Colours of Love - Entfesselt - Kathryn Taylor - E-Book
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Colours of Love - Entfesselt E-Book

Kathryn Taylor

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Beschreibung

Grace ist jung und wohlbehütet aufgewachsen, für Männer hat sie sich noch nie so recht interessiert. Doch als sie während eines Praktikums in London den charismatischen Jonathan Huntington trifft, erwacht sie aus ihrem Dornröschenschlaf. Er ist reich, unfassbar attraktiv und noch dazu ein Viscount - aber alles andere als ein Märchenprinz.

Immer tiefer entführt er sie in seine Welt der dunklen Abenteuer, immer haltloser verliert sie sich im Strudel ihrer Lust. Aber als Jonathan einen nahezu unmöglichen Liebesbeweis von ihr fordert, muss sie erkennen, wie gefährlich ihre Gefühle für ihn sind.

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Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autorin

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

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Weitere Titel der Autorin

Colours of Love – Entblößt

Colours of Love – Verloren

Colours of Love – Verführt

Colours of Love – Erlöst

Dunmor Castle – Das Licht im Dunkeln

Dunmor Castle – Der Halt im Sturm

Wo mein Herz dich findet

Wildblumensommer

Mission Mistelzweig

Daringham Hall – Das Erbe

Daringham Hall – Die Entscheidung

Daringham Hall – Die Rückkehr

Über dieses Buch

Grace ist jung und wohlbehütet aufgewachsen, für Männer hat sie sich noch nie so recht interessiert. Doch als sie während eines Praktikums in London den charismatischen Jonathan Huntington trifft, erwacht sie aus ihrem Dornröschenschlaf. Er ist reich, unfassbar attraktiv und noch dazu ein Viscount – aber alles andere als ein Märchenprinz.

Immer tiefer entführt er sie in seine Welt der dunklen Abenteuer, immer haltloser verliert sie sich im Strudel ihrer Lust. Aber als Jonathan einen nahezu unmöglichen Liebesbeweis von ihr fordert, muss sie erkennen, wie gefährlich ihre Gefühle für ihn sind.

Über die Autorin

Kathryn Taylor begann schon als Kind zu schreiben – ihre erste Geschichte veröffentlichte sie mit elf. Von da an wusste sie, dass sie irgendwann als Schriftstellerin ihr Geld verdienen wollte. Nach einigen beruflichen Umwegen und einem privaten Happy End erfüllte sich mit dem Überraschungserfolg von Colours of Love – Entfesselt ihr Traum. Spätestens mit ihrer Trilogie Daringham Hall über große Gefühle auf einem englischen Landgut etablierte sie sich endgültig in der Riege sicherer Bestsellerautorinnen.

KATHRYN TAYLOR

COLOURSOFLOVE

ENTFESSELT

beHEARTBEAT

Digitale Neuausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2012 by Bastei Lübbe AG, Köln

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Covergestaltung: Sandra Taufer unter Verwendung von Motiven von © Phatthanit / shutterstock; Kawin K / shutterstock; tomertu / shutterstock; fuyu liu / shutterstock

eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf

ISBN 978-3-7517-0294-2

be-ebooks.de

lesejury.de

Für M.,der meine Welt zum Klingen bringt

1

Ich bin so furchtbar aufgeregt, dass mir die Hände zittern. Damit das niemand merkt, halte ich sie schon seit einer Weile verschlungen auf meinem Schoß oder spiele abwesend mit dem Verschluss des Sicherheitsgurtes, lasse ihn auf und zu schnappen. Wir sind gleich da. Jetzt dauert es nicht mehr lange. Endlich …

»Miss, Sie müssen den Gurt bitte geschlossen halten. Wir sind schon im Landeanflug.« Die aus dem Nichts aufgetauchte Stewardess, groß, blond, braungebrannt und wahnsinnig schlank, deutet auf das erleuchtete Zeichen auf der Konsole über unseren Köpfen. Hastig nicke ich und lasse das Metallteil wieder einrasten. Meine Entschuldigung nimmt sie nicht zur Kenntnis, sondern lächelt kurz meinen Sitznachbarn am Fenster an, der von seiner Zeitung aufgeblickt hat und sie – wie immer, wenn sie kommt – freundlich anstrahlt. Dann setzt sie ihre Inspektion fort und geht weiter.

Der Mann blickt ihr nach. Als er merkt, dass ich ihn dabei beobachte, runzelt er vorwurfsvoll die Stirn und sieht mich böse an, so als wäre es ein Vergehen, die Stewardess zu ärgern, bevor er sich wieder seiner Zeitung widmet. Ich glaube, es ist das erste Mal, dass er mich seit dem Abflug in Chicago überhaupt richtig wahrgenommen hat.

Nicht, dass das schlimm wäre, ich will ihm nicht gefallen. Es ist nur irgendwie frustrierend, denn selbst wenn ich ihn attraktiv fände, dann hätte ich gegen die große Blondine mal wieder keine Chance, weil ich genau das Gegenteil bin – klein und blass. Blond bin ich zwar eigentlich auch, aber rotblond, mit Betonung auf rot. Es ist das einzig Auffällige an mir, aber da es jener Rotton ist, der gleichzeitig dafür sorgt, dass ich auch in der Sonne stets nur krebsrot anlaufe und niemals richtig braun werde, ist es eine Aufmerksamkeit, auf die ich verzichten könnte.

Meine Schwester Hope versucht immer, die positiven Seiten daran zu sehen, und findet, dass ich aussehe wie eine englische Rose. Aber vermutlich will sie mich nur trösten, weil sie selbst auch zu den goldblond-braungebrannten Schönheiten dieser Welt gehört, die auf Männer wie meinen Sitznachbarn eine wesentlich größere Wirkung haben.

Heimlich beobachte ich ihn aus den Augenwinkeln. Er sieht ganz gut aus, eigentlich. Dunkle Haare, gepflegt, gut sitzender Anzug. Das Jackett hat er schon beim Start ausgezogen, und wenn er die Arme hebt, dann riecht man den Schweiß unter seinem Aftershave. Aber lange muss ich das zum Glück nicht mehr aushalten, denn wir sind ja bald da.

Automatisch fangen meine Hände wieder an, mit der Gurtschnalle zu spielen. Den Mann am Fenster habe ich vergessen, stattdessen starre ich auf den blauen Stoff auf der Lehne vor mir, und wieder fängt mein Herz an, schneller zu schlagen, weil ich so aufgeregt bin.

Ich bin tatsächlich auf dem Weg nach England! So richtig fassen kann ich das immer noch nicht. Es ist mein erster Auslandsaufenthalt, na ja, mal abgesehen von einer Woche Urlaub in Kanada mit meiner Familie, als ich dreizehn war – aber die zählt nicht. Und diesmal sind es auch nicht nur ein paar Tage, sondern gleich drei Monate.

Ich seufze tief. Eigentlich bin ich sicher, dass es eine tolle Erfahrung werden wird, aber die Tatsache, wie weit weg ich jetzt von allem bin, was ich kenne, macht mir auch ein bisschen Angst. Das wird sich finden, Grace, beruhige ich mich. Bestimmt tut es das …

»Liebes, Sie haben doch gehört, was die Stewardess gesagt hat. Sie müssen angeschnallt bleiben.«

Die nette ältere Dame am Gang reißt mich aus meinen Gedanken, als sie mich anspricht. Freundlich tätschelt sie meine Hand, während ich hastig den Gurt wieder schließe. Sie sieht mich fragend an.

»So nervös sind Sie?«

Ich beiße mir auf die Unterlippe und nicke. Am liebsten würde ich ihr die ganze Geschichte über meine Reise und das, was mich an meinem Ziel erwartet, noch mal erzählen. Nur habe ich sie damit schon die letzten Stunden am Schlafen gehindert, deshalb schweige ich. Sie hat mir zwar versichert, dass sie in Flugzeugen ohnehin kein Auge zubekommt, aber vielleicht war das nur britische Höflichkeit und sie ist in Wirklichkeit furchtbar müde und hält mich für total überreizt.

