Darius - Rotraud Hallbauer - E-Book

Darius E-Book

Rotraud Hallbauer

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Beschreibung

Darius und die weise Frau Darius gewohntes friedliches Leben mit seinen Eltern und seinem Bruder Linus in seinem Dorf endet jäh, als er durch den Überfall feindlicher Krieger von seiner Familie getrennt wird. In einer unbekannten Wildnis beginnt sein Kampf ums Überleben. Doch durch die selbstlose Hilfe einer Heilerin und ihres Gefährten, die das heimatlose Kind bei sich aufnehmen, erfährt der Junge wieder Hoffnung und Anteilnahme. Aber auch diese kleine Gruppe wird von den feindlichen Kriegern bedroht und muss ihre Heimat verlassen. Eine Odyssee beginnt, die für alle Beteiligten zu einer Zeit der Angst, Unsicherheit und Prüfung wird. Eine Geschichte über Mut, Treue und Hoffnung. Und die Erkenntnis, dass wir keine Einzelkämpfer sind, sondern dass wir unser Ziel erreichen können, wenn wir uns gegenseitig helfen und stützen.

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Seitenzahl: 206

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel

Kapitel

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Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

1. Kapitel

Die kleine Gestalt war kaum zu sehen an diesem steinigen Flussufer des stetig fließenden grünblauen Wassers.

Das Ufer säumten unzählige, hohe Bäume mit wuchtigen Kronen, deren Blätter im Winde rauschten. Das Rauschen des Flusses und das der Bäume vermischten sich zu einem einzigen unverwechselbaren Gesang.

Der Junge verharrte kurz, horchte in alle Richtungen und ging dann zögernd weiter.

Die langen dunklen Haare, mit einem Stirnband gebändigt, glänzten in der Sonne.

Bekleidet war das Kind mit einer Fellweste und einem einfachen Lendenschurz, dem man ansah, dass er schon lange getragen wurde. Um die Füße waren Füßlinge gewickelt, die mit dünnen Lederstreifen um den Knöchel befestigt waren.

Plötzlich bückte sich das Kind und hob etwas vom Flussufer auf. Ein Lächeln erhellte das schmale, ebenmäßige Gesicht. Die braunen Augen blitzten und Darius hob seinen Fund gegen das Sonnenlicht. In seinen Händen glitzerte ein goldbrauner Stein, der eine längliche Form und in der Mitte eine kreisrunde Öffnung hatte. Darius strahlte. So etwas Besonderes fand er nicht alle Tage! Dies sollte von nun an sein Kraftstein sein!

Rasch kramte er in seinem Beutel, den er lose um den Hals hängen hatte und angelte nach einiger Zeit ein schmales, langes Lederband heraus. Er nahm den Stein, fädelte ihn auf und hängte ihn sich zufrieden um.

Dann setzte er langsam seinen Weg fort, kehrte aber dann zögernd um. Das war genug Glück für heute und er schlug einen kleinen Pfad ein, der durch das dichte Unterholz führte.

Um ihn herum rauschten die Baumkronen und mischten sich mit dem Geschrei von Krähen, die hoch oben im Geäst saßen. Darius blickte empor und konnte gerade noch das Blau des Himmels erahnen, so dicht war das Blätterdach.

Er schaute nach rechts und links und setzte einen Fuß vor den anderen. Nach einiger Zeit tauchte hinter einer dichten Hecke eine überhängende Felswand auf. Darius bog einige Zweige auseinander und schlüpfte durch das Gestrüpp.

Im Felsen vor ihm tat sich eine Höhle auf, die im dämmerigen Licht fast endlos erschien.

Im vorderen Teil der Höhle war eine Feuerstelle, die noch nicht ganz erloschen war, denn kaum wahrnehmbarer Rauch stieg auf. Die Feuerstelle war mit runden Flusssteinen eingegrenzt.

