Club der Honks - Betsy Uhrig - E-Book

Club der Honks E-Book

Betsy Uhrig

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Beschreibung

Stell dir vor, du wüsstest, wie du in fünf Jahren sein wirst ... ... und es würde dir überhaupt nicht gefallen.  In der zweiten Woche der 7. Klasse meldet sich Jason Sloan für den brandneuen HAIR-Club an. Der Club aber entpuppt sich als äußerst seltsam: Die Kinder sollen mithilfe einer schicken neuen Ausrüstung, die von einem mysteriösen Wohltäter gespendet wurde, per Videoaufnahme die Schule überwachen. Ihr erster Auftrag: herausfinden, wer aus der Cafeteria stiehlt. Doch statt der erwarteten dunklen Cafeteria zeigen die Videos Jason und seinen Freunden etwas ganz anderes: Aufnahmen von ihnen selbst als Highschool- Abgänger, fünf Jahre in der Zukunft! Was um alles in der Welt könnte hier passiert sein? Während die Kinder versuchen, das Rätsel zu lösen, müssen sie etwas feststellen: Niemandem von ihnen gefällt, wie sie in fünf Jahren sein werden ... Gibt es eine Möglichkeit, die Zukunft zu ändern und das eigene Schicksal aufzuhalten?

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Seitenzahl: 262

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Betsy Uhrig

Club der Honks

Aus dem amerikanischen Englisch von Susanne Just

Die Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel Welcome to DWEEB CLUB bei MARGARET K. McELDERRY BOOKS, einem Imprint von Simon & Schuster Children’s Publishing Division, New York.

Deutsche Erstausgabe

© der deutschsprachigen Ausgabe: Atrium Verlag AG, Imprint WooW Books, Zürich 2023

Alle Rechte vorbehalten

Text © Betsy Uhrig

Cover design © der deutschsprachigen Ausgabe: Svenja Sund, 2023

© der deutschsprachigen Ausgabe: Atrium Verlag AG, Imprint WooW Books, Zürich 2023

in Anlehnung an die Originalausgabe:

Cover Illustration © Lisa K. Weber, 2021

Cover design © Debra Sfetsios-Conover, 2021

Cover © Simon & Schuster, Inc., New York, 2021

Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Susanne Just

Lektorat: Barbara König

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

 

ISBN978-3-03967-011-6

 

www.WooW-Books.de

www.instagram.com/woowbooks_verlag

 

 

 

Für Lisa: Durch dick und dünn und die 7. Klasse

1

Die Ursprünge des Flounder Bay Upper School H.A. A. R.-Clubs sind geheimnisumwoben. Oder vielleicht auch geheimnisummantelt. Oder zumindest tragen sie einen dicken Pulli aus Geheimnissen. Als offizieller Chronist des Clubs habe ich jedenfalls versucht, dieses Geheimnis zu lüften, aber ob ich damit erfolgreich war, musst du selbst entscheiden. Eines weiß ich allerdings: Keiner von uns wäre jemals beigetreten, wenn der Coole Steve es nicht zuerst getan hätte. Und wenn wir nicht beigetreten wären, dann wäre unser Leben ziemlich anders verlaufen. Das sage ich nicht einfach nur, um das Ganze zu dramatisieren – das ist wirklich so.

Aber fangen wir lieber ganz von vorne an. Schließlich sollte eine Chronik der Reihe nach erzählt werden.

 

Es war die zweite Woche in der 7. Klasse. Noch musste ich mich in dem Gebäude zurechtfinden, das sehr viel größer und voller als die alte Schule war, und steckte in Gedanken die Mitschüler, die ich nicht kannte, in Schubladen (veganes Mittagessen, Storchenbeine, britischer Akzent). Als ich an diesem Morgen die Schule betrat, waren im Eingangsbereich zu beiden Seiten Klapptische aufgereiht. Vor den Tischen hingen Poster, die für verschiedene Schulclubs warben. Hinter jedem Tisch saßen zwei oder drei begeisterte Schüler, die für diese Tageszeit viel zu fröhlich aussahen.

All diese begeisterten Schüler versuchten, andere, weniger begeisterte Schüler dazu zu bringen, ihren Clubs beizutreten, indem sie mit Angeboten wie Minimuffins und diesen Gummiarmbändern, die wirklich wehtun, wenn man damit auf Leute schießt, warben.

Eigentlich hatte ich vor, schnurstracks an diesen Tischen vorbeizugehen, bis ich mein Schließfach erreichte. Ich hatte nicht die Absicht, an diesem Morgen einem Club beizutreten. Mit großen Entscheidungen lasse ich mir gerne Zeit, und einem Schulclub beizutreten, war eine große Entscheidung. Welchen Clubs man beitrat, bestimmte nicht nur deinen Freundeskreis, sondern auch, in welche Schubladen du von anderen gesteckt wurdest. Für eine Entscheidung von solcher Tragweite war es viel zu früh, am Tag und auch im Jahr.

Aber ich schaffte es gar nicht erst bis zu meinem Schließfach. Mein Freund, der Coole Steve, stand vor dem letzten Tisch in der Reihe und schnappte sich den Riemen meines Rucksacks, als ich gerade vorbeieilte, sodass ich ruckartig stehen bleiben musste.