Sie heißt Elizabeth Armstrong und kommt aus London. Gerade hat sie einen ihrer drei Söhne besucht, der in Chicago lebt, aber jetzt ist sie sehr froh, wieder nach Hause zu kommen. Ich weiß noch mehr über sie – alles eigentlich. Wie viele Enkel sie hat – drei und viel zu wenig, wie sie findet –, dass sie ungern fliegt – wer nicht? – und dass sie noch immer ihren Mann vermisst, der vor acht Jahren gestorben ist. Einfach so an einem Herzinfarkt. Er hieß Edward.

Flugzeuge sind eng und Transatlantikflüge lang, da bleibt es nicht aus, dass man sich gut kennenlernt – wenn man ein kommunikativer Typ ist und nicht so ein auf Blondinen fixierter Eigenbrötler wie der transpirierende Kerl am Fenster. Deshalb weiß Elizabeth Armstrong im Gegenzug auch alles über mich – dass ich Grace Lawson heiße, zweiundzwanzig bin, Wirtschaftswissenschaften an der Universität Chicago studiere und auf dem Weg nach London bin, weil ich das unglaubliche, grandiose, völlig unfassbare Glück hatte, den heiß begehrten Praktikumsplatz bei Huntington Ventures zu bekommen, auf den ich so gehofft hatte.

Ich weiß gar nicht, wie oft ich meiner geduldigen Sitznachbarin während des langen Fluges die Details der Firma heruntergebetet habe, die ich inzwischen alle auswendig kann. Dass es sie seit acht Jahren gibt und dass sie sich in der Zeit zu einem der erfolgreichsten Investmentunternehmen weltweit entwickelt hat. Und dass dieser Erfolg vor allem auf dem innovativen und sehr beeindruckenden Konzept des Firmengründers Jonathan Huntington beruht, Patente und frische Ideen aus Technik, Industrie und Handel mit den richtigen Geldgebern zusammenzubringen, sodass ertragreiche Produkte und Projekte daraus entstehen.

Auf den Mann, der hinter all dem steckt, bin ich, wenn ich ganz ehrlich sein soll, auch ziemlich gespannt: Jonathan Maxwell Henry Viscount Huntington, Mitglied des britischen Hochadels, extrem umtriebig, was die Erweiterung seiner Geschäfte angeht, und laut einschlägiger Boulevardblätter außerdem einer der begehrtesten Junggesellen Englands.

Ich habe Hope ein Bild von ihm gezeigt, das ich in einer Zeitschrift entdeckt habe, und sie fand, dass er zwar wirklich gut, aber auch total arrogant aussieht. Womit sie recht hat. Aber vielleicht ist das ja auch kein Wunder. Bei dem Erfolg, den er hat, wäre ich das vielleicht auch.

Ich erinnere mich noch gut an das Foto. Darauf war er mit zwei wunderschönen, glamourösen Frauen zu sehen, Models mit perfekten, nur spärlich bedeckten Körpern, die an seinem Arm hängen und ihn anhimmeln. Aber keine der beiden ist seine Freundin, wenn das stimmt, was in dem dazugehörigen Artikel stand, weil er nämlich keine hat. Und verheiratet ist er auch nicht, was mich ein bisschen wundert. Denn er sieht mit seinen dunklen Haaren und den auffällig blauen Augen wirklich unglaublich gut aus. Warum so ein attraktiver Mann wohl noch ungebunden ist?

Ich seufze wieder. Das ist nicht dein Problem, Grace, erinnere ich mich. Du wirst ihm vermutlich nicht mal begegnen. Schließlich leitet er das Unternehmen und wird kaum Zeit haben, jede Praktikantin persönlich zu begrüßen, selbst wenn sie weit gereist ist …

»Wird Sie denn eigentlich jemand am Flughafen abholen?« Elizabeth Armstrong klingt ehrlich besorgt.

Ich brauche einen Moment, um wieder in die Realität zurückzufinden.

»Nein. Ich werde mit der U-Bahn in die Stadt fahren – oder ein Taxi nehmen.« Letzteres wird, falls es nötig sein sollte, ein ziemlich großes Loch in mein Erspartes reißen. Es ist auch nur mein Plan B, falls das mit der U-Bahn total schiefgeht. Ich kann nur hoffen, dass ich mich schnell zurechtfinde, in der richtigen Linie lande und mein Ziel pünktlich erreiche. Sonst bleibt mir nur ein Taxi. Denn die Zeit ist knapp.

Der Flieger, in dem ich sitze, war die günstigste Verbindung von Chicago nach London, aber er soll planmäßig um acht Uhr, also in einer Viertelstunde, landen, und um zehn Uhr habe ich bereits einen Termin mit Annie French, einer Mitarbeiterin von Huntington Ventures, die mich am Empfang der Firma erwartet, um mir alles zu zeigen und mich in meine Tätigkeit einzuweisen. Und die Firma liegt in der City of London, genau im Zentrum der Stadt. Wenn man mit einrechnet, dass ich an der Gepäckausgabe noch auf meinen Koffer warten muss, dann wird das alles verdammt eng, und ich kann nur hoffen, dass die Londoner Rushhour in Wirklichkeit nicht ganz so chaotisch ist, wie man immer hört.

***

Am Ende haben wir fast zwanzig Minuten Verspätung, als wir in Heathrow landen, und es dauert noch mal eine halbe Ewigkeit, bis die Maschine endlich ihre Parkposition erreicht hat. Unruhig trommele ich mit den Fingern auf die Lehne, zähle die Minuten, die mir durch die Finger rinnen. Auch der Weg zur Gepäckausgabe ist weit, und natürlich sind unsere Koffer noch nicht da, als wir kommen. Das Rollband steht noch, während darüber die Anzeige mit unserer Flugnummer blinkt.

Siedend heiß fällt mir ein, dass ich die Zeit nutzen muss, um mich frisch zu machen und umzuziehen, deshalb laufe ich in die nächstgelegene Damentoilette und betrachte mich kritisch im Spiegel. Das habe ich während des Fluges auch mehrfach gemacht, und das Ergebnis ist immer noch das gleiche: soweit alles okay.

Schnell schlüpfe ich in eine der Kabinen, ziehe die Jeans aus, die ich bis jetzt anhatte, und tausche sie gegen den engen schwarzen Rock und eine Seidenstrumpfhose, die ich die ganze Zeit in meiner Handtasche hatte. Das Gleiche passiert mit dem grünen Poloshirt, das ich durch eine schwarze Bluse ersetze. Mein einziges farbliches Zugeständnis ist ein buntes Seidentuch, das zum Rotton meiner Haare passt. Schnell stopfe ich die alten Sachen zurück in meine Tasche, die so groß ist, dass vermutlich mein halber Kleiderschrank reingepasst hätte und die aus genau dem Grund meine treue Begleiterin ist, und trete zurück vor den Spiegel. Perfekt. Meine Mutter würde es zu dunkel finden – sie möchte immer, dass ich etwas »Freundliches« anziehe –, aber mir gefällt es so. Mit den roten Haaren bin ich schon bunt genug. Noch mehr auffallen muss ich definitiv nicht.

Apropos Rotschopf: meine Haare wellen sich nicht mehr ganz so perfekt über meine Schultern wie vor dem Abflug, aber mit ein bisschen Zurechtzupfen kriege ich das schnell wieder hin – es lebe der Schaumfestiger! Und auch mein Make-up, ohnehin nur dünn aufgetragen, lässt sich schnell auffrischen, ein bisschen Puder, Wimperntusche und Lipgloss – fertig.

Meine grünen Augen blicken mich müde an, die Nacht war kurz, und langsam merke ich es. Aber was soll’s, ich bin jung, und den Schlafmangel nehme ich gerne in Kauf für die zweihundert Dollar, die ich durch das billigere Flugticket gespart habe.

