Conny Cöll - Tipply Greek - Konrad Kölbl - E-Book

Conny Cöll - Tipply Greek E-Book

Konrad Kölbl

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Beschreibung

Old Harris, der große Menschenfeind, dessen ganze Liebe den wilden Geschöpfen des Urwaldes gilt, Conny Cöll mit seinen vierbeinigen Kameraden Schwarzwolf und Satan, die beiden Green-Girls, die das raue Trapperhandwerk der bequemen Bürgerlichkeit in der Zivilisation vorziehen, vereinen sich am Schauplatz einer Tragödie, die jedes mitfühlende Herz erschüttert. Ein Grisly und ein Wolf — zwei grundverschiedene Geschöpfe — haben sich zu einem freundschaftlichen Schutz- und Trutzbündnis zusammengetan und es ist vor allem auch der köstliche, mitunter wahrhaft "bärbeißige" Humor, der ihre Geschichte, ihr Leben und Sterben zu einem unvergesslichen Erlebnis werden lässt. Aufgrund des Alters des Textes kann es sein, dass im Inhalt Begriffe verwendet werden, die heute nicht mehr gebräuchlich bzw. nicht mehr politisch korrekt sind.

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Tipply Greek

von Konrad Kölbl

1952

Inhaltsverzeichnis

Die Spielkarte!

Tipply Greek

Das Haus im Grand Canon

Jack Hales

Anmerkung

Die Spielkarte!

An einem strahlend schönen Sommermorgen war es, als die erste Bluttat unter diesem seltsamen Zeichen geschah ...

John Pearson, ein alter, wetterharter Cowboy, brachte als erster die Schreckenskunde nach Marcos und sie rief anfänglich nur ungläubiges Staunen hervor. Die Peel-Ranch, eine der reichsten Besitzungen ganz in der Nähe der sich rasch entwickelnden Stadt, war überfallen worden. Brutal und vernichtend!

Als der alte Pearson diese Nachricht brachte, war Sheriff Noel Ricly gerade damit beschäftigt, seine Morgenzeitung zu lesen. Er liebte es nicht, dabei gestört zu werden, denn das Studium der „Marcos-News“ gehörte, wie er immer wieder erklärte, mit zu seinen vordringlichsten Obliegenheiten. Mit gerunzelter Stirn und leicht zusammengezogenen Lippen, die in solchen Momenten des Ärgers immer ausschauten wie ein einziger schmalgezogener Strich, blickte er auf den Überbringer dieser Hiobsbotschaft, der mit tief in das Gesicht gezogenem Stetson auf der Schwelle stand. Schwer hob und senkte sich die Brust des alten Cowboys und aus seinem Gesicht strahlte förmlich die Ungeduld, seine zentnerschwer auf ihm lastende Unglücksnachricht loszuwerden.

„Banditen haben unsere Ranch überfallen, Sheriff“, rief er, und seine Worte übersprudelten sich geradezu. „Ihr müsst sofort kommen ... mit Euren Leuten ...“

„Banditen ...?“

„Unbekannte Kerle waren es ... und nur drei ...“

„Unmöglich“, kam es überrascht aus dem Munde Riclys, „ihr seid doch eine stattliche Mannschaft! Zum Teufel noch einmal, Pearson, du treibst wohl einen tollen Scherz mit mir ...“

Der alte Cowboy riss seinen Stetson vom Kopf und diese Bewegung zeugte von der ganzen hilflosen Verzweiflung, die Worte suchte und keine fand.

„Du willst mir doch nicht weismachen wollen, Pearson“, fuhr der Sheriff fast böse fort, „dass es drei Kerle wagen können, eine solche Ranch wie die eure zu überfallen! Noch dazu am hellen Morgen! Hat man so viel Unsinn schon einmal gehört? Was habt ihr mit den Boys gemacht? Hoffentlich nicht gleich aufgehängt?“

Pearson zerknüllte wütend das Stück Filzhut zwischen seinen Fäusten und eine ganze Wolke feinen Steppensandes umstaubte plötzlich seine Gestalt. Dann begannen eben diese grimmigen Fäuste leicht zu zittern.

„Die Banditen kamen so plötzlich über uns, dass wir vollkommen überrascht dem ersten Angriff ausgesetzt waren! Dabei wurden Hal, José und der dicke Mex von den Kugeln getroffen. Alles rannte nach den Waffen ...“

„Unglaublich! Die lagen wohl eingemottet unter den Betten, he ...?“

„Sie hingen an den Wänden! Aber so weit kamen wir nicht mehr! Die Schufte legten ein Sperrfeuer vor, wie wir ein solches noch nie erlebten ...“

„Großartig! Drei Kerle legen ein Sperrfeuer vor ...“

„Dann rannten wir plötzlich davon, denn ... denn ...“

„Ihr Helden! Ihr große Helden! Vor drei lumpigen Banditen rennt eine ganze Horde ausgewachsener Cowboys davon! Ja habt ihr denn überhaupt keine Scham mehr im Leibe ...?“

„Ihr tut uns unrecht, Sheriff! Ihr habt doch Jim gekannt! Jim Morry ...?“

„Und nun erzähle nur noch, dass auch dieser ...“

„Er war der Einzige, der seine Waffen bei sich trug, und verdammt will ich sein, wenn das nicht stimmt, was ich nun erzähle! Er hielt den Colt schon in der Hand, als die Türe aufgerissen wurde. Er befand sich gerade im Nebenraum und konnte sich die plötzlich aufbellenden Schüsse nicht erklären. Da sah er die fremden Männer ...“

John Pearson stockte in seiner aufgeregten Erzählung und diese Pause benutzte der Sheriff, um dazwischen zu rufen:

„Dann schoss er den Lumpen ein Dutzend Löcher in die Kadaver! Nicht wahr, Pearson! Das hat Jim Morry gemacht?“

Der Cowboy schüttelte resigniert den Kopf und aus seinen Augen konnte man in diesem Moment die ganze Tragödie lesen, die sich in jenen schreckerfüllten Minuten draußen auf der Peel-Ranch abspielte.