»Jason«, sagte er. »Warte mal.«

»Was denn?«

»Ich werde dem« – er sah hinunter auf den Zettel, der dort einsam und verlassen auf dem Tisch lag – »H.A. A. R.-Club beitreten. Das solltest du auch.«

Niemand, begeistert oder nicht, saß hinter dem Tisch. Es gab keine Poster und auch nichts zu holen. Da lag nur der Zettel mit einer Liste, in die man sich eintragen konnte, und einem Kaffeering darauf, darunter hatte jemand in Rot Dieses Jahr neu! Mehr Informationen gibt es bei Ms. Grossman, der Beratungslehrerin! gekritzelt. Ms. Grossman war meine Geschichtslehrerin, und obwohl das neue Schuljahr gerade erst angefangen hatte, war ich schon viel zu sehr mit ihrem roten Gekritzel vertraut.

»Soll das ein Witz sein?«, fragte ich. Ich beäugte den Zettel mit seinen unausgefüllten, vorgedruckten Leerzeilen. Da lag nicht einmal ein lausiger Stift daneben. »Da hat sich noch gar niemand eingetragen. Und was ist der Haar-Club überhaupt?«

»Nicht Haar-Club«, sagte Steve. »Sondern H.A.A.R.-Club. Das sind Anfangsbuchstaben.«

»Und wofür stehen die Anfangsbuchstaben?«

»Keine Ahnung. Vielleicht ›Haarige Angelegenheiten aller Richtungen‹?«

Mir war klar, warum Steve das interessant fand. Seine Frisur war immer perfekt, und er gab sich viel Mühe mit der Instandhaltung. Mich und meine normal-bis-fettigen, unkomplizierten Haare interessierte das allerdings nicht.

»Also hat es ja doch was mit Haaren zu tun«, stellte ich fest. »Und was soll das heißen, also wirklich? Bekommen wir dann Föhntipps? Sorry. Interessiert mich nicht.«

Ich hatte mich schon umgedreht, um zu meinem Schließfach zu gehen, als Steve mir eine Hand auf die Schulter legte.

»Die Sache ist die«, sagte er. »Egal, wofür es steht – denn es könnte auch gar nichts mit Haaren zu tun haben –, der H.A. A. R.-Club ist nagelneu. Es ist noch niemand beigetreten. Wir wären die ersten Mitglieder.«

Ich schüttelte seine Hand ab, drehte mich aber wieder zu ihm um. »Ja und?«

»Wenn wir jetzt beitreten, als Siebtklässler, werden wir in der 8. Klasse bestimmt Clubvorsitzende sein.«

Jetzt hatte er meine Aufmerksamkeit.

»Wenn wir uns als Erste eintragen«, sagte ich und dachte laut nach, »wären wir dann nicht schon sofort Clubvorsitzende? Das wäre nur gerecht.«

Steve nickte angesichts meiner brillanten Logik. Oder vielleicht auch angesichts meiner Bereitwilligkeit, mich ihm anzuschließen. Er hielt mir einen Stift hin. »Wir hätten in einem nagelneuen Club das Sagen. In der 7. Klasse. Denk mal drüber nach«, schloss er.

Dabei schrieb ich meinen Namen bereits auf den Zettel.

 

Ein Wort über den Coolen Steve, bevor es weitergeht. Steves Familie war im Sommer vor der 6. Klasse nach Flounder Bay gezogen. Es gibt drei Arten von neuen Mitschülern, wie du sicherlich weißt. Es gibt den seltsamen Neuen, den uninteressanten Neuen und den coolen Neuen. Steve, der aus Kalifornien kam mit dieser perfekten Frisur und einem Lächeln, das eine Comicfigur anerkennend durch die Zähne pfeifen lassen würde, wann immer es aufblitzte, war das Coolste, was Flounder Bay je gesehen hatte. Seine Coolness wurde zusätzlich noch dadurch gesteigert, dass ein hoffnungslos uninteressanter Junge, der auch Steve hieß, zur selben Zeit in die Stadt gezogen war. Also gab es Steve und den Coolen Steve. Aber für die meisten von uns gab es sowieso nur den Coolen Steve, da man den anderen gleich wieder vergessen hatte. Oder vielleicht hat er auch seinen Namen geändert. Egal. Er wird in dieser Chronik nicht wieder vorkommen.

Der Coole Steve hatte ein Talent dafür, sogar die uncoolsten Dinge mit so ansteckender Begeisterung zu tun, dass er sie nicht nur akzeptabel, sondern schlichtweg cool machte. Er war Langstreckenläufer. Langweilig, findest du? Ja, schon. Außer, der Coole Steve lief ganz selbstverständlich mit wehendem, glänzendem Haar an dir vorüber. Er sammelte Briefmarken. Das war’s jetzt, denkst du bestimmt. Und normalerweise hättest du recht. Aber er kriegte es hin. Irgendwie kriegte er es hin.

Wenn ich also bei etwas mitmachte, an dem Steve beteiligt war, wusste ich, dass ich in Sicherheit war. Während Steve also noch seinen Namen unter meinen auf dem H.A.A.R.-Club-Zettel eintrug, seine Coolness in sanften Wellen durch den Eingangsbereich wogte, reihten sich tatsächlich bereits andere Schüler ein. Es war ihnen egal, wofür sie sich eintrugen – wenn der Coole Steve dabei war, wollten sie auch dabei sein.

