CRIME & SEA - Carsten Schütte - E-Book

CRIME & SEA E-Book

Carsten Schütte

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Beschreibung

Im Zooviertel Hannovers wird der Geschäftsführer einer IT-Firma und seine Frau von einem Killerkommando erschossen. Eine Zeugin wird vom BKA geschützt, doch die Täter kommen ihr auf die Spur. In Hamburg muss die Gefährdete in ein Taxi flüchten. Hier findet sie bereits Gepäckstücke und Reiseunterlagen einer Frau vor, die ihr sehr ähnelt. Ihr Weg führt sie auf die AIDAnova. Auf der Metropolentour findet ausgerechnet ein Crime & Sea Cruise statt, bei der Krimi-Experten Tatortanalyse-Workshops anbieten. Die Anonymität der Zeugin fliegt auf, und die Killer verfolgen sie weiterhin erbarmungslos. Der pensionierte Thorsten Büthe und sein neues Team müssen sie auf einer dramatischen Jagd durch Rotterdam, Brügge, Rouen und Southampton schützen und sind auf dieser Kreuzfahrt bis aufs Blut gefordert.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Der Roman spielt hauptsächlich in bekannten Regionen, doch bleiben die Geschehnisse reine Fiktion. Sämtliche Handlungen und Charaktere sind frei erfunden.

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über https://www.dnb.de© 2025dotbooks GmbH, Max-Joseph-Straße 7, 80333 Mü[email protected]/dotbooks/CW Niemeyer Buchverlage GmbH, Osterstraße 19, 31785 [email protected] Rechte vorbehaltenUmschlaggestaltung: C. RiethmüllerDer Umschlag verwendet Motiv(e) von Adobe Stock; AIDASatz: CW Niemeyer Buchverlage GmbHEPub Produktion durch CW Niemeyer BuchverlageeISBN 978-3-8271-8752-9

Carsten SchütteCrime & SeaEin Profiler-Thriller

Für Nala

Prolog

Dr. Antonia Lessing genoss nach einem anstrengenden Tag in ihrer Hausarztpraxis ihre Gassi-Runde mit ihrer dreijährigen Labradorhündin Nala spät abends im Zooviertel Hannovers. Dieser Stadtteil der niedersächsischen Landeshauptstadt lag inmitten der Eilenriede, dem riesigen Stadtwald nahe am Zoo. Hier prägten gepflegte Jugendstilvillen auf großzügigen Grundstücken samt dem entsprechenden Fuhrpark der Anwohner das Straßenbild. Dieses Viertel musste man sich leisten können. Das einzigartige Motorengeräusch eines Porsche weckte ihre Aufmerksamkeit, als ein dunkler 911er sie passierte und vor der Einfahrt einer Gründerzeitvilla hielt.

Die Hundehalterin wohnte in der Nähe und wusste, dass dort der Geschäftsführer eines Unternehmens mit seiner Frau lebte. Persönlich kannte sie das Ehepaar aber nicht.

In Höhe einer kleinen Rasenfläche hatte Nala Witterung aufgenommen und zog an der Leine. Die Ärztin interpretierte das Zeichen für das große Geschäft der Hündin und verließ mit ihr den Gehweg hinter eine Hecke.

Der Fahrer des Porsche stieg fluchend aus, sodass Antonia Lessing aus ihrer gesicherten Position aufmerksam und interessiert die Szene beobachten konnte. Die Ärztin erinnerte sich, dass sich das schmiedeeiserne Zufahrtstor sonst automatisch öffnete, sobald eines der Fahrzeuge der Anwohner vorfuhren. Dieses Mal war das anders, völlig anders.

Dr. Schanzenberger kehrte mit seiner Frau aus der Oper zurück. Sie hatten sich mit befreundeten Geschäftspartnern und ihren Ehefrauen im Opernhaus Hannover ‚Der Rosenkavalier‘ von Richard Strauss angesehen. Nach einem Absacker in der Hotelbar des Fünfsternehotels ‚Kastens Luisenhof‘ hatten sie sich gegen 23 Uhr auf den Rückweg ins Zooviertel begeben, was am späten Abend lediglich einer Fahrzeit von maximal fünf Minuten entsprach.

Die Straßen waren kaum frequentiert, es nieselte leicht bei etwa 12 Grad Celsius, was für einen Tag Mitte Oktober nicht ungewöhnlich war. Das Ehepaar Schanzenberger diskutierte über die Inszenierung des Stückes, die, im Gegensatz zu ihm, seiner Frau sehr gut gefallen hatte. Den dunklen Kastenwagen, der ihnen seit der Ausfahrt aus der Hotelgarage in der Luisenstraße gefolgt war, bemerkten sie nicht. Der exklusive Sportwagen bog von der Fritz-Behrens-Allee in die Kaiserallee ab, die in die Zeppelinstraße überging, in der das Ehepaar Schanzenberger elitär residierte. Das Grundstück und die Gründerzeitvilla waren energetisch und sicherheitstechnisch auf dem neuesten Stand. Infrarotkameras sicherten das gesamte Gelände, die Fenster und Türen der Villa wiesen die bestmöglichen Sicherheitsstandards auf.

Dr. Schanzenberger betätigte die Fernbedienung des automatischen Zufahrtstores so früh, dass er eigentlich direkt einfahren konnte und nicht davor halten musste. Doch heute öffnete das Tor trotz mehrerer Versuche nicht. Dr. Schanzenberger musste aussteigen und bemerkte, dass ein Bügelschloss, das man zum Anschließen hochwertiger Fahrräder nutzte, das Öffnen des Zufahrtstores blockierte.

Der Hausbesitzer fluchte laut, als ihm ein Pärchen mit einem kleinen Mischlingshund auf dem Gehweg entgegenkam.

„Guten Abend, Herr Dr. Schanzenberger, können wir Ihnen helfen?“, sprachen ihn die Hundehalter an. Der Anwohner wunderte sich, mit seinem Namen angesprochen zu werden, denn diese Personen hatte er hier noch nie gesehen. In dieser Situation war es ihm allerdings völlig egal. Er hatte jetzt andere Probleme. Dachte er.

„Schauen Sie mal, irgendein Blödmann blockiert mein Tor mit einem Fahrradschloss! Das ist unglaublich!“, wetterte der Porschefahrer lautstark.

