Cordulas Vermächtnis - Leni Behrendt - E-Book

Cordulas Vermächtnis E-Book

Leni Behrendt

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Beschreibung

Leni Behrendt nimmt längst den Rang eines Klassikers der Gegenwart ein. Mit großem Einfühlungsvermögen charakterisiert sie Land und Leute. Über allem steht die Liebe. Leni Behrendt entwickelt Frauenschicksale, wie sie eindrucksvoller nicht gestaltet werden können. Es war so ein richtiges Stiemwetter. Ehe die Schneeflocken die Erde erreichten, wurden sie von dem johlenden Nordost herumgewirbelt zu einem lustigen Tanz. Es sah aus, als kugelten Wattebäuschchen durcheinander in rasendem Spiel. »Wenn das so weitergeht, sind wir bald eingeschneit«, sagte ein Mann, der mit einer älteren Dame beim Frühstück saß. Sie merkten allerdings nichts von dem Schneetreiben draußen, in dem lauschigen Frühstücksstübchen war es mollig warm. Eben brachte der Diener die Post, was seinen Herrn erstaunte. »Damit habe ich bei dem Wetter nun wirklich nicht gerechnet. Wer brachte die Sachen, Wendlin?« »Der Herr Oberinspektor hatte im Dorf zu tun, Erlaucht, und brachte daher die Post mit, die heute sonst nicht bestellt würde.« »Bei dem Wetter kein Wunder. Danke, Wendlin.« Der Diener zog sich zurück, und Graf Tronde-Trollstein sortierte die Briefe. Die persönlichen hielt er zurück, die geschäftlichen kamen in die Rentmeisterei. Fast hätte er auch einen Brief größeren Formats dazugelegt, weil er im Geschäftskuvert steckte. Doch dann stutzte er, las den Namen und sah zu der zierlichen Dame hin, die ihm gegenüber saß und ein weiches Ei mit Behagen löffelte. »Ja, sag mal, Tante Milda, was hast du denn verbrochen?« fragte er lachend. »Dieses umfangreiche Schreiben stammt nämlich von einem Notar und ist an dich adressiert –« »Aber Odalger, um Gottes willen!«

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Leni Behrendt Bestseller – 5 –

Cordulas Vermächtnis

… ist ein bildschönes Mädchen, das allein in der Welt steht

Leni Behrendt

Es war so ein richtiges Stiemwetter. Ehe die Schneeflocken die Erde erreichten, wurden sie von dem johlenden Nordost herumgewirbelt zu einem lustigen Tanz. Es sah aus, als kugelten Wattebäuschchen durcheinander in rasendem Spiel.

»Wenn das so weitergeht, sind wir bald eingeschneit«, sagte ein Mann, der mit einer älteren Dame beim Frühstück saß. Sie merkten allerdings nichts von dem Schneetreiben draußen, in dem lauschigen Frühstücksstübchen war es mollig warm.

Eben brachte der Diener die Post, was seinen Herrn erstaunte.

»Damit habe ich bei dem Wetter nun wirklich nicht gerechnet. Wer brachte die Sachen, Wendlin?«

»Der Herr Oberinspektor hatte im Dorf zu tun, Erlaucht, und brachte daher die Post mit, die heute sonst nicht bestellt würde.«

»Bei dem Wetter kein Wunder. Danke, Wendlin.«

Der Diener zog sich zurück, und Graf Tronde-Trollstein sortierte die Briefe. Die persönlichen hielt er zurück, die geschäftlichen kamen in die Rentmeisterei.

Fast hätte er auch einen Brief größeren Formats dazugelegt, weil er im Geschäftskuvert steckte.

Doch dann stutzte er, las den Namen und sah zu der zierlichen Dame hin, die ihm gegenüber saß und ein weiches Ei mit Behagen löffelte.

