Cotton Reloaded - Sammelband 11 - Leonhard Michael Seidl - E-Book

Cotton Reloaded - Sammelband 11 E-Book

Leonhard Michael Seidl

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Beschreibung

Eine neue Zeit. Eine neue Mission. Ein neuer Held: Erleben Sie die Geburt einer neuen Legende! COTTON RELOADED ist das Remake der erfolgreichen Kultserie "Jerry Cotton".

Drei spannende Thriller in einem Band:

Das Pin-up-Girl: Bei der Bergung eines Trucks in Maine wurden neunzehn Leichen im Laderaum entdeckt. Die Ermittlungen führen zu dem terroristischen Geheimbund "Ulfberth", der in New York zum großen Schlag ausholt, während gleichzeitig ein ehemaliges Pin-up-Gril für Aufruhr sorgt ...

Ebene Null: In einem Kleintransporter entdecken Cops hochmoderne Waffen aus den Beständen des US-Heimatschutzministeriums, die eigentlich längst vernichtet sein sollten. Bei den Ermittlungen stößt das FBI in ein Wespennest des Department of Homeland Security und begibt sich dabei in tödliche Gefahr ...

Der Zeichner: Der Tod von Senator Jason Morris sorgt für Schlagzeilen. Der Fall scheint zunächst eindeutig: Morris starb an einer Überdosis Heroin. Doch dann findet die Polizei eine Zeichnung auf dem Rücken des toten Senators, die das Porträt eines berüchtigten Drogenbosses zeigt ...

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Ähnliche


Inhalt

Cover

Was ist COTTON RELOADED?

Über dieses Buch

Die Autoren

Impressum

Cotton Reloaded 31 – Das Pin-up-Girl

Cotton Reloaded 32 – Ebene Null

Cotton Reloaded 33 – Der Zeichner

Was ist COTTON RELOADED?

Dein Name ist Jeremiah Cotton. Du bist ein kleiner Cop beim NYPD, ein Rookie, den niemand ernst nimmt. Aber du willst mehr. Denn du hast eine Rechnung mit der Welt offen. Und wehe, dich nennt jemand »Jerry«.

Eine neue Zeit. Ein neuer Held. Eine neue Mission. Erleben Sie die Geburt einer digitalen Kultserie: COTTON RELOADED ist das Remake von JERRY COTTON, der erfolgreichsten deutschen Romanserie, und erzählt als E-Book-Reihe eine völlig neue Geschichte.

Dieser Sammelband enthält die Folge 31-33 von COTTON RELOADED.

Über dieses Buch

Drei spannende Thriller in einem Band:

Das Pin-up-Girl: Bei der Bergung eines Trucks in Maine wurden neunzehn Leichen im Laderaum entdeckt. Die Ermittlungen führen zu dem terroristischen Geheimbund »Ulfberth«, der in New York zum großen Schlag ausholt, während gleichzeitig ein ehemaliges Pin-up-Gril für Aufruhr sorgt …

Ebene Null: In einem Kleintransporter entdecken Cops hochmoderne Waffen aus den Beständen des US-Heimatschutzministeriums, die eigentlich längst vernichtet sein sollten. Bei den Ermittlungen stößt das FBI in ein Wespennest des Department of Homeland Security und begibt sich dabei in tödliche Gefahr …

Der Zeichner: Der Tod von Senator Jason Morris sorgt für Schlagzeilen. Der Fall scheint zunächst eindeutig: Morris starb an einer Überdosis Heroin. Doch dann findet die Polizei eine Zeichnung auf dem Rücken des toten Senators, die das Porträt eines berüchtigten Drogenbosses zeigt …

Die Autoren

Leonhard Michael Seidl ist als freier Schriftsteller und Dramatiker tätig. Bisher publizierte er neben ca. 30 Theaterstücken (mehrheitlich beim renommierten Drei-Masken-Verlag, München) mehrere historische Romane sowie Kriminalromane und den Thriller »Letzte Ausfahrt Giesing« im Verlag Ars Vivendi. Leonhard Michael Seidl ist zudem engagierter Gitarrist und Chorleiter.

Christian Weis, Jahrgang 1966, lebt im Norden Bayerns. Seine Erzählungen wurden in Magazinen und Anthologien veröffentlicht und für den Deutschen Science Fiction Preis sowie den Fränkischen Krimipreis nominiert. Mehr über Christian Weis in seinem Blog »Schreibkram & Bücherwelten« unter: www.chweis.wordpress.com

Kerstin Hamann, 1966 in Bad Kreuznach geboren, lebt mit ihrem Mann und drei Töchtern in der rheinland-pfälzischen Naheregion. Nach ihrer beruflichen Tätigkeit als medizinische Fachangestellte und Fotografin widmet sie sich seit einigen Jahren dem Schreiben von Krimis. 2010 erschien ihr erster Kriminalroman »Abgehakt« im Sutton Verlag, Erfurt. Mit »Innere Werte« (2012) fand der Erfolg ihres Debütromans um Kommissar Martin Sandor eine Fortsetzung und griff das aktuelle Thema der Organspende auf. Kerstin Hamann will die Leser mit ihren Texten fesseln, sie in die Atmosphäre ihres Romans einhüllen, aber auch zum Nachdenken anregen.Besuchen Sie die Autorin auf ihrer Homepage unter: www.kerstinhamann.de

BASTEI ENTERTAINMENT

Digitale Originalausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Uwe Voehl

Projektmanagement: Nils Neumeier

Covergestaltung: Georgina Fritz unter Verwendung von Motiven © shutterstock: DmitryPrudnichenko | Irina Solatges | Pavel K | koosen

E-Book-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-1471-7

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Das Pin-up-Girl

Leonhard Michael Seidl

1

Der Truck röhrte die Straße entlang. Er nahm Tempo auf und wurde immer schneller. Als wäre der Teufel hinter ihm her, raste er die Trasse am Moosehead Lake hinunter.

Die schweren Doppelreifen hinterließen schwarze Spuren in dem rissigen Asphalt.

Die Straße, die von Greenville nach Rockwood führte, war zu dieser späten Stunde so gut wie leer. Der Moosehead Lake, eines der größeren Gewässer im Bundesstaat Maine an der Grenze zu Kanada, lag wie ein bleicher Spiegel in der Landschaft.

Im Führerhaus glomm eine Zigarette auf, als der Fahrer daran sog. Hin und wieder legte er die Kippe in den Ascher und nahm einen großen Schluck aus dem Kaffeebecher. Seit sechzehn Stunden war er unterwegs und hatte kaum eine Pause gemacht.

Der Bursche am Steuer, ein Schwarzer von beachtlicher Statur, wollte den Job so schnell wie möglich hinter sich bringen. Das Ziel hatten sie ihm auf die Rückseite einer alten Roadmap gekritzelt. Doch über die Fracht im Bauch des Trucks hatte man ihm nichts gesagt.

Den Truck sollte er an einem markanten Punkt bei Sherbrooke hinter der kanadischen Grenze abstellen und sich nach Montreal begeben. Dort würde er die zweite Hälfte der Kohle bekommen. Mehr wusste er nicht. Mehr wollte er auch nicht wissen. Die Kerle, die ihm den Job verschafft hatten, kannte er über Leute aus dem County Jail. Es waren Männer mit harten Gesichtern gewesen, denen man keine Fragen stellte. Man tat einfach, was sie befahlen, bekam sein Geld und damit basta.

Eigentlich hatte er sich im Knast vorgenommen, in Zukunft ehrlich zu bleiben. Für einen Einbruch in New York hatte ihm der Richter fünf Jahre verpasst, die er gerade abgesessen hatte.

Aber die Rückkehr in den New Yorker Alltag war schwerer als gedacht. Man musste sich bei der Behörde melden, eine Bude haben und natürlich einen Job.

