Collector - Markus Heitz - E-Book
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Collector E-Book

Markus Heitz

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Beschreibung

Wir schreiben das Jahr 3042. Die Menschheit ist ins Weltall aufgebrochen und große, multinationale Konzerne treiben mit Macht und viel Geld die Eroberung der Galaxis voran – bis man auf eine geheimnisvolle außerirdische Spezies trifft: die Collectors. Eine Spezies, der selbst die härteste Spezialeinheit der Konzerne, die Justifiers, scheinbar machtlos gegenübersteht. Ein atemloser Wettlauf mit der Zeit beginnt …

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Seitenzahl: 1641

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DASBUCH

Wir schreiben das Jahr 3042. Die Menschheit ist ins Weltall aufgebrochen, doch nicht mit eigener Technik, sondern mit Hilfe von Objekten, die man bei Ausgrabungen auf der Erde gefunden hat: außerirdische Artefakte mit beeindruckenden Fähigkeiten, deren Funktionsweise die menschlichen Piloten jedoch nur in Ansätzen verstehen. So verläuft die Besiedelung anderer Planeten denkbar chaotisch. Doch dann treffen die Menschen auf eine außerirdische Spezies – die Collectors –, die anbietet, die menschliche Zivilisation unter ihre Fittiche zu nehmen und in die Gemeinschaft der galaktischen Völker einzuführen. Ein Angebot, das die Menschen nicht ablehnen können. Mit katastrophalen Folgen …

Mit COLLECTOR – DIESAGA sind erstmals die beiden Romane von Markus Heitz’ Science-Fiction-Epos in einem Band versammelt, mit einer Bonus-Erzählung und einem neuen Vorwort des Autors.

DERAUTOR

Markus Heitz wurde 1971 in Homburg geboren, studierte an der Universität des Saarlands, arbeitete lange Jahre als Journalist und ist heute einer der erfolgreichsten deutschen Fantastik-Autoren. Die Romane seiner »Die Zwerge«- und »Die Legenden der Albae«-Reihen standen monatelang auf den Bestsellerlisten. Mit »Collector – Die Saga« hat Markus Heitz sein großes Science-Fiction-Epos geschrieben. Der Autor lebt im Saarland.

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www.diezukunft.de

WILHELMHEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Neuausgabe 6/2021

Copyright © 2010, 2013 by Markus Heitz

Coypright © 2021 dieser Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Das Illustrat, München,

unter Verwendung von Motiven

von Shutterstock.com (Vadim Sadovski, freestyle images)

Satz: Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-27670-6V001

Inhalt

Vorwort

COLLECTOR

OPERATION »VADERETRO«

SUBOPTIMAL

Manual

Für Paul,

den alten Rollenspieler und Phantasten,

der schon mal in die nächste Welt vorgegangen ist

Vorwort

Zwerge im Weltall … gibt’s schon woanders, geschätzte Leserinnen und Leser. Deswegen kommen die COLLECTOR-Romane und die JUSTIFIERS-Reihe ohne die »Kleinen« aus. Ganz bewusst. Sie müssen ja nun wirklich nicht überall sein, auch wenn ich sie sehr, sehr mag und den Zwergen viel verdanke. Stattdessen gibt es hier Space Opera satt, angereichert mit kleinen philosophischen Fragen, die im Hintergrund durch die Story wabern.

Wieso dieser vermeintliche Bruch mit meiner Hausdomäne Fantasy?

Es ist kein Bruch, sondern die logische Konsequenz aus dem, was in meiner Jugend liegt. Zu meiner Zeit als aktiver Pen & Paper-Rollenspieler in den 80ern und 90ern zockten wir Tage und Nächte im Justifiers-Universum, dessen Rollenspielrechte ich mir Dekaden später durch eine glückliche Fügung sichern konnte. Eben jene Justifiers-Welt, die den Grundstock der COLLECTOR-Romane bildet.

Diese Science- oder Space-Fiction-Welt faszinierte mich von Beginn an, weil sie herrlich anders war und einen Hauch von Cyberpunk in sich barg. Das habe ich beibehalten und ausgebaut, überarbeitet und etwas modernisiert. Der Dreh- und Angelpunkt von COLLECTOR sind mächtige Konzerne, die Beta-Humanoide (Mischwesen aus Menschen und Tieren) auf Fremdplaneten schicken, um sie auf ausbeutbare Ressourcen hin zu untersuchen und in Besitz zu bringen. Das Setting bietet viel Raum und Platz für Abenteuer, Verschwörung, Zukunftstechnik – und Humor, der bei einer Space Opera niemals fehlen darf.

Sie sehen: Es ist eine Fortführung der Vielfalt, die jeder Rollenspieler und jede Rollenspielerin kennt. Limitierung wäre falsch, wenn man genug Ideen hat und sie umsetzen kann.

Zu den Rollenspielern von einst gehörte Paul, der Ihnen vielleicht in der Widmung aufgefallen ist. Paul ist sein Spitzname, er hieß eigentlich anders, doch er war der beste Paul, den es je gab. Mit ihm verbinde ich unzählige Rollenspielabende, Hunderte von perfekt bemalten Warhammer-40K-Figuren, zahlreiche designte Diorameneigenbauten für Tabletop-Schlachten, sehr viel Lachen und Partys am Lagerfeuer. Dann kam der Krebs, und Paul ging. Vielleicht zu den Sternen, vielleicht ins nächste Level, man weiß es eben nicht.

Solange es die Menschen gibt, die das Privileg hatten, Paul zu kennen, wird es ihn geben. Mit ihm verbunden bleiben diese Erinnerungen an legendäre Rollenspielrunden und das schöne Leipzig, wo er als Ingenieur an einem Teil des Flughafens Leipzig/Halle mitarbeitete. Sie kennen ihn jetzt auch oder haben zumindest von ihm gehört.

Seine letzten Worte waren übrigens:

»Ihr wollt mich wohl verarschen – das soll’s jetzt gewesen sein?«

Seitdem ging mir dieser Satz nicht mehr aus dem Kopf, den mir seine Lebensgefährtin überbrachte. Für mich ist es eine freundliche Aufforderung, eine Erinnerung, eine Mahnung, alles gleichzeitig.

Science-Fiction ist auf die Zukunft ausgerichtet, auf das Kommende. Den Blick nach vorne lenken und Dinge anpacken, ausdenken, umsetzen, und zwar rasch. Das hat Paul auch gemacht, wurde aber abberufen, bevor er mehr von seinen Plänen umsetzen konnte.

Es ist an mir, an Ihnen, an uns, die eigene nahe und ferne Zukunft zu gestalten. »Make it so«, wie Jean-Luc Picard mit einer Tasse Earl Grey in der Hand sagen würde.

Die nächste Zukunft wäre zum Beispiel, ein Buch zu lesen. Wie dieses vielleicht, was ich hoffe.

Somit wünsche ich viel Spaß mit den COLLECTOR-Romanen, die zum ersten Mal in einem Sammelband vorliegen.

Mit freundlichen Gegenwartsgrüßen, den allerbesten Zukunftswünschen und einem Ad astra (kein Bier, kein Impfstoff, nur Sterne),

Markus Heitz,

im Frühjahr 2021

COLLECTOR

ERSTER AKT

Erste Szene

1. Januar 3042 a. D. (Erdzeit)

SYSTEM: SOL

PLANET: ERDE/TERRA (FREIZONE)

GLOBALE SPEICHEREINHEIT: I

KOORDINATEN: 45°26’N, 12°20’0

Ausgerechnet heute muss es pissen.

Quietschend rutschten die Wischerblätter über die breite Frontscheibe und rieben den Schleier aus Staub und Feuchtigkeit zur Seite. Das Metronom des Niederschlags.

Kris sah aus der zehn Meter hohen Kanzel des titanischen Antigrav-Trucks auf die Überbleibsel einer lange vergangenen Zeit.

Die letzten ausgeblichenen Ruinen der Lagunenstadt änderten ihre Farbe. Regentropfen um Regentropfen befeuchtete sie und den ausgetrockneten, rissigen Boden des Venezianischen Golfs, der sich von Aschgrau zu Schwarz wandelte. Die jahrhundertealten Palazzo-, Straßen- und Brückenüberbleibsel wurden auch dunkler, als wollten sie sich der Umgebung anpassen und sich aus einem einzigen Zweck tarnen: vor der anrückenden zerstörerischen Maschine verschwinden, die herandonnerte.

Mit zweihundertachtzig Stundenkilometern jagte der dreihundert Meter lange, knallrot gestrichene Truck über den einstigen Meeresboden dahin. Anstelle von Rädern saßen eine Vielzahl dumpf brummender Antigravitationspulsatoren unter dem tonnenschweren Giganten und ließen ihn zehn Zentimeter über dem Grund schweben. Schwenkbare Hochleistungsrotoren am Heck und seitlich am Auflieger schoben ihn an.

Elf Wochen Trockenheit. Klar, dass das sich gerade jetzt ändern muss.

Kris nahm sich einen Schokoriegel von der Ablage und öffnete die Verpackung mit einer Hand, die andere blieb an der Multifunktionskonsole, mit der er das Gefährt steuerte, ein halbes Lenkrad mit zahlreichen Knöpfen und Touchpads darauf. Verschiedenste Anzeigen glühten schräg vor ihm und spiegelten sich in seinen grünen Augen. Wechselnde Außenbilder vom Truck wurden auf die Scheibe projiziert, zwei Dutzend Kameras lieferten die Bilder. Nur mit ihnen war er in der Lage, das Gefährt, das Gauss Industries gehörte, sicher ohne den Autopiloten zu lenken. Kris war ein Mietkutscher und konnte alles bewegen, was man ihm hinstellte, solange es über einen Antrieb verfügte.

Der Regen verstärkte sich. Das Metronom pendelte von selbst schneller.

Hoffentlich muss ich nicht aussteigen. Dazu habe ich nämlich überhaupt keine Lust.

Er biss ab und genoss den Geschmack, der sich in seinem Mund ausbreitete: süß, klebrig und irgendwie entspannend.

