DANACH - Aufbruch in ein neues Zeitalter - Susanne Ehlert - E-Book

DANACH - Aufbruch in ein neues Zeitalter E-Book

Susanne Ehlert

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Beschreibung

Nach einer apokalyptischen Katastrophe globalen Ausmaßes sehen sich die Überlebenden in Deutschland damit konfrontiert, dass die Natur und die Infrastrukturen weitestgehend zerstört sind. Doch ein kosmisches Wunder hat ihre Denkweise völlig verändert und ihre Herzen für die Liebe geöffnet. Innerlich verwandelt beginnen sie mit den immensen Aufbauarbeiten und begründen eine friedliche Gesellschaft, die sich an immateriellen Werten orientiert. Politik, Wirtschaft, Bildung, etc. werden reformiert, die Nutzung der Freien Raumenergie revolutioniert das Verkehrswesen. Paranormale Fähigkeiten eröffnen die Entwicklung neuer Technologien. Doch an einem abgelegenen Ort existiert ein Bunker, dessen Bewohner weiterhin in alter egoistischer Manier ihr Unwesen treiben... Die Autorin entwirft eine packende Zukunftsvision, in der sich Menschen auf ihre ursprüngliche Sehnsucht nach einer vereinten Menschheit, einer reinen Natur und die Verbindung mit ihrer göttlichen Essenz besinnen. Der spirituelle Roman ist eine wunderbare Inspiration für alle, die das Tor in die neue Zeit öffnen möchten.

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EPUB
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Seitenzahl: 371

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Susanne Ehlert

***

DANACH

Aufbruch in ein neues Zeitalter

© 2020 Susanne Ehlert

Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

 

Paperback

978-3-7497-5181-5

Hardcover

978-3-7497-5182-2

e-Book

978-3-7497-5183-9

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhalt

Der Auftrag

Unruhen

Aufbruch

Surya

Die Sommerschule

Die Eifelinsel

Das Jahr 18

Karlsruhe

Das Geschenk

Die Wohngemeinschaft

Krieg

Ohne Erinnerung

Gefangen in der Wildnis

Die Tabuzone

Frieden

Die Ahnin

Das Wunder

Familiengeheimnis

Der Ring

Suryas Vorschlag

Ethik und Bildung

Grüne Sprache

Raum- und Landschaftsplanung

Politik und Wirtschaft

Medizin der Zukunft

Lenny und Surya

Forschungsgruppe EPI

Das Experiment

Dankbarkeit

Der Plan

Die Feuerprobe

Der Lichtträger

Am Lebendstein

Die Grotte

Die Botschaft

Leon

Über die Autorin

Glossar

Der Auftrag

Es war an einem trüben Novembermorgen, als meine bis dahin heile Kleinmädchenwelt ihren ersten Riss bekam. Wie üblich ging ich gleich nach dem Aufstehen zu meinen Eltern ins Esszimmer. Papa saß bereits vor dem Radio, er hörte wie jeden Tag die Sieben-Uhr-Nachrichten. Der Reporter sprach schnell und seine Stimme klang aufgeregt.

„Was ist passiert?“, fragte ich, noch etwas schlaftrunken.

„Das wirst du noch früh genug erfahren, Susi“, antwortete mein Vater kurz angebunden. „Frühstücke jetzt lieber!“ Er drehte das Radio lauter.

Wie meistens fehlte mir der Appetit, deshalb trank ich nur rasch eine Tasse Hagebuttentee.

Meine Mutter schaute mich vorwurfsvoll an. „Schon wieder isst du nichts. Dann hole das wenigstens in der Schulpause nach.“ Sie drückte mir ein dünn beschmiertes Leberwurstbrot in die Hand.

Mal wieder Leberwurst, dachte ich ein wenig enttäuscht, doch an diesem Morgen konnte mir das nicht die Laune verderben. Schließlich standen als Erstes zwei Stunden Kunst auf dem Unterrichtsplan. Hastig packte ich Zeichenblock und Farbkasten für mein Lieblingsfach in den Tornister, stopfte das Brotpäckchen ins Seitenfach und rannte los.

Zur Dorfschule, die an Sonntagen auch als Kirche diente, war es nicht allzu weit. Das alte Gebäude war im Grunde nur ein einziger Raum, an dessen einer Wandseite ein riesiges düsteres Porträt von Martin Luther hing. Der Lehrer, Herr Tillmann, war ein älterer dicklicher Mann. Er unterrichtete abwechselnd acht Klassen mit insgesamt etwa vierzig Schülern. Wie immer, war er schon da. An diesem kühlen Herbstmorgen hatte er sogar bereits den Holzofen angeschürt. Wie immer, kamen meine Mitschüler, Wolfgang und Udo, zu spät. Wie immer, hagelte es Ohrfeigen.

„Aufstehen! Beten!“, brüllte der Lehrer.

Hoffentlich merkte er nicht, dass mich diese Beterei schrecklich langweilte. Ich senkte ängstlich meinen Kopf, während ich den langen Text herunterleierte.

„Setzen!“, befahl Herr Tillmann nach einer halben Ewigkeit, und nach einer kleinen Pause fügte er hinzu: „Heute fällt der üblicheUnterricht aus. Stattdessen werden wir über das Attentat sprechen. Ihr habt es vielleicht schon gehört. Der Präsident von Amerika, John F. Kennedy, ist ermordet worden.“

Ich war wie vom Donner gerührt und konnte es gar nicht fassen, dass jemand in der Lage war, einen so mächtigen und in meinen Augen auch so guten Mann einfach zu töten. Mir stiegen Tränen in die Augen, und zum ersten Mal wurde mir bewusst, dass ich in einer Welt lebte, in der es Gewalt und Zerstörung gab.

Am Abend lag ich lange unter meiner Bettdecke, durch die warm das Licht der Nachttischlampe hindurchleuchtete. Es war mein tägliches Ritual, das ich liebte, denn in dieser, meiner selbst geschaffenen Höhle, fühlte ich mich so geborgen wie im Mutterleib, und alle Unannehmlichkeiten des Tages verloren an Bedeutung. Doch diesmal war es anders, denn ich musste die ganze Zeit an den Mord in Dallas denken. Ich war schrecklich traurig, und ich weinte. Nach einer Weile aber beruhigte ich mich wieder und schloss die Augen. Schon oft hatte ich bemerkt, dass es hinter meinen Augenlidern gar nicht richtig dunkel war. Im Gegenteil, unzählige Lichter tanzten darunter, wurden größer und verschwanden wieder. Dieser Lichtertanz faszinierte mich immer, besonders, weil ich dazu in meinen Ohren deutlich hohe, feine Summtöne hörte. Doch jetzt, nach diesem sorgenvollen Tag, verdichteten sich überraschend die Töne zu einer wunderbaren Symphonie, und ich hatte das Gefühl, von den Klängen hinauf in den Himmel getragen zu werden. Von oben sah ich nun, wie die Erde, die zuerst noch von dunklen Wolken umgeben war, immer mehr zum Vorschein kam. Die Wolken verschwanden, und der herrliche blaue Planet strahlte. Überall lebten lauter friedliche Menschen. Ich spürte, dass sie weder Angst noch Gier kannten, weder Zorn noch Hass, und niemand war krank. Die ganze Atmosphäre war von Freude erfüllt, alles glänzte voller Magie. Von diesem Moment an glaubte ich mit schier unerschütterlicher Sicherheit daran, dass das eine Vision war, die schon sehr bald Realität werden würde.