»Ja, sag mal, Tante Milda, was hast du denn verbrochen?« fragte er lachend. »Dieses umfangreiche Schreiben stammt nämlich von einem Notar und ist an dich adressiert –«

»Aber Odalger, um Gottes willen!« Sie sah ihn erschrocken an. »Du weißt doch, ich verbreche nichts. Steht wirklich mein Name auf dem Brief?«

»Ja.«

»O Gott, was mag das sein?«

»Lies, dann wirst du es wissen.«

»Willst du den Brief nicht öffnen?«

»Bitte schön, aber lesen mußt du ihn schon selbst. Es wird dich ja nicht gleich einer fressen wollen, du ängstliches Gemüt. So, da hast du deinen Schreck in der Morgenstunde.«

Als müßte die alte Dame etwas anfassen, das nicht ganz geheuer war, nahm sie das geöffnete Schreiben in Empfang.

Wer hatte ihr da etwas von so großer Wichtigkeit mitzuteilen? Was sie dann las, ließ ihre Augen immer größer werden.

»Mein Gott –«, ließ sie das Blatt sinken. »Das geht doch nicht– nein, das geht doch wirklich nicht –«

»Was denn?« wurde der Neffe aufmerksam.

»Daß ich – aber am besten ist, du liest selbst. Tu es doch – bitte!«

Widerwillig nahm er das Schreiben aus der zitternden Hand. Er kannte die Art des alten Fräuleins, alles so schrecklich wichtig zu nehmen, und machte sich daher auf eine Lappalie gefaßt. Doch kaum hatte er einen Blick auf das Schreiben geworfen, wurde er stutzig und las dann interessiert Zeile um Zeile.

»Das ist allerdings recht merkwürdig.« Er legte das engbeschriebene Blatt unangenehm berührt auf den Tisch. »Wer ist diese Cordula von Calgen eigentlich? Eine nähere Verwandte von dir, da du denselben Familiennamen trägst?«

»Sie war mit Papas Bruder verheiratet«, gab das alte Fräulein eifrig Auskunft, das vor Aufregung rote Bäckchen hatte. »Er starb vor einigen Jahren als General. Tante Cordula war so etwas wie ein Familienschreck.«

»Aha! Daher auch der Kommandoton in dem Brief. Was meint sie damit, daß du mit dem, was sie von dir verlangt, eine Dankesschuld abtragen könntest?«

»Sie hat, als Papa so krank war – wir kamen mit seiner Pension so schlecht aus – uns unterstützt –«, stammelte sie beschämt. »Wir haben aber nicht darum gebettelt – sie tat es aus sich selbst heraus.«

»Dann muß sie doch ganz gutmütig gewesen sein«, stellte der Graf sachlich fest. »Schon, daß sie das fremde Mädchen aus der Tyrannei der Verwandten befreite und es zu sich nahm.«

»Das kann sie auch aus Berechnung getan haben«, bemerkte Milda verlegen. »Sie brauchte jemand zur Betreuung – und es hielt niemand bei ihr aus.

Nach Papas Tod fürchtete ich, daß sie mich zu sich kommandieren würde – aber da kamst du und nahmst mich mit. Ich bin dir ja so dankbar, Odalger –«

»Schon gut«, winkte er kurz ab. »Es geht hier um das junge Mädchen, das dir deine Tante als Vermächtnis hinterließ. Also wirst du diese Erbschaft antreten müssen.«

»Aber Odalger, wie soll ich das wohl machen? Ich bin doch selbst hier nur so – so – so –«

»Mildchen, du stotterst ja schon wieder!« unterbrach er sie lachend. »Freu dich lieber, daß du Gesellschaft bekommst. Jammerst doch genug, daß du immer allein sein mußt. Das Haus ist doch so groß, da werden wir wohl noch ein neunzehnjähriges Mädchen unterbringen können, und satt wird es auch werden.«

»Wenn du das nur willst«, wurde sie nun eifrig, »Kleider brauchst du ihr nicht zu kaufen –«

»Wofür ich auch kaum die geeignete Persönlichkeit sein dürfte«, warf er lachend ein. »Was meinst du wohl, Mildchen, wie man in den Geschäften schmunzeln würde, tauchte ich dort auf, um so zarte, süße Sächelchen zu kaufen!«

