Conny Cöll - Raubtier Mensch - Konrad Kölbl - E-Book

Conny Cöll - Raubtier Mensch E-Book

Konrad Kölbl

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Beschreibung

Eine berüchtigte und gefährliche Banditenbande, die einfach nicht zu stellen war, trieb ihr Unwesen! Das ist an und für sich nichts Neues — das gibt es auch heute noch im alten, schönen Texas — und das wird es immer geben, so lange Cowboys auf schnellen Pferden über die Prärien jagen ... Aber mit dieser berüchtigten Kreuz-As-Bande hatte es eine besondere Bewandtnis. Es waren nur drei unglaublich tollkühne, unbeschreiblich verwegene Kerle, denen es gelang, ein ganzes Land zu terrorisieren — und mitten drin ein kleiner, komischer Kauz, mit dem kein Mensch etwas anfangen konnte — auch Conny Cöll nicht und sogar Schwarzwolf ließ ihn in Ruhe und hatte keinen Argwohn gegen ihn ... ... und doch war er von einem Geheimnis umwittert, welches nicht gelöst werden konnte ... Mitten im Grand Canon steht ein Haus und auch dieses ist voller Rätsel ... Hier leben Menschen, die bis heute noch keinen 'Weißen sahen und die bis heute noch von keinem Weißen gesehen wurden ... Aufgrund des Alters des Textes kann es sein, dass im Inhalt Begriffe verwendet werden, die heute nicht mehr gebräuchlich bzw. nicht mehr politisch korrekt sind.

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Raubtier Mensch

von Konrad Kölbl

1956

Inhaltsverzeichnis

1. Feuerwasser

2. Die Biber

3. Am Eagle River

4. Das Raubtier

Anmerkungen

1. Feuerwasser

Mit der Wucht eines Schmiedehammers krachte Burn Delanos Faust auf die Platte des Zahltisches in der Landwirtschaftsbank.

„Banditengesindel!“, keuchte er.

Noch niemals in seinem ereignisreichen Leben kochte die Wut so in seinem Innern wie jetzt.

„Banditen“, wiederholte er drohend, „mein Geld will ich haben! Ist alles ehrlich und sauer verdient und niemand hat das Recht, mein Geld zu beschlagnahmen! Es gehört weder dem Staat noch der Landwirtschaftsbank von Silverfield. Und schon gar nicht diesem sauberen Sheriff Small! Mir allein gehört es, mir, Burn Delano …!“

Und noch einmal sauste seine Faust krachend auf die Tischplatte, so dass das verstaubte Tintenfass  gleichsam erschreckt hochhüpfte und die Tintenflecken, die ohnehin den Tisch besudelten, noch um einige weitere Spritzer vermehrte.

Außer diesem Tintenfass befand sich nichts auf dem kahlen, abgewetzten Tisch, wenn man von Nick Savers’ Händen absah, die mit flatternden Bewegungen einen Halt an der Kante suchten. Nick Savers war der Kassier der Landwirtschaftsbank von Silverfield und zugleich der einzige Angestellte, der sämtliche Geschäfte versah.

Nick war es nicht gewohnt, in seiner Bank, wie er sie gern nannte, drohende Verwünschungen und Flüche zu hören. Hier ging es ruhig und freundschaftlich zu, wenn die Farmer und Rancher von Silverfield hereinkamen, um ihre Spargroschen einzuzahlen, oder um ein Darlehen aufzunehmen. Gewiss gab es ab und zu einmal Meinungsverschiedenheiten. Dann stritt man sich in einem gutmütig polternden Ton herum und suchte zu einer Lösung zu kommen, die dem Kunden wie der Bank annehmbar erschien.

Nick versuchte, den schrecklich aufgeregten Delano zu beruhigen, und deshalb überhörte er die ausgestoßene Beleidigung und wischte mit einem Stück Löschblatt die Tintenkleckse vom Tisch.

„Burn Delano“, sagte er mit einer Stimme, in der seine eigene Erregung mitschwang, „du musst einsehen ...“

„Gar nichts sehe ich ein“, erklärte Burn Delano halsstarrig. „Ich will mein Geld! Und zwar mein ganzes Geld, alles, was ich seit Jahr und Tag hierher getragen habe, um es von dir auf die hohe Kante legen zu lassen!“

„Sheriff Small hat es beschlagnahmt, Burn! Sei doch nicht so bockig und stur, Mann! Ich kann daran nichts ändern ...“

„... dein Sheriff Small kann mir gestohlen bleiben“, schrie Delano heiser, „verstehst du? Es nützt mir gar nichts’, wenn du sagst, Small hat mein Geld! Du kennst mich doch, nicht wahr?“

„Aber sicher kenne ich dich, Burn Delano.“

„Dann weißt du auch, dass ich alle meine Bankeinlagen hier auf den Tisch gezählt habe, und du hast mir jedes Mal eine Quittung dafür gegeben, wie es die Ordnung verlangt. Also ist es mein Guthaben, und ich muss es zurückbekommen, wenn ich es von der Bank fordere. Ein denkbar klarer Fall, nicht wahr?“

„Richtig, Burn“, stimmte Nick zu, „so lange nicht die Obrigkeit hergeht und dieses Geld mit Beschlag belegt.“