„Darf ich mal sehen?“, bat der etwa 35-jährige Mann, während seine ungefähr gleichaltrige Begleitung auf die Beifahrerseite des Sportwagens trat, aus der Frau Schanzenberger gerade aussteigen wollte. Der Hundehalter zog unbemerkt von Dr. Schanzenberger eine Pistole unter der Jacke hervor und schoss ihm fast lautlos viermal ins Gesicht. Seine Begleiterin exekutierte die Ehefrau des Opfers skrupellos auf dem Beifahrersitz des Porsche mit einer mehrschussigen Salve aus ihrer Waffe. Beide nutzten Schalldämpfer, sodass die Tat fast geräuschlos ablief und keine Aufmerksamkeit in der Straße erregte.

Der sterbenden Ehefrau gelang es trotz mehrerer, letztendlich tödlicher Schusswunden die Alarmanlage des Porsche 911 zu aktivieren, die sowohl akustisch als optisch die Anwohner der Zeppelinstraße aus ihrer Nachtruhe riss. Die Täterin zerrte den kleinen Mischlingshund an sich, und das Duo sprintete los.

Dr. Antonia Lessing hatte alles beobachtet und war geschockt. Sie wagte kaum zu atmen, als die Mörder ausgerechnet in ihre Richtung rannten. Die Zeugin hatte Todesangst, entdeckt zu werden, hockte sich hin und versuchte ihren Labrador zu beruhigen. Als die Täter die kleine Rasenfläche im Sprint passierten, fing auf einmal der kleine Mischlingshund wild an zu kläffen und Nala reagierte mit einem deutlich dunkleren Bellen. Die Schützen stoppten, kehrten um, leuchteten mit einer starken Taschenlampe in die Dunkelheit und standen plötzlich Antonia Lessing gegenüber. Der grelle Schein traf sie mitten im Gesicht. Skrupellos rissen die Mörder ihre Waffen hoch und schossen in die Richtung der augenscheinlichen Zeugin. Die sportliche Ärztin ließ sich instinktiv zur Seite fallen und hielt Nala mit beiden Armen vor ihre Brust. Dann war Ruhe. Die Verschlüsse der Pistolen des Täterpärchens waren blockiert. Sie hatten ihre Munition aus den Magazinen verschossen.

Aus den anliegenden Häusern liefen Nachbarn auf die Straße und riefen geschockt nach einem Notarzt und der Polizei. Ein dunkler Kastenwagen stoppte abrupt vor den Tätern, während der Fahrer ihnen zurief: „Los, dafür haben wir keine Zeit mehr, darum kümmern wir uns später!“

Die Mörder sprangen samt Hund durch die geöffnete Schiebetür des Transporters, der mit hoher Geschwindigkeit davonraste.

Antonia Lessing spürte, dass an ihren Händen eine warme, cremige Flüssigkeit herunterlief. Sie setzte ihre Hündin ab, um sich nach Verletzungen abzutasten. Doch Nala sackte wimmernd zusammen. Sie war es, die blutete. Die Ärztin war unverletzt und lief panisch auf die Nachbarn zu, die gerade versuchten, die Opfer des Anschlages zu reanimieren.

Ein Mitbewohner ihres Hauses, ein Oberarzt in der Tierärztlichen Hochschule, rannte der Zeugin entgegen.

„Antonia, ich kümmere mich um Nala. Übernimm du die beiden Verletzten. Vielleicht kannst du noch etwas für sie tun. Es sieht schlimm aus“, hoffte er resigniert.

Dr. Antonia Lessing beugte sich zu dem männlichen Opfer und blickte in ein blutiges, durch Einschüsse deformiertes Gesicht. Ihm war nicht mehr zu helfen. Die Frau auf dem Beifahrersitz des Porsche 911 war zusammengesackt, und aus mehreren Einschüssen tröpfelte Blut. Selbst aus einer Halswunde lief ein kleines Rinnsal der Schwerkraft folgend auf die beigefarbenen Ledersitze des Sportwagens. Die Ärztin konnte auch für die Frau nichts mehr tun.

Binnen weniger Minuten trafen Rettungskräfte und die Polizei ein, die den Bereich der Zeppelinstraße großzügig absperrte. Nicht wesentlich später folgte der „Rettungswagen Tier“ der Feuerwehr Hannover, der die Versorgung und den sofortigen Transport der angeschossenen Labradorhündin in die Tierärztliche Hochschule Hannover übernahm.

Uniformierte Einsatzkräfte der Polizei nahmen den ersten Sachverhalt auf und versuchten Zeugen festzustellen, die relevante Beobachtungen tätigen konnten. Erst jetzt stellte sich heraus, dass Dr. Antonia Lessing die einzige und wertvolle Tatzeugin war, die das Geschehen unfreiwillig verfolgen und auch das Täterpärchen beschreiben konnte. Sie wurde von einer einfühlsamen Polizistin in einen Polizei-Bulli begleitet, um dort auf das Eintreffen des Kriminaldauerdienstes (KDD) zu warten, der die Tatortaufnahme und die ersten Zeugenvernehmungen durchführen würde, bis schließlich Beamte der Mordkommission Hannover den Fall übernahmen.

Kapitel 1 Einrichtung der Mordkommission ‚Zeppelin‘

Die Nachtschicht in der Wache des Kriminaldauerdienstes begann ruhig. Vom Spätdienst wurde eine Todesermittlungssache in der Südstadt übergeben, die sich nach einer gemeinsamen Leichenschau mit dem noch anwesenden Notarzt und den Kriminalbeamten in die sichere Diagnose eines ‚natürlichen Todes‘ ergeben hatte. So war auch das Team wieder einsatzbereit.

Der Anruf des Lagezentrums beim Wachgruppenleiter (WGL) des KDD, der diese Nacht für alle Beteiligten veränderte, erfolgte um 23:46 Uhr. Kriminalhauptkommissar Maik Holzner war zu einer sechsmonatigen Personalentwicklungsmaßnahme als WGL eingesetzt. Nach der Pensionierung von Thorsten Büthe war die Leitung der Operativen Fallanalyse (OFA) im Landeskriminalamt (LKA) Niedersachsen seiner Vertreterin, Kristin Bäumer übertragen worden. Maik Holzner war dadurch zum stellvertretenden Leiter aufgerückt, musste dafür ein Führungspraktikum nachweisen und hatte sich für den KDD entschieden.