*

Die Zeit ist verstrichen, viele Jahre sind vergangen. Die herrliche Vision von einst hat sich keineswegs erfüllt. Im Gegenteil, in so vielenLändern herrschen Krieg und Terror. Überall entpuppen sich Politiker früher oder später als korrupt, Bänker als gierig und jeder einzelne scheint nur für sein eigenes Glück zu kämpfen. Natur und Menschen werden gnadenlos ausgebeutet. Am liebsten würde ich mich unentwegt gegen all das auflehnen, doch irgendwie bin ich mit den Jahren müde geworden. Es ist so, wie es ist, denke ich meist resigniert, wenn mir wieder einmal auffällt, dass ich ja doch nichts ändern kann. Wir leben eben im Zeitalter des Streitens, im finsteren „Kaliyuga“1. Utopien, wie der Kommunismus, sind gescheitert, „Love & Peace“ der Hippies endeten im Drogensumpf, und meine unzähligen Meditationen haben die Welt auch nicht besser gemacht. Den Traum vom Paradies auf Erden müsste ich eigentlich abhaken.

Doch heute Nachmittag sitze ich bei meinem Zahnarzt im Wartezimmer und entdecke eine Zeitschrift, in der in einem Artikel Zukunftsforscher die Welt von morgen schildern. „Roboter werden allgegenwärtig sein, manche werden sie sogar als Geliebte haben“, lese ich und bin unangenehm berührt. Man werde in Megastädten wohnen, als Tourist den Weltraum bereisen, in automatisch gesteuerten Autos fahren, seinen Haushalt über Datenbrille oder Smartphones steuern und am Körper Sensoren tragen, die dem Hausarzt jederzeit Daten über das momentane Befinden übermitteln können. Es folgen weitere Darstellungen von sensationellen technologischen Entwicklungen, die mich alle nicht begeistern. Wieso sollte sich unser Leben ausgerechnet am kalten, rein technischen Fortschritt orientieren? Wo bliebe da die Magie, die Liebe und die Schönheit? Was ist überhaupt Zukunft?, denke ich und lege die Zeitschrift enttäuscht zurück auf den Stapel der anderen Magazine, eigentlich doch nichts Determiniertes, sondern lediglich eine Wahrscheinlichkeit, die davon abhängt, welche Visionen, Ängste und Überzeugungen wir haben, welchen Gedankenmustern wir folgen und wovon unser Verhalten bestimmt wird. Wir spinnen die Fäden weiter, die sich in der Vergangenheit gebildet haben. Aber, bilden wir Menschen denn nicht gemeinsam das Konstrukt, welches die Spielregeln für diese Welt festlegt? Dann kann dieses Konstrukt doch auch jederzeit aufgelöst und durch ein neues ersetzt werden, oder nicht?

Unruhig rutsche ich auf meinem Plastikstuhl hin und her. Um mich herum sind die Wartenden offensichtlich mit ganz anderen Dingen beschäftigt. Um meiner Nervosität beizukommen, schließe ich die Augen und konzentriere mich auf meinen Atem. Nach einer Weile fällt mir ein Spruch von Sokrates ein, und ich versuche, mich an den genauen Wortlaut zu erinnern. Es geht um den Schlüssel zum Wandel, der darin liege, die eigene Energie auf das Neue zu richten, anstatt sich darauf zu konzentrieren, das Alte zu bekämpfen. Wie aber kann denn das Neue bloß aussehen?, überlege ich. Welche Gesellschaftsform bräuchten wir denn, welche politischen Systeme? Müssten wir unser Leben wirklich nur über Geld regeln?

Mitten im Grübeln und Fantasieren habe ich plötzlich das bestimmte Gefühl, dass mein Lebensauftrag darin besteht, ganz konkrete Ideen für ein Dasein in einer neuen, besseren Welt zu entwickeln. Sofort überfällt mich Panik, denn ich befürchte, dazu gar nicht in der Lage zu sein. Doch eine halbe Minute später steigt eine vage Erinnerung in mir auf an drei Träume, die ich vor Jahren einmal gehabt habe. Ich weiß, dass ich darin Menschen begegnet bin, die seltsamerweise in der Zukunft lebten. Einer Zukunft, die ich damals doch als sehr verlockend empfand. Ich versuche krampfhaft mich zu erinnern, denn vielleicht könnten mir diese Träume ja bei meiner Ideensuche weiterhelfen. Da fällt mir ein, dass ich die Träume irgendwo schriftlich notiert habe. Es war auf der Innenseite eines Buches, das damals zufällig auf meinem Nachttisch lag. Irgendwo in meinem Bücherregal müsste es jetzt noch stehen, ganz sicher. Augenblicklich fühle ich mich beschwingt und beschließe nach der Zahnbehandlung sofort nach Hause zu eilen, um es auszukramen.

*

Stunden später sieht es in meinem Wohnzimmer chaotisch aus. Auf dem Boden liegen, eilig aufgeblättert, alle Romane, die ich in den letzten Jahren gelesen habe. In keinem sind meine Traumaufzeichnungen zu finden. Wahrscheinlich ist genau dieses Buch meinem letzten Feng-Shui-Entrümpelungswahn zum Opfer gefallen, befürchte ich. Frustriert setze ich mich hin und denke noch einmal nach. Am einfachsten wäre es doch, wenn ich wieder mit jemandem aus der Zukunft in Kontakt treten könnte …, am besten mit jemandem, den2ich bereits von meinen Träumen her kenne. Gab es da nicht einen jungen Mann und ein kleines Mädchen? Ich weiß es nicht mehr. Ohne das Buch komme ich einfach nicht weiter! Dann, plötzlich, als ich meine Romane wieder ins Regal zurückräume, entdecke ich hinter einer Reihe Taschenbücher einen Reiseführer, der wohl schon vor Längerem dahinter gerutscht sein muss, denn er ist von einer dicken Staubschicht bedeckt. Das ist es!, denke ich sofort und schlage es hastig auf. Tatsächlich, auf den Innenseiten des Umschlags sehe ich meine krakelige Handschrift.

Traum vom 15.04.2011

Die Sonne scheint. Ich fliege langsam zu einer Industriehalle mit großen Fenstern, in der viele junge Leute ihrer Arbeit nachgehen. Das Gesicht eines jungen Mannes sehe ich ganz deutlich. Es kommt mir seltsam bekannt vor. Überall in der Halle wird gehämmert und geschraubt. Ich sehe Maschinen und Fahrzeuge aller Art, die man anscheinend auseinanderbaut und neu zusammensetzt. Man trägt Teile hierhin und dorthin, berät sich und plant. Alle sind fröhlich, ja regelrecht glücklich. Einige singen, andere machen Scherze. Hauptsächlich bauen die jungen Leute Schiffe und Boote in verschiedenen Größen.

