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Ein Ausflug an die malerische normannische Steilküste! Cluzet und Sandrine reisen nach Étretat - doch es erwartet sie keine Erholung. Denn dort lebt Sandrines Ex-Mann Sinclair, und der steht unter Mordverdacht an einem Muschelfischer. Nur ihrer Kinder zuliebe will Sandrine seine Unschuld beweisen. Doch als dann noch eine Welle von Vergiftungen die örtlichen Restaurants heimsucht und die Muscheln aus Sinclairs Zuchtbetrieb verantwortlich gemacht werden, zieht sich die Schlinge um seinen Hals immer weiter zu. Ist er wirklich ein Mörder? Sandrine und Cluzet tauchen immer tiefer in den Fall und fördern ein Netz aus dunklen Geheimnissen zutage!
Über die Serie:
Urbain Cluzet ist Commissaire de Police in Paris. Besser gesagt, er war es. Denn nach dem Tod seiner geliebten Frau und seiner Pensionierung zieht er sich in seinen Geburtsort, das beschauliche Auciel Haute in der Normandie, zurück. Doch das Ermitteln kann er nicht lassen. Zumal Sandrine Saidi, die begabteste Polizistin des Ortes, von ihrem inkompetenten Chef, dem Major de Police Melki, ausgebremst wird.
Dennoch - oder gerade deswegen - genießt Cluzet das gemütliche Leben in Auciel Haute, wo er im kleinen Gartenhäuschen der Pension seiner Wahl-Enkelin Nathalie Bosc wohnt und sich regelmäßig mit seinem besten Freund, dem Apfelbauern und Schwarzbrenner Bruno, auf einen Calvados trifft.
eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung!
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Seitenzahl: 206
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Ein Ausflug an die malerische normannische Steilküste! Cluzet und Sandrine reisen nach Étretat – doch es erwartet sie keine Erholung. Denn dort lebt Sandrines Ex-Mann Sinclair, und der steht unter Mordverdacht an einem Muschelfischer. Nur ihrer Kinder zuliebe will Sandrine seine Unschuld beweisen. Doch als dann noch eine Welle von Vergiftungen die örtlichen Restaurants heimsucht und die Muscheln aus Sinclairs Zuchtbetrieb verantwortlich gemacht werden, zieht sich die Schlinge um seinen Hals immer weiter zu. Ist er wirklich ein Mörder? Sandrine und Cluzet tauchen immer tiefer in den Fall und fördern ein Netz aus dunklen Geheimnissen zutage!
Urbain Cluzet ist Commissaire de Police in Paris. Besser gesagt, er war es. Denn nach dem Tod seiner geliebten Frau und seiner Pensionierung zieht er sich in seinen Geburtsort, das beschauliche Auciel Haute in der Normandie, zurück. Doch das Ermitteln kann er nicht lassen. Zumal Sandrine Saidi, die begabteste Polizistin des Ortes, von ihrem inkompetenten Chef, dem Major de Police Melki, ausgebremst wird.
Dennoch - oder gerade deswegen - genießt Cluzet das gemütliche Leben in Auciel Haute, wo er im kleinen Gartenhäuschen der Pension seiner Wahl-Enkelin Nathalie Bosc wohnt und sich regelmäßig mit seinem besten Freund, dem Apfelbauern und Schwarzbrenner Bruno, auf einen Calvados trifft.
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ALEXANDRE DUPONT
Commissaire Cluzet
und der tote Muschelfischer
Das Wasser war salzig und frisch und klar. Viel zu klar für ihren Geschmack.
Gehaltlos.
Tödlich.
Sie sog es ein und stieß es aus. Und es blieb nichts zurück. Nur der Hunger in ihr wuchs.
Noch vor Kurzem war sie an dem Ort gewesen, den sie seit Anbeginn ihrer Zeit niemals verlassen hatte. Sie hatte sich an ihn geklammert. Und nichts, nicht einmal ein Sturm hatte sie davon vertreiben können.