Die Baustelle tauchte auf, mitten im einstigen Canal Grande.

Kris wusste vom Canal Grande nur, weil er einen Lageplan vor Antritt des Jobs gelesen hatte, um sich auf das Manövrieren vorzubereiten. Ältere terranische Geschichte interessierte ihn nicht besonders, er fand die Gegenwart schon anstrengend genug. Aber er räumte ein: Früher muss Venedig mal eine schöne Stadt gewesen sein.

Die Aufnahmen von vor eintausend Jahren hatten ihn beeindruckt. Der geschwungene Hauptkanal, der von oben wie ein krummes Fragezeichen ausgesehen hatte, die vielen Nebenkanäle, die Paläste, die bunten Ziegeldächer, die Plätze und verborgenen Fleckchen hatten was von einem Retro-Vergnügungspark. Heute war das alles nicht mehr als eine Ansammlung unnötiger Vergangenheit, die ihm das Rangieren erschwerte. Das Wasser, das den außergewöhnlichen Charme der Stadt begründet hatte, gab es schon lange nicht mehr.

Kris grinste. Heute bin ich Venedigs einziger Gondoliere.

Neue Bauten waren entstanden – wenn auch nur vorübergehend. Krane erhoben sich mitten in den Resten der Serenissima, Scheinwerfer flammten von oben herab und beleuchteten den künstlichen Krater, den die Baumaschinen geschaffen hatten. Der Anblick erinnerte Kris an eine offene Wunde, in der gnadenlos herumgestochert wurde. Der Bergungstrupp von Gauss Industries war darin fündig geworden. Jetzt brauchten sie einen Profi wie ihn, der auch ohne die Unterstützung des Autopiloten fahren konnte.

Sie buddeln wirklich! Er hatte bis vor kurzem noch geglaubt, eine Ladung besonders schwerer Container aus einem Hochregalhort abzufahren. Na ja, was immer es sein wird: Last ist Last. Aber es ist mal was anderes als die üblichen Riesenkisten.

Etwas abseits parkten vier klobige Hovercraft-Panzer, auf deren Dächern sich kleine Radarantennen drehten und sechsläufige Flakkanonen angebracht waren. Ein unmissverständliches Zeichen an alle, die Gauss den Fund streitig machen wollten.

Hm … Ein bisschen viel Standardgeleitschutz für nachher. Kris steuerte den Truck in gerader Linie auf das Loch zu. Dass er dabei mit der stählernen Frontschürze eine zwölf Meter breite Schneise durch die Ruinen zog und noch mehr Verwüstung anrichtete als die Jahrhunderte, interessierte ihn nicht. Venedigs Zeit war schon lange abgelaufen.

Steine wurden rechts und links davongeschleudert, die letzten widerstrebenden Holzbalken, die von Salz und Hitze konserviert worden waren, barsten. Ein kleiner Schuttberg schob sich vor dem Truck auf und fiel an den Rändern zur Seite weg.

Die sind lecker. Kris beugte sich zur Seite, um einen zweiten Schokoriegel zu greifen.

Der Blick blieb an seiner Hand hängen. Am Ringfinger, an dem die Erinnerung aufblinkte und die Aufmerksamkeit auf sich zwang.

Sie lebte heute an einem anderen Ort, drei Langstreckensprünge von der Erde entfernt. Bei einer anderen Frau und mit zwei adoptierten Kindern, die seiner Tochter gute Schwestern waren. Er würde Umaia gerne hassen, doch es gelang ihm nicht, obwohl sie ihm Soraya genommen hatte. Seine Kleine war drei Jahre alt – und kannte ihn nicht.

Ich bin selbst schuld. Ob ich mir …

Die blaue Kom-Leuchte flackerte, dann sagte eine Frauenstimme aus den Lautsprechern: »Sie sind spät, Kutscher.«

Seine selbstquälerischen Gedanken wurden durchbrochen. Zum Glück. Kris atmete auf. »Beschweren Sie sich bei Ihren Mechanikern, Miss«, gab er mürrisch zurück, doch der Tonfall tat ihm sofort leid. Wer immer mit ihm sprach, sie konnte nichts dafür, dass sein Privatleben ein ähnlicher Trümmerhaufen war wie Venedig. »Früher waren die Schraubendreher bei Gauss schneller. Die Steuerpropeller …«

»Ich brauche keine Erwiderungen von Ihnen«, schnarrte sie ihn kühl an. »Sie sind zu spät und zu schnell. Es ist ja anerkennenswert, dass Sie durch Ihre Raserei versuchen, den Verzug aufzuholen, aber jetzt drosseln Sie die Geschwindigkeit, sonst rauschen Sie in meine Baustelle.«

»Bestätigt«, gab Kris ungerührt zurück. »Ankunft in einer Minute.« Er drückte Umkehrschub auf der Konsole und lenkte leicht nach rechts, damit er neben dem Krater zum Stehen kam.

Scheiße, sie hat Recht. Das wird eng!

Ein Ruck lief durch das Vehikel, das durch sein Eigengewicht mit diesem Tempo einen Straßenzug echter, stabiler Häuser abreißen konnte, wenn es außer Kontrolle geriet. Was es mit Kranen, Alu-Aufbauten und Leichtcontainern anrichtete, wollte er gar nicht wissen.

»Errechneter Bremsweg: fünfhundertdreiundvierzig Meter«, meldete der Computer nüchtern; der Autopilot verweigerte bei dieser Fahrweise jeglichen Dienst. Zwei Warnungen flackerten auf der Anzeige auf, die Kris ignorierte. Hastig tippte er auf den Knöpfen herum, schob die Finger über die Pads.

Die Geschwindigkeit fiel. Der Truck korrigierte seinen Weg und wühlte sich weiter durch den Schutt. Aber …

Oh, Mann, wird das enger als eng! Kris verfluchte einmal mehr den Ring an seinem Finger und die Gedanken, die er auslöste.

Das blaue Kom-Licht erwachte erneut zum Leben. »Kutscher, was machen Sie denn da?!«, rief die Frauenstimme mit hörbarem Stress. »Sie sind immer noch zu schnell!«

Kris sah die Menschen im Canal, die sich zu ihm gedreht hatten. Die Ersten rannten los, zwei der Hoverpanzer fuhren vorsichtshalber aus dem Weg; die starken Luftströme um sie herum drückten den Regen und den Schmutz zur Seite. »Keine Sorge. Ich lande pünktlich.« Heiliger Allvater Wotan, lass mich nicht gelogen haben.

Ohne Rücksicht auf das Material ließ Kris die dreißig Stützen ausfahren, auf die man den Truck im Stehen senken konnte, um die Pulsatoren zu schonen. Bei knappen achtzig Stundenkilometern wirkten sie wie Fräsen und rissen den Boden auf. Dreck wirbelte meterhoch auf und wurde zu einer gewaltigen Staubfahne, die das LCV hinter sich herzog, als brenne es.

Kris wurde in die Gurte gepresst und hatte mit der Steuerung alle Hände voll zu tun. Der Auflieger drohte auszuscheren und mit der Breitseite in die Baustelle zu fegen.

»Errechneter Bremsweg: siebenundachtzig Meter«, meldete der Computer. »Achtung: Kollisionsalarm.«

»Scheiße!«, rief Kris, zog die Maschine gerade und schaltete die Antigrav-Einheiten aus. Ruckartig erhielten einhundert Tonnen ihr wahres Gewicht zurück und drückten auf die Stützen, die sich in das Erdreich bohrten.

Der Truck sackte nach unten – und stand.

Rote Meldungen flimmerten auf den digitalen Armaturen, zwei Streben hatten sich verzogen, doch ansonsten war nichts geschehen. Der Mittelsensor der rechten Seite meldete: »Abstand zum Hindernis: 0,002 Meter«, die entsprechende Kamera zeigte Kris den Sockel eines Krans in Makroaufnahme. Dichter wäre es nicht mehr gegangen.

Er ließ die Pulsatoren hochfahren und drückte das Gespann damit aus der Erde, manövrierte zur linken Seite und stellte den Truck auf die Stützen. Nach einmal Durchatmen und zwei Sekunden Warten presste er die Kom-Taste. »Ankunft wie vorhergesagt«, meldete er und schloss die Augen, schluckte. Verdammter Ring! Er hoffte, dass zwei verbogene Stützstreben wirklich alles an Schäden waren.

»Steigen Sie aus, Kutscher«, bekam er von der Frauenstimme in einem Ton befohlen, als handelte es sich um einen Überfall. »Wir brauchen Ihre Einschätzung.«

»Bestätigt.« Kris drückte den Ausstiegsknopf. Prima. Raus ins Scheißwetter.

Die Kanzel senkte sich fahrstuhlgleich nach unten, während er sich einen signalroten Wachsmantel über sein schwarzes Shirt warf und einen gelben Helm aufsetzte. Auf einer Baustelle war es zur eigenen Sicherheit wichtig, gesehen zu werden. Die hohen Stiefel würden ihn vor dem Dreck schützen, die Beine der schwarzen Cargohose stopfte er in die Schäfte.

Einen Meter über dem Boden hielt die Kanzel an.

Sagen wir mal guten Tag zu der schlecht gelaunten Dame. Aber dumm anmachen werde ich mich nicht lassen.

Die Steuerkonsole zog Kris ab und steckte sie ein, dann schwang er sich zur Tür in den Nieselregen hinaus. Es roch nach Staub und Feuchtigkeit, eine leichte Nuance von Algen und Salz schwebte in der Luft. Phantommeer.

Im Schein der Flutlichter und menschenklein wurde ihm bewusst, wie groß die Baustelle war und welche immensen Anstrengungen von Gauss Industries unternommen worden waren, den Fund zu bergen. Aus seinem LCV und zehn Metern Höhe lief er gern Gefahr, seine Umgebung zu unterschätzen. Kris kam sich zwischen den Kranen und Baumaschinen unglaublich winzig vor.

Eine Gruppe von Menschen in gelben Regenoveralls eilte auf ihn zu, die Schutzhelme trugen sie über den Kapuzen. Sie hatten wasserdichte Computerpads dabei, auf denen zwei geschäftig herumtippten.

