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J.C. Ladberg

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Beschreibung

Wenn sich von den einem auf den anderen Tag das ganze Leben ändert… Dalia musste gerade erst dem Verlust ihrer Mutter ins Auge blicken. Als wäre das noch nicht schlimm genug, wird sie seitdem von Halluzinationen verfolgt. Eigentlich möchte sie nur in Ihr normales Leben zurück, doch plötzlich steht ein unheimlicher Mann vor ihrer Tür und behauptet er sei ihr lange verschollener Vater. Kann sie ihm trauen und was möchte er so plötzlich von ihr? Eine Reise in eine ungewisse Zukunft beginnt, in welcher sie vielleicht nicht nur ihr Herz, sondern auch ihr Leben verlieren kann. Und wird Dalias neu erhaltene Kraft helfen, die Gefahren zu überstehen?

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16

Dalia

J.C. Ladberg

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2. Auflage, Mai 2024

Copyright © Mai 2024 by J.C. Ladberg

 

Alle Rechte vorbehalten.

Janina Kuhlmeier

Hattinger Straße 669

44879 Bochum

[email protected]

ISBN 9783759264039

Dalia

Das Erwachen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

J.C. Ladberg

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Für meine kleine Familie,

die mich immer unterstützt hat.

 

 

Kapitel 1

»Mein herzliches Beileid zu deinem Verlust. Deine Mutter war ein toller Mensch. Ich kannte sie noch aus der Schulzeit. Sie war immer lebensfroh und hat die Freude mit allen geteilt. Es ist so grausam, dass sie sich selbst umgebracht hat. Bei ihrem sonnigen Gemüt ist kaum zu glauben«, sagt eine Frau, welche ich nicht kenne.

Meine Mutter hat nie über sie gesprochen, wie über so viele, die heute ihr Beileid bekundet haben. Aber eine Tragödie zieht schon seit je her den Abschaum der Gesellschaft an.

Trotzdem zwinge ich das gleiche, traurige Lächeln in mein Gesicht, welches ich heute schon den ganzen Tag zeige und sage, so freundlich ich kann: »Danke, das bedeutet mir viel.«

Natürlich bedeutet es mir nichts. Genauso wie den Menschen meine Worte auch nichts bedeuten. Müde schaue ich auf. Es wartet noch eine lange Schlange mit falschen Trauerbekundungen auf mich.

Weinen kann ich heute nicht mehr. Meine Tränen sind für den Tag aufgebraucht und niemand hat heute seine Tränen mit mir geteilt. Trotzdem sind sie alle gekommen und wollen Teil von dem tragischen Selbstmord meiner Mutter sein. Natürlich kannten sie alle besonders gut, waren so gut mit ihr befreundet und jeder kannte ihr besonders sonniges Gemüt. Natürlich ist es mit diesem Gemüt unvorstellbar, dass sie sich jemals etwas antun würde.

Natürlich denken und sagen sie das, weil niemand meine Mutter richtig kannte. Diese sonnige, strahlende Seite ist eine Seite von ihr gewesen. Aber, wie bei jedem Menschen, nur eine Facette eines ganzen Charakters. Sie hatte auch andere Facetten. Eine davon ist ein tieftrauriges und deprimiertes Gemüt gewesen. Sie hat zwar versucht, mir dieses nicht zu zeigen, und trotzdem habe ich sie oft genug so gesehen. Mich hat es nicht so sehr überrascht wie all die anderen Menschen, die jetzt so geschockt und verstört sind. Im letzten halben Jahr ist es viel schlimmer mit ihr geworden. Sie hat sich zurückgezogen, ist schreiend in der Nacht aufgewacht und hat sich tagsüber nur mit Tabletten über Wasser gehalten. Trotzdem bin ich tief erschüttert.

 

Vor drei Monaten hat sie das erste Mal versucht, sich das Leben zu nehmen und ist daraufhin in eine Klinik gegangen. Sie ist mit guten Worten und als nicht mehr gefährdet von den Therapeuten entlassen worden. Sie hat sich auch, ohne zu zögern, von mir das Versprechen abnehmen lassen, sich so etwas nie wieder anzutun. Sie hat mir versprochen, das Licht ihres Lebens, ihr Kosename für mich, niemals allein zu lassen.

Jedoch konnte mein Licht anscheinend nicht hell genug leuchten, um ihre Dunkelheit zu besiegen. Ich habe sie morgens in ihrem Bett gefunden, mit Schaum vor dem Mund und den Pulsadern aufgeschnitten. Sie ist sichergegangen und hat eine Überdosis an Schlaftabletten genommen. Niemand sollte sie dieses Mal retten können.