Jeder hatte für sich selbst zu sorgen. Das war das Mantra von Big Apple: Sei dir selbst der Nächste. So hatte er es über all die Jahre gehalten.

All das ging ihm nicht zum ersten Mal durch den Kopf, während er durch die Nacht Richtung Rockwood fuhr.

Auf einem Privatsender, der ständig für Sekunden verschwamm und wieder auftauchte, spielten sie die alten Bluesscheiben rauf und runter: B. B. King. Son House. John Lee Hooker. Buddy Guy.

Er steckte sich eine weitere Kippe zwischen die Lippen und schüttelte den linken Fuß, damit er nicht wieder einschlief.

Auf der rechten Seite lag der Moosehead Lake, so glatt wie ein Kinderpopo, auf der linken rauschten die Wälder vorbei. Der große Schwarze grinste. Eigentlich war es ganz easy, auf Tour zu sein, Kohle einzuschieben und seinen Gedanken nachzuhängen.

Vielleicht würde er noch ein paar Touren übernehmen. War ja nix dabei. Vielleicht hatte er dann endlich genug Geld, um sich eine Harley oder einen Mercedes leisten zu können.

Ein paarmal war er in dem chromglänzenden Museum von Harley Davidson gewesen, hatte auf einer höllenroten Iron Custom gesessen und wäre sofort losgebrettert, hätte er für das Gerät einen Führerschein besessen.

Schau auf die Straße, Mann!

Der Truck wackelte, als hätte er plötzlich Fieber bekommen. Er beschrieb eine leichte Rechtskurve, als wolle er im Moosehead Lake ein Bad nehmen. Er crashte gegen einen Betonpoller, stellte sich auf, durchbrach die Leitplanke und rutschte die Uferböschung hinab. Das Führerhaus nippte am Wasser. Der See nahm das Gefährt gnädig auf. Nur die Decke des Trucks ragte noch aus dem bleichen Nass.

Der große Schwarze umklammerte das Lenkrad, aber es war zu spät. Sein Genick brach mit einem Laut, als hätte jemand Nüsse geknackt.

Die Uhr neben dem Tacho stoppte bei exakt neun Minuten nach Mitternacht. Genau in dem Augenblick, als Slowhand Clapton After Midnight anstimmte.

2

Er konnte nicht genau erkennen, was sie da in der Hand hielt. Eine rotblaue Girlande von gewaltigen Ausmaßen baumelte direkt vor seiner Nase. Sie zog sich durch den gesamten Raum im Headquarter des G-Teams vom FBI. G-Man Jeremiah Cotton schob die Girlande mit einer energischen Handbewegung zur Seite und sagte: »He, was soll das denn hier werden?«

Seine Kollegin, Special Agent Philippa Decker, warf ihm einen Blick zu, der rundheraus zu erkennen gab, dass der Mann an sich und Cotton im Besonderen nicht in der Lage war, Multitasking in irgendeiner Form zu betreiben.

Decker sagte: »Agent Cotton, falls es Ihnen entfallen sein sollte, so dekorieren wir den Raum heute für eine Geburtstagsfeier. Und zwar für die unseres Chefs Mr John D. High.«

»Weiß er denn davon?«, wollte Cotton wissen, während er mit der Girlande kämpfte. Sie hatte sich um seinen Ellbogen gewickelt und drohte jeden Moment von der Decke zu reißen.

»Nein«, seufzte Decker, »er weiß es nicht. Und das soll auch so bleiben. Es handelt sich ja schließlich um eine Überraschungs-Geburtstagsfeier.«

»Oh!«, machte Cotton mit runden Lippen und ließ den Arm fallen. Das Resultat war eine herabsausende Girlande und ein Wutausbruch von Dr. Sarah Hunter, die ebenfalls an den Vorbereitungen des kleinen Festes teilnahm und soeben versucht hatte, die verdammte Girlande mittels Heftstreifen am jenseitigen Ende des Raumes an einer der Neonleuchten zu befestigen.

»Können Sie nicht aufpassen?«, wies die Forensikerin des G-Teams ihn zurecht, beruhigte sich aber sogleich wieder und begann mit ihrer Arbeit von vorne.

»Agent Cotton ist eben sehr vielseitig, was Katastrophen des Alltags anbelangt«, sagte Decker amüsiert.

»Wann steigt denn nun die Feier, ich meine, wann fangen wir an?«, erkundigte sich Cotton neugierig.

»Wenn der Kaffee durch ist«, sagte Decker und warf einen Blick auf die Snacks, die sie in mühsamer Nachtarbeit angefertigt hatte. Ihre Augen brannten noch immer vom Schneiden der Zwiebeln.

»Und wer nimmt noch teil?«, fragte Cotton.

»Zeerookah wollte dabei sein. Und natürlich unser Sonnyboy Steve Dillagio von der Undercover-Front«, antwortete Dr. Hunter und drapierte die Servietten neben den Kaffeebechern auf dem Tisch.

»Übrigens, um Ihre Frage von vorhin zu beantworten, Cotton«, sagte Decker, »was ich hier in der Hand halte, ist eine Tischdecke. Damit deckt man Tische, wie der Name es bereits vermuten lässt. Aber vielleicht ist das bei Ihnen in Brooklyn nicht bekannt.«

»Sagen Sie mir lieber, wann Mr High auftaucht, damit ich endlich zu meinem Kaffee komme.«

Philippa Decker sah auf ihre Armbanduhr. »Eigentlich sollte er gegen sechzehn Uhr hier sein. Jedenfalls war es so vereinbart.«

»Es ist bereits nach fünf!«, nörgelte Cotton und bewegte sich in Richtung Kaffeemaschine, was ihm aber von Dr. Hunter energisch verwehrt wurde.

»Ich hole ihn!«, entschied Cotton mit kantigen Worten und wollte aus der Tür.

»Was ist denn hier los?«, kam es von Mr High, mit dem Cotton beinahe zusammengestoßen wäre.

»Halloween …«, entfuhr es Cotton.

»Ende April?«, antwortete Mr High befremdet.

»Vorgezogen«, schob Cotton nach.

»Hören Sie auf, Unsinn zu reden«, sagte High genervt. »Montieren Sie lieber diesen Firlefanz ab, und kommen Sie schleunigst in mein Büro. Ich habe vor ein paar Minuten mit Nobby Freeman telefoniert, ein Freund und Kollege aus Augusta.«

»Augusta in Maine?«, fragte Cotton.

»Korrekt«, knurrte Mr High.

»Soll ich auch mitkommen?«, fragte Dr. Hunter. Als Mr High keine Antwort gab, machte sie sich seufzend daran, Girlande, Kaffeebecher und Tischdecke abzuräumen. Von den Snacks ließ sie vorsichtshalber die Finger. In letzter Zeit hatte sie sowieso zu viele Bagels verdrückt.

3

Nachdem Cotton und Decker in Mr Highs Büro Platz genommen hatten, begann ihr Chef mit seinem Vortrag.

»Vor etwa einer Stunde berichtete mir Nobby von einem Dreiachser, der aus noch unbekannter Ursache in einen der Seen dort oben gestürzt ist.«

»Wie heißt der See?«, wollte Decker wissen und zückte ihren Notizblock.

»Moosehead Lake«, entgegnete High nach einem Blick in seine Unterlagen. »Das Dossier für Sie lasse ich gerade zusammenstellen. Sie brauchen also nichts zu notieren.«

Philippa Decker ließ die kleine Rüge ihres Vorgesetzten unkommentiert und spitzte die Ohren.

»Der Truck ist in dem See gelandet«, fuhr Mr High fort. »Beim Aufprall auf das Wasser erlitt der Fahrer einen Genickbruch. Er war auf der Stelle tot. Die Polizei vor Ort fand im Frachtraum des Trucks nur Toilettenpapier. Tausende Rollen.«

»Klorollen?«, japste Cotton überrascht.