Doch dann war etwas geschehen. Als wären ihre Wurzeln gekappt worden. Und plötzlich war die Welt ein Wirbel gewesen. Bis sie im freien Fall in diesem salzigen und frischen und klaren Wasser gelandet war.
Sie war nur eine unter vielen.
Und ob die anderen diese tiefen Vibrationen und Erschütterungen spürten, wusste sie nicht. So wenig, wie sie wusste, dass sie davon rührten, dass ein Körper zu Boden gefallen war. Oder der Stein, der diesen Körper am Kopf getroffen hatte.
Und als sie danach hin und her geschaukelt wurde, wusste die Jakobsmuschel auch nicht, dass sie bald auf einem Teller enden würde.
Der Morgen war ungewöhnlich kühl. Also hatte sich Urbain Cluzet nach dem Aufstehen seinen royalblauen Morgenmantel übergezogen und sich sogar eine leichte Decke über die Knie gelegt. So wartete er in seinem grünledernen Ohrensessel auf den Sonnenaufgang.
Ein bisschen wirkte er wie eine alte Frau, fand er, und er war froh, dass ihn so niemand sah. Aber es war auch gewissermaßen Tradition. Seine Großmutter hatte den Tag so auf der Veranda begrüßt. Ebenso seine Mutter. Es war eine sehr gemütliche Art, die angestaute Bettwärme und Bequemlichkeit noch ein wenig in den Gliedern zu behalten.
Als junger Mann hätte er sich das vermutlich verkniffen. Aber mit Anfang sechzig war er dem Alter näher als der Jugend. Da konnte er sich das leisten.
Cluzet schlug die Decke beiseite und ging zur Küchenzeile gegenüber. Sie war gerade groß genug, dass er sich eine kleine Mahlzeit zubereiten konnte. Wenn es nicht zu aufwendig geriet, reichte es sogar für zwei Personen.
Cluzet goss dampfenden Kaffee aus der Cafetière in eine Tasse und löffelte reichlich Zucker hinein. Bevor er damit zum Sessel zurückging, stellte er das Radio lauter. Sie spielten ein Medley von France Gall aus den Achtzigerjahren. Seine verstorbene Frau Bérénice hatte ihre Musik gemocht. Es hätte ihr gefallen.
Cluzet stellte den Kaffee auf dem Messingtisch ab, in den das Hoheitszeichen Frankreichs eingeprägt war. Er setzte sich. Legte entspannt den Kopf an die Lehne. Wartete darauf, dass die Sonne durch die Bäume am Ende des großen Gartens des Vieux Moulin brach. Sie würde dann durch das kleine Fenster neben der Tür scheinen und seine Wangen wärmen. Für gewöhnlich genoss er dies eine Weile, bevor er zu seinem Morgenspaziergang durch die Umgebung Auciel Hautes aufbrach.
Aber nicht heute.
Er würde mit Sandrine Saidi einen Ausflug ans Meer unternehmen. Zum Mont-Saint-Michel, genauer gesagt. Sie würden durch die Gegend spazieren, Essen gehen und sich irgendwie die Zeit vertreiben. Vermutlich noch einen Markt besuchen. Sich mit allem eindecken, um am Abend ein formidables Menü zu zaubern.
Cluzet lächelte beim Gedanken an die lieb gewonnene Gewohnheit, die sie an Sandrines freien Tagen pflegten. Man konnte es inzwischen schon eine Tradition nennen.
Er nahm die Tasse vom Tisch und trank einen Schluck. Just in dem Moment brach endlich die Sonne durch das kleine Fenster neben der Tür. Gleichzeitig endete das Medley im Radio, und der Sprecher verkündete den Wetterbericht: »Ein Hochdruckgebiet über den Azoren beschert uns heute einen sonnigen Vormittag. Erst zum späten Nachmittag hin breiten sich voraussichtlich einige Quellwolken in einem Streifen von Nantes bis Paris aus und können für kurze Schauer sorgen. Nördlich davon zeigt sich der Himmel in seinem schönsten Blau. Der Wind weht aus Südwest und bringt uns bis zu dreißig Grad im Hinterland und achtundzwanzig Grad an der Küste.«
»Sehr gut!«, antwortete Cluzet dem Sprecher, bevor wieder zur Musik übergeblendet wurde.