Seit diesem Tag durchdringt mich eine Kälte, gepaart mit einer tief sitzenden Verzweiflung. Ohne direkten Auslöser fange ich seitdem immer wieder an zu weinen und habe Schwierigkeiten, mich wieder einzukriegen. Kein bisschen Glück und Freude können mehr zu mir durchdringen. Ich existiere einfach nur noch und laufe auf Autopilot, außer wenn mich die Angst, der Schmerz oder die Verzweiflung in die Realität zurückziehen.

Ein schriller Schrei reißt mich aus meinen Gedanken. Schnell schaue ich mich um, auf der Suche nach der dunklen Gestalt, welche sich seit dem Tod meiner Mutter immer einmal pro Tag zeigt, natürlich auch jetzt bei der Trauerfeier. Die Gestalt steht gut dreißig Meter von mir entfernt, in einen dunklen Umhang gehüllt. Nachdem der Schrei verklingt, legt sich ein schauriges Lächeln auf dessen Lippen. Ich verziehe den Mund, versuche, meinen in die Höhe geschossenen Puls zu verlangsamen, und atme tief durch.

»Es ist nur eine Halluzination«, sage ich mir in Gedanken.

Niemand der Gäste soll meine Panik mitbekommen.

»Du schließt jetzt kurz die Augen und zwingst dich, dich von der Gestalt abzuwenden. Sobald du die Augen wieder öffnest, wird sie auch schon wieder verschwunden sein.«

Es ist schwer, meiner eigenen Anweisung zu folgen, aber ich weiß, dass dies die einzig richtige Entscheidung ist. Also atme ich nochmal tief durch und schließe meine Augen voller Unbehagen. Genauso wie meine Therapeutin es mir gesagt hat. Diese Technik hat bis jetzt auch noch nie ihre Wirkung verfehlt. Trotzdem fällt es mir jedes Mal schwerer, die Augen zu verschließen und nicht auf diese Gruselgestalt zuzugehen. Erleichtert öffne ich die Augen und atme aus. Auch dieses Mal ist der fast schon magische Sog verschwunden.

 

Heute gibt es keinen Totenschmaus für die angeblich guten Freunde meiner Mutter. Ich habe mich entschlossen, diese Tradition ausfallen zu lassen, da wir keinen wirklichen Bezug zu diesen Menschen haben. Meine Mutter und ich haben keine Verwandten mehr, außer meiner Patentante Patti. Diese habe ich aber auch schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Sie ist zu ihrem Freund nach Australien gezogen. Die beiden haben geheiratet und sie hatte dort ihr eigenes Leben aufgebaut. Ich habe zwar versucht, Patti zu kontaktieren, damit sie wenigstens Bescheid weiß, konnte sie aufgrund veralteter Kontaktdaten leider nicht erreichen.

Die Eltern meiner Mutter sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Meine Mutter war auch ungefähr in meinem Alter, als diese Tragödie passierte. Daher kann ich ihre Tat noch weniger verstehen. Sie hat mir das Gleiche angetan, was ihr in meinem Alter vom Schicksal angetan wurde.

Vor Schmerz zieht sich mein Brustkorb erneut zusammen und ich versuche, ruhig zu atmen. Doch es will mir nicht so recht gelingen.

Ab jetzt bin ich allein, denn auch einen Vater gibt es in meinem Leben nicht. Meine Mutter und ich haben auch fast nie über ihn gesprochen. Sie sagte immer, dass er die große Liebe ihres Lebens gewesen sei. Seine Eltern sind gegen diese Beziehung gewesen und haben es geschafft, die beiden zu trennen. Selbst als meine Mutter Wochen später auf sie zugegangen ist, um ihnen zu sagen, dass sie mit mir schwanger ist, wurde sie keines Blickes gewürdigt.

Nur ein paar Tage später haben seine Eltern ihr eine stattliche Summe geboten, damit sie mich abtreibt. Sie hatte sich geweigert. Hinterher haben sie ihr das Geld angeboten, wenn sie niemals jemandem sagt, wer mein Vater ist. Sie musste sogar einen Vertrag unterschreiben, in welchem sie bestätigte, dass sie es noch nicht mal mir sagen würde.

So bleibt es selbst nach ihrem Tod ein Geheimnis. Sie hatte den Vertrag nur unterschrieben, da er kein Interesse geäußert hat, mich kennenlernen zu wollen oder das Leben mit uns zu teilen. So wollte sie mir wenigstens die beste Möglichkeit geben, etwas aus meinem Leben zu machen.