„Nein, Sheriff, dazu hatte er keine Zeit mehr! Da war unter den drei Banditen einer, so ein schwarzhaariger Kerl, mit dunklen, stechenden Augen, der wirbelte im Bruchteil einer Sekunde herum und ehe Jim Morry den Abzugshahn seiner Waffe durchdrücken konnte, hatte er schon das tödliche Blei zwischen den Rippen. Werde das Gesicht des armen Jungen nie mehr vergessen können! Er starb mit einem übergroßen Staunen in den Augen, denn bis heute hat es noch keinen im ganzen Peel-Tal gegeben, der es im Schießen mit ihm aufnehmen konnte! Keinen, Sheriff! Und das wisst ihr so gut wie ich! Der alte Peel hielt sich Morry als Schutzwache gegen eventuelle Feinde! Der Boss hatte eine Menge Geld und konnte sich diese Extravaganz leisten ...“

„Ich weiß, Pearson, ich weiß! Da ist nun keine Zeit mehr zu verlieren ...! Aber erzähle noch rasch, was weiter war!“

„Wir stoben in alle Himmelsrichtungen davon, denn wir glaubten, die unterste Hölle habe ihre schlimmsten Teufel ausgespien. Draußen, vor der Einfriedung, sammelten wir uns und dann brach gleich darauf das Feuer aus ...“

Sheriff Noel Ricly fuhr entsetzt in die Höhe: „Sie haben die Ranch angezündet?“

„Der Boss hatte eine Menge Geld im Hause! Wir haben ihn wiederholt gewarnt, nicht so leichtsinnig zu sein, aber er lachte uns immer aus. Der Wilde Westen sei vorüber, Sheriff! Das war seine ständige Redensart! Als ob es in diesem verdammten Land nicht wenigstens so viel schlechte Kerle gäbe als brave und rechtschaffene ...“

„Da hast du recht, Pearson! Aber nun wollen wir aufbrechen!“

Als Sheriff Noel Ricly mit seinem Aufgebot die waldumsäumte Austin-Chaussee entlangraste, an deren westlichen Hügelrändern die Farm Steward Peels lag, da sah er schon von Weitem den hellen Feuerschein. Ein dicker, ätzender Gestank lag in der Luft und der Wind jagte, als wollte er damit ein boshaftes, höhnisches Spiel treiben, denselben direkt den ankommenden Männern entgegen.

Der Sheriff erreichte als erster die äußere Umfriedung der immer noch brennenden Ranch, und als er durch den schmucken, sauber angelegten Vorhof schritt, sah er schon von Weitem eine Gestalt am Boden. Sie lag mit dem Gesicht nach unten. Aber Sheriff Ricly erkannte sie sofort.

Es war Peel, der es durch jahrelange, unermüdliche Arbeit zu einem gewissen Wohlstand gebracht hatte. Der Sheriff untersuchte die Leiche und stellte mit Entsetzen fest, dass dem Farmer eine Kugel durch den Kopf gedrungen war, wahrscheinlich, als er versucht hatte, das Gebäude zu verlassen, um Hilfe zu holen.

Es war unmöglich, ins Innere des brennenden Hauses zu dringen, denn alle Augenblicke drohten die Wände einzustürzen und die schweren Dachbalken, welche schon fast durchgebrannt waren, hingen bedenklich nach unten.

Schweigend, mit totenblassen Gesichtern und leicht bebenden Lippen umstanden die Cowboys der Peel-Ranch die Stätte der Vernichtung. Sie fanden erst langsam wieder in das Reich der Wirklichkeit zurück. Die letzten Stunden waren wie ein tollkühner Traum an ihnen vorbeigeeilt und würden die toten Körper ihrer Kameraden nicht eine solch überzeugende Sprache reden, sie hätten sich noch nicht losreißen können von der Traumhaftigkeit des Geschehens. Nicht dass sie Feiglinge gewesen wären! Oh nein, das waren die Peel-Boys nicht! Sie hatten alle das Herz auf dem rechten Fleck und sie verstanden auch, mit ihren Colts umzugehen, wie sie dies schon wiederholt in zahlreichen Kämpfen mit Rinderdieben bewiesen hatten. Aber das Unglück kam zu schnell, zu unerwartet, zu unvorbereitet über sie! Und diese drei Teufel handhabten ihre Waffen mit einer rücksichtslosen Treffsicherheit und Kaltblütigkeit, wie sie dies nie und nimmer für möglich gehalten hätten. Das waren Meister des Colts, wie sie der Westen nur ganz selten hervorzubringen in der Lage ist.

Und das sagten sie auch dem Sheriff, der mit verbissenen Zügen ihren Berichten lauschte.

Der frische Wind sorgte dafür, dass die starke Rauchentwicklung etwas abgetrieben wurde und da rief plötzlich einer der Männer, die sich am weitesten an das brennende Ranchgebäude herangearbeitet hatten:

„Dort — Sheriff — seht — das ist der junge Peel und dort — die alte Ann — die Haushälterin des Alten ...“

Der Mann, der auf die Einfriedung geklettert war, um eine bessere Sicht zu haben, stockte plötzlich mitten im Satz, denn am Hauptmast des Zaunbogens, auf welchen er sich stützte, sah er eine angenagelte Spielkarte. Es war die Kreuz-As.

Als Sheriff Ricly diese einige Minuten später in Händen hielt, betrachtete er sie kopfschüttelnd. —

Eine angenagelte Spielkarte! — Was hatte das wohl zu bedeuten? Er hatte schon öfters von ähnlichen Marotten berüchtigter Banditen gehört, welche in irgendeiner Form ihre Visitenkarte zurückzulassen geruhten, wahrscheinlich in der überheblichen Ansicht, dass dies ihrem zweifelhaften Ruf von Nutzen sei.