Es lief ein Nouvelle Chanson von Zaz. Eine Sängerin, die Sandrine sehr mochte.
»Wie passend«, schmunzelte Cluzet.
Das Smartphone in seiner Tasche vibrierte. Er musste sich im Sessel aufsetzen, damit er mit der Hand in die Tasche kam. Als er es herausholte, leuchtete auf dem Display ein Foto von Sandrine auf. Cluzet hatte es an einem gemeinsamen Abend an der Strandpromenade von Asnelles aufgenommen. Sie hatte ein schwarzes Sommerkleid getragen. An der Kaimauer hinter ihr brach sich eine Welle, und die Gischt spritzte weit über Sandrine hinaus. Sie ahnte noch nicht, dass sie gleich darauf pudelnass sein würde, während sie lachend gegen den Wind ankämpfte, der sich in ihren dunklen Locken verfangen hatte.
Ihr Lachen hallte bis heute in seiner Erinnerung nach.
Cluzet liebte dieses Foto, weil es all ihre arglose Herzlichkeit und Fröhlichkeit widerspiegelte. Entsprechend lächelnd begrüßte er sie am Telefon.
»Guten Morgen, Urbain!«, antwortete sie verschlafen. Gleich darauf hörte Cluzet nur noch gedämpftes Gemurmel.
»Sandrine?«, unterbrach Cluzet sie. »Ich kann dich nicht verstehen.«
Es raschelte aus dem Lautsprecher, dann war ihre Stimme wieder hell und klar, wenngleich auch immer noch müde.
»Tut mir leid! Ich hab das Handy gegen das Kissen gedrückt.«
»Du bist noch im Bett?«
»Ja. Deshalb rufe ich an. Ich habe nicht gut geschlafen.«
Cluzet wartete darauf, dass sie ihm den Grund nannte, warum sie schlecht geschlafen hatte. Normalerweise hätte sie ihm sofort erzählt, was los war. Was war heute anders?
»Was hat dich wachgehalten?«, fragte er schließlich.
»Hm?«, kam nur zurück. Als hätte sie ihn nicht verstanden.
»Magst du mir erzählen, was los war?«
»Nein.«
Cluzet hob das Kinn, dass er verstanden hatte. Obwohl sie ihn nicht sehen konnte. Gleichzeitig ereilte ihn deutlich das Gefühl, dass sie etwas bedrückte.
»Aber es bleibt doch bei unserem Ausflug?«
»Natürlich. Wieso?« Plötzlich wirkte sie hellwach.
»Ich dachte nur …«, wich Cluzet aus. »Vielleicht möchtest du ja auch einfach mal einen Tag nur faulenzen.«
»Faulenzen? Ich?« Jetzt klang sie vorwurfsvoll. Fast so, als wollte sie ihm sagen, wie wenig er sie kannte. »Urbain, ich steh jetzt mal auf und mach mich fertig. Ich muss noch ein paar Sachen für unser Picknick vorbereiten. Ich komme so in einer Stunde und hole dich ab.« Sie verabschiedete sich von ihm und legte auf.
Cluzet ließ das Smartphone sinken und betrachtete es noch eine Weile. Sandrine war irgendeine Laus über die Leber gelaufen. Oder aber sie hatten schlechte Nachrichten erreicht. Das war wohl die wahrscheinlichste aller Erklärungen. Gerade wollte er das Smartphone auf den Messingtisch legen, zeigte es den Eingang einer Nachricht an. Sie war von Sandrine.
Cluzet öffnete und las sie: »Entschuldige. Ich war noch nicht richtig wach. Ich freue mich natürlich auf unseren Ausflug. Bis gleich!«
Cluzet lächelte. Wenn auch etwas zurückhaltend. Tatsächlich machte er sich gerade ein wenig Sorgen um sie. Er überlegte kurz, was er antworten sollte.
