Commissario Mariani - Mord in Genua, Die Schatten von Sizilien & Denn nichts ist je vergessen - Maria Masella - E-Book

Commissario Mariani - Mord in Genua, Die Schatten von Sizilien & Denn nichts ist je vergessen E-Book

Maria Masella

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Beschreibung

Wenn ein Urlaubsparadies seine Abgründe offenbart ... COMMISSARIO MARIANI – MORD IN GENUA: Als Commissario Antonio Mariani erhält Post mit schockierendem Inhalt: ein Buch, eine Kamelie – und der Finger einer Frau ... Als die Spuren ihn zu dem Mord an einer Freundin seiner Mutter führen, wird ihm klar, dass der Killer ihn zu einem perversen Spiel herausfordert. Doch niemals hätte Mariani damit gerechnet, dass seine Tochter plötzlich verschwindet … DIE SCHATTEN VON SIZILIEN: Reporterin Faith Eden geht einem nie aufgeklärten Flugzeuganschlag in Italien nach und stößt dabei auf einen vertrauten Namen – welche Verbindung kann es zwischen der Mafia und ihrem Vater geben, der vor vielen Jahren tödlich verunglückte? Faith muss sich den Geheimnissen ihrer eigenen Familiengeschichte stellen, die sie zu einer rätselhaften Villa in Palermo führen … DENN NICHTS IST JE VERGESSEN: Die Lehrerin Marcella hoffte die Schrecken ihrer Kindheit bei ihren kalten Adoptiveltern hinter sich gelassen zu haben – doch dann stößt sie auf ihren alten Familiennamen in Verbindung mit der grauenhaften Hinrichtung einer sizilianischen Familie. Marcella versucht herauszufinden, was damals geschah – und gerät in das Fadenkreuz von Menschen, die keine Gnade kennen …  Drei fresselnde Italien-Thriller in einem Bundle – für Fans von Andrea Camilleri!

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über dieses Buch:

COMMISSARIO MARIANI – MORD IN GENUA: Als Commissario Antonio Mariani erhält Post mit schockierendem Inhalt: ein Buch, eine Kamelie – und der Finger einer Frau ... Als die Spuren ihn zu dem Mord an einer Freundin seiner Mutter führen, wird ihm klar, dass der Killer ihn zu einem perversen Spiel herausfordert. Doch niemals hätte Mariani damit gerechnet, dass seine Tochter plötzlich verschwindet …

DIE SCHATTEN VON SIZILIEN: Reporterin Faith Eden geht einem nie aufgeklärten Flugzeuganschlag in Italien nach und stößt dabei auf einen vertrauten Namen – welche Verbindung kann es zwischen der Mafia und ihrem Vater geben, der vor vielen Jahren tödlich verunglückte? Faith muss sich den Geheimnissen ihrer eigenen Familiengeschichte stellen, die sie zu einer rätselhaften Villa in Palermo führen …

DENN NICHTS IST JE VERGESSEN: Die Lehrerin Marcella hoffte die Schrecken ihrer Kindheit bei ihren kalten Adoptiveltern hinter sich gelassen zu haben – doch dann stößt sie auf ihren alten Familiennamen in Verbindung mit der grauenhaften Hinrichtung einer sizilianischen Familie. Marcella versucht herauszufinden, was damals geschah – und gerät in das Fadenkreuz von Menschen, die keine Gnade kennen …

Eine Übersicht über die Autorinnen finden Sie am Ende dieses eBooks.

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Sammelband-Originalausgabe August 2025

Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2025 dotbooks GmbH, München

Eine Übersicht über die Copyrights der einzelnen Romane, die im Sammelband enthalten sind, finden Sie am Ende dieses eBooks.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: dotbooks GmbH, München

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ma)

ISBN 978-3-98952-723-2

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

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Maria Masella, Anna Blundy & Adele Marini

Commissario Mariani - Mord in Genua, Die Schatten von Sizilien & Denn nichts ist je vergessen

Drei Krimis in einem eBook

dotbooks.

Maria Masella Commissario Mariani – Mord in Genua

KAPITEL 1

Freitag

Samstag

KAPITEL 2

Neun Tage später: Montag

Mittwoch

Freitag

Später

KAPITEL 3

Montag

Dienstagmorgen, nach neun Uhr

Nacht von Dienstag auf Mittwoch

KAPITEL 4

Mittwoch

KAPITEL 5

KAPITEL 6

Anna Blundy Die Schatten von Sizlien

Widmung

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Anmerkung

Adele Marini Denn nichts ist je vergessen

Widmung

Motto

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Randbemerkung

Danksagungen

Über die Autorinnen

Rechtenachweis

Lesetipps

Maria MasellaCommissario Mariani – Mord in Genua

Aus dem Italienischen von Birgitta Höpken

Wenn ein Urlaubsparadies seine Abgründe offenbart ... Als Antonio Mariani, Commissario der Mordabteilung Genuas, rätselhafte Post bekommt, ahnt er nicht, welcher Albtraum damit für ihn beginnt: In dem Päckchen liegen ein Buch, eine Kamelie – und der abgeschnittene Finger einer Frau ... Kurz darauf wird die Tote entdeckt. Warum hat der Täter neben der Prostituierten eine rote Perücke drapiert? Durch die erschütternde Nachricht, dass eine alte Freundin seiner Mutter auf dieselbe Weise ermordet wurde, wird dem Commissario klar, dass der Killer ihn zu einem perversen Spiel um Leben und Tod herausfordert. Doch niemals hätte Mariani damit gerechnet, dass seine Tochter plötzlich spurlos verschwindet. Wird es ihm gelingen, sie rechtzeitig aus den Klauen des Mörders zu befreien?

KAPITEL 1

Freitag

Ein reines Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen.

Mein Ruhekissen ist hart, und so sind auch meine Tage.

Die Nachricht steht in roten Buchstaben auf der Tafel in der Küche.

IM ARBEITSZIMMER LIEGT EIN PÄCKCHEN FÜR DICH.

Ohne Gruß und Unterschrift.

Ich setze einen Espresso auf, und als er durchzulaufen beginnt, gehe ich hinüber, um nachzuschauen. Neugierig bin ich nicht, denn ich erwarte kein Päckchen und noch viel weniger einen Gruß von meiner Frau.

Hin und wieder treffen wir uns und wahren dann förmliche Distanz wie zwei Unbekannte. Mittlerweile weiß jeder von uns, was er vom anderen zu erwarten hat. Doch da ist noch Manu.

DOTT. ANTONIO MARIANI, dann die Adresse, mit Schreibmaschine auf einen hübschen Aufkleber geschrieben. Wieder so ein Versandhandel, der versucht, etwas an den Mann zu bringen.

Ich trage das Päckchen in die Küche und mache es auf. In der Zwischenzeit brodelt mein Espresso. Eine zweite Verpackung aus Seidenpapier. Erst einmal eine Tasse Kaffee eingießen, dann entferne ich die dünne Papierschicht. Ein Buch kommt zum Vorschein: Eine Privatsache von Beppe Fenoglio, erschienen bei Garzanti. Keine der neueren Ausgaben, das sieht sogar jemand wie ich, der nichts von Büchern versteht. Dafür kenne ich mich bei anderen Dingen aus. Ich hole eine Spaghettizange aus der Schublade, damit ich das Päckchen umdrehen kann, ohne Fingerabdrücke zu hinterlassen und ohne eventuelle Spuren zu verwischen. Davon verstehe ich nämlich etwas.

Beim Umdrehen rutscht mir das Buch weg, schlägt auf, und etwas fällt auf den Küchentisch. Eine weiße, angewelkte Blüte und ein durchsichtiges Plastiktütchen. Ich lege das Buch zur Seite und schaue genauer hin.

Mit einem Schlag sieht die Sache ganz anders aus.

Fluchend renne ich zum Telefon. Während ich warte, dass man mir Anselmi an den Apparat holt, lege ich den Hörer zur Seite und greife nach der Tasse ‒ der Kaffee ist zwar bereits kalt, aber vielleicht macht er mich ein bisschen munterer. Ich habe weniger als fünf Stunden geschlafen und hatte kein sanftes Ruhekissen.

»Anselmi? Ich bin’s, Mariani.«

»Anselmi am Apparat, Commissario. Es gibt nichts Neues im Fall …«

»Ich rufe nicht deswegen an. Schicken Sie mir die Spurensicherung, und zwar sofort.«

»Wohin denn, Commissario?«

»Zu mir, Anselmi, zu mir nach Hause. Muss ich Ihnen vielleicht noch die Adresse diktieren?«

»Nein, nein. Geht in Ordnung, Commissario. Ist denn was passiert?«

»Schicken Sie mir die Spurensicherung.« Ich zögere einen Augenblick, doch Aufschieben ist zwecklos, also frage ich: »Ist Dottor Serra schon da?«

»Ja, Commissario, seit etwa einer halben Stunde.«

»Wenn er frei ist, müsste ich ihn sprechen.« Während ich das sage, frage ich mich, warum ich mir das antue. »Nein, lassen Sie, Anselmi, ich spreche mit ihm, wenn ich im Büro bin.« Ich lege auf.

Dann schenke ich mir noch eine Tasse Kaffee ein und wende mich wieder dem Tisch zu.