„Geh zum Teufel mit deiner Obrigkeit! Woher nimmt sie das Recht, einem ehrsamen Indiantrapper seinen Gewinn wegzunehmen, he? Ich bin Burn Delano, bekannt als ehrsamer Händler, hier in Silverfield und in den Blauen Bergen, am Adlerfluss und am Hood River, jede Rothaut weiß, wer ich bin ...“

„Sei doch nicht stur, Burn“, versuchte ihn Nick zu beruhigen, „natürlich bist du überall bekannt, und dein Geld ist ja noch immer dein Geld, und niemand hat es dir gestohlen! Sheriff Small hat es nur mit vorsorglichem Beschlag belegt. Das heißt, du kannst zurzeit nicht darüber verfügen. Sobald das Gericht entschieden hat, wie das neue Gesetz auszulegen ist und sich deines besonderen Falls annimmt, wirst du erfahren, ob du dein Guthaben in bar erhalten kannst, oder ob es gesperrt oder sogar eingezogen wird. Ich bin kein Richter, Burn Delano, und ich habe auch das neue Gesetz nicht gemacht ...!“

„Verdammt, Nick“, fauchte Delano und kratzte sich die Stoppeln am Kinn. Er fing bereits an, einzusehen, dass es fruchtlos war, mit dem unbeirrbaren Kassier wegen der Auszahlung herumzustreiten. „Du redest daher wie eine alte dreckige Indian-Squaw, die ihren Verstand verloren hat! Als Kassier und Geschäftsführer dieser Bank weißt du ganz genau, dass es eine heimtückische Schurkerei ist, was du mir da sagst, ganz gleich, von wem du Auftrag hast, von diesem Strolch von einem Sheriff, oder von wem immer. Und ich lasse es mir nicht bieten, verflucht —“

„Delano ... Burn, hör zu“, fasste sich Nick Savers hinter seinem Schalter, obgleich der schmächtige Mann sich dessen bewusst wurde, dass seine Rolle nicht allzu gemütlich war. „Ich habe keinen Grund, mich von dir beleidigen zu lassen. Aber ich verstehe, dass du aufgeregt und wütend bist. Trotzdem möchte ich dir den Rat geben, dich wenigstens vor der Obrigkeit in acht zu nehmen. Wenn Sheriff Small deine ungezügelten Reden hört, wanderst du ins Kittchen, da kannst du Gift darauf nehmen!“

„Geh zum Teufel, Nick Savers!“, brüllte Burn Delano von Neuem gereizt, „ich habe es satt, Belehrungen einzustecken. Hier ist mein Bankbuch. Schau dir den Beitrag an, der da unten steht, und zahl ihn in baren Dollars hierher auf den Tisch, sonst ...“

Er funkelte drohend mit den Augen unter den buschigen Brauen und legte die Rechte breit und knorrig vor Savers auf die tintenbekleckste Platte.

Nick Savers schluckte, er wurde bleich und verschloss ernst sein Gesicht.

„Du weißt, dass ich es nicht darf“, presste er verhalten heraus.

„So“, höhnte Burn Delano, „du darfst es nicht? Hör gut zu, Nick Savers: wir zwei sind ganz allein hier in der Bank. Wenn ich dich jetzt über den Haufen knalle und mir mein Geld selbst aus dem Schrank hole, was dann, he?“

„Das wirst du nicht tun, Burn!“, erschrak der Kassier und hob mechanisch die Hand. Mit großer Mühe bändigte er sein Zittern.

„Willst du es mir verbieten?“

Mit einem Ruck riss Delano den schweren Fünfundvierziger-Colt aus dem tiefhängenden Holfter und richtete die schwarze Mündung drohend auf Nick.

„Mach dich nicht unglücklich, Burn“, keuchte Savers, in dessen Augen plötzlich das nackte Entsetzen getreten war. Sein Herz hämmerte wild, er wusste, dass Delano zum Äußersten gehen würde.

„Unglücklich? Ha —! Was redest du, Schuft! Ihr wollt mich unglücklich machen, verfluchte Bande von Wegelagerern und Strolchen, die ihr seid! Nimm die Hände hoch, sag’ ich dir, und dreh dich um ...!“

„Burn ...!“

Aber der Trader krümmte schon, ohne zu zielen, seinen Schießfinger durch, und ein Feuerstrahl brach aus der Mündung des Colts. Nick Savers fühlte einen harten Schlag gegen seine linke Schulter, er wankte, stürzte, und in seinen schwindenden Sinnen hallte nur noch das bellende Dröhnen des Schusses in dem kleinen Schalterraum ...

Als Burn Delano keine drei Minuten später die Eingangstür der Bank von Silverfield hinter sich zuwarf, gafften bereits aus den Fenstern der kleinen Häuser in der staubigen Straße die Neugierigen. Natürlich war der Schuss in der Bank gehört worden.