Deren Job wollte ich auch nicht haben.

Vorneweg schritt eine Frau um die fünfzig, die ein Kehlkopfmikrofon stolz um den Hals trug, als sei es wertvoller Schmuck, dahinter kamen Ingenieure; begleitet wurden sie von fünf Bewaffneten, die in schweren, dunkelbraunen Metall-Kevlar-Panzerungen steckten und dickläufige Automatikgewehre in den Händen hielten. Die Militärhelme waren komplett geschlossen, von außen undurchsichtige Visiere nahmen ihnen das Menschliche. Gardeure des Unternehmens.

Er marschierte ihnen durch den aufweichenden Boden entgegen.

»Das ist also der Mann, der uns empfohlen wurde«, begrüßte ihn die Frau und klang genervt. »Als die Agentur Ihren Namen nannte, sagte sie nichts davon, dass Sie ein Stuntman sind.«

Lass dich von ihr nicht anmachen. Vor ihrer Mannschaft schon gar nicht. »Tut mir leid, Miss …« Er las ihren Namen auf dem Anstecker. »… Crompton. Es gab ein Problem mit den Quaribarstabilisatoren, was die Rotationsquadrifuge der Kompensatorzylinder …«

Sie hob unterbrechend die Hand. »Technikgeschwafel interessiert mich nicht, Kutscher. Sie sind da, wir wollen was verladen.« Crompton deutete auf das LCV. »Können wir denn was verladen, oder hat Ihre kleine Fahreinlage den Truck massiv beschädigt?«

»Nein. Alles bestens. Ich parke in Venedig immer so.« Kris sah einen der Ingenieure breit grinsen. Der Mann hatte kapiert, dass die ansatzweise Erklärung aus erfundenen Begriffen bestanden hatte. »Sie wollten meine Fachmeinung?«

»Kommen Sie.« Crompton drehte sich um und ging zur Baustelle. »Und packen Sie Ihre Schnodderschnauze wieder ein, Kutscher. Das zieht bei mir nicht.«

Ich bin kein Schnodderschnauzer. Kris folgte ihr mit den anderen. Die Stiefel patschten durch erste Pfützen. Ich versuche es nur. »Seit wann buddelt Gauss wieder nach Artefakten?«, fragte er, um sie von sich abzulenken. »Ich dachte, das Thema sei schon lange durch?«

»Für Sie als Externer mit Sicherheit.« Er rollte mit den Augen. Mit Konzernen zusammenzuarbeiten machte keinen Spaß. Es war nicht seine Art von Menschenschlag.

»Entschuldigung, dass ich Sie anspreche: Hat man schon was Neues von Babylon5 gehört?«, fragte ihn der Mann, der eben gegrinst hatte, aber die Heiterkeit war gänzlich verflogen. Er hieß Millers, wie sein Namensschild auf der Brust verkündete.

»Der Planet Babylon5?« Kris zuckte mit den Achseln. »Kommt darauf an. Wieso fragen Sie mich das? Haben Sie keinen Empfang hier?«

Millers verneinte. »Die Abstrahlung des Fundes stört manche Signale, wie den des orbitalen Nachrichtensatelliten. Mein letzter Stand ist, dass die Collectors im Anflug auf Babylon5 waren.«

»Das sind sie immer noch. Sie haben nebenbei Kitomea angegriffen, wie Starlook meldete.«

Millers’ Schritte verlangsamten sich. »Zeus, bewahre sie«, murmelte er und presste sein Computerpad fester an sich.

Kris sah ihn bedauernd an. »Sie haben Verwandtschaft dort?«

»Gute Freunde von mir leben da«, antwortete er und schloss zu ihnen auf, nachdem Crompton ihm einen auffordernden Blick zugeworfen hatte. »Die Götter des Olymp mögen mit ihnen sein! Ich bete, dass ihnen die Flucht rechtzeitig gelungen ist.«

»Gehört der Planet nicht der FEC? Die kümmern sich normalerweise um ihre Bürger.«

»Nein. Sie haben ihn unter der Hand an die Automaten zur Pacht abgetreten. Deswegen mache ich mir solche Sorgen.« Millers schwieg, weil Crompton ihn wieder ansah. »Entschuldigung, Miss.«

Kris zog die Schultern leicht in die Höhe und schürzte ansatzweise die Lippen. Merkwürdig.

Normalerweise arbeitete die FEC nicht gerne mit dem Order of Technology zusammen, dessen Mitglieder abfällig Automaten genannt wurden. Ein Orden, der sich darauf spezialisiert hatte, den menschlichen, angeblich anfälligen Körper abzuschaffen, war nicht nach jedermanns Geschmack. Auch sein Beweggrund hörte sich besser an, als er war: Es ging dem 2OT, wie er abgekürzt wurde, darum, dem menschlichen Geist mehr Freiheiten zu geben und sich des Fleisches zu entledigen, weshalb seine Mitglieder sich die unterschiedlichsten Ersatzgliedmaßen, Kunstkörper und Apparate schufen. Größenwahnsinniges Streben nach Unsterblichkeit mit Hilfe der Technik. Und sie besaßen im Vergleich zu den meisten Konzernen und Regierungen überragende Technik, das musste der Neid ihnen lassen.

Kris schauderte, wenn er nur daran dachte, sich ohne Grund diverse Körperteile austauschen zu lassen. »Wird schon, Millers«, versuchte er den Mann aufzumuntern, glaubte aber nicht wirklich daran. Der 2OT war bekannt dafür, dass er Planeten effizient ausbeutete, in welcher Form auch immer, und sich dabei wenig um die Bevölkerung kümmerte. Dass er Menschen vor Angriffen der Collies schützte, glaubte er schon gar nicht.

Collie. Wer hat diese beschissene Verniedlichung eigentlich ins Spiel gebracht?

Die nette, langhaarige Hunderasse hatte nicht mal im Ansatz mit dem menschenverachtenden, gepanzerten Auftreten der Ahumanen zu tun. Vermutlich sollte das Hunde-Kürzel die Verachtung gegenüber den Widersachern ausdrücken. Kris fand es unpassend, aber er gebrauchte es dennoch. Es ging einfach schneller als Collector von den Lippen.

Sie hatten den Rand des Schachts erreicht.

Kris sah in das vierhundert Meter breite Loch und schätzte es auf eine Tiefe von vierzig Metern. Die Arbeiter und ihre Maschinen hatten sich durch den Boden gegraben, bis sie auf den rostfarbenen Fund gestoßen waren. Säuberlich freigelegt lag er da: zweihundert Meter lang, an seiner dicksten Stelle etwa zwanzig Meter im Durchmesser und ein bisschen an uralte Feststoffraketen erinnernd. Erste Stahlketten und Leinen waren drum herum geschlungen worden, die Krane machten sich zum Verladen bereit.

Kris hatte mit mehr gerechnet. Mit blinkenden Lichtern am Rumpf, geheimnisvollen Geräuschen oder Symbolen. Das ist irgendwie … langweilig.

In den gefährlichsten Bereichen unmittelbar unter den Ketten arbeiteten einfache Lastenroboter und Beta-Humanoide. Betas waren Mischwesen aus Tier und Mensch, die von Unternehmen und Planetenregierungen je nach Verfügbarkeit als billige Arbeiter eingesetzt wurden. Man konnte sie in nahezu jeglicher Tierform züchten. Hier hatte GI Büffel-Betas eingesetzt, wegen ihrer gewaltigen körperlichen Kräfte. Sie trugen signalrote Regenoveralls. Groteske Wesen mit dicken Stierköpfen und -hörnern, die eine humanoide Statur hatten.

»Schick«, kommentierte Kris. »Das ist doch mal ein Fund. Und was ist es, Miss Crompton? Eine verbuddelte Altlast aus dem 21. Jahrhundert oder doch was Nützliches?«

»Ein neuer, unbekannter Antrieb«, antwortete Millers rasch.

Zu rasch, wie man Cromptons eisiger Miene ablas. »Bevor unser Ingenieur noch mehr Geheimnisse ausplaudert, sollte er zu Bergungsteam zwei gehen und die Hebung klarmachen«, sagte sie schneidend. Millers lief los. »Hatte ich Sie nicht darum gebeten, nicht krampfhaft lässig sein zu wollen, Kutscher?« Sie wartete seine Reaktion gar nicht ab. »Was ich von Ihnen wissen will: Hält das LCV sicher zwölfhundert Tonnen aus?«

»Das ist das Maximum an Ladung«, erwiderte Kris und mahnte sich, ihrer Bitte nachzukommen. Er war nicht der von Natur aus coole Typ, dem man die Sprüche abkaufte, sondern wirkte meist angestrengt. Konzentriere dich auf das, wovon du Ahnung hast. »Wenn das Gewicht gleichmäßig verteilt ist, wird es nur schwierig.« Er zeigte auf einen Wulst, der sich im hinteren Drittel um den Fund zog und an eine polierte Schweißnaht erinnerte. »Wenn da aber vierhundert Tonnen drinstecken, haben Sie ein Problem. Dann bekommen Sie den Antrieb nur mit einem Raumschiff geborgen. Zu viel Unausgeglichenheit für das LCV, auch wenn Gauss-Techniker am Truck gepfriemelt haben, um ihn leistungsfähiger zu machen.«

»Auf die Schnelle bekomme ich keins.« Crompton sah ihm direkt in die Augen. »Sie müssen es schaffen. Deswegen habe ich Sie herbestellt. Sie sind der Beste auf Terra, wenn es um Überfracht geht, wie man uns bei Gauss sagte. Hätten wir unseren Besten hier, hätte ich gern auf Sie verzichtet.«

»Klingt, als hätten Sie es eilig?« Kris ging auf ihre semibeleidigende Bemerkung nicht ein und sah zu den eckigen Hoverpanzern und den martialischen Geschützaufbauten. Scheint doch wertvoll zu sein.

Seine Blicke schweiften erneut in die Tiefe. Für ihn war die Grube lebendig gewordener Geschichtsunterricht: Er befand sich mitten in den Anfängen der menschlichen Langstreckenraumfahrt. Das wiederum fand er spannend.