Aber eine Spielkarte? — Nein, davon hatte der Sheriff bis heute noch nichts gehört! Vielleicht war es ein Zufall? Vielleicht hing diese mysteriöse Karte schon länger hier? Vielleicht hatte sie mit dem grauenhaften Verbrechen, welchem die Familie des Farmers zum Opfer gefallen war, gar nichts zu tun? —

Aber am nächsten Tag bereits sollte Sheriff Ricly eines Besseren belehrt werden:

Es war in Stockletown, ganz in der Nähe von Austin, der Hauptstadt des Staates Texas, wo sich das zweite Verbrechen unter diesem Zeichen ereignete.

Ein Minenbesitzer, welcher auf zwei außerordentlich erfolgreiche Jahre in der Ausbeutung von Silberstollen zurückblicken konnte, wurde mit seinem Teilhaber ermordet im Büro der Minengesellschaft aufgefunden. Der Geldschrank war erbrochen worden und eine erhebliche Summe den Tätern in die Hände gefallen.

Inspektor Rolf Middletown, ein äußerst wendiger und scharfsinniger Beamter der Western-Polizei in Austin, wurde mit der Aufklärung dieses Verbrechens betraut. Er stellte umfangreiche und genaueste Untersuchungen an, aber kein Mensch konnte ihm irgendwelche Anhaltspunkte geben, welche wenigstens ein schwaches Licht in diese dunkle Angelegenheit geworfen hätten.

Lediglich am massiven Holzkreuz des Fensters, durch welches die Täter eingestiegen waren, hing eine Spielkarte, und Inspektor Middletown stellte mit Erstaunen fest, dass es die Kreuz-As war. Er dachte einen Augenblick angestrengt nach und dabei verwandelte sich sein Gesicht in ein einziges Fragezeichen!

Die Kreuz-As?

War das nicht die gleiche Karte, welche gestern in der Nähe von Marcos, auf der Ranch des ermordeten Peel, von Sheriff Ricly gefunden worden war? Sollte es sich vielleicht hier um die gleichen Banditen handeln? Bestand hier vielleicht ein Zusammenhang?

Inspektor Middletown setzte sich sofort mit dem ihm bekannten Sheriff in Verbindung und mit vereinten Kräften gingen die Männer nun ans Werk. Sie suchten gewissenhaft die gesamte Umgebung der beiden Tatorte ab, sie verhörten eine Unmenge Zeugen, welche zuerst die Verbrechen entdeckt hatten. Sie forschten nach Personen, die sich durch irgendwelche Absonderlichkeiten verdächtig machten, nach Spuren, welche diese hinterlassen und nach Gegenständen, welche Hinweise für eine weitere Verfolgung bieten konnten. Und am Abend dieses angestrengten Tages waren die beiden Polizeimänner so weit wie am Morgen.

Nichts — aber auch nicht der kleinste Anhaltspunkt war vorhanden. Nicht die geringste Spur konnte entdeckt werden ...

... bis auf die zwei Karten, welche aufs Haar einander glichen.

Nun setzte eine endlose Kleinarbeit ein. Alle Kneipen und Spielhöhlen in Austin und Umgebung wurden systematisch durchgekämmt. Alle vorhandenen Spielkarten wurden auf ihre Vollständigkeit hin geprüft, nach verschwundenen Spielen wurde fieberhaft geforscht und gesucht, und in diese aufreibende Kleinarbeit hinein, ja sogar mitten hinein, kam die Nachricht von der dritten Bluttat der Kreuz-As-Bande, wie sie der Volksmund schnell getauft hatte:

John M. Mande, der Inhaber der Puplic-Austin-Bank, welche gleich in der Nähe der Zentral-Station lag, wurde erschossen in seiner Privat-Villa aufgefunden. Seine Frau war die erste, welche die grausige Bluttat entdeckte. Sie konnte aber nicht mehr aussagen als die entsetzt herbeigeeilten Hausbediensteten auch.

Der Geldschrank stand weit offen. Wahrscheinlich war Mister Mande gerade dabei von den Tätern überrascht worden, als er sich mit dem Inhalt beschäftigte. Das Einzige, was Mistress Mande zu Protokoll geben konnte, war die Tatsache, dass sie auf dem Schreibtisch ihres Mannes eine Spielkarte liegen sah.

Sonst nichts — nur eine Spielkarte -— und dieser Umstand fiel ihr auf, denn sie wusste, dass ihr Mann noch nie in seinem Leben eine solche angerührt hatte. —

Die Polizei stand vor einem Rätsel, denn noch selten in der Geschichte dieser an tollen Ereignissen so überreichen Stadt war es Verbrechern gelungen, ihre Spuren so erfolgreich zu verwischen.

Drei Karten waren es nun — drei spiegelglatte, funkelnagelneue Spielkarten — drei Kreuz-Asse, welche nebeneinander auf dem Arbeitstisch Inspektor Middletowns lagen und sie glichen einander, wie eben nur Spielkarten einander gleichen konnten! — —

Und dann kam der 25. April und dieser Tag sollte ein besonders schwarzer werden in der Geschichte von Austin:

Es war um die Mittagsstunde. Dennis Murray, der reichste Store-Besitzer von Austin, ein älterer, seriös aussehender Mann, dem der Herbst des Lebens schon silbergraue Fäden auf sein Haupt gezaubert hatte, war gerade dabei, sein Büro zu verlassen, als ihn ein großer, dunkelhaariger Mann höflich aufforderte, ihm noch eine kleine Sekunde für ein besonderes Anliegen zu schenken.

Dennis Murray war ein alter, erfolgreicher Geschäftsmann und er hatte seine großen Erfolge in erster Linie seiner Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft zu verdanken, mit welcher er seine Kunden bediente, ja förmlich verwöhnte. — —

Da fiel plötzlich im Direktionsraum des Warenhauses ein Schuss und gleich darauf stürzte ein Mann mit angeschlagenen Coltrevolvern aus demselben. Bud Frankly und der alte Stone, die beiden Wächter, erfassten sofort die Situation und ihre Hände zuckten blitzschnell zu den Waffen, welche sie immer in Griffnähe unter dem Jackett trugen.

Besonders der alte Stone war ein Mann, der sich in Austin einen Namen machte. Seine Schießkunst war sprichwörtlich und in der ganzen Hauptstadt von Texas kursierte die ständige Redensart: So blitzschnell wie der alte Stone! Diese vorzügliche Eigenschaft war es, die ihn wie kaum einen zweiten für das Amt eines Wächters des riesigen Warenhauses befähigte.