»So habe ich es doch nicht gemeint«, wehrte sie errötend ab. »Ich wollte damit sagen, daß ich für die Kleidung des Mädchens sorgen werde. Aber wo ist es überhaupt, wo können wir es finden?«

»Wahrscheinlich wird der Notar auf dem Begleitschreiben die Adresse angegeben haben.«

»Aber ich habe doch das Schreiben gar nicht.«

»Sieh im Umschlag nach. So ein Dokument pflegt von der Amtsstelle nicht ohne Kommentar zu kommen.«

So war es auch. Der Notar teilte mit, daß seine Mandantin, Exzellenz von Calgen, ihn damit beauftragt hätte, nach ihrem Tode ihrer Nichte, Fräulein Milda von Calgen, beiliegendes Schreiben zu übermitteln. Sie möchte ihm sehr bald Bescheid zukommen lassen, da sein Mündel, Fräulein Gerdis Wächter, sich augenblicklich in seinem Hause befinde, dort jedoch nur vorübergehend bleiben könnte, weil er Junggeselle wäre – und so weiter.

Der Graf, der auf die Bitte der Tante auch diesen Brief lesen mußte, meinte achselzuckend: »Da bist du gewissermaßen gezwungen, das kleine Fräulein zu dir zu nehmen, Tante Milda. Wie die Exzellenz schreibt, soll es aus guter Familie und tadellos erzogen sein, also wird es dich nicht genieren.«

»Aber dich wird es stören.«

»Mich stört so bald nichts. Um so weniger, da ich mit dem Zuwachs nichts zu tun habe.«

»Das sollst du auch nicht, Odalger. Ich werde dir die Kleine immer fernhalten.«

»Warum das?« fragte er verwundert. »Ich pflege junge Mädchen nicht zu beißen. Es sei denn, sie wäre grundhäßlich und störte somit meinen Schönheitssinn.«

»Das wird sie vermutlich sein, Odalger. Tante Cordula hielt nämlich nichts von schönen Mädchen. Sie sagte immer: Lieber einen Sack Flöhe hüten als ein hübsches Lärvchen! Entschuldige mich bitte. Ich werde sofort dem Notar schreiben, daß du die Güte hast, dem Fräulein Asyl zu gewähren.«

»Mich schalte ganz aus, Tante Milda. Das Erbstück gehört dir, nicht mir.«

*

Mit einem Mordsspektakel ratterte die Kleinbahn die vom Schnee befreiten Schienen entlang und hielt auf der kleinen Station.

Nur wenige Passagiere stiegen aus, darunter ein junges Mädchen.

Neben sich zwei schwere Koffer, die der Schaffner aus dem Gepäckwagen geholt und abgesetzt hatte, stand das junge Menschenkind da wie bestellt und nicht abgeholt – im wahrsten Sinne des Wortes. Ängstlich sah sie zu, wie die Menschen in die Schlitten kletterten und abfuhren, schaute sehnsüchtig dem bimmelndem Züglein nach und zuckte zusammen, als eine Baßstimme neben ihr sprach: »Na, Fräuleinchen, wo wollen Sie denn hin?«

»Nach Trollstein.« Schüchtern sah sie den untersetzten Mann an, den das Pelzwerk so vermummte, daß nur Nase und Augen zu sehen waren.

»Nach Trollstein –?« wiederholte er gedehnt. »Was wollen Sie denn da?«

»Ich soll dort wohnen.«

»Bei wem?«

»Bei Fräulein von Calgen. Sie erwartet mich.«

»Na, nun schlägt’s dreizehn!« sagte der Mann verblüfft. »Davon weiß ich ja gar nichts. Dann kommen Sie mal mit. Falls Sie eine Schwindlerin sind, wird sich das ja herausstellen. Sind das Ihre Koffer?«

»Ja – bitte –«

Er nahm sie hoch und trug sie zu dem schmucken Schlitten, der unweit stand. Verstaute sie mit Geschick in dem kleinen Gefährt und klappte die Pelzdecke hoch.