Ich sollte hinzufügen, dass die Hälfte von ihnen stutzte, als sie dran waren, ihren Namen einzutragen. Schließlich hatten sie keine Ahnung, wofür H.A.A.R. stand. Und der leere Tisch und der armselige Teilnahmezettel waren ja nicht zu übersehen. Da reichte nicht einmal Steves Coolness aus, um sie das Risiko eingehen zu lassen, ihren Ruf für das, was wie der losermäßigste Club überhaupt aussah, aufs Spiel zu setzen. Das konnte ich ihnen nicht vorwerfen. Und ich bin froh, dass sich nur zehn Leute eingetragen haben.

All die anderen werden nie wissen, was sie verpasst haben.

2

Das allererste Treffen des Flounder Bay Upper School H.A.A.R.-Clubs fand am 9. September, einem Dienstag, um drei Uhr nachmittags statt. Elf Personen waren anwesend, und ich werde sie kurz beschreiben, da fast alle von ihnen eine wichtige Rolle in dieser Chronik spielen.

Zuerst einmal war da Ms. Grossman: Geschichtslehrerin und Clubberaterin. Sie hatte einen großen Wortschatz, einen gemeinen roten Stift und keine Furcht davor, beides zu benutzen.

Jason Sloan: ich – dein Erzähler. Ich hasse diese Szenen in Büchern, in denen die armen Erzähler zu beschreiben versuchen, was sie in einem Spiegel sehen, und auf ihre Makel hinweisen, um bescheiden zu wirken. Ich war extrem durchschnittlich, ein bisschen dürr und wurde oft fälschlicherweise für einen Sechstklässler gehalten, obwohl ich in der 7. Klasse war. Ist das ausreichend?

»Der Coole« Steve Hendricks: der schon vorgestellt wurde. Ich glaube nicht, dass er noch weiter beschrieben werden muss.

Nikhil Singh: ein Freund von Steve aus dem Geländelaufteam. Ich saß in Geschichte hinter Nikhil, weswegen mir der ungewöhnliche Winkel vertraut war, in dem seine Ohren an seinem Kopf angebracht waren. Ich wusste auch, dass er schnell genervt war, denn er grummelte immer über mein »unmelodisches Summen«, wenn wir einen Test schrieben.

Harriet »Hoppy« Hopkins: die Tochter der Eigentümer von Hopkins Haarnetze, der zweitgrößten Firma in Flounder Bay. In der Schule fiel Hoppy durch ihre superlockigen Haare auf, die ihre haarnetzproduzierenden Vorfahren zur Verzweiflung gebracht hätten, und, äh, na ja, durch den Befehlston in ihrer Stimme.

Andrew Vernicky: der große, rothaarige Junge aus meinem NaWi-Kurs, dessen entspannte Einstellung beinahe darüber hinwegtäuschte, wie klug er war. Er meldete sich nie, aber wenn er etwas gefragt wurde, hatte er immer recht. Einmal hat er sogar den Lehrer korrigiert.

Sonia Patel: vermutlich die friedfertigste Person, die ich je kennengelernt habe. Sogar ihre Outfits waren friedfertig. Sie schaffte es, ihren Rucksack und ihre Schuhe jeden Tag farblich auf ihre Kleidung abzustimmen. Sonia hatte riesige braune Augen und trug immer ein (passendes) Haarband in ihren dunkelbraunen Haaren.

Laura Andersen: das schüchterne, blonde Mädchen aus meinem Mathekurs. Ich schwöre dir, dass ich geschlossene Mäntel kennengelernt habe, die weniger zugeknöpft waren als Laura.

Vincent Chen: Wie beschreibt man seinen besten Freund seit dem Kindergarten? Vincent hatte verwuschelte schwarze Haare und ein albernes Grinsen. Reicht das? Aufgrund einer Wette mit seiner älteren Schwester war er allen Schulclubs beigetreten. Vincent hatte noch nie einer Wette widerstehen können, etwas, das ich gelegentlich zu meinem Vorteil ausnutzte.

Zwei andere Schüler, deren Namen ich nie herausfand. Ihre Beschreibungen sind nicht wichtig, aus Gründen, auf die ich später eingehen werde.

Das Interessante an der Sache ist hier aber, dass alle Clubmitglieder Siebtklässler waren. Zufall? Nicht wirklich.

An der Flounder Bay Upper School waren von der 7. bis zur 12. Klasse alle zusammen in einem Gebäude untergebracht, weil die Stadt zu klein ist, um die wenigen Schülerinnen und Schüler getrennt unterzubringen. Das bedeutete, dass jeder, der die 7. Klasse hinter sich gelassen hatte, die Clubs an der FBUS schon kannte und sich gar nicht erst mit dem einsamen H.A.A.R.-Tisch am Ende der Reihe abgegeben hätte. Sie wussten längst, welchen Clubs sie beitreten wollten, und das taten sie auch.

Tatsächlich hätte Vincent es sich sogar erlauben können, dem H.A.A.R.-Club nicht beizutreten, weil seine Schwester keine Ahnung hatte, dass es ihn überhaupt gab. Aber Vincent hat einen strengen Ehrenkodex. Außerdem habe ich ihn dazu genötigt.

Egal, zurück zum ersten Treffen …

Ms. Grossman legte los.

