Dann und Wann - Heinrich von Tiedemann - E-Book

Dann und Wann E-Book

Heinrich von Tiedemann

0,0
5,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Dann und Wann, Weitere Berichte aus dem Ruhestand, Anno 2019-2020

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 63

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Heinrich von Tiedemann, geb. 1924, arbeitete zunächst als freier Schriftsteller, dann als ARD-Korrespondent in Afrika und Skandinavien. Er schrieb Romane, Kinderbücher und seine Erinnerungen. Er lebt heute in Aumühle bei Hamburg.

Für alle, die schon FRÜHER ODER SPÄTER gern gelesen haben.

Danke!

Inhaltsverzeichnis

Ohne Worte

Das doppelte Leben

Vom täglich Weiblichen

Das Letzte

Stadtein, Stadtaus

Tatort Altersheim

Vom Wiedersehen zum Wiedererkennen

Die Herkunft

Gut geschnitten

Aufwärts oder Abwärts?

Sich entfremden

Schritte nach drüben

Wer sind Sie eigentlich?

Ein Leben ohne Krawatte

Ansichten

Vom Wetter

Eine noch nicht erzählte Weihnachtsgeschichte

Weihnachten der Zukunft

Heute ist damals

Ohne Worte

Man sitzt da ganz gemütlich und komfortabel. Und man tauscht sich aus, wie man das so nennt. Die Sonne scheint, andernfalls säße man ja nicht draußen. Das Appartement im Erdgeschoss mit der kleinen gepflegten Terrasse lädt dazu ein. Merkwürdig ist nur, dass man nichts hört; sogar die Kohlmeise, die sonst bei jedem Geräusch aus dem nahen Gesträuch flüchtet, sitzt ganz ruhig und betrachtet die beiden alten Menschen, die da unten sitzen und kommunizieren, wie man das gebildet nennen würde. Es gibt so viel zu erzählen, oder sollte man besser sagen, zu erwähnen? Was wird denn da ausgetauscht? Meinungen, Erfahrungen oder vielleicht sogar kunstvoll umschriebene Komplimente?

Der Homo Sapiens, als welcher sich die hier beschriebenen Lebewesen gern bezeichnen, verwendet zur Identifikation und Herstellung von Kontakt gern soge-nannte Wörter, die es inzwischen in unzählbarer Menge und Variation gibt. Wie man in der Geophysik aus unscheinbarem Gestein durch Schliff und intensives Waschen Diamanten erzeugen und zum Leuchten bringen kann, lassen sich Wörter bei entsprechender Auswahl und Pflege in Worte verwandeln.

Wozu diese absurde Behauptung? Die beiden Menschen, von denen am Anfang dieser Betrachtung die Rede war, haben plötzlich die Kohlmeise in ihrer Nachbarschaft aufgeschreckt und zur Flucht veranlasst. Das scheinbar bedrohliche Klingen aus menschlichen Kehlen war wohl der Grund. Aber wieso ganz plötzlich, die beiden alten Herren auf der Bank hatten doch die ganze Zeit zuvor auch schon miteinander gesprochen. Könnte man die Kohlmeise in unserer Sprache fragen, so hätte sie, im Besitz menschlicher Intelligenz, darauf hingewiesen, dass plötzlich statt Worten Wörter ausgetauscht worden seien, ein Vorgang, den die Menschen nicht oder sehr selten zur Kenntnis nehmen. Sie reden miteinander, streuen meist belanglose Informationen aus, öffnen sich und ihre einmalige Persönlichkeit aber nicht vor den Ohren anderer Fremder. Tiere, so könnte die Kohlmeise vermuten, erkennen sich gegenseitig, am äußeren Erscheinungsbild; ein Nashorn wird nie fürchten, mit einer Ameise verwechselt zu werden.

Woran aber erkennen sich Menschen? An der Körpergröße, der Haar- oder Hautfarbe, oder vielleicht erst an der politischen Meinung? Menschen, das ist vielleicht die Erfahrung der Kohlmeise, tauschen ganze Gebirge von Wörtern aus, ohne dabei Worte zu verwenden. Sie bieten sich gegenseitig höfliche Floskeln an, schöne, oft fantasievolle Wörter an, ohne jedoch Worte zu gebrauchen, mit denen sie sich selbst beschreiben könnten. So kommt es, dass man reden kann, ohne etwas zu erzählen, und dass man in einer besonders raffiniert konstruierten Gemeinschaft lebt, wo man auch im Gedränge allein, oft sogar einsam bleibt, weil viele mit einem reden, aber nichts sagen!