Die Einsatzleitstelle der Polizeidirektion (PD) Hannover hatte diesen Einsatz bewusst nicht per Funk kommuniziert, um Pressevertreter, Schaulustige sowie auch neugierige Kollegen vorerst abzuhalten und eine lückenlose Absperrung des Tatortes zu gewährleisten. Auch der Wachhabende des KDD, Kriminaloberkommissar Hans Weigel, hatte von dem bevorstehenden Einsatz nichts über Funk mitbekommen. Maik Holzner informierte ihn und seine kompletten drei Teams über die Raumsprechanlagen.

„Kommt ihr bitte alle einsatzbereit nach vorn. Wir haben eine Großlage!“, kündigte der WGL mit ernster Stimme an.

Binnen Sekunden stand die gesamte KDD-Besatzung im Wachraum und ließ sich von Maik Holzner in den bevorstehenden Einsatz einweisen.

„Hanno (der Rufname des Lage- und Führungszentrums der PD Hannover) hat soeben mitgeteilt, dass es in der Zeppelinstraße zu einem Schusswaffengebrauch durch zwei Täter gekommen sein soll. Aktuell sind dabei zwei Opfer zu beklagen. Die Täter konnten in einem dunklen Transporter entkommen, den zumindest ein dritter Täter fährt. Das Kennzeichen soll nicht deutsch und unleserlich verdreckt gewesen sein. Die Fahndung läuft. Wir werden mit allen drei Teams rausfahren, ich übernehme die Einsatzleitung vor Ort. Hans, du bleibst in der Wache. Wir nehmen keine parallelen Einsätze an. Hanno weiß Bescheid. Und los!“, wies der Kriminalhauptkommissar an.

Mit Vollgas und unter Verwendung von Sonderrechten (Blaulicht und Martinshorn) verließen die drei zivilen Einsatzfahrzeuge des KDD das Areal des Zentralen Kriminaldienstes (ZKD) auf dem alten Hanomag-Gelände in Hannover-Linden. Maik Holzner setzte das magnetische LED-Blaulicht auf seinen Audi A4 und folgte seinen Teams über den Deisterkreisel in Richtung des Zooviertels.

Der KDD war für solche Einsatzlagen zuständig und übernahm die anfängliche Tatortaufnahme, was das Erlangen der Informationen, erste Zeugenbefragungen sowie die gesamte kriminaltechnische Spurensuche und -sicherung am Tatort betraf.

Die Zeppelinstraße war durch massive Polizeikräfte abgesperrt und in blaues Blinklicht der Einsatzfahrzeuge getaucht. Hinter einem abgestellten Porsche 911 war ein Rettungs- sowie ein Notarztwagen positioniert.

Die Kriminalbeamten zogen sich blau-silberne reflektierende Westen mit der Aufschrift „KDD“ über und wurden von der vorläufigen Einsatzleiterin des zuständigen Polizeikommissariats, Polizeihauptkommissarin (PHK’in) Anne Heffner, eingewiesen.

„Hallo, Leute, wir haben hier zwei Opfer durch mehrere Schussverletzungen zu beklagen. Es handelt sich offensichtlich um die Besitzer dieser Villa, die mit ihrem Porsche 911 auf ihr Grundstück fahren wollten. Das elektrische Tor war allerdings durch ein Bügelschloss blockiert und ließ sich aus dem Auto heraus nicht öffnen. Der Fahrer, ein Dr. Schanzenberger, stieg wohl aus und soll dann von einem Pärchen mit Hund angesprochen worden sein, das sich zu Fuß genähert hatte. Der männliche Täter soll Dr. Schanzenberger wiederholte Male frontal in den Kopf geschossen haben. Die Täterin sei gezielt zur Beifahrerseite gegangen und habe ebenfalls das Feuer auf die mutmaßliche Ehefrau des Opfers eröffnet. Für beide kam jede Hilfe zu spät.

Besonders brisant ist, dass Dr. Schanzenberger Geschäftsführer der Rüstungsfirma Helmer & Burg war. Das Szenario ist durch eine Spaziergängerin beobachtet worden, die sich gerade mit ihrem Hund hinter einer Hecke verborgen hielt. Bei der Flucht passierten die Täter die Stelle, wurden durch Hundegebell auf die Zeugin aufmerksam und schossen beide sofort. Sie hat verdammtes Glück gehabt und wurde nicht getroffen. Ihr Labrador allerdings liegt mit Schusswunden gerade in der TiHo. Die Täter wurden dann von einem dunklen Transporter durch eine Schiebetür aufgenommen und konnten flüchten. Die Zeugin, eine Ärztin, ist bei uns im Bulli. Ihr könnt sie direkt befragen. Das war’s erst mal. Nein, eines noch. Bei der Schussabgabe sollen kaum Knallgeräusche wahrgenommen worden sein. Vermutlich verwendeten die Täter Schalldämpfer. Was dabei kurios ist, denn wir haben keinerlei Hülsen finden können“, berichtete die Dienstschichtleiterin.

Der Wachgruppenleiter des KDD bedankte sich für die Einweisung und übernahm die Einsatzleitung vor Ort. Er teilte seine drei Teams ein, den sogenannten objektiven Tatortbefund aufzunehmen, die Tatortspuren zu sichern und die Zeugin zu befragen. Er selbst musste jetzt weitere, vor Ort erforderliche Einsatzkräfte alarmieren und die Führungsspitze der PD Hannover informieren.

Sein erster Anruf galt dem Leiter der Kriminalfachinspektion (KFI) 1, Kriminaldirektor (KD) Leon Wittenberger. Maik und er hatten bereits im LKA zusammengearbeitet, da KD Wittenberger einige Jahre die Leitung der Zentralstelle Gewalt innehatte und somit auch Vorgesetzter der OFA war.

„Hallo, Leon, sorry für die nächtliche Störung, aber wir haben einen Doppelmord im Zooviertel. Dr. Schanzenberger und seine Frau sind vor ihrem Haus erschossen worden. Es sieht aktuell nach einer gezielten Tat aus. Der Fall wird eine politische Brisanz bekommen, denn Dr. Schanzenberger war der Geschäftsführer der Rüstungsfirma Helmer & Burg. Sobald die Medien davon Wind bekommen, wird hier die Hölle los sein. Wir haben die Absperrung schon entsprechend ausgedehnt, sodass wir in Ruhe arbeiten können. Wir benötigen dringend auch die Pressestelle, die sich auf einen politischen Ansturm vorbereiten soll. Schickst du deine Leute und informierst du die Polizeipräsidentin (PP’in)?“, bat Maik Holzner.