High schaute zu Cotton. »Ja, das ist aber nicht der Grund, weshalb ich angerufen wurde. Zwischen dem ganzen Papierzeug wurden diverse Leichenteile von verschiedenen Menschen gefunden. Die Anzahl der Personen sowie ihre Identität ist bisher noch ungeklärt.«

»Eine Frage, Sir.«

»Nur zu, Special Agent Cotton.«

»Was hat der Unfall mit uns zu tun?«

»Sie meinen, neben der großen Leichenanzahl? Nun ja, zum einen das Autokennzeichen. Der Lastwagen ist in New York City gemeldet. Zum anderen ist der Fahrer des Trucks kein Unbekannter für uns. Sein Name lautet Leroy Sliver, Afroamerikaner, vorbestraft. Er wurde erst kürzlich aus Rikers Island entlassen, wo er fünf Jahre abgesessen hatte. Die vorläufigen Ermittlungen meines Kollegen Freeman in Augusta ergaben, dass Sliver den Auftrag für die Fuhre von Leuten hier bei uns erhalten hatte und auch von New York City aus losgefahren war.«

»Wann ist der Unfall genau passiert?«, wollte Decker wissen.

»Er geschah in der Nacht von vorgestern auf gestern«, antwortete Mr High. »Kollege Freeman wollte zunächst Informationen sammeln und uns anschließend informieren.«

»Und wo ist der Truck jetzt?«, meldete sich Cotton.

»Das Fahrzeug steht im Augenblick in einer Lagerhalle nahe dem Städtchen Greenville. Die Leichenteile sind in einer Kühlhalle untergebracht.«

Decker sah zweifelnd auf die große Landkarte an der Wand, vor die Mr High nun getreten war.

»Hier haben wir den Bundesstaat Maine«, begann er. »Hier ist der Moosehead Lake mit den Gemeinden Greenville und, weiter oben, Rockwood.«

»Wohin führt die Straße, auf der der Truck unterwegs war?«, fragte Decker, nun doch mit dem unvermeidlichen Notizblock auf den Knien.

»Die Straße führt am Moosehead vorbei, wo sie die Grenze überquert und dann auf der kanadischen Seite Richtung Quebec führt«, erläuterte High.

»Das heißt, die Leichenteile sollten in Kanada entsorgt werden?«

»Exakt, Cotton. Auf der westlichen Seite des St.-Lorenz-Stroms befindet sich bei Montmagny eine zerklüftete, unübersichtliche Landschaft, die geeignet ist, verdächtige Menschen oder Körperteile derselben schnell und unauffällig zu entsorgen.«

»Aber warum der Aufwand? Was sind das für Leichenteile?«, warf Decker ein.

Mr High streckte sich. »Freemans Leute haben auf einem menschlichen Rumpf – genauer gesagt auf dem Rücken zwischen den Schulterblättern – eine seltsame Tätowierung entdeckt, die dem Kollegen offenbar Kopfzerbrechen bereitet. Und, ehrlich gesagt, mir auch. Denn ich habe ein solches Zeichen noch nie gesehen.«

»Na ja, das muss ja nichts heißen«, entfuhr es Cotton.

Mr High überhörte die Bemerkung, trat stattdessen an die Sprechanlage und rief Dr. Hunter.

»Sind Sie fertig mit Aufräumen, Dr. Hunter?«

»Ja, Sir.«

»Gut. Dann kommen Sie bitte in den Konferenzraum.«

*

Wenig später saßen sie zu viert um den Besprechungstisch. Vor ihnen lag der Ausdruck einer E-Mail aus Augusta. Als Anhang enthielt sie ein Foto.

»Was ist das?«, fragte Decker.

»Die Tätowierung zeigt ein sogenanntes Ulfbehrt-Schwert«, entgegnete Dr. Sarah Hunter, die Forensikerin im Team. »Eine damals hochmoderne germanische Waffe aus dem frühen Mittelalter in Europa. Wofür es allerdings steht, kann ich nicht sagen. Noch nicht jedenfalls.«

»Und was hat das mit den Toten vom Moosehead Lake in Maine zu tun?«, wollte Cotton wissen.

»Genau das wollen wir herausfinden«, gab ihm High zur Antwort.

»Der Flieger nach Bangor, Maine, geht um 19:49 Uhr. Es reisen Special Agent Decker und Cotton. Dr. Hunter recherchiert die weiteren Hintergründe dieses Wunderschwertes und seiner Bedeutung. Damit ist die Sitzung geschlossen.«

»Ach, Mr High«, sagte Jeremiah Cotton im Hinausgehen: »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!«

4

Recherchiert die weiteren Hintergründe dieses Wunderschwertes und seiner Bedeutung … so hatte Mr High die Aufgabe formuliert.

Dr. Sarah Hunter, die für das G-Team Analysen verschiedenster Art durchführte, setzte sich in ihrem Labor an den Laptop, um sich von dem Ulfbehrt-Schwert und seiner Bedeutung ein Bild zu verschaffen. Sie hatte zwar bereits von der Waffe gehört, hatte sie aber in keinen Zusammenhang mit einer in der Gegenwart existierenden Gruppe oder Organisation gebracht. Jedenfalls wusste sie, dass Ulfbehrt-Klingen Spitzenprodukte des Mittelalters darstellten. Das war auch schon alles.

Bei der Suche stieß sie auf die Website der Wallace Collection in London. Zu deren englischer Kunstsammlung gehörte auch ein großer Bestand an Rüstungen und Waffen. Ein Bericht beschrieb die Laboruntersuchungen, die an vierundvierzig Ulfbehrt-Schwertern vorgenommen worden waren. Alle mit der Signatur +VLFBEHR+T versehenen Kriegsgeräte waren aus besonders hochwertigem Stahl geschmiedet worden.

Die Kriegsgeräte waren vom 9. bis zum 11. Jahrhundert in ganz Europa verbreitet: in Irland und Spanien, in Frankreich und Deutschland, in Italien und Kroatien. Ulfbehrt war ein fränkischer Name, erstmals erwähnt in Aufzeichnungen des Klosters St. Gallen in der Schweiz.

Dr. Hunter konnte sich allerdings keinen Reim auf diese Informationen machen. Was hatte das Schwert mit der Tätowierung auf dem Rumpf eines toten Mannes in Maine zu tun?

Sie ging in die angrenzende kleine Küche und braute sich einen starken Kaffee. Zurück am Laptop suchte sie weiter, betrachtete Bilder und Fotos des Schwertes, las komplizierte Abhandlungen und kam trotzdem nicht vorwärts. Konnte sie tatsächlich nichts zu dem Fall beitragen? Das durfte nicht sein. Es musste ja nicht gleich die wundersame Auflösung aller Rätsel sein, aber ein klein wenig sollte Dr. Sarah Hunter allemal beisteuern können. Das verlangte allein schon der Stolz von der hübschen dunkelhaarigen Frau.

Hatte Mr High nicht erwähnt, dass der ums Leben gekommene Fahrer in Rikers Island eine fünfjährige Gefängnisstrafe abgesessen hatte?

Dr. Hunter wählte die Nummer des Gefängniskomplexes auf der Insel im East River vor New York. Es dauerte eine Weile, bis sie die richtige Person an den Apparat bekam. Die stellvertretende Direktorin Rebecca Wulmers betreute den Bereich, in dem Leroy Sliver eingesessen hatte.

»Ich erinnere mich gut an Leroy«, sagte sie mit getragener Stimme, der anzuhören war, dass sie respektiert wurde. Dr. Hunter schätzte sie auf über sechzig, aber Stimmen sagten häufig nichts oder nur wenig über das Alter des Sprechers oder der Sprecherin aus.

»Mit wem war er auf der Zelle?«, fragte Dr. Hunter.