Als nun an jenem Unglückstag dieser großgewachsene, schwarzhaarige Kerl mit angeschlagenen Colt-Revolvern aus den Büroräumen Mister Murrays rannte, reagierte der alte Stone fast automatisch. So weit kam es noch, dass Banditen am hellen Tage einen Raubüberfall riskierten, mitten in der Stadt, ohne den üblichen Geleitschutz mit viel Geschrei und Geknall! Das war wieder einmal eine tolle Sache für ihn — den alten Stone! Fast augenblicklich hielt er seinen schweren Sechsschüssigen in der Hand und einen kleinen Moment später musste das todbringende Blei zwischen den Rippen des verwegenen Räubers sitzen ...

... da krachte schon der Schuss und dieses eine, entscheidende Mal war der alte Kämpe nicht schnell genug gewesen! Dieses eine Mal hatte er Pech und dieses eine Mal war schuld, dass sein Leben so schnell und schmerzlos beendet wurde. Seines und auch das Bud Franklys, dessen Hände noch nicht einmal den Griff der Waffe erreichten ...

Entsetzt wichen die Angestellten in den zahlreichen Gängen zurück. Die Kunden drängten sich panikartig in die Seitenräume. Der Gangster hastete mit langen Schritten die breit angelegten Treppen hinab — gleich hatte er den Eingang erreicht und mit einigen federnden Sätzen musste er kurz darauf im Freien stehen ...

Da stellten sich ihm einige zufällig des Weges kommende Polizisten entgegen. Die Zeit aber, die dazu nötig war, die Dienstpistolen zu zücken, war viel, viel zu kurz. Die beiden Waffen in den Händen des Gangsters spuckten Tod und Verderben ...

Das ganze Gebäude und der große Platz vor dem Warenhaus glich einem Hexenkessel! Alles schrie durcheinander! Kinder und Frauen wurden von fluchenden Männern über den Haufen gerannt und plötzlich eröffneten zwei harmlos aussehende Straßenpassanten, welche gerade in diesem Augenblick wie zufällig vorübergingen, das Feuer auf die Polizisten und diese hatten noch nicht den Haupteingang des Gebäudes erreicht, da sackten sie schon zusammen ...

Panik ergriff die Menge! Entsetzensschreie wurden laut! Die zwei Männer, die wie Straßenpassanten aussahen, näherten sich dem wildschießenden Gangster und plötzlich wurde es offenbar, dass es sich um ein Kleeblatt handelte, welches zusammenarbeitete. Sie rasten auf ein Automobil zu, welches mit laufendem Motor und offenem Wagenschlag unmittelbar vor dem Warenhaus-Eingang stand. Alles verlief programmmäßig. Der große Schwarzhaarige hielt einen kleinen, aber prallgefüllten Postsack unter seinen linken Arm geklemmt und dieser Postsack war das erste, was im Wagen landete ... Schon saß der vorderste der Banditen im Inneren des Autos und einen Augenblick später folgte der zweite. Nur der schwarzhaarige Kerl, allem Anschein nach der Anführer, sicherte noch nach allen Seiten ...

Da trat jenes Ereignis ein, von welchem die entsetzten Augenzeugen noch lange und ausführlichst berichteten:

Gegenüber dem Warenhaus befand sich die Kneipe „Zum letzten Cent“, ein sauberes, mehr für einen kurzen Imbiss eingerichtetes und ausgestattetes Lokal. Der Zufall wollte es, dass gerade zur Zeit des Überfalls einige Cowboys an der kurzen, der Straße zugewandten Theke standen, um sich eine kleine Erfrischung zu Gemüte zu führen. Sie starrten anfänglich verwundert auf die tollkühne Szene ...

Dann erinnerten sie sich plötzlich, dass sie ja riesengroße Colts an ihren Hüften trugen, und wo lebte im alten Texas der Boy, der nicht mit Freuden wahrnahm, aus seiner Kanone ein munteres Feuerwerk zu entfachen, wenn Gelegenheit dazu vorhanden ist! Und diese war nun da! Verdammt nochmal — das war ein unglaublich verwegenes Ding, welches sich da vor ihren Augen abspielte! Sie sahen deutlich, wie die Polizisten von den Kugeln der blitzschnell angreifenden Banditen getroffen wurden und zu Boden stürzten. Sie sahen, wie die drei Kerle fluchtartig ihrem Automobil zustrebten, wie der große Schwarzhaarige den Postsack auf die Wagensitze warf — vermutlich die Beute des allem Anschein nach geglückten Raubüberfalls —, sie sahen, wie der Anführer der Banditen wild um sich feuerte, um alles, was sich da bewegte, in Schach zu halten ... da handelten sie:

Stan Laurence riss seinen schweren Colt aus dem Gürtel! Aber er hatte diesen noch nicht ganz in Hüfthöhe gebracht, da fühlte er einen heftigen Schlag gegen seine Brust und fast augenblicklich wurde ihm schwarz vor den Augen. Er sah noch deutlich, wie auch seine Kameraden von den Kugeln der Banditen getroffen wurden.

Der kleine Tully, der als erstklassiger Coltschütze in seiner Heimatstadt bekannt war, machte plötzlich große, erstaunte Augen, nachdem ihn der harte Kugeleinschlag heftig gegen die Wand geschleudert hatte. Stan Laurence hörte noch deutlich die Worte, und es waren die letzten, die Tully in seinem Leben sprechen konnte.

„Stan“, sagte er mit stockender Stimme, „hast du das gesehen — wie die Kerle schießen können ...? Das waren keine Stadtfräcke, das waren ...“

... und dann sagte er plötzlich nichts mehr ...

Die Menschen auf der Straße drückten sich noch ängstlicher gegen die Häuserwände und gleich darauf schrillten die hohen Töne der Polizeisignalpfeifen durch die Straßen.

