Cotton Reloaded - Sammelband 17 - Nadine Buranaseda - E-Book

Cotton Reloaded - Sammelband 17 E-Book

Nadine Buranaseda

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Beschreibung

Eine neue Zeit. Eine neue Mission. Ein neuer Held: Erleben Sie die Geburt einer neuen Legende! COTTON RELOADED ist das Remake der erfolgreichen Kultserie "Jerry Cotton".

Zwei spannende Thriller in einem Band:

Killing in Memphis: Die 16-jährige Alicia ist spurlos verschwunden. Eigentlich kein Grund, das G-Team und seine besten Agents Jeremiah Cotton und Philippa Decker nach Memphis zu beordern, wo die Ausreißerin zuletzt gesehen wurde. Doch Alicia ist kein gewöhnlicher Teenager. Sie ist die Nichte von John D. High. Hat jemand das Mädchen entführt, um den Chef des G-Teams unter Druck zu setzen? Was wie ein Routineausflug beginnt, erweist sich für die beiden Agents schnell als lebensgefährlicher Auftrag. Denn die Spur der Verschwundenen führt in die Sumpfgebiete des Mississippi. Und hier, inmitten der von Giftschlangen und Alligatoren verseuchten Welt der Bayous, erwartet sie ein ganz besonderer Gegner ...

Tödliches Finale: Die Jubiläumsfolge! Doppelter Umfang! Doppelte Spannung!
Das G-Team rechnet damit, dass in den USA ein islamistisch motivierter Terroranschlag mit Biowaffen kurz bevorsteht. Eine anonyme Mail führt nach Berlin. Mr High entscheidet, dass Sarah Hunter in ihrer Funktion als Biologin und Chemikerin sofort nach Deutschland aufbrechen soll, während Cotton und Decker in New York ermitteln. Schon bald wird klar, dass die Gefahr viel größer ist als angenommen. Das G-Team kommt einer internationalen Organisation auf die Spur, die mit menschenverachtenden Experimenten die Welt zu verändern droht - Nach diesem COTTON-RELOADED-Roman ist die Welt nicht mehr die, die sie war!

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Seitenzahl: 359

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Inhalt

Cover

Was ist COTTON RELOADED?

Über dieses Buch

Die Autoren

Impressum

Cotton Reloaded 49 – Killing in Memphis

Cotton Reloaded 50 – Tödliches Finale

Wie es weitergeht …

Was ist COTTON RELOADED?

Dein Name ist Jeremiah Cotton. Du bist ein kleiner Cop beim NYPD, ein Rookie, den niemand ernst nimmt. Aber du willst mehr. Denn du hast eine Rechnung mit der Welt offen. Und wehe, dich nennt jemand »Jerry«.

Eine neue Zeit. Ein neuer Held. Eine neue Mission. Erleben Sie die Geburt einer digitalen Kultserie: COTTON RELOADED ist das Remake von JERRY COTTON, der erfolgreichsten deutschen Romanserie, und erzählt als E-Book-Reihe eine völlig neue Geschichte.

Dieser Sammelband enthält die Folge 49–50 von COTTON RELOADED.

Über dieses Buch

Zwei spannende Thriller in einem Band:

Killing in Memphis: Die 16-jährige Alicia ist spurlos verschwunden. Eigentlich kein Grund, das G-Team und seine besten Agents Jeremiah Cotton und Philippa Decker nach Memphis zu beordern, wo die Ausreißerin zuletzt gesehen wurde. Doch Alicia ist kein gewöhnlicher Teenager. Sie ist die Nichte von John D. High. Hat jemand das Mädchen entführt, um den Chef des G-Teams unter Druck zu setzen? Was wie ein Routineausflug beginnt, erweist sich für die beiden Agents schnell als lebensgefährlicher Auftrag. Denn die Spur der Verschwundenen führt in die Sumpfgebiete des Mississippi. Und hier, inmitten der von Giftschlangen und Alligatoren verseuchten Welt der Bayous, erwartet sie ein ganz besonderer Gegner …

Tödliches Finale: Die Jubiläumsfolge! Doppelter Umfang! Doppelte Spannung!

Das G-Team rechnet damit, dass in den USA ein islamistisch motivierter Terroranschlag mit Biowaffen kurz bevorsteht. Eine anonyme Mail führt nach Berlin. Mr High entscheidet, dass Sarah Hunter in ihrer Funktion als Biologin und Chemikerin sofort nach Deutschland aufbrechen soll, während Cotton und Decker in New York ermitteln. Schon bald wird klar, dass die Gefahr viel größer ist als angenommen. Das G-Team kommt einer internationalen Organisation auf die Spur, die mit menschenverachtenden Experimenten die Welt zu verändern droht – Nach diesem COTTON-RELOADED-Roman ist die Welt nicht mehr die, die sie war!

Die Autoren

Peter Mennigen wuchs in Meckenheim bei Bonn auf. Er studierte in Köln Kunst und Design, bevor er sich der Schriftstellerei widmete. Seine Bücher wurden bei Bastei Lübbe, Rowohlt, Ravensburger und vielen anderen Verlagen veröffentlicht. Neben erfolgreichen Büchern und Hörspielen schreibt er auch Drehbücher für Fernsehshows und TV-Serien.

Nadine Buranaseda, Jahrgang 1976, ist gebürtige Kölnerin mit thailändischen Wurzeln väterlicherseits. Sie studierte Deutsch und Philosophie in Bonn und wurde im Hörsaal entdeckt: Für einen ihrer letzten Scheine durfte sie einen Kurzkrimi schreiben, den ihr Professor einem Verlag vorgelegt hat. 2005 veröffentlichte sie ihren ersten Krimi – einen Jerry-Cotton-Roman, dem mehr als ein Dutzend folgten. 2007 wurde sie für den Agatha-Christie-Krimipreis nominiert. Mit »Seelengrab« und »Seelenschrei« erschienen 2010 und 2012 ihre psychologischen Ermittlerkrimis. 2011 war sie Stipendiatin des Tatort-Töwerland-Krimistipendiums. 2016 nahm sie auf Einladung der Abteilung »Begabtenförderung« der Konrad-Adenauer-Stiftung an der Autorenwerkstatt in Cadenabbia am Comer See teil.

BASTEI ENTERTAINMENT

Digitale Originalausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Uwe Voehl

Projektmanagement: Esther Madaler

Covergestaltung: Thomas Krämer unter Verwendung von Motiven von

© shutterstock: DmitryPrudnichenko | Di Studio | Pavel K | Patrick Ellis | d1sk

eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-4465-3

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Killing in Memphis

Peter Mennigen

1

Was für eine beschissene Woche! Das Schicksal hatte sich richtig ins Zeug gelegt, um Joe Bennet das Leben zu vermasseln. Mit Erfolg, denn seit ein paar Minuten war er tot. Sein Leichnam trieb mit glasigen Augen und durchschnittener Kehle in den Fluten des Mississippi. Begraben von Unmengen Wasser und begleitet von ein paar Katzenwelsen, die um ihn herum Totenwache hielten.

In den Tagen zuvor hatte Joe seinen Job in einer Fischfabrik drüben in Memphis verloren, und gleichzeitig hatte seine Puppe die Biege gemacht. War mit einem Kerl aus Nashville durchgebrannt, inklusive seiner Ersparnisse, die Joe mit dem Ausweiden von Karpfen im Akkord in unzähligen Überstunden angesammelt hatte.