»Dann mal rein in die gute Stube!« brummte er gutmütig, und ebenso gutmütig betreute er den unverhofften Fahrgast. Zog die weiche Pelzdecke hinten hoch bis zum Kopf, vorn hoch bis zum Kinn, kroch dann selbst unter die wärmende Hülle. Ein Zungenschnalzen, dann trabte das ungeduldige Pferd an.

»Da haben Sie aber mal Glück gehabt, daß ich zufällig auf dem Kleinbahnhof war«, eröffnete er das Gespräch. »Sonst hätten Sie die vier Kilometer zu Fuß tippeln müssen. Ein angefrorenes Näschen und angefrorene Zehchen wären das gewesen, was Sie sich auf dem Spaziergang hätten holen können. Und wie wollten Sie die beiden schweren Koffer schleppen, Sie Heimchen?«

»Irgendwie hätte es eben gehen müssen, aber so ist es natürlich besser. Ich danke Ihnen, mein Herr, daß Sie mich mitnahmen.«

»Hmmm –«, brummte er. »Wenn ich nur erst wüßte, wen ich mitnahm. Werden Sie wirklich von Fräulein von Calgen erwartet?«

»Ja.«

»Als was?«

»Das weiß ich nicht.«

»Wer schickt Sie her?«

»Mein Vormund.«

Mißtrauisch musterte der Mann seine Nachbarin, von der er jedoch nur ein rotes Näschen zu sehen bekam. Die Mütze war bis in die Augen gezogen, bis zu den Ohren reichte die Pelzdecke. So warm umhüllt konnte man schon der Kälte trotzen.

Mit einem anderen Gefährt wäre man kaum durch den Schnee gekommen, der stellenweise zu Schanzen aufgeweht war. Allein die Kufen des Schlittens durchschnitten sie, und so konnte es kommen, daß man ohne Schwierigkeiten sein Ziel erreichte.

Vor dem Portal des Schlosses hielt der Schlitten. Der Mann stieg die Freitreppe hinauf, klingelte kräftig, worauf der Diener erschien.

»Hören Sie mal, Wendlin, ich habe auf dem Kleinbahnhof ein Fräulein aufgelesen, das behauptet, von Fräulein von Calgen erwartet zu werden. Haben Sie eine Ahnung, ob das stimmen könnte?«

»Sehr wohl, Herr Oberinspektor. Das gnädige Fräulein erwartet eine junge Dame.«

»Und warum wurde diese nicht abgeholt?«

»Das entzieht sich meiner Kenntnis, Herr Oberinspektor.«

Dieser brummte etwas vor sich hin, wandte sich seinem Fahrgast zu, war ihm beim Aussteigen behilflich und stellte die Koffer ab. Dann nahm er wieder im Schlitten Platz, während das Mädchen zaghaft die Freitreppe hinaufstieg und an dem Diener vorbei die Halle betrat, deren Pracht das Dinglein noch mehr einschüchterte, als es ohnehin schon war.

»Wen darf ich melden?« fragte der Diener, den man mit hochherrschaftlich bezeichnen konnte.

»Gerdis Wächter.«

Bevor der Würdige sich noch in Bewegung setzen konnte, huschten flinke Füße die mit schwellenden Teppichläufern belegte Marmortreppe hinab und machten vor der Angekommenen halt, die das zierliche Persönchen ein gutes Stück überragte.

»Da bist du ja, mein Kind! Komm mit, kannst oben ablegen.«

So rasch zog sie das Mädchen mit sich fort, als könnte jemand ihr Einhalt gebieten. Sie atmete auf, als sie in ihrem Zimmer stand.

»So, mein Herzchen, hier sind wir ungestört. Ich freue mich ja so, daß du endlich da bist!«

»Ich danke Ihnen, gnädiges Fräulein«, begann das Mädchen schüchtern, doch die andere ließ sie nicht ausreden.