Da die Menschheit nicht in der Lage gewesen war, effiziente Antriebe zu konstruieren, hatte man den Weg zu den Sternen in der Erde, in Pyramiden und in den Tempeln alter Hochkulturen gesucht: die Wracks abgestürzter außerirdischer Schiffe. Die Wissenschaftler hatten die Dinge, die man verstanden hatte, einfach kopiert.

Um diese Wracks waren Kriege geführt worden, denn sie waren der Schlüssel zu den weit entfernten Planeten und hatten das Leben auf der Erde vollständig verändert.

Zwar gab es noch das umgangssprachliche Beamen, wie man es aus alten Science-Fiction-Serien kannte. Der richtige Begriff lautete TransMatt-Technologie, und sie ging wesentlich weiter als das fiktionale Beamen. Aber die Technik war teuer und vom TTMS-Konzern monopolisiert. Eine Sende- und Empfangsstation mit Transmitterbögen, durch die man schritt, musste dazugekauft und aufgebaut werden.

Kris hatte schon welche gesehen, in den Konzerngebäuden, in denen er seine Lieferungen abgeladen hatte. Schlecht war, dass ein solcher Transmitterbogen von den Abmessungen nur einundzwanzig Quadratmeter betragen durfte. Das grenzte die Art der zu transportierenden Objekte stark ein, wie ihm ein Techniker erklärt hatte. TransMatt benötigte außerdem auch länger, um die Strecken zu überbrücken. Pro Lichtjahr einen Monat Reisezeit durchs Nichts. Der ultimative Vorteil: keine Gesundheitsschäden.

Manchen war das zu langsam, vor allem den Kons, den Konzernen.

Im Laufe der Jahrhunderte wurden mit steigendem technischen Verständnis und durch den Austausch mit anderen Rassen weitere Rätsel um Motoren, Antriebe, Reaktoren gelüftet. Aber noch immer funktionierte vieles in Raumschiffen, ohne dass die Kapitäne und Maschinisten wussten, warum. Raumfahrt, gerade wenn es durch das Interim ging, blieb spannend.

Heute wurde offiziell auf der Erde nicht mehr nach den außerirdischen Raumschiffrelikten gesucht. Die Stufe hatte man hinter sich gelassen.

Eigentlich.

Die Hoverpanzer mit ihren sechsläufigen Flaks sorgten nicht dafür, dass Kris sich sicherer fühlte. Dieser Fund zu seinen Füßen lockte offenbar gefährliche Neider an.

Die Menschheit ist bescheuert. Ich würde in keinen Truck steigen, von dem ich nicht wüsste, wie sein Motor funktioniert. Kris versuchte sich vorzustellen, wofür dieser Antrieb gut sein würde. Langstreckensprünge? In seinem Verstand reihten sich die Fragen aneinander. Für einen Kurzstreckenmotor wäre er überdimensioniert. Ein Schubtriebwerk? Wie alt und woher?

Kris grinste. Am Ende musste Gauss vielleicht Regressansprüchen einer ahumanen Rasse nachkommen, die nachweisen konnte, dass einer ihrer Vorfahren der Besitzer des abgestürzten Raumschiffs gewesen war. Das kam immer wieder vor.

Aber eine Sache beschäftigte ihn besonders. »Wie aktiviert man ein solches Triebwerk?«, fragte er. »Wissen das Ihre Spezialisten?«

»Sagte ich schon, dass Sie das nichts angeht?«, knurrte Crompton.

»Doch, geht es. Ich habe keine Lust, dass dieses … was auch immer plötzlich anspringt, wenn es auf meinem LCV liegt«, konterte Kris und steckte die Hände tiefer in die Manteltaschen. »Deswegen die Frage. Ich bin in der Transportgewerkschaft, und die legt Wert auf die Sicherheit ihrer Mitglieder.«

»Erstens ist es das LCV von GI und nicht Ihres. Zweitens ist das Ihr Berufsrisiko«, schmetterte sie ihn ab. »Versuchen Sie nicht, den Preis vor Ort in die Höhe zu treiben. Sie bekommen zwanzigtausend Terracoins für eine einfache Fahrt. Andere Leute leben davon ein Jahr.« Crompton zeigte auf den Truck. »Ihr Fahrstil ist gefährlicher für Sie als der Fund. Checken Sie lieber das Vehikel. Das Beladen wird gleich beginnen.« Sie ging mit ihrem Beraterstab auf einen Lift zu, der sie nach unten in die Grube fuhr.

Ein Jahr? Was für Leute kennt die denn? Vermutlich solche, die keinen Unterhalt zahlen müssen. Kris und die Sicherheitstruppe blieben am Rand stehen. »Ich würde trotzdem eines zu gerne wissen«, murmelte er und wandte sich an die Gardeure. »Wird es gefährlich? Ich meine, wozu sonst habt ihr so viele dicke Panzer dabei?«

»Man weiß nie«, antwortete einer von ihnen orakelhaft durch den Helmlautsprecher. »Es wäre besser, wenn du die Augen offen hältst. Hier kommt deine einfache Anweisung: Die Hover werden dich auf der Fahrt begleiten, und du wirst nicht anhalten. Egal, was passiert.«

Kris zeigte mit dem Kinn auf das Triebwerk, um das immer mehr Kabel und Ketten gelegt wurden. Kleinere Antigravplattformen schwebten herbei, um das Heben zu sichern. »Wenn ich das im Rücken habe, brauche ich Kilometer, um zum Stehen zu kommen.«

»Umso besser.« Die Gardeure gingen zum nächsten Panzer und stellten sich unter eine ausgeklappte Transportlukentür, um dem Regen zu entkommen; von dort betrachteten sie das Treiben.

Das alles gefällt mir immer weniger. Kris kehrte zum LCV zurück, öffnete die Box unterhalb der Kanzel und schaltete das Diagnosegerät ein. Dann nahm er einen Handscanner und umrundete das Gefährt, prüfte es auf sichtbare und unsichtbare Schäden. Jetzt würde sich zeigen, ob wirklich alles in Ordnung war.

Seit vier Jahren verdingte er sich als Spezialkutscher und hatte sich bei den Freighteners angemeldet, einer freien Cargo-Agentur, die ihn an verschiedene Firmen auslieh. Nur Jobs auf der Erde, nur Jobs auf der Globalen Speichereinheit I. Gefangenentransporte lehnte er prinzipiell ab. Kris mochte keine Abenteuer, das Weltall und die Kolonien noch weniger. Damit hatte er abgeschlossen. Deswegen passte ihm nicht, dass sich seinem Empfinden nach etwas zusammenbraute. Dabei hat es nach einem leichten Auftrag ausgesehen, verdammt! Aber es muss ja nichts passieren.

Zügig hatte er seinen Rundgang beendet. Bis auf die verbogenen Stützen hatte sich kein Schaden gezeigt, auch das Diagnosegerät meldete nichts.

Kann losgehen. Kris stieg in die vakuumsichere Kanzel und fuhr wieder nach oben, streifte Mantel und Helm ab. Klickend rastete die Kontrollkonsole ein. »Stimm-Identifizierung: Kris Schmidt-Kneen«, sagte er laut. »Passwortphrase: Life’s a bitch, and then you die.«

»Bestätigt«, erwiderte der Computer. Die Armaturen leuchteten auf. »Willkommen. Ihr Atemalkohol beträgt 0,0 Promille, keinerlei Pupillenveränderung messbar. Fahrtüchtigkeit bestätigt.«

Schon blinkte das Kom-Signal. »Hier ist Millers«, sagte der Ingenieur. »Sind Sie bereit?«

»Bereit, Millers.« Kris war erleichtert, dass der Mann die Bergung leitete. Auf die bissige Crompton konnte er verzichten.

»Gut. Folgen Sie meinen Anweisungen, und setzen Sie langsam vor.«

Das Rendezvous zwischen Fund und Auflieger begann.

Über die Kameras verfolgte Kris das Beladen, korrigierte dabei immer wieder die Position des LCV. Der Computer scannte das heranschwebende Triebwerk, hydraulische Elemente auf dem Auflieger hoben und senkten sich, damit die Last sicher wie in einem Bett ruhte.

Kris überwachte jeden Schritt, jede Bewegung und besserte von Hand nach. Sein Bauchgefühl wusste, wo es haperte und der Rechner übergenau arbeitete. Es war eine Aufgabe, die ihm alles an Konzentration abverlangte. Er schwitzte, seine Hände waren kalt. Der kleinste Fehler konnte zur Folge haben, dass sich das Triebwerk durch einen Sturz vom Auflieger in Schrott verwandelte. Im dümmsten Fall riss es ihn dabei in den Tod.

Schließlich huschten die Antigravplattformen zur Seite. Die Krane ließen das Triebwerk in seiner ganzen Länge millimeterweise auf den Truck ab.

Kris fuhr die Leistung der Antigravitationspulsatoren bis zum Anschlag hoch. Er hatte Crompton nicht gesagt, dass es die schwerste Last darstellte, die er seit Beginn seines Kutscherdaseins fuhr. Irgendwann ist immer das erste Mal.

»Maximale Belastung leicht überschritten: zwölfhunderteins Tonnen«, warnte der Computer. »Autopilot für Steuerung unzureichend, manuelle Steuerung notwendig. Bitte bestätigen.«

Kris folgte der Anweisung und übernahm noch mehr Verantwortung: Er allein entschied nun über jede Bewegung des Trucks und die damit verbundene Sicherheit der Fracht. Andere hätten vor Angst gekotzt.