Ich verstehe es, auch wenn ich in jungen Jahren gerne gewusst hätte, wer mein Vater ist. Wenn er nicht Teil unseres Lebens sein wollte, so konnte wenigstens der Reichtum seiner Familie dazu beitragen, dass wir ein sorgenfreies Leben gehabt haben.

»Zumindest sorgenfrei bis jetzt«, denke ich sarkastisch.

 

Traurig betrachte ich das große, dunkle Haus, welches nur zehn Laufminuten vom Friedhof entfernt ist. Für andere mag es gruselig wirken, mit seinen dunklen Holzbrettern und seinem Turm, doch ich habe mich hier immer heimisch gefühlt. Dies ist schon das Haus meiner Großeltern und davor ihrer Eltern gewesen.

Natürlich haben meine Mutter und ich es von innen modernisiert. Überall sind modernisierte Leitungen verlegt, wir haben eine optimale Internetverbindung zu uns legen lassen, Solarpaneelen auf dem Dach angebracht und die Räume hell und freundlich gestrichen.

Außerdem haben wir einen großartigen Garten mit Obstbäumen und Feldchen. Wir konnten uns selbst mit den meisten Lebensmitteln versorgen und nur vereinzelt mussten wir etwas in dem dreißig Minuten entfernten Dorf einkaufen gehen. Wir lebten fast vollkommen autark. Das gefiel mir, da wir immer viel Spaß zusammen hatten.

Sogar meine Schulbildung hat meine Mutter übernommen. Die nächste Schule war bei besten Bedingungen eine Stunde entfernt und das bedeutete, selbst wenn meine Mutter mich jeden Morgen mit dem Auto zur Schule gefahren hätte. Daher hatte sie damals kurzerhand beschlossen, mich von zu Hause aus zu unterrichten. Sie hat mich nur für die Jahresabschlussprüfungen zur Schule gefahren.

Als ich klein war, habe ich das natürlich nicht verstanden und wollte Freunde finden. Einen Kindergarten gab es im Nachbardorf, den ich auch besucht habe. Jedoch habe ich mit wachsendem Alter und Verständnis erkannt, dass Zeit das wichtigste Gut im Leben ist und es uns beiden nicht viel bringt, wenn wir zwei Stunden unserer Lebenszeit mit Fahrtweg vergeuden.

 

Bis heute. Heute kann ich es leider nicht mehr verstehen und verfluche mich selbst für diesen Umstand. Mir hat meine Mutter immer als meine beste Freundin ausgereicht und ich hatte ein erfülltes Leben mit ihr, doch ausschließlich mit ihr. Ich habe höchstens Bekannte und kenne Leute aus der Onlineschule, welche ich besuche. Leider sind das keine richtigen Freunde. Bis jetzt hat es mir auch noch nichts ausgemacht, denn wir sind glücklich gewesen bis auf diese depressiven Tage.

Wir hatten zusammen Spaß, haben den Garten gepflegt. Meine Mutter ist ihrer Kunst nachgegangen und ich bin in meinen Büchern versunken. Wir hatten zusammen Film- und Spielabende. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich noch einen weiteren Menschen in meinem Leben gebraucht hätte. Bis jetzt.

Jetzt bin ich komplett allein und habe keine Freunde, die mich unterstützen. Ich habe keinen Menschen mehr, mit dem ich meinen Schmerz teilen kann. Ich bin allein, komplett allein und das alles ist ihre Schuld. Sie hat mir den wichtigsten Menschen in meinem Leben genommen. Den einzigen Menschen, welcher eine Bedeutung in meinem Leben hatte.

 

Verzweifelt versuche ich, den Schlüssel in das Schloss unseres, nun meines Hauses, zu stecken. Meine Hand zittert stark und meine Sicht ist dermaßen verschwommen, dass es einfach nicht funktionieren will.

Mit einem Schrei der Frustration schmeiße ich den Schlüssel auf die Veranda, lasse mich auf den Boden sinken und stecke mein Gesicht zwischen die Knie. Der Schmerz in meinem Inneren ist unerträglich. Er zerreißt mir die Brust und kurz danach meinen ganzen Körper.

Ich weine. Weine vehement und hemmungslos über meinen Verlust, über meine Einsamkeit. Ich weine einfach, bis ich nichts mehr fühle. Bis mich mein ganzes Selbst durch meine Tränen verlässt, auch wenn ich dachte, dass ich heute keine Tränen mehr besitze.

