung gegangen, was der Prophet Jesaias vorhergesagt hatte. Vor dem Ende der Welt müssen alle Prophezeiungen in Erfüllung gehen, das Evangelium muss auf der ganzen Erde gepredigt werden, und die heilige Stadt muss der Kirche Christi zurückgegeben sein. Gott hat durch meine Entdeckung ein großes Wunder bewirken wollen.«

Kennen wir diese Töne nicht? Klingt es nicht ähnlich, wenn Don Quichote von seiner Bestimmung spricht, Vorbild der Ritterschaft und Heilsbringer der Menschheit zu sein? Es ist nicht ohne Großartigkeit, wie er die Vorbereitungen aufzählt, die er, als Auserkorener, dennoch habe treffen müssen und welche Schwierigkeiten er dabei zu überwinden gehabt: »Von meiner frühesten Jugend an war ich ein Seefahrer und habe dies fortgesetzt bis auf heut. Der Seefahrer will die Geheimnisse der Welt ergründen. Wo man auf Erden zu Schiff war, bin ich zu Schiff gewesen. Verhandlung und Gespräch habe ich gepflogen mit gelehrten Leuten, mit Geistlichen und Weltlichen, Lateinern und Griechen, Juden und Mauren und mit vielen andern von anderem Glauben. Meinem Wunsche war der Herr geneigt, er verlieh mir Geist und Einsicht. In der Wissenschaft vom Segeln gab er mir zum Überfluss, in der Astrologie so viel als nötig war, und so auch in der Geometrie und Astronomie. Ferner gab er mir Lust und Geschicklichkeit, um Karten zu zeichnen und darauf Städte, Gebirge, Flüsse, Inseln, Häfen, jedes an seiner Stelle. Ich habe gesehen und in Wahrheit auch studiert alle Bücher, Weltbeschreibung, Historie, Chroniken und Philosophie, dann noch andre Künste, für die mir unser Herr mit sichtbarer Hand den Sinn aufschloss und mich aufs Meer schickte und mir das Feuer gab zur Tat. Die von meinem Unternehmen hörten, nannten es ungereimt und verhöhnten mich und lachten. Wer aber möchte zweifeln, dass es nicht Erleuchtung vom heiligen Geist gewesen ist?« (Er meint: da es ihm schließlich gelang, konnte man unmöglich daran noch zweifeln, vorher hielten ihn die Menschen für wahnsinnig.)

Hier steckt ein beachtenswertes Stück Autobiographie. Welch eine Stimme, was für eine Starrheit des Geistes, wieviel Bitterkeit im Zurückschauen, und das Aufatmen im Erfolg, das glühende Gefühl der eigenen Leistung! Als ob einer ganz eingehüllt wäre vom Bewusstsein der Übermenschlichkeit. Er macht sich klein, weil er sich so gewaltig groß erscheint; wenn er sich als das Werkzeug der Gottheit betrachten darf, steht er Gott näher als jede andere Kreatur. Er hat jene Demut mit den harten Fäusten, die auf dem Weg zur Selbstentäußerung alles zerbricht, was ihr verwehrt, sich in ein höheres Selbst zu verwandeln.