Der Indiantrader lebte seit fast acht Jahren in Silverfield. Jeder Einwohner kannte ihn und wusste, dass Burn im Sattel seines scheckigen Wallachs, sieben Packpferde am langen Zügel hinter sich, in die Blauen Berge ritt, um den Rothäuten das begehrte Feuerwasser zu verhandeln. In den wohlbekannten kleinen Fässchen brachte er den Whisky, auf die Packsättel der Beipferde geschnallt, auf weitem Ritt in die Reservationen der Indsmen, und wenn er viele Wochen später wieder aus den Blauen Bergen zurückkehrte, trugen die Pferde getrocknete Felle von Mardern, seidig weiche Biberpelze, Wolfshäute, Hirschdecken und Fuchsbälge. Es waren mächtige Bündel, deren Inhalt Delano gegen klingenden Gewinn bei der Pelzhandelsgesellschaft reißend loswurde. Manchmal brachte er auch einen kleinen hirschledernen Beutel voll Goldstaub mit.

Gegen Feuerwasser tauschten die Rothäute den Reichtum der Wälder ein. Sie waren süchtig und verblendet genug, dass sie nicht erkannten, wie sie mit jedem Handel, den sie mit Burn Delano machten, ärmer und ärmer wurden, und zudem durch den so sehnlichst begehrten Genuss von Feuerwasser überraschend schnell dem Siechtum verfielen. Gewöhnlich fing es damit an, dass die roten Jäger in den Wigwams einer nach dem andern in einen quälenden Husten ausbrachen, und alsbald gerann dieser Husten zu Blut, und dann lagen die Siechen und Geschwächten im Sand vor den Tipis, unheilbar dahindämmernd, vom gierig geschlürften Feuerwasser alsbald zerstört. Die Tuberkulose hielt reiche Ernte, die Rothäute starben wie die Fliegen an einem kalten Herbsttag. Burn Delanos Gewerbe war den Leuten von Silverfield nichts Neues, sie kannten es und sie sahen auch nichts Böses in diesem Handel. Andererseits gab es in der Regierung Männer, die dafür sorgten, dass den Rothäuten wenigstens ein kleiner Teil der einstigen riesigen Jagdgründe verblieb. Es war nicht schwierig, bei dem Massensterben der roten Rasse den Tag vorauszusagen, an dem der letzte Indianer am Gift des Feuerwassers sterben würde. Und diese späte, allzu späte Erkenntnis veranlasste schließlich ein Gesetz, das jede Abgabe von Alkohol an die Rothäute verbot.

Gerade in Silverfield waren in den letzten Wochen lebhafte Debatten über dieses neue Gesetz geführt worden. Man hatte doch einen dieser Indiantrader, die aus dem Gifttod der Redmen einen einträglichen Job gemacht hatten, mitten in der Siedlung wohnen, und der Klatsch der Leute erging sich in den tollsten Vermutungen über Burn Delano und seinen stattlichen Gewinn.

Sheriff Small brachte diese Vermutung erneut zu üppiger Blüte, als er vorsorglich Burns Bankguthaben sperrte. Er verfasste einen mühseligen Bericht und sandte ihn ans Distriktgericht. Dort würde man entscheiden, ob das aus dem Handel mit Feuerwasser herstammende Geld dem Trader verblieb, oder ob es der Staatskasse verfallen sollte ...

Die Witwe Hilton, die neben der Landwirtschaftsbank einen Bäckerladen betrieb, und der Farmer John Lester sagten nachher aus, sie hätten Burn Delanos Schecken die ganze Zeit über vor der Bank stehen sehen. John Lester hatte mit dem Daumen über die Schulter hinweg zu dem kleinen, in sauberen Mauern errichteten Gebäude hinübergedeutet und zur Witwe Hilton gesagt:

„Verdammt, Mabel, ich möchte jetzt nicht in Nick Savers’ Haut stecken! Soweit ich Burn Delano kenne, ist er ein ziemlich rücksichtsloser Bursche, er wird Nick mächtig zusetzen!“

Die Witwe Hilton, dicklich, mit Doppelkinn und einer stählernen Brille auf der stupsigen Nase, die sich in der Erregung gern auf die runden fleischigen Nüstern zuschob, wollte sich in eine wortreiche Auseinandersetzung mit Farmer Lester einlassen, denn sie gab etwas darum, bei ihren Kunden als eine Frau zu gelten, die bei allen Fragen von Bedeutung für Silverfield mitreden konnte, da fiel der Schuss in der Bank.

Der dürre Lester eilte mit einigen Sprüngen auf die Straße hinaus, dicht gefolgt von der neugierigen Brotbäckerin, die mit der rutschenden Brille und der Angst kämpfte, Aufruhr und Tod könnten in die würzige Stille ihres Ladens dringen. Drüben auf der anderen Straßenseite lugten Keith und Herald Williams, zwei alte Hagestolze, aus ihrer Haustür, und Cecil Johns, ein Cowboy von der Prince-Ranch im Norden, stelzte durch den weißen Staub der Straße herauf. Er war der erste, der unwillkürlich an seine Hüfte griff, als das gedämpfte Dröhnen des Schusses aus dem Innern der Bank kam. Mit zwei Sätzen, die man dem alten reiterbeinigen Kerl, der wie sprödes Leder aussah, niemals zugetraut hätte, machte er sich von der Straßenmitte und presste sich eng an Lex Jordans Haus, den schweren Colt schon in der rechten Faust. Dieser Cowboy, Cecil Johns, und auch die andern, die leicht verstörte Witwe Hilton, Farmer Lester und die Brüder Williams, sahen Burn Delano jetzt hinter sein Pferd stürzen und den Halfter losbinden. Sie waren gespannt und gelähmt zugleich, da sie noch nicht wussten, was sich zugetragen hatte, und im gleichen Augenblick Little Dan hinter dem Bankgebäude hervorspringen sahen, der an den eiligen Burn Delano herantrat.