Neben mir im Spiegel taucht plötzlich Elizabeth Armstrong auf und löst die Frau ab, die bis eben neben mir gestanden hat. Erstaunt, aber erfreut blicke ich mich zu ihr um.

»Na, Liebes, noch ein paar letzte Schönheitskorrekturen? Dabei haben Sie das im Gegensatz zu mir doch noch gar nicht nötig.« Sie zwinkert mir zu, dann gähnt sie herzhaft und lässt sich kaltes Wasser über die Hände laufen.

Wusste ich es doch – sie ist müde, und ich bin schuld, weil ich sie nicht habe schlafen lassen. Trotzdem lächelt sie, während wir uns beide die Hände waschen, und ich muss es einfach erwidern.

Sie erinnert mich ein bisschen an meine Großmutter Rose zu Hause in Lester, Illinois – dem kleinen Städtchen, in dem ich aufgewachsen bin. Grandma sieht zwar ganz anders aus, sie hat ihr Leben lang draußen gearbeitet und ist mit der zarten Elizabeth in keiner Weise zu vergleichen, aber sie besitzt auch diesen verschmitzten Humor.

»Ich muss ja gut aussehen, wenn ich mich gleich vorstelle«, erkläre ich unnötigerweise. Denn meine Mitreisende wird sich das gedacht haben, nachdem ich ihr während der letzten Stunden gefühlte dreihundertsiebzig Mal erklärt habe, wie wichtig mir das Praktikum ist, das ich gleich antreten werde. Sie nickt nur.

»Vielleicht holt Sie ja doch noch jemand ab«, sagt sie und geht zu dem Trockenautomaten hinüber, um sich von dem Turbogebläse das Wasser von den Händen pusten zu lassen. Das Summen ist so laut, das ich fast das Klingeln meines Handys überhöre. Ich habe es schon beim Verlassen des Flugzeugs wieder angestellt – nur für den Fall, dass man mir von Huntington Ventures irgendwelche wichtigen Nachrichten hinterlassen hat. Aber damit habe ich meine Bedeutung für die Firma offensichtlich überschätzt, denn die Einzige, die mir eine SMS geschickt hat, ist meine Schwester. Und sie ist auch jetzt diejenige, die mich sprechen möchte, das erkenne ich auf dem Display. Hastig wische ich mir die Finger an meinem Rock ab und nehme den Anruf entgegen.

»Hey, Gracie! Bist du gut gelandet?«

Es tut so gut, Hopes vertraute Stimme zu hören, dass ich kurz schlucken muss.

»Ja, gerade eben. Jetzt warte ich auf meinen Koffer. Moment mal.«

Ich drücke das Handy gegen meine Brust und verabschiede mich von Elizabeth, die mir den Oberarm tätschelt und mir viel Glück wünscht, bevor sie einen Lippenstift aus ihrer Handtasche holt und sich vorbeugt, um ihn zu erneuern. Im Spiegel zwinkert sie mir noch einmal zu, und ich hebe die Hand, bevor ich die Tür aufstoße und mit dem Handy schon wieder am Ohr zurück in die Halle gehe. Die Koffer kommen gerade, und während ich auf meinen warte, der natürlich wieder zu den letzten gehört, die auf dem Band erscheinen, fasse ich Hope den Flug zusammen. Ich genieße es, mit ihr zu reden, sie ist ein Stück Normalität für mich, und das kann ich in meinem nervösen Zustand sehr gut gebrauchen.

»Und was jetzt?«, fragt sie, als ich gerade das schwarze Monstrum vom Band hebe, das ich mir von Mom geliehen habe, weil ich mit drei Taschen hätte reisen müssen, um genauso viel hineinzubekommen. Als der Koffer vor mir steht, schiebe ich den Griff hoch, danke meinem Schöpfer, dass er Rollen hat, auch wenn mir das Gewicht trotzdem fast den Arm auskugelt, und ziehe ihn entschlossen in Richtung Zoll.

»Jetzt muss ich mich beeilen, damit ich es noch rechtzeitig schaffe.«

»Hast du den schwarzen Rock und die schwarze Bluse an?«

»Ja, wieso?«

Hope kichert. »Weil ich das befürchtet habe.«

»Sieht das nicht aus?« Entsetzen erfasst mich. Hätte sie mir das nicht früher sagen können?

»Doch, aber es ist so typisch für dich, dass du versuchst, dich zu verstecken. Das hast du überhaupt nicht nötig, Gracie. Du bist total hübsch, und das wird den Engländern nicht entgehen, glaub mir. Und außerdem passt Schwarz doch gar nicht – das ist keine Frühlingsfarbe.«

Ich hätte ihr gern geglaubt. Wirklich. Aber Hope hat gut reden mit ihren Traummaßen. Wenn ich einen Meter fünfundsiebzig, blond und sportlich wäre, hey, dann würde ich vermutlich gar nichts tragen – oder sehr viel weniger als jetzt. Aber bei ihr schlagen eben die skandinavischen Wurzeln unserer Familie durch. Ich dagegen scheine von irgendeinem Urahn die wenigen irischen Gene abbekommen zu haben, die noch da waren, denn sonst ist keiner meiner Verwandten rothaarig, nicht mal mein Vater – jedenfalls soweit ich mich erinnern kann, denn es ist schon eine Ewigkeit her, dass ich ihn gesehen habe. Und ich bin auch die Einzige, die klein und kurvig ist. Nicht dick, das nicht, aber eben doch gerundet, wo diese beneidenswerten Frauen wie meine Schwester oder die Stewardess sportlich-straff sind.

»Schwarz macht schlank, okay?« Ich nestle meine Papiere aus der Tasche, die ich gleich vorzeigen muss. »Ich ruf dich wieder an.«

Plötzlich klingt Hopes Stimme besorgt. »Pass auf dich auf, ja, Gracie? Und versprich mir, dass du dich heute Abend meldest und mir alles erzählst – jedes Detail.«

Ich verspreche es ihr und lege mit einem selbstironischen Lächeln auf. Sie ist meine kleine Schwester – und führt sich auf wie meine Mutter. Aber vielleicht zu Recht. In vielerlei Hinsicht ist Hope die Erfahrenere von uns. Seufzend stecke ich das Handy weg. In England war sie allerdings noch nie. Das ist dann jetzt mal etwas, das ich ihr voraushabe.

Der Mann am Schalter guckt nur kurz in meinen Pass, und auch die Zollbeamten filzen mich nicht – ich sag’s ja, abgesehen von meinen Haaren bin ich total unauffällig, niemand achtet auf mich –, deshalb geht es schnell, und ich bin schon bald am Ausgang, durch den es hinaus ins Flughafengebäude geht.

Dahinter stehen so unerwartet viele Menschen, dass ich erschrocken stehenbleibe und ein Mann mich von hinten umläuft. Er sieht mich irritiert an, dann eilt er weiter. Danke schön. Keine Ursache. Du mich auch.

Leute strömen an mir vorbei, eilen auf winkende Verwandte oder Freunde zu. Schilder mit Namen darauf werden hochgehalten, Menschen finden sich, umarmen sich, werden im Empfang genommen. Auch Elizabeth läuft an mir vorbei auf einen jungen Mann zu, der sich sichtlich freut, sie zu sehen, und sie in die Arme schließt. Auf mich achtet sie nicht mehr.

Ich will mich nicht verloren fühlen, deshalb rücke ich entschlossen meine Handtasche zurecht und sammle mich. Es wird Zeit, ich muss weiter. Mit einem Ruck setze ich mich wieder in Bewegung, um nach einem Hinweis auf die U-Bahn zu suchen – nur um eine Sekunde später erneut stehenzubleiben, als mein Blick an einem Mann hängen bleibt, der aus der Menge heraussticht. Er steht lässig da, die Augen unverwandt auf den Ausgang gerichtet. Auf mich.