»Leroy war ein großer schwarzer Kerl, der meist gutmütig auf Streiche oder Anfeindungen reagierte«, fuhr Rebecca Wulmers ohne auf die Frage einzugehen fort. »Er konnte sich gut zur Wehr setzen und hatte ein Händchen für Basketball. Ich möchte sogar sagen, er war der beste Werfer, den wir seit langer Zeit hatten. Das verschaffte ihm viele Freunde, aber naturgemäß auch ebenso viele Feinde.«

»Mit wem«, versuchte es Hunter erneut.

»Tja – mit wem? Schwer zu sagen«, entgegnete die Direktorin langsam, als müsste sie darüber nachdenken. Dr. Hunter hörte Papier rascheln. Es entstand eine Pause. Dann sagte Mrs Wulmers: »Also, er hatte zwei Freunde. Einer der beiden war Chinese. Der Bursche wurde vor drei Monaten in Chinatown erschossen. Wie er hieß, weiß ich leider nicht mehr. Die Akten wurden inzwischen an die zuständige Staatsanwaltschaft abgegeben.«

»Und der andere?«

»Der andere – einen Augenblick – der andere hieß – ich komm nicht mehr drauf, sorry. Leroy und dieser andere Bursche hockten immer zusammen, ich erinnere mich genau. Sie redeten, lachten und rauchten zusammen. Keine Ahnung, was es da zu besprechen gab. Ach ja – Leroy nannte ihn Lobo. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«

»Ist das alles?«, fragte Dr. Hunter enttäuscht.

»Ja, leider. Fragen Sie Leroys Bewährungshelfer. Vielleicht kann Ihnen der weiterhelfen.«

Rebecca Wulmers nannte Namen und Telefonnummer des Mannes. Damit war das Gespräch beendet.

Dr. Hunter wählte die angegebene Nummer. Als hätte der Teilnehmer darauf gewartet, meldete er sich sofort auf der anderen Leitung.

»James Bellona hier. Du kannst mich Jimmy nennen. Was darf ich für dich tun?«

»Hier ist Jessica Sliver«, sagte Dr. Hunter in weinerlichem Tonfall. »Ich bin die Schwester von Leroy, und möchte Sie was fragen.«

»Die Schwester von Leroy Sliver? Ich wusste gar nicht, dass Leroy eine Schwester hatte.«

»Was meinen Sie mit hatte, Mr Bellona? Ist ihm was zugestoßen? Ich hatte es im Gefühl. Ihm ist was passiert, oder? Sagen Sie schon!«

Eine Weile herrschte Stille in der Leitung. Dann raffte sich der Bewährungshelfer zu einer Antwort auf.

»Leroy war ein guter Kerl, wie du sicher weißt, Jessy. Aber manchmal tat er Dinge, die man nicht tun sollte.«

»Sagen Sie mir, was los ist«, heulte Dr. Hunter und beglückwünschte sich insgeheim zu ihren darstellerischen Fähigkeiten.

James Bellonas Antwort kam so trocken wie das Tal des Todes:

»Leroy ist von uns gegangen.«

»Oh, mein Gott!«

»Es tut mir so leid, Jessica, aber er ist oben in Maine tödlich verunglückt.«

»Was ist passiert? Wurde er ermordet?«

»Nein«, sagte Bellona so milde wie möglich, »Dein Bruder ist ertrunken. Er sollte einen Truck fahren. Doch damit ist er in einen See gestürzt. Die näheren Umstände kenne ich leider auch nicht. Aber er ist ganz einfach ertrunken. Das ist alles, was ich weiß.«

»War er allein?«

»Keine Ahnung.«

Dr. Hunter wollte nun endlich auf den Punkt kommen.

»Sagen Sie, kennen Sie jemanden, der mehr über die Umstände weiß?«

James Bellona räusperte sich. Man hörte, wie er sich eine Zigarette anzündete. »Eigentlich darf ich das nicht …«

»Oh bitte, ich will doch nur Gewissheit, was mit meinem Bruder passiert ist«, gab Dr. Hunter zurück.

»Nun ja – er hatte wohl einen Freund. – Eher einen Kumpel, von dem er manchmal sprach, wenn wir uns unterhielten. Sein Name ist Cummings – nein Cummingham – nein – Cunningham. So stimmt es: Lobo Cunningham ist sein Name. Hat eine Bude am Hudson. Wenn er da noch ist.«

»Haben Sie seine Adresse?«, bat Dr. Hunter.

»Moment – ja – Edgewater, Undercliff Avenue Nummer 18. Muss eine echte Bruchbude sein, was man so hört.«

»Oh, vielen Dank, Jimmy!«, bedankte sie sich und legte auf.

Nun hatte sie einen Namen und eine Adresse, die sie Leroy Sliver zuordnen konnte. Mr High konnte nun Steve Dillagio, im Team ihr Mann für die Undercovereinsätze, auf Lobo Cunningham ansetzen. Vielleicht wusste Cunningham etwas über die Fuhre, die den armen Leroy nach Maine gebracht und dort in den nassen Tod geschickt hatte.

5

Die Maschine landete pünktlich um 23:09 Uhr auf dem Flughafen von Bangor, Maine. Der Anflug war stürmisch gewesen, dunkle Wolken schickten Regen und Wind. Die Temperatur lag bei gefühlten fünf Grad unter dem Gefrierpunkt. Für die nächsten Stunden kündigte sich ein Blizzard an; die Passagiere wurden über Lautsprecher aufgefordert, im Airport zu bleiben und erst am nächsten Morgen weiterzureisen oder die erzwungene Pause in einem der nahe gelegenen Hotels zu verbringen.

»Wir fahren!«, fauchte Cotton ungeduldig.

»Ich bleibe keine Sekunde hier«, bestätigte Decker. Im selben Augenblick stellte sie fest, dass sie einen warmen Designer-Schal zu Hause gelassen hatte.

Sie eilten hinüber zu Grashoppers. Dort gab es Schals in allen Farben, Längen und Preisklassen. Während Decker einen auswählte, telefonierte Cotton mit dem Kollegen vom örtlichen FBI-Büro.

»Was für einen Wagen habt ihr für uns?«

»Ihr wollt doch nicht etwa jetzt noch losfahren? Ein Schneesturm ist im Anzug!«

»Wir fahren trotzdem.«

»Seid ihr sicher?«, warf der Kollege am anderen Ende der Leitung bedenklich ein.

»Also, was für einen Wagen habt ihr?«, knurrte Cotton zurück.

»Einen roten Jeep. Auf dem Parkplatz!«, lenkte der Kollege ein. Sie beendeten das Gespräch.

Inzwischen fiel der Schnee in großen Flocken vom Himmel. Man sah die Hand nicht vor den Augen. Genauso wenig wie den roten Jeep. Eine geschlagene halbe Stunde irrten sie auf dem riesigen Gelände herum. Erst als sich eine kleine Schneelawine durch eine Windböe von einem Autodach löste, erkannten sie ihr Gefährt.

Der Schlüssel steckte, und Decker, die ewige Sicherheitsfanatikerin, fluchte innerlich über die Nachlässigkeit der Kollegen vor Ort. In New York hätte ihnen Mr High solche Methoden längst ausgetrieben. Aber hier war Bangor, hier war Maine, der Pine Tree State, und damit hintertiefste Provinz.

Selbst in Grinnell, Iowa, in dem Kaff also, in dem Cotton aufgewachsen war, war es besser als hier. Dort gab es freundliche Menschen, die man fragen konnte, die einem halfen, wenn man nicht weiterwusste, und die nicht knurrten wie ein angeschossener Bär, wenn man einfache Fragen stellte. Allerdings gab es in Grinnell auch keinen Flughafen.

Der Wagen schien gut in Schuss zu sein, besaß ein Allradgetriebe und, was im Moment das Wichtigste war, der Jeep hatte eine hervorragende Heizung. Während die Außentemperatur rapide fiel, hatte es im Inneren des Jeeps wohlige vierundzwanzig Grad. Nur die Standheizung fehlte, wie sie später bemerkten.