„Hallo, Maik, vielen Dank für die Vorwarnung. Wir müssen jetzt sehr sensibel damit umgehen und akribisch arbeiten. Ich setze alle in Kenntnis und mache mich selbst auf den Weg. Ich werde auch die KFI 4 (zuständig für staatsschutzrelevante Delikte) verständigen müssen. Die Information der Innenministerin überlasse ich unserer PP’in. Was brauchst du vor Ort?“, bot der Kriminaldirektor an.

„Wir sollten hier alles auffahren, was insbesondere kriminaltechnisch möglich ist. Ich habe bereits alles angefordert. Ich halte es zudem erforderlich, schon in dieser Phase mein OFA-Team einzubinden und möchte das nicht mit den Staatsschützern diskutieren. Habe ich dabei deine Unterstützung, Leon?“, bat Maik Holzner.

„Das sehe ich genauso. Ruf Kristin gleich an, die OFA ist hiermit offiziell angefordert. Dann machen wir mal die Nacht zum Tag. Bis gleich, Maik“, verabschiedete sich der Kriminaldirektor.

Der Einsatzleiter wählte die Handynummer des rechtsmedizinischen Bereitschaftsdienstes und war froh, eine ihm bekannte Stimme zu hören.

„Dr. Stockinger, Rechtsmedizin“, meldete sie sich.

„Hallo, Sandra, ich hoffe, du hast noch nicht geschlafen und bist fit für eine lange Nacht“, kündigte der Kriminalbeamte an.

„Maik, mach’s nicht so spannend. Was habt ihr?“, kam die Oberärztin des rechtsmedizinischen Instituts der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) direkt auf den Punkt.

Der Einsatzleiter informierte die Rechtsmedizinerin über die aktuelle Lage und forderte sie offiziell an. Maik und Sandra kannten sich lange durch ihre Einbindung in Fallanalysen der OFA und von einer gemeinsamen Kreuzfahrt, die – im wahrsten Sinne – aus dem Ruder gelaufen war (AIDA-Krimi Kanarenblut).

„Gib mir etwa 20 Minuten. Ich bringe zudem noch einen Kollegen mit. Vier Augen sehen mehr als zwei, zumal wir auch zwei Leichen haben. Bis gleich“, kündigte Dr. Sandra Stockinger an.

Maik Holzner zog seine drei KDD-Teams zusammen und bat PHK’in Anne Heffner als Vorgesetzte der Schutzpolizeikräfte hinzu.

„Ich habe alle Meldewege sensibel bedient und rechne in den nächsten Minuten mit einem sowohl polizeilichen als auch medialen Auflauf. Darauf müssen wir vorbereitet sein. Anne, die Absperrung muss lückenlos sein. Fordere lieber weitere Kräfte an, denn wir können hier keine Reporter gebrauchen, die uns mit den Leichen fotografieren. Ich weiß, dass dieser Appell überflüssig ist, aber ihr alle müsst jeden eurer Schritte akribisch und lückenlos dokumentieren. In dieser besonderen Lage gerät alles auf den Prüfstand. Darauf müssen wir vorbereitet sein. Legt los. Wir haben nicht mehr viel Zeit“, appellierte der Einsatzleiter zu Recht.

Aus Hannover und der gesamten Region preschten nicht nur Einsatzfahrzeuge ins Zooviertel. Eine Armada von Übertragungsfahrzeugen der Medien und Journalisten war auf dem Weg, um die ersten Fotos, Videos und O-Töne veröffentlichen zu können. Es ist traurig, aber jeder gute Journalist hatte seine Informanten bei den Rettungs- und auch Einsatzkräften der Polizei.

Ein grauer VW-Transporter der Kriminaltechnik traf zeitgleich mit einem großen Lkw der Feuerwehr Hannover am Einsatzort ein. Maik sprintete auf die Fahrzeuge zu und machte Druck.

„Gut, dass ihr da seid. Wir benötigen schnellstmöglich ein großes Zelt über dem Tatort, das beide Leichen und auch den Porsche komplett abdeckt. Bekommt ihr das hin?“, hinterfragte der Einsatzleiter lediglich rhetorisch.

„Lasst uns lieber erst einen Sichtschutz rundherum aufbauen, das ist schneller“, schlug ein Feuerwehrmann vor.

„Nein, es muss ein komplettes Zelt sein. Auf geht’s!“, spornte Maik an.

Die Feuerwehrmänner und Kriminaltechniker verbanden mehrere, erst offene Pavillons und schlossen dann die Seiten. Das Surren wie eines riesigen Bienenschwarms in der Nacht verriet, warum Maik aufs Tempo gedrückt hatte. Einige Reporter hatten Drohnen eingesetzt, die direkt über der Einsatzstelle tänzelten und das Szenario medienwirksam live übertrugen. Dafür war die Absperrung der Polizei machtlos.

Kristin Bäumer hatte nach der Pensionierung von Thorsten Büthe die Leitung der OFA im LKA Niedersachsen übernommen. Nach dem Anruf von Maik trommelte sie ihr Team sowie die Einsatzpsychologin Carlotta Bayer-Westhold zusammen. Nach einer kurzen Einweisung in ihrer Dienststelle beluden sie ihren Dienstwagen und eilten mit Sonderrechten ins Zooviertel.

Der BMW X3 der OFA musste sich mit Blaulicht und Martinshorn erst einen Weg entlang durch ein Spalier aus TV-Übertragungswagen sowie durch eine Vielzahl von neugierigen Passanten und einer Heerschar aus Reportern bahnen.

Im Radio und TV wurden die Sendungen unterbrochen und live vom Einsatzort berichtet.

Kristins Handy klingelte und zeigte die Nummer des Bereitschaftsdienstes der MHH-Rechtsmedizin an.

„Hallo, Sandra, Maik hat uns schon angefordert und mitgeteilt, dass ihr auch auf dem Weg seid“, begrüßte die OFA-Leiterin die Ärztin.