Im hinteren Teil der Höhle, in einer geschützten Nische, hatte Darius sich sein Nachtlager errichtet. Eine dichte Schicht Moos lag zuunterst. Darauf lagen zwei Felle, mit denen er sich nachts zudeckte. Eines bot ihm von unten Wärme und Schutz, in das andere hüllte er sich ein. Die Felle hatte er bei der Entdeckung der Höhle vorgefunden und er schloss daraus, dass die Höhle ein Zwischenlager für Jäger war. Aber nach dem Zustand aller vorgefundenen Sachen war die Höhle schon lange nicht mehr benutzt worden.

Mehrere geflochtene Körbe waren fein säuberlich aufgereiht, in denen sich getrocknete Beeren und Pilze befanden. Wieder in anderen lagen kleine harte Äpfel, die nicht weit von der Höhle wuchsen. Außerdem gab es einen kleinen Vorrat von mehligen Wurzeln und essbarem Farn. Dies alles hatte der Junge in Laufe der Zeit zusammen gesammelt.

Wie gut, dass ihn seine Mutter gelehrt hatte, Körbe zu flechten. Anfangs hatte er sich dagegen gesträubt und gemeint, dass brauche er als Junge nicht zu können. Das sei die Aufgabe der Frauen und Mädchen. Doch seine Mutter hatte ihn ernst angesehen und gesagt: „Darius, ob Junge oder Mädchen, beide können alles lernen, vorausgesetzt der Wille ist da. Es ist gut, wenn du möglichst viele Dinge kannst. Wer weiß wozu es einmal gut sein wird.“

Und genau das hatte sich nun bewahrheitet. Darius war froh, dass er sich nicht widersetzt hatte. Der erste Korb wurde ein wenig schief und krumm, aber beim zweiten Versuch hatte er schon Gefallen daran gefunden. Nun konnte er sich diese Fertigkeit zunutze machen, da er ganz alleine auf sich gestellt war.

Darius setzte sich an die Feuerstelle, blies in die Asche und legte fein gespaltenes Holz auf, das er mit einer kleinen Axt zerkleinert hatte. Als die Flammen anfingen zu züngeln, legte er dickere Holzscheite nach. Er wollte heute Abend nicht frieren, denn es wurde langsam empfindlich kalt.

Von seinem Vater hatte er gelernt, wie man Werkzeug herstellte. Auch in der Jagd war er nicht mehr ganz unerfahren. Durch Fallenstellen oder durch den Gebrauch von Pfeil und Bogen war ihm in den letzten Wochen doch so manche Beute geglückt. Auch wenn es nur Kaninchen waren.

Das Fischen mit einem spitzen Holzspeer war noch schwerer als das Jagen mit Pfeil und Bogen. Dazu stand er lange bewegungslos im seichten Flusswasser. Wenn dann endlich Fische vor seinen Füßen schwammen, stieß der Speer meist in den Sand im Flussbett oder glitt an einem der vielen Steine ab. Aber Darius versuchte es immer wieder. Er wusste, dass es eine Frage der Übung und auch der Geduld war. Und sich in Geduld zu üben war nicht so leicht, wenn ihm der Magen knurrte.

Morgen würde er versuchen, einen Hasen oder ein anderes Kleintier zu erlegen. Heute hatte er sich mit roten Beeren, die am Fluss wuchsen, und aus seinen Vorräten den Hunger leidlich gestillt.

Er schlang die Arme um seine Beine und begann nachzudenken. Ja, jetzt kamen die Gedanken, die er am Tage so erfolgreich verdrängt hatte. Verstohlen wischte er sich über die Augen.

Er war nun schon etliche Wochen alleine seit diesem schrecklichen Tag, den er am liebsten vergessen würde. Diese furchterregenden Bilder standen ihm immer wieder vor Augen und ließen ihn nachts hochschrecken. Doch etwas in ihm hatte trotz der Angst und Verzweiflung immer die Oberhand behalten, nämlich sein unbändiger Lebenswille.

Er schloss die Augen und sah alles wieder deutlich vor sich:

Männer, beschmiert mit Asche und roter Erde stürzten aus dem Unterholz mit hocherhobenen Speeren. Sie brüllten wie Tiere, so dass Darius fast das Herz stehen blieb.