»Willkommen im H.A.A.R.-Club«, sagte sie und versuchte, angesichts dieser kleinen und skeptisch dreinblickenden Gruppe begeistert zu klingen. »Dies ist das erste Jahr, in dem die Flounder Bay Upper School den H.A.A.R.-Club anbietet, und ich freue mich sehr, dass ihr euch entschieden habt, beizutreten!« Man konnte richtig hören, wie sie das Ausrufezeichen mit Elan ans Ende setzte. »Ich bin Ms. Grossman, wie diejenigen, die ich in Geschichte unterrichte, bereits wissen. Und ich bin eure Clubberaterin. Was peinlich ist, da ich zugeben muss, dass ich keinen Schimmer habe, wofür H.A.A.R. steht.

Hier kommt die Hintergrundgeschichte dazu«, fuhr Ms. Grossman fort und ließ sich auf dem Rand des Lehrerpultes vorne im Raum nieder. »Im letzten Sommer hat ein sehr erfolgreicher Firmeninhaber, der anonym bleiben will, die Dienste seines Unternehmens angeboten, um hier ein hochmodernes Überwachungssystem zu installieren. Er war so großzügig, es der Schule zu stiften, allerdings unter einer Prämisse.«

Da ich in ihrem Kurs war, wusste ich, dass Ms. Grossman ständig Wörter wie »Firmeninhaber« und »Prämisse« benutzte, ohne sie genauer zu erklären. Wenn dann jemand nach der Bedeutung fragte, lautete ihre Antwort stets: »Schreib’s dir auf und schau es nach – so lernst du es besser.« Ich machte mir meistens nicht die Mühe, was vielleicht die Anzahl an roten Korrekturen in meinen Aufsätzen erklärte.

»Diese Prämisse war«, fuhr Ms. Grossman fort, »dass wir hier an der Schule einen Club namens H.A.A.R. gründen und seine Mitglieder das Überwachungssystem überwachen.«

Nun tauschten wir alle skeptische Blicke.

»Ha!«, stieß Ms. Grossman hervor. »An euren Gesichtern kann ich sehen, dass ihr Fragen habt. Und die erste ist vielleicht, wer, der noch alle Tassen im Schrank hat, gibt denn einem Schülerclub die Verantwortung für ein brandneues, hochmodernes Überwachungssystem? Dasselbe habe ich auch gedacht. Aber der Stifter war diesbezüglich recht deutlich. Nur Clubmitglieder haben die Berechtigung, das System zu überwachen.« Sie hob einen Finger und fügte hinzu: »Was vielleicht auch ganz gut ist, denn ich glaube nicht, dass irgendeiner der Erwachsenen hier auch nur ansatzweise verstehen würde, wie das funktioniert.«

Einer der namenlosen Schüler hob die Hand.

»Ja?«, fragte Ms. Grossman.

»Dieser Club hat also gar nichts mit Haaren zu tun?«, fragte er.

»Nein«, sagte Ms. Grossman. »H.A.A.R. steht sicher für irgendetwas, aber der Stifter hat nicht erwähnt, wofür.«

Der Junge, der die Frage gestellt hatte, stand auf, das Mädchen neben ihm ebenfalls.

»Wir dachten, dass der Club was mit Haaren zu tun hat«, bemerkte das Mädchen, als sie auf die Tür zugingen.

»Na ja, das tut es schon«, sagte Ms. Grossman. »In diesem Fall allerdings –«

Aber sie hatten die Tür schon aufgerissen. Das Mädchen hechtete geradezu in den Gang. Der Junge blieb lange genug stehen, um sich noch einmal umzusehen und zu murmeln: »›Willkommen im Club der Honks‹ trifft es eher«, bevor er die Flucht ergriff. Ich glaube, dass ich der Einzige war, der ihn gehört hatte, da ich am nächsten an der Tür saß.

Okay, in diesem neuen Club ging es also um Überwachungskameras und Computerequipment. Aber das machte uns nicht zu Honks, nur weil irgendein Blödmann das gesagt hatte. Oder? Das hier war kein Club voller Honks. Wir hatten Den Coolen Steve und … und …

Oh-oh. Worauf hatte ich mich da bloß eingelassen?

3

»Okay«, sagte Ms. Grossman. »Ich kann die Verwirrung durchaus verstehen. Dachte sonst noch jemand, dass das hier ein Haar-Club ist?«

»Ich«, sagte Hoppy. »Da meine Familie im Haarnetz-Geschäft ist, dachte ich, ich trete bei, um ein bisschen bei der Konkurrenz zu recherchieren. Aber hochmoderne Überwachungstechnik klingt auch interessant.«

Ich schaute Steve an. So wie die meisten anderen im Raum. Er war schließlich der Hauptgrund, warum wir hier waren. Behutsam fuhr er sich mit der Hand durch seine eigenen Haare, als würde er ihnen eine Frage stellen. So was wie: Ist es in Ordnung, wenn ich einem Club beitrete, der sich nicht mit euch und euren Angelegenheiten befasst? Ich glaube, die Antwort war Ja, denn er sagte: »Ich dachte schon, dass es vielleicht um Haare gehen könnte, aber ich bin auch so zufrieden.«

»Ausgezeichnet«, sagte Ms. Grossman. »Und der Rest von euch ist auch noch mit dabei?«

Alle nickten. Ich zögerte einen Augenblick. Wenn ich abspringen wollte, dann wäre jetzt der richtige Zeitpunkt. Ich könnte den namenlosen Mädchen und Jungen hinaus in den Gang folgen und Steve und Vincent und den Rest dem Club der Honks überlassen. Aber das ging nicht. Vincent und Steve waren mein bester und mein zweitbester Freund. Außerdem, egal, wie honk-haft es vielleicht werden würde, eine haarige Angelegenheit war es nicht. Ich nickte. Nicht dass irgendjemand mit angehaltenem Atem auf meine Zustimmung gewartet hätte.