»Die Anrede wollen wir von vornherein lassen, Gerdis. Ich bin für dich die Tante Milda. Hast du in dem Mäntelchen auch nicht gefroren?«

»Nein, Tante Milda. Der Mantel ist warm.«

Sie legte ihn ab, gleichfalls die Mütze, und stand nun da in all der Schönheit, welche die Natur diesem Lieblingskind mitgegeben hatte. Wie Bernstein funkelte das leichtgelockte Haar, die Augen in dem feinen Gesicht leuchteten grün-blau. Weich schmiegte sich das Kleid um den ranken Körper und ließ ein Paar Beine sehen, um die manch eine Diva das Mädchen beneiden konnte.

»Um Gott, Kind –«, sagte Milda betroffen, »du siehst ja ganz anders aus, als ich dich mir vorgestellt habe! Brauchst mich nicht so ängstlich anzusehen. Mir gefällst du gut, sehr gut sogar. Aber ich fürchte –«

Was sie fürchtete, blieb unausgesprochen.

»Kind, du zitterst ja. Ist dir kalt?«

»Ein wenig schon, Tante Milda.«

»Du Armes! Setz dich dicht an den Heizkörper und zieh die Schuhe aus. Ich werde bei Wendlin eine Brühe bestellen, die wird dir guttun.«

Wie auf ein Stichwort trat der Diener ein, gefolgt von einem Mann, der die Koffer des Mädchens trug, sie abstellte und dann wieder verschwand.

»Wendlin, Sie kommen wie gerufen«, sagte Milda. »Bringen Sie dem gnädigen Fräulein eine Brühe, so heiß wie möglich. Dazu einen Imbiß.«

Nachdem der Mann sich entfernt hatte, wandte das alte Fräulein sich wieder Gerdis zu, die artig im Sessel saß und sie aus den wunderbaren Augen aufmerksam ansah.

»So, mein Herzchen«, nahm Milda nun auch Platz. »Bald wirst du die heiße Brühe bekommen. Wie lange warst du unterwegs?«

»Seit fünf Uhr, Tante Milda.«

»Aber warum denn schon so früh?«

»Onkel Albert meinte –«

»Wer ist das?«

»Mein Vormund, der Rechtsanwalt und Notar Doktor Albert Mattens.«

»Ach so, den nennst du Onkel. Und was meinte er?«

»Daß dieser frühe Zug die beste Verbindung hätte. Mit einem späteren wäre ich erst abends auf dem Kleinbahnhof eingetroffen. Und da wir nicht genau wußten, ob ich abgeholt werden würde –«

»Ja, siehst du, mein Kind«, unterbrach Milda sie verlegen. »Das ist hier so eine Sache. Mein Neffe, den ich um ein Gefährt hätte bitten können, ist nicht zu Hause. Und auf eigene Faust wagte ich nicht zu handeln, weil ich hier – gar nichts zu sagen habe. Versteh mich nicht falsch, Gerdis, er läßt mich das nicht fühlen, dafür ist er ein zu nobler Mensch. Aber ich bin doch von ihm abhängig und hier zu nichts nutze. Daher darf ich mir keine Rechte anmaßen, sondern muß hübsch bescheiden sein. Aber ich durfte dich zu mir nehmen«, fuhr sie eifrig fort. Ein Geräusch war an der Tür.

»Ah, da ist ja auch unser Wendlin. Rollen Sie den Servierwagen dicht an das gnädige Fräulein heran, damit es nicht von der Heizung wegzugehen braucht. Es ist nämlich sehr durchgefroren.«

Der Diener tat, wie ihm geheißen, zog sich dann zurück, und Milda ermunterte: »Trink die Brühe, so heiß du kannst, und iß dazu. Wenn du seit fünf Uhr unterwegs bist, also zehn Stunden, mußt du doch tüchtigen Hunger haben.«

»Eigentlich nicht, Tante Milda.« Gerdis löffelte vorsichtig die Brühe. »Onkel Alberts Wirtschafterin gab mir Schnitten mit.«