„Hi Kristin, ihr habt uns gerade überholt. Hier ist ja die Hölle los. Wir haben nun mal kein Blaulicht und kommen überhaupt nicht durch. Können wir uns an euch ranhängen?“, bat Dr. Sandra Stockinger, was Kristin Bäumer quittierte. Ihren Kollegen Leander Reinders bat sie, kurz zu warten. Eine Lichthupe und das Winken der Rechtsmedizinerin war das Zeichen, gemeinsam die Polizeiabsperrung passieren zu können. Die Profiler sahen ihren Kollegen Maik Holzner, der mit mehreren Einsatzkräften vor einem Zelt diskutierte.

„Wer hat die denn schon alarmiert?“, fragte Jan Maschke, der Leiter der Mordkommission Hannover, in die Runde um Maik Holzner.

„Das war ich in Abstimmung mit deinem Chef“, konterte der Wachgruppenleiter des KDD, was KD Leon Wittenberger bestätigte, als er zu der Gruppe trat und von der OFA begleitet wurde.

„Guten Abend, schön, dass wir alle zusammen sind. So können wir uns unmittelbar abstimmen, was genau wann durch wen zu tun ist. Ich übernehme jetzt die Gesamteinsatzleitung. Maik, gibst du uns bitte eine ausführliche Einweisung?“, übergab der Vorgesetzte das Wort.

Der aktuelle KDD-Beamte erklärte den bisher bekannten Sachverhalt und ließ das Team, welches die erste Befragung der Zeugin vorgenommen hatte, ihre Eindrücke vorstellen.

„Dann schauen wir uns das doch mal an“, entschied der neue Einsatzleiter, und Maik Holzner griff zum Funkgerät: „Andy, seid ihr schon so weit, dass ihr uns etwas zeigen könnt?“, fragte er sein Team im beleuchteten Pavillon.

Kriminaloberkommissar Andreas Mönner trat im weißen Vollschutzanzug mit einem iPad heraus und zeigte den Ermittlern, dem OFA-Team sowie Dr. Sandra Stockinger samt ihrem Kollegen ein Video, Fotos der Tatortsituation und Verletzungen der beiden Opfer. Außer den Beamten, die mit der Spurensicherung und Tatortaufnahme beauftragt wurden, und den Rechtsmedizinern durfte niemand den Tatort betreten. Nur so konnte das Risiko von Trugspuren und Veränderungen minimiert werden.

Dr. Sandra Stockinger und ihr Kollege Dr. Arndt Lück legten ebenfalls ihre Schutzkleidung an und betraten mit ihren Untersuchungskoffern den mit Tageslichtlampen ausgeleuchteten Pavillon.

„Wie schätzt ihr die Aussagequalität der Zeugin ein, Maik?“, fragte Kristin Bäumer.

„Ich habe sie auch noch nicht gesprochen. Mein Team erwähnte, dass es sich um eine Ärztin handelt, die sehr ruhig und reflektiert ist. Lass uns mal zu ihr gehen“, schlug Maik vor.

Die Zeugin wurde in dem Polizeibus von einer jungen Polizistin mit heißem Tee versorgt und schaute aufgeschlossen interessiert auf die beiden Beamten, die eintraten.

„Schön, in dieser Situation ein vertrautes Gesicht zu sehen. Hallo, Herr Holzner“, begrüßte sie Maik.

„Frau Dr. Lessing, Sie?“, war der Beamte überrascht und erklärte seiner Kollegin: „Frau Dr. Lessing ist meine Hausärztin. Hannover ist ein Dorf.“

Kristin und Maik stellten sich der Zeugin in ihren polizeilichen Funktionen vor und baten sie, die Situation aus ihrer Sicht auch ihnen nochmals zu schildern. Die Ärztin beschrieb ruhig und nachvollziehbar die Tathandlung und reagierte authentisch nachdenklich auf Rückfragen.

„Frau Dr. Lessing, welchen Eindruck machten die Schützen auf Sie? Spürten Sie Aufregung, Stress oder gar eine Hektik während der Tat?“, hakte Kristin nach.

„Im Gegenteil – die wirkten erschreckend gelassen. Sie handelten beide kaltblütig und jeder wusste genau, was zu tun war. Der Mann hat dem Fahrer des Porsche ohne zu zögern einfach mehrmals ins Gesicht geschossen. Skrupellos und eiskalt. Ebenso entschlossen die Täterin. Sie ging ruhig auf die Beifahrerseite, zielte und schoss mehrfach auf die Frau im Porsche. Dann blickte sie ins Auto und drückte noch zweimal ab, als wollte sie sichergehen. Danach liefen sie mit ihrem Hund an der Leine einfach langsam weiter, als wäre nichts geschehen. Erst als die Alarmanlage des Porsche losging, wurden sie hektisch und rannten dann ja ausgerechnet in meine Richtung“, erklärte die Zeugin.

„Wie sind die Täter dann auf Sie aufmerksam geworden?“, schloss Maik an.

„Der Kläffer hatte Nala bemerkt, die plötzlich anfing zu bellen. Das Pärchen stoppte, der Mann leuchtete mir mit einer starken Taschenlampe in dem Gebüsch direkt ins Gesicht und beide schossen, ohne zu zögern, mehrfach auf mich. Ich hatte Nala auf dem Arm, damit sie nicht wegläuft, und noch versucht, mich zur Seite fallen zu lassen. Plötzlich hörten sie auf und starrten auf ihre Pistolen, als dieser Transporter vor ihnen stark abbremste und der Fahrer ihnen zurief, das später erledigen zu können. Ich glaube, er meinte, mich später erledigen zu können“, befürchtete die Ärztin, was weder Kristin noch Maik kommentieren wollten.

„Frau Dr. Lessing, Sie erwähnten, dass Sie keine lauten Schussgeräusche gehört haben. Können Sie die Waffen beschreiben?“, fragte Kristin.

„Ja, ich bin keine Expertin, aber ich glaube, sie hatten so etwas wie Schalldämpfer. Die Waffen an sich konnte ich gar nicht so genau sehen. Sie waren irgendwie unförmig und nicht so schlank wie im Fernsehen“, beschrieb die Zeugin.

Maik setzte nach. „Was meinen Sie damit?“

Kristin griff zu ihrer Dienstwaffe, wandte sich ab und entlud sie.