 

Danach legt sich wieder die eisige Leere über mein Herz und ich wische mir mit meinen kalten Händen über mein erhitztes Gesicht. Vorsichtig greife ich nach dem Schlüssel und dieses Mal funktioniert es ganz einfach. Ich schließe die Tür auf, gehe in das Haus und betrachte nun nur noch mein Zuhause.

Es wirkt leer und ausgestorben. Verlassen. Die gelbe Küche, das rote Wohnzimmer, alles wirkt nicht mehr so bunt wie noch vor ein paar Wochen. Als hätte sich ein grauer Schleier über alles gelegt und das Haus würde nun mit mir trauern.

Seufzend schließe ich die Tür hinter mir und gehe direkt auf das Sofa zu. Ich will nur noch schlafen und alles für einen kurzen Augenblick hinter mir lassen.

Erschöpft lasse ich mich auf das Sofa fallen, igle mich ein, ziehe eine Decke über mich und schließe meine Augen. Sofort falle ich in einen erlösenden Schlaf.

Kapitel 2

Ein Klingeln weckt mich aus meinem Schlaf. Irritiert schaue ich mich um. Ich muss es mir wohl nur eingebildet haben, denn niemand kommt uns je besuchen. So weit raus ins Nirgendwo will niemand fahren, außer Menschen gehen Campen oder Wandern.

Ich will mich gerade wieder schlaftrunken in das Kissen sinken lassen, als es erneut klingelt. Nun setze ich mich steif auf und greife nach meinem Handy. Es ist einundzwanzig Uhr. Also keine gute Uhrzeit für einen Besuch, besonders im Herbst, bei dem schon alles um diese Uhrzeit düster ist.

Als es inzwischen ein drittes Mal klingelt, beschließe ich, es nicht weiter zu ignorieren. Ich stehe auf, mache die Lichter im Wohnzimmer an, tippe schon mal die Notrufnummer in mein Handy ein und gehe langsam Richtung Tür.

Jetzt schellt die Person noch ein viertes, fünftes und sechstes Mal hintereinander. Anscheinend möchte mich da jemand dringend sprechen.

An der Tür angekommen, mache die Schutzkette vor die Tür, schnappe mir den Baseballschläger, welcher hinter der Tür steht, und öffne die Tür einen kleinen Spalt.

 Vor der Tür steht ein großer Mann. Er sieht wie ein Enddreißiger aus. Er hat dunkles Haar und sein Gesicht wirkt nicht gerade freundlich. Jedoch kann ich nicht mehr in seinem Gesicht lesen, da es draußen dunkel ist und sein Gesicht durch seinen Hut noch weiter im Schatten liegt. Er wirkt recht kräftig. Trotzdem möchte ich mich durch seine Erscheinung nicht einschüchtern lassen.

»Ja, bitte?«, frage ich in unhöflichem Ton, mit dem ich versuche, mein Misstrauen zu überspielen.

»Dalia Lieber?«, fragt der Mann mit einer strengen, dunklen Stimme, bei welcher sich mir die Nackenhaare aufstellen.

»Wer möchte das Wissen?«, frage ich stoisch.

»Keran Nightfall. Ich bin dein Vater.«

Perplex schmeiße ich die Tür zu und atme tief durch.

Als würde ich das einem so dahergelaufenen Mann einfach glauben.

»Ich habe keinen Vater«, rufe ich noch durch die Tür und gehe wieder in das Haus hinein.

Das soll doch wohl ein schlechter Scherz sein.

Entrüstet schnaubend gehe ich in die Küche und lasse diesen fremden Mann und meine längst vergangenen Ängste und Wünsche hinter mir.

 

Ich gehe in die Küche, nehme mir ein Glas aus dem Schrank und fülle es mit Wasser. Hat dieser Mann nichts Besseres zu tun, als mir in meiner Trauer noch solch ungeheuerliche Lügen aufzutischen?

Selbst wenn es keine Lüge ist, macht ihn eine genetische Verwandtschaft noch lange nicht zu meinem Vater. Entrüstet knalle ich das Glas auf die Arbeitsplatte und es zerbricht in meiner Hand. Erschrocken schaue ich auf diese und kann erkennen, dass mich einige Splitter verletzt haben.

Natürlich bin ich zu unvorsichtig gewesen und habe es mit der Masse an Gefühlen zu hart aufschlagen lassen. Ich habe es nicht anders verdient.