Er sah seine Mutter, wie sie seinen kleinen Bruder ergriff und fort rannte. „Darius“, schrie sie, „Darius, lauf…!“

Darius’ Herz hämmerte und seine Beine flogen förmlich über den Waldboden. Plötzlich tauchte vor ihm eine dieser Gestalten auf. Darius sah in zwei schwarz aufgerissene Augen, und ohne zu denken schlug der Junge einen Haken und rannte um sein Leben.

Zweige schlugen ihm ins Gesicht, zerkratzten seine Arme und Beine. Er spürte es nicht einmal. Er rannte, bis er keinen Atem mehr hatte und keuchend auf den moosigen Boden fiel. Er riss seinen Kopf hoch und lauschte angespannt. Er hörte nichts, außer den Geräuschen, die ihm im Wald vertraut waren. Erleichtert seufzte er, denn sein Verfolger hatte ihn wohl verloren.

Wie lange er gelaufen war und in welche Richtung, vermochte Darius nicht zu sagen. Und sein einziger Gedanke galt seiner Mutter und seinem Bruder Linus. Angst durchflutete ihn und sein Magen krampfte sich zusammen. Er musste sie finden!

Nach einiger Zeit, als er wieder bei Kräften war, richtete er sich vorsichtig auf.

Wo war er? Von den vertrauten Pfaden war nichts zu sehen. Darius schlug eine andere Richtung ein und sein Herz schlug immer heftiger.

Was, wenn er nicht mehr zurückfand?

Was, wenn die wilden Männer seine Mutter gefasst hatten?

Dabei hatte der Tag so schön begonnen, als sie zu dritt in den Wald gingen, um Pilze und Beeren zu suchen. Linus, sein kleiner Bruder, hüpfte ihnen voraus, wandte sich von Zeit zu Zeit um und schwang seinen Sammelbeutel über dem Kopf. Seine Augen blitzten und sein strahlendes Lächeln und sein Übermut brachten Darius und seine Mutter zum Lachen. Linus war ein schönes Kind: Seine kastanienbraunen Haare fielen ihm über die Schultern und wehten im Wind. Er trug, wie sein großer Bruder, ein Stirnband, um es zu bändigen. Die Bekleidung bestand aus einem Lendenschurz und einer Fellweste.

Darius lächelte über den Eifer seines Bruders. Linus zählte erst fünf Sommer. Er, Darius, konnte schon auf elf Sommer zurückblicken. Beide Kinder hatten am linken Oberarm eine Tätowierung in Form eines Kreises, in dessen Mitte zwei Punkte zu erkennen waren. Diese Tätowierung war ein Zeichen dafür, dass sie Abkömmlinge ihres Clans waren. Mag sein, dass sie sich zu weit von ihrer Höhle entfernt hatten. Vielleicht wäre es auch besser gewesen, wenn sie sich den anderen Frauen angeschlossen hätten. Aber Moira, seine Mutter, wollte einmal in eine andere Richtung gehen und hatte auf reichere Ausbeute gehofft, abseits der üblichen Sammelstellen.

Die Männer des Clans waren seit Tagen abwesend, da sie gemeinsam auf die Jagd gegangen waren. Darius wusste, dass sie nie mit leeren Händen zurückkamen. Je nach Jagdglück kehrten sie nach kurzer oder längerer Zeit zum Dorf zurück.

Darius hatte sich mit dem Gedanken beruhigt, dass seine Mutter die Gegend sehr gut kannte, besonders die vielen Abkürzungen und Schleichwege, so dass sie den Männern sicher entkommen und längst in Sicherheit war. Nun würde sie vergebens darauf warten, dass er, Darius, heimkehrte…

Nach unzähligen vergeblichen Versuchen hatte er es schließlich aufgegeben, den Heimweg zu suchen und redete sich ein, dass er morgen bei Sonnenaufgang den Weg sicher finden würde. So war Tag für Tag vergangen und er musste alle seine Kraft aufwenden, um zu überleben.

Darius wickelte sich in sein Fell und fiel in einen unruhigen Schlaf.

Morgen war ein neuer Tag, morgen würde er versuchen, ein Kaninchen zu erlegen. Morgen… morgen…aber da war er schon eingeschlafen. Diesmal peinigten ihn keine Albträume.