Die Profilerin hielt sie Dr. Lessing vor den Körper.

„Das ist eine Pistole mit einem Magazin, in dem die Patronen aufbewahrt und nach jedem Schuss automatisch nachgeladen werden. In meiner Pistole ist dieses Magazin nach der Abgabe von 16 Schuss leer. Dann wird das Verschlussstück der Waffe blockiert, und ich kann erst weiter schießen, wenn ich ein neues gefülltes Magazin einführe. Die leeren Patronenhülsen werden nach jedem Schuss herauskatapultiert und fallen in der Regel links oder rechts der Waffe zu Boden“, erklärte die OFA-Leiterin und zog den Verschluss ihrer Waffe so zurück, dass er geöffnet blieb und blockiert war.

„Im Gegensatz zu einer Pistole gibt es Revolver, in denen maximal acht Patronen in einer rotierenden Rolle verschossen werden können. Dabei bleiben die leeren Hülsen in der Trommel. Haben Sie den Unterschied verstanden?“, fragte Kristin Bäumer.

„Klar. Aber die beiden haben öfter als achtmal geschossen. Die Schussgeräusche waren nicht laut. Hätte ich nicht gesehen, dass geschossen wurde, hätte ich das nie als Schüsse vermutet“, klärte die Zeugin auf.

„Okay, das hilft uns schon weiter. Was meinen Sie mit der Bezeichnung ‚unförmig‘? Können Sie uns das an meiner Pistole erklären, Frau Dr. Lessing?“, blieb Kristin am Ball.

„Nicht genau, aber da war irgendetwas an der Seite befestigt. Eine Art Box oder ein Beutel. Sorry, ich kann es nicht genauer sagen“, schränkte die Ärztin glaubwürdig ein.

Plötzlich wurde die Schiebetür des VW-Bullis aufgerissen.

„Frau Bäumer, Herr Holzner, Schluss jetzt. Der Staatsschutz übernimmt jetzt. Sie sind raus! Verlassen Sie bitte das Fahrzeug. Das ist jetzt unsere Zeugin“, forderte ein etwa 50-jähriger Mann in Zivil, der Kristin als Abteilungsleiter des Staatsschutzes im LKA bekannt war.

Hinter ihm baute sich eine Gruppe auf, in der Kristin und Maik die Polizeipräsidentin und dahinter sogar die Innenministerin erkannten.

Kriminaldirektor Leon Wittenberger bahnte sich einen Weg durch die Gruppe.

„Kommt ihr bitte raus. Ich erkläre euch alles“, versuchte ihr ehemaliger Vorgesetzter die Situation zu entschärfen.

Dr. Antonia Lessing war völlig irritiert, konnte die Situation jedoch nicht einschätzen und hielt sich zurück.

„Es wird sich alles aufklären. Bis bald“, versuchte Maik Holzner den Ansatz einer Verabschiedung und begab sich zurück in den Pavillon, um sein Spurensicherungsteam vorzubereiten. Er ahnte, was jetzt kommen musste.

Abseits des VW-Bullis blaffte Kristin ihren ehemaligen Chef an: „Was sollte das denn, Leon?“

„Eine Anordnung von ganz oben. Wir sind selbst als PD raus. Das ist hochpolitisch. Vielleicht habt ihr als OFA noch die Chance, im Boot zu bleiben. Aber das musst du direkt mit deiner Behördenleitung klären, Kristin“, schlug der Kriminaldirektor resigniert vor.

Plötzlich wurde es laut und hell. Ein großer Hubschrauber setzte auf der Rasenfläche der nahe gelegenen Schule zur Landung an. Eine Gruppe von zehn Personen in Overalls mit dem Aufdruck „BKA-Tatortgruppe“ schleppte sperrige Kisten und Taschen zum beleuchteten Tatortzelt.

Maik Holzner blickte ungläubig auf das Szenario. „Das ist jetzt nicht euer Ernst, oder?“

Die Gruppe des BKA wurde von einer resoluten Beamtin geleitet, die auf ihrem Overall als Leiterin der Tatortgruppe gekennzeichnet war.

„Wer von Ihnen hat die Gesamteinsatzleitung?“, schrie sie in die Runde der Einsatzkräfte, um die Geräusche des Hubschraubers zu übertönen, der gerade wieder abhob.

Kriminaldirektor Wittenberger begrüßte die BKA-Beamtin und stellte sich als Gesamteinsatzleiter sowie Maik Holzner als Leiter der Tatortarbeit und der ersten Maßnahmen vor Ort vor.

Die Erste Kriminalhauptkommissarin (EKHK’in) des BKA, Agnes Henkel, war etwa Mitte vierzig, schlank und circa 170 Zentimeter groß. Sie hatte ihr mittelbraunes Haar zusammengebunden, was ihr hageres Gesicht noch strenger wirken ließ.

„Ist das eine Schule?“, fragte sie die hannoverschen Einsatzkräfte und wartete die Antwort nicht ab.

„Wir werden hier unsere Einsatzzentrale aufbauen. Holen Sie mir den Hausmeister ran, damit wir loslegen können“, forderte sie unmissverständlich. KD Wittenberger gab die Anordnung an die Absperrkräfte weiter, die nur nach wenigen Minuten den Ansprechpartner der Schule unter den Schaulustigen ausgemacht hatten.

Ohne eine Begrüßung oder gar Vorstellung ihrer Person ging die BKA-Beamtin auf den Hausmeister zu.

„Welcher Raum hat einen WLAN-Anschluss, Telefon und eine Kaffeemaschine?“, fragte sie direkt.

„Nur das Lehrerzimmer. Aber das wird morgen früh wieder gebraucht“, schränkte der Hausmeister ein.

„Vergessen Sie das. Da gehen wir jetzt rein, und die Schule bleibt bis auf Weiteres geschlossen“, kündigte die Beamtin an und wendete sich direkt an Maik Holzner: „Ich will in fünf Minuten jeden Ihrer Leute und alle, die unmittelbar am Tatort waren, in diesem Lehrerzimmer sehen. Bringen Sie Ihre Kameras und Ihre Mobiltelefone mit, auch die privaten“, verlangte die Leiterin der BKA-Tatortgruppe barsch.

Maik Holzner kochte innerlich, wirkte nach außen allerdings absolut ruhig und professionell.