Entnervt mache ich den Wasserhahn an und lasse das kühle Nass meine Hand auswaschen. Ich hatte noch nie ein Problem mit Verletzungen, und auch verletzte Tiere, die gelegentlich zu uns kamen, habe ich immer versorgt. Der Schmerz pocht in meiner Hand, ist jedoch nicht überwältigend.

Vorsichtig schaue ich mir meine Hand an und suche nach verbliebenen Glassplittern in den Wunden.

Plötzlich greift jemand nach meiner Hand und holt mit ruhigen Handgriffen zwei Splitter aus meinen Wunden. Den Schmerz fühle ich nicht, denn ich schaue nur, voller Schock, den Mann an, der bis gerade eben noch vor meiner Tür stand.

»Wie sind sie hier reingekommen?«, stottere ich.

Diese Situation überfordert mich immens.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich die Tür abgeschlossen habe. Außerdem war die Kette zum zusätzlichen Schutz eingeharkt und ich habe auch kein Aufbrechen der Tür gehört.

Die Fenster sind alle verschlossen. Das habe ich überprüft, bevor ich auf die Beerdigung gegangen bin.

Anstatt auf meine Frage einzugehen, fragt der Mann nun in ruhigerem Ton: »Wo ist der Verbandskasten?«

Wie von selbst mache ich eine nickende Bewegung unter die Spüle. Ich bin noch immer zu perplex, um mit dem angebrachten Verstand auf diese Situation zu reagieren.

Kurzerhand bückt er sich, holt den Verbandskasten hervor und betrachtet diesen eindringlich. Als er die Sachen findet, welche er sucht, holt er diese heraus.

Es ist eine der selbst angemischten Heil- und Schmerzsalbe meiner Mutter und ein Verband. Vorsichtig trägt er die Salbe auf und verbindet meine Hand, als wäre es das Normalste der Welt.

 

Als er damit fertig ist und sich meine Nerven etwas beruhigt haben, sehe ich ihn eindringlich an und frage erneut: »Wie sind sie hier reingekommen?«

Ich habe nicht vor, diese Frage ungeklärt zu lassen, nur weil er mir geholfen hat.

Sein Kiefer spannt sich an, als habe er gehofft, dass ich diese Frage nicht erneut stellen würde.

»Du hast die Tür offengelassen«, sagt er mit einer Selbstverständlichkeit, die normalerweise keinen Widerspruch duldet.

Langsam schüttele ich den Kopf, denn ich bin mir absolut sicher, dass ich die Tür doppelt gesichert habe.

»Nein, das habe ich nicht«, sage ich daher in bestimmendem Ton.

»Wenn du mir nicht glaubst, dann schau sie dir selbst an. Aufgebrochen habe ich sie jedenfalls nicht«, sagt er trocken und weist mit einem Nicken Richtung Flur.

 

Vorsichtig, ohne auch nur einen Moment unaufmerksam zu sein, schreite ich in den Flur und gehe Richtung Tür. Die Schlösser sehen von hier tatsächlich nicht beschädigt aus. Irritiert verziehe ich das Gesicht.

»Ich habe dir doch gesagt, dass ich die Tür nicht aufgebrochen habe«, sagt der mir fremde Mann in einem rechthaberischen Ton.

Erschrocken fahre ich zusammen. Obwohl ich auf jedes Geräusch geachtet habe, ist mir nicht aufgefallen, dass er mir gefolgt ist. Langsam drehe ich mich um und betrachte ihn nun genauer. Er hat kastanienbraune, längere Haare, welche unter seinem Hut hervorschauen. Er trägt einen schwarzen Mantel, einen schwarzen Schal und eine schwarze Hose mit Anzugschuhen. Alles an ihm wirkt düster.

Er hat ein markantes Kinn, welches einen grauen Schatten hat. Dies lässt darauf schließen, dass er seine Rasur hat ausfallen lassen. Seine Augen kann ich noch immer nicht sehen, da der Schatten des Hutes diese immer noch vor mir versteckt.

 

Ich beschließe, das Thema über das Eindringen in mein Haus erst mal fallen zu lassen, und sage in einem spöttischen Ton: »Was möchten Sie von mir? Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass ich keinen Vater habe. Ich habe auch nicht das Verlangen, sollten Sie tatsächlich mein Erzeuger sein, Sie kennenzulernen. Ich habe gerade genug anderes zu tun«, und mache eine auffordernde Handbewegung Richtung Tür.

Meine Worte ignorierend, dreht er sich um und geht in Richtung Wohnzimmer. In diesem schaut er sich einen Moment um, steuert einen Sessel an und entledigt sich seines Mantels und seines Hutes.