Das Buch wurde sorgfältig ausgehöhlt, so dass es als Behältnis dienen kann. Eine weiße Blüte, eine wunderschöne weiße Blüte. Was für eine Sorte das wohl ist? Ich kenne Rosen, Nelken, Margeriten und noch ein paar andere. Ein Plastiktütchen mit einem rotbraunen, vertrockneten, möglicherweise klebrigen Ding. Das scheint mir die fehlende Fingerkuppe der im Corso Torino erstickten Frau zu sein, obgleich ich doch nichts mit dem Fall zu tun habe.

Warum ist das Päckchen dann an mich adressiert?

Das Wichtigste ist jetzt aber, dass die Spurensicherung es so bald wie möglich wegschafft. Mir bleibt nichts weiter übrig, als zu hoffen, dass sie bald eintrifft, und in der Zwischenzeit zu duschen und mich anzuziehen, damit ich dann sofort in die Questura fahren kann.

Im Büro angekommen, teilt man mir mit: »Vicequestore Serra will, dass Sie gleich zu ihm kommen.«

Also setze ich mich in Bewegung. Im Flur stoße ich auf Leandri, der mit dem Fall Gualtieri befasst ist. Hoffentlich hat man mich nur gerufen, um einen Bericht aus erster Hand zu bekommen. Pustekuchen: Sie drehen mir den Fall an.

Ich hasse es, eine Ermittlung zu übernehmen, die ein anderer schon begonnen hat. »Damit lassen wir uns aber auf das Spiel des Päckchenversenders ein.« Sinnloser Einwand.

»Wir können uns hier nicht mit Details aufhalten, Mariani. Es ist nur wichtig, dass der Fall bald und gründlich aufgeklärt wird.«

»Dann lasse ich mal die ganzen Unterlagen zu Anselmi bringen.« So einfach entledigt sich Leandri also seiner Probleme.

Ich nicke und wage zu fragen, ob die Spurensicherung schon Ergebnisse geschickt hat.

»Die Leiche wurde gestern gefunden.«

»Die Spurensicherung müsste aber doch …«

»Ja, die Ergebnisse sind da, in der Akte.«

Von all denen, die mir hätten einen Fall aufhalsen können, ausgerechnet Leandri!

Anselmi gibt mir die Akte, ich blättere: Todesursache vermutlich Ersticken (um sicher zu sein, muss noch die Autopsie abgewartet werden). Sie war offenbar schon zwei oder drei Tage tot, was wohl deutlich zu riechen war.

Wie auch immer, es fehlte die Kuppe des rechten Zeigefingers.

»Die hat er abgeschnitten und dann an Sie geschickt, Commissario.«

Bei Anselmis Worten zucke ich die Schultern, diese Idee ist mir auch schon gekommen.

»Wer hat sie gefunden?«

»Wen?«

»Die … die …« Ich brauche einen Moment, um mir den Namen, den man mir schon genannt hat, in Erinnerung zu rufen. »Gualtieri, ja, Gina Gualtieri.«

»Es steht alles im Bericht, Commissario. Gestern Nachmittag kam der Anruf …« Ja, da war ich in meinem Büro und habe die Kollegen davon sprechen hören. »Aber im Bericht steht alles drin.«

Ich nehme also das Blatt und lese. Keine neue Geschichte: Eine alleinstehende Frau um die dreißig, die Schwester verheiratet. Jede lebt ihr eigenes Leben, doch telefonieren sie jeden Tag miteinander, um zu hören, wie es so geht. Maura Gualtieri, verheiratete Pongiu, versucht drei Tage lang vergeblich, ihre Schwester anzurufen. Sie ist in Sorge. Obwohl sie ihre Schwester normalerweise nicht besucht und schon gar nicht unangemeldet, beschließt sie, hinzufahren und nachzusehen. Sie hat einen Schlüssel, öffnet die Tür und findet ihre Schwester tot vor.

Es bedarf keiner Erfahrung, um sofort zu sehen, dass sie keines natürlichen Todes gestorben ist und dass es sich nicht um einen Unfall handelte. Kaum jemand wird sich selbst eine Plastiktüte über den Kopf ziehen und sorgfältig zubinden. Selbstmord vielleicht … Aber das Stück vom Finger … Ich bin kein Gerichtsmediziner, weiß aber genug, um zu erkennen, dass es erst abgetrennt wurde, als die Frau schon tot war.

»Neben der Leiche lag eine rote Lockenperücke.« Anselmi betont den Satz mit einer Geste, als würde er sich das Haar ordnen. Wie das wohl aussähe: eine schöne rote Perücke über seinem grauen Gesicht?

Das wird kein einfacher Fall, ich spüre es genau.

Wie auch immer, man wird sehen, ob der Inhalt des Plastiktütchens wirklich das fehlende Fingerstück ist. Das Tütchen wird untersucht werden, und auch die Blüte.

Eine Blüte.

Auf alle Fälle muss ich auch mit Francesca sprechen, um zu erfahren, wie das Päckchen zugestellt wurde. Es sind keine Stempel drauf, das heißt, es wurde persönlich abgegeben.

Warum ausgerechnet bei mir?

Als hätte ich nicht schon Ärger und Sorgen genug.

Gleich ist es eins, um diese Uhrzeit macht Francesca für gewöhnlich Mittagspause. Ich wähle die Nummer, die Sekretärin ist dran und sagt: »Die Chefin ist in einer Besprechung.« Ich glaube, dass ich der einzige Kommissar bin, dessen Frau Ingenieurin ist und besser verdient als er.

»Ich muss mit ihr sprechen. Es ist dringend.«

»Einen Augenblick, bitte.« Warteschleifenmusik, Gott, wie ich die hasse.

»Pronto.«

»Ich bin’s, Antonio.«

»Was ist los?« Kein Anzeichen von Sorge in der Stimme ‒ wenn etwas mit Manu wäre, dann würde man sie auch als Erste benachrichtigen.

»Ich muss mit dir sprechen.«

»Dann sprich.« Ich sehe sie vor mir, wie sie das Telefonkabel um die Finger wickelt und aus einem Schuh schlüpft, dabei auf einem Bein balancierend wie ein Flamingo. Vom Flamingo hat sie die langen Beine, nur ist sie nicht so dünn.

»Das geht nicht am Telefon.«

»Ich habe zu tun.«

»Es ist dringend, beruflich. Ich könnte dich auch ganz offiziell in die Questura bestellen, aber ich dachte an ein freundschaftliches Gespräch, schließlich bist du meine Frau …«

»Oh, ich dachte, du hättest das vergessen.« Ich will gerade entgegnen, dass sie es war, die dem ehelichen Bett den Rücken gekehrt hat, da spricht sie schon weiter.

»In einer halben Stunde etwa bin ich hier fertig. Soll ich zu dir kommen oder kommst du zu mir? Da es dringend ist, komm du doch, dann gewinnst du Zeit.«

Die Aufforderung, zu ihr zu kommen, muss sie einiges gekostet haben, denn eigentlich hat sie es gar nicht gern, wenn ich in ihr Revier eindringe. »Ich komme«, sage ich.

Ich informiere Anselmi, dass ich weggehe, ohne ihm zu sagen, dass ich meine Frau befragen werde. Bin ja bald zurück.

Die Sekretärin lässt mich in Francescas Büro Platz nehmen. Zwei Computer, ein Drucker und anderes Teufelszeug. Ein Poster von einer Kunstausstellung, eines von Amnesty International und ein Bild, das Manu gemalt hat, als sie drei war. Überall stapeln sich Bücher und Karteikästen.

Gerade habe ich mich in ihren Lieblingssessel aus rotem Leder gesetzt, da kommt sie hereingeeilt. Zur Begrüßung sagt sie: »Schieß los.« Dann zieht sie sich die Schuhe aus, es sind flache rote Mokassins.

»Das geht nicht so schnell.«

»Wenn du nicht anfängst, dauert es noch länger.« Sie bleibt stehen und lehnt sich mit ihrem schönen und straffen Hintern an die Schreibtischkante, die Schuhe in der Hand.

»Willst du dich nicht setzen?«

»Das ist meine Mittagspause. Himmel, Antonio, wenn ich jetzt nicht sofort eine Kleinigkeit zu essen kriege, sterbe ich.« Sie beugt sich herunter, schwänzelt mir mit dem sehr kurzen Rock ihres Businesskostüms vor der Nase herum, zieht sich die Schuhe wieder an und nimmt ihre Tasche.

»Also auf eine Kleinigkeit«, sage ich und stehe auf.

Beim Hinausgehen lege ich ihr automatisch eine Hand an den Arm, da dreht sie den Kopf, und es ist, als schaute sie durch mich hindurch. Ein böser Blick oder eine Szene wären mir lieber gewesen. Die anderen Frauen beherrsche ich von meinen Einsachtzig aus, doch sie geht mit ihren Einssiebzig durch die Welt, und wenn sie das Kinn hebt, dann sind unsere Augen fast auf gleicher Höhe: »Ach, spielen wir heute den Gentleman?«

Blöde Kuh, Miststück, meine Frau ist wirklich ein verfluchtes Miststück. Und sie hat allen Grund dazu.