Was für eine melodische Stimme sie hat – dachte das alte Fräulein entzückt. So weich und so warm. Überhaupt alles an dem Mädchen ist so wunderschön, so apart, so eine rechte Augenweide. Odalger darf sie nicht sehen – nein, das darf er nicht! Er würde …

»Tante Milda?«

»Ja, mein Kind?«

»Tante Milda – hoffentlich falle ich Erlaucht nicht zur Last –«

»Darum hab keine Angst!« wurde sie rasch unterbrochen. »Wie sollst du ihm zur Last fallen, wenn er dich nicht zu sehen bekommt? Du ißt hier oben – oder magst du das nicht?«

»Doch, das ist mir sogar lieb.«

»Das freut mich. Ich muß allerdings unten essen, wenn er zu Hause weilt. Aber er ist sehr viel fort, ist so ein richtiger Globetrotter. Du glaubst ja gar nicht, wie glücklich ich über dein Hiersein bin, Gerdis! Nun brauche ich nicht mehr allein zu sein, habe immer Gesellschaft. Paß mal auf, wie nett wir uns das Leben einrichten werden! Freust du dich auch so darauf wie ich?«

»Ja, Tante Milda. Du bist zu lieb zu mir – und ich hab jetzt doch wieder ein Zuhause –«

Das letzte klang schon tränenerstickt, und liebevoll streichelte Milda die weiche Mädchenwange.

*

Es war an einem Nachmittag Anfang Februar, als der Schloß­herr nach vierwöchiger Abwesenheit nach Hause zurückkehrte.

Der Diener, der zum Empfang seines Herrn herbeieilte, bekam einen freundschaftlichen Klaps auf die Wange.

»Nun, mein Getreuer, alles in Ordnung?«

»Sehr wohl, Erlaucht.«

»Freut mich. Ein Bad, einen Imbiß und dann unsern Feldwebel zum Rapport.«

Eine Stunde später trat der »Feldwebel« ein. Groß, starkknochig, mit einem strengen Gesicht, dunklem, glattgescheiteltem Haar und mit peinlicher Sauberkeit gekleidet. Blütenzart war die weiße Latzschürze, ebenso zart die Streifen an Ärmel und Kragen, das schwarze Kleid zeigte kein Stäubchen.

Kein Wunder, daß in dem weiten Schloß mustergültige Ordnung herrschte, ohne daß der Herr sich darum zu kümmern brauchte. Er konnte beruhigt auf Reisen gehen, weil er zu Hause alles in den besten Händen wußte.

»Nun, Mile, wie war’s?« fragte er gutgelaunt; denn das war er, wenn er Emilie mit diesem Namen ansprach, wie er es als Knabe tat. »Steht alles noch unerschütterlich fest in diesem großen Kasten?«

»Sehr wohl, Erlaucht, es steht.«

»Genauso wie du, Milchen«, zwinkerte er ihr zu und horchte dann auf, als draußen ein frischfröhliches Lachen aufklang.

»Nanu, wer lacht denn da so mitreißend?«

»Fräulein Wächter, Erlaucht.«

»Wächter – wer ist denn das?«

»Die Pflegetochter des gnädigen Fräuleins, Erlaucht.«

»Ach so, die hatte ich total vergessen. Wie macht sie sich?«

»Weiß ich nicht, Erlaucht. Das gnädige Fräulein hält sie sozusagen unter Verschluß.«

»Ist die Kleine hübsch?«

»Der Geschmack ist verschieden, Erlaucht.«

»Mildchen, was sind wir doch bloß zugeknöpft!« Er erhob sich lachend und trat an das Fenster, da wieder das goldige Lachen aufklang. In respektvoller Entfernung hielt sich die Beschließerin Emilie, aber immerhin so, daß sie sehen konnte, was da unten vor sich ging.

Und das war erfreulich. Wie zwei übermütige Kinder tollten sie umher, das fünfundfünfzigjährige Fräulein Milda und das neunzehnjährige junge Mädchen, bewarfen sich mit Schneebällen und lachten ausgelassen dazu.