Little Dan war Nick Savers’ einziger Sohn, sieben Jahre alt und der erklärte Liebling der Leute von Silverfield.

Es war noch früh am Vormittag, und die Sonne hatte noch nicht den Dunstkreis über der Prärie im Osten überwunden. Trotzdem sah Little Dans Gesicht aus, als habe er eben eine lange Schichtarbeit im Kohlenbergwerk verlassen. Der hellblonde Haarschopf, der unter dem viel zu großen Stetsonhut hervorlugte, und das Weiße in den Augen bildete einen seltsamen Kontrast zu den schwärzlichen Schmutzflecken auf Dan Savers’ Wangen.

„Mensch, Burn“, schrie Dan aufgeregt, „da hat doch grad einer geschossen!“

Delano fingerte nervös am Halfterriemen seines Schecken herum und hatte keinen Blick für den kleinen Savers.

„Mensch, Burn“, rief ihn Little Dan nochmals an, „hast du nicht gehört, dass einer geschossen hat?“

Burn Delano hatte endlich das Halfter los, warf es dem Wallach über den Kopf und sprang mit einem Satz in den Sattel. Seltsamerweise preschte er noch nicht los. Er warf in einem Augenblick des Zögerns einen abschätzenden Blick auf den schmutzigen Jungen unter ihm, lind in dieser Sekunde reifte sein Plan.

Little Dan hatte seine beiden schmutzigen Daumen hinter den breiten Ledergürtel gesteckt, der die auf Zuwachs berechnete, viel zu weite Hose zusammenhielt und sah in wichtigem Ernst zu Burn Delano auf.

Burn duckte sich etwas und warf einen scheuen, gekniffenen Blick hinter sich. Er sah Farmer Lester mit der dicken Witwe Hilton in der Tür des Bäckerladens stehen, sah Keith und Herald Williams, die ihre Hände unter den Jacketts versteckt hielten, wo ihre Schießeisen staken, und er sah vor allem Cecil Johns, der sich unmissverständlich an Lex Jordans Hauswand schmal machte. Das war doppelte und dreifache Gefahr ... er musste handeln ...

„Mensch, Burn“, schrie Little Dan, „warum sagst du denn nichts?“ Delano gab keine Antwort auf die Frage des kleinen Jungen, sondern beugte sich schnell entschlossen aus dem Sattel, griff Little Dan an den Armen und riss ihn mit einem Ruck hinter sich in den Sattel.

Und schon stieg der Schecke auf die Hinterhand, drehte sich herum und schoss im Galopp, hohe Staubwolken aufwirbelnd, die Straße hinunter.

Der Cowboy Cecil Johns ließ einen zischenden Fluch zwischen den zusammengebissenen Zähnen heraus, schnellte sich von Lex Jordans Haus ab und fing zu laufen an. Farmer Lester stieß mit den Ellenbogen der Witwe Hilton gegen die gewölbte Schürze, so dass ihr die stählerne Brille auf den Stupsknorpel rutschte und sie in den Laden zurückgeworfen wurde, wo sie nun leider nichts, aber auch gar nichts mehr von den erregenden Ereignissen draußen wahrnehmen konnte.

Der dürre Lester dagegen rannte auf die Straße und eilte an der Seite des Cowboys Johns hinter dem flüchtenden Delano her.

„So’n verfluchter Kerl“, keuchte er wütend und hielt sich die Seiten.

„... nimmt den Boy als Deckung, der Hundsfott!“, schrie Cecil Johns vorwärts stürmend.

Sie rannten, was ihre Beine hergaben, durch die aufwirbelnden Staubwolken, aber ihr Beginnen war natürlich zum Scheitern verurteilt, denn Delano war mit seinem rasenden Pferd fast schon außer Sicht.

„So’n Schwein“, keuchte Lester wieder und hielt ermattet und. ausgepumpt inne.

Auch Cecil Johns verlangsamte seine Sprünge, als er sah, dass Lester aufgegeben hatte, und dann stand er still und stieß brummend seinen Colt in das Holfter zurück. „Verdammter Staub ...“, murmelte er, „den Burschen hätt’ ich aber noch erwischt ...“

Farmer Lester starrte den Cowboy an, während er nach Atem rang. „Hättest bestimmt den Jungen getroffen“, keuchte er kopfschüttelnd, und beide rieben sich den Schweiß aus den Gesichtern. Johns fletschte die großen, gelben Zähne.

„Verflucht nochmal“, schimpfte er in den gebräunten, wie rissiges Leder aussehenden Hals hinein. Sie wandten sich um, schoben die Stetsons, auf denen die gelbe Vormittagssonne lag, ein wenig ins Genick und stelzten missmutig die Straße zurück.