Auffordernd deutet er mit einer Handbewegung auf das Sofa, als sei das hier sein Haus. Entschlossen gehe ich in die Küche, zu meinem Smartphone. Das ist mir zu suspekt. Ich nehme mir vor, nun die Polizei anzurufen, damit sie diesen Verrückten aus meinem Haus schaffen, jedoch liegt mein Smartphone nicht mehr in der Küche.

»Suchst du das hier?«, fragt er ernst, doch mit einem amüsierten Unterton, als habe er meine Gedanken erkannt.

»Es ist nicht klug, das Einzige aus den Augen zu lassen, was einen Schutz bietet. Aber keine Sorge, ich habe nicht vor, dir zu schaden. Ich behalte es bei mir, bis wir miteinander gesprochen haben. Danach kannst du es wiederhaben. Nun tu mir bitte den Gefallen«, sagt er nachdrücklich und deutet erneut auf das Sofa, »und setz dich hin, damit wir beide sprechen können.«

Stoisch recke ich das Kinn vor und durchdenke meine Optionen. Er ist eindeutig größer und stärker als ich. Eine Flucht ist in dieser Situation vermutlich unmöglich.

Bis jetzt hat er mir tatsächlich nicht geschadet. Trotzdem greife ich mir das größte Messer aus dem Messerblock in der Küche. Ich halte das Messer fest in der Hand, gut sichtbar für den Mann, als ich zum Sofa gehe.

Sein Mund verzieht sich zu einem leichten Schmunzeln, als würde ihn meine Vorsichtsmaßnahme amüsieren.

Als ich ihn anschaue, sehe ich ihm das erste Mal in die Augen. Sie sind so hellblau wie der Himmel, von weißen Wellen umrandet, was sie noch heller wirken lässt. Mir stockt der Atem, denn seine Augen sind meine Augen.

Kapitel 3

»Also, was möchten Sie von mir? Ich habe ihnen bereits mitgeteilt, dass ich kein Interesse daran habe, mit Ihnen zu sprechen«, sage ich schroff zu meinem Gegenüber, auch wenn mich seine Augen noch immer aus dem Konzept bringen.

Dass die Augen gleich sind, kann ich nicht leugnen. Jedoch habe ich kein Interesse daran, meinen Erzeuger nun nach dem Tod meiner Mutter kennenzulernen. Jetzt, nachdem er uns all die Jahre im Stich gelassen hat.

So verzweifelt, dass ich mich jetzt darüber freue, bin ich jedoch auch nicht.

»Wie gesagt, ich möchte nur mit dir sprechen und ein paar Dinge klären, Dalia«, sagt der mir fremde Mann.

»Du bist gerade einmal sechzehn und jetzt auf dich allein gestellt. Ich sehe eine gewisse Verantwortung, mich nun in dein Leben einzumischen. Ich möchte dir dringend ans Herz legen, ab jetzt bei mir zu wohnen«, sagt er geschäftig.

Keine Gefühle mischen sich in seine Worte.

Entrüstet schnaube ich auf.

»Nein, Danke!«, sage ich scharf.

»Ich brauche keinen angeblichen Vater in meinem Leben und ich komme gut allein zurecht. Meine Mutter hat ein Testament aufgesetzt, in welchem festgeschrieben steht, sollte ihr jemals etwas zustoßen, werde ich nach einer eingehenden Prüfung durch den Staat für mündig erklärt. Wir haben durch deine Eltern genügend Geld erhalten, sodass ich noch nicht mal einen Tag in meinem Leben arbeiten müsste, wenn ich es nicht wollte. Daher kann ich auf diese gezwungene Familienzusammenführung gerne verzichten.«

 Bei meinen Worten und meinem verächtlichen Ton verziehen sich seine Lippen doch zu einem kleinen Schmunzeln. Dies ist jedoch nur von so kurzer Dauer, sodass ich mir nicht sicher bin, ob ich es tatsächlich gesehen habe.

»Außerdem, wer sagt mir, dass Sie wirklich mein Vater sind?«, frage ich und spucke das Wort »Vater« voller Abscheu aus.

»Nicht nur ein Verrückter, welcher sich jetzt in mein Leben schleichen möchte, um sich an mir zu bereichern.«

»Das ist ein berechtigter Gedanke«, sagt er ruhig und kühl.

»Ich kann verstehen, dass du mir jetzt natürlich zuerst misstraust. Zum einen haben wir hier eine offensichtliche Ähnlichkeit.«

Er deutet mit einer leichten Handbewegung auf meine Augen.