Mein Herz setzt aus, holpert aber sofort anschließend wieder los, als ich das Lächeln sehe, das um seine Lippen spielt. Fast unmerklich nickt er mir zu.

Jonathan Huntington.

Nein, das kann nicht sein. Ich blinzle, aber er steht noch da. Er ist es, ganz bestimmt, auch wenn er in natura noch viel attraktiver ist als auf dem Foto in der Zeitschrift.

Er löst die Arme, die er vor der Brust verschränkt hatte, seine Haltung wechselt von abwartend zu aktiv. Es kommt Bewegung in ihn, auch wenn er stehen bleibt. Er sieht mir entgegen. Er … erwartet mich.

Oh. Mein. Gott.

Meine Füße setzen sich von selbst in Bewegung. Wie im Traum bewege ich mich auf ihn zu.

2

»Hallo, Mr Huntington.« Ich stehe jetzt direkt vor ihm und strecke die Hand aus. »Ich bin Grace Lawson.«

Während ich auf ihn zugegangen bin, hat er mich nicht aus den Augen gelassen. Augen, deren Blau schon auf dem Foto faszinierend war. Aber in echt ist es … anders. Tief. Schillernd. Ich starre hin, sauge jedes Detail an ihm in mich auf.

Er ist groß, viel größer, als ich dachte, und ganz in Schwarz gekleidet, schwarze Hose, schwarzes Hemd, schwarzes Jackett. Wie ich. Nur dass er natürlich keinen bunten Schal trägt. Haha. Seine Haare sind auch schwarz und auf eine verwegene Art lang, sie fallen ihm in die Stirn und leicht über den Kragen. Im Gegensatz zu mir ist seine Haut gebräunt, was den Kontrast zu seinen strahlend blauen Augen noch krasser macht. Außerdem hat er sich heute offenbar nicht rasiert, denn es liegt ein dunkler Schatten auf seinen Wangen.

Das alles nehme ich in der Sekunde wahr, in der meine Hand zwischen uns in der Luft schwebt, ohne dass er sie ergreift. Mein Blick huscht zu seinem Mund. Das Lächeln, das vorher auf seinen Lippen gelegen hat, ist jetzt nicht mehr da, und der leere Ausdruck auf seinem Gesicht macht mich plötzlich unsicher. Er sieht mich an, als sei ihm völlig unverständlich, was ich von ihm will. Ich räuspere mich, lasse die Hand ausgestreckt.

»Freut mich, Sie kennenzulernen – Sir.« Ist er nicht adelig? Wie redet man so jemanden an? Verdammt. »Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Ich meine, ich hätte wirklich nicht damit gerechnet, dass Sie mich abholen. Aber ich … freu mich. Auf das Praktikum. Sehr sogar. Das ist für mich … wirklich … sehr …« Die letzten Worte stoße ich nur noch abgehackt aus, denn irgendetwas stimmt hier nicht.

»Jonathan?« Eine tiefe Stimme mit einem merkwürdigen Akzent, den ich nicht zuordnen kann, erklingt direkt hinter mir, und als ich erschrocken aufblicke, steht da ein Mann. Ein Japaner. Er ist nicht ganz so groß wie Jonathan Huntington, aber doch so groß, dass ich mich zwischen den beiden wie ein Zwerg fühle. Dahinter stehen noch zwei Männer, auch Japaner, aber kleiner, offenbar die Entourage des ersten. Und erst jetzt fällt mir auf, dass ein blonder Hüne und ein etwas kleinerer braunhaariger Mann, beide im Anzug, dichter hinter Jonathan Huntington getreten sind, so als wollten sie ihm im Zweifel zu Hilfe eilen. Und alle sehen mich auf die gleiche irritierte Weise an.

Oh Gott. Mir wird heiß und kalt, als ich begreife, was für einen unglaublich peinlichen Fehler ich da gemacht habe. Jonathan Huntington ist nicht hier, um die neue Praktikantin aus Chicago abzuholen. Er wartet auf den japanischen Geschäftsmann hinter mir, der durch einen grausamen Zufall genau zur gleichen Zeit angekommen ist. Ich habe mich gerade ganz fürchterlich blamiert. Fürchterlicher als fürchterlich. Grausam unverzeihlich fürchterlich.

Quälende Sekunden lang sagt niemand etwas, und ich winde mich innerlich. Vor Verzweiflung schließe ich die Augen und fühle fast gleichzeitig, wie sich eine Hand warm um meine schließt, die ich immer noch ausgestreckt habe.

Als ich die Augen wieder aufreiße, sieht Jonathan Huntington mich an. Es ist seine Hand, die meine hält. Fest. Angenehm. Beruhigend. Er lächelt, und ich sehe, dass an einem seiner Schneidezähne eine ganz kleine Ecke fehlt. Was seinem Lächeln etwas Jungenhaftes gibt, mit dem ich nicht gerechnet habe und das mir die Knie ganz weich macht. Oder vielleicht liegt es auch daran, dass mir das alles so unglaublich peinlich ist, dass meine Beine mich einfach nicht mehr tragen wollen.

»Miss Lawson, wie schön.« Er hat immer noch keine Ahnung, wer ich bin. Aber er rettet mich. Die Wärme seiner Hand breitet sich in meinem Körper aus.

Du musst dich entschuldigen und gehen, sagt eine Stimme in mir laut und deutlich, aber ich bin wie festgefroren, starre wie hypnotisiert in Jonathan Huntingtons Gesicht und kann immer noch nicht fassen, wie attraktiv er ist.

Dann lässt er meine Hand los, und ich komme wieder zu mir. Er deutet auf den großen Japaner, dessen Alter ich schwer schätzen kann.

»Darf ich Ihnen Yuuto Nagako vorstellen, einen Geschäftsfreund von mir, der eben aus Tokio angekommen ist.« Ich drehe mich um und nicke dem Mann zu, der mich auf eine merkwürdig durchdringende Art ansieht. Jonathan Huntington nennt auch die Namen der anderen vier, die schweigend den Kopf neigen, aber ich kann mir nur merken, dass der große Blonde mit Vornamen Steven heißt, die anderen habe ich sofort wieder vergessen. Mein Gehirn kann keinen vernünftigen Gedanken fassen.

»Und Sie sind unsere neue … Praktikantin, Miss Lawson?«, hakt Jonathan Huntington nach. Er sagt es irgendwie komisch, von oben herab, und etwas in seinem Tonfall weckt meinen Widerstand. Bestimmt total arrogant. Das waren die Worte meiner Schwester, als wir uns damals zusammen sein Foto angesehen haben. Offenbar hatte sie recht.

Andererseits sickert die Tatsache, dass er mich nicht bloßgestellt hat wegen meines schrecklichen Irrtums, langsam vollständig in mein Gehirn, und meine Dankbarkeit überwiegt alle anderen Empfindungen. Wenn das die feine englische Art ist, dann nehme ich eine gewisse Arroganz gerne in Kauf.

»Ich … ja. Aus … Chicago«, stammele ich, so als würde das erklären, wieso ich mich so unglaublich dämlich aufgeführt habe.

Der Japaner wird ungeduldig, man sieht es ihm an. Mein Gefühl sagt mir, dass ich bei ihm mit einem solchen Auftritt nicht so glimpflich davongekommen wäre – zumindest deute ich den Blick so, mit dem er mich immer noch fixiert.

Endlich scheint mein Gehirn aufzuwachen. Ich hatte Glück und muss mich vielleicht nicht für den Rest meines Lebens in Grund und Boden schämen, weil ich so naiv bin, dass es wehtut. Aber wenn ich noch lange hier herumstehe, dann ändert sich das vielleicht doch noch.