Die fliehenden Banditen konnten im Trubel der Menschenanhäufungen entkommen und sie taten dies nicht, ohne noch einmal rücksichtslos von ihren Waffen Gebrauch gemacht zu haben.

Als einige Minuten später Inspektor Middletown mit seinen Beamten im Privatbüro Dennis Murrays erschien, machte er eine überraschende Feststellung:

Der Warenhausbesitzer lag in tiefer Bewusstlosigkeit. In seinen verkrampften Händen aber hielt er eine kleine Spielkarte und die Polizisten glaubten ihren Augen nicht trauen zu dürfen: Es war eine Kreuz-As!

Die Kreuz-As-Bande hatte ihren Schandtaten eine neue, und zwar die bisher größte, hinzugefügt ...

***

Colonel Greenwood hatte nur ein Auge. Das andere büßte er schon vor langen Jahren ein und manchmal, wenn er gut in Stimmung war, erzählte er diese Geschichte. Bei einem Indianerüberfall traf ihn ein Pfeil und eigentlich konnte er von Glück reden, dass er bei diesem blutigen Ereignis noch buchstäblich und in des Wortes wahrster Bedeutung mit einem blauen Auge davongekommen war.

Colonel Greenwood war aber selten in guter Stimmung und aus diesem Grunde wussten nur ganz wenige von dieser Story. Seine Untergebenen behaupteten aber steif und fest, dass der Alte, wie er allgemein genannt wurde, mit dem einen Auge genau so gut und vortrefflich sehen konnte, wie ein anderer mit seinen beiden!

Einige behaupteten sogar, noch besser!

Colonel Greenwood hat diese Ansichten nie dementiert. Er war ein höllisch genauer, gewissenhafter Beamter und schon mancher Fall, der als hoffnungslos und unlösbar bezeichnet wurde, konnte durch ihn seine überraschende Auflösung finden! Und überraschend war alles, was Greenwood tat! Seine Anordnungen verstand nicht jeder und seine Entscheidungen waren nicht immer klar und logisch. Aber seine Erfolge waren unbestreitbar und wer einmal Gelegenheit hatte, Colonel Greenwood bei der Arbeit zuzusehen, war von seiner unermüdlichen Schaffenskraft beeindruckt. Der Kampfplatz dieses ehemaligen Soldaten, der sich in seiner Jugend durch seine draufgängerische Tapferkeit bei den Indianerkämpfen einen Namen gemacht hatte, war aber nicht mehr draußen unter seinen Blauröcken, im aktiven Kampf gegen das Verbrechertum, nein, der Kampfplatz Oberst Greenwoods war sein Schreibtisch. Hier entwarf er seine Pläne, von hier aus erteilte er seine Befehle, denn er war das oberste Gesetz des Staates Texas. Hier erreichten ihn die Vollzugsmeldungen seiner Untergebenen, die Berichte seiner Männer, die in seinem Sinne wirkten und eigentlich hatte ihm niemand etwas dreinzureden. — —

Mit Ausnahme der G-Mannschaft Oberst Sinclars und auf diese Gruppe war Colonel Greenwood nicht besonders gut zu sprechen. Denn er war ein außerordentlich ehrgeiziger Mann. Er liebte es nun einmal nicht, wenn ein anderer größere, ja viel, viel größere Erfolge in der Bekämpfung des Banditentums aufzuweisen hatte. Wenn ihm Oberst Sinclar mit seinen G-Männern wieder einmal in einer großen Sache zuvorgekommen war, dann sprühte aus seinem einen Auge ein wahrer Strahl des Zornes. In solchen Momenten war er der Meinung, dass es die Glücksgöttin nicht sonderlich gut mit ihm meinte. Leider gehörte Colonel Greenwood auch zu jenen Menschen, die Tüchtigkeit im Leben manchmal mit Glück verwechselten und er wollte es nicht gerne eingestehen, dass es außer ihm auch noch ein paar andere tüchtige Kerle auf dieser Welt gab! — —

„Inspektor!“, wandte er sich an Middletown, der ihm etwas ratlos gegenüber saß, „die Boys haben also nichts gefunden? Keine Anhaltspunkte? Keine Spuren, welche man verfolgen kann? Konnten Sie wenigstens die Namen dieser Kerle herausbekommen?“

Inspektor Middletown schüttelte den Kopf und er tat dies fast heftig.

„Nein, Colonel, wir haben nichts gefunden, so sehr wir uns auch bemühten! Es war einfach nichts da! Komme soeben aus der Klinik, wo ich Stan Laurence besuchte. Der Doktor hofft, ihn durchzubringen. Wahrscheinlich kann er uns Näheres mitteilen? Vielleicht kennt er den einen oder anderen der Kreuz-As-Bande ...“

„Wie kommen Sie auf diesen Gedanken?“

„Kein Boy riskiert ohne Not sein Leben, denke ich, Colonel? Auch ein einfacher Rinderhirt hat nur eines zu verlieren ...“

„Sie kennen diese Boys nicht, Inspektor! Das sind ganz prachtvolle Burschen und die besten Kameraden, die sich ein Mann denken kann! Habe jahrelang mit ihnen zu tun gehabt! Habe sie studiert! Sie sind aus den Nordstaaten, Inspektor, und darum muss ich Ihnen sagen, dass Sie einen Texaner mit anderen Maßen messen müssen. Diese Boys treten ohne Bedenken und ohne lange zu fragen für eine gute Sache ein! Das ist die Erklärung und darum können Sie von Stan Laurence auch nichts erfahren, was der Sache nützt ...“

„Das verstehe ich nicht ganz!“

„Ich will nochmals versuchen, Inspektor, es Ihnen zu erklären!