»Dann werde ich den Rest mal euch überlassen«, sagte Ms. Grossman. »Heute müsst ihr die Ämter für euren Clubvorstand wählen: Vorsitzenden, Vize-Vorsitzenden, Schatzmeister und Schriftführer. Ihr trefft euch immer dienstags und donnerstags, also zeige ich euch dann am Donnerstag die Ausstattung. Alles klar?«

Alle nickten wieder.

»Alles klärchen. Bis dann.«

Und schon war sie weg, als ob sie ganz dringend woanders hinmüsste.

»Okay«, sagte Steve, sobald Ms. Grossman den Raum verlassen hatte. »Dann wählen wir mal unseren Vorstand.« Er lächelte, da er wusste, dass er gleich mit überwältigender Mehrheit zum H.A.A.R.-Club-Vorsitzenden gewählt werden würde.

Aber er hatte nicht mit dem Ehrgeiz eines Jason Sloan gerechnet, der kein Läufer oder Briefmarkensammler oder von Natur aus ein guter Schüler war. Ich brauchte das hier mehr als er.

Ich räusperte mich. »Vielleicht sollten wir uns danach richten, wer sich als Erstes eingetragen hat«, schlug ich vor. »Wäre das nicht gerecht?«

Steve hörte nicht auf zu lächeln. »Das ist ein interessanter Vorschlag, Jason. Aber wenn wir danach gehen, warum nicht bei dem anfangen, der als Erster am Tisch war?«

Das war ein guter Einwand.

»Ich finde, wir sollten abstimmen«, meinte Hoppy. »Sonst entscheiden wir ja nur danach, wer gestern am frühesten in der Schule war, oder? Wie kann das gerecht sein?«

Das war ein noch besserer Einwand.

Mein Vorschlag war total lächerlich, und das wusste ich auch. »Okay«, gab ich nach. »Lasst uns abstimmen.«

Alle sahen wir uns erwartungsvoll um. Und zeitgleich kamen wir alle zu demselben Schluss: Wir hatten keine Ahnung, wie man es angeht, den Vorstand eines Clubs zu wählen.

»Müssen wir denn einen Wahlkampf für jedes Amt starten?«, sagte Vincent in einem Ton, als ob wir lebende Maden essen sollten.

»Was für eine Zeitverschwendung«, stellte Hoppy fest. »Lasst uns einfach für diejenigen stimmen, die wir in den jeweiligen Ämtern haben wollen.«

»Aber was, wenn am Ende jemand gewählt wird, der gar nichts sein will?«, fragte Laura mit einer Stimme, die kaum mehr als ein Flüstern war. Kaum hatte sie es ausgesprochen, zog sie sich auch schon wieder hinter ihren Schutzvorhang aus blonden Haaren zurück.

»Wie wär’s damit«, schlug Steve vor und zeigte damit bereits Führungskompetenz. »Jeder, der kein Amt haben möchte, meldet sich.«

Lauras Hand schoss als erste nach oben, gefolgt von Vincent und Andrew.

»Okay«, fuhr Steve fort. »Jetzt könnt ihr entscheiden, wen von uns Übrigen ihr als Vorsitzenden haben wollt.«

Er grinste wieder, als würde er erwarten, dass wir jetzt alle gleichzeitig aufspringen und einstimmig rufen würden: »Steve ist unser Vorsitzender und König!« Aber das tat natürlich niemand.

»Also wirklich, Leute«, mahnte Hoppy, als Steves Grinsen allmählich schal wurde. »Die Wahl muss anonym sein. Gebt mir ein paar leere Blätter und ein Lineal.«

»Kommt sofort«, antwortete Sonia, obwohl nicht klar war, ob Hoppy irgendwen direkt angesprochen hatte. Sonia holte einen türkisen Notizblock aus ihrem türkisen Rucksack und riss ein paar Blätter heraus. Dann öffnete sie ein türkises Federmäppchen und gab Hoppy ein Lineal.

Hoppy riss das Papier mithilfe des Lineals in Streifen und teilte sie aus. »Für jedes Amt schreibt ihr einen Namen auf den Zettel. Kapiert?«

»Guter Plan«, bestätigte Steve in dem Versuch, etwas Autorität wiederzuerlangen. »Aber wir müssen die Zettel irgendwo reintun, wenn wir gewählt haben, oder?« Er sah sich nach einem Behältnis um.

»Hier«, sagte Hoppy und kramte in ihrem Rucksack. Sie hielt Steve einen Gegenstand hin, der aussah wie ein riesiger Fussel.

»Eklig«, kommentierte Steve und rührte ihn nicht an.

»Das ist ein Haarnetz«, entgegnete Hoppy.

Steve ließ sich immer noch nicht darauf ein.

»Ich hab es nie getragen«, fügte Hoppy hinzu. »Es ist ein Musterstück.«

»Okay. Aber du hältst es«, erwiderte Steve und bewies damit bewundernswerte Kompromissbereitschaft.

Ich hätte meinen eigenen Namen auf meinen Zettel schreiben können, aber wozu? Steve war der bessere Kandidat. Ich bekam eine Stimme, und ich bin sicher, dass sie von Vincent war. Alle anderen waren für Steve.