»So, das ist jetzt Ihre Sache«, sagte Millers und klang erleichtert. »Wir haben Ihnen die Ladung übergeben.«

»Bestätigt«, sagte er. »Was ist es denn jetzt, Millers? Ich verrate es auch nicht.«

Der Ingenieur lachte. »Wir schätzen, und es ist nicht mehr als eine Schätzung, dass es ein Langstreckensprungantrieb ist. Jedenfalls nach den bisherigen Erfahrungen. Genau kann ich es nicht sagen. Die Scans haben große Mengen an Deuterium und Palladium gezeigt. Der Reaktor scheint auf eine Art Kalte Fusion ausgelegt zu sein. Das fehlt GI noch in der Sammlung.«

»Was viel wichtiger ist: Ist es ganz oder kaputt?«

»Auch das wissen wir nicht. Aber Strom fließt in einigen Leitungen um den Kern, das haben wir geprüft. Alles andere muss von unseren Experten in einem Labor gecheckt werden. Passen Sie ein bisschen auf, und bremsen Sie das nächste Mal vorsichtiger. Gute Fahrt!« Millers beendete die Unterhaltung.

Kris sah, wie sich ein Hoverpanzer schräg vor das LCV setzte. Durch die Kameras wurden die anderen drei auf der Scheibe eingeblendet: rechts, links und am Heck. Die konzerneigene Eskorte stand bereit.

Blaues Kom-Licht leuchtete. »Hier GI first. Folgen Sie mir«, sagte einer der Gardeure. »Fahren Sie konstant siebzig Stundenkilometer. Wir halten die Luft sauber. Alles andere schieben Sie aus dem Weg. Bestätigen.«

»Die Luft sauber halten? Mit was rechnen Sie denn, GI first?«

»Bestätigen Sie einfach, Kutscher«, schnauzte der Mann. »Danach herrscht Funkstille.«

»Bestätigt«, sagte Kris und ließ die Taste los. »Arschloch.« Er warf die Rotoren an, und es dauerte lange, bis sich der Truck überhaupt rührte. Spitze. Das habe ich mir noch gewünscht: ein Problemtransport. Dabei habe ich der Agentur gesagt, dass ich solche Fahrten nicht mache. Die 20 000 Tois hätten mich stutzig machen sollen.

Erst unter maximaler Leistung glitt das LCV auf dem Antigravpolster behäbig vorwärts und startete mit Schrittgeschwindigkeit. Es dauerte etwa zehn Kilometer, bis es auf siebzig beschleunigt hatte. Der kalkulierte Bremsweg betrug elftausendundein Meter.

Nun wurde Kris doch mulmig. Gut, dass hier flacher Meeresboden ist.

Die Fahrt verlief ruhig. Bis auf den beunruhigenden Umstand, dass alle zehn Minuten Störungen bei Kameras und Abstandssensoren auftraten, immer ungefähr auf der Höhe des Wulstes, der einer polierten Schweißnaht ähnelte.

Stimmt, Millers hat von Anomalien in den Frequenzen gesprochen. Scheiße, das hat mir noch gefehlt. Das macht das Manövrieren nicht einfacher. Kris’ Blick huschte über den planetaren Nachrichtenticker in den Armaturen und hatte das Schlagwort Babylon5 entdeckt. »Laut abspielen«, befahl er dem Bordcomputer.

»… erreichte Starlook soeben die Meldung, dass Babylon5 an die Collectors gefallen ist«, sagte die männliche Sprecherstimme. »Der 2OT hat die Verteidigung wie zu erwarten eingestellt und den Planeten aufgegeben, der damit unter die sogenannte Obhut der Ahumanen gefallen ist.«

Damit hatten die Collies einundzwanzig Planeten eingenommen. Nach wie vor ließen sie sich kaum aufhalten, was nicht nur Kris beunruhigte.

Soraya lebte glücklicherweise nicht in dem Bereich, in dem die Collies operierten, sonst hätte er Umaia schon lange kontaktiert und sie zu einem Umzug gezwungen. Notfalls würde er ihr entgegen ihrer Abmachung das Sorgerecht streitig machen. Die Angst und die Sorge hafteten wie schmerzende Kletten auf seiner Seele.

»Der Tourismus- und Handelsplanet Babylon5 gab einer Milliarde Menschen eine Heimat«, erzählte der Sprecher. »Augenzeugen zufolge gelang einzelnen kleineren Schiffen die Flucht vor dem Eintreffen der Collectors. Ein Sprecher der Feudal European Coalition verurteilte …«

»Ton aus.« Ein weiterer Planet mehr für die Sammler. Hoffentlich konnten sich die meisten von ihnen retten. Kris drückte die Kom-Taste. »GI first, haben Sie mitbekommen, was mit Babylon5 geschehen ist?«

»Ja, haben wir«, bekam er zur Antwort. »Halten Sie trotzdem Funkstille, Kutscher.«

Kris unterbrach die Verbindung. »Arschloch«, sagte er wieder und dachte an Babylon5.

Den Collies traute Kris alles zu. Ihre Taktik zeugte von der Härte, die sie gegen alle anwandten, die sich zwischen ihre Ziele und ihre Schiffe stellten. Die stets gleichen, harmlosen Worte ihrer lakonischen Botschaften galten schon lange nichts mehr.

Woher seid ihr gekommen, ihr Mistkerle?

Zwischenspiel

25 Jahre zuvor

Eine folgenreiche Begegnung

ZEIT: 1. Januar 3017 a.D. (Erdzeit)

SYSTEM: Galloway

PLANET: Hakup (Besitz: GUSA)

STADT: Hakup-City, Westatoll

KOORDINATEN: 51°31’N, 0°7’W

Zu spät! Viel zu spät! Die geben alles aus! Anatol ging quer durch das unpersönlich eingerichtete Bankgebäude, an den vielen Wartenden vorbei, direkt zur Auszahlungsstelle. Die Stiefelabsätze knallten auf den Boden. Mein Geld! »Mein Geld!« Er schob die Frau an der Spitze der Schlange zur Seite. »Aus dem Weg!«

Sie taumelte nach rechts und wurde von dem Mann hinter ihr geistesgegenwärtig aufgefangen, sonst wäre sie gestürzt. Niemand protestierte gegen seinen rüpelhaften Auftritt.

Der Angestellte musterte ihn und langte mit einer Hand unter den Tresen.

»Sie sind neu, was?« Anatol wusste, dass er in dem zerschlissenen braunen Mantel, der zerknitterten Hose und dem alten Hemd nicht den besten Eindruck machte. Er unterschied sich kaum von dem Gesocks, das gelegentlich versuchte, die Niederlassung von Hardcastle & Co zu überfallen. Gerade das heutige Datum versprach eine beträchtliche Beute. Er bleckte die von Rissen durchzogenen Zähne. »Ich nehme nur, was mir zusteht.«

Die vier Soldaten mit den langen, schweren Impact-Schnellfeuergewehren halb im Anschlag rechts und links des Schalters blieben ruhig wie Kriegerdenkmäler. Auf ihrer schwarzgrünen Vollpanzerung prangte das Sternenbanner der Greater United States of America über dem geschwungenen H des staatseigenen Unternehmens.

»Schauen Sie zu denen, Jungchen. Die kennen mich.« Er trat an das dicke Glas, beugte sich nach vorne und sprach monoton in das Mikro: »Lyssander, Anatol, persönliche Kennnummer: 05/AL/LSP/P3982. Alter: 53 Erdjahre.« Langsam richtete er sich auf und sah den jungen Angestellten ungeduldig an. »Geben Sie es schon ein!«

Plötzlich hörte Anatol die Geräusche doppelt so laut, dreifach so laut. Das Atmen der Frau hinter ihm, ihr Schlucken … das Klicken der Tasten, auf die der Angestellte einhämmerte … das Knirschen der Kevlar-FerroCarbon-Legierung, als einer der Gepanzerten den Kopf zu ihm wandte …

Ich bin schon viel zu lange hier drin! Das Licht wurde greller, summte und schmerzte ihn. Jungfrau von Orléans, ich will nicht springen!

Er presste blinzelnd die Handflächen gegen die Ohren. »Wo bleiben meine Terracoins?«, schrie er panisch. »Gib mir meine Rente, du lahmer Pisser!«

Der Angestellte sah auf den seitlichen Bildschirm, auf dem Angaben erschienen. »Ich brauche Ihre IC, Sir.« Die Worte dröhnten brüllend wie Triebwerke.

Anatol musste dazu in die Tasche greifen. Aber dann würde er die Geräusche der Menschen, der Geräte, von allem um ihn herum noch länger ertragen müssen. Der Drang zu fliehen wurde übermächtig, die Aggression wuchs. »Haltet die Schnauze!«, tobte er und drehte sich zu den Wartenden um. »Hört ihr? HALTET DIE SCHNAUZE! Ich nehme jetzt meine Hände weg und muss meine Marke suchen.«

Die Leute sahen ihn teils verwundert, teils erschrocken an. Einige kannten ihn, und sie wirkten genervt.

Ihr könnt mich mal! Anatol wandte sich zum Angestellten, forschte einhändig in seinen Kleidern nach dem Ausweis, den anderen Arm reckte er hoch in die Luft. Es sollte die Mahnung an die Menschen sein, nichts zu tun und nichts zu sagen. Wo habe ich sie hingetan? Scheiße, wo … Er hasste seine eigenen Finger dafür, dass sie so laut waren.

Endlich fand er die scheckkartengroße Marke im Stiefelschaft und schob sie über den Schaltertresen.

Der Angestellte nahm sie stumm entgegen, steckte sie stoisch wie ein Butler ins Prüfgerät.

Anatol stöhnte auf und verschloss seine Ohren erneut mit den Händen. Noch immer nahm er alles viel zu laut wahr, er hätte Amok laufen können. Atmen, Klicken, Reiben, Fiepen, Summen, sogar das Licht machte ein Geräusch! Es trieb ihn an den Rand des Wahnsinns.

Mein Mittel! Ich muss mein Mittel nehmen. Er tastete an seinem Hemd herum und förderte den Diffusor mit dem Neuroleptikum zutage. Anatol setzte ihn sich an den Hals und drückte die Taste.

Zischend jagte eine Dosis des Medikaments durch die Haut in seine Blutbahn. Ein leichter, feiner Schmerz kam aus seinem Magen. Wie immer, wenn er das Mittel nahm.

Es wirkte augenblicklich.

Die Geräusche fuhren auf ein Normalmaß zurück, er beruhigte sich und konnte wieder einigermaßen klar denken. In letzter Sekunde. Langsam senkte er die Arme.