Als hätte er nicht schon genug Ärger gehabt, verführte die Flaute in seiner Brieftasche ihn zu einer Dummheit, die ihn schließlich als Leiche auf den Grund des Mississippi enden ließ. Was alles zusammengenommen für Joe unter der Rubrik »mies gelaufen« zu verbuchen gewesen wäre. Hätte er noch reden können.

Sein Mörder hieß Louis Baptiste, ein ausgesucht kraftstrotzendes Exemplar eines Hinterwäldlers in dunkelblauer Latzhose. Louis war erst knapp jenseits der vierzig. Ihm wuchsen kaum noch Haare auf dem wuchtigen Schädel. Neben fehlenden Vorderzähnen und einem grobschlächtigen Gesicht hatte er Oberarme so dick wie Elefantenbeine, mit gewaltigen Pranken, die einem ausgewachsenen Muli die Wirbelsäule brechen konnten, wenn sie es darauf anlegten. Joe war nicht der Erste, den er damit umgebracht hatte, und er würde bestimmt auch nicht der Letzte sein. Was Verstand anging, war es bei Louis damit nicht so weit her. Er war etwas behäbig im Kopf und besaß den fatalen Hang, erst jemanden krankenhausreif zu prügeln, bevor er ihm Fragen stellte.

Louis hatte Joe am frühen Morgen aus Memphis in die Sümpfe verschleppt, um die Sache mit dessen finanziellen Verpflichtungen im Kreise seiner Familie zu regeln.

Die Baptistes gehörten zum übelsten Abschaum, der sich am Mississippi finden ließ. Der Clan hatte sich gut fünf Kilometer südlich von Memphis entfernt inmitten der Einsamkeit der Bayous niedergelassen. Auf einem mehrere Hektar großen, dem sumpfigen Urwald durch Rodung abgerungenen Areal. Unmittelbar am Flussufer gelegen, der an der Stelle mit seinen dreihundert Metern nicht ganz so breit war wie anderswo, mit Distanzen von bis zu anderthalb Kilometern zwischen den Ufern. Träge schob der »Ol’ Man River« seine ockerbraunen Wassermassen in Richtung New Orleans der Deltamündung entgegen. Jetzt im Hochsommer, wenn die Sonne auf den Strom mit seinen sich tief in das Schwemmland verzweigenden Wasserarmen knallte, staute sich die aufgekochte Feuchtigkeit unter dem Blätterdach der Sumpfeichen, von deren Astwerk spanisches Moos wie verfilzte Haarsträhnen vom Schädel einer Mumie herabhing. Dann verwandelte die schwüle Hitze die Sümpfe in eine dampfende Sauna, die selbst die Alligatoren ins Schwitzen brachte.

Louis’ Sippschaft hauste in einer Ansammlung Holzbaracken mit von Sumpfmoos befallenen Wellblechdächern. Die Gebäude wirkten so einladend wie eine Todeszelle in San Quentin und machten auch keinen sehr stabilen Eindruck. Eher, als würde hier demnächst einiges zusammenbrechen. Ihre nebeneinander aufgereihten Vorderfronten verliefen parallel zum Fluss, von dem sie ein sechs Meter breiter Boardwalk trennte, unter dem sich fauliger Flussschlick ansammelte und den Bereich in eine übel riechende Kloake verwandelte. An den Pollern der Pier waren ein paar Schaluppen festgemacht, die auf den Wellen schaukelten.

Einen anderen Zugang als über den Wasserweg gab es nicht. Das bedeutete, die Baptistes lebten vollkommen isoliert. Keiner, der sich in der Gegend auskannte und halbwegs bei Verstand war, legte die Strecke zu Fuß durch die feindselige, mit Giftschlangen und Alligatoren verseuchte Welt der Bayous zurück, die sich ringsum Hunderte von Quadratkilometern weit erstreckte.

Links von den Hütten führte ein Lehmpfad zu einem Gatter, das ein morastiges Gehege von etwa vierzig Quadratmetern umschloss. Der Bereich wurde von den Baptistes als »Arena« bezeichnet. Auf einem hoch über dem Koppeltor befestigten Querbalken hatte jemand in groben Lettern die Worte eingeritzt: »Keiner verliert ein Wort über den Fight Club«, in Anlehnung an den ersten Grundsatz aus einem Film von David Fincher.

Etwa dreißig Meter hinter der »Arena« moderte ein lang gezogener Stall vor sich hin. Mit über zwanzig Boxentüren an der Längsseite, die sich im Ein-Meter-Abstand aneinanderreihten. Jede gesichert mit fingerdicken Eisenstäben und Riegeln. Irgendwas rammte von innen immer mal wieder dagegen. Etwas Großes, viel größer als ein Kampfhund. Wegen des Dämmerlichts in den Verschlägen konnte man von außen nicht erkennen, was genau darin eingesperrt sein mochte.

Wovon die Sippe lebte, wusste offiziell kein Mensch. Oberflächlich betrachtet verbrachte sie die Zeit damit, auf der Pier rumzulungern, in den Fluss zu spucken und Moskitos zu erschlagen. In Wahrheit war ihr Tätigkeitsbereich etwas breiter aufgestellt. Da war von illegalem Glücksspiel und Wettgeschäften die Rede, von Drogen und Prostitution, von Dienstleistungen als Schuldeneintreiber für Kredithaie und vom Vertickern schwarz gebrannten Alkohols.

An den Wochenenden ging es auf ihrem Gelände hoch her. Davon zeugten die Scherben zerbrochener Flaschen, die die Pier übersäten. Die Überreste stammten von hundert und mehr Besuchern, die sich an solchen Abenden auf dem Gelände einfanden. Manchmal schifften die Baptistes auch Huren aus den Bordellen vom Mississippidelta ein. Allerdings waren die Prostituierten nicht der Grund für den Rummel. Den Besuchern ging es in erster Linie um die grässlichen Dinge, die sich in der »Arena« abspielten und auf deren Ausgang gewettet wurde, was das Zeug hielt. Nicht selten wechselten an einem Abend mehrere Zehntausend Dollar von der Verlierer- auf die Gewinnerseite. Unabhängig vom Kampfausgang sackten die Baptistes von jeder platzierten Wette ein Fünftel für den Familienbetrieb ein. Allein von dem Erlös hätte sich die Sippschaft längst ein luxuriöseres Leben leisten können. Wieso sie stattdessen lieber in Hütten hausten, blieb eines der ungelösten Rätsel der Bayous.

Zu den Wettverlierern des vergangenen Wochenendes hatte auch Joe Bennet gezählt. Als altem Stammkunden hatten die Baptistes ihm eine kleine Zahlungsfrist eingeräumt, die er dummerweise verstreichen ließ.

Deswegen hatte Louis ihn in die Sümpfe verschleppt. Bevor er ihn dann kaltgestellt hatte, hatte Joe noch versucht, ihm das Vorhaben auszureden: »Okay, lass mich das erklären, Louis.«

»Du hast eine Wette verloren und schuldest uns Kohle, Joe«, erinnerte der ihn. »Was gibt es da zu erklären?«

»Ich möchte dir gern meine finanzielle Lage anschaulich vermitteln.« Joe griff mit beiden Händen in seine Hosentaschen und zog die Innenfutter heraus, sodass die Stoffbeutel außen runterbaumelten. »Siehst du meine leeren Taschen? Tja, so sieht’s finanziell bei mir aus. Was willst du jetzt tun? Mich umlegen?«

»Was ist hier los?« Louis’ Vater stellte eine Kiste voll Krabben auf der Pier ab und trat vor seinen unfreiwilligen Gast, dessen Gesicht schlagartig eine glänzende Schicht Angstschweiß überzog.