»Also, was gibt es so Dringendes?«

Wie immer genügt ihre Gegenwart, um mich alles vergessen zu lassen: absolute Leere im Hirn. Ich muss mir einen Ruck geben, um mich wieder an das Päckchen zu erinnern. »Wer hat eigentlich das Päckchen abgegeben?«

»Woher soll ich das wissen? Ist das denn wichtig?«

»Vielleicht. Aber warum weißt du nicht, wer es gebracht hat?«

»Himmel nochmal! Es kommen immer so viele Päckchen, von all den Idioten, die nicht wissen, dass ich ein Büro habe … Dann klingelt es, wenn ich unter der Dusche stehe oder gerade Manu fertig mache, und ich brauche eine Weile, bis ich aufmachen kann. Manchmal lassen sie dann das Zeug einfach vor der Tür liegen, wenn sie wahrscheinlich den Roller in zweiter Reihe geparkt oder viel auszutragen haben.«

»Das heißt, jemand hat das Päckchen vor die Tür gelegt.«

»Ich habe die Tür aufgemacht, und da lag es. Dein Name stand drauf, also habe ich es ins Arbeitszimmer gebracht.«

»Was hat die Person gesagt, nachdem sie geklingelt hat? Hat sie nach mir oder nach dir gefragt?«

»Sie hat gesagt: Paket für Nummer dreizehn.«

»Mann oder Frau?«

»Du weißt doch, dass vor dem Haus die Baustelle der Telecom ist. Es hätte Mann oder Frau sein können, an der Stimme war das nicht zu erkennen.« Sie dreht sich zu mir um und sagt: »Meistens esse ich hier.«

Man kennt sie hier tatsächlich, ich merke es dran, wie sie gegrüßt wird und wie sie sich ganz zielstrebig zu einem bestimmten Tisch durchschlängelt. Ich will gerade fragen, was sie möchte, da kommt mir der Kellner zuvor: »Das Übliche, Signora? Schnell oder normal?«

Sie sieht mich an und antwortet lächelnd: »Normal. Zweimal.«

Keiner, der nicht von Natur aus neugierig ist, macht meinen Job, doch eher würde ich mir die Zunge abbeißen, als dass ich jetzt Erklärungen verlangte.

»Also, Antonio, könnte ich ein bisschen mehr erfahren oder ist das ein Berufsgeheimnis?«

Sie hat den linken Ellbogen auf den Tisch und das Kinn auf den Handrücken gestützt und sieht mich an, als sähe sie mich nun wirklich. Ich erzähle ihr alles, von der Ankunft des Päckchens bis zu der Frau, die ermordet aufgefunden wurde.

Gerade als ich alles rekapituliert habe, was im Grunde nicht viel war, kommt der Kellner mit zwei Tellern: »Hier, Signora, einmal normal. Griechischer Salat, dasselbe für den Herrn. Und eine halbe Karaffe Pinot. Als Nachtisch Fruchtsalat oder Ananas?«

»Ananas. Natur«, antworte ich. Nicht weil ich Ananas so mag oder etwa Fruchtsalat verabscheue, sondern weil ich nicht gerne im Kielwasser von jemand anderem schwimme.

Francescas belustigter Blick sagt mir, dass sie begriffen hat. Eifrig macht sie sich jetzt über ihren Salat her, doch nach einigen Bissen hält sie inne: »Du hast gesagt, dass ein Buch in dem Päckchen war. Was für ein Buch?«

»Eine Privatsache«

»Von Fenoglio?«

Ich nicke und kann dann geradezu sehen, wie ihr Hirn die Informationen aufzeichnet, katalogisiert und vergleicht. Sie ist gewissermaßen die Blume am Revers einer Consulting-Agentur. Blume, Blüte. »Die Blüte ist weiß und hat eine schöne Form.«

»Sicher weiß jemand bei euch in der Questura, was für eine Blüte das ist«, sagt sie, aber sie denkt nach, das merke ich. Planmäßig isst sie ihren griechischen Salat, den Reis, die Oliven und so weiter und denkt nach. Als der Teller leer ist, legt sie die Gabel weg.

»Sie hat einen ganz schönen Mut, deine Freundin. Sie fordert dich heraus, sie will, dass du sie findest. Wenn ich du wäre, dann würde ich mir eine Liste von all den Frauen machen, mit denen du in der letzten Zeit geschlafen hast. Eine ganz schöne Arbeit, das ist mir klar. Die Liste muss ja so lang sein.« Sie streckt den linken Arm aus und führt die rechte Hand zur Schulter. »Nicht leicht, aber Mamas Liebling hat sich ja sicherlich auch nicht geschont.«

»Warum sprichst du von einer Frau?«, frage ich, als der Nachtisch kommt.

»Ich habe gar nicht gewusst, dass du es auch mit Männern treibst.« Sie hebt eine Augenbraue. »O Gott, das hat mir gerade noch gefehlt.«

Anstatt das Besteck aufzunehmen, berühre ich ihre Hand: »Warum sprichst du von einer Frau?«

»Jemand bringt jemand anderen um und schickt dir ein Stück von der Leiche, da habe ich eben eine Frau vor Augen. Ihr Motiv ist Hass oder Liebe oder beides. Nur bei einer Frau kannst du so extreme Gefühle auslösen.«

Ich nehme das Besteck und schneide ein Stück Ananas ab, sie ist sauer. Francesca muss mein Gesicht gesehen haben, denn sie sagt: »Der Fruchtsalat ist besser.« Ich kaue das Zeug kaum und schlucke es gleich runter (habe schon Schlechteres gegessen und bin nicht daran gestorben), während ich über das nachgrüble, was Francesca gerade gesagt hat.

»Sonst noch was? Ich muss zur nächsten Besprechung.«

Ich schüttle den Kopf. »Nein, nichts weiter, aber komm doch im Lauf des Tages auf einen Sprung in die Questura, wenn du kannst, wegen der Fingerabdrücke. Nicht, dass ich mir viel davon erhoffe, aber um deine zumindest auszuschließen, verstehst du?«

»Natürlich.« Sie steht auf, nimmt ihren roten Mantel, ich kann mir nie merken, wie sie das Ding nennt, hebt kurz die Hand zum Gruß, eilt nach draußen und lässt mich einfach wie einen Idioten sitzen. Sie hat sogar auf den Kaffee verzichtet, nur um möglichst schnell von hier wegzukommen.

Als ich an ihrem Büro vorbeigehe, sehe ich sie mit einem Mann aus der Bar kommen, die direkt neben dem Eingang zu ihrer Agentur liegt. Sie hat sich freundschaftlich bei ihm eingehängt und drückt sich an ihn. Ihre Gesichter sind auf gleicher Höhe, und sie lachen. Sie sieht mich nicht.

Klar, dass die Tote jetzt das Letzte ist, woran ich denke.

Als ich in die Questura komme, bin ich ruhiger, habe meine eigenen Probleme zurückgestellt und kümmere mich jetzt um die von anderen Leuten.

Der Bericht der Spurensicherung ist noch nicht fertig, im Augenblick bleibt mir nur, den Tatort in Augenschein zu nehmen, mit allem drum und dran (die Schwester und die Nachbarn befragen und so weiter). Ich beschließe, zu Fuß zum Corso Torino zu gehen, das dauert höchstens zehn Minuten, mit dem Auto bräuchte ich länger.

Früher war dies ein herrschaftliches Haus mit Concierge, mittlerweile ist es ein solides Haus mit Gegensprechanlage.

Wo die Leiche gelegen hat, sind jetzt Kreidestriche auf dem Fußboden.

Hier die Leiche und gleich daneben die rote Perücke, die Anselmi so beeindruckt hat. Ich schaue mich um. Nicht, dass ich glaube, noch irgendwelche Indizien zu finden. Doch es hilft mir, das Opfer besser zu begreifen. Das Opfer ist das einzig Sichere bei einem Mord.

Die Wohnung ist sauber und ordentlich, vielmehr, sie wäre es, hätten nicht Polizisten und ihresgleichen hier stundenlang alles auf den Kopf gestellt. Große Diele, typisch für Genueser Wohnungen, Wohnzimmer mit dreisitzigem Sofa und zwei Sesseln, bezogen mit goldfarbenem Samt, Glastisch. Schwere weiße Vorhänge mit Spitzendekor. Lampen im Muranostil.

Die Wand gegenüber dem Sofa wird von einem riesigen Spiegel eingenommen.

Ein ebensolcher Spiegel vor dem Bett. Ein großes Ehebett, dessen Kopfteil mit roter Seide bezogen ist, die Tagesdecke aus dem gleichen Material ist auf der einen Seite zurückgeschoben, als hätte sich jemand kurz auf dem Bett ausgestreckt, um sich ein wenig auszuruhen.

Das Opfer lebte allein.

Doch das Bett war offensichtlich nicht für eine Person allein gedacht.

Als ich Anselmi, der ja die ganze Akte gelesen hat, fragte, ob in der Wohnung irgendwelche Indizien oder sonst etwas Ungewöhnliches gefunden wurde, hat er nur die Perücke genannt, nichts weiter.

Ich habe auch nach der Schwester gefragt. »Sie hat sich gar nicht gut gefühlt, also hat der Arzt ihr ein Beruhigungsmittel gegeben und sie nach Hause geschickt. Sie muss noch offiziell vernommen werden.«

»Bitten Sie sie her, damit wir sie befragen können. Was ist mit den Nachbarn?«

»Es scheint, als hätte niemand etwas gehört.«

Ich weiß aber, dass Nachbarn immer etwas hören. Sie wissen immer etwas, aber sie sagen nichts, weil sie nicht mit hineingezogen werden wollen, doch sie ersticken fast daran, eigentlich wollen sie alles erzählen, was sie ‒ richtigerweise oder auch nicht ‒ wissen, ahnen oder vermuten.

Auf dem Stockwerk befinden sich noch drei andere Wohnungen.