Dann tippte er: »Alles gut. Kenne ich.«
Kaum hatte er die Nachricht abgeschickt, fiel ihm auf, dass er durchaus missverstanden werden konnte. Also schickte er noch schnell hinterher: »Ich meine von mir.« Und weil er gerade dabei war, schrieb er ihr auch noch: »Lass dir Zeit! Ich kümmere mich um unseren Proviant.«
Aber die leichten Sorgenfalten auf seiner Stirn verschwanden erst, als Sandrine ihm ein lachendes Smiley zurückschickte.
Im Gras zwischen seinem Häuschen und dem Vieux Moulin hingen Tautropfen, die sich in Cluzets Hosenbeinen verfingen. Bis er die kleine Brücke über den Bachlauf hinter dem Vieux Moulin erreichte, waren seine Knöchel nass. Cluzet schüttelte vergebens seine Füße aus, als könnte er die Feuchtigkeit so loswerden.
»Mist!«, knurrte er kaum hörbar, beschloss aber, dem keine Bedeutung zu schenken. Schon als er sich in Hemd und Hose geworfen und die leichte Strickjacke übergezogen hatte, hatte ihn eigentlich nur beschäftigt, was Sandrine die Laune verdorben hatte. Der mangelnde Schlaf konnte es nicht sein. Als Polizistin war sie das mehr oder weniger gewöhnt. Irgendetwas war geschehen. So viel war sicher.
Allerdings hatte sie ihn daraus ausgeschlossen. Sie hatte es ihm nicht verraten wollen. Also sollte er sich womöglich nicht allzu sehr darauf versteifen. Jeder hatte ein Recht auf Privatsphäre. Und er musste nicht alles bis auf den Grund erforschen, nicht bei ihr.
Stattdessen, dachte er, als er die Terrasse des Vieux Moulin erreichte, sollte er sich darauf beschränken, sie aufzumuntern. Immerhin hatte er dafür einen ganzen Tag Zeit. Er würde sich ein bisschen ins Zeug werfen.
Cluzet hielt inne und wandte sich noch einmal dem Garten zu. Die Sonne sandte die langen Schatten der Bäume über die Blumenwiese. Die Luft war erfüllt von Blütenduft und eifrigem Vogelgezwitscher. Es zauberte ihm ein Lächeln ins Gesicht, das er gut brauchen konnte, wenn er sich bei Nathalie im Vieux Moulin mit etwas Brot und Käse versorgen wollte.
Cluzet sog den Duft tief durch die Nase ein und spürte, wie er ihm die Brust öffnete.
Etwas kitzelte an seiner rechten Wade. Er wollte schon kratzen, besann sich dann aber, zog das Hosenbein hoch und entdeckte eine grüne Raupe, die sich durch seine Beinhaare kämpfte.
»Wo willst du denn hin?« Er nahm sie mit spitzen Fingern von seinem Bein und setzte sie ins Gras am Rand der Terrasse. »Da ist dein Platz.«
Er beobachtete einen Moment lang lächelnd, wie sie sich wie eine Ziehharmonika durch die Halme arbeitete. Manchmal brauchte man nur jemanden, der einen wieder auf den richtigen Weg schubste, dachte er. Dann wandte er sich um und ging weiter Richtung Vieux Moulin.
Er stellte sich eine überladene Picknickdecke vor und war sich plötzlich sicher, dass es ein schöner Tag werden würde. Und Sandrine würde bestimmt alles andere vergessen.
Als er das große, stillstehende Wasserrad an der Giebelwand des Vieux Moulin passierte, hatte er sich gedanklich schon eine kurze Liste zusammengestellt, was er sich für das Picknick von Nathalie erbitten würde. Weintrauben, Äpfel, Baguette, etwas Käse und ein wenig Rindersalami.
Er selbst bevorzugte Pur Porc. Allein beim Gedanken daran, in eine dicke Scheibe der luftgetrockneten Salami zu beißen, lief ihm das Wasser im Mund zusammen. Aber Sandrine aß nun mal kein Schweinefleisch. Er würde also auf die Spezialität verzichten müssen.
Es war vielleicht kein großes Opfer – aber Sandrine war das wert. Auch, dass er nie ein Wort darüber verlor.