Henry Baptiste war ein Fettsack, der in seinem Leben mehr Zeit hinter Gittern gesessen hatte als ein Wellensittich. Während sich die Stirnglatze des Mittsechzigers immer weiter Richtung Kopfmitte vorarbeitete, baumelten ihm im Genick die verfilzten Zottelhaare bis auf die Schultern runter. Henry trug mit Vorliebe eine schmuddelige Arbeitshose, die den Flicken nach schon sein Vater von dessen Vater geerbt hatte. Über dem Gürtel beulten mehrere wulstige Fettringe sein farbloses Hemd aus.

»Joe will uns auf seinen Wettschulden sitzen lassen«, klärte Louis seinen Erzeuger auf.

Der verzog die Mundwinkel und nickte bedächtig, als ließe er sich die Problematik durch den Kopf gehen, bevor er meinte: »Ich will dich jetzt nicht mit unseren Geschäftsbedingungen überfordern, Joe, aber wenn du uns das Geld nicht gibst, das du uns schuldest, landet du im Jenseits.«

»Und zwar jetzt hier und heute«, meldete sich Henrys zweiter Stammhalter zu Wort.

Vincent Baptiste machte mit dem dünnen Oberlippenbart, der gepflegten Kurzhaarfrisur und in einem hellgrauen Anzug optisch mehr her als Henrys andere Söhne, was jetzt nicht viel heißen wollte. Im Gegensatz zu seinen Brüdern konnte Vincent aber zumindest ab und an eine Begleiterin vorweisen, die sich ihre Gesellschaft nicht nach Stundentarif bezahlen ließ. Dabei handelte es sich ausschließlich um Mexikanerinnen. Nicht, weil er auf Latinas stand wie ein Texas Ranger auf blutige Steaks, sondern aus praktischen Erwägungen. Wurde einmal eine von ihnen ungewollt schwanger oder sonstwie lästig, genügte ein Tipp an die Einwanderungsbehörde, um das Problem zurück über die Grenze und ihm aus den Augen zu schaffen.

Da Joe nichts erwiderte, fuhr Vincent fort: »Sonst verschwindest du von der Bildfläche. Dann wird alles, was die Spurensicherung von dir noch findet, ein Haufen Alligatorenkacke mit deiner DNA sein.«

Vincent war in Begleitung von Damien Baptiste, dem jüngsten Spross und dem Fliegengewicht der Familie. Einem dürren Blondschopf, der morgens im Spiegel verzweifelt nach einem Barthaar Ausschau halten musste, um es abrasieren zu können. Mutter Natur hatte dem Blässling mit seinem hageren, einem Totenschädel nicht unähnlichen Gesicht zum Ausgleich für die fehlende Muskelmasse etwas mehr Grips als seinen Brüdern spendiert. Es war jetzt nicht so, dass er Shakespeare rezitieren konnte, doch immerhin kannte er alle sechsundzwanzig Buchstaben des Alphabets und beherrschte halbwegs das kleine Einmaleins. Damiens besondere Merkmale waren seine Augenlider, die stets auf Halbmast herunterhingen. Wenn er sprach, dann zögerlich, als müsste er sich die Worte erst einmal in Ruhe durch den Kopf gehen lassen, ehe er sie an die Stimmbänder weiterleitete.

Angeblich hatte es noch einen weiteren Bruder gegeben, an dessen Namen sich aber niemand mehr erinnern konnte oder wollte. Gerüchten zufolge nahm er als Teenager ein tragisches Ende, weil sich seine Finger einmal in die Kasse seines alten Herrn verirrt hätten. Und was Geld betraf, besaß Henry Baptiste keinerlei Sinn für Humor.

»Gibt’s ein Problem, Dad?«, wollte Damien von seinem alten Herrn wissen.

»Tja, so wie ich das sehe, haben wir da wirklich eines, das wir aus der Welt schaffen müssen.«

Angesichts der zunehmend bedrohlichen Lage, in die er sich manövriert hatte, schien es sich Joe plötzlich anders überlegt zu haben: »He, he, Moment, Leute. Glaubt ihr etwa, ich wollte euch übers Ohr hauen?«

»Nicht, wenn du uns beweist, dass du’s nicht wolltest.«

»Okay, ich sag euch was: Ich gehe rasch nach Hause und besorge euch den Schotter.«

»Wirklich?«, tat Henry zutiefst verblüfft. »Du gehst zu Fuß den Mississippi rauf über das Wasser? Wow, das hat meines Wissens bisher bloß einer geschafft. Ich bin beeindruckt.«

»Quatsch, ich leih mir ein Boot von euch.«

»Mit dem du dann auf Nimmerwiedersehen nach New Orleans verduftest? Großer Gott, Joe. Ich hab noch nie einen Typen getroffen, in dessen Kopf so viel Scheiße reinpasst wie in deinen. Also, wenn ich gewusst hätte, dass du so gern eine Kugel zwischen die Augen willst, hätte ich dir längst eine verpasst.«

Joe stand vor Schreck wie versteinert da. Gefühlte zweihundert Worte pro Minute sprudelten ihm über die Lippen, als er Henry das Blaue vom Himmel versprach, wenn er ihm noch einen weiteren Zahlungsaufschub einräumte.

Es wäre übertrieben zu sagen, dass die Baptistes vor Mitgefühl in Tränen ausgebrochen wären. Doch immerhin verstanden sie, worauf Joe hinauswollte. Henry gab ihm sogar den gut gemeinten Tipp, man solle erst mal den Stand seines Kontos kontrollieren, bevor man eine Wette platzierte. Allerdings vertrat er auch die Auffassung, dass es Schule machen könnte, wenn er Joe jetzt seine lockere Zahlungsmoral durchgehen ließe. Deswegen müsste man ein Zeichen setzen, um denen, die in der Kreide standen, ein wenig das Fürchten beizubringen. Ansonsten zahlte demnächst keiner mehr auch nur einen müden Dollar. Das würde Joe sicherlich verstehen, oder?

Nachdem alles Flehen und Betteln nichts gebracht hatte, schnallte Joe, dass er bis zu den Augenbrauen in den Fäkalien saß. Daraufhin kam er zu dem Schluss, dass er die Hoffnung auf Begnadigung begraben und sein Glück lieber in einer neuen Strategie suchen sollte.

Joe fing an zu rennen, was seine Beine hergaben. Beseelt von der vagen Hoffnung, doch noch mit der Situation fertig werden zu können, hetzte er den Kai hinunter, um mit einem der dort vertäuten Boote zu entwischen.

Wüste Verwünschungen ausstoßend, jagte Henry mit Louis, Vincent und Damien hinter dem Flüchtigen her. Vor dem versperrte plötzlich wie aus heiterem Himmel Henrys Gemahlin den Weg.