Ich gehe ins Treppenhaus und klingle bei Bonacelli. Die Tür geht einen Spalt auf, ich weise mich aus, sie wird wieder geschlossen, ein Rasseln von Ketten, als würde hier ein wertvoller Schatz gehütet.

Dann stehen sie vor mir: er und sie. Schwarz der Mann, so schwarz, dass ihn die Hölle ausgespuckt zu haben scheint. Nicht dass er dunkelhäutig wäre, nein, es sind vielmehr die dichten Augenbrauen, die das eingefallene und verhärmte Gesicht beherrschen. Sie bunt wie ein Schmetterling, vielleicht Ende sechzig oder in den Siebzigern, wenn sie sich gut gehalten hat. Ein Spatz, wie mein Vater gesagt hätte. Man glaubt, dass der erste Windhauch sie umpustet, dabei sind es immer diese Menschen, die sogar einem Tornado standhalten.

»Sind Sie das Ehepaar Bonacelli?«

»Ja, das sind wir«, wispert sie. Er legt ihr die Hand auf die Schulter.

»Darf ich hereinkommen?«

»Wir haben schon alles gesagt«, posaunt er, doch sie legt ihre Hand auf die seine und korrigiert: »Wir wissen nichts.« Sie bleibt hartnäckig in der Tür stehen und verstellt so den Zugang zum Schloss Bonacelli.

»Ich muss Ihnen noch einige Fragen stellen und würde das ungern im Treppenhaus tun. Wenn Sie aber lieber in die Questura kommen wollen …«

Er schiebt sie mit einer bestimmten, aber freundlichen Geste beiseite.

Ich trete ein.

Dieselbe Diele, doch ohne Teppich und Nippes, nur ein billiges Telefontischchen, auf dem als einziger Staubfänger eine Puppe im Prinzessinnenkleid steht. Die Gardine am Fenster zum Innenhof ist in die Jahre gekommen, aber sauber.

Da sie mich nicht hereinbitten, bleiben wir in der Diele stehen. Ich bin nur wenige Meter in ihr Reich eingedrungen.

»Wir wissen nichts«, sagt sie, bevor ich überhaupt eine Frage stellen kann. »Guten Tag und guten Abend, wenn wir uns begegnet sind. Reine Höflichkeit.«

»Ich verstehe.«

»Wir wissen nichts, wir stecken unsere Nase nicht in anderer Leute Angelegenheiten«, sagt jetzt der schwarze Mann.

»Aber Sie kennen die Signora …«, ich zögere, als suchte ich nach dem Namen und hoffte, dass sie mir beispringen würden. Doch keiner von beiden beißt an, also vervollständige ich den Satz selbst: ». Gina Gualtieri schon lange.«

»Kennen ist da zu viel gesagt, wie gesagt: Guten Tag und guten Abend.«

»Wie steht es mit ihren Gewohnheiten? Auch ohne neugierig zu sein, bekommt man doch etwas von den Gewohnheiten seiner Nachbarn mit.« Ich halte einen Moment inne und blicke dem Mann fest in die Augen. »Eine angenehme Frau, wie man mir gesagt hat, wie kommt es, dass man da nicht ein paar Worte mehr wechselt?«

»Wir haben keine Zeit zu vergeuden, Commissario«, erwidert sie.

»Sie arbeiten also. Alle beide?«

Keine Antwort, dann teilt er mit, dass er in Rente ist.

In diesem Augenblick klingelt es an der Tür, und die beiden zucken zusammen. Die Signora öffnet, nachdem sie zuerst einen Blick auf die Uhr geworfen hat. Nur das ausdruckslose Gesicht einer Frau mittleren Alters ist zu sehen. Die Bonacelli sagt rasch: »Könnten Sie später wiederkommen? Ich bin fertig, aber im Augenblick geht es nicht.«

»Heute Nachmittag?«

»Ja, in Ordnung.« Sie verabschiedet sich und schließt die Tür.

Dann steht sie wieder vor mir. »Ich war früher Schneiderin in einer Schneiderei und jetzt mache ich noch manchmal Änderungen.«

»Das Geld reicht nie«, fügt der Mann hinzu. »Ich helfe hin und wieder einem Freund bei der Buchhaltung. Keine richtige Anstellung, nur ab und zu zur Aushilfe.«

»Ja, ja, die Mieten werden immer teurer«, werfe ich hin.

Sie sehen sich an, bevor sie erklären, die Wohnung gehöre ihnen, sie hätten aber so viele Unkosten, und außerdem sei da noch Nando. Pause. »Aber Nando hat nichts mit dem Ganzen zu tun. Nando ist ein guter Junge, er könnte keiner Fliege was zuleide tun.«

Ich frage nicht nach, wer Nando ist, bin ich mir doch sicher, dass sie es mir von selbst sagen werden.

»Unser Enkel. Er ist neunzehn. Mein Sohn und seine Frau … ein Unfall vor fünf Jahren, da haben wir ihn zu uns genommen.«

»Ja, Kinder sind teuer. Ich habe auch eine Tochter, sie ist erst sechs, aber das Geldausgeben nimmt kein Ende.«

Als sie hören, dass ich Vater bin, werde ich in ihren Augen plötzlich zum Menschen. Sie geben ihre Wachsamkeit auf und treten so weit zur Seite, dass ich ins Wohnzimmer gehen kann (auch hier ein Spiegel, sie braucht das Wohnzimmer, um bei ihren Kunden Maß zu nehmen). Sie bietet mir einen Sessel an, und die beiden setzen sich gegenüber auf das Sofa. »Möchten Sie einen Kaffee? Entschuldigen Sie bitte, wir sind Ihnen gewiss ein wenig unfreundlich vorgekommen, weil wir Sie so in der Tür haben stehen lassen, aber wissen Sie, wir sind einfach so durcheinander.«

»Nein danke, keinen Kaffee.«

»Es macht bestimmt keine Umstände.«

»Danke, aber ich versuche gerade, es ein bisschen einzuschränken.« Ich sehe sie an. »Als ich klein war, hat mich meine Mutter mitgenommen, wenn sie zur Anprobe zur Schneiderin ging. Sie wollte mich nicht allein zu Hause lassen. Und diese Schneiderin hatte genauso einen Spiegel. Es kommt mir vor, als wäre es gestern gewesen.«

Sie nickt.

»Ist Ihre Nachbarin Gina Gualtieri auch Schneiderin gewesen? Bei ihr habe ich einen ähnlichen Spiegel im Wohnzimmer gesehen.«

Sie wird rot und sieht ihren Mann an, er ist also mit Antworten dran. Er schaut auf seine Füße und sagt: »Sie hat immer Besuch bekommen, Besuch von … Männern.«

»Es haben sich schon welche beim Hausverwalter beschwert, und es gab eine Unterschriftensammlung. Aber wir«, die Frau zuckt die Schultern, »wir hatten ganz andere Sorgen.« Sie reibt sich die Arme. »Wer weiß, warum sie das getan hat. Das Leben ist nicht leicht, das lernt man, ob man will oder nicht.«

Alles hätte ich von einer Frau wie ihr erwartet, aber nicht, dass sie so modern sein und einfach akzeptieren könnte, Tür an Tür mit einer Nutte zu wohnen.

»Im Grunde hat sie keinen Ärger gemacht, und die Männer, die sie besucht haben, auch nicht. Außerdem liegen unsere Wohnungen nicht direkt nebeneinander, das Treppenhaus ist dazwischen. Ich habe sie eigentlich nie gehört, ich verbringe meine Zeit an der Nähmaschine und bin ein bisschen schwerhörig. Nur wegen Nando habe ich mir ein wenig Sorgen gemacht …«

»Es ist bestimmt nicht leicht, einen Jungen in diesem Alter zu erziehen. Und dann noch Ihr Verlust …« Ich sage das nicht nur so, um sie zum Sprechen zu bringen, ich denke das wirklich, das schwöre ich. Nun, Francesca sagt, dass ich nur als Vater einigermaßen menschlich bin.

»Früher oder später werden Sie es ja doch erfahren.« Sie hebt den Kopf und sieht mich mit den wässrigen Augen einer alten Frau an, die sich trotz allem ihren Stolz bewahrt hat. »Nando, mein Nando, hat Probleme mit Drogen gehabt. Jetzt ist er aus der Sache raus, er ist fast wie früher.« Ihr Mann legt ihr den Arm um die Schultern und sagt: »Wir hoffen nur, dass diese Geschichte ihn jetzt nicht aus der Bahn wirft. Er hat nichts damit zu tun, aber Sie wissen ja, wie das ist. Sie werden wieder gesund, behalten aber eine Schwachstelle.«

Ich nicke. »Kannte er Signora Gualtieri?«

»Sie war unsere Nachbarin. Vielleicht wusste er, wie sie sich ihren Lebensunterhalt verdient hat. Aber mehr auch nicht, glaube ich«, antwortet der Mann.