»Es wäre besser, Sir, wenn Sie das Mittel gegen Ihr Interim-Syndrom nehmen, bevor Sie die Niederlassung betreten«, sagte der Angestellte neutral, aber in seinen Augen stand deutlich das Mitleid. Er hatte die Aufschrift auf dem Diffusor gelesen. »Sonst wird eines Tages doch der Alarm ausgelöst werden, Sir.«

Auf Anatols Seite des Tresens öffnete sich eine Klappe, und ein Stapel bunter Chips fuhr nach oben. Vierhundert Terracoins, wie jeden Ersten eines Monats, ausgegeben von Hardcastle & Co im Auftrag der GUSA für die treuen Dienste als Langstreckensprungpilot.

»Ihren Daumenabdruck zur Empfangsbestätigung bitte, Sir.«

Anatol drückte den rechten Daumen auf das Scannerfeld und strich die Plastikmünzen ein. »Ich war spät dran«, entschuldigte er sich und wurde sich seines unmöglichen Auftritts bewusst. Das Neuroleptikum machte ihn für wenige Stunden zu einem durchschnittlichen, scheinbar gesunden Menschen.

Sein Blick fiel auf die schwache Reflexion seines faltigen, grauen Gesichts: unrasiert, die blonden Haare hingen ohne erkennbare Frisur vom Kopf bis auf die Schultern. Seine Augen waren blutunterlaufen, die Pupillen pulsierten im Takt seines Herzschlags.

Scham befiel ihn, als er seine IC-Marke in Empfang nahm. Anatol schritt an der Schlange seiner schweigenden Bekannten vorbei, ohne einen von ihnen anzuschauen, und murmelte dabei unentwegt Entschuldigungen. Wie so oft.

Er verließ das Gebäude, das direkt am Raumhafen von Hakup-City lag, und setzte die Sonnenbrille auf. Das Licht, das sich auf dem hellroten See spiegelte, könnte sonst den nächsten Anfall auslösen. Trotz des Neuroleptikums. Das Interim-Syndrom war bei Anatol extrem stark ausgeprägt, so dass er die Dosis unentwegt erhöhen musste. Bald würden die Medikamente an ihre Grenzen stoßen, das befürchtete zumindest sein Arzt.

Seine Blicke schweiften umher.

Um den See herum, der seine ungewöhnliche Farbe von den winzig kleinen Kristallen im Wasser hatte, türmten sich die schwarzen Berge. Steinmassive von zehntausend Metern und mehr, auf deren Gipfeln hellblauer Schnee lag. Die Wirkung von noch mehr Wunderkristallen, die sich in den Schichten der Atmosphäre aufhielten und von den Niederschlägen nach unten gezogen wurden. Deswegen lautete der Spitzname des Planeten auch Psychedelic: Regen, Schnee, Nebel, alles, was mit Feuchtigkeit von oben zu tun hatte, konnte bunte Farben annehmen.

Heute ist es fast zu harmlos. Anatol mochte das optische Chaos, das seinem nicht minder chaotischen Verstand entgegenkam.

Er spielte mit den Chips in seinen Taschen. Vierhundert Tois Rente für seine zwei Frauen und sechs Kinder reichten ihm niemals.

Die GUSA kümmerte sich mehr schlecht als recht um ihre einst wichtigen Piloten, die sich die Gesundheit unrettbar ruiniert hatten. Deswegen hatte Anatol einen Job, der nichts mit dem Fliegen zu tun hatte. Und der durch sein Syndrom erst möglich geworden war.

In seinem oberen Nacken zog es, als gingen er und die Umgebung in den Zustand über, den manche Hyperraum oder Nebulus oder das Interim nannten. Von beschädigten Synapsen ausgelöste Schmerzen, doch sie kamen den echten, die er früher als Pilot beim Sprung verspürt hatte, recht nahe.

Die einfache, langsame und unschädliche Technologie des TransMatt hatte den Menschen nicht ausgereicht. Schneller in den Weltraum vorstoßen, schneller als die Konkurrenz, so lautete das gierige Motto. Durch die Kopie von außerirdischer Technik wurden Antriebe in die Raumschiffe gebaut, die sie gewaltige Strecken im Weltraum überbrücken ließen. Die Bezeichnung Überlichtgeschwindigkeit war lediglich ein Platzhalter. Echte und vor allem schlüssige physikalische Erklärungen für alles, was geschah, gab es noch immer nicht. Auch nicht nach neunhundert Jahren. Menschliche Physik schien in manchen Bereichen relativ. In einigen Ecken des Universums galt sie gar nicht.

Aber es hatte sich bald herausgestellt, dass sich ab einhundert solcher LSPs gesundheitliche Schäden einstellten. Physisch und psychisch. Der Mensch vertrug die fremde Technologie nicht besonders, doch in Ermangelung von Alternativen nutzte er sie noch immer.

Anatol konnte sich genau an seinen ersten LSP erinnern: zuerst ein Ziehen im Genick, gefolgt von einem unerträglichen Brennen im ganzen Leib, dann ein Kribbeln, bis der Verstand mit einer Explosion barst – um gleich darauf im Interim zu erwachen.

Das Interim war die Fahrrinne in der unbekannten Sphäre zwischen den Sternen, in der man immer eine Woche lang mit dem Raumschiff trieb, ehe es mit Schmerzen wieder hinausging. Jedes Mal hatten Anatol wie auch die Passagiere ein Stück ihrer Gesundheit als Tribut für die schnelle Reise dort zurückgelassen.

Bei ihm waren es deutlich mehr als einhundert LSP und einige Hundert Kurzstreckensprünge gewesen. KSP wurden erst ab vierhundert gefährlich, wie man vermutete. Es hing auch von der Konstitution eines Menschen ab, aber vierhundert waren ungefähr die Grenze.

400 Tois. Dafür, dass sie mich zum Krüppel gemacht haben, viel zu wenig.

Sein Kom klingelte.

Anatol riss sich von seinen Erinnerungen und dem Anblick der Berge los und fischte das Gerät aus der Manteltasche. Der Anzeige nach war es Fredinald Zumi, der Vorsitzende der Interstellaren Handelskommission von Hakup, der etwas von ihm wollte. Scheiße. Den habe ich total vergessen. Er nahm den Anruf entgegen. »Sie werden es …«

»Immer am Ersten«, fiel ihm der Mann leicht undeutlich ins Wort, »ist es der gleiche Mist mit Ihnen, Lyssander. Sie rennen Ihrer Rente nach, und wir sitzen hier und wollen die Verhandlungen beginnen. Wer ist nicht da?«

»Ich?«

»Richtig. Prächtig analysiert, Lyssander!«, rief Zumi scheinbar gut gelaunt und klang gleich darauf ätzend. »Ich habe ein Rudel Tiranoi zu Gast. Fliegen Sie ins Handelskontor! Sonst kürze ich Ihr Übersetzerentgelt!«

Klick.

Anatol grinste. Fühl dich nur stark, Zumi. Du weißt, dass es umgekehrt ist. Er ging die Stufen des Verwaltungsgebäudes hinab auf den See zu, wo einige Meter von ihm entfernt die offenen Schwebertaxis am Ufer warteten. Am schnellsten ging es nach Hakup-City übers Wasser.

Er stieg in das erstbeste Taxi ein. Zwar stand am Raumhafen sein eigenes Schiff, aber er hatte bereits getrunken. Vier Schnäpse, mehr nicht. Einen Unfall wollte er jedoch nicht riskieren.

Die Fahrt begann.

Der Schweber ließ mit seinen vierhundert Stundenkilometern eine hohe, rote Gischtwolke hinter sich, die Anatol an Blut in Schwerelosigkeit erinnerte. Auch der Geruch war metallisch, echt … Lichtreflexe brachen sich auf der Oberfläche, leuchteten ihm in die Augen. Er musste würgen und nahm den Diffusor heraus, um den drohenden Anfall mit knallharten Chemikalien zu ersticken – und verharrte.

Schwer atmend betrachtete er das Gerät. Nein. Ich muss es aushalten, sonst verstehe ich die Tiranoi nicht richtig. Anatol steckte es unbenutzt zurück in die Tasche, dann klammerte er sich an seinen Sitz und starrte nach vorn.

Hakup-City wuchs vor ihm in die Höhe. Eine Seite lag am See, die andere am Meer, das Anatol sehen konnte. Schwarz wie Teer breitete es sich aus und schuf einen harten Kontrast zum roten Wasser; ein schmaler Damm trennte die beiden.

Die Stadt war Lebensraum für einundzwanzig Millionen Menschen, die in gewaltigen Hochhäusern lebten. Landeplattformen für Schweber standen wie kleine Blätter aus dicken Chrom-Betonstängeln hervor. In einer Sonderzone inmitten des Zentrums lebten die Kreaturen, die ahuman waren und eine Bleibegenehmigung von der GUSA bekommen hatten.

Anatol hörte in diesem Zusammenhang immer wieder von kritischen Personen die Worte Ghetto und Abschottung. Dazu musste man nicht ahuman sein, denn das beherrschten die Menschen selbst recht gut untereinander. Hakup-City zerfiel in viele kleine Gruppierungen und bildete damit keine Ausnahme in der Unzahl von menschlichen Städten im Universum.

Unsere Ahnen haben die Probleme von der Erde einfach ins Weltall mitgenommen. Viele Utopien aus Science-Fiction-Romanen der vorangegangenen Jahrhunderte hatten sich nicht bewahrheitet. Weder die düstersten noch die schönsten.

Ins Auge stach der Tech-Scraper, in dem das Unternehmen 2OT Technology seine Basis unterhielt. Die Automaten hatten nicht nur das größte Hochhaus aus silbernem, goldenem und rubinrotem Chrom gebaut, nein, sie hatten es als eine überdimensionale Werbetafel errichtet. Auf den Fronten warben Botschaften für die Mission des Ordens, den menschlichen Verstand unabhängig vom Körper zu machen. Gnadenlos zeigten sie Videos von Umwandlungen. Auf dreißig mal dreißig Metern.