Ich verlasse die Halle und fliege weiter übers Land, doch wohin ich auch blicke, alles ist überschwemmt, die Straßen, die Gehsteige, alles. Der Wasserpegel reicht fast bis zum Eingang eines großen Gebäudes, in dem ich anscheinend wohne. Plötzlich habe ich das schreckliche Gefühl, dass unglaublich viele Menschen gestorben sind, vielleicht auch mein Sohn Stefan und seine Familie. Verzweifelt suche ich nach ihnen. Ich schreie und jammere.

Ich lese die Episode noch einmal und dann noch einmal, und ich beginne, mich daran zu erinnern, dass ich damals, zu Beginn des Geschehens, ganz begeistert war von der fröhlichen Stimmung der Menschen, dass aber meine Begeisterung schnell gekippt war in Sorge um meinen Sohn. Auch jetzt klopft mein Herz wieder voller Angst, daher setze mich aufrecht hin, um zu meditieren. Doch statt Ruhe zu finden, entrollt sich vor meinem inneren Auge eine merkwürdige Geschichte, inder der junge Mann, dessen Gesicht ich damals im Traum gesehen habe, eine große Rolle spielt.

Unruhen

Marion zitterte immer noch am ganzen Körper. „Es war so schrecklich! In der Stadt herrschte das totale Chaos, überall brennende Autos und eingeschlagene Schaufenster. Und plötzlich überfielen mich diese zwei Männer! Stell dir bloß vor, sie stießen mich ganz brutal um, und als ich am Boden lang, traten sie auch noch mit den Füßen nach mir. Dann stahlen sie mir die Handtasche mit dem vielen Geld. Aber das Schlimmste war …“ Ihr kamen die Tränen und sie schniefte laut in ein Taschentuch. „Den Buggy haben sie einfach auf die Straße geschoben! Wenn da ein Auto gekommen wäre! Nur gut, dass die zwei Polizisten in der Nähe waren.“

Stefan nahm seine weinende Frau tröstend in den Arm. „Dem Kleinen ist nichts passiert, das ist die Hauptsache.“

Beide betrachteten liebevoll ihren Sohn Jan, der friedlich in seinem Bettchen lag und schlief. Aber Marion wollte sich gar nicht mehr beruhigen. „Bald gibt es hier Bürgerkrieg wie im Ruhrgebiet und man kann nur noch bewaffnet auf die Straße gehen. Was sollen wir nur machen?“

Stefan überlegte eine Weile. „Wir müssen dringend raus aus der Stadt. Was ist denn eigentlich mit dem Haus deiner Tante in Schliersee, das du geerbt hast? Haben die Mieter nicht neulich erst ihren Vertrag gekündigt? Dann könnten wir doch demnächst da einziehen.“

„Ja, schon. Aber das Häuschen ist doch viel zu klein und total renovierungsbedürftig“, gab Marion zu Bedenken. „Außerdem hättest du einen ziemlich langen Weg ins Büro nach München.“

Stefan winkte ab. „Ach was! Auf dem Land ist es auf jeden Fall viel sicherer als hier in der Stadt. Dafür nehme ich die weite Fahrt gerne in Kauf. Vielleicht kann man das Haus ja ein wenig umbauen. Lass es uns, wenn die Mieter raus sind, noch mal genauer anschauen, okay? Mal sehen, was sich machen lässt.“ Er wollte sich seine tiefe Besorgnis über die Weltlage in der Gegenwart seiner Frau nicht anmerken lassen. Doch ihm war klar, dass sich die Lage wirklich drastisch verschlimmert hatte. Noch nicht einmal die Mainstream-Medien versuchten mehr, die innenpolitische Situation zu beschönigen, die in Frankreich und Italien beispielsweise bereits außer Kontrolle geraten war. Nicht nur die vielen Unruhen und ständigen Terroranschläge fürchtete er, sondern er dachte auch darüber nach, ob der allmähliche Zerfall der EU einen Finanzcrash in naher Zukunft heraufbeschwören würde, der Hunger und Armut auch in die reiche Industrienation Deutschland bringen könnte. Schließlich hatte er Wirtschaft studiert, er wusste, wie schnell das ging. Er konnte der Idee, umzuziehen, auch deshalb etwas abgewinnen, weil zu dem Grundstück des Häuschens ein großer Obst- und Gemüsegarten gehörte. Sie könnten sich also zur Not selbst versorgen und sogar Hühner halten.

*

„Es ist total schön hier!“, rief Stefan begeistert, als sie wenige Wochen später in Marions kleinem Haus waren. „Schau nur, durch dieses Fenster haben wir sogar einen Blick auf die Berge!“ Er legte seinen Arm um Marions Hüfte und zog sie leicht zu sich heran.

Marion nickte. „Und wie gemütlich der alte Kachelofen in der Stube aussieht! Der macht den Raum sicher wunderbar warm.“

Die beiden stiegen die steile Treppe nach oben, um das Bad und das große Schlafzimmer unter der Dachschräge in Augenschein zu nehmen. Stefan bemerkte gleich Marions kritischen Blick, als sie das Badezimmer mit der alten Wanne und den grünen Fliesen betraten. „Das lassen wir auf jeden Fall renovieren“, meinte er und nahm seine Frau liebevoll in den Arm.

Marions Augen leuchteten auf. Sie zog Stefan hinüber zum Schlafzimmer. „Vielleicht kann man hier ja eine Trennwand einziehen?“, schlug sie vor. „Dann hätte Jan später sein eigenes Zimmer.“

„Einverstanden!“, sagte Stefan und freute sich. Vielleicht wäre es tatsächlich ganz schön hier. Noch vor ein paar Jahren hätte er seine Frau wohl nicht so leicht dazu gebracht, aus München fortzuziehen. Er wusste, wie sehr sie das freie Leben in der Stadt liebte. Aber das war jetzt vorbei. Im „Englischen Garten“ hatten sie früher immer nackt in der Sonne gelegen, das machte jetzt fast keiner mehr. Alles hatte sich nachteilig verändert, damit müssten sie sich wohl abfinden.

*

Ein halbes Jahr später war das kleine Haus bezugsfertig und die Familie zog ein. Stefan fuhr jeden Morgen nach München zur Arbeit, Marion kümmerte sich um den kleinen Jan und brachte mit viel Eifer den verwahrlosten Gemüsegarten in Schuss. Zum Glück fanden sie schnell neue Freunde, denn in der Nachbarschaft lebte ein nettes Paar mit einem einjährigen Mädchen namens Laura. Im Sommer grillten sie oft zusammen, und als Laura laufen lernte, wurde sie bald Jans beste Spielgefährtin.