»Ich würde gerne mit ihm sprechen.« Ich mache eine vage Geste mit der Hand, die beruhigend sein soll. »Nicht, dass ich glaube, dass er in irgendetwas verwickelt ist, sondern weil ich jede Hilfe brauche, die ich finden kann. Keine Sorge, Signora, ich werde ihn mit Samthandschuhen anfassen. Einverstanden?« Pause. »Könnten Sie ihm ausrichten, dass er bitte in die Questura kommen soll … Nein, vielleicht ist es besser, wenn ich zu Hause mit ihm spreche.« Sie bejaht. »Oder … wo kann ich ihn finden, wenn es dringend sein sollte?«

»Er hat eine Arbeit gefunden, er ist Gärtner bei einer Spezialfirma … und wir haben gehofft, dass er auf die Universität geht«, seufzt sie. »Doch das Wichtigste ist, dass es ihm gut geht und dass er aus den ganzen Schwierigkeiten raus ist, nicht wahr?« Und er abschließend: »Er wird überall rumgeschickt, doch abends kommt er immer zum Essen nach Hause.«

»Könnten Sie mir den Namen der Firma geben?« Ich notiere mir Namen, Adresse und Telefonnummer. Ich gebe ihnen auch meine Privatnummer, das tue ich selten, aber bei so alten Leuten … Was soll ich sagen?

Danke und auf Wiedersehen. Dann klingle ich an den anderen beiden Türen, aber niemand macht auf. Ein andermal. Ich darf nicht vergessen, Nando (Fernando) Bonacelli überprüfen zu lassen, er ist wegen möglicherweise schweren Drogendelikten vorbestraft und arbeitet als Gärtner (die weiße Blüte).

Draußen liegt Regen in der Luft, ein Schirokko-Sturm kündigt sich an. Gerade als die ersten Tropfen fallen, betrete ich die Questura.

Anselmi, begierig, mir die neusten Neuigkeiten zu überbringen, schiebt mich in mein Büro. »Wir haben den Namen Gina Gualtieri ins Elektronengehirn« ‒ so nennt er die Datenbank ‒ »eingegeben, dabei kam heraus, dass sie eine alte Bekannte der Sitte ist.« Ich nehme am Schreibtisch Platz und bedeute ihm, sich zu setzen. Ich nicke.

»Sie wussten das schon?« Er ist enttäuscht.

»Die Wohnungseinrichtung und die Nachbarn …« Es tut mir leid, ihm die Überraschung verdorben zu haben. »Aber mir fehlen noch die Details.«

»Sie wurde bei einer Razzia in einem dieser Massagesalons bei der Arbeit erwischt, dann ist sie abgetaucht, ich habe bei der Sitte nachgefragt, dort meint man, dass sie sich selbstständig gemacht hat.«

»Wann wurde sie erwischt?« Anselmi gefällt sich darin, mir die Informationen scheibchenweise zu präsentieren.

»Vor drei Jahren.«

»Familienstand?«

»Geboren am 4. September 62, ledig. Seit 1977 in Genua wohnhaft. Lebende Verwandte: eine Schwester, drei Jahre älter, verheiratet, zwei Kinder.« Er reicht mir ein Blatt Papier, auf dem alles steht.

»Der Gerichtsmediziner?«

Das nächste Blatt. »Er war mit der Autopsie noch nicht ganz fertig, doch er hat schon ein paar Andeutungen gemacht.«

Ich kenne Torrazzi, er muss nur einen Blick auf eine Leiche werfen, und schon hat er einen Befund, aber um ihn niederzuschreiben, braucht er eine Ewigkeit. Er hat schon alle Techniken ausprobiert, per Hand, Schreibmaschine, Computer, Diktat …, aber ohne Erfolg. »Was sagt er?«

»Sie war von Medikamenten benebelt, der Mörder hat ihr eine Plastiktüte über den Kopf gezogen, gut zugebunden und gewartet, bis sie tot war.«

»Irgendwelche Spuren oder andere Auffälligkeiten?«, frage ich. In den Romanen haben sie immer Hautpartikel unter den Fingernägeln, mir ist das noch nie untergekommen.

»Nichts. Nur der abgeschnittene Finger.«

»Abgeschnittener Finger?«

»Die Fingerkuppe des rechten Zeigefingers fehlt. Sie wurde abgetrennt, nachdem der Tod eingetreten war, hat Torrazzi gesagt. Mit einem Fleischermesser, das dort herumlag.«

Ich stelle mir das Gespräch zwischen Anselmi und Torrazzi vor, wie sie sich zwischen Lachanfall und Würgereiz über Fleischermesser und abgeschnittene Fingerkuppen unterhalten.

»Was ist los, Commissario? Fühlen Sie sich nicht wohl?«

»Nein, nein, es ist nichts.«

»Soll ich Ihnen einen Kaffee holen?« Er steht auf.

»Nein, danke, ich gehe selbst.« Er ist enttäuscht; nichts hat er lieber, als sich nützlich machen zu können. Ich fasse ihn an den Ellbogen. »Kommen Sie, Anselmi, gehen wir zusammen einen Kaffee trinken, und dabei erzählen Sie mir den ganzen Rest.«

»Sie trinken zu viel Kaffee, Commissario.« Er ist mindestens fünfzehn Jahre älter als ich und glaubt, hin und wieder den Vater spielen zu müssen.

»Das meint meine Frau auch.«

Er bleibt stehen. »Ich habe ja ganz vergessen, Ihnen zu sagen, dass Ihre Frau wegen der Fingerabdrücke hier war. Wegen der Fingerabdrücke auf dem Päckchen. Sie hat es bestimmt sehr bedauert, dass Sie nicht da waren!«

Das bezweifle ich. Und der Espresso aus dem Kaffeeautomaten ist noch ungenießbarer als sonst.

»Sie ist immer so freundlich und nett«, fügt Anselmi hinzu. Verschweigt aber, dass er sich wie alle in Francescas Nähe unbehaglich fühlt, weil er nicht weiß, wie er sich ihr gegenüber verhalten soll.

»Wurden die Fingerabdrücke schon verglichen?«

»Nein, bis jetzt kam noch nichts.« Anselmi setzt plötzlich ein ganz zerknirschtes Gesicht auf.

»Was ist los, Anselmi?«

»Da ist die Schwester, Maura Gualtieri. Sie hat gesagt, sie würde wegen der Aussage kommen.« Er starrt über meine Schulter hinweg den Flur entlang.

Ich drehe mich um: Eine Frau Ende dreißig, vom Leben mitgenommen. Kamelfarbener Mantel, schwarze Handtasche. Als sie näher kommt, sehe ich, dass ihre Augen rot und geschwollen sind.

Ich gehe ihr entgegen. »Signora Gualtieri?« Sie nickt, und ich spreche weiter: »Commissario Mariani, ich leite die Ermittlungen.« Wir schütteln uns die Hände, der Druck ist zögerlich und kraftlos, ihre Hände sind kalt. Vielleicht hat sie Angst. Doch Angst ist auch bei Unschuldigen, wenn es sie denn gibt, eine häufige Reaktion. Ich gehe ihr voraus in mein Büro und zeige auf den Stuhl vor meinem Schreibtisch. Mit den Augen bedeute ich Anselmi, sich hinter sie zu setzen.

»Ich bin gekommen, sobald ich konnte.«

»Ich danke Ihnen, Signora Gualtieri.«

»Mein Name, seit ich verheiratet bin, ist Pongiu. Gualtieri benutze ich praktisch nicht mehr.«

Meine Frau heißt überall Francesca Lucas, sie führt immer nur ihren Mädchennamen. »Alle kennen mich unter dem Namen Pongiu«, sie sieht mich an, ihr Blick ist verloren. »Ich habe alles schon den Polizeibeamten gesagt, die zu mir gekommen sind. Dass sie nicht ans Telefon gegangen ist und dass ich mir Sorgen gemacht habe.« Sie sieht zu Boden. »Die Zeitungen … Na ja, für sie ist es ja jetzt egal, die arme Ginetta!«

»Welches Verhältnis hatten Sie zu Ihrer Schwester?«

»Verhältnis?«

»Ja, haben Sie sich häufig gesehen?«

»Ich hatte meine Schwester gern. Aber wir haben uns selten gesehen. Wir haben telefoniert. Frühnachmittags habe entweder ich sie angerufen oder sie mich. Nur so, um zu wissen, wie es der anderen ging.«

»Frühnachmittags?«

»Da war ich immer allein.«

Natürlich. Allein, um ungehindert die Schwester anrufen zu können. Das ist der richtige Aufhänger. »Was wussten Sie von Ihrer Schwester?«, frage ich.

Maura Pongiu sieht mich an, sie hat die Frage verstanden. Sie hat erkannt, dass ich Bescheid weiß und dass es sinnlos ist, die Unwissende zu spielen. »Ich wusste es«, gesteht sie, öffnet ihre Handtasche und holt ein bereits benutztes Papiertaschentuch heraus. »Wie oft habe ich sie angefleht, damit aufzuhören. Du hast doch noch Zeit, um dir ein neues Leben aufzubauen, Ginetta, habe ich ihr gesagt. Ich kann dir helfen, ich schwimme zwar auch nicht im Geld, aber ich kann dir helfen. Aber sie wollte nichts davon wissen. So ein Leben wie du und wie Mama. Als Sklavin von Mann und Kindern. Keine Befriedigung, gar nichts. Nein, nicht mit mir. Ich lege mir ein bisschen was zur Seite, und dann mache ich einen Laden auf.« Die Pongiu sieht mich an und wird rot: »Ich habe sie gefragt: Wie kannst du nur so leben, Ginetta, wie? Ich würde sterben. Und sie: Wenn du es mit Salvatore tust, hast du dann immer Lust? Nein, aber du tust es trotzdem. Aber er ist doch mein Mann! Dein Mann sorgt für deinen Unterhalt. Die Männer, die zu mir kommen, sorgen eben auch für meinen Unterhalt. Aber was ist mit den Krankheiten? Sei doch nicht blöd, ich treffe natürlich meine Vorkehrungen. Da habe ich es aufgegeben. Ich hätte hartnäckiger sein sollen.« Sie schaut mich an. Auch so eine, die sich, ließe man sie, alle Schuld der Welt auf ihre Schultern laden würde.