Als er sich der Hausecke zum gekiesten Vorplatz des Vieux Moulin näherte, hörte er leise Stimmen. Eine davon gehörte einem Mann, die andere eindeutig Nathalie. Cluzet verstand nicht, worüber sie sprachen, aber sie klangen sehr vertraut miteinander. Beinahe intim. Ganz besonders Nathalies Kichern.
Cluzet stockte. Irgendetwas sagte ihm, dass er gerade stören würde, wenn er jetzt auftauchte.
Er trat vorsichtig an die Hausecke und beugte sich vor, bis er die beiden sehen konnte. Sie standen eng umschlungen neben einem dunkelgrünen Lieferwagen, der am Vorabend noch nicht dort geparkt hatte. Nathalie trug einen weißen Morgenmantel. Barfüßig hatte sie sich auf die Zehenspitzen gestellt und flüsterte dem Mann etwas ins Ohr, das ihn lächeln ließ.
Anders als gewohnt hatte sie ihre braunen Locken nicht im Nacken zusammengebunden. Sie lagen locker auf ihren Schultern, als wäre sie gerade aufgestanden.
Den Mann hatte Cluzet noch nie gesehen. Er schätzte ihn auf Ende zwanzig. Er war groß und schlank und hatte langes, dunkelblondes Haar. Sein freundliches Gesicht war scharf geschnitten, und seine Statur unter dem weißen T-Shirt und der grünen Latzhose zeugte von körperlicher Arbeit.
Der Firmenname auf dem Transporter war womöglich die Erklärung: Landschaftsgärtnerei Vic Morisseau, Étretat.
Cluzet zog sich wieder zurück. Kurz war er unsicher, ob er abwarten oder doch umkehren sollte. Er wollte diesen vertrauen Moment keinesfalls stören. Gleichzeitig setzte sich ein Lächeln in seinen Mundwinkeln fest.
Es war nicht schwer, eins und eins zusammenzuzählen.
Nathalie hatte nächtlichen Besuch gehabt. Und er schien ihr auch etwas zu bedeuten. Offensichtlich blühte da gerade etwas auf, das Cluzet ihr von Herzen gönnte.
Seit er Paris den Rücken gekehrt und in das kleine, ehemalige Gästehaus gezogen war, hatte Nathalie unermüdlich an ihrem Traum gearbeitet, das Vieux Moulin zu einem kleinen, kulturellen Leuchtturm der Region zu machen. Nicht selten hatte sie sich derart verausgabt, dass Cluzet eingeschritten war und ihr einen freien Tag am Meer verordnet hatte. Manchmal schien sie auf dem besten Weg zu sein, für ihren Traum zu vereinsamen.
Zumindest war dies Cluzets Eindruck gewesen. Aber so ganz richtig hatte er da wohl doch nicht gelegen.
Cluzet riskierte einen zweiten Blick.
Der Mann strich Nathalie eine Haarsträhne hinters Ohr, die sich aber als sehr widerspenstig erwies. Nathalie strahlte ihn an und lachte leise. Fast wie ein kleines Mädchen. Dann küsste der Mann Nathalie auf die Stirn, sie streichelte ihm über die Wange und verschwand in Richtung Eingang des Vieux Moulin.
Dann geschah etwas, das Cluzet erneut innehalten ließ.
Der Mann sah Nathalie nach. Winkte noch einmal. Dann wandte er sich um und stieg in den Lieferwagen. Er senkte nachdenklich den Kopf, und seine Wangen blähten sich auf, als pustete er aus. Fast so, als wäre er mit dem Abschied nicht ganz im Reinen. Oder mit etwas anderem, das geschehen war.
Cluzet bemerkte, dass der Mann kaum lächelte. Es lag eine Kühle in seinem Blick, die nicht zu dem liebevollen Moment zuvor passen wollte.