Roxanne Baptiste war eine launische alte Schachtel, deren Liebenswürdigkeit sich darauf beschränkte, dass sie einem nicht gleich einen Tritt in die Genitalien verpasste, wenn man sie ungefragt ansprach. Sie trug ein von den Füßen bis zum Hals reichendes hochgeschlossenes Kleid wie aus den guten alten Tagen, als in den Kinos Stummfilme noch der große Renner waren. Es war schon ein paar Jahre her, seit ihre grauen Haare das letzte Mal einen Friseursalon von innen gesehen hatten, weshalb ihre Frisur eher einer borstigen Drahtbürste glich. Es hieß, früher hätte sie Rita Hayworth wie aus dem Gesicht geschnitten gesehen. Falls da was Wahres dran war, waren die Jahre nicht sehr nett mit ihrem Äußeren umgesprungen.

Aktuell hatte Roxanne Baptiste einen genervten Ausdruck im Gesicht und eine zerbeulte Kaffeekanne aus weiß emailliertem Zink in der Hand. Damit verpasste sie Joe voll eins auf die Zehn, worauf der ein paar Zähne spuckte und harte Bekanntschaft mit dem Plankenboden schloss. Bevor er wieder auf die Beine kam, erteilte Louis ihm eine kleine Lektion, indem er seinen Hals mit einem Messer bearbeitete und ihn anschließend zu den Fischen schickte.

Unter Wasser spürte Joe noch, wie seine Atmung aussetzte und der Schmerz nachließ, bis er überhaupt nichts mehr fühlte.

Dann war er nur noch Futter für die Alligatoren.

2

»Hundertfünfundsiebzig.« Philippa »Phil« Decker lehnte sich mit dem Rücken gegen den auf einem Seitenstreifen der Interstate 81 abgestellten Ford Taurus und betrachtete mit einem Stirnrunzeln den Plattfuß am rechten Vorderreifen des Wagens.

»Legen Sie sich bei Gelegenheit mal eine Brille zu, Special Agent.« Cotton stand mit einem Kreuzschraubenschlüssel und dem Wagenheber unter dem Arm geklemmt an der offenen Heckklappe und wuchtete ein Reserverad aus dem Kofferraum. »Der Tachozeiger hat während der gesamten Fahrt von New York City bis Harrisonburg nicht einmal die Hundert-Meilen-Marke gekratzt. Selbst wenn ich noch langsamer gefahren wäre, hätte das den Reifenplatzer nicht verhindert. Das war Zufall oder Materialverschleiß.«

»Hundertfünfundsiebzig ist der IQ von Alicia Young.« Decker zückte ihr Smartphone, rief eine Bilddatei auf und zeigte ihm das Foto des fünfzehnjährigen Mädchens mit einem eher unscheinbaren Gesicht und schulterlangem blondem Haar.

Cotton warf im Vorbeigehen einen flüchtigen Blick auf das Display. »Die Kleine ist also ein verdammtes Genie?«

Die Agentin steckte ihr Handy wieder ein. »›Verdammt‹ ist vielleicht das falsche Adjektiv, ein Genie ist sie ohne jeden Zweifel. Eine waschechte Stipendiatin für die ›IVY-League‹.«

»›IVY-League‹, was soll das denn sein?« Der G-Man ging neben dem kaputten Reifen in die Hocke, schob den Wagenheber unter den Holmen und pumpte den mitsamt der Karosserie hoch. »Von der Sportvereinigung hab ich noch nie gehört.«

Decker seufzte erneut. »Na ja, wie sollte jemand wie Sie das auch wissen? Unter ›IVY-League‹ versteht man den Zusammenschluss der Elite-Universitäten unseres Landes mit dem besten akademischen Ruf. Wie Yale, Princeton, Harvard, Cambridge, die Columbia oder die Brown. Zu den auserwählten ›IVY-League‹-Absolventen gehören Leute wie Hillary und Bill Clinton und Barack Obama. Ich nehme an, von den Personen haben selbst Sie in Ihrer urbanen Höhle schon mal was gehört.«

»Verstehe.« Nachdem der Taurus hoch genug aufgebockt war, setzte er den Kreuzschlüssel an der ersten Radmutter an und löste sie mit einem kurzen, kräftigen Ruck. »Aber anstatt in die Oberliga der Eliteschmieden aufzusteigen, hat sich unser Genie lieber aus dem Staub gemacht und ist von zu Hause ausgebüxt. Wie zum Teufel konnte das passieren?«

Zum Fall Alicia Young hatte es beim FBI kein offizielles Briefing gegeben. Vergangenen Abend gab es lediglich ein privates Telefonat zwischen Decker und ihrem Chef, Mr High, dem Leiter des G-Teams. Worauf die Agentin wiederum Cotton anrief und ihn von einem neuen Auftrag für den heutigen Morgen in Kenntnis setzte. Ohne dabei näher in die Details zu gehen, umriss sie den Fall als eine Suche nach Mr Highs von daheim weggelaufener Nichte Alicia Young.

»Ich hab mit Mr High über die familiären Verhältnisse seiner Nichte gesprochen«, ließ Decker ihren Kollegen nun wissen. »Auch wenn Alicia aus einer wohlhabenden Familie stammt, hat sie kein ausschließlich auf Rosen gebettetes Leben gehabt. Ihre Eltern ließen sich scheiden, als sie zehn war. Das Sorgerecht für die Tochter wurde dem Vater zugesprochen. Nicht zuletzt deshalb, weil Alicia lieber zu ihm als zu ihrer Mutter wollte. Mit ihr hatte das Mädchen in den vergangenen Jahren so gut wie keinen Kontakt mehr.«

»Mutter und Tochter hatten also kein so inniges Verhältnis, wie es hätte sein sollen.« Cotton schraubte die nächsten Radmuttern eine nach der anderen ab. »Kann passieren, wo ist das Problem?«

»Das Problem ist, dass Alicias Vater vergangenen Monat bei einem Autounfall starb. Deswegen überstellte das Jugendamt die Halbwaise in die Obhut ihrer Mutter.«

»Darauf hatte die Kleine ähnlich große Lust wie auf Fußpilz«, kombinierte der Agent scharf, während er den platten Reifen gegen das Ersatzrad austauschte. »Also hieß es: Bye-bye, Mama, und hallo Welt, ich komme. Worauf sich ihre Mutter an ihren Schwager beziehungsweise unseren Boss, Mr High, mit der Bitte um Hilfe gewandt hat.«

»Inoffiziell natürlich«, betonte die Agentin. »Weshalb Mr High mich gestern auch inoffiziell angerufen und ganz inoffiziell auf den Fall angesetzt hat. Offiziell sind wir beide bis auf Weiteres vom Dienst suspendiert.«

Cotton klappte die Kinnlade herunter. »Wir sind suspendiert? Wieso sagt mir das keiner vorher?«

»Oh«, tat seine Kollegin mit unschuldigem Augenaufschlag überrascht. »Habe ich vergessen, dieses kleine Detail am Telefon zu erwähnen?«

»Alles, was Sie gesagt haben, war: Ich soll meinen Koffer packen und Sie morgen früh mit dem Wagen abholen, weil wir Mr Highs ausgebüxte Nichte wieder einfangen müssten. Das mit der Suspendierung haben Sie mir doch absichtlich verschwiegen, aus Angst, ich könnte mich gegen den Zwangsurlaub sträuben.«

»Na schön, das hätten wir ja jetzt geklärt«, stellte sie fest. »Dann steht unserer Weiterfahrt nach Cookeville wohl nichts mehr im Weg.«

»Woher wissen Sie überhaupt, dass die Kleine heute in Cookeville sein soll?«

»Schon mal was von sozialen Netzwerken gehört? Gestern hat Alicia auf Facebook gepostet, sie habe in New York einen Sänger kennengelernt, der sie mit auf seine Tour nimmt und der mit seiner Band heute Abend in Cookeville gastieren würde.«