Es folgten die Abstimmungen für den Vize-Vorsitzenden (Hoppy), den Schatzmeister (Nikhil) und die Schriftführerin (Sonia). Da stimmte ich jedes Mal für mich selbst, was deutlich machte, dass unsere neue Demokratie eindeutig schon beschädigt war. Nachdem die Stimmen für die Schriftführerin ausgezählt und Sonia zur Gewinnerin erklärt worden war, wurde es nämlich peinlicherweise sehr offensichtlich, wer die eine Person war, die ihren Namen nicht aus dem Kandidatenpool genommen, aber trotzdem kein Amt bekommen hatte.

Ich wünschte mir langsam, ich hätte Haarvorhänge wie Laura, hinter denen ich mich verstecken konnte, als Steve (der bereits ein toller Vorsitzender war, das gebe ich jetzt einfach mal zu) die qualvolle Stille durchbrach.

»Wisst ihr was?«, fragte er. »Ich glaube, wir brauchen auch einen Club-Historiker. Ich meine, das ist das erste Jahr eines neuen Clubs. Wir brauchen eine Chronik.«

»Ist das nicht die Aufgabe der Schriftführerin?«, fragte der treulose Vincent.

»Die Schriftführerin verfasst die Protokolle der Treffen«, erklärte Hoppy.

»Ich hab keine Ahnung, was das bedeutet«, gab Sonia, die Club-Schriftführerin, zu.

»Du schreibst auf, worüber wir bei den Treffen sprechen und was wir entscheiden«, erwiderte Hoppy.

»Woher weißt du das überhaupt?«, fragte Andrew stellvertretend für uns alle.

Hoppy zuckte mit den Schultern. »Hopkins Haarnetze ist ein Familienunternehmen. Manchmal gehe ich mit zu den Vorstandssitzungen.«

»Was würde ein Historiker denn machen, also so ganz theoretisch?«, fragte ich so beiläufig, wie ich nur konnte.

»Der Historiker würde eine Chronik schreiben über alles, was mit dem Club passiert«, sagte Steve.

»Und ist das dann was anderes als das Protokoll?«, fragte ich.

»Sicher«, bestätigte Hoppy. »Glaub mir.«

Das ist also die tragische Geschichte, wie ich der Vorsitzende des Flounder Bay Upper School H.A.A.R.-Clubs sein wollte und als Historiker endete – ein Amt, das extra zu meinem Trost erfunden wurde.

Im Folgenden erzählt der Chronist davon, wie das erste Jahr des Clubs doch viel interessanter wurde, als alle von uns jemals erwartet hätten.

4

An diesem Abend saß ich in meinem Zimmer und tippte gerade die ersten Seiten der offiziellen H.A.A.R.-Club-Chronik, was hauptsächlich bedeutete, dass ich mit Schriftarten herumspielte, als meine Tante und mein Onkel vorbeikamen. Sie wohnten in der Nähe und kamen oft zum Abendessen herüber.

Onkel Luke ist der kleine Bruder meiner Mutter. Sie nennt ihn immer noch so und wird das vermutlich auch immer tun. Seine Frau, Shannon, ist meine coole Tante, oder zumindest dachte ich das bis zu diesem Abend.

Nach dem Essen saßen wir noch um den Tisch herum, naschten von der Nachspeise und warteten darauf, dass Onkel Luke seinen Zahnlückentrick mit einem Brownie-Klümpchen vorführte. Das war die Lieblingsnummer meiner Schwester Alice. Sie war sechs und hatte selbst ein paar Zahnlücken.

In der Zwischenzeit fragte mich Shannon, wie es in der 7. Klasse bisher so lief. An dieser Stelle spitzten meine Eltern die Ohren, weil ich ihnen noch gar nichts erzählt hatte und sie vermutlich Angst hatten, dass ich als Außenseiter die ersten Schultage an meiner Unterhose von einem Haken baumelnd im Inneren meines Schließfaches verbracht hatte.

»Ganz gut«, sagte ich.

Bei dieser Antwort entspannten sich meine Eltern wieder, weil es die Reaktion war, an die sie schon gewöhnt waren.

»Bist du irgendwelchen Clubs beigetreten?«, fragte Shannon.

Ich war ein bisschen genervt von ihrer Frage, denn hätte sie sich nicht als Erstes erkundigen sollen, ob ich irgendwelchen Sportteams beigetreten war? Ich überlegte, ob ich ihr sagen sollte, dass ich mich um einen Platz in der Football-Mannschaft beworben hatte, nur um zu sehen, ob sie sich an ihrem Kaffee verschlucken würde.

»Warum müssen wir immer über Jason reden?«, quengelte Alice. »Ich hab keine Lust mehr, über Jason und seine neue Schule zu reden.«

»Letztes Jahr haben wir über deine Schule geredet«, beschwichtigte meine Mutter sie. »Weißt du noch? Als die neu war. Und dieses Jahr ist Jason auf einer neuen Schule.«

»Aber meine neue Schule war Jasons alte Schule«, beschwerte sich Alice.

»Alice«, sagte mein Dad in seiner Erste-und-einzige-Warnung-Stimme. »Schluss jetzt.«

»Tatsächlich wurde ich heute zum offiziellen Chronisten eines Clubs gewählt«, wandte ich mich an Shannon.

»Super«, entgegnete Shannon. »Was für ein Club?«

»Der Trottel-Club«, antwortete Alice und benutzte ihr Lieblingswort für alles, was mit mir zu tun hatte.