Wie kann man nur? Anatol sah, wie gesunde Arme und Beine abgetrennt und durch kybernetische Implantate ausgetauscht wurden. Und das waren noch die harmlosesten Verstümmelungen! Proteste gegen die übelkeiterregende Werbung hatten sie nie gestört. Der Zulauf sprach für 2OT Technology. Wie ein Tirani wohl mit Ersatzgliedmaßen aussieht?

Der Schweber drosselte die Geschwindigkeit und legte an einem der vielen Stege an.

Anatol bezahlte und eilte in das Handelskontor, das unmittelbar an der Quai-Anlage lag. Er hetzte durch die Lobby, und die Plastiktois klimperten und klackerten dabei in seiner Tasche. Zwei davon verlor er. Unbeholfen musste er sie unter den Augen des unbeweglichen Sicherheitspersonals einsammeln. Niemand half ihm.

Tiranoi, vier Beine, humanoid und leicht reizbar, ging er durch, was er über die Rasse noch wusste. Sie kamen nicht sehr oft vorbei, aber Hakup benötigte deren Bio-Rohstoffe, um Luft- und Wasserfilter zu bauen. Die Partikel in der Planetenatmosphäre bedeuteten für empfindliche Lungen und Nieren ein Problem. Gelangten über Jahre hinweg zu viele davon in den Kreislauf, lagerten sie sich unter der Haut ab und färbten sie, was nicht immer zu schönen Ergebnissen führte. Auch wenn sich einige die Partikel spritzen ließen, um zum Kunstwerk zu mutieren, fanden es die meisten Bewohner nicht gut, bunt wie ein Hakugei zu werden. Zumi würde ihn wieder bitten, sehr behutsam zu verhandeln.

Als er im plexigläsernen Fahrstuhl nach oben fuhr, schaute er an sich hinab. Ich sehe aus wie ein Penner. Er rieb sich über die Stoppeln. Ist aber heute glücklicherweise egal. Tiranoi hatten den Vorteil, dass sie keinen Wert auf Äußerlichkeiten bei Fremdrassen legten. Außerdem waren sie so gut wie blind.

Anatol atmete tief ein und aus, machte sich locker und sammelte seine Konzentration für den Einsatz. Das Ziehen im Nacken kehrte zurück, dieses Mal war es jedoch gewollt.

Die durchsichtigen Lifttüren öffneten sich.

Er betrat das Vorzimmer des Verhandlungsraums, in dem zwei gut gekleidete Sekretärinnen hinter einer Schreibtischbarrikade aus Blaustein und Kupferelementen warteten. Die Delegationen waren hinter ihnen abgeschottet.

Die Blonde hob den Kopf und musterte ihn; ihr Name war Sally. »Da sind Sie ja, Mister Lyssander«, sagte sie tadelnd. »Mister Zumi …«

»Jepp«, unterbrach Anatol sie und ging weiter. Bevor Sally ihn erreichen konnte, hatte er die Tür bereits aufgestoßen und betrat den Saal dahinter. Seine Strategie war es stets, sich nicht anmerken zu lassen, wann er sich unsicher fühlte.

Die Interstellare Handelskommission war mit zehn Männern und Frauen vertreten und saß mit dem Rücken zu den Fenstern. Die drei Tiranoi standen ihnen gegenüber, der zwei Meter breite Tisch trennte sie. Schweigend sahen sie sich an. Spannung und Unwohlsein waren für Anatol greifbar. Spürbar. Wie schwache elektrische Spannung.

Da komme ich rechtzeitig für eine Gehaltserhöhung. Er nahm das Kom-Gerät aus der Tasche und steckte es an die Armbandhalterung, nickte grüßend in die Runde. »Hallo, Mister Zumi. Habe ich etwas verpasst?«

Der Vorsitzende, ein langer dürrer Mann um die fünfzig in einem bauschigen, gemusterten Gewand und einem Respirator vor Mund und Nase, warf ihm einen Blick zu, in dem Wut und Erleichterung steckten. Er gehörte zu denen, die panische Angst vor den Partikeln hatten. »Mister Lyssander. Schön, Sie zu sehen«, kam es dumpf unter der Maske hervor. »Wir können dann be …«

»Ich verlange heute das Doppelte«, fiel Anatol ihm ins Wort und setzte sich. »Ich habe das Gefühl, als wären die Gäste ungehalten. Das macht es schwieriger.«

»Sie sind ungehalten, weil Sie zu spät erschienen sind!«, brauste Zumi auf, und die Kommissionsmitglieder sahen den Übersetzer verurteilend an.

»Mag sein. Aber das ändert nichts daran, dass es schwieriger für mich ist«, beharrte Anatol lächelnd und massierte die Nasenwurzel. »Das Doppelte. Sonst kann es sein, dass mein Talent mich im Stich lässt.« Er zeigte auf die Berge. »Heute wird es bestimmt blauen Nebel geben, oder, Mister Zumi? Ich mag Blau.« Anatol grinste jetzt breit, zeigte die rissigen Zähne. »Sie mögen es nicht so. Verdammte Partikel, was?«

»Wenn man Sie nicht brauchte, Lyssander«, zischte Darakinta, die für Nahrungsmittel und Saatgut zuständig war, ihn an. Sie trug ein grellrotes, knielanges Kleid, darüber einen weißen Umhang, den sie locker über die Schulter geworfen hatte. »Wenn man Sie wirklich nicht brauchte, würde ich Sie sofort von Hakup verjagen!«

»Tja, wenn man mich nicht brauchte«, gab Antol gelassen zurück. Sie war seine Lieblingsgegnerin, seit er ihr vor der versammelten Kommission beschrieben hatte, wie herrlich sie sich in der Nacht gefühlt hatte, als sie nicht mit ihrem Mann geschlafen hatte. Sondern mit einem anderen. Dummerweise hatte ihr Gatte auch im Gremium gesessen, nun war sie geschieden und verbittert. Aber sie hatte ihn damals mit einem Spruch über seine Familie herausgefordert, was bei einem Mediator keine gute Idee war. Dass er es gewesen war, der mit Darakinta geschlafen hatte, verschwieg er bis heute. »Sie brauchen mich aber. Wer sonst könnte die Tiranoi verstehen?« Anatol schaute zu Zumi und ließ die Augenbrauen zucken.

»Ja, einverstanden. Das Doppelte«, sprach er seufzend und resignierte. Er fuhr sich durch die langen grauen Haare und strich sie glatt nach hinten.

»Danke.« Anatols Aufmerksamkeit stieg, das Ziehen im Nacken wurde zu einem hellen Stechen. Gleichzeitig fühlte sich sein Schädel an, als öffnete er sich wie das Dach eines Planetariums, um für die Gedanken der Fremden empfänglich zu sein. Das Verdienst des Interim-Syndroms.

Anatol »verstand« Ahumane auf mentale Weise, wenn er längere Zeit in ihrer Nähe verbracht hatte und sich intensiv mit ihrem Denken beschäftigte. Er erlangte dadurch Aufschluss über ihre Vorstellungen und Gedanken, was ihn in die Lage versetzte, mit den Ahumanen mithilfe von Bildern und Metaphern psychisch zu kommunizieren. Die meisten von ihnen ließen sich auf ihn und seine Art des Sprechens ein, Ablehnung hatte er selten erfahren, und erst in zwei Fällen war er attackiert worden.

Ihm erging es dabei wie manchen Kapitänen der LSP-Schiffe: Er hatte keine Ahnung, wie es funktionierte. Aber es funktionierte. Je schlimmer sein Interim-Syndrom wurde, desto besser. Ironie pur.

Die sind mies drauf. Anatols erster Eindruck von den Tiranoi war nicht gut. Er benötigte eine Minute, um sich wieder an die speziellen Muster und Bilder der Rasse zu gewöhnen. Dazu ließ er deren Impressionen und Gedanken wahllos auf sich einprasseln, ehe er seine Suche auf ein bestimmtes Ziel lenkte: die Verhandlungen. »Sie sind verstimmt, weil die letzte Lieferung von Sorulit-Protoplasma verdorben ist, bevor sie vollständig aufgebraucht war. Laut Haltbarkeitsdatum ein halbes Jahr zu früh«, sondierte er aus den Gedanken. »Sie wollen Entschädigung.«

Zumi und die Kommission berieten sich kurz. »Sagen Sie unseren geschätzten Handelspartnern, dass wir für die mangelhafte Ware die volle Verantwortung übernehmen und ihnen die Menge ersetzen.«

Anatol nickte und übersetzte stattdessen: »Die Hälfte wird erstattet. Die Lagerung war mangelhaft.«

Verständlicherweise regten sich die Tiranoi lautstark darüber auf, was bei ihnen klang, als würde eine Schar Büffel durch einen Flusslauf getrieben und gleichzeitig gebrandmarkt. Keine schönen Laute.

Zumi sah sehr beunruhigt aus. »Was ist, Mister Lyssander?«

Er täuschte der Kommission vor, die Gedanken zu lesen, indem er einen der Ahumanen anstarrte. »Sie akzeptieren nicht. Sie möchten mehr haben, weil es sie sehr viel Anstrengung kostete, mit der verringerten Menge an Protoplasma über die Runden zu kommen«, log er routiniert. »Und ich kann Ihnen versichern, Mister Zumi: Die sind stinksauer! Ich spüre, dass sie die Verhandlungen gleich platzen lassen.« Er schloss theatralisch die Augen. »Moment! Einer von ihnen denkt gerade an Willheim, den Handelsminister von Eriban.« Er schaute von einem Delegierten zum nächsten.

Darakinta ließ Anatol nicht aus den Augen. Sie belauerte ihn. Ihm kam es vor, als versuche sie, seine Gedanken zu lesen. Das kann sie nicht, sagte er sich beruhigend.