Er kennt die Kosmographie des Papstes Pius; die astronomischen Ephemeriden des Regiomontan; die Schriften des Abtes Walfried von Reichenau; die imago mundi des Kardinals d'Ailly; nicht erst im Umgang mit dem Prior von La Rabida und in der Vorbereitung zur Prüfung vor der spanischen Junta hat er sie kennengelernt, sondern sicherlich schon viel früher, auf ausgedehnten Fahrten, in allen Mittelmeerhäfen, im Gespräch mit Kartographen, gelehrten Mönchen, Schiffskapitänen, Händlern, Sterndeutern und Manuskriptverkäufern. Aus einer dem Aristoteles zugeschriebenen, in Wirklichkeit von Posidonios verfassten Abhandlung hat er erfahren, dass man schon im Altertum der Ansicht war, man könne von der Westküste Afrikas aus in wenigen Tagen nach Indien gelangen; in dem mystischen Buch, das er am Ende seines Lebens schrieb, zitiert er feierlich eine Stelle aus der ›Medea‹ des Seneca, deren Sinn ist: in späten Jahren wird eine Zeit kommen, wo Ozeanus die Bande der Dinge zerreißen, der ungeheure Erdkreis erschlossen sein, die Meergöttin neue Welten enthüllen wird. Das bedeutet ihm mehr als poetische Vision, es ist eine Prophetenstimme, die seine Annahme zur Gewissheit erhebt. Aber er wägt keine Stimme, prüft keine Zeugenaussage auf ihre Vertrauenswürdigkeit, was ihm zu dienen, seinen Drang zu bestätigen scheint, nimmt er wahllos an und auf und verkündet es wieder, als wäre es von ihm selbst erforscht und gesagt; alle haben vor seinen Augen denselben Anspruch auf Autorität, der von seinen Einbildungen berauschte Schwärmer und der auf die Leichtgläubigkeit unwissender Zuhörer spekulierende Betrüger; wenn sie seine flammenden Halluzinationen nähren, verweist er auf die skrupellosen Phantasten und Märchenerzähler mit derselben gläubigen Gebärde wie auf einen Martin Behaim oder Pablo Toscanelli.

Herrschte in einem solchen Kopf nicht das Chaos, jene düster lohende Verwirrung, die keine Rangordnung der Gedanken und Werte mehr zulässt, der Schrecken vor der Tat wäre zu groß, als dass die Tat vollbracht werden könnte. Erkenntnis macht feig, der Wille kann nur in einem gewissen Zwielicht unaufhaltsam vorwärts treiben.

Das Interesse der seefahrenden Nationen war um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts ausschließlich auf die Umschiffung Afrikas gerichtet. Dieser Kontinent war der mächtige Damm, der ihrem Entdeckertrieb Halt gebot. Weit in den Ozean hinaus wagte sich kein Fahrzeug. Von 1431 bis 53 setzten sich die Portugiesen unter Führung des wunderbaren Infanten Don Enrico an der Gold- und Pfefferküste fest und machten die Inseln Santa Maria, San Miguel, Terçeira, San Jorge, Fayal und Graciosa zu ihren Kolonien. Unbestritten war noch immer Wort und Meinung des Ptolemäus: nach seiner Annahme dehnte sich das Festland von Afrika bis zum Südpol aus, ohne eine Durchfahrt zu gestatten. Doch gab es Überlieferungen, denen zufolge Eudoxus von Cyzicus schon in frühester Zeit vom Roten Meer nach Gibraltar und der Karthager Hanno mit einer Flotte von sechzig Schiffen von Gibraltar nach Arabien gefahren sei. Don Enrico beschloss, der Ungewissheit ein Ende zu machen. Er errichtete zu Sagres ein Kollegium des Seewesens und eine Sternwarte, ließ alle Karten revidieren und führte auf allen Schiffen den Kompass in verbesserter Form ein, so dass sich die Schiffer auch in dunkelster Gewitternacht, in Sturm und Nebel zurechtfinden konnten. Da wagten sich denn die Kapitäne in die bisher für unzugänglich gehaltene heiße Zone, wo das Meer in siedenden Wellen aufkochen sollte, und siehe, sie kehrten unversehrt und unverbrannt aus den äquatorialen Regionen zurück. Die Kunde ihrer Fahrten verbreitete sich über die Mittelmeerländer, die ahnungsvolle Menschheit lauschte und wartete. Gerüchte wurden eifrig umhergetragen, alte Fabeln mischten sich mit neuen, und jener Christoph Columbus, der mit dem Gefühl der Bestimmung in der Brust, von Ehrgeiz verzehrt, in irgendeiner Hafenstadt als Kartenzeichner oder auf einer Galeazze als Steuermann unbeachtet lebte, nahm das vielfache Hörensagen gierig in sich auf.