Cotton nahm den Weg über die 95 nach Houlton, wandte sich dann nach Osten in Richtung Moosehead Lake in den Longfellow Mountains im Piscataquis County.

»Tolle Gegend«, maulte Cotton. Der Scheibenwischer war schwer beschäftigt. Man konnte sogar behaupten, er war restlos überfordert.

Philippa Decker schwieg. Mit dem Zeigefinger wies sie auf die Anzeige der Außentemperatur: 19 Grad Minus. Dann sagte sie: »Ist das ein Diesel?«

»Ja.« nickte Cotton.

»Versulzt Diesel nicht irgendwann?«

»Ach was, so schnell passiert das nicht.«

»Wenn Sie meinen. Wir werden es ja erleben«, meinte Decker und zog den Schal fester um die Schultern.

6

Nach einer Stunde war es dann so weit. Die Außentemperatur war auf dreiundzwanzig Grad minus gesunken. Der Motor begann zu husten, dann stotterte er. Anschließend rollte der Jeep locker aus. Sie standen im Nirgendwo, mitten auf der Straße, der Schneesturm orgelte. Die Welt war gänzlich weiß geworden.

»Was machen wir jetzt?«, meldete sich Decker.

»Aussteigen!«, schlug Cotton vor.

Auf der Straße konnten sie sich frei bewegen, solange sie nicht die Fahrbahn verließen. Links und rechts davon gab es nichts als Brachland. Weit voraus schien etwas zu blinken, vielleicht ein Bahnübergang oder eine Neonreklame, die immer wieder ausfiel.

»Kommen Sie schon, Agent Decker«, sagte Cotton und stapfte los, den Kragen seines Mantels hochgeschlagen und die schwarze Wollmütze tief in die Stirn gezogen. Decker folgte ihm, das Gesicht unter dem Schal versteckt. Ihr Gepäck konnten sie später nachholen. Den Jeep brauchten sie nicht abzuschließen; in dieser Einöde klaute kein Mensch den Wagen.

Der Wind war das Schlimmste. Er trieb die Kälte in die Höhe und ließ die gefühlte Temperatur ins Bodenlose sinken. Er brüllte und röhrte. Schnee fiel vom Himmel, hüllte das Land in Weiß, färbte es grau, zerfloss zu Matsch und überzog die Straße mit einer gefährlichen, trügerischen Eisschicht.

Decker hob den Blick, als sie schließlich vor dem Haus standen, das aus der Ferne geleuchtet hatte. Die Leuchtreklame bildete den Namen des Gebäudes mit roten und blauen Lettern in den amerikanischen Nationalfarben:

MOUNTAIN SIDE PA K HOTEL

Das R von PARK war irgendwann abhandengekommen, und die Stromversorgung schien einen Knacks zu haben, denn das Wort MOUNTAIN flackerte unregelmäßig. Immerhin hatten Cotton und Decker auf diese Weise die rettende Unterkunft entdeckt.

Auf ihr Klopfen hin öffnete sich die Tür. Eine Gestalt trat heraus, wie sie Cotton zuletzt in einem uralten Western begegnet war.

»Was wollen Sie?«, knarzte die Stimme, so alt wie die Welt.

»Ein Zimmer, wenn’s recht ist!«, sagte Cotton frierend. Seine Halbschuhe waren inzwischen durchgeweicht. Seine Geduld näherte sich der Außentemperatur.

Die Augen hinter der Stimme, weibliche Augen wohlgemerkt, musterten die Neuankömmlinge.

»Seid ihr überhaupt verheiratet? Mein Hotel ist keine Absteige, nur damit das klar ist. Und außerdem kostet das Zimmer fünfundsechzig Dollar die Nacht. Ohne Frühstück. Und die Schuhe …«

Cotton hob die Arme, packte das alte Mädchen an den Hüften und stellte es auf die Seite wie eine nutzlos gewordene Blumenvase.

»Danke für den freundlichen Empfang«, sagte er. »Nein, wir sind kein Liebespaar, und nein, wir suchen kein Stundenhotel. Ist Ihnen das recht, Madam?«

»Dennoch …«, hob die Alte abermals an.

»Eine warme Mahlzeit wäre jetzt hilfreich«, beendete Decker die Suada und reichte der Frau die Hand. »Mein Name ist Special Agent Philippa Decker, und der Herr ist mein Kollege Jeremiah Cotton. Wir sind vom FBI.«

»FBI?«, wiederholte die Alte misstrauisch.

»Genau. Wir sind auf dem Weg zum Moosehead Lake, um dort zu ermitteln.« Decker zeigte ihren Ausweis.

Nachdem die Dame des Hauses ihn genauestens studiert hatte, bequemte sie sich nun doch eines etwas freundlicheren Tones.

»Ich heiße Susan Bridger und führe dieses Hotel seit neunundvierzig Jahren.«

Im geheizten Bereich des Hauses schickte ein Kanonenofen wohlige Wärme in den großen Raum, an dessen Tür in goldenen Lettern Dining Room prangte. Es roch nach Lavendel und frischem Bohnenkaffee.

»Ich zeige Ihnen die Zimmer«, sagte Mrs Bridger. »Oder nehmen Sie nur eins?« Dabei zwinkerten ihre Augen tückisch. Zwei Zimmer waren zwar teurer als nur eins, aber wenn es die Herrschaften so wünschten, sollte es ihr recht sein.

»Vorläufig reicht uns Kaffee, Eier, Brot und Speck dazu. Ist das möglich?«, fragte Decker und zog ihren Mantel aus. Cotton entledigte sich nicht nur seines Mantels, sondern schlüpfte auch aus den durchweichten Schuhen.

»Sie haben ein Loch im Socken«, stellte Decker indigniert fest.

Sie öffnete ihren Laptop, der zum Glück keinen Schaden genommen hatte. Zwar war der Akku in einem bedauernswerten Zustand, aber die Steckdose für das Ladekabel war in griffiger Reichweite. Die Arbeit konnte beginnen.

Nachdem Kaffee samt Eiern und Speck verdrückt und die neugierige Zimmerwirtin des Raumes verwiesen war, loggte sich Decker ins Internet ein und importierte über eine sichere FBI-Verbindung die von Dr. Hunter bereitgestellten Daten. Decker und Cotton steckten die Köpfe zusammen und studierten die Informationen genau.

Ulfbehrt-Schwert. Tattoo auf Leichenbrust, notierte Cotton in seinem Smartphone. Und weiter: Lobo Cunningham, Edgewater, Undercliff Avenue Nummer 18. »Können wir sofort wieder streichen«, ergänzte Decker und wies auf den von Steve Dillagio angefügten Bericht.

Lobo Cunningham lebte schon seit längerer Zeit nicht mehr unter der angegebenen Adresse, wie die Nachbarn bestätigten. Der Bursche war offensichtlich untergetaucht, trieb sich irgendwo in der Stadt herum, lebte unter Brücken und beklaute Supermärkte.

Interessant war allerdings, was Steve anschließend vermerkt hatte: Lobo Cunningham schien politisch überaus aktiv zu sein. Er führte große Reden in den umliegenden Kaffeehäusern, besonders wenn er bereits früh am Morgen dort auftauchte. Der Inhalt dieser sogenannten Manifeste war jedoch nicht bekannt. Steve würde sich aber darum kümmern.

Am Ende des Berichtes fanden sich die persönlichen Daten von Lobo Cunningham.

Geboren in New York City, Alter: 38. Eltern unbekannt, keine Geschwister. Schule abgebrochen. Dreiunddreißig Mal vorbestraft wg. Einbrüchen, Betrügereien, Diebstahl, schwerer Körperverletzung. Arbeitslos, kein Beruf. Im Besitz mehrerer Waffen ohne Waffenschein. Führerschein wegen Alkoholmissbrauch entzogen. Mit internationalem Haftbefehl gesucht u. a. wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Der Mann ist gefährlich!