»Zum anderen habe ich den Vertrag meiner Eltern mitgebracht, den deine Mutter damals unterschrieben hat«, sagt er wieder sachlich, als wäre das alles nur ein Geschäft.

 

Er greift nach seinem Mantel, zieht einen braunen Umschlag hervor und reicht ihn mir. Ich bin erstaunt, dass er von diesem Vertrag weiß. Dieser ist aber noch immer kein eindeutiger Beweis, dass er tatsächlich mein Erzeuger ist. Er kann auch ein Bediensteter in dem Haus dieser Familie gewesen sein und so von dem Vertrag erfahren haben.

»Das ist für mich kein ausreichender Beweis«, sage ich bestimmt.

Was dieser Mann hier plötzlich möchte, verstehe ich noch immer nicht.

»Und selbst sollten Sie mein Vater sein, brauche ich Sie nicht so plötzlich, nach all den Jahren, in meinem Leben. Daher nochmal meine Frage: Was möchten Sie von mir? Was machen Sie nach all den Jahren hier, nachdem Sie uns beide im Stich gelassen haben?«, frage ich und greife nach dem Umschlag.

Das Messer halte ich noch immer fest in meiner Hand. Ich lege den Umschlag auf meinen Schoß, sodass ich ihn umständlich mit einer Hand öffnen kann. Hervor ziehe ich den besagten Vertrag sowie einen Stapel mit Fotos, die meine Mutter und vor allem mich zeigen.

Irritiert runzle ich die Stirn. Die Bilder sind mir nicht bekannt, was nur heißen kann, dass sie weder von meiner Mutter noch von mir geschossen wurden.

»Nun«, räuspert er und erlangt so wieder meine Aufmerksamkeit.

Ernst schaut er mir dabei in die Augen.

»In besagtem Vertrag gibt es einen Paragrafen, welcher festlegt, sollte deiner Mutter jemals etwas passieren und sich niemand um dich kümmern können, wird meine Vaterschaft anerkannt und dass du bis zum Ende deines siebzehnten Lebensjahres unter meiner Obhut stehen wirst. Das heißt, dass ich dein Erziehungsberechtigter werde. Ich habe damals für den Notfall darauf bestanden.«

 Diese Information schockiert mich. Entrüstet verziehe ich das Gesicht. Jetzt möchte er darauf bestehen, nachdem er sich mein ganzes Leben nicht für mich interessiert hat?

»Sie brauchen sich nicht daran zu halten. Wie sie den Angaben in dem Testament meiner Mutter entnehmen können, hat auch sie keinen Wert daraufgelegt, dass Sie sich daran halten«, sage ich kühl.

»Ich kann, wie ich bereits sagte, gut für mich selbst sorgen. Sie brauchen sich daher nicht verpflichtet fühlen.«

Plötzlich fängt der Raum um mich herum an, sich zu bewegen. Es ist wohl alles etwas viel für meinen Verstand und ich muss dringend durchatmen.

Erst der Verlust meiner Mutter und jetzt noch das? Ist es nicht langsam genug? Ist mir nicht etwas Frieden vergönnt?

Mit so viel Selbstsicherheit, wie ich aufbringen kann, sammel ich mich und sage: »Daher würde ich Sie jetzt bitten, zu gehen und mein Handy hierzulassen. Falls Sie tatsächlich nochmal etwas von mir möchten, können Sie mir ja gerne eine DNA-Probe dalassen, damit ich einen Test über unsere genetische Verwandtschaft machen kann. Aber selbst sollten Sie mein genetischer Erzeuger sein, heißt das noch lange nicht, dass ich Ihnen zuhören werde. Sie können sich gerne wieder in ihr bequemes Leben zurückziehen. Ich komme gut allein zurecht.«

Ich möchte mir nicht ansehen lassen, dass ich mit all dem und dem Tod meiner Mutter in diesem Moment überfordert bin.

Langsam nickt er, als würde er durch meine Fassade hindurchblicken.

»Ich kann verstehen, dass das jetzt alles etwas viel für dich ist und du natürlich mehr Beweise brauchst. Würde ich an deiner Stelle auch fordern. Trotzdem kann ich dir keine DNA-Probe für einen Test hierlassen«, sagt er ruhig, mit einem verständnisvollen Ton, als wolle er mich beruhigen.

Dabei wirkt er nicht mehr so geschäftlich wie zuvor.

Seine Augen, welche meinen so sehr gleichen, zeugen selbst von einer inneren Unruhe.