Cluzet nahm sich einen der Picknickkörbe vom mannshohen Kühlschrank, die Nathalie für die Gäste in der Küche des Vieux Moulin bereithielt. Er stellte ihn auf den kleinen Tisch am Fenster neben die Brotkiste. Dann wählte er ein frisches Baguette mit knackiger Kruste aus, schlug es in ein Tuch ein und schob es unter den runden Henkel des Weidenkorbs.
Als er den Kühlschrank öffnete, fiel es ihm schwer, sich zu entscheiden, was er noch für Sandrine und sich einpacken sollte.
Das Bild der vertrauten Verabschiedung draußen vor dem Vieux Moulin beschäftigte ihn noch immer. Ebenso der Stimmungsumschwung des Mannes, von dem er sich fragte, was er zu bedeuten hatte.
Eher lustlos nahm er ein Stück Comté aus dem Kühlschrank, betrachtete es von allen Seiten – und legte es schließlich wieder zurück. Genauso erging es einem Apfel, der ebenfalls nicht seine Begeisterung wecken konnte.
Cluzet seufzte.
Im gleichen Moment hörte er eilige Schritte aus dem Gastraum. Er atmete durch und setzte ein Lächeln auf. Kurz darauf schwang die Tür auf, und Nathalie kam herein. Sie stockte kurz und sah ihn überrascht an.
»Guten Morgen, GP.« Wie immer sprach sie ihn mit dem Kürzel für Grand-Père an. Der Ehrentitel, den seine Wahl-Enkelin ihm verliehen hatte.
Sie hatte sich in ihre übliche Arbeitskleidung geschmissen. Weiße Bluse, schwarze Hose und eine schwarze Schürze. Ihr Haar war streng am Hinterkopf zusammengebunden. Nur die Strähne, an der der Mann sich zu schaffen gemacht hatte, hatte sich gelöst und klemmte nun hinterm Ohr.
»Du bist spät dran«, antwortete Cluzet lediglich.
»Stimmt!« Sie zog die Mundwinkel nach unten, als wollte sie ein Lächeln unterdrücken. »Und deswegen dachtest du, du springst schnell für mich ein?«
»Was?« Cluzet zog die Augenbrauen zusammen.
Nathalie lachte auf und machte sich daran, das Frühstück für ihre Gäste vorzubereiten. Zwei gusseiserne Pfannen schepperten auf dem Herd. »Warum bist du wirklich hier?«
Sie hatte ihn ertappt.
Cluzet schmunzelte es weg und schloss den Kühlschrank wieder. »Ich hab praktisch nichts mehr im Haus. Und heute ist mein Tag mit Sandrine.«
»Ah! Macht ihr wieder ein Picknick?« Ihr Gesicht hellte sich deutlich auf. »Wo geht’s hin?«
»Mont-Saint-Michel. Und ein bisschen ans Meer.«
»Oh, wie schön! Wer hatte die Idee?« Nathalie schnappte sich eine Schüssel vom Regal über dem Herd.
»Sandrine. Wir hatten neulich darüber gesprochen. Es liegt quasi vor der Haustür, aber ich war das letzte Mal vor vielleicht zwanzig Jahren da.«
Nathalie sah ihn kurz an. Dann schlug sie mehrere Eier in die Schüssel. »Dann wird’s aber wirklich mal wieder Zeit.« Sie lächelte Cluzet zu. »Vielleicht mach ich das auch bald.«
»Aha?«, gab Cluzet vielsagend zurück, in der Hoffnung, ihr einen Anstoß zu liefern, über den Mann vom Hof zu sprechen. Aber Nathalie reagierte nicht. Wahrscheinlich war er zu allgemein geblieben.
Er erinnerte sich an die Aufschrift auf dem Lieferwagen. Betont harmlos sagte er: »Es gibt ja auch noch viele andere schöne Ecken für einen Ausflug. Die Alabasterküste zum Beispiel. Vielleicht … Étretat?«
»Auch schön«, antwortete Nathalie neutral. Dabei hatte Cluzet gedacht, dass die Nennung des Ortes etwas in ihr auslösen würde.
Aber entweder war dem nicht so oder sie wollte sich nichts anmerken lassen. Sie sammelte die Eierschalen ein und trug sie zum Mülleimer.