*

Nachdem Cotton sein Zimmer bezogen hatte, stand er noch lange am Fenster und wälzte Gedanken.

Was war Lobo Cunningham für ein Mensch? Womit verdiente er sein Geld? Welche Reden schwang er in den Lokalen? In welcher Verbindung hatte er mit Leroy Sliver gestanden? Was hatte die Polizei genau in dem havarierten Truck im Moosehead Lake gefunden? In Mr Highs Dossier war lediglich von Leichenteilen und dem Tattoo eines Schwertes die Rede gewesen. Mit welchen Typen stand Cunningham in Kontakt? Ein politischer Aktivist? In welcher Richtung? Oder doch wieder nur das unausrottbare Geschwür der Mafia?

Nein, er konnte noch nicht schlafen. Außerdem hatte er Durst. Den Kühlschrank würde er auch ohne Mrs Bridger finden.

Als er unten im Korridor stand, hörte er plötzlich ihre Stimme. Sie war nicht zu überhören. Offensichtlich telefonierte sie.

Er hörte gerade noch die letzten Sätze: »Die zwei Schnüffler dürften jetzt erst einmal schlafen, Chief. Sei auf der Hut.«

7

Dr. Hunter saß in ihrem Appartement und hatte neben dem Frühstückstoast und grünem Tee den Laptop aufgeklappt. Was der Bildschirm darbot, war faszinierend.

Dieser Lobo Cunningham schien direkt mit dem Teufel im Bunde zu stehen.

Bald zeigte sich auch die Schnittstelle zu dem mysteriösen Ulfbehrt-Tattoo auf dem Rumpf des Toten im Moosehead Lake. Die internen Dokumente aus der Datenbank des FBI ergaben verblüffende Details, wenn man die einzelnen Informationen nur sauber genug filterte. Es war, wie so oft, eine Frage der Intuition und der Sturheit, die Dr. Sarah Hunter von Anbeginn ihrer Tätigkeit beim FBI ausgezeichnet hatte. Sie wischte eine Haarsträhne aus der Stirn und las.

Cunningham hatte ein Netzwerk aufgebaut und Kontakt zu so zwielichtigen Organisationen wie dem National Socialist Movement (NSM), den Aryan Nations (AN), der National Alliance (NA), der White Revolution sowie der US-Volksfront aufgenommen.

Wie die Unterlagen weiter zeigten, hatten bereits mehrere Zusammenkünfte stattgefunden, die in der Gründung des Ulfbehrt-Bundes gemündet waren. Es handelte sich um einen die gesamte USA umspannenden Zusammenschluss rechtsradikaler Gruppierungen unter dem Ulfbehrt-Dach. Angeführt von Lobo Cunningham. Wie er das geschafft hatte, war Dr. Hunter ein Rätsel, aber er hatte es geschafft.

Offenbar war eine Gruppierung wie das National Socialist Movement als eigenständige Partei zu schwach, um ihre Ziele zu verwirklichen.

Las man genau nach, so galt das auch für die Aryan Nations, die National Alliance, die White Revolution sowie die US-Volksfront. Wobei die Volksfront eine sehr kleine Splittergruppe darstellte, die sich jedoch gern mit markigen Sprüchen in den Vordergrund schob.

Die Arischen Nationen hingegen waren vom FBI bereits vor Jahren als terrorverdächtige Organisation eingestuft worden. Angeblich schreckten die AN auch nicht vor Atombombenangriffen auf New York City oder Washington zurück.

Dieser Abschaum wuchs jetzt zusammen und bedrohte damit die nationale Sicherheit der USA. Lobo Cunningham hatte sich zum Führer erkoren.

Blieb die spannende Frage nach der Finanzierung. Aber auch das würde sich klären, dessen war sich Dr. Hunter sicher. Es gab immer einen verrückten Milliardär oder fanatischen Potentaten, der solche verbrecherischen Strukturen förderte und bezahlte.

Neben anderen Hintergrundinformationen zu dem Thema war auch die Rede von dem Kampf in einem Steinbruch am Stadtrand von New York City. Eine Gruppe von Ulfbehrt-Leuten hatte eine Prügelei mit einer schwarzen Gang angezettelt, in deren Verlauf Messer und Schusswaffen zum Einsatz gekommen waren. Etliche Männer hatten ihr Leben verloren, darunter wohl auch ein Ulfbehrt-Kämpfer.

Dessen tätowierten Torso fand man in dem havarierten Truck im Moosehead-Lake. Offenbar hatte man versucht, die Leichenteile außer Landes nach Kanada zu schaffen, um sie dort unauffällig zu entsorgen. Dabei war der Truck von der Straße abgekommen und in den See gestürzt.

Fügte man die Puzzleteile zusammen, so ergab sich folgendes Bild: Ein Mann namens Lobo Cunningham hatte eine gefährliche Organisation aufgebaut, die den sozialen Frieden in den Vereinigten Staaten bedrohte.

Dr. Hunter stellte ein weiteres Dossier zusammen und schickte es per E-Mail zu den Kollegen nach Maine.

*

Philippa Decker wurde durch die Schneefräse geweckt, die am Haus entlangratterte. Das gewaltige Fahrzeug warf die weiße Pracht in hohem Bogen nach links und nach rechts, sodass sie einen Wall beiderseits des breiten Fahrweges erzeugte. Zugleich bemerkte Decker, dass die Eisblumen am Fenster zu tauen begannen. Sie sah zur Uhr. Neun Uhr vierunddreißig. Sie fühlte sich merkwürdig schlapp. Ihr war schlecht, und als sie sich an die Stirn fasste, hätte sie schwören können, dass sie Fieber hatte.

Trotzdem kletterte sie aus dem Bett. Höchste Zeit, sich an die Arbeit zu machen!

Den Laptop nahm sie mit in den Frühstücksraum, in dem Cotton bereits auf sie wartete. Er schien wenig geschlafen zu haben, war schweigsam, fast mürrisch, wie an jedem Morgen. Cotton kaute an einem Butterbrot herum, den gebratenen Schinken und die beiden Spiegeleier hatte er nicht angerührt.

Erst als sie sich zu ihm an den Tisch setzte, schien er sie bewusst wahrzunehmen. »Verzeihung, aber Sie sehen heute morgen …« Das Wort, das ihm auf der Zunge lag, verschluckte er und fuhr fort: »… total übermüdet aus.«

»Danke, genauso fühl ich mich auch. Das liegt aber nicht an zu wenigem Schlaf.«

»Sondern?«

»Ich fürchte, das war der Burger, den Sie mir vor unserem Flug aufgeschwätzt haben.«

»Unsinn! Sie haben auf den Low-Fat-Chickenburger bestanden. Ich habe Ihnen gleich gesagt, dass in dem Schuppen nur der Cheeseburger zu empfehlen ist.«

»Ja, ich weiß, mit extra triefendem Käse und fettiger Sauce. Jedenfalls rumort es in meinem Bauch.«

»Ich hoffe, es ist nichts Ernstes?« Er blickte sie besorgt an.

»Machen Sie sich keine Sorgen. Wir sind hier, um unsere Arbeit zu tun, Agent Cotton, nicht, um unsere privaten Wehwehchen zu diskutieren.«

»Na schön, wenn Sie meinen.«

Decker schenkte sich eine Tasse Kaffee ein, verzichtete aber auf Milch und Süßstoff.

Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Umhüllt von weißem Nebel stürmte ein gewaltiger Mensch herein, verpackt in eine Steppjacke, auf dem Schädel eine Fellmütze, an den Händen wollene Fäustlinge und an den Füßen schwere Stiefel, die fast bis zu den Knien heraufreichten. Er sah aus wie eine riesige Schneekugel.