Da erzählt ein Schiffer, er habe auf hoher See ein Stück Holz aus dem Wasser gefischt, das mit kunstvollen Schnitzereien, wie man sie nie gesehen, geziert war. Ein anderer hat Bambusrohre im Meer gefunden, die von einem Knoten zum nächsten acht Karaffen Wein fassen. Die Bewohner der Azoren berichten, dass der Sturm an der Insel Fayal gewaltige Fichtenstämme von fremder Art an den Strand geworfen habe, und eines Tages werden bei der Insel Graciosa zwei männliche Leichname angeschwemmt, deren Gesichts- und Körperbildung durchaus keine Ähnlichkeit mit Christen (will heißen Europäern) aufweist. Ein Seemann aus Madeira hat auf hohem Meer gebirgiges Land weit im Westen erblickt, Leute von der Insel Gomara, die es ebenfalls gesehen haben, bestätigen ihre Wahrnehmung mit einem Eidschwur. Da er Kartograph war, kannte Columbus die Namen der sagenhaften Inseln, die zu seiner Zeit, ohne dass ihr Vorhandensein wissenschaftlich wäre festgestellt worden, auf allen Weltkarten, auch noch auf Martin Behaims Erdapfel eingezeichnet waren: die Inseln der Seligen, die Insel Brandan, die Insel Antilia, die Insel Brazil, die Insel der Satanshand, die Insel der sieben Städte. Niemand hat eine von ihnen betreten, sie erhalten ihre Stofflichkeit von Legende und Schiffermärchen. Der schottische Abt Brandan zieht mit seinem Schüler Sankt Malo ins Meer hinaus, um die paradiesischen Inseln zu suchen und die Heiden dort zu bekehren. Nach langen Irrfahrten landet er auf der einsamen Insel Ima, deren Bewohner das geheimnisvolle Grab eines Riesen anbeten. Sankt Malo weckt den Riesen aus hundertjährigen Todesschlaf, und der Unhold ist geneigt, von dem heiligen Mann Unterweisung in der christlichen Lehre zu empfangen. Er wird getauft und erhält den Namen Mildum. Er erzählt von einer andern Insel, deren Ufer von hohen Mauern aus purem Gold umgeben sind, und um die frommen Männer hinzuführen, wirft er sich ins Meer und zieht das Schiff an einem Tau durch die stürmischen Fluten. Die Insel steigt vor ihnen aus der Tiefe, doch kaum haben sie an der Küste ihr Gebet verrichtet, so wankt das Eiland in seinen Festen, sie müssen fliehen und können von der See aus noch gewahren, wie es in einer Art versinkt, als werde es von einem Ungeheuern Fisch hinab gerissen. Der Riese, auf seine heimatliche Insel zurückgebracht, ist so müde von all dem Fasten und Beten, dass er die Missionare inständig bittet, sich wieder ins Grab legen zu dürfen. Hier spuken Erinnerungen an Vorwelt und prähistorisches Ungetier in der verängsteten Phantasie des mittelalterlichen Menschen, für den der Einsamkeitsgedanke nichts Erhabenes, sondern Grauen und Schrecken enthält, die nur durch die zauberische Verwandlung einer Realität ins Grandiose oder Komisch-Abstruse gemildert werden können. Manchmal spinnen sich von geschichtlichen Ereignissen her erkennbare Fäden zu dem transozeanischen Traumbild wie in der Legende von den Inseln der sieben Städte. Nach der Eroberung Spaniens durch die Mauren fuhren sieben Bischöfe mit zahlreichen Mitgliedern ihrer Gemeinden, um den Schwertern der Sarazenen zu entfliehen, auf sieben Schiffen über den Ozean nach Westen und kamen nach schweren Stürmen zu einer Insel, wo sie die Schiffe verbrannten, um die Reisegenossen zum Bleiben zu zwingen, und mitten in der Öde des Weltmeers sieben wunderbare Städte gründeten, die freilich von keinem sterblichen Auge aus dem alten Land je erblickt wurden. Was aber ihre Existenz durchaus nicht anzweifelbar machte, denn wie kein Forscher jener Tage es gewagt hätte, die Wirklichkeit dieser Märchengebilde zu leugnen, waren sie auch der Inhalt der Sehnsucht und der Gegenstand der verwegenen Pläne aller Nomaden und Konquistadoren der See.