Also schob er nach: »Du musst es ja wissen.«
Nathalie stockte kurz. Dann warf sie die Eierschalen in den Mülleimer und wandte sich zu ihm um. Sie sah ihn direkt an und zog die Augenbrauen hoch.
»Landschaftsgärtnerei Vic Morisseau«, streute Cluzet selbsterklärend ein.
Nathalie verkniff sich offensichtlich ein Lächeln. Was ihr aber kaum gelang.
»Möchtest du mir irgendwas darüber sagen?«
»Nein?«, antwortete Nathalie.
Cluzet atmete durch den Mund ein und die Nase wieder aus. »Du bist genau so ein harter Brocken wie deine Großmutter.«
Cluzet konnte sich noch gut an sie erinnern. Vor allem daran, dass man ihr nichts entlocken konnte, wenn sie das nicht wollte. Und sie wollte es praktisch nie.
»Tja, sie war eine gute Lehrerin.« Nathalie lachte, schnappte sich einen Schneebesen, der neben anderen Küchengeräten über dem Herd hing, und widmete sich wieder den Eiern. Sie verquirlte sie schwungvoll. »Gleich kommen die ersten Gäste zum Frühstück. Ich muss mich ein bisschen beeilen. Nimm dir, was immer du brauchst.«
Cluzet nickte kurz. Dann öffnete er den Kühlschrank und bediente sich nach kurzem Zögern doch am Comté und dazu an der Rindersalami.
»Darf ich dir noch ein paar Weintrauben klauen?«
»Was immer du magst. Wenn ich damit etwas zu einem glücklichen Tag für euch beide beisteuern kann, dann tue ich das gern.«
Cluzet entnahm noch einige Rispen Weintrauben, stieß die Kühlschranktür mit der Hüfte zu und verstaute alles im Korb.
»Und du?«, forschte er vorsichtig nach. »Bist du glücklich?«
Er hörte in seinem Rücken, wie der Schneebesen noch kurz durch die Blechschüssel klapperte und dann erstarb. Erst jetzt drehte er sich zu Nathalie um.
Sie betrachtete ihn forschend. »Sei ehrlich! Du hast etwas beobachtet, das nicht für deine Augen bestimmt war.«
Normalerweise machte ihm solches Bohren nichts aus. Als Kommissar in Paris hatte er es mit einigen gewieften Kriminellen und ihren Anwälten zu tun gehabt. Deren gezielte Unterstellungen, mit denen sie ihn zur Rede stellen wollten, hatte er einfach weggeatmet. Bei Nathalie aber spürte er, wie seine Wangen heiß wurden.
Trotzdem antwortete er nicht.
»GP, ich weiß, was du wissen möchtest. Aber darauf gibt es noch keine Antworten.«
Cluzet hob das Kinn, dass er verstanden hatte.
»Ich genieße, was ist, und freue mich auf das, was kommt.« Ihr Blick ließ wenig Zweifel daran, dass sie es auch genau so meinte. Sie schloss langsam die Lider und öffnete sie wieder.
Im gleichen Moment klingelte das Handy in Cluzets Hosentasche. Er seufzte leise, holte das Gerät hervor und ging ran. Sandrine erklärte ihm, dass sie gleich auf den Hof des Vieux Moulin einfahren würde.
»Ich komme sofort«, antwortete Cluzet und legte auf.
Währenddessen hatte Nathalie zwei Teller, Gläser und Besteck gegriffen und präsentierte ihm alles.
»Das hier wirst du auch brauchen. Nimm dir im Gastraum aus dem Kühlfach im Tresen Wasser und Cidre. Und dann kümmer dich um dein Glück.« Sie schob einen auffordernden Blick hinterher.
Cluzet packte das Geschirr und die Gläser in den Korb und nahm ihn vom Tisch. Dann strich er Nathalie mit dem Finger über die Wange, und sie quittierte es mit einem Lächeln.