Ich erinnere mich an die Bekanntschaft mit einer sehr klugen Frau, die mit mir einen regen Wettbewerb in Sachen Sympathie begonnen hatte. Wir machten uns gegenseitig ständig neue Komplimente, zitierten in passenden Zusammenhängen Aussprüche berühmter Literaten, versuchten uns sprachlich zu übertreffen. Es waren sehr viele Wörter, die gewechselt wurden, aber waren auch Worte darunter? Rückblickend muss ich gestehen, dass, jedenfalls von meiner Seite, meistens rhetorischer Abfall, vielleicht sogar aufgeputzter Abfall zur Sprache kam, also Wörter. Meine Gesprächspartnerin erkannte das jedoch sehr bald und rief mich mit eigenen Worten zur Ordnung. Sehr viel später, als genug geredet worden war, wurde mir klar, was das Eine von dem Anderen unterschied, die Wörter von den Worten. Mit einem ganz simplen Beispiel kann man das sicht- und hörbar machen. Die Floskel „Auf Wiedersehen“ kann aus Wörtern bestehen, etwa wenn man einen Laden verlässt, und der Verkäufer verabschiedet den Kunden. Die gleiche Buchstabenkombination kann aber auch aus Worten gebildet worden sein, wenn sie zwischen sich Liebenden ausgetauscht werden!

Die beiden alten Herren auf der Bank vis-à-vis der Kohlmeise verabschieden sich. Sie haben sich verständigt sich. Was bleibt übrig? Vermutlich viele Wörter und hoffentlich auch ein paar Worte! Die Mär mit der Kohlmeise, die Worte und Wörter am Klang unterscheiden kann, ist zugegeben, wissenschaftlich noch nicht endgültig geklärt.

Das doppelte Leben

Man sitzt da ruhig auf dem Balkon, vor sich die scheinbar nahezu unberührte Natur mit Laub- und Nadelbäumen, Sträuchern und frisch erblühten Blumen. Es ist wie in einem gigantischen Lichtspielhaus mit Cinemascope und 3D-Projektion. Ein Gewitter zieht auf. Ein vortreffliches Bühnenbild für eine Wagneroper, denkt der Betrachter in seinem Klappsessel. Ein fernes Grollen deutet sich an, und der Mensch richtet sich auf und blickt auf den mit einem Kokosläufer bedeckten Balkonboden.

Aber da ist nichts, auch nicht der kleine Hund, der urplötzlich in der Erinnerung des Menschen aufgetaucht ist, der Rauhaardackel, der immer solche Angst vor dem Gewitter hatte und eigentlich vor dem Abendbrot noch einmal ausgeführt werden müsste. Der Mensch schließt die Augen und schüttelt den Kopf. Der Hund ist seit fast zwei Jahren tot, wie kann man so etwas vergessen. Aber war er nicht eben im Film des Gedächtnisses scheinbar lebendig? Im „Doppelten Leben“?

Tatsächlich gibt es so etwas! Nicht, wie Religionen versprechen, ein Leben nach dem Sterben, sondern auch neben dem irdischen Leben. Das spürt man jeden Tag, jede Stunde und wohl auch fast jede Minute. Aktuelle Eindrücke, zufällige Erlebnisse und nachhaltige Erfahrungen sind im Gehirn, somit im Bewusstsein gespeichert und abrufbar, wie in einem Computer.

Es gibt Augenblicke, in denen man das „Doppelte Leben“ vom einfachen in der Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden kann. Dann kommt es zu Handlungen, die man später nicht mehr erklären kann. Der Mensch auf dem Balkon im Gewitter ist in das kleine Entree seiner Wohnung gegangen. Er hat seinen Trenchcoat angezogen und einen verblichenen Filzhut aufgesetzt. Erst als er nach der Hundeleine greifen will, – vergeblich natürlich -, kehrt er in sein jetziges Leben zurück.

Kein Hund mehr, denkt er etwas ratlos, wie kann mir das passieren? Jedem von uns passiert das, und dazu braucht man keinen Hund. Irgendwann befindet man sich im rätselhaften Drehbuch der Erinnerung, in einer Hauptrolle oder manchmal auch nur als Statist. Das doppelte Leben ist unberechenbar. Ist man jedoch einmal dort hineingeraten, kennt man sich aus und verhält sich erwartungsgemäß, was ja alle anderen Mitspieler ebenso erfahren.

Viele Erlebnisse auf dieser von Tiefenpsychologen längst erforschten Bühne sind verführerisch, man wünscht sie sich immer wieder auf Neue. Manche allerdings erzeugen Depressionen mit den dazu gehörenden Konsequenzen. Kontakte zwischen Menschen können davon erheblich beeinflusst werden. Am schönsten am „Doppelten Leben“ ist es, wenn es von zwei Personen gleichklingend und harmonisch gelebt werden kann. Auf die Dauer dieses Zustandes kommt es dann nicht an.

Das „Doppelte Leben“ beginnt übrigens sehr früh. Kleinkinder etwa können sich, so behaupten jedenfalls die Experten, schon ganz bewusst in ihr Dasein als Baby zurückversetzen und dabei sogar versuchen, weiterhin als solches verwöhnt zu werden. Erwähnenswert auch sind Erwachsene, wenn sie den Beruf eines Politikers ausüben, denn im „Doppelten Leben“ ist ihnen alles gelungen, aber im wirklichen glaubt ihnen das niemand. Nun soll man nicht glauben, dass das Doppelte nur aus