In dem kleinen Ort verlief das Leben fast sorgenfrei, während auf der ganzen Welt die Unruhen und Naturkatastrophen weiter zunahmen. In Kalifornien hatte man schon länger ein großes Erdbeben befürchtetet, und als es tatsächlich passierte, kostete es unzählige Menschenleben. Dies war allerdings nur eins der vielen Probleme Amerikas, denn kurz vor dem Erdbeben war in New York ein nuklearer Sprengsatz gezündet worden. Die Terroristen, die dafür verantwortlich waren, hatten mit diesem Racheakt auf eine, aus ihrer Sicht völlig unangemessene, militärische Aktion der USA im Nahen Osten reagiert. Die Welt war entsetzt gewesen und von überall her war der Ruf nach Frieden laut geworden, doch die kriegerischen Auseinandersetzungen gingen noch immer ungehindert weiter. Zudem stiegen die Nahrungsmittelpreise. Eine Folge der vielen Missernten über Jahre hinweg. Schuld daran waren immer wiederkehrende, plötzlich auftretende Wetterkapriolen, aber auch das, durch den unverantwortlichen Einsatz von Pestiziden verursachte, weltweite Insektensterben. Die rasante Zunahme der Ernteausfälle hatte zur Folge, dass der Kampf um Nahrung in vielen Ländern bereits den Alltag der Menschen bestimmte. Die Steuern wurden massiv erhöht und große Teile der einst wohlhabenden Bevölkerung waren inzwischen bettelarm. Zu all dem existenziellen Unglück gab es täglich neue, ungeheuerliche Enthüllungen über Kindesmissbrauch und Gewalt bis in höchste kirchliche und politische Kreise. Dazu wurden ständig neue Fälle von Steuerbetrug und Korruption bekannt. All das wühlte die Menschen auf, und bald verloren sie jegliches Vertrauen in Führungspersönlichkeiten und Politiker. Aber auch die Ressourcenverschwendung und die ungebremste Zerstörung der Natur hatte ein immenses Ausmaß angenommen und unüberschaubare Schäden verursacht. Außerdem funktionierte die Integration der vielen Zuwanderer aus fremden Ländern nur in wenigen Fällen. In den meisten Städten waren Wohnviertel entstanden, in denen bald fast nur noch Migranten lebten, nach der Art und Weise ihrer Heimatkulturen. Weder sie noch die Deutschen bemühten sich auch nur annähernd um Toleranz und Verständigung. Es gipfelte darin, dass Dinge, die früher einmal als große Katastrophen gegolten hatten, wie Überschwemmungen, Erdrutsche und Waldbrände, sinkende Öltanker oder Industrieunfälle, in den Nachrichten nur noch beiläufig erwähnt wurden. Die meisten Menschen vegetierten mittlerweile völlig apathisch dahin und nahmen das sich zuspitzende Weltgeschehen gar nicht zur Kenntnis. Dabei ähnelte die Gesamtsituation längst schon einem Pulverfass, das kurz davor war, zu explodieren.

*

Eines Tages, nach etwa vier Jahren, kam der große Finanzcrash und Stefan verlor seinen gut bezahlten Job. Die Versicherungsgesellschaft, bei der er schon seit acht Jahren arbeitete, kündigte über die Hälfte der Mitarbeiter.

„Ich habe ja geahnt, dass eines Tages so was passieren wird“, meinte er gefasst, als er abends nach Hause kam und Marion das Kündigungsschreiben in die Hand drückte. „So viele Menschen sind jetzt arbeitslos. Ein Glück, dass wir uns ein zweites Standbein aufgebaut haben.“ Seit ein paar Monaten kümmerte er sich nämlich, gemeinsam mit seiner Frau, um die Direktvermarktung der Milcherzeugnisse der ansässigen Bauern in einem kleinen Laden in Schliersee. Den Verlust seiner Arbeitsstelle würde er nun zum Anlass nehmen, diese Tätigkeit auszuweiten.

Noch am selben Abend setzte er sich an seinen Schreibtisch und plante für die weitere Zukunft seiner Familie. Sie könnten vor allem noch andere Waren in dem Geschäft anbieten, denn der regionale Standort würde jetzt ein großer Vorteil sein. Schon seit Jahren steckte er viel Geld in den Ankauf von Silber und Gold, Edelmetalle waren jetzt überall ein begehrteres Tauschmittel als schnell gedrucktes Notgeld, jedenfalls für Produkte mit wirklich guter Qualität.

Tatsächlich dauerte es gar nicht lange, und die umliegenden Supermärkte standen bald halb leer. Stattdessen florierte das kleine Geschäft in Schliersee. In den drei kommenden Jahren ging es der Familie recht gut. Der kleine aufgeweckte Jan ging mittlerweile in die nahegelegene Grundschule und erlebte eine recht unbeschwerte Kindheit auf dem Land. Dann aber verschärfte sich die außenpolitische Lage dramatisch. Eines Tages, als Stefan und Marion gerade die neusten Entwicklungen dazu im Fernsehen verfolgten, wurde das Programm für eine andere äußerst besorgniserregende Eilmeldung abrupt unterbrochen. Stefan, der eine gewisse mediale Begabung besaß, wusste sofort, dass sich nun ihr beschauliches Leben grundlegend verändern würde.

Aufbruch

Jan, inzwischen dreizehn Jahre alt, half Franz Heindl, einem Großhändler aus München, beim Ausladen der Bestellungen vor dem Geschäft seines Vaters. Der schlaksige Junge, bei dem bereits ein spärlicher Bartwuchs zu erkennen war, freute sich immer auf die Ankunft des Kaufmanns, denn dieser berichtete stets gern, was er so alles auf seinen Fahrten in der Umgebung gehört hatte. Seine Erzählungen bildeten eine wichtige Informationsquelle für die Dorfbewohner, denn seit dem Ereignis gab es in diesem Teil des Landes keinen Rundfunkempfang mehr.

„Was gibt es Neues?“, fragte Jan ungeduldig und machte ein erwartungsvolles Gesicht.

Franz, ein Mann in mittleren Jahren, trank erst genüsslich einen ordentlichen Schluck kühles Bier – ein Getränk, das zu seinem Leidwesen in diesen Zeiten nur sehr schwer zu bekommen war. „Letzte Woche waren ein paar junge Leute bei mir im Lager“, sagte er und klopfte dabei zufrieden auf seinen recht beachtlichen Bauch. „Sie tauschten ein paar Silbermünzen gegen zwei Säcke Getreide ein. Ich musste die schweren Dinger dann auf einen alten Leiterwagen hieven, der schon voll mit anderen Kisten bepackt war. Und stell dir bloß vor, als ich sie fragte, wohin sie mit all dem Zeug wollten, erwiderten sie doch tatsächlich: ,Nach Karlsruhe ans Meer‘!“

Inzwischen hatten sich zu den beiden noch andere Dorfbewohner hinzugesellt, die ungläubig zuhörten. „Was erzählst du uns denn da für Märchen, Karlsruhe liegt doch gar nicht am Meer!“, meinte einer der Umstehenden augenzwinkernd. „Hast wohl schon zu viel Bier getrunken!“ Alle lachten.

Aber Franz schüttelte den Kopf. „Die jungen Leute sagen, dass sich durch das Ereignis oben im Norden und besonders am Rhein total viel verändert hat. Die ganze Gegend soll kaum wiederzuerkennen sein. Anscheinend reichen Ausläufer der Nordsee jetzt bis in den Südwesten Deutschlands. Da soll das Klima jetzt so sein wie früher auf Sizilien.“

„Das ist ja geil!“, grölten ein paar Jugendliche, die dabeistanden.

„Wollen die jungen Leute dahin, weil es da jetzt so warm ist?“ Vor Jans innerem Auge entstanden Bilder von Orangenbäumen mit saftigen Früchten, Bananenplantagen und Kokospalmen.