Cotton drehte seiner Kollegin den Kopf zu und versuchte dabei nicht allzu fassungslos auszusehen. »Damit ich das richtig verstehe: Unser weibliches Supergenie lässt seine strahlende Zukunft mittels Abschluss an einer Edel-Uni sausen, weil es sich in den Musiker einer Tingel-Tangel-Boygroup verguckt hat?«

»Könnte man vielleicht anders formulieren, doch darauf läuft es wohl hinaus.«

Der G-Man hatte den neuen Reifen angeschraubt und ließ das Fahrzeug mithilfe des Wagenhebers wieder runter. »Wenn Mr High den Aufenthaltsort seiner Nichte von heute Abend kennt, wieso kontaktiert er nicht den zuständigen County-Sheriff und lässt unsere Ausreißerin in einem Streifenwagen nach Hause kutschieren?«

»Weil unsere Ausreißerin nicht entführt wurde, sondern durchgebrannt ist«, belehrte sie ihn. »Ansonsten hätte das FBI offiziell ermitteln können. Vor allem aber möchte Mr High, dass man das Mädchen diskret zurückführt, ohne dass das an die große Glocke gehängt und so ein Skandal daraus wird. So was macht sich schlecht auf der Bewerbung bei einer guten Universität.«

»Was genau sollen wir denn mit der Kleinen machen, wenn wir sie aufgestöbert haben? Kartoffelsack über den Kopf und ab in den Kofferraum?«

»In erster Linie werden wir verhindern, dass sie mit ihrem neuen Freund weiterzieht. Könnte eventuell etwas Ärger geben, falls der und seine Kumpels Einwände gegen unsere Pläne haben. Das regeln wir dann. Noch ist Alicia Young minderjährig. Rechtlich gesehen können wir sie im Auftrag ihrer erziehungsberechtigten Mutter zwingen, mit uns mitzukommen.«

Cotton verstaute den Kreuzschlüssel, den Wagenheber und den kaputten Reifen im Kofferraum und klopfte sich schwarzen Bremsstaub von den Händen.

Seine Begleiterin marschierte ein Stück weit die Straße zurück und holte das Warndreieck, das sie dort aufgestellt hatte. Er wartete, bis sie das Dreieck in den Kofferraum zurückgelegt hatte, und schlug die Heckklappe zu.

Beide stiegen in den Wagen und nahmen Kurs Richtung Süden. Cotton passte sich den Landessitten an und schaltete beim Passieren der Landesgrenze von Tennessee einen einheimischen Radiosender ein. Worauf aus dem Lautsprecher Countrysongs rieselten, die in der Hauptsache den Verlust der Jugend, der Hoffnung, der großen Liebe oder des Ersparten nach einer Pokerpartie besangen.

Vierzig Kilometer hinter Knoxville ging es in westlicher Richtung auf eine Verbindungsstraße zwischen Maryville und Nashville.

*

Irgendwann nach zweiundzwanzig Uhr steuerten die Agents mit freundlicher Unterstützung des Navigationsgeräts ihr Ziel in Cookeville an. Die gesuchte Bar fügte sich bestens in eine Umgebung aus Backsteingebäuden ein, die wahlweise einer Renovierung oder einer Abrissbirne bedurften. Auf dem Parkplatz vor der Kneipe warteten ein paar abgehalfterte Pick-ups und drei schwere Harley Davidsons auf ihre Besitzer. Der G-Man stoppte in einer Parkbucht und schaltete Motor und Scheinwerfer ab.

Er öffnete die Wagentür und stieg aus. »Ich geh kurz rein und sehe mich nach unserem Teenager um.«

»Soll ich nicht mitkommen und Ihnen dabei helfen?«

»Nicht nötig, das schaff ich schon allein. Warten Sie lieber hier draußen und halten die Kleine auf, falls sie sich aus dem Staub zu machen versucht.«

»Nicht vergessen, wir sind beim FBI freigestellt«, gab seine Kollegin ihm mit auf den Weg. »Damit im Nachhinein niemand Mr High vorwerfen kann, er habe Bundes-Ressourcen missbraucht, um private Probleme zu lösen. Bedeutet also, wir dürfen uns nicht als Bundesagenten zu erkennen geben. Ansonsten machen wir uns strafbar.«

»Was das angeht, werde ich die Zurückhaltung in Person sein.« Er zwinkerte ihr zu und schloss die Tür hinter sich.

»Noch eins, Cotton«, sagte die Agentin, während sie sich auf der Beifahrerseite aus dem Auto schwang. »Halten Sie sich Ärger vom Leib. Davon haben wir auch schon so mehr als genug.«

»Was für Ärger? Ich geh da ganz locker rein und komme mit dem Mädchen wieder raus. Kein Idiot würde sich dabei Ärger einhandeln.«

»Ein normaler Idiot vielleicht nicht, bei Ihnen bin ich mir da nicht so sicher.« Decker blieb an der Beifahrerseite stehen und beobachtete mit gemischten Gefühlen, wie ihr Kollege zum Eingang der Bar marschierte.

Wobei Cotton noch nicht ahnte, dass das Schicksal die Sache ein wenig abwechslungsreicher geplant hatte als er.

3

War die Bar schon von außen ein hässlicher Schandfleck, so stand ihr Inneres dem Eindruck in nichts nach. Beim Betreten schlug Cotton ein schaler Geruch von Bier und Zigarettenqualm entgegen. Ihn hätte es nicht verwundert, wenn er hinter der Tür über Säufer im Delirium oder Junkies gestolpert wäre, die sich gerade einen Schuss setzten. Stattdessen hatte sich im Eingangsbereich allerlei Müll auf dem Boden breitgemacht. Leere Pappbecher und Bierdosen, zerknüllte Zigarettenschachteln, Flyer, Kippen und ähnlicher Abfall.

Durch eine Schwingtür gelangte der Agent in den nicht minder schäbigen Gastbereich. Einem etwa zehn mal fünfzehn Meter großen Raum, dessen Wände mit billigen Plastikpaneelen aus Nussbaumimitat verkleidet waren. Im Schummerlicht hockten ein paar traurige Gestalten an den Tischen, denen die heruntergekommene Inneneinrichtung herzlich egal war. Sie rauchten wie die Schlote, tranken, wie um rauszufinden, wer als Erster umkippte, und unterhielten sich über Belanglosigkeiten.

Ein abgewetzter Billardtisch bildete das kulturelle Zentrum des Etablissements. Drei wild aussehende Kerle jenseits der dreißig standen um den Tisch herum. Jeder erfüllte optisch das Klischee vom Schläger mit Biker-Lizenz. Die Männer trugen ärmellose Hemden, damit man nur ja die Tätowierungen auf den strammen Bizeps sehen konnte, dazu Workout-Hosen mit Camouflage-Muster, verfilzte Vollbärte und Kopftücher. Hielten jeder eine Bierflasche oder ein Billard-Queue in der Hand.

Niemand sagte ein Wort, als der G-Man eintrat. Aller Augen glotzten wie magnetisch angezogen den unbekannten Gast missbilligend an.

Cotton durchquerte den Raum und passierte eine winzige Bühne, die für Live-Musiker reserviert war. Im Moment war sie leer. Weiter hinten gab es eine Bar vor einer Regalwand voll bunter Flaschen. Er trat an den Tresen, pflanzte sich auf einen der freien Hocker und schaute sich unauffällig um. Von Alicia Young oder irgendwelchen Musikern nirgends eine Spur.