Texaner sein bedeutet nicht nur, Angehöriger eines besonders tüchtigen Volksstammes zu sein! Texaner sein bedeutet mehr! Bedeutet ein Glaubensbekenntnis — einen Geisteszustand! Können Sie mir folgen?“

„Nicht ganz! Aber ich beginne zu begreifen!“

„Ein Kerl, Inspektor, der einem anderen in der tiefsten Not beispringt, als sei dies die selbstverständlichste Sache der Welt, der einen Wildfremden aus der größten Patsche holt und sei es unter Einsatz des eigenen Lebens, der nicht fragt, ob es sich um einen guten oder um einen schlechten Mann handelt — das ist ein Texaner! Und solch ein Texaner vom alten Schrot und Korn ist auch Stan Laurence! Dass er und seine Kameraden in den Kampf eingegriffen haben, will gar nichts besagen, und wenn Sie es hundert Mal nicht verstehen können!“

„Das fällt mir schwer, Colonel, sehr schwer! Jedenfalls war es mir gelungen, mit dem Schwerverwundeten ein paar Worte zu wechseln! Es war nichts Gescheites aus ihm herauszubringen ...“

Der Colonel lächelte sein bekanntes weises Lächeln, das ihm im Polizeigebäude viele Freunde und auch manche Gegner eingetragen hatte: „Das kommt darauf an, Inspektor! Was sagte er denn?“

Inspektor Middletown machte ein süß-saures Gesicht, das äußere Zeichen, dass er nicht gern Auskunft gab.

„Ob, nichts Besonderes, Colonel“, antwortete er nach einigem Zögern, „er hatte eine merkwürdige Ausdrucksweise ...“ — —

„Nur immer heraus mit der Sprache!“

„Bobby, sagte er, du magst ein ganz patenter Junge sein und in deiner Uniform fast aussehen wie ein Kerl! Aber diese Boys kannst du nicht fangen! Die sind dir über und darum rate ich, die Finger davon zu lassen! Das sind keine Unbekannten  ... die Jungens sind O.K. ... nur, Bobby, und das ist das traurige an der Geschichte, stehen sie auf der falschen Seite ...“

„Das hat Stan Laurence gesagt?“

Inspektor Middletown nickte: „Das hat er gesagt, dann fiel er wieder in Ohnmacht! Er musste große Schmerzen auszustehen haben, denn sein Gesicht war verzerrt und die Silben kamen nur stoßweise aus seinem Mund! Aber genau so waren seine Worte und darum glaube ich, dass er die Banditen erkannt hat!“

„Möglich ist es immerhin, Inspektor! Aber ich glaube es nicht! Diese wackeren Boys erkennen schon an der Art, wie ein Mann seine Waffe hält, was mit diesem los ist, ob er ein braver oder ein schlechter Kerl ist, ob er etwas Gutes oder Böses im Schilde führt! Tatsache ist, dass besonders der schwarzhaarige Anführer ein Meisterschütze ist! Und das hat auch Stan Laurence gesehen! Wir müssen äußerst vorsichtig zu Werke gehen. Sheriff Ricly hat uns förmlich beschworen, ja keine Fehler zu begehen und der größte Fehler wäre, dieser Bande offen gegenüberzutreten!“

„Aber wie sollen wir sie dann zu Fall bringen?“

Die Augen Inspektor Middletowns richteten sich neugierig auf den Colonel. Dieser zuckte leicht die Schultern:

„Das weiß ich jetzt noch nicht! Aber ich werde darüber nachdenken und bis heute ist mir immer noch etwas eingefallen!“ — —

Der Inspektor erhob sich. Er wollte noch einmal ins Warenhaus von Dennis Murray zurück. Vielleicht war ihm bei seiner ersten Untersuchung eine Kleinigkeit entgangen und gerade Kleinigkeiten sind es in vielen Fällen, die zum Erfolg führen können.

So sehr sich aber Inspektor Middletown auch bemühte, Licht in dieses rätselhafte Dunkel zu bringen, er musste doch einsehen, dass er auf diese Art und Weise nicht weiter kam. Niemand hatte die Verbrecher erkannt! Niemand wusste ihre Namen und sogar die Beschreibungen, die von verschiedenen Augenzeugen niedergelegt wurden, wichen so grundlegend voneinander ab, dass sie nicht zu brauchen waren. Nur eine Tatsache blieb bestehen und in diesem Punkte stimmten alle Aussagen überein, dass der Anführer schwarze Haare hatte ...

Aber das war lächerlich wenig und doch wieder eine ganze Menge! — —

***

Tipply Greek

„Und ich sage euch noch einmal, ihr verdammten Narren — so groß war der Brocken Gold, den ich gefunden habe — damals, als ich halb verhungert und mit ausgedörrter Kehle hier ankam!“

Dabei beschrieben die kleinen Hände des großspurigen Sprechers dieser lauten Worte einen weiten Bogen durch die Luft und die zahlreichen Goldgräber, die in der Kneipe des alten Danny saßen, bekamen kugelrunde Augen. Das musste ja ein Riesenbrocken gewesen sein, den Tipply Greek in dieser trostlosen Staubmulde, zwanzig Meilen südlich von Taylor, gefunden hatte, damals, als sich in dieser wasserarmen Wüste noch keine Baracke, kein Wohnhaus und auch noch keine Kneipe befand.

Damals ...

Wer Tipply Greek zum ersten Mal sah, konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, es mit einem heruntergekommenen Strolch zu tun zu haben. Im Grunde genommen war er das auch. Auf seinem kleinen, schmächtigen Körper saß ein kleiner Kopf, und die schmalen Schultern gaben ihm das Aussehen eines halbwüchsigen Burschen! Alles an ihm war zu kurz, zu dürftig, zu schwächlich geraten und man musste sich fast wundern, dass dieser seltsame Zeitgenosse in diesem rauen Klima des Wilden Westens so alt geworden war. Allem Anschein nach war es nicht immer notwendig, groß und stark zu sein, um in diesem harten, bleihaltigen Klima bestehen zu können. Tipply Greek war das lebendige Beispiel dafür, dass auch solche Kerle ihre Daseinsberechtigung demonstrieren konnten, die von der Mutter Natur so außerordentlich stiefmütterlich behandelt wurden. Oft sah man ihn wochenlang nicht in der „Flieder-Bar“ des alten Danny, wo man ihm in Anbetracht seiner bestimmt unbestreitbaren Verdienste einen Ehrenplatz einräumte. Er war in dieser Zeit auch in der Siedlung nicht aufzufinden. Diese bestand aus etwa hundert Baracken, Zelten und etlichen Holzhäusern, und da der Gründer dieses elenden Goldgräbernestes auch auf seinem Claim nicht zu sehen war, löste dieses merkwürdige Verschwinden, des kleinen Mannes nur allgemeines Kopfschütteln unter den Goldgräbern aus. Plötzlich war er wieder da und dieses plötzliche Auftauchen des schrulligen Kerls löste jedes Mal neue Verwunderung unter jenen Männern aus, die vorgaben, in diesem staubigen, dreckigen Tal nach Gold zu suchen.