»Nicht der Trottel-Club«, erwiderte ich, obwohl ich mir da nicht so sicher war. »Sondern der H.A.A.R.-Club.«

»Das ist kein richtiger Club«, behauptete Alice. »Das sind nur Buchstaben.«

»Natürlich ist das ein richtiger Club«, entgegnete Shannon. »Die Buchstaben müssen für etwas stehen. Ich finde, das klingt geheimnisvoll und spannend.«

Alice sah aus, als wäre ihr ein bisschen schlecht. Wie konnte es sein, dass ihre coole Tante sich für etwas interessierte, was ihr trotteliger Bruder machte? Vielleicht sah ich selbst überrascht aus, aus demselben Grund. Ich meine, Shannon hatte Tattoos auf ihren Oberarmen und trug T-Shirts und Turnschuhe zur Arbeit.

»H.A. A. R.«, verkündete Alice, die gerade schreiben und lesen lernte, »heißt ›Trottel‹.« Nicht dass sie besonders gut darin wäre. Allerdings war sie recht gut darin, eine Unterhaltung an sich zu reißen. Vor allem eine, die sich um mich drehte.

»Nein, heißt es nicht, Schatz«, verbesserte meine Mom sie. »Das heißt ›Haar‹. Das H ist ›Hah‹ –«

»Clubs sind für Trottel«, erklärte Alice.

»Ich war in der Schule im Computerclub«, erzählte Shannon, die Alice wahrscheinlich widersprechen wollte, obwohl ihr Beispiel nicht das beste war.

»Du bist so ein Nerd!«, sagte Luke liebevoll.

»Nein, ist sie nicht«, widersprach Alice. »Sie hat Tattoos.«

»Lass dich von denen nicht täuschen, Kleine«, meinte Luke. »Weißt du, was das für Tattoos auf ihren Armen sind?«

Es stellte sich heraus, dass keiner von uns das wusste.

»Sag’s ihnen, Schatz«, forderte Luke sie auf.

»Das sind die Runen aus der Zwergenkarte in Der Hobbit«, erklärte Shannon.

»Der Hobbit ist nicht nerdig«, sagte Alice, die ihn nur als einen der Filme kannte, die sie nicht anschauen durfte.

»Oh-ho, und wie er das ist«, beharrte Luke. »Diese Tattoos heißen eigentlich ›Ich bin ein riesiger Nerd‹ in Zwergensprache. Die sind wie eine Signallampe für andere Nerds.«

»Bei dir hat’s anscheinend funktioniert, oder?«, neckte Shannon ihn und knuffte ihn in den Arm.

Meine coole Tante Shannon war ein Nerd. Ein cooler Nerd vielleicht? Gab es so was überhaupt? War ihre Nerd-Seite am Ende mächtiger als ihre coole Seite? Das war tatsächlich eine interessante Frage, aber dafür war jetzt keine Zeit. Luke führte gerade seinen Zahnlücken-Brownie-Trick vor.

5

Die übrig gebliebenen acht H.A.A.R.-Club-mitglieder versammelten sich am Donnerstag in dem Kursraum, wo unser erstes Treffen stattgefunden hatte, dann führte uns Ms. Grossman hinunter in den Schulkeller.

»Die Ausstattung ist in einer unbenutzten Hausmeisterkammer hier unten aufgebaut«, erklärte sie beim Runtergehen.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich nicht der Einzige war, der so etwas dachte wie: Super, wir sind nicht nur im losermäßigsten Club überhaupt, jetzt haben sie uns auch noch in eine Abstellkammer im Keller gesteckt. Niemand sagte aber etwas, was vermutlich daran lag, dass es irgendwie interessant war, erlaubterweise im Keller zu sein, der normalerweise für Schüler verboten ist.

Alles Mögliche war nach hier unten verräumt: antike Turngeräte, die aussahen, als hätte man sie im Mittelalter für Turnierkämpfe verwendet, riesige, rostige Küchengeräte, die den Eindruck machten, als sollte man sie lieber schnell aussortieren, säckeweise Kotzpulver und genug Schaufeln, Besen und Mistgabeln, um einen wütenden Mob auszustatten.

Wir gingen an ein paar Abstellkammern vorbei, die vom Hausmeister benutzt wurden, und kamen vor der letzten in dem Flur an: dem H.A.A.R.-Club-Hauptquartier.

»Ätzend«, kommentierte Hoppy, als wir uns hineinquetschten.

»Cool«, staunte Andrew gleichzeitig.

Beides stimmte. Es war ein kleiner Raum, in dem kaum genug Platz für uns neun war. Zwei Schreibtische aus Metall. Zwei Bürostühle mit Rollen, auf denen der Abdruck von Hausmeisterhintern zu sehen war. Eine summende Halogenlampe über uns. Es war wie der Verhörraum in einer sehr billigen Polizeiserie. Das alles machte es ätzend.

Was es cool machte, überwog allerdings. Auf den Schreibtischen standen zwei schlanke Laptops, die aussahen, als kämen sie von einem Star Trek-Filmset. Aber nicht von den alten Fernsehsendungen oder den Filmen. Sondern von der neuen Streaming-Serie, für die man zahlen musste. An einer Wand waren neun hauchdünne Großbildschirme aufgereiht. Das Equipment sah so aus, als ob eine Zivilisation von Aliens es hiergelassen hätte, um unserer rückständigen Technik Schande zu machen.