Drittes Kapitel

Verzweifelte Bemühungen

Erst nach seiner Ankunft in Portugal tritt das Leben des Columbus aus dem Bezirk der Mutmaßung und Heroendichtung allmählich in den einer annähernden historischen Gewissheit. Wo er vorher gewesen ist und was er gewesen ist, lässt sich nicht mehr feststellen. Die Panegyriker des merkwürdigen Mannes haben für ihren Teil ebenso gut dafür gesorgt wie seine Feinde, dass die Spuren nicht aufzufinden sind, und er selbst hat von einem bestimmten Zeitpunkt ab nach seinem eigenen Beschluss kein Vorleben gehabt, so wie Don Quichote kein Vorleben gehabt hat.

Die Art, wie er nach Portugal gekommen sein soll, ist noch ganz Roman. Seegefecht mit Piraten, Feuersbrunst auf der angegriffenen Galeazze, Untergang des Schiffes und Schwimmen an die nahe Küste, wo ihn genuesische Landsleute aufnehmen, alles dies, obschon von seinem Sohn Hernando berichtet und von seinem hingebenden Bewunderer, dem Bischof Las Casas, bekräftigt und bestätigt, ist Sage, dem heldischen Nimbus zuliebe erfunden, und hat vor der Forschung in keiner Einzelheit standgehalten. Es lässt sich denken, dass es viel natürlicher, viel armseliger dabei zugegangen ist.

Nicht minder stilisiert und auf poetischen Effekt hin bearbeitet scheint alles, was mit seiner Ehe zusammenhängt. Ein harmloser deutscher Kompilator, der um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts das Leben des Columbus ausführlich beschrieben hat, lässt sich folgendermaßen vernehmen (und nicht wesentlich anders kann man es bei Washington Irving und bei den vielen lesen, die ihm vorangegangen und gefolgt sind): »Für einen Mann wie Columbus war Lissabon die hohe Schule, um sich auf seine fernere Laufbahn vorzubereiten. Hier fehlte es ihm nicht an Gelegenheit, sich als praktischer Schiffskapitän zu versuchen und Schiffe nach der Levante, nach der Küste von Guinea, nach den Azoren und nach der Nordsee zu führen oder zu begleiten, zugleich aber fand er, wenn ihm ruhiger Aufenthalt im Hafen vergönnt war, die beste Schule, sich in seinem Beruf auszubilden, mit den neuesten Entdeckungen bekanntzumachen und im Kartenzeichnen zu vervollkommnen. Zu diesen stillen Beschäftigungen würde indessen der rastlose Freund des offenen Meeres schwerlich Muße gefunden haben, hätte er nicht zu seinem Piloten Amor gewählt, der ihn einst, denn wohin wagte der kleine heidnische Dämon sich nicht, bei stürmischem Wetter in die Allerheiligenkapelle bugsierte, wo sein Herz, und zwar mit vollen Segeln, vor Anker ging. Hier sah er Donna Filippa Muñiz di Perestrello, eine edle Portugiesin von ausnehmender Schönheit; er suchte nähere Bekanntschaft, warb um ihre Hand und vermählte sich mit ihr. Sie war die Tochter des verstorbenen Don Pietro di Perestrello, Gouverneurs der Insel Porto Santo, was Columbus dann veranlasste, mit seiner Gattin für einige Zeit diese Insel zum Wohnsitz zu wählen und den literarischen Nachlass seines Schwiegervaters zu studieren, der in allerlei nautischen Aufzeichnungen bestand, und wo auch sein Sohn Diego geboren wurde...«

Ein Idyll im Biedermeierstil. Gott Amor, nein, das ist zu rührend und zu neckisch. So kann es nicht gewesen sein, so ist es nicht gewesen.