»Donnerwetter –«, sagte der Mann am Fenster verblüfft – aber das eine Wort sprach Bände.

Unten war die lustige Schlacht beendet. Beide Paar Skier geschultert, ging Gerdis neben Milda her, eifrig auf sie einsprechend. Die Enden des bunten Schals flatterten im Wind, und lustig pendelten die Troddeln des feschen Mützchens. Dann waren sie den Blicken der beiden Menschen am Fenster entschwunden.

Der Graf ging zum Schreibtisch zurück, nahm Platz, während Emilie neben dem Tisch stehenblieb.

»Nun berichte, Emilie, was sich in meiner Abwesenheit begeben hat. Aber bitte, nur das, was wirklich von Bedeutung ist.«

»Dann hat sich nichts begeben, Erlaucht. Daß Fräulein Wächter seit vier Wochen im Schloß lebt, ist ja nicht von Bedeutung.«

»Stimmt. Hast du über etwas Klage zu führen?«

»Nein, Erlaucht.«

»Dann mach’s weiter gut, Mile. Ich bin froh, dich zu haben.«

Es war das höchste Lob, das der vergötterte Herr ihr spenden konnte. Sie verschloß es im Herzen wie eine Kostbarkeit. Beglückt zog sie von dannen, und lächelnd sah er ihr nach.

Es gab noch jemand, den der von den Frauen vergötterte Mann über alle Frauen stellte: die Schwester seiner Mutter, die unweit ihren Besitz hatte. Er verspürte Sehnsucht nach ihr – und schon hielt er den Telefonhörer in der Hand, wählte die Nummer und hörte gleich ihre vertraute Stimme: »Ergleff. Was gibt’s?«

»Ich bin’s man bloß, Heidschnuckchen.«

»Ach, du Stromer bist es. Auch wieder mal ins Nest zurückgefunden? Wo hast du dich überall herumgetrieben?«

»Wo es schön war.«

»Also wo es so’n Gelichter von Frauensleuten gibt, du unverbesserlicher Sünder. Was willst du von mir?«

»Deine liebliche Stimme hören.«

»Frech, wie gewöhnlich. Komm morgen und hol dir die übliche Kopfwäsche. Heute habe ich dafür keine Zeit.«

Sie legte auf, und der Neffe schmunzelte. Wie ein frischer Wind wirkte das nach all den säuselnden Windchen vergangener Wochen.

Es klopfte, und gleich darauf stand Milda im Zimmer. Zaghaft streckte sie dem Heimgekehrten die Hand hin, über die er sich artig neigte.

»Guten Tag, Odalger«, sagte sie verlegen. »Ich hörte von Wendlin, daß du nach Hause gekommen bist, und möchte dich begrüßen.«

»Nett von dir, Tante Milda. Nimm Platz und erzähle, wie es dir ergangen ist.«

Sie kam seinem Wunsch nach und sagte so froh, wie der Mann sie noch nie gesehen hatte: »Gut ging es mir, Odalger. Du weißt doch sicher schon, daß Fräulein Wächter seit einigen Wochen bei mir ist?«

»Ja, das weiß ich. Wie kommst du mit ihr aus?«

»Wunderbar. Ich danke dir, daß du sie zu mir kommen ließest. Nun hab ich doch endlich einen Menschen, für den ich sorgen kann. Sie ist für alles so dankbar, ist so bescheiden, so lieb – Verzeih, ich langweile dich sicher damit. Hast du dich auf deiner Reise gut amüsiert?«

»Kann man wohl sagen. – Es gongt, gehen wir zum Essen.«

Es war ein saalartiges Gemach, das sie kurz darauf betraten. Mit allem Glanz ausgestattet und traditionsgemäß in Ehren gehalten. Im Erker war der runde Tisch gedeckt, und kaum hatte der Hausherr einen Blick draufgeworfen, als er die Brauen zusammenzog.