Also wandte er sich an den Barkeeper, einen drahtigen Mann Ende vierzig, der auf den ersten Blick ganz zugänglich wirkte. Ausstaffiert mit einem in schrillen Farbmustern leuchtenden Hawaiihemd, das offenbar Bestandteil seiner Lebensphilosophie sein sollte: Betont lässig, immer entspannt.

Da die Zeit drängte, kam der Agent gleich zur Sache: »Entschuldigen Sie, Sir, ich suche ein Mädchen …«

»… suchen wir nicht alle eins?«, feixte sein Gegenüber augenzwinkernd.

Cotton verkniff den Mund zu einem Grinsen. »Nun ja, meines hat einen Namen: Alicia Young. Fünfzehn Jahre jung, blond, sieht ganz passabel aus und ist mit Musikern unterwegs, die eigentlich heute Abend hier auftreten sollten.«

Die Freundlichkeit seines Gesprächspartners verpuffte schlagartig. »Wir mögen hier keine Schnüffler von außerhalb, die Fragen stellen.«

Das war jetzt nicht die Antwort, auf die der Agent gehofft hatte. »Wissen Sie, ich bin im Auftrag ihrer Mutter hier. Sie macht sich Sorgen um ihr Kind.«

Der Barkeeper legte beide Unterarme auf den Tresen, stützte sich mit seinem gesamten Gewicht darauf und knurrte: »Sehen Sie das viereckige Ding da hinten in der Wand? Nennt sich Tür. Davon haben Sie vielleicht schon mal was gehört. Sie bestellen jetzt entweder einen Drink und halten die Klappe, oder Sie schieben Ihren Hintern da raus, bevor es hier ungemütlich wird. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?«

Worauf der Gefragte in freundlichem Tonfall erwiderte: »Ist das so was wie eine Drohung? Also, ich habe kein Problem mit Ihnen. Seien Sie so nett und machen sie keines.«

Um des lieben Friedens willen bestellte er einen Bourbon. Sekunden später schob der Barkeeper ihm ein zwei Fingerbreit gefülltes Glas rüber, das einen ziemlich guten Whiskey enthielt, wie sich herausstellte. Der Agent nippte an der bernsteinfarbenen Flüssigkeit und dachte nach. Die Befragung lief nicht ganz so rund, wie erhofft. Während er sich eine neue Strategie überlegte, wie er den Barmann etwas kooperativer stimmen könnte, nahm er neben sich eine Bewegung wahr. Als er den Kopf in die betreffende Richtung drehte, saß eine Frau auf dem benachbarten Hocker.

Die Unbekannte war nicht gerade unattraktiv. Besaß gut gebaute Kurven und feuerrote Haare, die als wilde Mähne über ihre Schultern wallten. Die Frisur umrahmte ein Gesicht mit großen, dunklen Augen, dichten Wimpern und kirschrot geschminkten Lippen. War schwierig, ihr Alter unter der dicken Kosmetiktünche abzuschätzen. Cotton tippte auf irgendwas zwischen Anfang bis Mitte vierzig. Ihre Bekleidung war eher nicht konservativ. Die tief auf den Hüften sitzende Jeans saß so eng am Hintern, dass darunter nur schwer vorstellbar noch Platz für ein weiteres Kleidungsstück sein konnte. Die langen Beine mündeten in abgewetzten Cowboystiefeln. Dazu trug sie eine nachtblaue Bluse, die so weit aufgeknöpft war, dass es ein Maximum an Dekolleté freilegte, ohne dass sie sich wegen Exhibitionismus vor Gericht verantworten musste.

»Hi«, hauchte sie lasziv. »Ich bin Cat.«

»Hi, Cat.« Cotton signalisierte sein Desinteresse, indem er den Kopf wieder von ihr abwandte.

»Dürfte ich Ihnen eine Frage stellen, Fremder?«, schnurrte sie wie eine Katze.

»Nur zu.«

Sie klimperte mit den Wimpern. »Finden Sie mich … nun ja, interessant?«

Der G-Man war sich nicht sicher, ob er es mit einer Professionellen zu tun hatte, oder mit einer Frau, die aufgrund des Alkoholpegels nicht mehr ganz klar im Kopf war. »Wenn Sie einen Drink spendiert haben möchten, nur zu. Bestellen Sie einen auf meine Rechnung, und nehmen Sie es bitte nicht persönlich, aber im Moment fehlt mir die Zeit für eine Plauderei.«

Cotton winkte den Barmann heran, der die Frau an seiner Seite fragte, was sie zu trinken wünsche.

»Einen Pink Panther, bitte«, hauchte sie mit rauem Tonfall. »Mein neuer Freund … äh …, wie war noch gleich Ihr Name?«

»Jeremiah.«

»Mein neuer Freund Jeremiah gibt mir einen aus.«

Der Barkeeper nickte, nahm ein paar Flaschen aus dem Regal, schüttete aus jeder etwas in einen Shaker und mixte daraus einen rosafarbenen Cocktail. Den kippte er in ein hohes Glas, bestückte das Ganze mit einem Trinkhalm und bugsierte es mit seinen nikotingelben Fingern rüber zu Cottons Sitznachbarin. Die nahm die Strohhalmspitze zwischen ihre Lippen und sog daran.

Die Sekunden dehnten sich, dann ließ sie den Strohhalm los und lächelte den G-Man zuckersüß an. »Um es kurz zu machen, lasse ich den Teil weg, wo ich Ihnen tief in die Augen blicke, um Sie zu bezirzen, und komme gleich zu: Ich bin ganz passabel im Küssen.«

»Glaub ich Ihnen aufs Wort.« Er gab sich Mühe, nicht auf ihren sehenswerten Ausschnitt zu schielen.

»Mal ausprobieren?«, schmachtete sie ihn an und strich wie beiläufig mit den Handflächen über ihre Hüften, wodurch sich die Bluse über ihre ansehnlichen Wölbungen spannte. »Wäre doch schade, wenn man eine solche Offerte verstreichen lassen würde, oder?«

Diese Art von Ablenkung konnte der Agent gerade überhaupt nicht gebrauchen. Also ließ er die Frage unbeantwortet und konzentrierte den Blick lieber wieder auf die bunten Flaschenreihen in dem Regal.

Cat sah ihn an, als hätte sie eine andere Antwort erwartet. »Sie überlegen und lassen sich mein Angebot durch den Kopf gehen? Meine Güte, meine Anziehungskraft auf Männer scheint ganz schön abgebaut zu haben.«

Zu seinem Leidwesen spürte er plötzlich ihre Hand auf seinem Oberschenkel. Wobei an ihren Handgelenken vergoldete Armreifen klimperten.

»Was soll das werden?«, erkundigte er sich leicht genervt.