Der Kaufmann überlegte kurz. „Nein, ich glaube, es hat einen anderen Grund. Die sagen, dass Karlsruhe einmal die Stadt der Zukunft werden wird. Dort werden alternative Gemeinschaftsstrukturen erprobt und neue Technologien entwickelt.“

Jan war wie elektrisiert. Er wusste augenblicklich, dass er eines Tages auch dorthin gehen würde, und rannte gleich zu Laura, um ihr davon zu erzählen. Die blonde Nachbarstochter war seine beste Freundin.

„Hey, warum willst du denn fort?“, fragte Laura erstaunt. „Gefällt es dir bei uns etwa nicht mehr?“

„Doch, schon … Ich liebe die Berge. Ich mag alle Menschen hier im Dorf total gern und …“

Bevor der Junge mit seiner Rede fortfahren konnte, unterbrach ihn Laura und deutete mit dem Finger auf den Kögler Johann, der gerade in der Ferne auftauchte. „Ach, wirklich? Ich wusste gar nicht, dass du alle magst, etwa den da auch?“ Sie lachte.

Jan verzog das Gesicht, denn Laura spielte auf einen unangenehmen Zusammenstoß an, den er mit diesem Bauern gehabt hatte. Sie war damals noch klein gewesen, als er eines Tages schreiend und vollkommen verdreckt an ihr vorbei nach Hause gelaufen war. Später hatte er ihr erzählt, was passiert war. Seine Eltern hatten ihm aufgetragen, ein paar Eier beim Kögler zu kaufen, aber auf dem Hof war niemand zu sehen gewesen. Er war deshalb in den Ziegenstall gegangen, um eine Weile die Tiere zu streicheln. Plötzlich war der Bauer herbeigerannt gekommen und hatte ihn wütend angeschrien: „Jetzt aber raus mit dir, du dammischer Drecksbua! Dir werd i scho zeigen, wo du hing’hörst! Hier hast’ nix zu suachen. Ihr Beng’l aus der Stadt meint wohl, dass euch alles g’hört. Schleich di, aber glei’!“ Der stets übellaunige Mann hatte zu einer Ohrfeige ausgeholt und Jan hatte zurückweichen wollen, doch er war der Länge nach in eine Lache mit stinkender Jauche gefallen.

„Ja, den Kögler Johann mag ich genauso gern wie alle anderen“, lachte er nun auch. „Du weißt schon, wie verwandelt er seit dem Ereignis ist, oder? Die Liebenswürdigkeit in Person!“

„Da hast du recht“, bestätigte Laura. „Das Ereignis hat alle total verändert, obwohl“, sie machte eine kleine Pause und dachte nach, „so wirklich kann ich mich an die Zeit davor gar nicht mehr erinnern. Auch an das Ereignis selbst habe ich nur vage Erinnerungen. Ich weiß nur noch, dass ich nach dem schrecklichen Sirenengeheul fast wie auf Kommando in einen wahnsinnig langen Schlaf gefallen bin.“

„Das ging mir genauso“, erwiderte Jan. „Ich glaube, ich habe drei Tage lang geschlafen. Aber an den Abend davor erinnere ich mich noch genau. Ich kam abends vom Fußballspielen mit dem Seppi heim. Meine Eltern bemerkten mich erst gar nicht, weil sie total gebannt auf den Fernseher starrten. Später erzählte mir Papa was los war, aber er beruhigte mich sofort. Er hatte gar keine Angst trotz dieser erschreckenden Eilmeldungen. Irgendwie wusste er, dass alles gut enden würde. Das hat er, glaube ich, auch allen Menschen im Ort gesagt, die sich später beim Wirt versammelt hatten. Naja, und dann nach dem Aufwachen war alles ganz crazy, total hell überall, alles hat gefunkelt und gestrahlt. Meine Eltern saßen ganz still in der Stube und ich habe gespürt, dass irgendetwas sie völlig verändert hat.“

Laura nickte. „Genau, das habe ich auch bei meinen Eltern bemerkt. Mama meinte damals, das sie so unglaublich happy wäre, obwohl tatsächlich die Katastrophe eingetroffen sei, die man zuvor in den Nachrichten angekündigt hatte.“

„Ja, wirklich komisch, dass wir bei dem entsetzlichen Knall, den es gegeben haben soll, nicht aufgewacht sind! Der Wind soll auch so schrecklich laut geheult haben. Was das Ereignis für Schäden angerichtet hat! Papa wollte erst allein nachschauen, aber Mutter und ich ließen uns nicht davon abhalten, mit ihm zusammen nach draußen zu gehen. Wie das da ausgeschaut hat! Die Verwüstungen waren einfach gigantisch!“

„Ja, echt schrecklich!“, bestätigte Laura. „Sowas hatte ich noch nie gesehen, der See war ja riesengroß und von einigen Häusern waren nur noch die Dächer zu sehen. Überall Erdrutsche und fast jeder Baum war umgeknickt.“

„Genau, meine Eltern und ich wollten zum Dorfgasthof laufen, aber überall versperrten uns entwurzelte Bäume und Geröllmassen den Weg. Papa meinte, dass es wahrscheinlich überall auf der Erde so sei. Das gewohnte Leben auf der Welt hätte sich nun drastisch verändert und daran würde sich auch so schnell nichts ändern. Da hat er wohl Recht behalten. Bis heute funktionieren ja weder Internet, TV noch Handy. Allerdings habe ich gehört, dass es irgendwo schon wieder Radio und Telefon geben soll.“

„Aber ihr habt es dann doch noch bis zum Dorfgasthof geschafft, genau wie meine Eltern und ich. Wie glücklich war ich damals, dich dort lebend zu sehen.“

Laura strahlte.

„Ja, wir alle haben jeden mit einem freudigen Hallo begrüßt, der damals in die Wirtsstube kam. Einfach jeder war plötzlich so herzlich und hilfsbereit! Sogar der Kögler Johann, der früher immer so garstig war. Jetzt sind wir hier im Dorf wie eine einzige große Familie.“

Jan lächelte und nahm Laura in den Arm. Beide standen eine Weile engumschlungen da. Doch dann löste er sich wieder von seiner Freundin.

„Trotzdem will ich nach Karlsruhe“, meinte mit ernstem Gesicht. Auch wenn ich alle hier furchtbar vermissen werde. Es ist doch spannend, wenn irgendwo etwas ganz Neues aufgebaut wird, findest du nicht? Außerdem muss ich diese Meeresbucht sehen. Vielleicht wird dort mal ein Hafen gebaut und ich kann dabei mithelfen.“

Jan hatte Lauras Vater oft beim Bauen oder Renovieren zur Seite gestanden und war auch schon in der Lage, selbstständig einige Maschinen zu reparieren. Ihm gefielen handwerkliche Arbeiten. Doch er freute sich auch darauf, endlich wieder zur Schule gehen zu können. Im Herbst sollte es soweit sein, dann würde die Strecke zwischen München und Schliersee nicht nur für Versorgungsfahrzeuge, sondern auch wieder für den allgemeinen Verkehr freigegeben werden, und man hoffte, nach dreijähriger Zwangspause den allgemeinen Schulbetrieb erneut aufnehmen zu können. Im Moment war Jan die Schule allerdings vollkommen egal. Wenn er älter wäre, würde er sogar gleich seine Sachen packen und sich auf den Weg nach Karlsruhe machen. Doch dann sah er Lauras Gesicht. Sie wirkte plötzlich so traurig.