Der Mann muss tiefer in Wirrnisse geraten sein. Ich stelle mir vor, dass er in der Hölle gelebt hat. Er ist bereits über vierzig, und was hat er erreicht? Seit Dezennien erfüllt ihn das eine Verlangen, sich hervorzutun, die Niederungen zu verlassen, an die ihn ein boshaftes Geschick kettet, der inneren Berufung zu folgen, die von der Welt misskannt zu sehen ihm mit dem Verlauf der Jahre zu unerträglicher Folter wird. Er ist nahe daran, die Hoffnung aufzugeben. Er hört von Erfolgen weit jüngerer Seefahrer, Schiffe kehren mit aufregenden Nachrichten heim, von Monat zu Monat hellt sich der dunkle Horizont über dem Atlantik mehr auf, und er, zur Untätigkeit verdammt, im Schatten stehend, ohnmächtig und arm.

Ich sehe ihn, wie er nachts am Hafen liegt und mit brennenden Augen die Mastbäume und die Sterne betrachtet. Ich weiß, dass er heimlich in den Matrosenschenken gelauert hat, um zurückkehrende Leute auszuhorchen und frisch angeheuerten gewisse Aufträge zu erteilen. Die Aussichtslosigkeit seiner Situation muss ihn an den Rand des Verbrechens getrieben haben. In späteren Jahren hat er eine inbrünstige, fast bigotte Frömmigkeit an den Tag gelegt, manche meinen: zur Schau getragen. Ich glaube nicht, dass sie eine Maske gewesen ist oder bloße Anpassung an spanische Lebensform, ich bin überzeugt, dass sie die gesetzhafte Umkehrung des gegensätzlichen Zustandes, der Leugnung, des Haders, der Feindschaft gegen Gott und aus diesem Grund die wahrhaftige Stimmung seiner Seele war.

Diese Donna Filippa, scheint mir, war ein vermögensloses Edelfräulein, das von ihren Verwandten unterstützt wurde; was fängt man mit ihr an; man ist froh, als sich ein halbwegs respektabler Mann ihrer erbarmt, ist er gleich ohne Familie, zugereister Fremdling, man wird ihm Käufer für seine Karten verschaffen, ihm die Wege ebnen, ihn protegieren und einflussreichen Personen empfehlen. So öffnet sich ihm ein Lichtspalt im Kerker der Namen- und Tatlosigkeit.

Zieht man die Summe der Lebenserfahrungen und vergleicht danach die Existenzen, so erweist sich das allmähliche, schleichende, stufenweise Fortschreiten als viel häufiger denn das plötzliche, unerwartete und dramatische. Die meisten Dramen der Geschichte nehmen sich nur von ferne lapidar aus, in der Nähe bestehen sie aus minutiösen und schwer entzifferbaren Runen.

Im bedrängtesten Moment, dicht vor dem Abgrund, greift das Schicksal zum ersten Mal günstig entscheidend ein, indem es Columbus die Verbindung mit dem berühmten, damals schon achtzigjährigen Florentiner Toscanelli ermöglicht.

Es muss ein innerlicher Zwang für ihn bestanden haben, den Namen dieses Mannes in allen späteren Briefen und Aufzeichnungen mit Schweigen zu übergehen. Da er sich als Werkzeug in der Hand eines Höheren fühlte, durfte der Verdacht nicht entstehen, als habe er sich irdischer Hilfe bedient; es hätte die mystische Überzeugung von seiner Sendung vor allem in ihm selbst erschüttert. Bei der hintergründigen Veranlagung seiner Natur dass er die Erinnerung an den Beistand eines den seinen überragenden Geistes, vielleicht sogar die Erweckung, die er durch ihn erfuhr, hartnäckig zu ersticken trachtete. Was die Welt davon hielt, kümmerte ihn nicht. Dank ist die Angelegenheit einer sehr persönlichen Moral; Dankesschuld nicht anerkennen braucht nicht immer auf einem Mangel an Noblesse oder Selbstachtung zu beruhen, da ist oft das nämliche Gesetz wirksam, das den Nachtwandler den Weg vergessen lässt, den er geschritten, und den Ort, von dem er ausgegangen.

Und noch eines. Columbus war sicherlich unfähig, die Kategorien des Denkens und Handelns in seinem Geist zu sondern und fürchtete, in dieser nicht für voll genommen zu werden, wenn er sich nicht auch jene anmaßte.