„Ich weiß zwar nicht, was ihr hier für eine Megashow abzieht, aber meine Leute arbeiten gerade einen Mordtatort ab. Ich wäre vorab für eine Erklärung dankbar, wie wir weiter vor Ort professionell kooperieren können. Außerdem würde ich es sehr begrüßen, wenn wir in einen konstruktiven und kollegialen Modus wechseln könnten“, konterte der Wachgruppenleiter.

Auf der Stirn von EKHK’in Agnes Henkel bildete sich eine Zornesfalte.

„Herr Holzner, richtig? Der kollegiale Umgang ist hier obsolet, da wir nicht mehr kooperieren werden. Ihre einzige Aufgabe wird es sein, uns in die bisherigen Maßnahmen und Erkenntnisse akribisch einzuweisen. Danach händigen Sie und Ihr Team uns Ihre Kameras und Mobiltelefone aus. Vergessen Sie, was Sie hier gesehen haben. Kehren Sie einfach wieder in Ihre Dienststelle zurück und kümmern Sie sich um Ihr Tagesgeschäft. Das hier ist eine Nummer zu groß für Sie. Haben wir uns verstanden, Herr Holzner?“, blaffte die BKA-Beamtin zurück.

KD Wittenberger schritt ein. „Maik, zieh dein Team bitte ab und komm gemeinsam mit der ersten Streife vor Ort, der Rechtsmedizin und der OFA in die neue Einsatzzentrale. Wir übergeben den Tatort komplett an das BKA – auch die weiteren Ermittlungen. Das ist mit unserem Ministerium so abgestimmt.“

Maik Holzner wurde sogar von zwei Beamten der BKA-Tatortgruppe begleitet, als er den Pavillon um den Tatort betrat.

„Hallo, Leute, lasst bitte alles stehen und liegen und verlasst den Tatort. Das BKA übernimmt ab jetzt. Folgt mir bitte. Wir bringen die Kollegen auf Stand und weisen sie ein“, sagte Maik Holzner entschlossen und ließ keine Diskussion zu.

Das Lehrerzimmer des Kaiser-Wilhelm- und Ratsgymnasium war in Beschlag genommen, während die BKA-Beamten dort ihre Arbeitsplätze aufbauten.

EKHK’in Agnes Henkel stellte sich den hannoverschen Einsatzkräften kurz vor und erklärte die aktuelle Situation:

„Aufgrund der Brisanz dieses Falles hat der Generalbundesanwalt die Ermittlungshoheit übernommen und an das Bundeskriminalamt übertragen. Damit endet mit sofortiger Wirkung die Zuständigkeit Ihrer Behörde – jede Mitwirkung an den Ermittlungen ist ausgeschlossen. Gegenüber Dritten, insbesondere Personen und Quellen, gilt absolutes Stillschweigen über alle bisherigen Erkenntnisse und Beobachtungen. Haben Sie das verstanden?“, belehrte die BKA-Beamtin die Anwesenden und ergänzte:

„Meine Kollegen werden Ihnen jetzt die Speicherkarten Ihrer Kameras entfernen sowie ihre Mobiltelefone an sich nehmen. Nach einer Sichtung und Löschung der Fotos vom Tatort erhalten Sie alles wieder zurück. Herr Holzner, ich bitte nun um Ihren umfassenden Bericht und weise Sie daraufhin, nichts auszuklammern“, forderte die BKA-Beamtin.

Nach etwa einer halben Stunde wurden die hannoverschen Beamten entlassen und unter Begleitung des BKA durch die äußere Absperrung geführt.

Das OFA-Team trat wortlos den Rückweg zur Dienststelle am Waterlooplatz an – sichtlich bestürzt.

„Hast du so etwas schon mal erlebt, Kristin?“, fragte die LKA-Psychologin Carlotta Bayer-Westhold.

„Nein, persönlich noch nicht, aber auf den OFA-Leiter-Tagungen war es des Öfteren Thema, dass bei Delikten mit staatsschutzrelevanten Aspekten der Generalbundesanwalt und damit auch das BKA übernimmt. Das ist hier also kein Einzelfall, auch wenn es für uns natürlich bitter ist. Interessant bleibt die Frage, ob die OFA des BKA eine Fallanalyse durchführt und uns einbezieht. Ich kläre das morgen früh mit den Kollegen aus Wiesbaden und biete unsere Kooperation an“, klärte die OFA-Leiterin auf.

„Der Fall an sich ist schon spannend. Allein das Täterverhalten spricht für absolute Profis. Wir müssten über die Opfer mehr erfahren, was allerdings offensichtlich hochbrisant ist“, warf Saskia Münter ein.

„Selbst wenn wir mit dem BKA gemeinsam einsteigen würden, bräuchten wir die gesamten Informationen und Erkenntnisse vom Tatort, die sie uns alle gerade abgenommen haben“, schränkte Kristin Bäumer ein.

Leander Reinders beugte sich auf dem Beifahrersitz herunter, griff in seine Socke und hielt plötzlich einen USB-Stick in die Höhe. „Mit den besten Grüßen von Maik“, schmunzelte er und erklärte: „Er hatte so etwas geahnt und mich gebeten, alles aus den Handykameras der ersten Streife, von den Kollegen des KDD und auch von Sandra auf den Stick zu kopieren. Selbst die Audiodatei des objektiven Befundes sowie die Einlassung der Zeugin ist dabei. Das heißt: Wir haben alles“, verkündete Leander nicht ohne Stolz.

„Okay, kein Wort nach außen und keinerlei Übertrag auf unsere dienstlichen Rechner. Das ist absolut heikel und darf unter keinen Umständen in andere Hände gelangen“, schwor die OFA-Leiterin ihr Team ein.

In den Medien war inzwischen bekannt, dass es sich bei den Opfern des Mordanschlages um das Ehepaar Dr. Schanzenberger handelte. Auch der Einsatz der BKA-Tatortgruppe war der Öffentlichkeit nicht verborgen geblieben. Die Generalbundesanwaltschaft hatte für den nächsten Morgen eine Pressekonferenz angekündigt.

Kapitel 2 Büthes im Ruhestand

Thorsten Büthe hatte aus den Nachrichten vom Mord an dem Ehepaar im Zooviertel erfahren.