»Wusste ich es doch!«, rief einer aus der Kommission. »Eriban ist in Sachen Protoplasma gleichauf, seit sie einen Spion in unsere Fabrik eingeschleust hatten. Diese europäischen Bastarde von der FEC booten uns aus!«

Anatol übersetzte den Tiranoi, dass Hakup ihr Benehmen unglaublich dreist fände und dass sie davor standen, die Verhandlungen abzubrechen, woraufhin sie noch lauter wurden. Er lächelte, lehnte sich in dem Stuhl zurück und betrachtete das Durcheinander zufrieden. Eine Hand spielte mit den Terracoins in der Tasche. Am Ende bekomme ich das Dreifache, ich regele die Sache mit der Sorulit-Entschädigung, es gibt weiterhin Wasserfiltermaterial für Hakup, und alle werden glücklich nach Hause gehen. Mensch und Tirani. Ich liebe meinen Job!

Er besah sich die Situation fünf Minuten und wollte sich eben schlichtend einmischen, als sich die Tür in seinem Rücken öffnete. Anatol blickte über die Schulter, die Augenbrauen zogen sich zusammen.

Auf der Schwelle stand Sally, hinter ihr folgten zwei Frauen und ein Mann in der betont engen, schwarzen Uniform mit dem hohen, weißen Kragen der CoS, der Church of Stars. In ihren Hüftholstern steckten unübersehbare großkalibrige Automatikpistolen, Modell Thorn. Man konnte die Mitglieder der interstellaren Kirche der christlichen Konfessionen, wenn man sie zum ersten Mal sah, gut und gern für die militärische Spezialeinheit oder für die Justifiers eines Konzerns halten: Die Haare waren kurzgeschnitten, die Kleidung saß perfekt, die schwarzen Schaftstiefel schimmerten poliert. Dennoch galt die Church als friedlich. Meistens. Außer, man mischte sich in deren Belange ein.

Was wollen die denn hier? Anatols Verwunderung wuchs, als Sally in den Raum trat. Sie ging an ihm vorbei zu Darakinta und flüsterte ihr ins Ohr. Er wusste sofort, dass es sich gegen ihn richtete, was geschehen sollte.

Anatol nutzte seine Gabe, um in die Gedankenwelt der Frauen einzutauchen. Er erfasste, dass die drei Churchler auf Bitten von Darakinta gekommen waren und dass sie anscheinend dem Verhandlungsgespräch gelauscht hatten – was immer man unter den Geräuschen der Tiranoi verstehen wollte. Sie hatten eine Auswertung vorgenommen und wollten die Ergebnisse vorstellen.

Das war eine Falle für mich! Darakinta hat das angeleiert, um mich abzuschießen. Auch wenn Anatol nicht alles durchschaute, was von ihr ausgeheckt worden war: Er wusste, dass er mit seinen ertragreichen Verhandlungsmanipulationen aufgeflogen war! Die Church schien einen Weg gefunden zu haben, die fremden Laute zu übersetzen.

Heimlich berührte er den roten Knopf an seinem Kom-Gerät und tippte eine Zahlenfolge ein. Nun musste er zehn bis fünfzehn Minuten überstehen, dann war er aus dem Gebäude. Schon wieder umziehen. Das wird meinen Mädels nicht gefallen, dachte er. Ich war zu arglos. Er drehte den Kopf erneut zur Tür, zu den Uniformierten, um zu sehen, was sie unternahmen.

Die Rangabzeichen saßen bei der Church in Form von weißen, toigroßen Symbolen auf dem Solarplexus, dem Rücken und auf den Oberarmen. Die Frau war eine Deaconess, eine Diakonin. Die anderen beiden waren gewöhnliche Preacher und Preacheress, Prediger und Predigerin.

Anatol ahnte, weshalb sie aufgetaucht waren. Sie waren in der Rangordnung ziemlich weit unten angesiedelt und vermutlich ausgesandt, sich in der Fremde ihre Sporen zu verdienen. Ein Aufstiegsritual. Die Church besaß die meisten Außenposten und missionierte gerne mit wirtschaftlichem Erfolg. Deswegen waren sie auf Hakup.

Anatol richtete seine Gedankenerfassung auf das Trio, zentrierte die Gabe auf den Kopf der Frau. Die Schweine wollen meinen Job!

»Verzeihen Sie, Mister Zumi und liebe Kolleginnen und Kollegen!« Darakinta erhob sich und deutete zur Tür. »Ich bitte Sie, mit mir Deaconess Hera und Preacher Emanuell sowie Preacheress Rodosta zu begrüßen, die auf meine Einladung gekommen sind. Ich bat sie, die Unterredung zu verfolgen. Sie haben eine erstaunliche Entdeckung zu berichten, was unseren Übersetzer angeht. Dürfen sie sprechen, Herr Vorsitzender?«

Wie ich es gesehen habe. Anatol schaute zum Fenster hinaus und tat vorerst unbeteiligt. Er erkannte in Darakintas Gedanken, dass sie ihn vernichten wollte. War da ein Hauch von Mordlust gewesen? Dass sie so nachtragend ist, hätte ich nicht geglaubt. Dabei habe ich mir beim Sex mit ihr wirklich Mühe gegeben.

Zumi war überrascht, aber er nickte.

Deaconess Hera trat vor, Preacher und Preacheress blieben hinter ihr und hatten die Hände an den Griffen ihrer automatischen Pistolen. »Werte Handelskommission, der Segen des Herrn sei allezeit mit Ihnen«, eröffnete sie mit einem gewinnenden Lächeln und bekreuzigte sich. Durch die schlichte schwarze Uniform konzentrierte jeder Betrachter sich automatisch auf ihr Gesicht. »Meine Freundin Rodosta ist gesegnet und versteht die Sprache der Tiranoi. Was sie von den Ahumanen vernahm und das, was Mister Lyssander sagte, passte nicht zusammen. Ich denke, dass Mister Lyssander grobe Übersetzungsfehler beging. Absichtlich.«

»Ach ja?«, sagte Anatol scheinbar gelangweilt und sah auf das Kom-Gerät. Noch zwölf lange Minuten. »Das denke ich nicht. Wie will die Preacheress die Herrschaften verstanden haben? Sie leidet bestimmt nicht am Interim-Syndrom.«

Deaconess Hera lächelte ihn an, und in den Augen glänzte Schadenfreude. »Indem wir deren Sprache entschlüsselt haben?«, konterte sie. »Das gesprochene Wort ist besser als das gedachte, Mister Lyssander.«

Unangenehmerweise sah Anatol an ihren Gedanken, dass sie Recht hatte. Seine Nackenschmerzen wurden stärker. Er hatte seine Gabe stark beansprucht, das Wechseln zwischen den Gedankenbildern verschiedener Spezies strengte ihn mehr an. Das Syndrom meldete sich.

Zumi war nicht überzeugt. »Sie sehen mich zögern, Deaconess. Bisher hat uns Mister Lyssander gute Dienste erwiesen.«

»Ob er uns wirklich gute Dienste erwiesen hat«, schaltete sich Darakinta ein, »sollten sie herausfinden.« Sie zeigte einladend auf die Tiranoi. »Bitte sehr. Zögern Sie nicht.«

»Ich werde den Wesen nun mitteilen, was Mister Lyssander uns fälschlicherweise übersetzt hat.« Rodosta langte auf den Rücken. Eine kleine Tasche wurde hörbar geöffnet, die Anatol am Gürtel vermutete, und sie nahm ein Röhrchen mit Knöpfen daran hervor, an dessen Ende ein kleiner Lautsprecher saß. Sie blies hinein und drückte dazu verschiedenste Kombinationen. Der Lärm aus dem Lautsprecher glich verblüffend den Geräuschen, welche die Kreaturen von sich gaben und Sprache nannten.

Die Reaktion erfolgte umgehend: Die Tiranoi starrten sie an und lauschten. Als Rodosta endete, glotzten sie auf Anatol, und einer von ihnen redete los.

Wer konnte denn mit so einer lästigen Erfindung rechnen? Anatol fokussierte sich auf den Sprecher der Quadropoden. Zu seinem wachsenden Entsetzen übersetzte die Preacheress dessen Worte richtig, als sie sagte:

»Sein Name ist Ulngbiu, und er meint, Mister Lyssander habe ganz andere Dinge behauptet.« Rodosta gab dann sehr genau wieder, was Anatol gegenüber den Tiranoi erlogen hatte.

Verdammt! Verdammt noch mal!

Ulngbiu stieß neue Töne aus.

»Er ist empört und verlangt den Tod des Mannes, dem er unterstellt, dass er dieses Spiel schon sehr lange mit den verschiedenen Rassen getrieben hat«, übersetzte sie gleichgültig. »Man könne glücklich sein, dass es wegen dieses Menschen nicht zu schlimmeren Auseinandersetzungen gekommen sei.«

Geh in den Angriff, streue Zweifel an den Sternenpfaffen. Anatol zwang sich, nicht aufzuspringen und aus dem Raum zu hetzen. Noch war er nicht überführt. »Darf ich darauf hinweisen, dass sich die Preacheress das Ganze ausdenken kann?«, warf er ein und zeigte auf Darakinta. »Wir wissen alle, dass sie nicht gut auf mich zu sprechen ist. Sie kann die drei angeheuert haben, um mich erledigen zu lassen. Aus Rache.« Gut gemacht, lobte er sich selbst. Nachsetzen und sachlich werden. Ich brauche Zeit. »Hier steht Aussage gegen Aussage. Es gibt keine sicheren Beweise für die Kommission, ob das stimmt, was die Preacheress sagt, sofern wir wirkliche Mitglieder der Church und nicht Schauspieler vor uns haben.«

»Machen Sie sich nicht lächerlich!«, rief Darakinta erbost. »Sie versuchen, Ihre Haut zu retten, Lyssander! Sie sind ein jämmerlicher Lügner, der für seine Taten nicht geradestehen will! Mich würde interessieren, wie viele Regierungen Sie noch beschissen haben.«

Die Kommission redete nun durcheinander, alle wollten etwas zu der Thematik sagen. Zumi stöhnte und hielt sich die Stirn. Er war überfordert.

Redet nur, dann unternehmt ihr nichts. Anatol schaute wieder zum Fenster hinaus. Acht Minuten. Jetzt tu beleidigt und verschwinde. Das ist nicht zu auffällig.