Sandrines kompakter Peugeot rauschte durch die Schatten der Bäume über die Allee aus Auciel Haute hinaus. Cluzet hatte vorgeschlagen, gegen die kräftige Sonne die Klimaanlage einzuschalten. Aber Sandrine hatte lieber alle Fenster heruntergelassen, weil sie spüren wollte, wie der Fahrtwind ihre dunklen Locken durcheinanderwirbelte.
Letztlich war es die richtige Entscheidung gewesen. Von draußen wehte der Geruch nach salzigem Meer und frisch geschnittener Wiese herein und verbreitete eine leichte Urlaubsstimmung.
Allerdings drückte Sandrine derart aufs Gaspedal, dass Cluzet sich am Handgriff über der Tür festklammern musste. Mit der anderen hielt er den prall gefüllten Picknickkorb auf dem Schoß. Das Geschirr darin schepperte, als der Peugeot von einem tiefen Schlagloch durchgeschüttelt wurde.
»Meine Güte, wo kam das denn her?«, bekundete Sandrine halb erschrocken, halb ärgerlich und kontrollierte den Rückspiegel.
Es war wohl schon vorher da, war Cluzet versucht zu scherzen, verkniff es sich aber.
Als Sandrine ihn am Vieux Moulin abgeholt hatte, war sie zwar etwas müde, aber noch gelöst gewesen. Mittlerweile aber hatte sie die Anspannung eingeholt. Zudem wirkte sie fahrig und unkonzentriert. Sie hätte seinen kleinen Scherz womöglich nicht gut aufgefasst.
Sandrine sah wieder nach vorn. Ein Auto erschrak sie, das zwischen zwei Bäumen parkte. Sie wich grundlos in weitem Bogen aus. Danach atmete sie hörbar aus.
Cluzet entdeckte eine Parkbucht und zeigte darauf. »Wie wär’s mit einem Fahrerwechsel?«
»Warum?«, fragte Sandrine, steuerte aber dennoch an die Seite.
»Weil ich schon lange kein Auto mehr gefahren bin. Ich würde es wahnsinnig gern noch mal probieren.« Es war nicht ganz ehrlich, aber auch nicht vollständig gelogen. Zuletzt hatte er während seiner Dienstzeit als Kommissar in Paris einen Dienstwagen eigenhändig gelenkt.
Ihr entlarvender Blick verriet, dass sie ihm nicht glaubte.
»Ich habe mir überlegt, dass wir nicht zum Mont-Saint-Michel fahren. Ich würde dich gern mit was anderem überraschen.« Auch das war nicht ganz die Wahrheit, aber auch nicht ganz gelogen.
Sandrines Miene wurde sanfter. Sie atmete ein und wieder aus. Es klang beinahe wie ein Seufzer. »Ich bin schlimm heute Morgen, oder?«
»Nein.« Cluzet strich ihr mit den Fingerknöcheln über die Hand am Lenkrad. Dann stieg er aus und stellte den Korb auf den Beifahrersitz.
»Danke, Urbain!«, sagte Sandrine, nachdem sie die Plätze getauscht hatten.
»Gern«, antwortete Cluzet lediglich und reihte den Peugeot wieder in den schwachen Verkehr ein.
Die ersten Minuten besah sich Sandrine eher lustlos den Inhalt des Korbs auf ihrem Schoß, bis sie ihn schließlich zwischen ihren Beinen hindurch in den Fußraum stellte.
»Es tut mir leid. Mit meiner Laune verderbe ich dir noch den ganzen Ausflug.«
Cluzet versuchte, sie mit einem Schmunzeln zu beschwichtigen. »Das wird dir nie gelingen.«
Er spürte ihre Augen auf sich. Im Augenwinkel glaubte er, ein bemühtes Lächeln wahrzunehmen.
»Magst du erzählen, was dich bewegt?«
Sandrine zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht.«
»In Ordnung. Dann entspann dich ein bisschen.«
Ihr nächstes Lächeln wirkte ehrlich. Sie legte den Ellenbogen in den Fensterrahmen und hielt die Nase in den Fahrtwind. Ihre Locken umspielten ihr Gesicht, und Cluzet ahnte, dass sie genoss, dass sie es wie einen Vorhang einhüllten.