»Ich muss dann jetzt auch weiter. Zur U-Bahn. Weil ich ja gleich einen Termin habe.« Ich sehe Jonathan Huntington an, und die ganze Sache ist so absurd, dass ich mit den Schultern zucke und ein Lächeln nicht unterdrücken kann. »Bei Ihnen.«

Er hebt erstaunt die Augenbrauen. »Bei mir?«

»Äh, ja, nein, ich meinte – in Ihrer Firma. Sie wissen schon. Das Praktikum.« Schon wieder winde ich mich innerlich. Oh Gott, Grace, versuch lieber nicht, lustig zu sein. Nach diesem Auftritt wird er die Zusammenarbeit mit der Universität Chicago vermutlich aufkündigen, weil er für alle Zeit genug von den total beschränkten amerikanischen Studentinnen hat, die er dadurch ins Land holt. Ich sollte wirklich lieber gehen, bevor ich es noch schlimmer mache. »Also. Bis dann.«

Ich umklammere den Griff meines Koffers und ziehe ihn weiter. Die Männer treten sofort aufeinander zu und schließen die Lücke, so als hätten sie nur darauf gewartet, dass ich endlich gehe, und reden miteinander. Ich drehe mich noch mal ganz kurz um, aber als ich den Blick des Japaners auffange, der mit Jonathan Huntington spricht, wende ich sofort den Kopf und hoffe inständig, dass sie über irgendetwas Geschäftliches reden und nicht über mich.

Für einen Moment schließe ich die Augen, während das Gewicht des Koffers, den ich gekippt hinter mir her rolle, an meinem Arm reißt. Das war sie – meine Begegnung mit Jonathan Huntington. Hast du super gemacht, Grace, total super. Wenn ich ihm jetzt noch mal in der Firma begegne, dann kann ich nur hoffen, dass er sich mein Gesicht nicht gemerkt hat – oder ich verstecke mich lieber gleich drei Monate hinter irgendeinem Aktenschrank.

Eine Hand umschließt meinen Arm und zwingt mich, stehen zu bleiben. Erschrocken drehe ich mich um – und blicke wieder in die blauen Augen von Jonathan Huntington.

»Sie fahren mit uns, Miss Lawson«, erklärt er, erneut in diesem herablassenden Tonfall, der keinen Widerspruch duldet.

Wenn ich atmen könnte, dann könnte ich etwas darauf antworten. Hinter ihm steht Steven, der blonde Hüne, und bevor ich begreifen kann, was passiert, hat der sich meinen Koffer gegriffen und zieht ihn weg, zurück zu den japanischen Geschäftsleuten. Jonathan Huntington hält immer noch meinen Arm fest. Und endlich arbeitet mein Gehirn wieder.

»Hey!« Ich mache mich von ihm los. »Nein! Nicht!«, rufe ich dem Blonden hinterher, der sogar stehen bleibt. Doch Jonathan Huntington winkt ihn weiter. Dann spüre ich seine Hand im Rücken, die mich entschlossen vorwärtsschiebt.

»Mein Assistent will Ihnen nur mit dem Gepäck behilflich sein«, erklärt er und sieht mich schon wieder an, als wäre ich nicht ganz richtig im Kopf. Aber vielleicht bin ich das ja auch nicht.

»Ich kann nicht mit Ihnen fahren«, sage ich und bleibe stehen. Das ist doch nur logisch, das muss er doch einsehen. Er hat irgendetwas unglaublich Wichtiges mit diesem Japaner zu besprechen, jedenfalls gehe ich davon aus, denn sonst wäre der ja kaum extra aus Tokio gekommen, und dabei störe ich bloß. Außerdem – dieser Befehlston gefällt mir nicht. Und ich will auch nicht, dass mir jemand einfach mein Gepäck wegnimmt. »Bitte, könnten Sie dem Mann – könnten Sie Ihrem Assistenten sagen, dass er mir meinen Koffer wiedergeben soll? Ich muss wirklich zur U-Bahn, sonst komme ich zu spät.«

Seine Mundwinkel heben sich, weil ihn das offenbar amüsiert, und ich sehe wieder die kleine fehlende Zahnecke. Wieso ist das bei anderen ein Schönheitsfehler und bei ihm etwas, dass ich unglaublich attraktiv finde? Mein Atem stockt schon wieder.

»Zu spät zu dem Termin mit mir?«, fragt er, und es klingt eindeutig spöttisch. Das gibt mir wieder Luft. Ich recke das Kinn.

»Nein. Zu spät zu dem Termin bei Ihrer Firma.« Sein Lächeln macht mich plötzlich wütend. Jetzt funktioniert meine Atmung wieder einwandfrei. »Ich denke nicht, dass es sinnvoll wäre, wenn ich Sie noch weiter störe. Sie haben einen wichtigen Termin, und ich würde mich sehr unwohl fühlen, wenn ich Ihnen nach dem Missverständnis eben noch weiter zur Last falle.« Mir fällt wieder ein, dass es eigentlich ziemlich nett von ihm war, mich nicht auflaufen zu lassen. »Danke übrigens.«

»Danke wofür?«

Oh nein. Grace, verdammt, denk doch einmal richtig nach, bevor du was sagst. »Sie wissen schon. Sie hätten gerade auch – nicht so freundlich sein können.«

»Und warum lehnen Sie dann ab, wenn ich Ihnen freundlich anbiete, Sie mitzunehmen?«

»Ich …« Will er mich verwirren? Wenn ja, dann ist ihm das ganz hervorragend gelungen. »Ich will doch nur nicht zu spät kommen«, sage ich fast verzweifelt.

»Dann begleiten Sie mich. Mit dem Wagen sind Sie schneller da als mit der U-Bahn.«

Ich sträube mich immer noch, auch wenn ich seiner großen, warmen Hand in meinem Rücken keinen echten Widerstand entgegenzusetzen habe und weiterlaufe. »Aber Ihr Freund, ich meine, Ihr Geschäftspartner. Sie haben sicher etwas zu besprechen.«

»Er hat nichts dagegen, dass Sie mitfahren, glauben Sie mir.« Die Art, wie er das sagt, irritiert mich. Er klingt sarkastisch, und es schwingt etwas in seiner Stimme mit, dass mir einen Schauer über den Rücken jagt. Aber ich bin viel zu durcheinander, um weiter darüber nachzudenken, denn in diesem Moment haben wir die anderen Männer wieder erreicht.

»Miss Lawson begleitet uns«, erklärt Jonathan Huntington, als wäre das nicht ohnehin offensichtlich, wenn er mich wieder anschleppt und sein riesiger Assistent meinen Koffer zieht. Er klingt zufrieden. Kein Wunder. Wahrscheinlich kriegt er immer, was er will.

Die Japaner nicken auf diese asiatische Art, ein bisschen abgehackt irgendwie, während mich Steven und der Braunhaarige nur mit neugierigem, aber sehr distanziertem Interesse betrachten, etwa so, wie man auf ein Unfallgeschehen sieht, an dem man vorbeifährt. Aber das bin ich ja wohl auch – ein unvorhergesehener Unfall.

Schweigend setzen wir uns alle in Bewegung.

Jonathan Huntington und der große Japaner gehen hinter mir, und ich habe das Gefühl, als könnte ich seine Blicke im Rücken fühlen. Die beiden unterhalten sich leise – auf Japanisch. Vielleicht ist es deshalb kein Problem, dass sie mich mitnehmen – ich verstehe ja sowieso nichts.

Für einen Moment werde ich unsicher. Bin ich eigentlich total wahnsinnig, dass ich überhaupt darüber nachgedacht habe, dieses Angebot nicht anzunehmen? Ich meine, Jonathan Huntington ist für die nächsten drei Monate mein Boss – und ich habe nichts Besseres zu tun, als mich ihm zuerst aufzudrängen und mich dann zu zieren, als würde er irgendetwas von mir wollen? Komm wieder auf den Teppich, Grace, ermahne ich mich. Du hattest gerade mehr Glück als Verstand. Mach endlich das Beste draus.