Inzwischen hatte sich die Witwe Hilton zwischen ihren goldgelben, duftenden Brotlaiben, die wohlausgerichtet wie behäbige Soldaten auf den Wandregalen lagen, wieder gefasst, die Schürze glattgezogen und die Brille in den Nasenknick gerückt, und so war sie erneut vor die Ladentür getreten und hatte mit den alten Brüdern Williams die Debatte fortgesetzt. Keith Williams war der rüstigere von den beiden, die, obwohl sie neugierig genug waren, das erregende Schauspiel unter der Tür ihres Hauses zu verfolgen, im Grunde ihres Herzens sich doch erleichtert sahen, als sie gewahr wurden, ihre Schießeisen besser im Gürtel unter den Jacken stecken zu lassen. Er begriff, dass die dicke Witwe recht hatte, wenn sie meinte, es sei dringend vonnöten, Sheriff Small zu verständigen, und so machte er sich, von den betulichen Ermunterungen seines Bruders befeuert, auf den Weg zum Amtssitz des Gesetzesvertreters von Silverfield.

Farmer Lester und Cecil Johns gingen indessen auf die Bank zu, mit der gerundeten Witwe Hilton im Gefolge, die plötzlich laute hysterische Schreie ausstieß, als sie durch die inzwischen wieder auf den Stupsknorpel gerutschte Brille den armen Nick Savers in seinem Blute liegen sah.

Lester beugte sich zu dem Leblosen hinab und untersuchte ihn.

„Cecil“, sagte er, indem er sich aufrichtete, „setz dich auf deinen Gaul und verständige den Doc in Rockville! Sag ihm, der Schuss sitzt in der linken Schuller ... Mach schnell, bring ihn her ...“

Der Cowboy setzte sich mit einem „Okay“ in Trab. Er hatte seinen braven Gaul weiter unten in der Straße vor Chestmans Bar angelhalftert, und wenn es ihm auch nicht gelungen war, diesem schuftigen Kidnapper Burn Delano einen feurigen Denkzettel ins Genick zu brennen, so konnte er doch jetzt auf der Dreimeilenstrecke nach Rockville zeigen, wie ein alter Cowboy reitet.

***

Keith Williams redete so viel und so wirr durcheinander, als er vor Sheriff Small stand, dass dieser beim besten Willen nicht begriff, was eigentlich vorgegangen war. Er hörte nur immer wieder die Namen Nick und Dan Savers aus dem erregten Gestammel des Alten heraus, und dass es mit den beiden und dem Whiskyhändler Burn Delano etwas auf sich habe. So schnallte er denn entschlossen den Patronengurt mit den beiden Colts um seinen ansehnlichen Bauch und stapfte los, indem Keith, unentwegt seine zahnlückige Rede wimmernd, ihm folgte.

Unterwegs schloss sich den beiden Männern halb Silverfield an, und als der Sheriff die Bank betrat, füllte sich die Straße mit Neugierigen von einer Seite zur andern.

Während Small neben Nick Savers hinkniete und Farmer Lester berichtete, was er gesehen hatte, ließ draußen auf der erhöhten Türschwelle der Bank die dickliche Witwe Hilton einen wahren Wasserfall über die lauschende und gaffende Menge los, die Schürze um ihr Kattunkleid kam nicht mehr zur Ruhe, die stählerne Brille hüpfte förmlich auf ihrer stupsigen Nase auf und ab, während sie zum weiß Gott wievielten Male Burn Delanos, Nick Savers’ und Little Dans Historie der letzten halben Stunde schnatternd zum besten gab.

Nick Savers lag in einer großen Lache schwarzgeronnenen Blutes. Sheriff Small schien der besonnenste unter den aufgeregten Leuten von Silverfield zu sein, denn er zog ohne Umschweife Nick die Jacke aus, um sie ihm zusammengerollt als Liegekissen unterzuschieben. Nick Savers stöhnte dabei vor Schmerz, hinterher fühlte er aber doch eine merkliche Erleichterung.

„I le, Nick “, sagte Small, „tut mir schrecklich leid für dich. Hoffentlich ist der Doc bald da.“

„Habt ihr — nach dem Doc geschickt?“, murmelte der Verletzte schwach.

„Cecil Johns von der Prince-Ranch ist unterwegs, Nick. Der Boy reitet wie ein Teufel!“

„Schau nach — der Kasse, Sheriff!“, stöhnte Nick.

Jetzt freilich erinnerte sich Small daran, dass er das Bankkonto Burn Delanos gesperrt hatte. Verdammt, der verfluchte Kerl hatte sämtliches Bargeld, das in der Kasse war, mitgehen lassen. Nur einige Centstücke lagen noch verstreut auf dem Stahlboden.

„Alles beim Teufel“, schimpfte Small vor sich hin. „Dieser Halunke hat bei Gott Respekt vor dem Gesetz ... Aber verlass dich auf mich, Nick! Die Bank wird ihr Geld zurückbekommen.“

Nick Savers wälzte sich unruhig hin und her, die Wunde’ brannte ihn wie das höllische Feuer; wahrscheinlich war die Lunge angeschlagen. Mitunter drang hellrotes schaumiges Blut aus dem Einschusskanal heraus.