Stattdessen träumte er von seiner Familie.

Er sah seine Mutter, wie sie sich zu seinem kleinen Bruder hinabbeugte und ihm übers Haar strich.

Dann kam sein Vater herein, um ihn, wie jeden Tag mit in die kleine Werkstatt zu nehmen, wo er ihm beibrachte, nützliche Werkzeuge und Jagdwaffen herstellten. Darius war mit Feuereifer dabei und stellte sich recht geschickt an. Einen wunderschönen Bogen hatte er bereits unter der Anleitung seines Vaters fertiggestellt und die dazugehörigen Pfeile ebenfalls. Darius brannte schon darauf, das nächste Mal mit auf die Jagd zu gehen.

Sein Vater war ein guter Handwerker. Darius bewunderte ihn sehr und eiferte ihm nach, denn jedes Lob spornte ihn an.

So bewegte sich Darius träumend in seiner Welt, wie sie einmal war, und lächelnd wachte er auf.

Die Wirklichkeit empfing ihn, wie jeden Morgen und er fasste allen Mut zusammen, um den neuen Tag willkommen zu heißen.

2. Kapitel

Der Tag empfing ihn mit lautem Vogelgezwitscher. Es war noch frisch, doch die Sonne stand schon am Himmel und schickte ihre wärmenden Strahlen zur Erde. Wie gut, dass es noch Sommer ist, dachte Darius, und gähnte herzhaft.

Er sprang auf, reckte sich und vergewisserte sich, ob das Feuer noch schwelte und legte ein paar Stücke Holz in die Glut. Dann schlug er den Weg zum Fluss ein. Seinen Speer, sowie Pfeil und Bogen nahm er mit. Man konnte ja nie wissen. Er hatte noch nicht herausgefunden, ob gefährliche Raubtiere in unmittelbarer Nähe lebten. Daher musste er vorsichtig sein.

Die sanft abfallende, sandige Böschung am Flussufer war mit Gras bewachsen, das ganz nass vom Morgentau war, der in der Sonne glitzerte und funkelte.

Darius legte seine Kleidung ab und watete langsam in das kühle Wasser. Es war so klar, dass er bis auf den Grund sehen konnte. Der Sand zu seinen Füßen war durchsetzt von Steinen aller Farben und Formen.

Aber ein Stein, wie er ihn am Vortage gefunden hatte, war nicht darunter. Es war ja auch ein ganz besonderer Fund gewesen. Der Junge griff an das Lederband am Hals und fühle den Stein glatt und weich in seiner Hand.

Rasch tauchte er unter und schwamm ein paar kräftige Züge flussabwärts. Die Strömung war nicht sehr stark, so dass er nach einiger Zeit wieder an der Stelle war, an der er ins Wasser gegangen war.

Er ließ sich von der Sonne trocknen, die inzwischen angenehm seine Haut wärmte. Danach bekleidete er sich wieder und schöpfte Wasser in das mitgeführte Gefäß. Er nahm ein paar Schlucke, spülte den Mund aus und spuckte in den Sand. Dann füllte er sein Gefäß erneut und ging zurück zu seiner Heimstätte.

Nachdem er ein paar getrocknete Beeren gekaut und etwas von den Wurzeln gegessen hatte, griff er nach Pfeil und Bogen. Heute wollte er sich einmal so richtig satt essen.

Er bewegte sich leise und behände über den Waldboden, blieb immer wieder stehen und lauschte nach allen Seiten. „Geduld ist alles“, hörte er seinen Vater im Geiste sagen, „sei nie voreilig, denn damit kannst du alles verderben.“

Ein leichtes Rascheln drang an sein Ohr. Angestrengt schaute Darius in das grüne Dickicht, das von kleinen Lichtungen aufgelockert war. Er blinzelte mit den Augen vor Überraschung, als er ein Kaninchen gemächlich heranhüpfen sah. Atemlos und unbeweglich ließ er es nicht mehr aus den Augen. Nun musste es noch ein wenig näher kommen!

Er stand da, mit dem Pfeil im Anschlag und spannte langsam den Bogen.