Im Auto – einer ziemlich langen Limousine mit zwei sich gegenüberliegenden, lederbezogenen Sitzbänken im hinteren Bereich – kommen meine Zweifel zurück, und ich bin wieder sicher, dass es ein großer Fehler war, nicht doch die U-Bahn zu nehmen.

Ich sitze in Fahrtrichtung, auf einer Bank mit Jonathan Huntington und dem braunhaarigen Mann, während sich der Ober-Japaner die gegenüberliegende mit einem seiner Assistenten teilt. Der andere hat sich vorn neben den riesigen Steven gesetzt, der den Wagen fährt. Der japanische Assistent, der hinten bei uns ist, balanciert seine Aktentasche auf dem Schoß, und der Braunhaarige telefoniert und schickt Textnachrichten mit seinem Handy, während er mit einem Ohr offenbar dem Gespräch der beiden Bosse lauscht. Jonathan Huntington und Yuuto Nagako – so heißt er, es ist mir wieder eingefallen – sitzen beide entspannt zurückgelehnt da und unterhalten sich, immer noch auf Japanisch. Ich habe keine Ahnung, wie alt der Japaner wohl sein mag, weil sein Gesicht so asiatisch glatt wirkt, aber da seine Schläfen schon ergraut sind, schätze ich ihn mindestens zehn Jahre älter als Jonathan.

Während er spricht, sieht dieser Yuuto Nagako mich immer wieder auf diese beunruhigende Weise an, die mir unangenehm ist, und manchmal habe ich fast den Eindruck, dass es in dem Gespräch um mich geht. Aber das ist genauso absurd wie diese ganze Situation.

Ich weiß nicht, wann ich mich zuletzt so unwohl gefühlt habe. So völlig fehl am Platz. Ich war noch nie in so einem noblen Auto, und das allein hätte – zusammen mit dem total ungewohnten Linksverkehr – eigentlich schon gereicht, um mich zu überwältigen. Aber ich bin so damit beschäftigt, mich zwischen diesen großen, fremden Männern klein und unbedeutend zu fühlen, dass ich gar nicht dazu komme, meine Umgebung gebührend zu bewundern. Nur Jonathan Huntington ist mir vertraut, aber da das der Tatsache geschuldet ist, dass ich mit meiner Schwester über seinem Foto gesessen und es bestaunt habe, entspannt mich das nur sehr bedingt. Ich bin einfach total überfordert.

Am schlimmsten ist, dass ich so dicht neben ihm sitze, dass ich ihn riechen kann. Und im Gegensatz zu dem Mann im Flugzeug stößt er mich nicht ab. Nein, er riecht gut, nach irgendeinem sehr angenehmen Aftershave. So angenehm, dass ich mich dabei erwische, wie ich tief einatme, um noch mehr davon in die Nase zu bekommen. Vielleicht ist es auch gar kein Aftershave. Vielleicht riecht er so. Was es auch ist, es steigt mir definitiv zu Kopf. Und das ist gar nicht gut, denn dadurch bin ich nur noch mehr auf ihn konzentriert und kriege meine Nervosität noch schwerer in den Griff.

Unbehaglich klammere ich mich am Sitz fest und bete, dass wir bald da sind. Denn jedes Mal, wenn der große Wagen eine Kurve nimmt, werde ich gegen Jonathan Huntington gepresst. Jedenfalls würde ich das, wenn ich mich nicht mit aller Kraft dagegen anstemmen würde. Die Sitze sind extrem weich gepolstert und sollen eigentlich zwei Leuten üppig viel Platz bieten. Wir sitzen aber zu dritt auf dieser Bank, und die breite Kuhle im Sitz und die Gesetze der Schwerkraft lassen mich deshalb immer wieder gefährlich nah an ihn heranrutschen. Ich kann nichts tun. Völlig verkrampft sitze ich da und starre aus dem Fenster, in der Hoffnung, dass niemand merkt, dass ich da bin.

Bis Jonathan Huntington unvermittelt den Arm auf die Lehne hinter mir legt. Damit ist seine breite Schulter aus dem Weg, und ich habe mehr Platz. Aber sie war auch so etwas wie ein Stopper, die Stelle, an der unsere Körper sich maximal berührt haben, wenn ich mich mal nicht gut genug festhalten konnte. Jetzt ist da nichts mehr, und in der nächsten Rechtskurve, die der Wagen eine Sekunde später nimmt, rutsche ich gegen ihn. So richtig. Voller Körperkontakt. Seite an Seite sitzen wir auf einmal da, und weil ich mich beim Fallen instinktiv abstützen wollte, liegt meine Hand auch noch auf seiner Brust, und ich spüre, dass er den Arm um mich gelegt hat und meinen Oberarm festhält. Wahrscheinlich auch ein Reflex, um mich aufzufangen.

Für eine Sekunde bleibt die Welt stehen. Ich spüre die Wärme seines Körpers, aber auch, wie er sich unter meiner Hand versteift. Sein Blick gleitet von meinem Gesicht zu meinem Ausschnitt und wieder zurück. Ich sehe an mir hinunter und stelle fest, dass meine Bluse verrutscht ist und jetzt ziemlich viel von meinem Dekolleté preisgibt. Er lächelt nicht, als ich wieder zu ihm aufsehe, und seine Augen werden dunkler. Ich kann nicht atmen und starre ihn nur an. Meine Haut prickelt plötzlich überall dort, wo wir uns berühren, und ich fühle die Röte, die mir in die Wangen schießt.

Hastig drücke ich mich ab – von seiner Brust, aber anders geht es nicht – und schiebe mich zurück in die Ecke. Sein Arm gibt mich frei.

»Entschuldigung«, murmele ich und kann meine Bestürzung kaum verbergen. Ich muss hier wirklich dringend raus.

Er zieht den Arm von der Lehne zurück, und wir sitzen wieder so da wie vorher. Zum Glück unterhält sich der japanische Assistent gerade mit dem Braunhaarigen, es geht um irgendwelche Termine. Nur Yuuto Nagako beteiligt sich nicht an dem Gespräch, sondern fixiert mich genau, so wie er es eigentlich die ganze Zeit schon macht. Er sagt auf Japanisch etwas zu Jonathan Huntington, der sich daraufhin an mich wendet.

»Wie lange werden Sie bei uns bleiben, Miss Lawson?«

Die Tatsache, dass er plötzlich das Wort an mich richtet, macht mich noch nervöser, als ich sowieso schon bin. Er fragt das nämlich nicht so, als wolle er harmlosen Smalltalk betreiben, sondern irgendwie sachlich und distanziert. Als wäre das eine wichtige Information, die er für irgendetwas braucht.

»Drei Monate«, erwidere ich und befeuchte meine Lippen. Mein ganzer Mund ist furchtbar trocken.

»Und Sie kommen noch mal aus …?«

»Chicago.«

»Richtig. Das sagten Sie ja.«

Er hat den Kopf zur Seite gedreht und sieht mich mit einem Blick an, dem ich mich nicht entziehen kann. Wir sitzen immer noch definitiv zu dicht nebeneinander, auch wenn jetzt wieder nur unsere Schultern zusammenstoßen. Ich fühle, wie hart sein Arm unter dem Jackett ist, und ziehe mich ein Stück zurück. Seine Wärme spüre ich trotzdem noch, und sie scheint sich weiter auf mich zu übertragen.

»Dann studieren Sie bei Professor White?«

Ich nicke. Langsam erhole ich mich von dem Schock. Anscheinend will er doch nur ein bisschen Smalltalk machen. Ein unverfängliches Gespräch ist jedenfalls genau das, was ich jetzt brauche. »Kennen Sie ihn?«

»Nicht persönlich, nein. Aber mein Kompagnon, Alexander Norton, ist gut mit ihm befreundet. Der Kontakt ist über ihn gelaufen, soviel ich weiß.«

Davon hat Professor White nie etwas erwähnt, aber es erklärt, wieso eine englische Firma amerikanischen Wirtschaftsstudenten ein bezahltes Praktikum anbietet. Die Entlohnung ist nicht so gut, dass ich reich davon werde, aber ich kann mir davon immerhin für die Zeit meines Aufenthalts ein Apartment in London leisten.