„Bleib ruhig, Nick“, mahnte der Sheriff. „Bis der Doc kommt, musst du es aushalten, und wenn’s noch so weh im.“

Small sah, dass etwas geschehen musste, wenn Nick Savers nicht verbluten sollte; er musste einen Notverband angelegt bekommen, der die Blutung stillte.

In diesem Moment schob sich die Witwe Hilton, unbezähmbar in ihrer Neugier, mit hochrotem Apfelgesicht über die Schwelle des Kassenraumes. Ihre kurzsichtigen Augen blinzelten über den Rand der verschobenen Brille hinweg auf den Verwundeten.

„He, du neugierige Brötchentante“, sagte Small grob zu ihr, „du kommst mir gerade recht.“ Sie waren alte Bekannte und gehörten zu Silverfield wie die Nase ins Gesicht, aber der Sheriff machte dessen ungeachtet seit jeher sarkastische Vorbehalte gegen ihre ständig besserwisserische Schwatzsucht geltend. „Besorg mir sofort frisches Leinen, damit wir Nick einen Verband anlegen können! Aber dalli, dalli, es ist keine Zeit mehr zu verlieren, hörst du, altes Klatschmaul —!“

Der Witwe Hilton verschlug es Gott sei Dank die Sprache über so viel Grobheiten, die ihr der Hüter des Gesetzes an den stupsnasigen Kopf warf, der — Gott war ihr Zeuge — in allen Ehren ergraut war. Mit der Linken die Schürze fassend und die Rechte an der unvermeidlich rutschenden Brille, machte sie verstört kehrt, um das verlangte Leinen zu holen. Aber während sie noch davonwatschelte, überschlug sie bereits, was sie gesehen hatte, und am Feuer ihres redseligen Geistes kochten schon die neuen Berichte über Nick Savers’ erbarmungswürdigen Zustand.

Zum guten Glück kam Doktor Dix gerade noch recht, um Nick die Schmerzen zu ersparen, die er von Sheriff Smalls ungeübten Händen beim Anlegen des Notverbandes zu erdulden gehabt hätte. Doktor Dix hatte in seiner langen Praxis kaum etwas anderes getan als unzählige Coltkugeln aus allen möglichen Körperteilen herausgeholt, die er dann sachkundig und zu einem ordentlichen Schmiss zusammenflickte. So fand seine Sonde auch bei Nick Savers den schweren Bleibatzen; er förderte ihn ans Tageslicht und legte dem Stöhnenden ebenso flink einen kunstgerechten Verband an. Jetzt erhob sich die Frage, wohin Nick geschafft werden sollte, denn er war seit Jahren Witwer und hatte sich mit seinem kleinen Dan schlecht und recht in einem frauenlosen Haushalt durchgeschlagen.

„Witwe Hilton muss Nicks Pflege übernehmen“, entschied Sheriff Small kurz und mit einem Funken sarkastischer Befriedigung. „Wenn Sie wieder rüberkommen, Doc, um nach dem Kranken zu sehen, finden Sie ihn im Haus nebenan.“

Hierauf nahm sich Small die Witwe Hilton noch einmal vor.

„Hör mal gut zu, du altes Sprachrohr“, schärfte er ihr ein, „ich habe keine Zeit mehr zu verlieren, die Verfolgung Delanos aufzunehmen. Du bleibst an Nicks Bett und bewachst ihn, den ganzen Tag über, und wenn nötig auch in der Nacht. Ich will keine Klage von Nick hören, verstanden! Sonst Gnade dir Gott — ich sperre dich ein, und wenn Silverfield ohne Brot und ohne dein Geschwätz bleiben muss ...!“

Witwe Hilton wabbelte mit den Apfelbacken und ihre vermaledeite Brille wäre am liebsten bis auf das gescholtene Mundwerk hinuntergerutscht, aber sie nickte sprachlos eifrig zu Sheriff Smalls Ermahnungen. Nick Savers sollte bei ihr in der denkbar besten Pflege sein.

„Und noch etwas, meine Liebe“, sagte Small mit leiser Stimme zu ihr, „du bist mir dafür verantwortlich, dass Nick nicht erfährt, was mit Little Dan geschehen ist. Der Doc sagt, er darf es nicht wissen, weil die Sorge um den Jungen seinen Zustand ernstlich — hörst du — ernstlich gefährden kann!“

Dann wurde Nick Savers mit aller Vorsicht in das Haus der Witwe Hilton geschafft. Der Sheriff versiegelte die Tür der Bank von Silverfield.

Bevor das schwer bewaffnete Aufgebot ausritt, um Delano zu verfolgen, trat ein Farmer an den Sheriff heran und berichtete ihm, er habe auf dem Heimweg vom Feld zur Farm einen eiligen Reiter gesehen, der einen kleinen Jungen vor sich im Sattel hielt. Das könne nur Burn Delano gewesen sein, und er war in südlicher Richtung geritten ...

Small wunderte sich über diese Nachricht.