„Was hältst du davon, wenn du in ein paar Jahren mit mir mitkommst?“, fragte er, doch Laura schüttelte sofort den Kopf und Jan sah Ablehnung in ihren Augen. Er überlegte, wie er seine Freundin umstimmen könnte, und hatte eine Idee. Er wusste, dass sie Südfrüchte liebte, wie gerne sie früher das exotische Obst gegessen hatte. Jetzt gab es ja keinerlei Handelsbeziehungen mehr zu anderen Ländern, sodass sie schon lange darauf verzichten musste. „Am Meer ist das Klima so warm, dass bald Orangen und Bananen da wachsen“, behauptete er. „Die könnten wir doch im eigenen Garten anbauen?“

„Einen eigenen Garten hätte ich schon gern.“ Lauras Augen leuchteten augenblicklich. Er hatte wohl die richtigen Worte getroffen. „Vielleicht komme ich doch mit.“

*

Als Jan neunzehn war und Laura siebzehn, ließen sie sich nicht davon abhalten, ihr Vorhaben in die Tat umsetzen. Ihre Eltern bedauerten das sehr. Marion ermahnte die beiden mehrmals, immer gut auf sich aufzupassen. Vor dem Abschied packte sie in ihre großen Rucksäcke so viel Essen, dass sie sich kaum schließen ließen.

„Wie sollen wir das denn alles tragen?“, protestierte Jan. „Wir können doch nur bis München mit dem Franzl mitfahren, dann müssen wir wahrscheinlich zu Fuß gehen!“

Der letzte Blick auf den Schliersee trieb den jungen Leuten Tränen in die Augen. Als Franz mit seinem Laster abfuhr, standen außer den Eltern auch viele Dorfbewohner da, um ihnen zuzuwinken. Laura schaute, so lange sie zu sehen waren, traurig aus dem Fenster. Dann, nach einiger Zeit, waren nicht nur die vertrauten Menschen aus ihrem Blick verschwunden, sondern auch die Berge. Alles lag hinter ihr, und sie ließ sich von der Abenteuerlust ihres Freundes anstecken, der pausenlos von seinen Plänen in Karlsruhe erzählte.

Surya

Viele Wege in den Norden waren noch nicht freigeräumt. Jan und Laura mussten so manche Strecke zu Fuß bewältigen. Doch die langen Märsche machten ihnen nichts aus. In den letzten Jahren waren sie ja fast jeden Tag fünfzehn Kilometer gelaufen, um in Miesbach die Schule zu besuchen, denn der Schulbus fuhr nur bei äußerst widrigen Wetterverhältnissen. Trotzdem war die Reise strapaziös. Glücklicherweise trafen sie überall auf freundliche Menschen, die ihnen Proviant gaben oder eine Unterkunft ohne Gegenleistung zur Verfügung stellten.

An diesem Tag regnete es heftig, daher waren sie froh, schon gegen Mittag Unterschlupf in einer kleinen Pension zu finden. Sie ruhten ein paar Stunden aus und saßen bei Einbruch der Dunkelheit auf dem schmalen Bett eng beieinander, um im Schein eines Kerzenlichts einen Happen zu essen. Mit einem Mal wurde Jan klar, wie schön Laura eigentlich war, und er fragte sich, warum er das bisher noch nicht bemerkt hatte. Sie hatte den straff gebundenen Zopf gelöst, und ihr kräftiges helles Haar legte sich jetzt wie ein weicher Mantel über ihre schmalen Schultern. Ganz schüchtern berührte er ihre weiche Haut. Laura erschauderte voll Wonne. Vorsichtig näherten sich ihre Lippen den seinen und sie gab ihm einen innigen Kuss. Beide waren wie berauscht von den in ihnen aufsteigenden Liebesgefühlen und sagten lange kein Wort.

„Meine Liebste, ich bin so glücklich, dass du bei mir bist!“, flüsterte Jan Laura zärtlich ins Ohr, als die Kerze schon fast heruntergebrannt war.

„Du wirst es nicht glauben, aber schon als Kind habe ich gewusst, dass wir zusammengehören.“ Lauras Augen strahlten. „Deshalb war ich auch so traurig, als du gesagt hast, dass du fortgehen willst. Nur gut, dass du mich überredet hast, mitzukommen.“

„Ich war eben schlau und habe dich mit Bananen gelockt!“

„Nein, du Esel! Es war der schöne Gedanke, mit dir zusammen einen Garten zu haben. Bananen sind mir ganz wurscht.“

Beide lachten und schmiegten sich eng aneinander.

*

Vier Wochen später trafen sie endlich in Karlsruhe ein.

Laura fiel sofort auf, dass unter dem fröhlichen Gewirr der Menschen recht viele Kleinkinder waren. Schau nur!“, rief sie aufgeregt. „Da vorn ist ein Paar, das kaum älter ist als wir. Sie haben schon zwei Kinder. Soll ich die mal fragen, ob sie wissen, wo man hier eine Wohnung finden kann?“

Sie liefen ein bisschen schneller, um die zwei anzusprechen. Hilfsbereit wies das Pärchen ihnen den Weg zu einem öffentlichen Gebäude. Als Jan und Laura dort ankamen, gab es ein großes Gedränge. In der Eingangshalle umringten die Menschen eine junge Frau, die sich bemühte, jedem der Neuankömmlinge eine geeignete Bleibe zu vermitteln. Sie hatten Glück. Es gäbe eine Wohnung ganz in der Nähe in einem großen, ehemals sehr hohen Mietshaus. Bei dem Ereignis wären die oberen Geschosse samt Dachkonstruktion durch die schrecklichen Stürme zerstört worden, doch nun hätte man endlich ein neues Dach errichten können, unter dem sich mehrere kleinere Wohnungen befänden.

Laura und Jan öffneten neugierig die Haustür und entdeckten mit einiger Überraschung, dass die Bewohner das großzügige helle Treppenhaus zu einem Gewächshaus umfunktioniert hatten. Zahlreiche Tomatenstauden und Gurkenpflanzen trugen schon üppige Früchte. Ein schmaler Gang mitten durch das viele Grün führte zu den einzelnen Wohnungen. Sie stiegen vier Stockwerke hinauf und betraten erwartungsvoll ihre ersten eigenen vier Wände unter dem Dach. Doch dann trauten sie ihren Augen kaum, als sie aus dem kleinen Fenster sahen. Ihr Blick fiel auf eine große, umgepflügte Fläche, die früher einmal ein Parkplatz gewesen sein musste. Jetzt war dort eine Wiese, auf der ein paar kleine Obstbäume wuchsen, und im südlichen Eck hatte man sogar einen Kartoffelacker angelegt.

Noch am Ankunftstag lernten sie die anderen Mitbewohner kennen, denn kaum, dass sie da waren, brachten ihnen die Nachbarn gebrauchte Möbelstücke und Lebensmittel und gratulierten ihnen zum Einzug. Obwohl die Möbel alles andere als schön waren, freute sich Laura sehr darüber und begann sofort, das neue Heim gemütlich einzurichten. Jan hingegen konnte es gar nicht abwarten, das Meer zu sehen. Nachdem er Laura geholfen hatte, Bett, Tisch und Schränke an den richtigen Platz zu schieben, küsste er sie und ließ sie mit den restlichen Kleinigkeiten allein, um hinunter zum Wasser zu laufen. Doch schon bald kam er zurück.

„Der Strand ist leider noch immer mit vielen Trümmern übersät“, berichtete er enttäuscht. „Das wird wohl noch Jahre dauern, bis das alles geräumt ist.“

Am nächsten Tag meldete sich der schlanke, aber kräftige Jan umgehend beim Bautrupp der Stadt. Laura hingegen, die von ihrer Mutter, einer Schneiderin, schon viel von deren Kunst gelernt hatte, hoffte in diesem Beruf eine Anstellung zu finden. In Karlsruhe gab es, im Gegensatz zu Schliersee, wo eine halbwegs intakte Landwirtschaft die Bevölkerung mit genug Nahrung versorgen konnte, nicht immer ausreichend Lebensmittel für alle. Man hatte damals, nach dem Ereignis, alle Vorräte zusammengetragen, das hatte für einige Monate gereicht. Die zivile Notfallreserve war streng rationiert worden, war aber trotz des drastischen Rückgangs der Bevölkerungszahlen bald aufgebraucht gewesen. Da Laura leider keine Schneiderei fand, die sie beschäftigen konnte, schaute sie sich nach einer anderen Arbeit um und fand schließlich einen Job auf einem Markt, wo die wenigen, mühsam aus der Umgebung herbeigeschafften Nahrungsmittel in gerechter Verteilung angeboten wurden. Diese Tätigkeit gefiel ihr sehr, und auch Jan zeigte sich zufrieden, denn mit seinem handwerklichen Geschick und seiner Erfahrung beim Bauen war er innerhalb kürzester Zeit überall ein gefragter Mann.

*

Zwei Jahre später wachte Laura eines Nachts auf und konnte lange nicht wieder einschlafen. Sie fühlte in ihrem Körper eine tiefe Sehnsucht aufsteigen, und auf nie zuvor erlebte Weise spürte sie ganz intensiv, dass eine Seele im Raum anwesend war. Sie schien sich ihr anvertrauen oder mitteilen zu wollen.

Am nächsten Morgen wusste Laura, was der nächtliche Besuch zu bedeuten gehabt hatte. Schnell stand sie auf und ging in die kleine Küche, wo ihr Mann bereits das Frühstück vorbereitete. Leise trat sie auf ihn zu und umarmte ihn innig. „Jan“, flüsterte sie ihm zärtlich ins Ohr. „Ich spüre, dass ein Wesen darauf wartet, von mir geboren zu werden, und zwar möglichst bald.“

„Mein Schatz, wir sind doch noch so jung, und es sind karge Zeiten“, erwiderte Jan erstaunt. „Lass uns noch etwas warten!“

Doch Laura schüttelte den Kopf. „Nein, es ist genau jetzt richtig, glaub mir.“

Als Jan sah, dass es ihr ernst war, schlug er ihr vor, nach der Arbeit gemeinsam Emilia und Noah zu besuchen, die mit ihren zwei Kindern sicherlich genügend Erfahrung hätten, um ihnen einen Rat zu geben.

Das freundliche Elternpaar, das Laura und Jan an ihrem Tag der Ankunft in Karlsruhe vor etwa zwei Jahren so nett geholfen hatte, wohnte nur wenige Straßenzüge entfernt. Emilia öffnete die Tür und bat Laura und Jan erfreut herein. Nach ein paar Begrüßungsworten trugen die beiden gleich vor, weshalb sie gekommen waren.

„Es gibt anscheinend viele Seelen, die genau zu dieser Zeit auf die Welt kommen wollen“, klärte Emilia sie auf. „Sie möchten schnell inkarnieren, da sie hier wichtige Aufgaben zu erledigen haben, und einige Eltern vermuten sogar, dass ihre Neugeborenen besondere Fähigkeiten entwickeln würden.“

„Fähigkeiten?“, fragte Laura etwas irritiert. „Was bedeutet das?“

Inzwischen war auch Noah hinzugetreten. „Das wissen wir noch nicht genau“, meinte er nachdenklich. „Aber ich schätze, dass sie für das Neue, das hier entstehen soll, von großer Bedeutung sein werden.“ Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Deshalb haben wir uns, wie so viele andere junge Paare auch, so frühzeitig für Kinder entschieden.“

„Es gibt inzwischen sogar ein neues Geburtshaus. Es befindet sich hier ganz in der Nähe“, meinte Emilia und schaute dabei den noch immer zweifelnden Jan bedeutungsvoll an, wie um zu sagen, dass dies wohl ein Zeichen für die richtige Entscheidung wäre.

*

Kurze Zeit nach dem Besuch bei Emilia und Noah war Laura tatsächlich schwanger geworden, und als der Geburtstermin nur noch wenige Wochen entfernt lag, kam Jan eines Tages nach der Arbeit mit einer guten Nachricht nach Hause.

„Stell dir vor, Laura“, erzählte er aufgeregt. „Es fahren jetzt wieder Züge von Stuttgart nach München! Wir könnten also bis Stuttgart laufen und von München aus mit dem Franzl im LKW nach Schliersee fahren. Was glaubst du, wie sich da unsere Eltern freuen, wenn sie uns sehen! Die haben doch schon so lange nichts mehr von uns gehört!“

Seit einem Jahr bestand zwar schon wieder eine Telefonverbindung nach München, aber noch keine Leitung nach Schliersee. Postverkehr gab es ebenfalls nur zwischen den großen Städten. Deshalb hatten sie seit ihrem Aufbruch lediglich den Eltern eine Nachricht über ihre glückliche Ankunft zukommen lassen, als jemand, den sie kannten, einmal eine Reise in ihre Heimat unternommen hatte.

„Oh, wie gern würde ich meine Eltern mal wieder in den Arm nehmen!“ Laura strahlte, doch ein paar Sekunden später machte sie ein ernstes Gesicht. „Wir müssen aber sofort los, sonst schaffe ich den Fußmarsch nicht mehr. Was glaubst du, was unsere Familien für Augen machen werden, wenn sie erfahren, dass wir ein Paar sind und auch schon ein Kind erwarten!“

Tatsächlich war die Wiedersehensfreude riesengroß. Die beiden Familien hatten sich in Jans Elternhaus versammelt, um den Besuch des jungen Paares zu feiern. Lauras Mutter mochte es gar nicht recht glauben, dass sie bald Oma sein würde. Immer wieder legte sie ihre Hände auf Lauras Bauch. Doch Jans Vater, der inzwischen ein angesehenes Mitglied im Landrat war, schien von Lauras früher Schwangerschaft keineswegs überrascht zu sein. Er ging zum alten Küchenschrank und kramte aus einer Schublade ein kleines Kästchen hervor. Vorsichtig öffnete er es und überreichte es seinem Sohn.

„Das ist der Ring meiner Mutter. Er soll meiner Enkelin gehören“, sagte er feierlich. „Gib ihn ihr aber erst zu ihrem zwanzigsten Geburtstag!“

„Aber“, sagte Jan verdutzt, „du weißt doch gar nicht, ob es ein Mädchen wird!“

„Ganz sicher!“, gab Stefan mit einem geheimnisvollen Lächeln zurück.

*

Als bei Laura die Wehen einsetzen, saß Jan neben ihr am Bett im Geburtshaus. Warmes rotes Licht beleuchtete das Zimmer nur schwach und strahlte die runde Kuppeldecke atmosphärisch aus. Im Hintergrund lief leise eine beruhigende Melodie. Jan streichelte liebevoll Lauras Kopf. Bald wäre es soweit. Der Geburtsprozess war kaum schmerzhaft, eigentlich glich das Gefühl in Lauras Unterleib eher einem langen, heftigen Orgasmus. Sie lächelte, als sie das letzte Mal presste, und dann, nach einer großen ekstatischen Welle, erblickte Surya das Licht der Welt.

*

Das Leben in Karlsruhe blieb weiterhin sehr entbehrungsreich. Zwar gab es inzwischen Trinkwasser in den bewohnten Häusern, und auch die Stromversorgung funktionierte für zwei Stunden pro Tag, doch herrschte in der Stadt immer noch Nahrungsmangel, es gab wenig Getreide und kaum Milchprodukte. Allerdings war es nur eine Frage der Zeit, bis die Zufahrtsstraße nach Stuttgart, die man seit Kurzem fast vollständig freigeräumt hatte, wieder befahrbar sein würde, sodass sich der rege Tauschhandel über die umliegenden Dörfer hinaus bis in die Großstadt ausdehnen könnte.

Jan arbeitete mittlerweile nicht nur auf Baustellen, sondern an zwei Tagen in der Woche in einer alten Fabrikhalle, wo man Fahrzeuge und Maschinen aller Art zusammengetragen hatte. Aus dem vorhandenen Fundus wurden zumeist Boote in unterschiedlichen Größen gebaut. Da noch immer viele Landstriche unter Wasser lagen, waren diese Boote sehr begehrt.

Währenddessen wuchs Surya inmitten einer großen Kinderschar auf. Überall in der Stadt sah man die Kleinen in kleinen Gruppen fröhlich miteinander spielen, und es gab stets ein paar Erwachsene, die gerne die Betreuung übernahmen. Viele nahmen aber auch ganz selbstverständlich ihre Kinder mit an ihren Arbeitsplatz, damit sie sahen, was ihre Eltern beruflich taten und so auf praktische Weise von ihnen lernen konnten.

An einem sonnigen Tag begleitete Surya ihren Vater zur Fabrikhalle. Der Weg dorthin führte die beiden durch ein Überschwemmungsgebiet, deshalb trug die Siebenjährige Gummistiefel, ebenso wie ihr Vater. Normalerweise verhielt sich das Kind meistens eher still, doch heute plapperte es unentwegt vor sich hin. Jan lächelte, doch er verstand ihre Worte nicht, weil ihre Stimme seltsam verändert klang. Noch nie hatte er seine Tochter so reden gehört. Ohne jeden Übergang stellte sie ihm einige Fragen, die ihn in Erstaunen versetzten. Jan, der wie sein Vater eine mediale Begabung besaß, bemerkte, dass durch Suryas Mund ein Geistwesen sprach. Warum es sich ausgerechnet sie als Medium ausgesucht hatte, begriff er in diesem Moment noch nicht. Daher war er ein wenig besorgt. Doch als er spürte, dass dieser Geist keinesfalls den Körper seiner Tochter in Besitz nehmen wollte, sondern lediglich neugierig war, bemühte er sich, alle Fragen so gut es ging zu beantworten. Ihn beschlich eine Ahnung, dass dies für Surya wohl nicht der letzte Kontakt mit der jenseitigen Welt sein würde.

Als Jan am Abend mit seiner Tochter heimkam, sah er das Kästchen mit dem Ring seiner Großmutter geöffnet auf dem Tisch liegen.

„Warum hast du es herausgeholt?“, fragte er seine Frau etwas vorwurfsvoll. „Es sollte doch verschlossen in meinem Schreibtisch aufbewahrt werden!“

„Ich war es nicht!“, wehrte Laura empört ab.

Jan und Laura blickten ihre Tochter durchdringend an, doch Surya sagte nichts. Für den Rest des Abends hüllte sie sich in ein merkwürdiges Schweigen, und die Eltern wagten nicht, sie weiter nach dem Ring zu befragen.

*

Surya war ein zartes Mädchen und schien oft von einer melancholischen Schwere umgeben zu sein. Überhaupt war sie ein eher versonnenes Kind, ganz im Gegensatz zu ihrer Freundin Alina, mit der sie seit ein paar Wochen die nahe gelegene Grundschule besuchte. Die pummelige Alina lebte mit ihren Eltern und ihrem Bruder in einem der vier Häuser, deren Bewohner sich zu einer Lebensgemeinschaft zusammengeschlossen hatten, zu der auch Surya, Jan und Laura gehörten. Gemeinsam bewirtschaftete die Großfamilie einen Garten, in dem eine mit wildem Wein bewachsene Laube stand, in der die Kinder oft spielten. Der Umgang mit der stets lustigen, unkomplizierten Alina tat der kleinen launischen Surya gut, denn obwohl sie introvertiert und hochsensibel war, besaß sie auch eine wilde Seite. Wenn diese sich zeigte, konnten ihre großen dunkelbraunen Augen funkeln, insbesondere, wenn sie sich ärgerte. Surya verabscheute alles, was hässlich oder kaputt war, und ihr übertrieben wirkender Schönheitssinn brachte ihre Eltern manchmal nahezu zur Verzweiflung. Gefiel ihr irgendein Gegenstand oder Kleidungsstück nicht, drängelte sie solange, bis Abhilfe geschaffen wurde. Entweder wurde das, was sie nicht mochte, verschönert oder an andere weitergegeben.

Eines Tages zeigte Alina ihrer Freundin den Schmuck ihrer Mutter, der in einer hübschen Samtschatulle aufbewahrt war. Surya nahm eine Perle heraus und hielt sie gegen das Licht.

„Oh, die ist schön … und rund wie die Erdkugel!“, rief sie begeistert und drehte die kleine weiße Perle eine Weile zwischen den Fingern hin und her. Dann, mit entschlossenem Gesicht, hob sie ihre rechte Hand und tat so, als ob sie damit einen Zauberstaub in die Ferne richtete. „Hokuspokus!“, sang sie beschwörend. „Die ganze Welt soll so sein wie diese Perle! Wunder-wunderschön und vollkommen rein!“

Von der Sauberkeit und Schönheit, die sich Surya in der äußeren Welt wünschte, war man allerdings weit entfernt, seit das Ereignis stattgefunden hatte. Allen war klar, dass die Schäden nicht innerhalb einer oder sogar zweier Generationen zu beheben wären. Man war darauf eingestellt, ein Leben lang damit beschäftigt zu sein. Niemand störte sich deshalb daran, dass die Dinge alles andere als perfekt waren. Man freute sich über jeden Tag und jeden Fortschritt. So war die fröhliche Aufbruchsstimmung der ersten Jahre noch immer deutlich zu spüren, und das Leben in der neu erblühenden Stadt gestaltete sich äußerst abwechslungsreich, ganz im Gegensatz zu dem beschaulichen Dasein in Schliersee, wo Surya regelmäßig mit ihren Eltern die Sommerferien verbrachte.

Die Sommerschule