»Unsere Familie geht sehr bedacht mit der Abgabe unserer DNA um«, sagt er vorsichtig, als könne er damit schon zu viel verraten.

»Es ist schön, dass Ihre Familie sehr bedacht mit ihrer DNA umgeht. Sollte mir jedoch kein eindeutiger Beweis geliefert werden, werde ich auch nicht mal eine Sekunde nur darüber nachdenken, weiter mit Ihnen zu sprechen.«

 

Auffordernd mache ich eine Handbewegung Richtung Tür, um meinen Standpunkt zu untermauern. Entnervt fährt er sich durch die Haare und schüttelte leicht den Kopf, als wisse er nicht so recht, wie er jetzt weitermachen soll.

»Ok«, sagt er im ruhigen Ton und mit geschlagener Miene.

»Für heute werde ich gehen. Morgen werde ich mit einem Laboranten meines Vertrauens wiederkommen. Er wird die DNA-Analyse vor Ort durchführen, mit den entsprechenden Geräten, sodass du dir sicher sein kannst, dass hier keine Täuschung vorliegt. Währenddessen nimmst du dir bitte etwas Zeit, um in Ruhe mit mir zu reden. Wenn der Test negativ ist, wirst du nie wieder etwas von mir hören. Wenn der Test positiv ist, denkst du bitte in Ruhe über das Angebot nach, welches ich dir morgen machen werde. Ich werde morgen um zehn Uhr da sein, bitte sei bis dahin wach und vor Ort. Lies dir gerne die Unterlagen durch, welche ich dir mitgebracht habe. Allein unter diesen Voraussetzungen werde ich nun gehen und dir erstmal den Raum lassen, um das alles zu verarbeiten.«

Ich bin entsetzt. Anscheinend ist dieser Mann genauso stur wie ich und lässt sich nicht so leicht von seinem Vorhaben abbringen.

Ich denke einen kurzen Moment über meine weiteren Möglichkeiten nach und komme zu dem Schluss, dass dies gerade meine beste Option ist. Daher nicke ich bedächtig.

»Deal«, sage ich.

Etwas wie Erleichterung tritt in seine Miene. Er richtet sich auf, zieht seinen Mantel an und nimmt seinen Hut in die Hand.

»Danke, Dalia. Dann wünsche ich dir nun eine gute Nacht. Bis morgen.«

 

Erleichterung durchfährt mich, als ich die Tür in das Schloss fallen höre. Das alles, die ganze Situation ist einfach zu viel für mich. Ich merke, wie ich anfange zu hyperventilieren und Tränen in meine Augen treten. Doch ich zwinge mich, ruhig zu atmen. Warum taucht auch dieser Mann gerade heute, am Tag der Beerdigung meiner Mutter, hier auf? Warum ist er gerade jetzt so erpicht darauf, mich in seinem Leben zu haben und wie zur Hölle ist er hier reingekommen?

Ich merke, wie mein Puls wieder ansteigt und ich einem Nervenzusammenbruch erstaunlich nahekomme. Wieder zwinge ich mich, mich zu beruhigen und beschließe erstmal, zur Tür zu gehen und diese dieses Mal wirklich gut zu verschließen. Noch mehr Besucher kann ich heute nicht mehr ertragen.

Schwerfällig rappel ich mich vom Sofa hoch und merke erst jetzt, wie angespannt meine Muskeln sind. Mit steifen Schritten gehe ich zur Tür, bleibe jedoch abrupt stehen, als ich sehe, dass die Kette wieder oder noch immer vor der Tür hängt.

Ungläubig gehe ich noch ein paar Schritte vorwärts zu der Tür, rüttle an ihr und merke, dass auch diese abgeschlossen ist. Wie ist dieser Mann rein, geschweige denn raus gekommen?

Die ganze Situation ängstigt mich noch mehr. Ich merke, wie ich mich nicht mehr sicher in meinem eigenen Zuhause fühle. Als wäre das alles noch nicht genug, sehe ich durch das verschwommene Glas der Tür wieder die schwarze Gestalt, welche ich zuletzt auf dem Friedhof gesehen habe.

 

Verliere ich seit dem Tod meiner Mutter immer mehr den Verstand? Habe ich vielleicht nicht nur Halluzinationen von dunklen Gestalten, sondern auch von fremden Menschen in meinem Haus?

Da ich merke, dass der Sog der Gestalt immer stärker wird, schließe ich wie auf dem Friedhof meine Augen und atme tief durch. Die Gestalt und der von ihr ausgehende Sog müssen einfach verschwinden.

---ENDE DER LESEPROBE---