»Was reizt Sie an der Wirtschaft, Miss Lawson?«

Die anderen Männer haben ihr Gespräch beendet, und es ist still im Wagen, als Jonathan Huntington mich das fragt. Alle sehen mich an, und plötzlich wäre es mir doch sehr viel lieber, wenn ich wieder Luft wäre. Aber dann runzele ich die Stirn, weil mein Gehirn erst jetzt den Unterton registriert, mit dem er mich das gefragt hat. Er klingt schon wieder leicht amüsiert. So als sei das ein Thema, das nicht für jemanden wie mich taugt, als wären die Wirtschaft und ich zwei unvereinbare Gegensätze. Okay, vielleicht habe ich mich bis jetzt nicht unbedingt als besonders intelligente Vertreterin meines Geschlechts präsentiert, aber das ist kein Grund, mich so von oben herab zu behandeln. Ich bin gut. Sonst hätte ich den Praktikumsplatz nicht bekommen. Darum musste man sich bewerben – und ich wurde ausgewählt.

»Ich gehe gerne mit Zahlen um«, sage ich betont lässig und lächle ganz leicht und möglichst souverän, so als wäre der wahre Grund viel zu komplex, um ihn jetzt und hier auszuführen. Was du kannst, kann ich auch, denke ich, und bin ganz zufrieden mit meiner Leistung. Bis er seine nächste Frage stellt.

»Und was reizt Sie an Huntington Ventures?«

Ich schlucke. Vor der Auswahlkommission an der Uni habe ich zu diesem Thema eloquent und überzeugend mehr als zehn Punkte nennen können, aber jetzt kann ich dem Firmengründer nur in diese viel zu blauen Augen starren und bringe kein Wort heraus.

Aber ich muss zum Glück auch nichts mehr sagen, denn wir sind da. Der Wagen hält vor dem Eingang eines modernen gläsernen Bürogebäudes. Es hat mindestens zehn Stockwerke und eine Front, die sich leicht nach außen wölbt. Die eine Seite ist gerade, während die andere leicht nach innen zuläuft, sodass sich eine sehr interessante, fast konische Form ergibt.

Ich sitze an der Straßenseite, wo in schneller Folge Autos vorbeirasen, deshalb warte ich, bis die Männer auf der anderen Seite ausgestiegen sind, und folge ihnen dann. Als ich aus dem Wagen klettere, reicht Jonathan Huntington mir die Hand, um mir zu helfen, und obwohl ich erst zögere, ergreife ich sie doch. Es wäre kindisch gewesen, seine Geste zu ignorieren, und ich habe mich für heute schon genug blamiert. Aber es ist definitiv nicht gut für meinen Herzrhythmus, wenn ich ihn berühre. Sobald ich auf dem Bürgersteig stehe, lasse ich ihn los.

Der blonde Hüne holt mein schwarzes Monstrum mit Rollen aus dem Kofferraum, aber anstatt mir den Koffer zu geben, zieht er ihn durch die Glastür ins Gebäude.

»Nach Ihnen.« Jonathan Huntington bedeutet mir vorzugehen, und auch die Japaner lassen mir den Vortritt ins Foyer. Es ist sehr groß und elegant, mit einem Empfangstresen aus edel verarbeitetem Holz und Glas, vor dem der blonde Chauffeur meinen Koffer abgestellt hat. Zwei junge Frauen stehen dort, eine vor dem Tresen, eine dahinter, und beide blicken uns interessiert entgegen.

Jonathan Huntington begrüßt sie und spricht kurz mit ihnen. Ich sehe verstohlen auf die Uhr. Halb elf. Verdammt.

Die junge Frau vor dem Tresen kommt auf mich zu. Sie ist ungefähr so alt wie ich und hat braune, kurze Haare, die unglaublich lässig, aber trotzdem sehr stylisch sind. Zu ihrem hellgrünen Cord-Kostüm trägt sie ein passendes Batik-Top und eine schlichte, aber auffällige Silberkette. Es ist ein ungewöhnliches Business-Outfit, aber es ist nicht übertrieben – und es passt irgendwie zu ihr.

»Hallo«, sagt sie. »Ich bin Annie French. Ich habe schon auf dich gewartet, Grace.«

Die vertraute Anrede überrascht mich, aber sie tut gut nach dem Horrortrip gerade. Endlich bin ich wieder mit jemandem zusammen, der mich nicht komplett überfordert.

»Ich bin zu spät«, sage ich unglücklich, während ich ihr die Hand schüttele.

»Nicht, wenn du mit dem Boss kommst«, erwidert sie und grinst mich an. Ich mag sie.

Bevor wir weiterreden können, steht Jonathan Huntington plötzlich wieder neben mir. Die anderen Männer warten beim Fahrstuhl und blicken zu uns herüber.

»Viel Erfolg bei Ihrem Praktikum, Miss Lawson«, sagt er. »Ich hoffe, es gefällt Ihnen bei uns.«

Ich schlucke. »Danke.«

»Schwarz steht Ihnen übrigens gut. Eine schöne Farbe.« Er sieht kurz an sich herunter. Seine blauen Augen funkeln, als er den Blick wieder hebt, und ein leichtes Lächeln spielt um seine Lippen, bei dem mir die Knie schon wieder weich werden.

Bevor ich etwas erwidern kann, hat er sich umgedreht und geht in Richtung Fahrstuhl. Ich starre ihm verunsichert nach und frage ich mich, ob ich mir wirklich wünschen soll, ihn noch mal wiederzusehen.

3

Als sich die Fahrstuhltür hinter allen sechs Männern schließt, sieht Annie French mich an.

»Wie hast du das denn geschafft?«, fragt sie und hebt eine Augenbraue.

»Was denn?« Ich bin in Gedanken noch so mit dem verwirrenden Jonathan Huntington beschäftigt, dass ich ihr gar nicht richtig zuhöre.

Annie stößt mich an und reißt mich zurück in die Wirklichkeit und zu ihr. »Na hör mal – du bist gerade mit dem Boss gekommen. Wie hast du das angestellt, sag schon.«

»Das war … Zufall. Wir sind uns am Flughafen begegnet, und da hat er mir angeboten, dass ich mit ihm und seinen Begleitern mitfahren kann.« Es klingt eigentlich ganz glaubwürdig. Aber Annie lässt sich nicht täuschen. Sie legt den Kopf schief.

»Und woher wusste er, wer du bist? Kennt ihr euch?«

Erwischt. Ich spüre, wie meine Wangen rot werden, und ziehe sie ein Stück zur Seite, weil ich nicht will, dass die Blondine vom Empfang das mitkriegt, die uns sehr interessiert im Auge behält.

»Nein. Ich … ich habe ihn angesprochen«, gestehe ich leise. »Das war ein Versehen. Ich dachte – er holt mich ab.«

Annie sieht mich erst total entgeistert an, dann lacht sie, so als wäre das der beste Witz, den sie seit Langem gehört hat. »Du dachtest, der Boss holt dich persönlich ab?«

»Ja, ich weiß«, stöhne ich und verdrehe die Augen. »Bohr nicht noch in der Wunde. Das ist mir auch so schon alles peinlich genug. Können wir bitte das Thema wechseln?«

»Gern.« Annie grinst noch immer breit. »Für den Moment jedenfalls.« Sie deutet auf meinen Koffer. »Den kannst du hier bei Caroline stehen lassen und später abholen. Jetzt zeige ich dir erst mal dein neues Wirkungsgebiet.« Ihr Lächeln ist so ansteckend und freundlich und ihre Art so entwaffnend offen, dass ich gar nicht anders kann, als sie zu mögen.