Die Bildschirme waren schwarz, bis Ms. Grossman einen der Laptops einschaltete, dann wurden alle sofort hell. Wir stießen Ooohs und Aaahs aus, als ob darauf ein Feuerwerk abbrennen würde, obwohl die Bildschirme nur unsere Schule zeigten, was schon langweilig genug war, aber obendrein war sie noch fast ganz verlassen.

Acht Bildschirme zeigten verschiedene Bereiche: vier den Außenbereich der Schule, dann die Schulmensa, den Eingangsbereich und den Flur im Obergeschoss sowie das Foyer vor dem Sekretariat. Es waren keine Standbilder; sie bewegten sich langsam, damit man sie aus verschiedenen Winkeln sehen konnte. Ms. Grossman tippte auf den Laptop und stellte den Ton an.

»Jeder Bildschirm hat seine eigene Laustärkeregelung«, erklärte sie, »damit nicht aus allen gleichzeitig der Ton zu hören ist.« Sie stellte alle leise, einen nach dem anderen, bis wieder Stille herrschte. »Acht der Bildschirme zeigen live, was gerade passiert«, sagte sie. »Aber die Kameras nehmen außerdem rund um die Uhr auf, also könnt ihr zurückspringen und zu jeder Zeit alles auf den Laptops oder auf dem neunten Bildschirm ansehen. Dufte, oder?«

Wir nickten, obwohl niemand außer Ms. Grossman das Wort »dufte« benutzt hätte, um irgendetwas in diesem Raum zu beschreiben. Oder überhaupt jemals.

»Und das war’s auch schon mit meinem Wissen über dieses System«, gab Ms. Grossman zu. »Der Stifter meinte, dass ihr den Rest selbst herausfinden könnt, indem ihr den Eingabeaufforderungen auf den Computern folgt.«

Sie schaute auf ihre Armbanduhr. »Eines noch: Es versteht sich von selbst, aber ich sage es trotzdem. Dies ist ein Überwachungssystem. Sollten wir je ein Sicherheitsproblem haben, hätte die Schulleitung und sogar die Polizei hier Vorrang. Aber außer euch wird das hier niemand regelmäßig überwachen. Wenn ihr also etwas seht, von dem ihr meint, dass das jemand an höherer Stelle wissen sollte, müsst ihr das mir oder der Schulleiterin sofort melden. Verstanden?«

»Verstanden«, sprach der Vorsitzende Steve für uns alle.

»Und außerdem«, fuhr Ms. Grossman fort, »solltet ihr je irgendetwas sehen oder mitbekommen, das eventuell jemanden blamieren könnte, aber in keiner Weise ein Sicherheitsproblem darstellt …«

Sie hielt inne, damit das bei uns allen ankam. Das tat es. Möglichkeiten, die niemand überhaupt in Betracht gezogen hatte, bahnten sich einen Weg in unsere Fantasie.

»… verlässt das nicht diesen Raum«, vervollständigte Ms. Grossman ihren Satz. »Und wenn ihr euch unsicher seid, wo die Grenze verläuft, dann kommt ihr zu mir. Alles klar? Wenn irgendjemand von euch das Vertrauen missbraucht, das wir euch mit dem Zugang zu diesem System entgegenbringen, wird dieser Jemand zuerst aus dem Club fliegen und danach vermutlich noch viel mehr Ärger bekommen. Alles klar?«

»Alles klar«, wiederholte Steve.

»Ausgezeichnet«, sagte Ms. Grossman. »Passt gut auf dieses Zeug auf. Seht zu, dass ihr um vier Uhr hier wieder draußen seid, und vergesst nicht, abzuschließen.« Und damit verließ sie den Raum und machte die Tür hinter sich zu.

6

Sobald Ms. Grossman weg war, stürzten sich alle auf die Laptops. Andrew und Nikhil erreichten sie als Erste und hatten sich gerade hingesetzt, als Steve eine Hand hob.

»Wartet«, bremste er uns. »Bevor wir loslegen …«

»Ja?«, fragte Nikhil, als er nicht weitersprach.

Steves Augen wurden weit, und er beendete seinen Satz mit: »Ist das cool, oder was?«

»Das ist ziemlich cool«, bestätigte Hoppy. »Aber ist es nicht auch komisch?«

»Das ist es«, stimmte Andrew zu und schaute auf den Bildschirm vor sich. »Das ist kein normaler Laptop.«

»Das meine ich nicht«, entgegnete Hoppy. »Beziehungsweise, ich meine nicht nur das. Ich meine, ist es nicht komisch, dass die Schule einem Haufen von Siebtklässlern einfach Zugang zu allem gibt, was hier so los ist?«

Sie ging hinüber zu dem großen Bildschirm, der den Eingangsbereich zeigte und wo ein paar Schüler herumschlenderten. An dem Balken an der Seite erhöhte sie die Lautstärke. Wir konnten hören, wie Storchenbeine und Saxofonkasten darüber diskutierten, wessen Mutter sie anrufen wollten, um sie abzuholen.

»Ja«, meinte Vincent, »aber es ermöglicht uns Zugang zum langweiligsten Ort im ganzen bekannten Universum: dieser Schule.«

»Außerdem«, fügte Nikhil hinzu, der sich immer noch auf seinen Laptop konzentrierte, »wer auch immer das eingerichtet hat, hat an alles gedacht. Schaut mal.«