„Kaum zu glauben, dass der Bursche die Frechheit besitzen soll, nach Süden in die bewohnte Gegend zu reiten“, meinte er skeptisch. „Ich dachte vielmehr, er wird Schutz in den Wäldern bei seinen roten Freunden suchen ... Aber wenn du es sagst, Jim, dass er nach Süden ritt, wird es seine Richtigkeit haben ... Also los, Männer ...!“

Gegen Abend dieses ereignisreichen Tages erwies sich die Ansicht, Burn Delano sei mit Little Dan und dem geraubten Geld in den dicht besiedelten Süden geritten, als ein nicht wieder gutzumachender Irrtum. Der Reiter mit dem Jungen im Sattel, den Farmer Jim Cross in übereilter Hast dahinjagen sah, war der Rancher Joe Jennison. Sein Jüngster war an Keuchhusten erkrankt und er ritt mit ihm in die Stadt zum Arzt.

So fehlte von Burn Delano und dem kleinen Dan jede Spur ...

***

Die Prärie rings um Silverfield war fruchtbares Land. Viele Bäche durcheilten es und an den Bachufern grünten hohe Erlen und Espen. Soweit das Auge reichte, reihte sich ein Weizenfeld ans andere.

Die Farmer standen sich nicht schlecht, zumal es all die Jahre her keine Missernte infolge schweren Sturms oder Hagelschlags gegeben hatte.

Ein weiterer Vorzug war außerdem unzweifelhaft in der Person Nick Savers’ gegeben. Mit glücklicher Hand leitete der gewissenhafte schmächtige Mann die Geschäfte der Landwirtschaftsbank von Silverfield. Eigentlich waren es nicht reine Bankgeschäfte, sondern vielmehr die einer genossenschaftlichen Vereinigung.

Die Farmer hatten sich nicht nur wegen verbilligter Darlehen zusammengeschlossen, sondern weil ihnen die Bank auch neue landwirtschaftliche Maschinen besorgte, ohne dabei allzu viel Gewinn einzustreichen. Und zudem verkaufte sie den Weizen der Farmer ebenso gewinnbringend wie später das Vieh der Rancher, die sich in dem welligen Gelände, das sich vor dem Gebiet der Blauen Berge erstreckte, nach und nach niedergelassen hatten.

Mit dem Geschick eines weit in die Zukunft schauenden Spekulanten warf Nick Savers den Weizen von Silverfield wie das Schlachtvieh stets dann auf den Markt, wenn er gewiss war, den besten Nutzen aus dem Handel zu ziehen.

Andererseits hielt er mit den großen Werten der Genossenschaft zurück, sobald die Preise schwankten, und auf diese Weise erlitt die Landwirtschaftsbank von Silverfield niemals Verluste. Ebenfalls durch Nicks Vermittlung hatten die Rancher bald mit dem kleinen Rinderschlag der Gegend aufgeräumt und nach und nach das hervorragende Herefordrind eingeführt, mit dem sie jetzt durchwegs gute Züchtungserfolge hatten.

Allerdings waren die grasbewachsenen Hänge oft recht sandig und der wilde Salbei wucherte mit seinen silbergrauen Blättchen niedrig zwischen Ginsterfeldern und halbverdorrtem Dornengestrüpp. Nördlich von diesem Weideland aber ragten die Blauen Berge in den weiten Himmel hinauf. An klaren Tagen, bevor eine Regenzeit einsetzte, schimmerten sie fern und in blauen Dunst gehüllt, bis nach Silverfield herüber. Dann wandte mancher Farmer seinen sehnsuchtsvollen Blick auf ihre verschwimmenden Gipfel. Unermesslich dehnte sich der Wald von den Blauen Bergen nach Norden. Nur wenige Leute aus Silverfield waren bisher dort gewesen, und was man über das Waldland wusste, war mehr oder weniger unsicheres Gerede, aus dem sich kein klares Bild herausschälte.

Am Adlerfluss, einem Nebenfluss des großen Hood River, hatte die Fama einen verrückten Trapper und Fallensteller angesiedelt, mit dem Namen Old Harris. Von ihm erzählte man sich in Silverfield, dass er jeden Fremden, der sich in der Nähe seiner halb verfallenen Hütte zeige, ohne Warnruf mit seiner vorsintflutlichen Büchse über den Haufen schoss.

Wunderliche Leute mussten dort oben im Norden, in der Wildnis, hausen, und fremd war den Farmern das Bergland mit seinen rauschenden Bächen und Flüssen, den im Winde raunenden Urwaldriesen und dem Wild, das dort fast ungestört durch die wenigen Menschen in völliger Freiheit seine Wechsel zog.

Dort stand das Trittsiegel des urig-starken Grislybären noch in den weichen Waldboden geschrieben, wenn er mit gewaltigen Prankenhieben eine gestürzte Schierlingsfichte zu Splittern zermalmte, um die fetten Maden der Holzwespen zu finden.

Der Puma äugte mit seinen Bernsteinaugen aus dem dunklen Geäst des Bergahorns auf die vorüberziehenden Tiere, und, ein grauer Schatten, huschte der grimmige Wildkater von Baumwipfel zu Baumwipfel, von Ast zu Ast und schlug mit seiner buschigen Rute erregt die Flanken, sobald er Beute erspähte.