Ein heruntergekommener, verwahrloster Tipply Greek hatte sie immer verlassen und ein frisch auflackierter, fast gepflegter Gent war zurückgekehrt. Der erste Weg war jedes Mal in die Kneipe und dort ließ er es sich gut gehen. Dort blieb er so lange, bis sein Äußeres wieder vollkommen ramponiert und sein Bart so lang war, dass man mit Sicherheit sein Alter nicht mehr feststellen konnte. Da lagen Tage dazwischen und manchmal sogar Wochen, und in dieser Zeit war die Kneipe des alten Danny brechend voll, denn bei dieser Gelegenheit gab es eine Menge Neuigkeiten zu erfahren ...

Tipply Greek hatte noch eine Eigenschaft, die er zu einer wahren Meisterschaft entwickelte! Er konnte saufen, dass es eine Freude war, ihm zuzusehen! Er konnte eine Menge Alkohol vertragen, dass man sich fragen musste, wo der kleine Körper diese Riesenquantitäten überhaupt aufbewahrte, und manchmal hatte es den Anschein, dass ihm der scharfe Saft buchstäblich bei den Ohren wieder herauslaufen müsse.

Tipply Greek soff immer, wenn man ihn sah, und doch konnte man nie mit Bestimmtheit sagen, ob er nüchtern oder betrunken war. Und das war wieder eine Eigenschaft, die allgemeine Heiterkeit hervorrief.

Dann hatte er noch einen Wesenszug und dieser erregte förmliche Bewunderung ...

„Was soll ich euch erzählen, Gents!“, fuhr er mit öliger Stimme fort, die merklich langsam und schleppend ihren Weg ins Freie fand, „jeder von euch kennt sie ohnehin zur Genüge! Darum habt ihr auch dieses stattliche Dorf nach mir benannt und ihr tatet gut daran! — Es lebe Tipply Greek ...!“

Einige dutzend glasbeschwerte Hände fuhren in die Luft, und ein orkanartiges Gebrüll erfüllte den diesigen, rauchgeschwängerten Raum.

„Es lebe Tipply Greek — der Gründer dieser schönen Stadt …“, gröhlte ein Goldgräber, ein großer, grobschlächtiger Kerl, dessen finstere Augen ziemlich eng nebeneinander lagen.

„Es lebe Tipply Greek!“, fielen alle anderen ein und das Geplärr wurde so unartikuliert, dass sich der feiste Wirt hinter der Theke betroffen die Ohren zuhielt. Er hatte das unbestimmte Gefühl, dass sein Trommelfell dieser ungeheuerlichen Belastung nicht lange standhielt.

Da erhob sich Tipply Greek und bei Gott, was er nun tat, war Wirklichkeit! Er verneigte sich und dabei schnitt er eine Grimasse, die deutlich besagte, dass er über die Anhänglichkeit seiner „Untertanen“ einigermaßen befriedigt sei. Langsam ging das donnerartige Gebrüll in schallendes Gelächter über. Jeder der Anwesenden kannte die Schwäche des kleinen Kerls, sich aufzuspielen, und niemand nahm ihm dies übel, im Gegenteil, diese seine hervorstechendste Eigenart war immer wieder Gegenstand der allgemeinen Belustigung.

Mit torkelnden Schritten näherte sich Tipply Greek der Mitte des Kneipenraums und dort angekommen, fiel er mit hoher, piepsender Stimme ebenfalls in die allgemeine Heiterkeit ein.

„Hahahahaha“, lallte er und nachdem er sich einigermaßen beruhigt hatte, rief er, und jedermann in der Kneipe konnte seine Worte deutlich verstehen: „Wisst ihr schon das Neueste, ihr Hohlköpfe ...? Etwas, was euch alle interessieren wird …?“

Fast augenblicklich trat Ruhe ein! Wenn Tipply Greek so sprach, dann konnten sie sich wieder einmal auf etwas Interessantes gefasst machen. Vielleicht wusste er wirklich etwas Neues über die Kreuz-As-Bande, die seit einiger Zeit die Gemüter aller Bewohner des Landes bewegte. Und richtig, so war es auch.

„Ihr habt doch schon eine Menge gehört über die drei Boys, die man die Kreuz-Asse nennt! Eine Menge Wahres und eine Menge Erfundenes! Da hat sich nun ein Gent aufgetan und geschworen, nicht mehr eher zu schlafen, bis er die Skalpe dieser verteufelten Burschen an seinem Gürtel hängen hat! Könnt ihr euch denken, wer das ist?“

Seine Worte gingen in neuem, tosendem Gelächter unter.

„Und weil ihr das nie herausfinden werdet, will ich euch den Namen verraten! Unser Sheriff ist es, der uns in gewissen Zeitabständen immer die große Ehre seines regelmäßigen Besuches gibt! Hahahaha! Habt ihr gehört, Jungs! Sheriff Ricly will die Kreuz-As-Bande fangen! Ich glaube, mich frisst die Laus ...“

Dabei blieb er, heftig nach Luft schnappend, mitten im Weg stehen, schlug sich kräftig auf seine beiden Oberschenkel und schüttelte sich förmlich aus vor Lachen: „Habt ihr schon einmal von so viel Verrücktheit gehört? Dieser Hampelmann von einem Sternträger will die Kerle fangen, die man die Kreuz-Asse nennt!“

Ein einigermaßen ordentlich gekleideter Mann in der Mitte der Kneipe hob den Kopf: „Warum nicht, Tipply Greek? Warum soll Sheriff Ricly die Kerle nicht fangen?“

Tipply Greek maß mit einem erstaunten Blick den Sprecher, dann fing er wieder an zu grölen: „Weil dieser geschniegelte Affe nicht der Kerl dazu ist! Seht mich an, Gents, als ich noch jung war und kräftig ...“

„... und noch nicht so versoffen ...!“, warf eine zweite Stimme dazwischen.