Die Gefragte zog einen Schmollmund und ihre Hand wieder zurück. »Ich will Sie nicht belästigen, Jeremiah. Ist nur so eine Art Experiment.«

»Und? Hat’s geklappt?«

Cat spreizte die Finger ihrer rechten Hand und überprüfte den feuerroten Nagellack. »Wird sich zeigen, je nachdem wie mein Freund reagiert.«

»Welcher Freund?«

»Der da drüben am Billardtisch. Der zweite von links ist Ed.«

Cotton riskierte einen Blick über die Schulter. Ed war der Bärtige in einem blau karierten Flanellhemd mit abgetrennten Ärmeln. Ziemlich harter Brocken, gute zwei Meter groß, über hundert Kilo Muskelmasse schwer und tätowiert bis zum Anschlag. So wie er den Agent gerade beäugte, schien er ein reizbarer Bursche zu sein. Seinem Gesichtsausdruck nach hielt er überhaupt nichts von der Show, die seine Freundin gerade mit dem Agent abzog.

Cat bedachte ihn mit einem Blick, der einen brodelnden Vulkan zum Abkühlen gebracht hätte, und wandte ihren Kopf dann wieder Cotton zu. »Wissen Sie, ich habe gerade ein bisschen Stress mit meinem Freund, weil er seine Griffel nicht von einer Schlampe namens Mary Sue Allen lassen konnte.«

»Nein, wusste ich nicht. Davon stand nämlich nichts in der Presse. Und jetzt wollen Sie sich für seine Treulosigkeit mit mir als Trostpreis revanchieren?«

»Ist Ihnen hoffentlich nicht unangenehm?«

»Ihr Angebot ist zwar schmeichelhaft, aber ich bin gerade nicht in der Stimmung für so was und außerdem ein wenig in Zeitdruck.«

»Dann frage ich mich, was Sie in eine Bar gelockt hat. Der gesellige Kneipentyp scheinen Sie mir nicht gerade zu sein.«

Er gab ihr dieselbe Antwort, die er dem Barkeeper vorhin gegeben hatte: »Ich suche ein Mädchen.«

»Aha«, tat sie überrascht. »Und was bin ich? Ein Kürbiskuchen?«

»Ich suche ein ganz bestimmtes Mädchen in Begleitung von Musikern, die heute hier auftreten sollten.« Er beschrieb ihr Alicia Young.

»Kann sein, dass die Kleine da war«, erwiderte Cat. »Als die Band vorhin gespielt hat, war der Laden gerappelt voll. Fällt schwer, da den Überblick zu behalten.«

»Und wo wollte die Band als Nächstes hin?«

»Keine Ahnung. Vor einer Stunde hätten Sie das die Jungs selbst fragen können. Wieso interessiert Sie das überhaupt? Ich dachte, Sie suchen eine Blondine.«

Bevor Cotton zu einer Antwort ausholen konnte, knallte jemand in seinem Rücken einen Queue auf den Billardtisch. Sah nicht so aus, als würde sich Ed noch weiter nur mit Zugucken zufriedengeben, wie seine Flamme einen wildfremden Typen anbaggerte. Grimmig walzte er heran und baute sich neben dem G-Man auf. Der Kerl war echt groß und gebaut wie ein Bär.

Es war bestimmt keine gute Idee, unter den gegebenen Umständen länger in der Bar rumzusitzen und sich schöne Augen machen zu lassen. Aber da sich Cottons Vernunft gerade eine Auszeit nahm, hatte er genau das vor, um seinen Whiskey in aller Ruhe auszutrinken.

»Lass deine Flossen von meiner Puppe, sonst zieh ich dich für ein paar Monate aus dem Verkehr«, knurrte Ed.

Der G-Man antwortete mit der Gelassenheit eines Mannes, der sich schon schlimmere Drohungen hatte anhören müssen: »Wenn Sie etwas von mir wollen, dann ziehen Sie eine Nummer und stellen sich hinten an. Ich unterhalte mich gerade mit der Lady.«

»Werd ja nicht frech, du Pfeife.«

»Hab ich nicht vor.«

»Gut, denn ich sag dir das jetzt nur einmal, Kleiner: Zisch ab, sonst zerquetsch ich dich wie eine Kopflaus.« Ed knetete demonstrativ seine Pranken.

Cotton drehte ihm langsam den Kopf zu und schaute ihm direkt in die Augen. »Ich glaube eher, Cat möchte, dass Sie hier verschwinden, Mister.«

»Ja, genau«, fuhr seine Freundin ihn an. »Verpiss dich, Ed.«

Das Gesicht des Agents wirkte unbeweglich wie aus Stein gemeißelt. Das seines Gegenübers glühte vor Wut wie eine rot gekochte Languste mit vorquellenden Stirnadern. Ed sah nicht so aus, als ob in seinem Kopf gerade viele Gedanken nebeneinander Platz hätten. Vermutlich stellte er sich nichts anderes vor, als wie sich seine Faust gleich in Cottons Gesicht graben würde.

Sekunden später riss das Splittern von Glas Decker draußen auf dem Parkplatz aus ihren Gedanken. Augen und Mund weit aufgerissen, stand die Agentin fassungslos neben ihrem Fahrzeug, während wenige Meter entfernt ein riesiger Kerl aus einem Fenster der Bar flog.

Einen Schweif Glasscherben hinter sich herziehend, knallte Ed mit sattem Aufprall auf den rissigen Asphalt. Kaum gelandet, rappelte er sich auf und wankte zu den Harleys rüber. Schwerfällig schwang er sich auf eine Maschine, startete den Motor, gab Gas und brauste wie ein Wilder in die Nacht davon.

Decker riss ihre Dienstwaffe aus dem Holster und eilte im Laufschritt zum Eingang der Bar. Dort hastete gerade Cat im Gefolge der übrigen Gäste ins Freie hinaus. Die Agentin trat beiseite, um nicht niedergetrampelt zu werden. Nachdem der Pulk vorbeigezogen war, betrat sie die Kneipe.

Im ersten Moment kam sie sich vor wie im Epizentrum eines lokalen Erdbebens. Zwischen umgestürztem Mobiliar und den Scherben zerbrochener Gläser lehnte Cotton mit dem Rücken am Tresen und rieb sich die rechte Faust. Hinter ihm stand der Barkeeper vor Schreck erstarrt. Lediglich seine Hände glitten unauffällig zu einer Ablage unter der Theke, wo seine Finger eine doppelläufige Schrotflinte zu packen bekamen, die dort für Notfälle deponiert war.

»Hi, Decker.« Der G-Man hob den Kopf und sah seine Kollegin verwundert an. »Was machen Sie denn hier?«

»Ich dachte, Sie brauchen vielleicht ein wenig Unterstützung. Da draußen flog gerade ein Mann zum Fenster raus.«

»Ja, hab ich auch gesehen. Komisch, nicht wahr?«

»Und?«

»Was und?«

»Sonst noch was, das Sie sich von der Seele reden wollen und das im Zusammenhang mit dem Trümmerfeld hier stehen könnte?«

»Nein, nicht, dass ich wüsste. Ist alles bestens gelaufen.«

»Interessante Sichtweise.« Die Agentin steckte ihre Waffe ins Holster zurück. »Was zur Hölle haben Sie hier drin angestellt?«

»Ich kam rein, eins gab das andere und das war’s.«

»Und was zum Teufel haben Sie an ›halten Sie sich Ärger vom Leib‹ nicht verstanden?«

Der G-Man zuckte mit den Schultern. »Manchmal entwickeln sich die Dinge eben anders als beabsichtigt.«

Bevor sie sich dazu äußern konnte, riss der Barkeeper die Arme unter der Theke hervor. Die Schrotflinte in den Händen und einen gekrümmten Zeigefinger am Abzug. Beide Läufe waren auf den Hinterkopf des Agents gerichtet.