Wir lassen den Koffer bei der blonden Caroline am Empfang, die das Monstrum hinter ihre Theke schiebt und mir versichert, dass sie gut darauf aufpasst, während sie mich weiter interessiert mustert. Dann steigen wir ebenfalls in einen der beiden Fahrstühle, die direkt nebeneinander liegen. Er ist innen verspiegelt und wirkt wie alles hier großzügig und luxuriös. Ein Blick auf mein Spiegelbild verrät mir, dass ich unnatürlich blass bin – wahrscheinlich die Nachwirkungen des Schocks, ausgelöst durch die Begegnung mit Englands begehrtestem Junggesellen.

Noch während wir nach oben fahren, erklärt Annie mir, dass sie dreiundzwanzig ist und seit einem Jahr als Junior-Assistentin in der Investment-Abteilung von Huntington Ventures arbeitet.

»Es ist mein Einstieg in die Branche«, sagt sie. »Und ich hätte es sehr viel schlechter treffen können.«

Ich bin ein bisschen neidisch, dass sie, obwohl wir fast gleich alt sind, schon so viel weiter ist als ich. Lange dauert es bei mir zwar auch nicht mehr, bis ich mit dem Studium fertig bin, aber ob ich dann einen Job in einer genauso tollen Firma finde?

Aber ich beneide Annie nicht nur um die Stelle bei Huntington Ventures, sondern auch um ihre selbstbewusste, fröhliche Art, die Lockerheit, mit der sie alles angeht.

»Das hier ist die Abteilung, in der du arbeiten wirst«, erklärt sie mir, als wir im vierten Stock aussteigen und durch einen langen Flur gehen. Alles wirkt licht und großzügig. Glastüren führen in verschieden große Büros mit bodentiefen Fenstern, in denen Leute sitzen, die sehr beschäftigt aussehen. »Hier werden die neuen Projekte vorbereitet, in die Huntington Ventures einsteigt. Wir machen die Recherchen, prüfen die Marktchancen und führen alle nötigen Vorgespräche – und die Chefetage erledigt dann den Rest.«

Sie geht mit mir in jedes Büro und stellt mir die Mitarbeiter vor – aber es sind zu viele, um sie mir alle auf Anhieb zu merken. Nur einige Namen bleiben hängen: die Sekretärin, eine ältere, sehr freundliche Frau, heißt Veronica Hetchfield, der Abteilungsleiter, ein Mann um die Vierzig mit schütterem Haar, stellt sich mir als Clive Renshaw vor, und Shadrach Alani, ein jüngerer Kollege mit offensichtlich pakistanischen Wurzeln, den ich auf Ende zwanzig schätze, sitzt mit Annie in einem Büro. Es gibt noch mehr, mindestens ein Dutzend insgesamt, die ich sicher in den nächsten Tagen näher kennenlernen werde. Alle sind freundlich, aber Annie finde ich trotzdem am nettesten.

»Die anderen Abteilungen hier im Haus zeige ich dir bei Gelegenheit, wenn es dich interessiert.« Annie drückt mir auf dem Flur eine Mappe in die Hand. »Hier drin findest du alles Wissenswerte über unsere Firma.« Außerdem gibt sie mir noch eine Kopie mit einer komplizierten Zeichnung darauf. »Und das ist das Organigramm – damit du mal einen Überblick bekommst.«

Ich staune, während mein Blick über das weit verzweigte Netzwerk gleitet, die Puzzleteile, aus denen sich die Firma zusammensetzt. Vieles kenne ich schon durch meine eigenen Recherchen, aber einige Punkte sind mir völlig neu. Und als ich die Mappe durchblättere, in der auf Hochglanzpapier auch die weiteren Aktivitäten aufgeführt sind, wird mir klar, dass Huntington Ventures viel mehr ist als nur ein reines Investment-Unternehmen. Es ist ein Imperium, mit internationalen Verbindungen und breit gefächerten Einflussbereichen. Die Beteiligungen betreffen nicht nur Hochfinanz und Bauwesen, sondern fast alle Sparten der Industrie und des Handels, und es gibt auch Förderprogramme für kulturelle Projekte. Meine Hochachtung vor der Leistung von Jonathan Huntington wächst noch einmal ein gutes Stück.

Als ich wieder aufblicke, grinst Annie. »Beeindruckend, oder?«

Ich weiß, dass sie die Firma meint, aber ich kann nur an den Mann denken, der sie leitet, und nicke stumm.

Annie geht weiter und stößt dann die Tür zu einem Büroraum ganz am Ende des Ganges auf. Er hat ebenfalls eine verglaste Außenwand, ist allerdings sehr klein. Ein Schreibtisch steht vor der Fensterfront, und eine Wand ist komplett mit Aktenschränken belegt, sodass man nicht viel Platz hat, um sich darin zu bewegen.

»Der Praktikantenplatz«, verkündet Annie und grinst mich wieder auf ihre unverschämt offene Art an.

Ich seufze. Was hatte ich erwartet – einen roten Teppich? Und so schlecht ist das Büro auch eigentlich gar nicht, es liegt zwar ziemlich am Ende des Flurs, aber nicht weit entfernt von dem, in dem Annie sitzt, was mich ein bisschen beruhigt. Schließlich ist sie – noch – die Einzige, die ich hier kenne. Abgesehen von Jonathan Huntington, aber an den sollte ich lieber nicht mehr so viel denken.

»Und was genau werde ich hier tun?«, frage ich sie, während ich hinter den Schreibtisch trete, um meinen zukünftigen Arbeitsplatz etwas näher zu begutachten.

»Das, was alle Praktikanten tun – du kochst den Tee und den Kaffee.« Annie deutet auf die Tür auf der gegenüberliegenden Seite. »Das da ist nämlich die Küche – dann hast du es nicht so weit.«

Für einen Moment bin ich sprachlos. »Das ist nicht dein Ernst, oder?« Habe ich gesagt, dass ich sie mag? Ich habe mich getäuscht, ich finde alle Engländer merkwürdig.

Für einen Moment lehnt sie weiter mit neutralem Gesicht am Türrahmen, dann schafft sie es nicht mehr, ernst zu bleiben, und lacht auf. »Nein, natürlich nicht. Das da drüben ist zwar wirklich die Küche, und du kannst dir dort Tee und Kaffee kochen, wenn du das willst – wir sind hier mit allem ausgestattet. Aber ansonsten erwarten dich natürlich etwas anspruchsvollere Aufgaben.«

Erleichtert sehe ich sie an und muss auch lächeln. »Mit wem werde ich eigentlich zusammenarbeiten?«, frage ich.

Annie grinst. »Mit wem willst du denn gerne zusammenarbeiten?«

Aus irgendeinem Grund geht mein Magen schon wieder auf Talfahrt, weil der Einzige, der mir einfällt, Jonathan Huntington ist. Röte schießt mir in die Wangen, und Annie scheint zu ahnen, in welche Richtung meine Gedanken gehen. Ihr Grinsen wird noch frecher.

»Sorry, aber ich fürchte, in die Chefetage wirst du es nicht so schnell schaffen. Unser Boss hat dich vielleicht mit hierher genommen, aber normalerweise kümmert er sich nicht persönlich um die Praktikanten. Du wirst mit mir vorlieb nehmen müssen.«

»Natürlich – das ist mir auch viel lieber«, versichere ich ihr hastig.

»Hast du ihn wirklich einfach angesprochen?« Annie kann es offenbar immer noch nicht fassen.

Ich nicke und winde mich innerlich noch einmal, als sie mich an die peinliche Situation am Flughafen erinnert. »Aber mich mitzunehmen, war seine Idee. Ich wollte mit der U-Bahn fahren, als ich gemerkt habe, was für einen blöden Fehler ich gemacht habe.«