»Ihr Wagen steht jetzt in der geheizten Garage«, keuchte er.

»Danke!«, sagte Decker überrascht.

»Nichts zu danken. Das ist mein Job in dieser Bruchbude. »

In diesem Augenblick kam Mrs Bridger aus der Küche gesaust, eine Kaffeekanne samt Kaffeebecher in der Hand.

»Wirst du wohl aufhören, unsere Gäste mit deinem Gerede zu behelligen?«

»Gib mir den Kaffee«, blaffte er und entriss ihr den Kaffeebecher. Sie schenkte ihm schweigend ein und wandte sich dann an ihre Gäste.

»Das ist mein Hauswart. Wir nennen ihn liebevoll den Grizzly von Greenwood. Wir sind verlobt.«

»Verlobt?«, fuhr er auf. »Verlobt, sagst du?«

Mrs Bridger achtete nicht auf ihn. »Meine Herrschaften, ich bedaure, aber hier oben in Maine kommt es selbst im April immer wieder zu heftigen Schneestürmen und Temperaturstürzen. So schnell sie kommen, so schnell verschwinden diese Wetterphänomene wieder. Morgen sieht es schon wieder anders aus. Jedenfalls steht Ihr Jeep nun wohlbehalten in meiner Garage und ist vom Schnee befreit. Mein Verlobter hat sich darum gekümmert.« Sie betonte das Wort ‚Verlobter’ dermaßen sarkastisch, dass dem Mann, der inzwischen Mütze, Handschuhe und Jacke abgelegt hatte, der Kragen platzte. Unter der Mütze quoll dichtes rotes Haar hervor. Er wartete, bis Mrs Bridger den Raum verlassen hatte, dann rückte er näher.

»Ich geb’s ja zu: Die alte Schreckschraube hält mich am Leben.« Der Mann lehnte sich entspannt zurück. Sein gewaltiger Kugelbauch überprüfte derweil die Dehnbarkeit der Hosenträger. »Verlobt waren wir ungefähr zwei Monate. Dann wusste ich, wie der Hase läuft. Wollte sofort abhauen.«

»Und?«, fragte Decker amüsiert.

»Na ja, was soll man sagen. Bin eben hängen geblieben. Der Beruf und so weiter. Sie wissen ja, wie das ist.«

»Wie ist es denn?«, fragte Cotton. Die Eier hatte er vertilgt, der Teller war leer.

»Vor meinem Job als Hauswart in diesem Hotel war ich Polizist.«

»Polizist?«, echoten Decker und Cotton überrascht.

Der große Bursche rappelte sich auf und nahm Haltung an. »Ich hab mich noch gar nicht vorgestellt. Ruben Scherbaum, dreiundsechzig Jahre alt, in Ehren entlassen in den verdienten Ruhestand. Ich war der Polizeichef von Greenville, dem hässlichsten Nest südlich des Äquators.«

»Nördlich«, sagte Decker mehr zu sich selbst.

»Meine Freunde nennen mich Ruben.«

Cotton und Decker erhoben sich und reichten Ruben die Hand. Dann setzten sie sich wieder.

»Wenn ihr Leute des Rechts Hilfe braucht, lasst es mich wissen. Ich hab da einiges zusammengetragen, was diese Trucks anbelangt. Das war nämlich nicht der erste, der hier durch ist. Allerdings der erste, der verunglückt ist.«

»Danke, Ruben«, sagte Decker.

»Dann will ich mal wieder in den Sattel steigen«, meinte Ruben. »Bevor mich die alte Schreckschraube aus dem Haus scheucht.«

Er ging zur Tür, die sich im selben Moment öffnete. Herein trat ein Mann in der Uniform der hiesigen Polizei. Ruben und der Mann gingen grußlos aneinander vorbei. Der Ex-Polizist ließ die Tür kräftig zufallen. Der Uniformierte zuckte irritiert zusammen.

8

»Chief Raymond Hingsley mein Name«, sagte der Mann mit einer Fistelstimme, die nicht zu Größe und Figur passte. Die Uniform saß tadellos an dem schlanken, groß gewachsenen Mann, als würde draußen herrlichstes Sommerwetter herrschen. Das Schuhwerk glänzte überirdisch. Unwillkürlich dachte Cotton an die eigenen Treter, die noch immer feucht an seinen Füßen klebten. Eine gespiegelte Sonnenbrille verdeckte die Augen des Mannes. Die Unterlippe zitterte leicht.

»Was führt Sie zu uns?«, fuhr Chief Hingsley übergangslos fort. Für ihn waren die Formalitäten erledigt.

»Wir ermitteln in dem Fall des havarierten Trucks am Moosehead Lake«, antwortete Decker.

»Das ist Sache der hiesigen Polizeibehörde«, erklärte Hingsley straff. Den von Decker angebotenen Stuhl ignorierte er.

»Das stimmt so nicht«, meinte Cotton sanft. »Im Fall von Straftaten, die die Grenzen von Bundesstaaten überschreiten, kann das FBI das Verfahren an sich ziehen. Und dieser Fall liegt hier vor.«

»Verschonen Sie mich mit Ihrem Gesülze«, entfuhr es dem Chief. Zornesröte überzog sein Gesicht. Seine Stimme gickste leicht.

»Wenn ihr arroganten Typen vom FBI glaubt, uns ins Handwerk pfuschen zu können, habt ihr euch geschnitten. Wir lösen unsere Fälle selbst und brauchen niemanden dazu, haben wir uns verstanden?«

»Nein«, sagte Decker ruhig.

»Dann muss ich noch deutlicher werden.« Das Gicksen ging in Stottern über.

»Der havarierte Truck ist zunächst Sache der Highway Police. Die Highway Police hat den Fall an den Sheriff von Greenville abgegeben, also an mich. Wie ich den Fall löse, ist allein meine Sache. Sie können Ihren Ausflug in unseren idyllischen Pine Tree State beenden. Von mir werden Sie jedenfalls keine Auskünfte erhalten.«

Damit machte er kehrt und knallte die Tür hinter sich zu. Diese Art von Knallerei schien wohl in dieser idyllischen Gegend üblich zu sein.

Keine dreißig Sekunden später hockte Ruben Scherbaum, der Exbulle, wieder bei ihnen am Tisch.

»Na, was sagt ihr jetzt?«, begann er.

»Beeindruckend«, lächelte Decker. Sie klappte den Laptop auf, um endlich mit der Arbeit zu beginnen. In diesem Hotel kam man ja nicht einmal dazu, sein Frühstück ordentlich zu beenden. Hier ging es zu wie auf dem Times Square in New York.

»Stellt euch vor«, sagte Ruben, »der Pimpf ist gerade mal achtundzwanzig Jahre alt. AchtundzwanzigJahre! Gerade aus den Windeln gekrochen!«

»Der will eben noch was werden«, meinte Cotton schulterzuckend, das letzte Stück Brot in der Hand.

»Da kannst du recht haben, Kumpel«, sagte Scherbaum. »Das sind die Gefährlichsten. Sein Alter ist was Höheres bei der Polizei in New York. Also nehmt euch in Acht.«

»Danke für den Tipp, Ruben, aber wir müssen jetzt mal anfangen zu arbeiten«

»Schon kapiert«, sagte Ruben und verabschiedete sich mit einem knappen Gruß.

Zu Cottons Überraschung glitt die Tür diesmal lautlos ins Schloss.

»Wir haben neue Informationen aus New York«, sagte Decker und wies auf den Bildschirm ihres Klapprechners.

Cotton warf einen Blick auf sein Handy.

»Und meine Mailbox sagt mir, dass was Neues angekommen ist. Von Raschid.«

Cotton und Raschid kannten sich seit der Zeit nach 9/11, wo Raschid dem Landei Cotton beigebracht hatte, auf den Straßen New Yorks zu überleben. Die persönliche Beziehung hatte bis heute Bestand.