»Zu Ihrer Information, Mister: Ich ziele gerade mit meiner Flinte auf Ihren Schädel«, ließ er Cotton wissen. »Es wäre also in Ihrem ureigensten Interesse, jetzt besser aus meiner Bar zu verschwinden. Ansonsten fliegt hier gleich Ihr Gehirn durch die Luft.«

Cotton atmete tief ein und wieder aus, dachte ›was kommt als Nächstes?‹ und sagte: »Ich will Ihnen ja nicht drohen, Sir, aber glauben Sie mir: Beim FBI kommt es nicht gut an, wenn jemand einen ihrer Agents erschießt.«

Der Barmann nahm diese Neuigkeit nicht sonderlich überzeugt auf. »Sie sind ein Cop? Glaub ich nicht.«

»Halten Sie Ihren Finger am Abzug im Zaum, dann ziehe ich jetzt langsam meinen Dienstausweis aus der Tasche, okay?« Zwischen Daumen und Zeigefinger holte Cotton das Etui mit seiner ID-Card aus seiner Lederjacke, schnippte es auf und hielt den Ausweis so über die Schulter, dass der Barkeeper ihn lesen konnte.

Ein ungläubiger Ausdruck huschte über dessen Gesicht. »Wow.« Die Waffe immer noch auf den G-Man gerichtet, wanderte sein Blick in Richtung der Agentin. »Und Sie sind wer? Seine Freundin?«

Die Gefragte schnaubte verächtlich. »Seine Kollegin Special Agent Decker. Okay, jetzt werden wir uns alle ein bisschen beruhigen und unterhalten.« Sie zeigte dem Barkeeper das Display ihres Smartphones mit dem Foto von Alicia Young. »Wir suchen diese Teenagerin. War das Mädchen heute Abend hier?«

Der Barkeeper schüttelte den Kopf. »Falls ja, habe ich die Kleine nicht gesehen. War verdammt viel los, da kann ich mir unmöglich jedes Gesicht merken.«

»Nehmen Sie meine Begleiterin lieber nicht auf den Arm«, riet Cotton ihm. »An der hat sich schon mancher Kerl verhoben, ich eingeschlossen.«

Der Barmann senkte das Gewehr und ließ es wieder unter den Tresen verschwinden »Okay, ich sag Ihnen, was ich weiß.«

»Fein.« Cotton steckte den Ausweis ein und drehte sich zu seinem Gesprächspartner um.

»Die Kleine schlug gegen achtzehn Uhr hier auf, zusammen mit den drei Typen von der Band. Sie saß den ganzen Auftritt über nur da und hörte sich die Musik an. Sah irgendwie nicht so aus, als ob sie auf den Sound abfuhr. Tippe, die war wohl eher so eine Art Groupie. Vor einer halben Stunde haben die Jungs dann ihre Zelte abgebaut und sind mit dem Mädchen wieder weg. Das ist alles.«

»Können Sie uns etwas mehr über die Musiker sagen?«, versuchte Decker es mit einem anderen Ansatz. »Oder über welche Agentur Sie die Band gebucht haben?«

»Agentur?«, wiederholte der Gefragte ungläubig. »O Mann, die Burschen waren doch nicht U2. Die haben keine Agentur. Vermutlich haben die im Vorfeld jede Bar in Cookeville angerufen und gefragt, ob sie auftreten dürften. Bei mir haben sie sich vor ein paar Tagen von New York aus gemeldet. Ich hab denen gesagt, sie könnten heute mal reinschneien. Wenn sie gut genug wären, bekämen sie hundert Dollar für den Abend. Wenn nicht, bekämen sie bloß einen Fußtritt in den Arsch.«

»Waren sie gut?«

»Ging so, hab schon Schlimmeres gehört.«

»Sonst noch was?«

»Kurz vor zehn haben sie ihre Instrumente und Verstärker wieder abgebaut und in ihren Wagen verstaut.«

»Fahrzeugmarke? Kennzeichen? Farbe?«

»Keine Ahnung, ich stand die ganze Zeit am Tresen. Wie bitte hätte ich von hier den Parkplatz sehen sollen? Wird aber kein normaler Pkw gewesen sein, wegen des ganzen Equipments. Eher ein Kleinbus oder Lieferwagen.«

»Haben die Musiker das Mädchen gewaltsam mitgeschleppt?«

»Nein, die ist definitiv freiwillig mitgegangen.«

»Haben Sie zufällig mitbekommen, wohin die wollten?«

»Als ich denen die hundert Bucks rüberwachsen ließ, hab ich mit halbem Ohr gehört, dass sie weiter nach Memphis wollten.«

»Irgendeine Adresse?«

»Nein, bloß Memphis, das ist alles.«

Decker nickte. »Immerhin haben wir jetzt einen Anhaltspunkt.«

»Noch was«, fiel Cotton ein. »Hat die Band einen Namen?«

Der Barkeeper nickte. »Nannten sich Flaming Roosters. ›Flammende Gockel‹, bescheuerter Name, oder?«

Decker ignorierte die Frage. »Ich glaube, das wär’s so weit. Danke für Ihre Kooperation.«

Cotton zückte seine Börse und blätterte ein paar Scheine auf den Tresen. »Das ist für den Whiskey und den Cocktail. Ich leg noch ein paar Dollar drauf für die kaputte Fensterscheibe und die Putzfrau, die den ganzen Kram hier aufräumen muss.«

»Kommen Sie, Cotton«, rief Decker vom Ausgang her. »Wir haben heute Nacht noch was vor.«

Die Agents verließen die Bar und gingen zu ihrem Fahrzeug rüber.

»Wie es aussieht, haben wir unsere Ausreißerin um eine halbe Stunde verpasst«, meinte Cotton unterwegs. »Ohne die verdammte Reifenpanne hätten wie die Kleine erwischt. Wenn wir uns beeilen, holen wir sie vielleicht noch auf der Interstate nach Memphis ein. So viele klapprige Lieferwagen werden da um die Uhrzeit ja nicht mehr unterwegs sein.«

Seine Kollegin beschäftigten im Augenblick ganz andere Gedanken: »Was verdammt noch mal stimmt mit Ihnen nicht? Wollen Sie Ihre Karriere mit Gewalt an die Wand fahren?«

»Ich habe keinen Schimmer, was Sie meinen.«

»Haben Sie eine Ahnung, gegen wie viele Paragrafen und Gesetze Sie vorhin in der Bar verstoßen haben, als Sie Ihren FBI-Ausweis präsentierten?«

Er musterte sie mit gefurchter Stirn. »Kann es sein, dass Sie irgendwie sauer auf mich sind? Wir haben doch, was wir wollten: eine heiße Spur von Alicia Young.«

Sie erreichten ihr geparktes Fahrzeug, wo ihnen jemand ein Souvenir in Form von zwei aufgeschlitzten Hinterreifen dagelassen hatte.

»Das darf nicht wahr sein«, stöhnte der G-Man. »Die Plattfußnummer entwickelt sich langsam zum Running Gag. Möchte wetten, hinter dem Streich steckt einer von Eds Kumpeln.«

»Wer ist Ed?«

»Der Typ, dem ich vorhin eine Flugstunde erteilt habe.«

»Tja, ich fürchte, unser Vorrat an Ersatzreifen dürfte für heute erschöpft sein. Und vom FBI können wir uns auf die Schnelle keine kommen lassen, da wir offiziell vom Dienst freigestellt sind. Sie wissen, was das bedeutet?«