Den Worten Maura Pongius folgt ein langes Schweigen, es ist sinnlos, ihr zu sagen, dass sie mehr als ihre Pflicht getan hat. Ihre Schwester war eine erwachsene, freie und selbstständig denkende Frau. Ich tausche einen Blick mit Anselmi. Ich weiß, dass er die Befragung anders aufziehen würde und dass er deswegen ganz kribbelig ist.

»War Ihr Mann über alles im Bilde?«

»Lassen Sie ihn bitte aus dem Spiel.« Die Stimme der Frau schwillt an, und zum ersten Mal gleicht sie nicht mehr einem waidwunden Reh.

»Ich habe Sie nur gefragt, damit ich Ihren Mann nicht vernehmen muss.«

»Ja, er hat es gewusst. Als diese schlimme Geschichte passiert ist, hat er es herausgefunden, und von da an wollte er sie nicht mehr sehen, und ich durfte nicht mehr zu ihr. Er wusste, dass wir immer telefoniert haben, das ja, aber ich musste es tun, wenn er nicht da war. Als täte ich es heimlich.«

»Diese schlimme Geschichte …?«

Sie fragt sich jetzt, was ich schon alles über die Vergangenheit ihrer Schwester weiß oder was ich noch herausfinden kann. Soll sie es sagen oder nicht?

»Ein Massagesalon.« Sie stockt.

»Massagen?«

»Na ja, man hat es Massagen genannt. Das heißt dort so. Und deshalb ist sie in die Zeitung gekommen, als … als ihr gekommen seid und sie mit einem Mann erwischt habt.«

»Wussten Sie damals schon, was für ein Leben Ihre Schwester führte?«

»Vermutungen, nur Vermutungen.«

Sie hatte es gewusst und wollte es nicht wissen. Klassisch. »Wissen Sie, ob Ihre Schwester eine rote Lockenperücke trug?«

»Sie war dunkelhaarig.«

»Vielleicht …«, sage ich und sehe sie an, »wenn sie Männer bei sich hatte?«

»Ich weiß nicht, ich glaube nicht. Als ich sie angefleht habe aufzuhören, da sagte sie, dass ihr Typ ‒ sie war eine aparte Dunkelhaarige ‒ noch ihr Ruin sein würde, denn ihr ‒ sie nannte es mediterraner ‒ Typ würde den Männern gefallen.«

Also keine Gewissheit, weder ja noch nein.

»Hatte sie einen richtigen Freund? Hat sie je mit Ihnen über einen Mann geredet, über einen Freund?«

»Nein. Sie hatte kein Vertrauen zu Männern. Die seien für sie nur Arbeit, sagte sie.«

»Eine Frau, eine spezielle Freundin?«

»Sie war gerne allein.«

Da ist nicht mehr herauszuholen. Ich verabschiede Signora Pongiu und bleibe mit Anselmi allein. »Fragen Sie bitte bei der Sitte nach, vielleicht wissen die was.«

Als er zurückkommt, hat er die Mappe mit den Fotos. Die Leiche auf dem Boden der Diele, mit dem Gesicht nach oben, über dem Kopf noch die durchsichtige Plastiktüte. Eine Detailaufnahme der rechten Hand mit dem nicht allzu blutverschmierten Fingerstumpf. Die rote Perücke ‒ auf dem Foto ist gut zu erkennen, dass es sich um einen Massenartikel aus dem Kaufhaus handelt.

Und dann etwas, von dem mir niemand erzählt hat und das auch nicht im Bericht steht: In der anderen, fast zur Faust geballten Hand steckt eine weiße Blüte, die herabzufallen droht.

Genauso eine Blüte wie die in meinem Päckchen.

»Warum stand im Bericht nichts von der Blüte?«

»Das war Ravazzi, Commissario. Ravazzi hat ihn geschrieben.«

Ich verstehe: Ravazzi ist der Neue, geradezu manisch übereifrig und gewissenhaft, wobei die Länge seiner Berichte immer gegen Unendlich tendiert. Noch vorgestern habe ich ihn deswegen zurechtgewiesen und ihm gesagt: Wenn der nächste Bericht länger als zwei Seiten ist, dann lasse ich dich alles immer wieder schreiben, bis deine Finger blutig sind. Prima, seine Schlussfolgerung war offenbar: weglassen. Was er sonst noch alles weggelassen haben mag? »Sagen Sie ihm, dass er zu mir kommen soll, sobald er kann.«

»Er ist weg.«

»Wie, weg?«

»Sie haben ihm höchstpersönlich zwei Tage Urlaub gegeben, Commissario.«

»Ist er erreichbar?«

»Seine Mutter ist krank, er wollte zu ihr fahren, in sein Heimatdorf.«

»Man kann vielleicht bei der Mutter anrufen. Hat er die Telefonnummer hinterlassen?«, frage ich.

Anselmi nickt.

»Also, dann rufen Sie ihn an.«

Während ich warte, schaue ich zum Fenster hinaus. Es ist schon nicht mehr hell. Francesca hat Manu vermutlich bereits von der Schule, einer Ganztagsschule, abgeholt, und die beiden sind jetzt zu Hause.

Ich bin müde. Am liebsten würde ich alles hinschmeißen.

»Man hat mir gesagt, dass er noch gar nicht angekommen ist, wenn er da ist, ruft er an, doch das wird vermutlich kaum vor morgen Vormittag sein. Soll ich ihn von der Verkehrspolizei suchen lassen?«

Ich schüttle den Kopf: »Nein, nicht nötig. Das kann bis morgen warten.« Ich stehe auf. »Ich gehe nach Hause, wenn man mich braucht …« Der Satz bleibt offen, ich nehme meinen Regenmantel und verlasse das Büro.

Es ist dunkel. Ein feuchter Frühlingsabend, der Schirokko zaust die Fahnen auf dem Piazzale delle Americhe in Richtung Hügel.

Der übliche Freitagabendstau. »Schwarzer Freitag« wird Il Secolo XIX schreiben, wie jeden Samstag.

Freitag. Morgen ist Samstag. Francesca geht samstags normalerweise nicht in ihr Büro in der Consulting-Agentur. Ich könnte mir ja einen Tag frei nehmen und ihn mit ihr verbringen.

Und mit Streiten. Nein danke.

Stau auf der Via Tomaso Invrea, Stau auf dem Corso Gastaldi, Stau auf dem Corso Europa. Eine Dreiviertelstunde von Foce nach Quinto.

Wenn ich nach Hause komme, hat Manu bestimmt schon gegessen und spielt schon wieder. Francesca hat mich wahrscheinlich nicht erwartet, sie weiß ja auch nie, ob ich komme oder nicht. Und wenn ja, wann.

Manu spielt im Gästebad. Sie ist sehr beschäftigt und will sich nach den üblichen Umarmungen und Küssen gleich wieder an die Arbeit machen. Vor einigen Monaten hat sie bei meiner Mutter zu Hause einem Klempner zugesehen, und das war Liebe auf den ersten Blick: Jetzt will sie Klempnerin werden. Daher übt sie schon mal und schraubt an Wasserhähnen und Duscharmaturen herum.

Francesca, in grauem Hausanzug und Turnschuhen, hat mich tatsächlich nicht erwartet. »Hast du schon gegessen?«, fragt sie. Ich bin versucht, Ja zu sagen, doch bei solch unbedeutenden Kleinigkeiten lüge ich sie nicht an: »Nein.«

»Kotelett?« Sie holt es schon aus dem Kühlschrank.

»Ich kann es mir auch selbst machen.«

»Lass nur.« Also gehe ich mich umziehen. Als ich in die Küche zurückkomme, lässt sie gerade das Kotelett auf den Teller gleiten und deutet auf die Salatschüssel. »Ist schon angemacht.«

Sie hat sogar den Tisch gedeckt. Als ich mich setze, bleibt sie in der Küche, was schon lange nicht mehr vorgekommen ist, schon seit Jahren nicht mehr. Sie sitzt da und sieht mir beim Essen zu. Sie fragt nicht, wie es mir geht, so weit treibt sie das Spiel der liebenden Ehefrau doch nicht.

Dann räumt sie den leeren Teller weg und stellt mir den Nachtisch hin. Es scheint wirklich ein besonderer Tag zu sein, ich muss, ohne es zu wissen, etwas Wunderbares getan haben, da ich mir offenbar eine Torta di Panarello verdient habe, eine Genueser Mandeltorte, die nur aus Butter und Cholesterin besteht. Doch ich sage und frage lieber nichts.

Sie schenkt mir einen Espresso ein und nimmt sich auch eine Tasse.

Als ich mir eine meiner drei täglichen Zigaretten anstecke, holt sie sich auch eine aus meinem Päckchen und zündet sie an. Wenn das kein offizielles Waffenstillstandsangebot ist, dann weiß ich auch nicht …

Sie steht auf, um den Aschenbecher zu holen, und als sie zurückkommt, legt sie auch ein Buch auf den Tisch. »Eine Privatsache, ist schon lange her, dass ich das gelesen habe.«

»Ich habe es als Junge gelesen.«

»Gehörte die Fingerkuppe der Toten?«, fragt sie unvermittelt.