„Na, Schatz, kribbelt es in dir? Möchtest du nicht am liebsten zum Tatort fahren?“, stichelte Vicci Büthe ihren Ehemann. Sie ahnte, was in ihm vorging. Er wusste, dass sein OFA-Team in den Fall involviert und vermutlich längst vor Ort war. Natürlich war er zumindest gedanklich mittendrin und verfolgte die Meldungen live bei NTV. Als eine Kameraeinstellung der Reportage auf den Hubschrauber der Bundespolizei schwenkte, wurde ihm die Brisanz des Falles bewusst, zudem er sich über Dr. Schanzenberger per Google bereits informiert hatte.

Ein politisch sensibler und spannender Fall. Der Pensionär war gespannt, ob die OFA Niedersachsen daran beteiligt werden würde.

Vicci beobachtete ihren Mann und konnte seine Gedanken lesen. Was ihn jahrzehntelang leidenschaftlich begleitet hatte, konnte er nicht mit der Aushändigung einer Ruhestandsurkunde einfach ablegen. Es gehörte zu ihm und letztlich auch zu ihnen als Paar. Auch Vicci war in 38 Ehejahren ein Teil dieses Lebens, durch alle Höhen und Tiefen hinweg.

Die beiden Ruheständler waren mittlerweile eingespielt. Sie hatten ihren Alltag gut strukturiert, wobei in der Woche zwei feste Tage für die Betreuung der Enkelkinder sowie mindestens zwei Trainingseinheiten im Fitnessstudio regelmäßig eingeplant waren.

Thorsten Büthe hatte darüber hinaus ein neues Hobby entdeckt. Der ehemalige Leiter der OFA Niedersachsen hatte seine Erlebnisse und die spannensten Fälle mit seinem Team auf Kreuzfahrten in einem Buch verarbeitet und sogar einen Verlag gefunden, der es veröffentlichte. Die Resonanz war überraschend positiv, und auch die Medien hatten wohlwollend darüber berichtet.

Unverhofft für Vicci und Thorsten war das Interesse und eine konkrete Anfrage von AIDA-Cruises vor einigen Monaten, die insbesondere Vicci als eher zurückhaltend betrachtete. Auf der AIDAnova wurde vom 6. bis 13. Dezember 2025 eine „Crime & Sea“-Cruise geplant und man hatte Thorsten Büthe als Autor und Fachreferent für Profiling angefragt. Angedacht waren Lesungen aus seinem ersten Kreuzfahrtkrimi und Vorträge, die das vielseitige Programm mit interessanten Gästen bereichern sollten.

Nach den oft bitteren Erfahrungen des OFA-Teams auf Kreuzfahrtschiffen war Vicci grundsätzlich skeptisch, aber was sollte in dieser Konstellation passieren? Thorsten war im Ruhestand und konnte gar nicht offiziell in irgendwelche Kriminalfälle involviert werden.

Neben dem Zugpferd der „Crime & Sea“, dem bekanntesten Thrillerautor Deutschlands, Bastian Frotzek, waren auch der „Tatort“-Schauspieler und ehemalige Gefängnisarzt und Autor Ben Jausch, die Bestsellerautorin Liz Behrmann, der Podcaster Phil Leitner sowie der Tatortreiniger Mike Madsen als Gäste angekündigt.

Thorsten Büthe war begeistert, ein Teil dieses Ensembles sein zu dürfen, und führte mehrere Telefonate mit dem Organisationsteam dieser Eventreise. Hier entwickelte sich die Idee, den Passagieren neben Lesungen und Vorträgen auch die Chance zu geben, praktisch an einem inszenierten Tatort – wie echte Ermittler in einer Mordkommission – zu agieren. Vicci und Thorsten saßen zusammen und entwarfen das Konzept eines Tatortanalyse-Workshops an Bord von AIDAnova. Sie hatten die Vision, den Workshop mit interdisziplinären Expertinnen und Experten hochkarätig zu besetzen, um den Fahrgästen authentische Einblicke in die Arbeit einer Mordkommission sowie in die Bereiche Fallanalyse, Rechtsmedizin und forensische Psychiatrie zu ermöglichen.

Thorsten Büthe griff zum Telefon und konnte die Oberärztin im rechtsmedizinischen Institut der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), Dr. Sandra Stockinger, den ehemaligen Leiter des sozialpsychiatrischen Dienstes der Region Hannover, Dr. Mark Seifert, und seinen ehemaligen Chef bei der OFA, Heinrich Löwe, für diesen Workshop begeistern.

Gemeinsam erstellten sie ein Konzept und konnten so AIDA überzeugen, jeweils zwei Workshops mit 25 Beteiligten an zwei Seetagen zu veranstalten.

Die Krimitour begann am 6. Dezember in Hamburg und führte über Rotterdam nach Zeebrügge, Le Havre und Southampton, ehe die AIDAnova am 13. Dezember wieder im Hamburger Hafen festmachte.

Mit jedem Tag, der verging, wuchs die Vorfreude – je näher die Abreise rückte, desto spürbarer wurde die Spannung.

Kapitel 3 Die neue Welt der gefährdeten Zeugin

Dr. Antonia Lessing wurde bis in die Nacht von Beamten des Staatsschutzes vernommen. Immer und immer wieder sollte sie die Situation schildern, die sie beobachtet hatte. Selbst rückwärts musste sie alles noch mal wiederholen. Man hatte ihr sämtliche Kleidung abgenommen und in verschiedene Beutel gepackt. An ihren Händen wurde eine Schmauchspurensicherung durchgeführt. Die Ärztin war erschöpft und saß in einem viel zu großen Jogginganzug in dem Vernehmungszimmer, in der ihr Wasser und Kaffee gereicht wurde. Einige Zeit später erschien ein Phantombildzeichner, der anhand ihrer Angaben das Täterpärchen mithilfe eines Fotobearbeitungsprogramms rekonstruierte. Schließlich bestätigte die Ärztin, dass die Bilder den beiden Personen sehr gut ähnelten.

Man ließ die Zeugin erneut allein, bis kurz darauf eine weitere Beamtin zusammen mit einem Kollegen den Raum betrat.

„Nicht schon wieder. Ich habe Ihren Kollegen alles mehrfach erzählt. Ich bin wirklich müde und möchte einfach nur nach Hause ins Bett“, sagte Dr. Antonia Lessing kraftlos.