Der rote Luchs hauste in den undurchdringlichen Dickungen der Jungwälder, und in den langen sternklaren Winternächten zitterte das Haarwild vor Entsetzen, sobald der Chor der riesigen Waldwölfe mark- und beinerschütternd durch die Einöde drang.

Wenn im herbstlich bunten Wald die Blätter fielen, röhrte der starke Elch, der Rothirsch und der Weißwedelhirsch seinen Brunftschrei über Berg und Tal, und zahllos waren die Rudel der Rehe, die aufgeregt emsig durch die Wälder wippten ...

Das alles gab es jenseits der Blauen Berge, tief in den Wäldern rings um den Hood River, wo die Reservationen der Rothäute lagen. Es war ein Land, dem die ständig vordringende Kultivierung noch nicht ihren unverkennbaren Stempel aufgedrückt hatte. Wie in Urzeit erschaffen, lag es unberührt, wild und frei in stolzer Einsamkeit.

Die Stürme der Tag- und Nachtgleichen brausten über die Wälder, fegten hinweg, was morsch und faul war und trugen manches Samenkorn aus den Tälern hoch hinauf in die Berge, wo es in einer Felsspalte zu keimen begann. Der lange schneereiche Winter hüllte die Wildnis in blaue Schatten ein und in den klirrend-kalten Nächten spaltete der Frost hundertjährige Baumriesen von der Wurzel bis hinauf zur windzerzausten Krone.

Wenn dann der Frühling zart, wie eine liebende Hand über die Berge strich, wurden die Quellen neu geweckt und ließen eine Welt ungeahnter Schönheit erstehen, bis der glühend-heiße Sommer mit Blitz und Donner versengend durch die ausgetrockneten Wälder ging ...

Welch ein Land musste das sein! Im ständigen Dunkel des Waldes die schmalen Wildwechsel zwischen Riedgras und Dickung, der wild dahinrauschende Fluss mit seinen abenteuerlich verhangenen Buchten und gekrümmten Ufern, die sonnenüberflutete Waldwiese, die das Glück der jungfräulichen Einsamkeit barg ... Welch ein Land! —

***

Die Menschen, die zerstreut innerhalb des Waldes hausten, waren wunderliche, wortkarge Gesellen, denen die ewige Abgeschiedenheit meist ein paar Sparren aus dem Oberstübchen gelockert hatte. Und der verrückteste von all diesen sprichwörtlichen Hinterwäldlern musste Old Harris sein, der mir nichts, dir nichts ohne Anruf auf jeden Fremden schoss, der sich seiner Hütte näherte — hol’s der Teufel!

Burn Delano seufzte schwer, während er mit einem dürren Ast in der ersterbenden Glut des kleinen Lagerfeuers herumstocherte. Das Feuer war notwendig, um nicht von den Myriaden von Stechmücken buchstäblich aufgefressen zu werden, die in der warmen Herbstnacht die Luft des Waldes mit ihrem feinen Sirren erfüllten.

Little Dan schlief, vor Hunger und Erschöpfung zusammengekrümmt wie ein Igel, auf der anderen Seite des Feuers. Der Junge war so müde, dass er nicht einmal durch die schauerlichen Rufe der großen Graueule geweckt wurde. Diese nächtlichen Räuber wussten aus Erfahrung, dass Käfer und Nachtfalter durch den Feuerschein angelockt wurden und daher leichte Beute waren. Deshalb huschten sie auf lautlosen Schwingen herbei, blockten in den Kronen der umstehenden Zedernbäume auf und ließen gellend ihren Jagdschrei erschallen. Aber Little Dan schlief den Schlaf der Erschöpfung ...

Burn Delano dagegen konnte nicht einschlafen. An den Fingern seiner Hand musste er sich ausrechnen, dass Sheriff Small sämtliche Männer von Silverfield aufgeboten hatte, um nach ihm und Little Dan zu suchen. Er wusste genau, dass Kidnapping, wie man Kindesraub nannte, das scheußlichste Verbrechen war, das sich der freie Bürger der Staaten vorstellen konnte.

Er wusste ganz genau, dass ihn sogar jeder vogelfrei im Lande umherschweifende Strolch, Mörder oder Wegelagerer bekämpfen würde, weil er ein Kidnapper war. Kindsraub versetzte das ganze Land derart in Panik und Aufruhr, dass so lange jedes Waldstück, jeder Winkel im Gebirge und selbst bis in die unwegsame Wüste hinein pausenlos durchsucht wurde, bis man das geraubte Kind gefunden hatte. Bei dieser Gelegenheit wurden, nebenher gewissermaßen, viele unbekannte Verbrechen entdeckt, die besten Verstecke gefunden, und die geheimen Wege und Pfade der Desperados und Pferdediebe abgeschnitten und zerstört, so dass ein Kidnapper auch ihrer schonungslosen Rache verfallen war.

Es war eine verrückte, beinahe instinktmäßige Idee von Burn gewesen, den kleinen Dan Savers hinter sich in den Sattel zu nehmen. Dadurch durfte er gewiss sein, dass Lester und Johns niemals auf ihn feuern würden, denn eine bessere Deckung gab es nicht als den Kleinen, der in ganz Silverfield der erklärte Liebling und in jedem Haus bekannt war.