Sie weiß eigentlich, dass ich zu Hause nicht gerne über meine Arbeit rede, in diesem Punkt waren wir uns immer einig, denn auch sie wollte nie etwas davon wissen. Warum gerade jetzt? »Ich habe keine Lust, darüber zu reden.«

»Sie haben das Päckchen zu uns nach Hause geschickt, Anto, nicht in dein verdammtes Scheißbüro. Zu uns nach Hause, und da wohnst nicht nur du, verehrter Commissario, sondern auch die hier anwesende Francesca Lucas und Manuela Mariani, sechs Jahre alt.«

»Toll, bravo, Zugabe.« Auch wenn Anto, diese Koseform aus unseren glücklichen Zeiten, mich durcheinanderbringt.

Sie nimmt meine Hand. »Heb dir deine dumme Ironie für deine Kollegen auf, ich habe nämlich ein Gehirn, das wirklich denken kann.«

»Jahrgangsbeste in Informatik, das ist allseits bekannt.«

Sie haut mir eine runter, und zwar richtig. »Hör auf, das Arschloch zu spielen, Anto. Es ist wegen Manu. Ihretwegen muss ich das wissen. Wenn sie in Gefahr ist …« Ich habe Francesca vorher nur zweimal weinen sehen: Als ihr Vater starb ‒ die Mutter ist gestorben, bevor wir uns kennen lernten ‒ und als sie herausfand, dass ich mit einer anderen im Bett gewesen war (beim ersten Mal, die anderen Male hat sie dann nicht mehr geweint). Und jetzt sitzt sie vor mir am Küchentisch und weint. Die Zigarette verglüht zwischen ihren Fingern, sie hat sie nur aus Solidarität angesteckt. Sie raucht eigentlich nie, nur früher nach dem Sex …

Tränen laufen ihr übers Gesicht, das Gesicht einer Filmdiva, hinter dem sich ein messerscharfer Verstand verbirgt. Sie wischt sich mit der Handfläche über die Wangen. »Du kannst mich nicht einfach abwimmeln.«

»Ich wimmle dich doch nicht ab. Aber dieser Fall betrifft meine Arbeit. Und meine Arbeit hat nichts mit meinem Privatleben zu tun. Auf der einen Seite die Arbeit, die Verbrechen, die Ermittlungen und auf der anderen du und Manu.«

»Genau, auf der anderen Seite und möglichst weit weg.«

Ich merke, dass wir wieder in den üblichen Streit geraten, und dabei bin ich so müde. Dann kann man die Dinge auch gleich beschleunigen und die Waffenruhe im Keim ersticken. »Ich habe dich auf der Straße Arm in Arm mit einem Mann gesehen.«

»Das war ein Kollege, Gabrieli.« Vielleicht hat sie auch Gabriele gesagt. In ihrem Büro redet man sich manchmal mit dem Vornamen an.

»Aber auch ein Mann, und du hast dich eng an ihn geschmiegt.«

Sie steht auf. »Richtig, ein Mann. Das habe ich als Erstes überprüft, als er bei uns angefangen hat. Er ist ziemlich begabt und gar nicht schlecht, was seine Leistungen angeht.« Sie wirft die Kippe in die Spüle, sie zischt noch, dann geht sie aus. »Raus hier, damit ich aufräumen kann. Und geh unter die Dusche. Du stinkst nach Bulle und nach all den Weibern, die du seit heute Morgen gevögelt hast.«

Ich verlasse die Küche. Manu ist in ihr Zimmer gegangen, das Gästebad war wohl zu nah an unserem Streit. Sie muss etwas gehört haben, denn sie sieht mich verstört an und schiebt ihre Legosteine herum. Ich hasse mich, hasse Francesca, hasse unsere Ehe. Ich hasse alles und alle außer Manu.

Ich würde sie gerne drücken, so fest ich kann, doch das würde sie nur erschrecken. So sehe ich nur zu, wie sie ihren Kran baut. Seit wir mit Manu im Aquarium waren, ist sie in Kräne vernarrt. Kein Wort über die Fische.

Samstag

Ich schaue auf die Uhr: sieben. Alles ist still. Ich versuche ganz leise zu sein. Aufstehen, duschen, anziehen.

Manu hat samstags keine Schule, und Francesca geht nur ins Büro, wenn etwas Besonderes ansteht. Heute ist kein solcher Tag. Wenn dieser Fall aber eintritt, dann lädt sie meine Mutter für den Abend vorher ein, damit sie bei uns übernachtet, und sie schläft dann in meinem, vielmehr in unserem Bett anstatt im Gästezimmer.

Ich öffne die Tür und vor mir steht die stets auf der Lauer liegende Nachbarin: »Entschuldigen Sie, wenn ich Sie aufhalte …«

»Kein Problem.« Ich trete zur Seite, um sie hereinzulassen.

»Ach, wissen Sie, ich weiß gar nicht, wie ich es Ihnen sagen soll, aber das hier ist vor ein paar Tagen angekommen, mein Sohn, Sie wissen schon, der, der studiert, hat es entgegengenommen. Dann hat er es irgendwo hingelegt und vergessen. Er hat immer so viel im Kopf.«

Ich kenne ihren Sohn. Wie in seiner Schulzeit kommt er auch jetzt noch zu meiner Frau, wenn er Probleme in Physik oder Mathematik hat, und verschlingt sie mit Blicken. Während ich das denke, habe ich plötzlich ein Päckchen in der Hand. So groß wie zwei übereinandergelegte Zigarettenschachteln.

»Mein Sohn hat gesagt, dass auf der Verpackung sein Name stand, deshalb hat er es aufgemacht, und drinnen war dann das hier mit Ihrem Namen: Antonio Mariani.«

»Haben Sie die ursprüngliche Verpackung noch?«

»Das habe ich ihn auch gefragt, aber er hat gesagt, dass er sie nach dem Öffnen weggeworfen hat ‒ er hat ja nicht gedacht, dass es wichtig sein könnte.« In der Tat ist ihr Sohn keine Leuchte, vermutlich wendet er seine ganze Energie für das Glotzen auf.

»Ist er zu Hause?«

»Er ist mit seinen Freunden unterwegs an die Küste zu einer Party. Er hatte gestern eine Prüfung.«

»Wissen Sie, wann genau er das Päckchen bekommen hat?«

»An dem Tag, an dem ich beim Zahnarzt war, hat er gesagt. Also Montag.«

Und heute ist Samstag. Samstagmorgen.

Vielleicht hat sie meinen Gesichtsausdruck gesehen, denn sie fügt ein wenig gereizt hinzu: »Es hat unter einem Stapel Bücher gelegen. Er hat es erst gefunden, als er ihn weggeräumt hat.« Hätte der Junge also keine Prüfung gehabt, läge das Päckchen immer noch dort, vergessen unter den Büchern.

»Danke«, sage ich ein wenig gezwungen.

»Nichts für ungut.« Auch ihre Antwort ist nicht besonders freundlich. Als wir uns gegenseitig einen schönen Tag wünschen, klingt es teilnahmslos.

Braunes Packpapier, das gibt es an jeder Ecke zu kaufen. Ein aufgeklebtes Etikett mit meinem Vor- und Nachnamen aus Klebebuchstaben. Auch die bekommt man überall.

»Was ist los?«

Ich drehe mich um: Da steht Francesca in einem sehr kurzen Nachthemd und barfuß. Zerwühltes Haar und vom Schlaf verquollene Augen.

»Der Sohn der Nachbarn …«

»Paolo?«

»Ja, Paolo ‒ jemand hat ihm ein Päckchen geschickt und drin war das hier für mich.«

»Was ist es?«

»Das weiß ich erst, wenn ich es aufmache.«

»Dann mach es auf.«

»Ich will aber die Spuren nicht vernichten. Es lag schon zu lange unter einem Bücherstapel.«

Sie reibt sich die Augen, die dadurch noch röter werden: »Ich will aber jetzt wissen, was drin ist.«

»Sobald ich es aufgemacht habe, werde ich es wissen.«

»Ich will wissen, was da drin ist.« Sie lehnt mit dem Rücken am Rahmen der Schlafzimmertür. Unter dem Nachthemdchen sind ihre langen, braungebrannten Beine zu sehen (sie spielt auch im Winter Tennis). Ich wende meinen Blick ab, das ist nicht der richtige Augenblick, seltsame Vorstellungen in sich aufkommen zu lassen, die obendrein nicht realisierbar sind. Aber ich sehe aus den Augenwinkeln, wie sie sich umdreht und ins Schlafzimmer zurückgeht. »Sag mir dann Bescheid. Sag mir bitte Bescheid, Anto.«

Ich hole mir eine Plastiktüte und stecke das Päckchen hinein.