»Warum nur für zwei Personen gedeckt, Wendlin?«

»Das gnädige Fräulein wünscht es so, Erlaucht.«

»Warum das, Tanta Milda? Wir haben jetzt doch eine dritte Hausgenossin.«

»Fräulein Wächter möchte oben essen, Odalger.«

»Was sie möchte, spielt keine Rolle«, nahm sein Unwille zu. »Sie hat sich nach der Hausordnung zu richten. Sag dem gnädigen Fräulein, daß es sich herunterbemühen möchte, Wendlin.«

Als dieser gegangen war, sagte Milda vorwurfsvoll: »Das hättest du nicht tun dürfen, Odalger. Fräulein Wächter ist nicht angezogen.«

»Nanu, läuft sie denn nackt herum?«

»So meinte ich das natürlich nicht. Ich meinte – sie ist – sie wird – sie hat – Odalger, bitte –«

»Dein Gestammel hilft dir nichts, Tante Milda. Du weißt, hier gilt nur mein Wille.«

»Aber ja, Odalger, ist doch schon gut. Ich wußte ja nicht, daß du sie am Tisch haben willst – und dann – und überhaupt – sie wird sich vor dir fürchten.«

»Nun schlägt’s dreizehn!« lachte er kurz auf. »Als was für einen Baubau hast du mich denn der jungen Dame geschildert?«

»Odalger, ich bitte dich! Wo ich dir soviel verdanke, kann ich dich doch nur loben. Aber du hast ja keine Ahnung, wie verschüchtert Fräulein Wächter war, als sie hier ankam. Mit viel Liebe ist es mir gelungen, sie zutraulich zu machen. Sie ist jetzt ein herziges, frischfröhliches Menschenkind – aber nur in der ihr vertrauten Umgebung. Wenn sie hierher kommt, wird die Pracht ringsum sie einschüchtern. Bitte, Odalger, laß sie in der ihr gewohnten Umgebung bleiben!«

»Das geht nicht, Tante Milda. Die Dienerschaft würde ja gar nicht wissen, als was sie die junge Dame ansehen soll, wenn sie nicht ganz und gar zu uns gehört. Und das muß sie, willst du dem letzten Willen der Exzellenz gerecht werden. Immerhin ist Fräulein Wächter die Tochter eines Landrats, also durchaus würdig, die Beine unter unsern Tisch zu strecken. Noch etwas?«

»Nein, Odalger. Du hast ja bereits entschieden –«

Weiter kam sie nicht, da Gerdis eintrat – hilflos um sich schauend, wie ein verängstigtes Kind.

Mit dem Lächeln, das schon so manches weibliche Wesen betört hatte, ging der Hausherr ihr entgegen.

»Aber gnädiges Fräulein, warum denn die Angstaugen? Ich pflege kleine Mädchen nicht zu fressen. Seien Sie mir herzlich willkommen.«

»Danke, Erlaucht.«

Indes hatte Wendlin ein drittes Gedeck aufgelegt, und man nahm am Tisch Platz.

Gerdis mußte mit den Tränen kämpfen, so sehr fürchtete sie sich vor dem Mann, obwohl er sie so nett begrüßt hatte. Wie gern wäre sie davongelaufen in ihr Reich, das ihr zum trauten Zuhause geworden war! Aber sie mußte hier verharren, weil der herrische Mann sie unter seinen Willen zwang.

Und plötzlich glaubte sie die barsche Stimme der Exzellenz zu vernehmen: »Mädchen, jetzt reiß dich mal gefälligst zusammen! Ein guterzogener Mensch darf sich nie gehen lassen, auch wenn ihm noch so miserabel zumute ist.«

Oftmals hatte Gerdis das zu hören bekommen und so manches andere mehr, was sie beherzigt hatte und auch weiter beherzigen wollte. Denn was Tante Cordula gesagt hatte, war für sie wie ein Evangelium.

Also riß Gerdis sich zusammen – und schon ging es besser. Sie wagte sogar den Blick zu heben und war froh darüber, daß der stolze Mann sie gar nicht beachtete, sondern sich mit Milda unterhielt. Wie dunkel seine Stimme war, wie betörend sein Lachen!

*