Nach seiner Zeit bei der Army hatte Raschid eine Stelle beim Sicherheitsdienst der Masjid Al Abidin Moschee in Queens angetreten.

Cotton hob das Handy ans Ohr, um die Nachricht seines Freundes abzuhören: »Cunningham steckt hier in Queens und schwingt große Reden vor meiner Moschee. Neben anderem fiel das Wort Memorial Day. Empfehle, Cunningham umgehend festzunehmen, bevor er die Leute noch mehr aufwiegelt. Bitte um Rückruf.«

9

Bis zum Mittagessen, das Mrs Bridger kategorisch für dreizehn Uhr angesetzt hatte, erstellten die Special Agents Decker und Cotton ein Exzerpt aus den Informationen von Dr. Hunter vom Hauptquartier und von Raschid aus der Masjid Al Abidin Moschee in Queens. Die Zusammenstellung passte auf ein halbes Blatt Papier.

»Nicht besonders viel«, meinte Decker enttäuscht.

»Immerhin haben wir einen Namen: Lobo Cunningham«, widersprach Cotton energisch. »Und wir haben ein Motiv für die Reise des Trucks, nämlich das Entsorgen der Leichen in Kanada.«

»Aber nicht ein einziges Foto von dem Kerl.«

»Das ist richtig.«

»Was mir nicht in den Kopf will«, meinte Decker, »wer bezahlt diesen Mist? Es kann doch nicht sein, dass eine derartige Zusammenrottung rechtsextremer Gruppen sich allein durch Spenden finanziert. Das kostet einen Haufen Geld. Die Fahrten zu den Treffen. Plakate, Handzettel, Porto. Wer steckt hinter all dem? Wer ist der unbekannte Wohltäter?«

Cotton wusste darauf keine Antwort. Stattdessen sagte er: »Ist auch Ihnen die Nennung des Begriffes Memorial Day aufgefallen?«

»Natürlich.«

»Wann ist der noch gleich?«

»Das müsste der letzte Montag im Mai sein«, erklärte Decker und schaute dabei auf ihr Smartphone.

»Heute haben wir den achtundzwanzigsten April«, erinnerte sich Cotton. »Der Memorial Day ist in diesem Jahr am achtzehnten Mai. Nein, am fünfundzwanzigsten Mai.«

»Noch knapp vier Wochen«, ergänzte Decker nachdenklich. Sie rieb sich den Schweiß von der Stirn.

»Fünfundzwanzigster Mai«, sagte Cotton langsam, schrieb das Datum auf das untere Ende des Blattes und umrandete die Zahlen mit einem dicken roten Kreis. Dann schaute er Decker an: »Sie sind bleich wie eine Leiche. Wollen Sie sich nicht etwas hinlegen?«

Zu seiner Überraschung nickte sie. »Ich fürchte, ich habe auch noch Fieber.«

»Dann lag’s wohl nicht nur am Chickenburger, oder?«

Sie zuckte die Schultern. »Ich hoffe, es ist keine Lebensmittelvergiftung. Halten Sie die Stellung, Cotton. Ich befolge Ihren Rat, und lege mich für ein Stündchen hin, okay?«

10

Nach dem Mittagessen, das hervorragend gemundet hatte, verzog sich Cotton zum Nachdenken in sein Zimmer, um ebenso ein Nickerchen zu machen.

Doch Dr. Sarah Hunters Anruf erreichte ihn just in dem Augenblick, als er in das Land der Träume gleiten wollte.

»Leider habe ich Agent Decker nicht erreichen können«, begann sie das Gespräch. »Wir haben neue Erkenntnisse über die Prügelei mit tödlichem Ausgang in dem Steinbruch westlich von New York City«, sagte Dr. Hunter.

»Verstehe«, antwortete Cotton noch etwas schlaftrunken.

»Die Leute der Ulfbehrt-Gang kämpften damals wie gesagt gegen einen Schlägertrupp.«

»Und weiter?«

»Wir haben die Spuren des Trupps zurückverfolgt bis zur Amity Street.«

»In Brooklyn?«

»Ja. Das Gebäude gehört einem gewissen Mr Kreck. Rockwell Kreck von Kreck Industries. Ihm gehören die Ölraffinerien und Pipelines, und angeblich ist er vermögender als Dagobert Duck.«

»Was hat Kreck mit Lobo Cunningham zu schaffen?«, meinte Cotton. Er konnte sich keinen Reim auf die Geschichte machen.

»Das hab ich mich auch gefragt«, antwortete Dr. Hunter. »Ich habe Zeerookah gebeten, sich mal mit Kreck Industries zu beschäftigen. Es ist erstaunlich, was das National Crime Information Center und die damit gekoppelten Datenbanken darüber hergeben.«

»Was konnten Sie in Erfahrung bringen?«, drängte Cotton ungeduldig.

»Nun ja, Mr Kreck will expandieren. Dafür benötigt er eine Lizenz zum Bohren nach Öl in Alaska. Ein heikles Thema. Greenpeace sitzt ihm ganz schön im Nacken, denn es handelt sich um ein Naturschutzgebiet. Auf jeden Fall genug Stoff, um weiter am Ball zu bleiben«, beendete Dr. Sarah Hunter das Gespräch.

Cotton blieb noch eine Weile auf der Bettkante sitzen und sortierte seine Gedanken.

Auf der einen Seite Lobo Cunningham, der mit seinen verbrecherischen Ideen das Land aufzumischen drohte. Auf der anderen Seite Mr Rockwell Kreck, seines Zeichens stinkreicher Ölmagnat, der unbedingt in Alaskas Naturschutzgebiet nach Öl bohren wollte und dafür der Unterstützung seiner Freunde in Washington DC bedurfte. Dass Kreck ausreichend Geldmittel besaß, um seine Pläne auf die Erfolgsstraße zu führen, war bekannt. Wer aber finanzierte Cunninghams Feldzug?

Cotton bändigte seine Mähne vor dem Spiegel, zog sein Jackett über und prüfte seine Dienstwaffe, eine Kimber Custom, auf richtigen Sitz im Schulterholster.

Dann klopfte er leise an Deckers Zimmertür.

»Ja, was ist?«, hörte er eine klägliche Stimme von drinnen.

»Ich wollte nur fragen, wie es Ihnen geht.«

»Mies, Cotton, sehr mies. Und es war doch der verdammte Chickenburger!«

»Das tut mir leid. Kann ich irgendetwas für Sie tun?«

»Nein, bleiben Sie ja draußen! Ich melde mich schon, wenn es mir wieder besser geht!«

»Alles klar. Ich wünsche Ihnen eine gute Besserung!«

»Danke, Agent Cotton.« Wenn er sich nicht täuschte, folgte darauf ein würgendes Geräusch. Decker schien es wirklich hart erwischt zu haben.

*

Von Mrs Bridger ließ er sich eine Übersichtskarte der Gegend um den Mousehead Lake geben und marschierte los, um seine Gedanken zu ordnen und die nächsten Schritte zu planen. Ohne Decker musste er alles ein wenig anders angehen als vorgesehen.

Er ging die Wilson Pond Road in Richtung Greenville entlang. Cotton musste sich beeilen, wollte er noch etwas sehen, denn der Tag neigte sich langsam dem Ende zu.

Er war bereits ein Stück gegangen, als sich Ruben Scherbaum zu ihm gesellte. Er trug wieder seine dicke Jacke und die Fellmütze auf dem kantigen Schädel. Und er hatte eine starke Taschenlampe bei sich.

»Hallo Kumpel«, sagte er mit holpriger Zunge, »stört es dich, wenn ich mitkomme?«

»Ganz im Gegenteil«, sagte Cotton. »Ohne Taschenlampe wäre ich aufgeschmissen.«