Sie nimmt nach dem ersten Läuten ab: »Pronto.«

»Ich bin’s, Antonio.« Ich sehe sie vor mir, leicht nach vorn gebeugt, ihre freie Hand spielt mit dem Kabel. »Wir haben es geöffnet.« Stille. Sie ist keine Frau, die unnötige Fragen stellt. »Ein Gummifinger und eine Praline. Jetzt machen wir die üblichen Analysen.«

»Ja, Manu, es ist Papa. Nein, ich kann ihn dir nicht geben, aber ich richte ihm einen Gruß aus. Manu lässt dich grüßen.«

»Gib ihr einen Kuss von mir.«

»Jetzt geh rüber, Manu, fang schon mal mit den Legos an.« Pause. »Ein Gummifinger, was für eine Art Gummifinger?«

»So einer, wie man ihn in der Apotheke bekommt, wenn man sich verletzt hat und der Verband nicht nass werden soll.«

»Und die Praline?«

»Ein Gianduiotto. Wir untersuchen gerade, ob sich jemand daran zu schaffen gemacht hat.«

»Gibst du mir Bescheid? Ich bleibe zu Hause.«

»Das geht nicht so schnell. Jetzt muss ich aber aufhören, ich habe noch einiges zu tun.«

In Wahrheit habe ich kaum etwas zu tun. Anselmi hat meine Nachbarn, die Pallinis, angerufen, um ihnen mitzuteilen, dass wir mit ihrem Sohn Paolo sprechen müssen und dass er so bald wie möglich in die Questura kommen soll.

Und dann der Fall Gina Gualtieri. Die Nachbarn. Mit einer Familie habe ich gesprochen. Es fehlt also nur noch Nando. Die anderen Wohnungen sind leer, eine steht zum Verkauf, die andere soll vermietet werden, mit einem Vertrag ohne Mietpreisbindung.

Ich müsste mit den übrigen Hausbewohnern, mit den Geschäftsinhabern in der Gegend sprechen und bei der Sitte anrufen. Das will ich zuerst machen und wähle eine interne Nummer. »Mariani hier, ich wollte wissen, ob ihr etwas über die Gualtieri habt.«

»Sie war oft im Tropico.« Das kenne ich, kein besonders zwielichtiges Lokal, Männer und Frauen auf der Suche nach Sex oder nach Geld gehen dorthin, aber auch viele ganz normale Paare und Cliquen. Die Liköre sind kaum verwässert, und die Pianobar ist gar nicht mal schlecht. »Sie hat ihre Kunden mit zu sich nach Hause genommen. Höchstens einen oder zwei in der Nacht.«

»Hatte sie einen Zuhälter oder einen speziellen Freund?«

»Der Barkeeper sagt Nein, beschwören kann er es nicht, aber er meint Nein.«

»Und Freundinnen? Freundinnen in jeglicher Hinsicht?«

»Ist uns nicht bekannt, in keinerlei Hinsicht. Sie hat sich nur um ihren eigenen Kram gekümmert, eine Einzelgängerin. Die ist keine Bindungen eingegangen.«

»Und die rote Perücke? Hast du gefragt, ob sie die getragen hat?«

»Hab ich.« Als wolle er mir sagen, dass er kein Idiot ist, dass er weiß, wie er seine Arbeit machen muss, und dass ich ihm nicht jedes Wort in den Mund zu legen brauche. »Fehlanzeige. Keiner weiß etwas, weder der Barmann noch die Kellner und auch sonst niemand.«

»Mach weiter. Irgendetwas wird doch noch zu finden sein.«

Ich lege auf und gehe zum Kaffeeautomaten. Als ich gerade das Gebräu trinke, das dort als Espresso bezeichnet wird, kommt Anselmi atemlos angelaufen und ruft schon von weitem: »Ihre Frau, Commissario, Ihre Frau ist am Telefon.«

Manu, er hat Manu etwas angetan.

»Was ist passiert?«

»Nichts. Was sollte passiert sein?«

»Geht es Manu gut?«

»Aber sicher, warum sollte es ihr nicht gut gehen? Beruhige dich, ich höre dich ja bis hierher keuchen.«

»Du rufst sonst nie an. Ich hatte Angst, dass Manu etwas passiert ist.«

»Und dir« sage ich nicht, aber ich schwöre, dass ich genau das in diesem Moment denke.

»Ich rufe nicht an, wenn ich nichts zu sagen habe.« Pause und dann: »Kann ich in Ruhe mit dir reden?«

»Ich höre.«

»Das Päckchen an dich wurde Paolo zugestellt, bevor sie mir das für dich gegeben haben ‒ der Satz ist ein bisschen wirr, aber du verstehst, was ich meine?«

»Ja.«

»Es war allerdings nicht vorgesehen, dass Paolo es dir so spät geben würde, nach so vielen Tagen. Das Päckchen an Paolo sollte ein Hinweis auf das sein, was danach geschehen würde. Der Gummifinger sollte die Fingerkuppe ankündigen.«

»Bis hierhin kann ich dir folgen. Und die Praline?«

»Mein Vater hat in Turin gearbeitet. Die »Gianduiotti« kommen, wie die »Grissini« auch, aus Turin. Und wo hat er getötet? Am Corso Torino.«

Ja, das passt.

»Kommt dir das blöd vor? Ich verstehe ja nichts von Verbrechen und Mördern.«

»Nein, das ist gar nicht blöd. Es ist eine Möglichkeit. Doch die Fingerkuppe, warum ein Finger? Und die Blüte?«

»Was für eine Blüte ist es denn?«

Ich komme mir wie ein Idiot vor, weil ich das nicht geklärt habe.

»Nicht alle Blumen sind gleich, Antonio. Jetzt mache ich Schluss, Manu wartet mit den Legos auf mich.« Ende des Gesprächs. Meine Frau ist der Typ »kein Wort zu viel und kein Wort zu wenig«.

Meine Frau: In enger Umarmung mit einem Mann. Ein Kollege, mit dem sie etwas gemeinsam hat. Doch wir haben Manu gemeinsam. Aber wie lange wird unsere Tochter noch dafür sorgen, dass Francesca bei mir bleibt, auch wenn diese Ehe nur noch Fiktion ist?

Ich sollte vielleicht versuchen, sie zurückzuerobern. Noch nie, nicht einmal am Anfang, habe ich ihr den Hof machen müssen. Vielleicht ist jetzt der richtige Augenblick dafür. Ihr Blumen schicken.

»Nicht alle Blumen sind gleich.« Ich sollte herausfinden, um welche Sorte es sich handelt. Hat die Blüte eine Bedeutung, eine erkennbare Bedeutung?

»Anselmi, weißt du, was das für eine Blüte war?«

»Welche Blüte?« Er stockt, dann spricht er weiter. »Die, die nicht in Ravazzis Bericht stand?«

»Genau.« Ist für Anselmi der unvollständige Bericht wichtiger als die ermordete Frau? Vielleicht. »Jemand soll herausfinden, was das für eine Sorte ist. Schon was Neues von Ravazzi?«

»Nichts. Soll ich eine Nachricht schicken?«

Ich zucke die Schultern und blicke auf die nackte Wand vor mir, meine Gedanken beginnen, den Rissen zu folgen …

Ein Teil von mir registriert, dass Anselmi leise hinausgeht, der andere ist schon bei der Arbeit.

Zunächst einmal die zeitliche Abfolge:

1) Das Päckchen trifft am Montag bei Paolo ein, also wurde es mindestens drei oder vier Tage vorher abgeschickt.

2) Nur durch Zufall wurde es mir erst heute, am Samstag, ausgehändigt.

3) Gina Gualtieri wurde am Mittwoch ermordet und am Donnerstag gefunden.

4) Am Donnerstag kommt das Buch bei mir zu Hause an, aber ich bekomme es erst am Freitag.

Dann die gesicherten Fakten:

1) Gina Gualtieri wurde ermordet, indem man sie mit einer Plastiktüte erstickt hat. Die Fingerkuppe wurde erst nach Eintritt des Todes abgetrennt.

2) Die Analysen der Spurensicherung ergeben, dass das Stück Fleisch, das mit der Post kam, der abgetrennte Finger ist.

Francescas Vermutungen:

1) Der Mörder verfolgt einen Plan: der Gummifinger und die abgetrennte Fingerkuppe, Corso Torino und der Gianduiotto.

Meine Fragen:

1) Die Blüte?

2) Die Perücke?

»Commissario?« Ich lasse meine Augen von den Rissen in der Wand zu Anselmi schweifen. »Die Gerichtsmedizin«, sagt er und wedelt triumphierend mit einem Bündel Blätter.

Bei der Lektüre eines Berichtes von Torrazzi hat man immer das Gefühl, besoffen zu sein, doch zumindest ist aus diesem zu ersehen, dass sich der erste Eindruck bestätigt hat. Tod durch Ersticken, dann das Abtrennen der Fingerkuppe. Auf den ersten Blick keine Anzeichen von Sexualverkehr. Spuren eines starken Schmerzmittels und in einer Gesäßbacke der Einstich einer Spritze.

Ich denke an den Abdruck auf dem Bett. Sie könnte sich hingelegt haben, und eine andere Person hat ihr die Injektion verpasst. Wenn sie unter dem Einfluss von starken Medikamenten stand, war es natürlich nicht schwierig, ihr eine Plastiktüte über den Kopf zu ziehen.

Doch wie hat der Mörder es nur angestellt, dass sie sich nicht gewehrt hat?

Keiner lässt sich gerne eine Spritze verpassen. Ich lese noch einmal genau, nein, keine Anzeichen von Drogenmissbrauch. Und außerdem muss man den Fixer erst noch finden, der sich in den Hintern spritzt.

Ich suche mir die Telefonnummer der Schwester heraus. Nach drei- oder viermaligem Klingeln nimmt sie ab: »Pronto.«

»Hier spricht Commissario Mariani.«

»Was wollen Sie?«, fragt sie mit gesenkter Stimme.

»Hat sich Ihre Schwester irgendeiner Behandlung unterzogen?«

»Behandlung? Was für eine Behandlung? Sie war nicht krank.«

»Spritzen.«