„Hast recht, Jimmy — und noch nicht so versoffen! Da hätten solche Kerle wie die drei Asse nicht lange gelebt! Könnt ihr euch nicht an Murder-Bill erinnern, he?“

„… noch nie gehört ...!“, sagte einer.

„Das kann ich mir denken, du Grünschnabel — damals hast du noch alle zwei Stunden eine neue Hose gebraucht! Da will ich euch diese Geschichte einmal erzählen ...!“

„... erzählen … erzählen ...!“, schrien die Goldgräber durcheinander, denn sie kannten die drollige Art des Kleinen, Stories zu erzählen. Sie glaubten zwar kein Wort davon, aber das tat nichts zur Sache. Die Hauptsache war, dass man wieder einmal herzlich lachen konnte, denn das war sozusagen Mangelware in diesem erbärmlichen Drecknest — zwanzig Meilen südlich von Taylor und so nahe an der Hauptstadt des Staates Texas.

„Da ist nicht viel zu erzählen, Gents!“, lallte der Betrunkene in seinen Bart, „da ging ich einmal droben in Rocksprings spazieren — und ich war nicht allein! Ich hatte da ein Girl — verdammt nochmal, das konnte mehr vertragen als ich, und das will schon etwas heißen bei meinem Durst — da sah ich auf einmal einen Boy, über dessen linke Wange eine breite Narbe lief. Das ist er — Murder-Bill — schoss es mir durch den Kopf! Auf den Kerl waren nämlich 5000 Dollar ausgesetzt. Dieses schöne Geld verdienst du dir, dachte ich mir! Also geh ich zu ihm hin und fordere ihn auf, seine Pranken schön zum Himmel zu strecken. Und was tat der gute Bill? Er folgte mir willig zum Sheriff und das war auch sein Glück, sonst hätte ich ihn nämlich bei lebendigem Leibe skalpiert.“

Der Rest seiner Erzählung ging in dem wiehernden Gelächter der Gäste unter.

„Das hast du gemacht, Tipply Greek?“, brüllte einer, der vor Lachen förmlich auf seinem Hocker hopste, dass seine Gedärme wild durcheinander geschüttelt wurden — „solch eine große Heldentat hast du begangen?“

„Halt’s Maul, du Greenhorn! Das war nicht so einfach. Murder-Bill schaute mich eine Weile wie entgeistert an, dann wollte er zur Waffe greifen. — ,Lass das, Murder-Bill‘ — sagte ich — ,sonst beiß ich dir die Ohren ab‘…“

„... und hast du sie abgebissen ...?“, gröhlte ein Goldgräber, dem dicke Tränen in den Augen standen.

„Pfui Teufel noch einmal — das hätte mir noch gefehlt! Die waren mir nicht appetitlich genug! Da nahm ich Murder-Bill bei der Hand und führte ihn zum Sheriff, und er blieb an meiner Seite wie ein folgsamer Hund ... Hund ... Hund …“

Eigentlich wollte er noch mehr sagen, aber da öffnete sich plötzlich die Pendeltüre und auf der Schwelle stand ein großer, schwarzer Wolfshund, der sofort die Blicke aller Anwesenden auf sich zog. Fast augenblicklich verstummte das Gelächter. Und als gleich darauf ein großer, breitschultriger Mann die Kneipe betrat, schauten alle Goldgräber auf diese neue, ihnen vollkommen unbekannte Erscheinung.

„Good day, Gents!“, grüßte der Eingetretene mit freundlichem Lächeln. Dabei zeigte er zwei Reihen blendend weißer Zähne.

Der alte Danny, der vor Jahresfrist die „Flieder-Bar“ eröffnet hatte und dieser in einem Anflug von seltsamen Sinnesregungen den bezeichneten Namen gab, schaute einen Augenblick von seiner angestrengten Arbeit auf. Der neue Gast war ihm völlig fremd. Er hatte ihn noch nie gesehen. Aber irgendetwas haftete dieser auffallenden Persönlichkeit an! Irgendetwas, das er sich nicht erklären konnte. Die Augen des fast zwei Meter hohen, blonden Mannes schauten sanft und bescheiden in die Welt und seine Stimme hatte einen ruhigen, sympathischen Klang.

„Lasst euch nicht stören, Gents!“, entschuldigte er sich förmlich und das war wieder etwas, was in diesem rauen Land nicht zu den Gepflogenheiten männlicher Umgangsformen gehörte. So etwas tat ein richtiger Boy der alten Schule nicht. Er fragte nicht lange, ob es einem anderen recht war, wenn er sich zum Beispiel auf einen leeren Stuhl in irgendeiner Kneipe setzen wollte. Er nahm kurz und bündig Platz und damit basta! Der alte Danny wunderte sich ordentlich. Sollte es sich bei diesem Mann vielleicht um ein Greenhorn handeln? Diesen Gedanken verwarf der Keeper aber rasch wieder, denn sicherlich musste mit diesem athletisch gebauten Boy nicht gut Kirschen essen sein, und dann verstand er auch etwas von der Art und Weise, wie einer seine Waffen trug. Nein, ein Greenhorn war dieser Fremde nicht! Seine beiden Coltrevolver hingen schwer und wuchtig nach unten und sie waren tief geschnallt, wie dies nur ganz hervorragende Coltmänner zu tun pflegten. Von der blitzblanken, sauberen Ausrüstung, die der neue Gast trug, ließ sich Danny nicht täuschen! Die hatte gar nichts zu bedeuten, denn in keinem Land auf dieser Welt gab es mehr wunderliche Käuze als in diesem, das man den Wilden Westen nannte. Und da sagte der Neueingetretene noch etwas, was ein allgemeines Schmunzeln unter den Gästen hervorrief: