Dann press doch selber, Frau Dokta! - Josephine Chaos - E-Book
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Dann press doch selber, Frau Dokta! E-Book

Josephine Chaos

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Beschreibung

Als Frauenärztin schon wieder ungeplant schwanger?! Eine wahre Geschichte, noch lustiger als die Schwarzwaldklinik … »Ich schwöre: Ich bin lieb! Wirklich! Aber mit Nierenschalen zu werfen – das geht dann doch ein bisschen zu weit. Also schrei ich: ›Frau Pharma? FRAU PHARMA! Es reicht jetzt! Pressen Sie mal, statt hier so rumzufurien!‹ Frau Pharma ist das aber so was von egal! ›Ich press nich mehr, Frau Dokta! Ich will JETZT ´nen Kaiserschnitt! Abba sofoooort!‹ Dann wirft sie mir noch eine ganze Batterie an Schimpfwörtern an den Kopf, deren Bedeutung ich erst googlen muss, bevor sie – und JETZT wird es lustig – einfach aufsteht und davonstürmt …« Ärzte sind auch nur Kollegen im Kittel: Erleben Sie die Klinik als verrücktes Großraumbüro mit strengen Oberschwestern, attraktiven Chefärzten und vielen tollen Geburten! Über die Autorin: Josephine Chaos ist ein Pseudonym. […]

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Seitenzahl: 298

Veröffentlichungsjahr: 2013

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Josephine Chaos

Dann press doch selber, Frau Dokta!

Aus dem Klinik-Alltag einer furchtlosen Frauenärztin

Fischer e-books

Für B. – Love of my life

– der immer an mich glaubt und ohne den ich heute nicht wäre, wer ich bin!

 

Und für J. B., L. E. und B. J.

– die wunderbarsten Kinder, die eine Mutter haben kann!

Die Personen und Handlungen in diesem Buch sind völlig frei erfunden, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Menschen rein zufällig und somit nicht beabsichtigt.

Erster und zweiter Schwangerschaftsmonat

Was Scarlett O’Hara und Dr. Messer mit Schokoweihnachtsmännern zu tun haben

Es gibt Momente im Leben, die sind einzigartig! Großartig! Wunderbar! Hochzeiten zum Beispiel, Taufen, Liebe auf den ersten Blick …

Aber das meine ich alles gar nicht. Es geht mir um die kleinen Höhepunkte des medizinischen Alltags, wenn alles um einen herum so absolut stimmig ist, dass man vor Freude jauchzen könnte.

Der perfekte Operationstag, zum Beispiel: Wenn dich dein Lieblingsteam schon am frühen Morgen mit einer La-Ola-Welle begrüßt, nur weil dein iPod die richtige Musik spielt. Bevor es dann ernst wird, schnell noch die obligatorische Prä-OP-Tasse-Kaffee mit dem uralten Oberarzt der Anästhesie trinken, der ganz sicher noch persönlich miterlebt hat, wie Scarlett O’Hara anno 1860 in wagenradgroßen Taftröcken über die Kriegsschauplätze von Atlanta gewatet war. Und schließlich: entspanntes Operieren mit dem Lieblingschef. Wenn der dann mal wieder völlig entfesselt, obwohl absolut bewegungslethargisch zu einem Abba-Song um den OP-Tisch tänzelt, während du liebevoll die letzte Hautnaht setzt, dann wird einem klar: Dann ist das ein guter Tag!

 

Selbst Nachtdienste können Charme haben. Ich persönlich mag die unruhigen ja am liebsten: gerne mehrere Gebärende hintereinander weg, dazwischen ein bisschen Ambulanzarbeit, kurzer Tratsch mit Schwester Notfall und die obligatorische Gute-Nacht-Cola mit Dr. Messer (Chirurg, von der netten Sorte). Wenn es dann im Kreißsaalstützpunkt richtig gemütlich, weil brechend voll ist, und es Kantinenessen, Kissen und Klatsch-Journale in rauen Mengen gibt – idyllisch untermalt vom monotonen Klopfen des Wehenschreibers –, mal ernsthaft: Wer will dann schon zu Hause schlafen? Ich ganz sicher nicht.

Okay, das ist dann doch nur die halbe Wahrheit. Denn daheim warten schließlich ein Mann, drei Kinder, diverse Tiere und ein umfassender Haushaltsplan auf mich, die – bitte, danke – auch alle beachtet werden möchten.

Sicher, die Kinder sind schon ziemlich groß und müssen nicht mehr rund um die Uhr bemuttert werden. Und auch der Mann macht mir das Arbeiten in jeder Hinsicht denkbar einfach: In all den Jahren unserer Elternschaft gab es – abgesehen vom Gebären und Stillen – nichts, was er als Vater nicht ebenso gut gekonnt hat. Dennoch wünsche ich mir manchmal eine kleine, schnuckelige Privatpraxis, inklusive geregeltem Nine-To-Five-Job, einer Zwei-Stunden-Mittagspause (täglich!) sowie sämtliche Wochenenden, Nächte und selbstverständlich alle nationalen Feiertage frei. Ach, wäre das schön!

Auf der anderen Seite steh ich ja auch ein bisschen auf Feiertagsdienste in der Klinik. Vor allem auf die ganz großen wie Weihnachten und Silvester. Es mag vielleicht an den bunten Lichtern und den Kitschengeln am Plastikweihnachtsbaum liegen, dass an diesen Tagen alle ein bisschen runterreguliert sind. So gibt es dann auch morgens statt des täglichen Routinegemotzes von Oberschwester Elvira erst einmal belegte Semmeln, hartgekochte Eier und leckere Schokoweihnachtsmänner. Anschließend rollt der Visite-Konvoi entspannt und glänzend gelaunt an den wenigen Patientinnen vorbei, die zu krank sind oder gerade erst entbunden haben, um heimgehen zu können. Und gleich danach findet man sich auch schon wieder zur nächsten gemeinsamen Mahlzeit ein. Ach, könnte es doch immer so sein …

Doch wie so oft im Leben gibt es neben gleißendem Sonnenlicht jede Menge Schatten: Da wird man von Friede, Freude, Plätzchenessen unterm Tannenbaum schneller wieder in die Realität katapultiert, als einem lieb ist. Zum Beispiel durch eine Geburt, die nicht annähernd so glatt läuft, wie das Lehrbuch es vorschreibt. Oder durch jede Menge schlechtgelauntes Pflegepersonal, unzuverlässige Kollegen oder zu viel Verantwortung für zu wenig Geld. Aber dann fällt einem plötzlich im größten Durcheinander wieder ein, warum sich frau für diesen und keinen anderen Beruf entschieden hat: Es sind die schönen Momente, die es rausreißen, das, was die Sekretärin, der Richter, die Lehrerin und selbst Germany’s next Top Model nicht erleben: Gestandene Mannsbilder, die heulend vor Glück ihr Erstgeborenes im Arm halten. Ein Tumor, der sich Dank modernster Chemotherapie in gesundes Nichts aufgelöst hat.

Menschen Hoffnung geben. Oder Zeit. Oder beides. Wie großartig ist das denn?

Und man weiß mit einem Mal wieder: Niemals und auf gar keinen Fall möchte ich irgendwo anders arbeiten als genau hier. Und selbst wenn ich noch bis zur Rente etliche Feiertage und Wochenenden opfern muss – sei’s drum. Hier bin ich und hier will ich sein!

Das Einzigartige an diesen Tagen ist, dass man sie nicht einfach so vorbestellen kann. Unverhofft fliegen sie dich an, dankenswerterweise gerade dann, wenn du sie am wenigsten erwartest …

Apropos unverhofft: Mein Name ist Josephine Chaos, Assistenzärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, und ich bin gerade ganz unverhofft selbst wieder schwanger. Mit Kind Nummer vier – aber dazu später mehr …

Warum Schwangerschaftstests schreiben können, und bei welchem Ergebnis man besser einen Strick kauft

In Puschelschlappen und meinem uralten Lieblingspyjama, das Haar zu einem wirren Vogelnest zerschlafen, sitze ich auf dem Rand unserer Badewanne und glotze seit geschlagenen zehn Minuten wie hypnotisiert auf das kleine, ovale Fenster dieses schweineteuren Schwangerschaftstests.

»SCHWANGER«, steht da. Das steht da wirklich! Seit meinem letzten Test vor gefühlten hundert Jahren haben diese Dinger doch tatsächlich schreiben gelernt. Ich weiß noch, dass zur Zeit meiner ersten Schwangerschaft nur ein Plus- oder Minus-Zeichen hinter fingernagelgroßem Plastikfensterchen zu sehen war. Und ganz zu Anfang – als man den Test nur machte, weil man nicht sicher war, ob »Küssen nicht doch schwanger macht« – musste man sich gar noch mit farbigen Balken auf primitiven Plastikstäbchen auseinandersetzen. Ein Balken für »Nix passiert!«, zwei Balken für »Kauf dir schon mal einen Strick!«. Und ganz häufig war der zweite Strich nur unter der Lupe im gleißenden Sonnenlicht auszumachen. Wenn überhaupt!

Alles Schnee von gestern! Das Wort auf diesem Test hier könnte nur dann noch eindeutiger sein, wenn es grün blinken und laut hupen würde.

 

Mir wird ein bisschen schlecht, während ich da so sitze und über ein viertes Kind nachdenke, welches sich gerade gänzlich ungeplant und – zugegebenermaßen ein wenig unpassend – eingenistet hat.

Hah! Ungeplant! Wie bitte willst du, Dr. Josephine Chaos, das dem Rest der Welt begreiflich machen? Schließlich sollte man meinen, dass du als gestandene Gynäkologin mit mehrjähriger Erfahrung im Klinik- und Praxis-Alltag dich mit solchen Kleinigkeiten wie suffizienter Verhütung auskennst!

Noch während mir dieser Gedanke im Kopf kreist, übergebe ich mich herzhaft in unsere schicke Weiß-mit-Keramik-Plus-Toilette und muss tatsächlich feststellen, dass dieses Edelklo für entspannte Brechorgien eindeutig zu hoch hängt. Ganz toll – Hunderte von Euros für eine Schüssel hingeblättert, in die es sich noch nicht einmal komfortabel kotzen lässt!

 

Ächt jetzt, Josephine: Was hast du dir dabei bloß gedacht? Alle deine Kinder sind alt genug, um allein aufs Klo, zur Schule und demnächst gar zur Uni zu gehen. Ersteres macht gerade den Führerschein und kann dann demnächst deinen Nebenjob als Familientaxi übernehmen. Alle Familienmitglieder – der Hund inklusive – schlafen nachts friedlich durch und morgens lange aus. Nix Babybrei oder Drei-Tage-Fieber, dafür Urlaub in tollen Hotels – ganz ohne Kinderanimation! Und jetzt das!

Ächt jetzt, Josephine …?!

 

Ich bette meinen Kopf auf den glänzend-harten Parkettboden und wünsche mir zum ersten Mal in meinem Leben, wir hätten einen adretten Hochflauschvelour-Klovorleger – dann müsste ich mir jetzt kein Druckgeschwür am Kopf liegen. Und könnte vielleicht auch besser nachdenken – zum Beispiel darüber, wie ich es dem Mann mitteile.

Noch ein Kind!

Jetzt!

Überhaupt!

Herr Chaos ist ein toller Kerl – ganz ehrlich! Und es wäre rein gefühlsmäßig überhaupt kein Problem, noch zwanzig weitere Babys mit und für ihn in die Welt zu setzen. Denn auch diese würde er abgöttisch lieben, alle miteinander, so viel ist mal klar. Ohne mit der Wimper zu zucken würde er wieder jedes Wochenende auf dem Tennis-/Fußball-/Reitplatz stehen, ihnen zujubeln, sie frenetisch anfeuern und ihnen in der Pause kühle Getränke und lecker Kuchen reichen. Auch ihnen würde er Baumhäuser bauen und Räuberhöhlen, Fahrräder reparieren und Pflaster auf blutige Knie kleben. Und dann, am Abend, wenn er sie alle zwanzig nacheinander liebevoll zur guten Nacht geküsst hat, würde er auch für sie bis in den frühen Morgen arbeiten, damit sie was zu beißen und etwas Schönes anzuziehen haben. So ist er nämlich, der Herr Chaos. Best dad ever! Und deshalb leider auch akut herzinfarkt- und burn-out-gefährdet. Mit oder ohne viertem Kind.

Bei diesem Gedanken muss ich gleich wieder kotzen. Und während ich traurig meinem angedauten Frühstück hinterherschaue, welches in fröhlichem Wasserwirbel durchs Abflussrohr in den Weiten der Kanalisation verschwindet, realisiere ich, dass ich es dem Mann auf gar keinen Fall erzählen kann. Nicht heute! Und morgen auch nicht gleich.

 

Nachdem ich völlig unmotiviert zwei Stunden lang den Parkettboden warm- und das Hirn wundgelegen habe, rappele ich mich gegen 10 Uhr endlich auf, denn schließlich ist heute Dienst-Tag (also eigentlich Mittwoch, aber ich muss arbeiten), und so, wie ich gerade aussehe, kann ich mich keinesfalls vor die Tür und unters Volk wagen. Es kostet mich eine weitere Stunde, bis ich – warmer Dusche und moderner Kosmetik sei Dank – annähernd in meinen Ursprungszustand zurückversetzt bin. Als ich kurz darauf die Kinder von der Schule abhole, liegt sogar wieder ein Hauch Farbe auf meinen Wangen.

Nichtsdestotrotz bin ich sehr froh, dass Herrn Chaos’ und meine Arbeitszeit sich heute um dreißig Minuten überschneidet. Der würde sich nämlich von ein bisschen Farbe in meinem Gesicht nicht täuschen lassen – der hat mir bis heute noch jede Schwangerschaft an der Nasenspitze angesehen!

Über Jeannie aus der Flasche, Bambi, Fred vom Jupiter und warum Kreißsaal IV apfelgrün ist

Die Kinder sind mit Essen und Hausaufgaben versorgt, außerdem angehalten, sich anständig zu benehmen, bis der Vater den zweiten Teil der Betreuung übernimmt, als ich mich gegen 15.50 Uhr in leicht reduziertem Allgemeinzustand in die Klinik und am Pförtner vorbei Richtung Bereitschaftszimmer Gynäkologie schleppe. Der diensthabende Arzt – also ich und somit das arme Schwein, welches die Klinik über Nacht als einziger Mediziner hütet – muss in diesem unserem Krankenhaus zum Glück erst nach Ende der regulären Arbeitszeit die Schicht übernehmen. Gerade heute ein wahrer Segen, denn mir ist schon wieder so schlecht, dass ich befürchte, mein Mittagessen gleich in den nächsten Blumenkübel übergeben zu müssen.

 

Mit dem Aufzug fahre ich in den vierten Stock, wo in unserem kleinen, muffigen Dienstzimmer am Ende des Flures bereits muntere Aufbruchstimmung herrscht.

Von der Schar gynäkologischer Assistenzärzte, die ohne weiteres mit einer Herde Affen im Zoo vergleichbar ist – ähnlich laut und mindestens genauso übergeschnappt –, ist heute lediglich ein überschaubarer Rest übrig. Jeannie Top-Moppel – äh … Verzeihung: Model! –, Bambi und Fred vom Jupiter, besser bekannt auch als Dr. Multisozialversagen.

Es fehlen: Dr. Wilma, die Schreckliche, welche gerade auf Rucksack-Safari im Dschungel von Borneo weilt und hoffentlich bald wiederkommt (aber nur weil sie auf dem Dienstplan fehlt). Außerdem Dr. Malucci, frech, fröhlich, aber leider fürchterlich faul, der vergangene Nacht diensthabender Bereitschaftsarzt war und sich deshalb gerade im wohlverdienten Frei befindet.

 

Jeannie hat es sich mit all ihrem Kram auf meinem Dienstbett gemütlich gemacht und versucht gerade krampfhaft, ihre sorgfältig manikürten Fingernägel beim Anziehen der obligatorischen High-Heels nicht zu ruinieren. Was anscheinend nicht ganz einfach ist, denn sie flucht dabei wie ein römischer Brunnenputzer.

Jeannie ist ein Phänomen. Ihr Name macht ihr alle Ehre, denn Jeannies besondere Begabung besteht darin, sich von jetzt auf gleich in Nichts aufzulösen, stundenlang unerreichbar verschwunden zu sein, um dann kurz vor Dienstende perfekt gestylt und ordentlich aufgerüscht wie Jeannie aus der Flasche zur Dienstübergabe aufzutauchen. Kein Mensch weiß, wo sie täglich über Stunden steckt, was sie dort macht und ob sie je wirklich wiederkommt. Uns Assistenzärzten ist mittlerweile nur wichtig, dass sie wenigstens für ihre Dienste den Weg aus der Flasche zurück in die Klinik findet. Alle weiteren Erziehungsmaßnahmen unsererseits wurden hingegen bereits vor längerem eingestellt, da sie lediglich geschmeidig an Frau Flasche abperlen.

 

Irritiert bleibt mein Blick an Bambi hängen, die gerade wie ein kopfloses und völlig desorientiertes Huhn im Kreis herumrennt. Und damit ist die kleine Ärztin auch schon voll umfassend charakterisiert.

Halt! Das wichtigste Merkmal, das ihren Namen erklärt, fehlt ja noch: Das Bambi hat Angst. Viel Angst. Ständig: Vor den Patientinnen, Schwestern, Hebammen, Kollegen, dem Chef (!), der Verantwortung, dem Jüngsten Gericht, dem Nachtdienst, dem Weltuntergang und – ganz sicher auch vor seinem eigenen Schatten!

Angst ist immer in ihren großen, rehbraunen Augen zu lesen. Sie dringt aus jeder Pore und steht in großen Schweißperlen auf ihrer Stirn. Bambis Angst vor der Welt im Allgemeinen und der Medizin im Speziellen macht es ihr leider auch unmöglich, selbständig irgendeine Entscheidung zu treffen – und sei es nur die zwischen Menü I oder II in der Kantine. Das Bambi ist zwar lieb, kollegial und garantiert stets redlich bemüht, aber im täglichen Kampf des Alltags leider völlig nutzlos.

 

Apropos nutzlos: Die personifizierte Unkollegialität hat einen Namen. FRED VOM JUPITER! Dieser Kerl ist das Kollegenschwein par excellence – unfreundlich, unzugänglich, unzuverlässig und obendrein unfassbar inkompetent. Fred fühlt sich prinzipiell für nichts zuständig – weder für Patientinnen, Bürokratismus oder OPs, noch für Geburten, Ambulanzarbeit oder Klinikbürokram. Aber in erster Linie fühlt sich Fred nicht zuständig für Dienste. Das ist mal klar. Doch davon später mehr.

 

Ich bekomme die üblich knackige »Wir wollen schnell nach Hause«-Übergabe: Fred ist bereits gegangen, Jeannie zieht sich gelangweilt ihre Lippen in Lasziv-Dunkelrot nach, und Bambi rasselt in einem Mördertempo alle noch zu erledigenden Dinge runter, während ihr der Angstschweiß glänzend den Hals hinunterläuft. Bloß nichts vergessen – bloß nichts vergessen!, sehe ich den imaginären Banner vor ihrem geistigen Auge entlangziehen.

Und dann sind plötzlich alle verschwunden.

Weg.

Ruhe.

Ich lass mich erst einmal völlig fertig auf die muffige Krankenhausdecke unseres Dienstbettes fallen, schließe nur für ein Sekündchen die Augen – und bin umgehend eingeschlafen. Nun ist ja aber prinzipiell mit Beendigung des normalen Tagesgeschäfts nicht automatisch alle Arbeit getan – ganz im Gegenteil: Patienten haben Schmerzen oder Fieber oder Sodbrennen und müssen Anti-Schmerz-, -Fieber- oder -Sodbrennen-Medikamente bekommen. Andere Menschen, die erst um 17.03 Uhr bemerken, dass sie eine Blasenentzündung, Bauchschmerzen oder Schweißfüße haben, kommen in unsere Notfallambulanz und wollen geheilt werden. Und dann wollen auch noch Babys geboren werden, weshalb ihre Mütter wegen einsetzender Wehen oder geplatzter Fruchtblasen in meinem Kreißsaal auflaufen. Gerne auch mitten in der Nacht. Und so ist eigentlich immer irgendetwas zu tun für den armen, einsamen Arzt vom Dienst.

Aber heute ist alles irgendwie anders – denn kein Mensch will etwas von mir. Unfassbare elf Stunden lang! Und so ist es tatsächlich schon fast 3.00 Uhr morgens, als mich O Sole Mia doch noch telefonisch aus komatösem Frühschwangerschaftsschlaf klingelt.

O Sole Mia – auch zärtlich »Soli« genannt, zweitdienstälteste Hebamme hinter Oberhemma O-Helga, ist eine winzige Italienerin mit einem Wust grauer Ringellöckchen und dem sprichwörtlich mediterranen Temperament. Obendrein die Person, vor der ich mich augenblicklich am meisten fürchte, denn Solis Hebammen-Scan-Blick ist beinahe noch legendärer als die hellseherischen Fähigkeiten meines Mannes – beide können Schwangerschaften meilenweit gegen den Wind riechen. Und dabei habe ich doch selbst noch gar nicht wirklich verstanden, dass ich tatsächlich wieder schwanger bin! Menno!

Soli berichtet mir also zackig von einer schwangeren Frau mit regelmäßiger Wehentätigkeit und fragt, ob ich ihr denn – bitte, danke – guten Morgen sagen wolle.

Ja, ich will. Und lege auf. Dann stehe ich erst einmal wankend wie Weizen im Wind vorm Dienstbett – so ein frühschwangerer Kreislauf lässt einen nämlich gern mal geschmeidig zu Boden gehen. Aber siehe da: Nach zehn Sekunden lässt der Wind nach, und ich stehe fest und erstaunlich unübel im Raum.

Gut. Ich sollte die nächsten Monate vielleicht ausschließlich nachts arbeiten …

 

Der Kreißsaal unserer Klinik befindet sich im ersten Stock des Gebäudes, umgeben vom Operationstrakt zur Linken, der Wöchnerinnenstation zur Rechten und dem Kinderzimmer, von wo gerade mehrstimmiges Säuglingsgeschrei ertönt. Instinktiv fasse ich mir an den Busen. Jetzt bloß keinen Milcheinschuss bekommen! Dann kannst du dir auch gleich »Schwanger!« auf die Stirn tätowieren lassen!

 

Hermetisch abgeriegelt liegt das Reich der Hebammen hinter zwei Schnappschloss-Glastüren, gut gesichert vor dem Zutritt unerwünschter Besucher. Das Erste, was nach Überwindung dieses Schutzwalles und dem Betreten der tagsüber lichtdurchfluteten Kreißsaallandschaft ins Auge sticht, ist der allseits nur »Aquarium« genannte Überwachungsraum, hinter dessen deckenhoher Glasfront ein riesengroßer Bildschirm lindgrün in die Nacht hineinleuchtet. Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass hier mitnichten dröges Privatfernsehen übertragen wird, nein: Hier werden auf grünkariertem Hintergrund brav und zuverlässig alle Herztongebirge empfangen, die in den jeweiligen Kreißsälen gerade aufgezeichnet werden. Der neudeutsch »CTG« – Abkürzung für »Cardiotokografie« – genannte Wehenschreiber leitet die Herztöne des ungeborenen Kindes über eine Art Empfangsknopf, der auf der Bauchdecke der Mutter liegt, weiter an eine Maschine, die diese Herztöne dann als krakelige Endloszeichnung auf ebenso endlose Papierschlangen malt. Und anhand dieses Gekrakels wiederum kann dann der Arzt oder die Hebamme sagen, ob es dem Kindelein im Bauch noch gutgeht oder nicht. Zumindest die meisten Ärzte und Hebammen können das.

2.57 Uhr – Aquarium

Soli, meine lockige Mittelmeerhebamme, steht gerade Pralinen vernichtend im Aquarium herum, schielt mit einem Auge aufmerksam nach dem lindgrünen Monitorgekrakel, während sie mir wild kauend von ihrer neuesten Patientin erzählt.

Frau Pharma ist eine zweiunddreißigjährige Apothekerin, gerade schwanger mit dem dritten Kind, die zuvor normal entbunden hat und deswegen jetzt wohl auch den sagenhaften Ausgangsbefund von neun Zentimetern Muttermundsweite präsentiert. Das macht mich sehr glücklich! Eine Frau, die schon mehrmals auf normalem Wege entbunden hat, wird aller Voraussicht nach immer und immer wieder normal gebären. Wovon bei der ersten Geburt nicht immer auszugehen ist. Denn erste Geburten ähneln einem Abenteuerurlaub durch die Wüste. Der kann ganz prima werden, wenn die Wüste klein und die äußeren Bedingungen gut sind: Also eine Oase alle paar hundert Meter, ein erfahrener Wüstenführer, drei bis vier frische Kamele, und fertig ist die Laube. Auf diese Weise kommt man dann entspannt und mit jeder Menge schöner Fotos irgendwann in Las Vegas an und kann bis an sein Lebensende tolle Geschichten von dieser sagenhaften Wüstentour erzählen.

Ganz anders jedoch, wenn die erste Reise statt durch Amerikas kleine Mojave-Wüste durch Afrikas gigantische Sahara führt, dein einziges Kamel kurz nach Aufbruch verreckt, dein Führer inkompetent und die nächste Oase unfassbar weit weg ist. Da wird so eine Tour schnell mal zum Katastrophentrip.

Frau Pharma gehört definitiv ins Mojave-Bild – bei einer Dritt-Gebärenden kann die Tour jeden Moment und ohne Komplikationen beginnen. Deshalb fährt Soli auch schon mal den schnellen Brüter hoch, das ist die Baby-Wärmelampe im Kreißsaal, damit Frau Pharma während der letzten Phase der Entbindung nicht alleine schwitzen muss. Und ich pfeife mir noch fix ein paar Haribos auf Schokokeks rein. Es entbindet sich morgens um 3 Uhr einfach angenehmer, wenn zwischen zwei Presswehen nicht ständig der Magen knurrt. Tatsächlich kaue ich ein wenig misstrauisch auf meinem Gummi-Keks-Gemisch herum, in Erwartung etwaiger Anzeichen erneuter Übelkeit. Doch diese bleiben – oh Wunder – aus und aller Süßkram drin. Hurra!

Herzlichen Glückwunsch, Josephine, wenn so nun der Speiseplan für die nächsten acht Monate aussieht, brauchst du nach der Geburt von Kind Nummer vier dringend ein Weight-Watchers-Abonnement …

 

Der Zeiger der Kreißsaaluhr ist mittlerweile auf 3.45 Uhr vorgerückt, und noch immer sitze ich erwartungsfroh im Aquarium herum, in der Hoffnung, dass doch langsam mal etwas passiert. Der Wehenschreiber krakelt unterdessen malerische Herztongebirge und sanfte Wehenhügel über unendliches Grünkariert, während das leichtfüßige, kindliche Herzton-Getrappel immer häufiger von flotten hundertfünfzig auf mäßige unter einhundert Schläge pro Minute herunterbremst – in der Endphase einer Geburt stets das Zeichen für »Jetzt wird’s gleich spannend!«. Der Trick an dieser ganzen Herzton-Kaffeesatzleserei ist nämlich folgender: Solange medizinisch gesehen alles in Ordnung ist, das Kind fledermausartig kopfunter im warmen Fruchtwasser vor sich hindümpelt und nur noch auf den richtigen Moment der Geburt wartet, bewegt sich seine Herzfrequenz irgendwo zwischen hundert und hundertfünfzig Schlägen pro Minute. Ganz schön schnell, wenn man die sechzig bis achtzig Schläge eines gesunden Erwachsenen damit vergleicht. Wenn es denn nun wirklich ernst wird mit dem Geborenwerden, die Gebärmutter prächtig vor sich hin »weht« und das Baby millimeterweise durch das mütterliche Becken nach draußen schiebt, bekommt das Kind – das nennt man »angewandte Physik« – Druck auf die Birne. Verzeihung: auf das Köpfchen. Das zu diesem Zeitpunkt bereits mächtig clevere Babygehirn registriert diesen Druck und reguliert im Gegenzug die Herztöne nach unten. (Wer an dieser Stelle gerne ausführlicher in die Materie einsteigen möchte, sei an die Zentrale Vergabestelle für Medizinstudienplätze verwiesen. Der Rest möge sich damit zufriedengeben, dass die Herztöne immer mal wieder abfallen, wenn die Geburt kurz bevorsteht.) Und bei einer dritten Entbindung – ich wiederhole mich gerne – sollte man doch meinen, dass es denn bald mal so weit ist. Aber Pustekuchen! Es bleibt langweilig! Kein Kind, keine Geburt.

Seltsam, denke ich bei mir, mit dieser Vorgeschichte müsste das Kind schon dreimal quer herausgefallen sein! Denn beide vorangegangenen Geburten lagen jeweils unter vier Stunden. Baby drei hingegen macht es spannend und lässt sich Zeit.

 

Ich lümmele also weiter entspannt und leidlich ausgeschlafen im Aquarium herum – Chef Böhnlein hat schließlich erst vor kurzem in eine wunderschöne, unglaublich bequeme Dreisitzercouch in Nobel-Grau investiert –, esse Kekse mit Fruchtgummi und schieße mit Gemüse auf Zombies – auf dem iPhone, versteht sich, als …

4.20 Uhr – Aquarium

… ein langgezogener, unmenschlicher Schrei durch die Weiten des Kreißsaals hallt und mich gänzlich unvorbereitet von vorne trifft. Im Affekt verschlucke ich mal eben zwei Haribo-Gummidinger am Stück – herzlichen Dank aber auch! Ein gewaltiger Hustenreiz befördert die Teile zum Glück gerade noch so an der weitgeöffneten Pforte zur Luftröhre vorbei auf den richtigen Weg in den Magen. Und während ich noch schwitzend und würgend mit Sympathikus und Parasympathikus kämpfe, stürze ich auch schon los.

 

Die Entbindungszimmer befinden sich nur wenige Meter vom Aquarium entfernt: Sternförmig, im Uhrzeigersinn angeordnet liegen hier Kreißsaal I bis V, welche sich gleichen wie ein Fünfling dem anderen. Nun gut, nicht ganz, denn während Mobiliar und Ausstattung der Räume zwar überall identisch sind, unterscheidet sich jeder Kreißsaal hinsichtlich seiner Wandfarbe. Es gibt Meerblau in I, Flieder in II, Sonnengelb in III, Apfelgrün in IV und – Achtung, ein bisschen eklig – Uterusrot in Nummer V!

Ich stürme mit Anlauf durch Kreißsaaltür IV – Grün ist ja bekanntlich die Hoffnung und obendrein Solis Lieblingsfarbe –, und da liegt sie auch schon vor mir, völlig entfesselt und mit starrem Blick: Frau Pharma!

 

»WAS-IST-LOS?« Ich quietsche und keuche wie eine alte Dampflok, da ich immer noch dabei bin, halb an diesem vermaledeiten Gummitier zu ersticken. O Sole Mia steht derweil achselzuckend und die Arme energisch vor der Brust verschränkt hinter dem Bett der Patientin und meint lapidar, wenn auch mit energischer Kopfbewegung in Richtung der Schwangeren: »Frau Pharma wünscht einen Kaiserschnitt! Und zwar sofort!«

Ich muss schon wieder husten und glaube, mich sicher verhört zu haben, darum frage ich verstört und weiterhin verzweifelt nach Luft schnappend nach.

»BITTTÄÄÄÄÄÄ????« Und zur schreienden Frau auf dem Bett gewandt: »Frau Pharma, das Kind ist fast da! Ich konnte gerade schon Haare sehen. Das geht jetzt nimmer mit dem Kaiserschnitt! Sonst müssten wir es ja wieder reinstecken!«

Es ist so simpel wie einfach: Wenn der Muttermund vollständig und somit zehn Zentimeter weit geöffnet ist, der Kindskopf obendrein so tief im Becken der Mutter steckt, dass man ihn von außen tatsächlich sehen kann, dann schiebt man das Kind nicht wieder rein und macht einen Kaiserschnitt! Geht nicht. Macht man nicht. Ist verboten! Ällebätsch!

Aber Frau Pharma hört mich gar nicht. Wild um sich schlagend, tretend und keifend, mit wirrem Haar und irrem Blick dreht sie sich auf dem zwei mal zwei Meter großen, runden Bett wie ein Mensch gewordener Kreisel. O Sole Mia steht derweil stoisch daneben, als ginge sie das alles gar nichts an.

»Soli – was sollen wir denn jetzt mit ihr machen?«, japse ich hilfesuchend, während ich erfolgreich der Nierenschale ausweiche, die gerade nach mir geworfen wird.

Eine rein rhetorische Frage, denn aus jahrelanger Erfahrung weiß ich sicher, dass von Soli zu diesem Zeitpunkt keinerlei Hilfe zu erwarten ist. Die kleine Italienerin steht nämlich kein bisschen auf übertriebene Überzeugungsarbeit. Wenn diese Frau eine Sectio will, dann soll sie eben eine Sectio haben. So einfach ist das. In den Jahrzehnten ihrer beruflichen Tätigkeit hat O Sole Mia bereits unzählige Kinder auf jede nur erdenkliche Art zur Welt gebracht – der Ehrgeiz, irgendjemanden zu irgendetwas zu überreden, was dieser Jemand obendrein gar nicht will, ist ihr schon vor Ewigkeiten abhandengekommen.

Und so steht sie jetzt achselzuckend und mit zusammengepressten Lippen wie festgeklebt auf ihrem Platz am Kopfende des Bettes und schaut neutral. Zumindest versucht sie es.

Nicht schlecht gewählt, die Position, denke ich mir, als Frau Pharma einen ihrer Hausschuhe nach mir wirft und meinen Kopf dabei nur um Haaresbreite verfehlt.

An dieser Stelle sollte ich erwähnen, dass Gynäkologen zum Erlangen ihres Facharztstatus per se verpflichtet sind, an einem »Empathie-Kursus« teilzunehmen, der ihnen vermitteln soll, sich adäquat in den jeweiligen Patienten einzufühlen. Einfühlen, mitfühlen und vor allem verstehen, warum der betreffende Mensch sich so verhält, wie er es tut. Und man lernt: Egal, was er auch tut – man muss immer und in jedem Fall Ruhe bewahren! Souverän, ruhig und lieb bleiben!

Ich schwöre, ich bin lieb! Wirklich! Aber Nierenschalen nach mir werfen und Hausschuhe und überhaupt – das geht dann doch ein bisschen zu weit. Also schrei ich – nur ein kleines bisschen unsouverän – zurück:

»Frau Pharma? FRAU PHAAARMAAAA?! Reißen Sie sich mal zusammen und pressen Sie jetzt, statt hier so rumzufurien. Das Kind ist doch schon fast draußen!«

Frau Pharma indes ist mein Appell gerade völlig egal. Aber so was von! Statt zu pressen und ihr Kind in Nullkommanichts auf die Welt zu bringen, schreit sie hysterisch und wirft mir dann eine Batterie von Schimpfwörtern an den Kopf, deren Bedeutung ich erst noch googeln muss.

»Dann press doch selber, Frau Dokta!« Mit diesen Worten springt Frau Pharma urplötzlich zwischen zwei Wehen einfach vom Kreißbett auf und stürmt in Windeseile davon. Aus Saal IV (apfelgrün), durch die Kreißsaal-Schnappschlosstür und weiter Richtung Aufzug, vorbei an Wöchnerinnenstation und OP-Bereich.

Völlig verdattert glotze ich der Frau nach, die sich, nur in ein rückenfreies Klinikhemd gewandet und die Kabel des CTG-Geräts luftschlangenartig hinter sich herziehend, in beeindruckender Geschwindigkeit aus dem Staub macht.

Ähm – Hallo? Das macht man aber nicht! Werdende Mütter stehen nicht zwei Atemzüge vor der Entbindung auf und rennen davon! Die bleiben liegen, pressen, und wir fangen dann die Kinder auf. So geht das! Meinetwegen sitzt die Schwangere dabei oder hängt an einem Seil beziehungsweise an ihren Mann geklammert über einer gut gepolsterten Matte – falls das Kind mal schneller kommt, als die Hebamme zugreifen kann –, aber WEGRENNEN geht gar nicht!

 

Immer noch fassungslos drehe ich mich zu O Sole Mia um und stottere verdattert: »Soli, wir haben ein Problem!« Doch da ist sie auch schon, hast-du-nicht-gesehen, weg. So schnell ihre kleinen, stämmigen Beine sie tragen, flitzt sie jetzt hinter Frau Pharma her, lauthals beruhigende Dinge über den Klinikgang brüllend (oder zumindest DAS, was sie für beruhigend hält):

»Frau Phaaaarmaaaa! Frau Phaaarrmmaaa? Alles wird guuhuuut. Aber Sie müssen jetzt schön wiiiiiederkommen!«

Es ist wie bei einem schlechten amerikanischen Slapstick: Eine völlig entfesselte Schwangere rennt laut fluchend und wütend durch die Gänge, im Schweinsgalopp dicht gefolgt von einer winzigen, pummeligen Hebamme mit fliegenden Löckchen und einer immer noch japsenden, röchelnden Ärztin im wehenden Kittel.

4.24 Uhr – Klinik-Flur

Anästhesie-Pfleger Horst steht wie in Stein gemeißelt mitten im Aufzugsvorraum und hält vorsichtig ein sich windendes, spuckendes und schreiendes Bündel Frau in seinen Bärenpranken.

Horst ist zwei Meter groß, breit wie ein Grizzlybär, weshalb die kleine Frau Pharma – selbst mit schwangerem Bauch – keinerlei Problem für ihn darstellt. Vorsichtig hebt er die immer noch wild um sich schlagende Patientin hoch und trägt sie behutsam zurück nach Kreißsaal IV, vorbei an fünfzehn weitgeöffneten Türen der Wöchnerinnenstation, aus denen ein Dutzend verschlafener Gesichter atemlos das ihnen gebotene Schauspiel bestaunen. Und dort, inmitten apfelgrüner Wände und bei sanft gedimmtem Licht, wird keine drei Minuten später, nach einer einzigen, weiteren Presswehe, Klein-Karlchen geboren: ein freundlich dreinschauendes, 4800-Gramm-Baby, dem der Joggingausflug mit Pharma-Mama kein bisschen geschadet hat. Welch wahrhaft sonniges Gemüt, der Kleine!

4.45 Uhr – Dienstzimmer

Frau Pharma ist nun mächtig froh, den Kaiserschnitt, nach dem sie kurz zuvor noch ausdrücklich verlangt hatte, doch nicht bekommen zu haben. Ganz im Gegenteil: Sie schämt sich sogar recht heftig für den kleinen Dauerlauf durchs Haus sowie für die fliegende Nierenschale und den Hausschuh. Aber ich habe ihr eigentlich schon verziehen: Schwangere Frauen allgemein und während der Geburt im Speziellen sind ja bekanntlich nicht wirklich zurechnungsfähig. Außerdem hat die Patientin sich mehrfach reumütig bei mir entschuldigt, und ich habe – Ehrensache – die Entschuldigung angenommen. Wir Mütter müssen schließlich zusammenhalten!

Dann ist am Ende alles gut, und ich kann wirklich noch für ein, zwei Stündchen in mein Dienstbett verschwinden. Bevor es wieder Morgen wird. Und ich dem Mann beichten muss, dass auch bei uns demnächst ein kleiner Dauerlauf durch den Kreißsaal ansteht. Bei diesem Gedanke wird mir gerade wieder ganz schön übel …

Dritter Schwangerschaftsmonat

Über Kondome mit Mottenfraß und den umfassend ausgeschilderten Weg zu meinen Eierstöcken

»Schau, Josephine – ein wunderschöner Embryo mit allem, was Embryo so braucht: Arme, Beine, Kopf, Herz. Und entspricht messtechnisch ziemlich sicher der zwölften Schwangerschaftswoche!«

Das seh ich auch. Ich bin ja nicht blöd. Und obendrein ist die Qualität dieses oberklasselimousinenteuren Ultraschallgerätes so fabelhaft, dass selbst meine Großmutter ohne jede Mühe genau sagen könnte, wie alt dieses Mini-Baby ist, das da gerade auf dem Bildschirm zappelt.

»Hm-hm!«, brumme ich nur geschockt. Was soll ich sonst auch sagen, halbnackt auf dem Rücken liegend und mit dem – zugegebenermaßen ebenfalls schweineteuren – Vaginalschall zwischen meinen Beinen. Dass ich es nicht glauben kann, bereits zwölf Wochen lang schwanger zu sein, ohne es wirklich bemerkt zu haben? Du bist echt eine tolle Gynäkologin, Josephine!

»Und es ist auch nur eins!«, sprudelt es weiter aus Olivia heraus, die meine Einsilbigkeit völlig unbeeindruckt zu lassen scheint. »Gott – sei – Dank! Oder schade? Egal – auf alle Fälle strampelt es schon ganz ordentlich – siehst du? Sag ›Hallo Mami‹!«

Völlig euphorisiert hüpft die große Frau neben dem Untersuchungsstuhl auf und ab und überschlägt sich beinahe vor Begeisterung, während sie meine Gebärmutter samt nagelneuem Chaos-Kind souverän beschallt und vermisst.

»Bist du dann mal fertig? Ich liege nicht so gut hier!«

Olivia, auch liebevoll »Ollie« gerufen, streckt sich zu ihrer ganzen imposanten Größe von 1,89 Meter, bläst eine vorwitzige Strähne aus diesem unfassbar ebenmäßigen, sagenhaft schönen Gesicht, das die Männer reihenweise um den Verstand bringt, und schaut mich streng an.

»Liebe Josephine – dieser Stuhl hat mich zwei Monatsgehälter gekostet, und ich habe ihn höchstpersönlich dreimal probegelegen. Dieses Teil ist so schweinebequem, dass ich meine Patientinnen nach der Untersuchung regelmäßig quasi runterprügeln muss, weil sie gar nicht mehr aufstehen wollen! Aber du« – jetzt bohrt sie mir ihren perfekt manikürten Finger anklagend in die dünne Haut über meinem Brustbein –, »ausgerechnet DU, meine beste und liebste Freundin, hast etwas zu meckern? Das ist ja großartig!«

Mit Schmackes stopft sie den Vaginalschall zurück in die Halterung und stemmt dann die Hände mit gespielter Empörung in die Hüften, während sie dabei zusieht, wie ihr vollautomatischer Luxus-Untersuchungsstuhl mich gemächlich aus der Horizontalen zurück in die aufrechte Ausgangsposition verfrachtet.

»Und was sagt H. C. dazu?«

»Wie meinen?« Geschäftig fummele ich an meiner Jeans herum, während ich merke, wie mir die Wärme in den Kopf steigt.

»HERR CHAOS! Was sagt dein Mann dazu, dass ihr schwanger seid? Schon wieder?«

»Hey – was heißt hier ›schon wieder‹? Die letzte Schwangerschaft …« – »UNGEPLANTE Schwangerschaft!«, fällt Ollie mir streng ins Wort. »Wie übrigens all deine Schwangerschaften ungeplant waren, wenn ich mich recht erinnere …«

»Du bist sooo doof!« Ich ziehe einen beleidigten Flunsch.

Dabei hat Ollie absolut recht. Chaos-Kinder eins und zwei hatten sich beide trotz Pille eingeschlichen, Nummer drei war ein ausgebuffter Tro-Spi (trotz Spirale – ja, auch so etwas gibt es!), und Nummer vier … – ich gestehe: keine Ahnung! Vielleicht hatte das Kondom Mottenfraß. Oder war über dem Verfallsdatum. Egal wie, irgendein lustiges, kleines Spermium hatte seinen Weg ganz eindeutig hin zu einem meiner Eier gefunden. Offensichtlich ist diese Strecke so umfassend gut ausgeschildert, dass irgendein Spermium IMMER den Weg dort hinfindet …

»Ich lass mich sterilisieren!«, seufze ich geknickt.

»Das sollte Herr Chaos auch machen lassen! Anschließend setz ich noch eine neue Spirale ein, verschreib dir die Pille, ihr nehmt beim Verkehr Kondome, doppelt, natürlich – und damit schafft ihr es eventuell unbeschadet über die nächsten zehn Jahre.« Die Vorstellung dieser geballten Kontrazeption scheint meine Freundin ungemein zu erheitern, denn Ollie gluckst jetzt heftig vor sich hin, während sie gewissenhaft meinen vierten Mutterpass ausfüllt.

»Das ist NICHT witzig!«, muffele ich beleidigt zurück. Von der besten Freundin ausgelacht zu werden – dabei ist mir gerade so gar nicht zum Lachen …!

»Natürlich ist das nicht witzig! Schließlich kosten mich meine drei Chaos-Patenkinder jetzt schon Unmengen an Geld – das vierte wird mich ruinieren!«

Nun muss ich aber doch laut lachen. Olivia, einziges, geliebt und behütetes Kind eines schwerreichen Fabrikantenvaters und einer echten, englischen Adligen ist quasi schon mit der goldenen Suppenkelle im Mund geboren worden. Und obendrein wirft ihre wunderschöne, hervorragend gelegene Privatpraxis für Gynäkologie garantiert so viel Geld ab, dass sie es – wie in den guten, alten Zeiten – mit der Schubkarre nach Hause fahren kann. Wenn Olivia ein Problem ganz sicher NICHT hat, dann sind es Geldsorgen. Aber dieser Einwand war ja auch nur scherzhaft gemeint, die selbst kinderlose Freundin ist nämlich völlig vernarrt in alle Chaos-Kinder und muss in ihrer Spendabilität so manches Mal eher gebremst werden.

»Wir können Baby Nummer vier ja an irgendeinen anderen, willigen Paten verkaufen. Unser Nachwuchs geht in der Regel weg wie geschmiertes Brot …«, necke ich sie darum gutmütig.

»Wagt euch ja nicht!« Empört fuchtelt Ollie mit dem himmelblauen Mutterpass vor meiner Nase herum. »Ich nehme es. Ich nehme ALLE! Ganz egal, wie viele da noch kommen! Ende der Diskussion!« Spitzbübisch grinst sie mich über den Tisch hinweg an und schiebt mir dann den Stapel Ultraschallbilder herüber, die sie in ihrer Euphorie gerade von Kind vier geschossen hat. »Damit Herr Chaos auch etwas zu schauen hat. Wo war der eigentlich heute Abend? Normalerweise lässt er sich doch solch einen Termin im Leben nicht entgehen?« Suchend blickt sie sich um, als rechne sie ernsthaft damit, Herr Chaos könne doch noch hinter einem ihrer Leder-Designersessel hervorgesprungen kommen.

»Er … – also, ja … weißt du, es ist so, dass …«

»Er weiß es noch nicht!«

Das ist keine Frage, sondern eine ganz klare, nüchterne Feststellung.

»Nein«, gebe ich betrübt zu. »Er weiß es wirklich noch nicht!« Nervös drehe ich eines der Bildchen mit dem erstaunlich klar zu erkennenden Embryo zwischen meinen Fingern. Hin und her und hin und her. Arme, Beine, Kopf – alles ist schon dran an dem Zwerg. Und obwohl ich so etwas bereits gefühlte Millionen Mal gesehen habe, bei mir und unendlich vielen anderen Frauen, ist es auch jetzt immer noch ein Wunder. Ein Baby. Mein Baby!

»Aber du wirst es ihm schon noch VOR der Entbindung sagen, oder?«

»Weißt du, Olivia Hermine Elizabeth von Mille, du bist manchmal ächt ganz schön doof!«

Grinsend lehnt Ollie sich in ihrem fliederfarbenen Luxus-Chefsessel zurück und wippt gemächlich auf und ab.

»Ich weiß, Schätzelein, ich weiß! Aber ich darf das – ich bin nämlich deine allerbeste Freundin!«

Was Frau ganz dringend über die Pille danach wissen sollte

»Mom – du siehst irgendwie ganz schön besch… – schlecht aus!« Kind drei, männlich, jüngster Sohn schaut mich, euphorisch auf seinen Cornflakes herumkauend, mitleidig durch feinen Milchtröpfchensprühnebel hindurch an.

»HRMPF!« Mit hochgezogener Augenbraue und dem Strenger-Vater-Blick blitzt Herr Chaos drohend über die heruntergeklappten Ecke seiner Tageszeitung.

»Waaaaaaaas?«, jault es wehleidig vom entgegengesetzten Tischende zurück. Das Kind fühlt sich väterlich missverstanden. Zu Recht, wie ich meine, denn beim ersten Blick in den Spiegel vor einer halben Stunde schoss mir exakt derselbe Gedanke durch den Kopf. Das Schlimmste an der ganzen Nummer ist: Ich sehe nicht nur mies aus, ich fühle