„Bitte, großer Geist“, flehte er im Stillen, „bitte, lass meinen Pfeil treffen.“

Das Kaninchen schnupperte, machte Männchen und schien sich der Gefahr nicht bewusst zu sein. Das leise Surren des Pfeils kam überraschend und lautlos fiel das Tier auf die Seite. Es war sofort tot.

Darius stürzte aus der Deckung und ergriff das Tier. Wie warm und weich es war.

Er schickte ein stilles Gebet zum Himmel, in dem er das Tier um Vergebung bat. Doch sein Herz schlug in freudiger Erwartung auf das Festessen, das er sich heute bereiten würde. Gleichzeitig standen ihm Bilder von seinem Dorf vor Augen:

Jedes Mal, wenn die Männer erfolgreich von der Jagd kamen, wurden sie mit großem Hallo empfangen. Die Kinder rannten aufgeregt durcheinander und bestaunten das erlegte Tier. Rehe wurden im Ganzen, an einem Stock gebunden ins Dorf getragen.

Je größer das erlegte Wild war, desto ausgelassener wurde die Stimmung. Einen Bären zu erlegen, war ein Gottesgeschenk, denn sie gaben nicht nur viel Fleisch, sondern das Fell war hoch geschätzt. Aber Bären waren stark und listig und oft gab es Verletzungen unter den Jägern oder es kam auch vor, dass ein Jäger zu Tode kam.

Wer dem Bär den entscheidenden Todesstoß versetzt hatte, dem gehörten die Zähne, die er als Kette um den Hals trug. Das war ein untrügliches Zeichen für einen mutigen und erfolgreichen Jäger.

War das Tier weitab vom Dorf erlegt worden, wurde es an Ort und Stelle ausgeweidet und das Fleisch in handliche Stücke zerteilt. Da die Landschaft von vielen Flüssen und Flussarmen durchzogen war, konnten die Därme im Wasser durchspült werden und waren noch für allerlei nützlich.

Auch die Blase des Tieres war begehrt, denn sie diente als Wasserbehälter.

Die Knochen konnten teilweise auch verwendet werden, sei es als Werkzeug oder Speerspitzen. Aber am wichtigsten waren das Fleisch und das Fell des Bären.

Ein Teil des Fleisches wurde, gewürzt mit allerlei Kräutern in die Glut gelegt. Es dauerte einige Stunden, bis es genießbar war und die Kinder liefen ungeduldig herbei um zu fragen, wann es denn soweit wäre.

Sie konnten es kaum erwarten, einen dicken Brocken in Händen zu halten und herzhaft hinein zubeißen. Das Fett und der Saft liefen ihnen dann über die Hände, alle waren gut gelaunt und der Clan saß an solchen Festtagen bis spät in die Nacht beisammen. Es wurde viel erzählt und gelacht, bis sich zu später Stunde einer nach dem anderen müde und satt in sein Fell wickelte.

Jede Familie bewohnte eine einfache Holzhütte. Sie standen auf der kleinen Ebene vor einer überhängenden Felswand, unter der sich der Eingang einer riesigen Höhe auftat. Die Holzhütten wurden vornehmlich im Sommer bewohnt. Im Winter drängte man sich in der geräumigen Höhle zusammen und unterhielt gemeinsam ein großes Feuer, um die Kälte einigermaßen abzuhalten. Für die kalte Zeit wurde der Eingang mit dünnen Baumstämmen, die mit Rindenstreifen verbunden waren, notdürftig abgedichtet sowie mit Fellen behängt, damit niemand dem rauen Wind ungeschützt ausgesetzt war.

In der Wohnhöhle gab es viele Nischen, die den etwa 20 Menschen als Nachtlager dienten. Im hintersten Teil der Höhle wurden die Vorräte gehortet, die für Notzeiten angelegt wurden. Es gab Tontöpfe voller Nüsse, Dörrfleisch, getrocknete Pilze und vieles mehr.

Darius’ Vater Erek war ein guter und erfahrener Jäger, der im ganzen Dorf Vertrauen und Ansehen genoss. Er hatte mit Hilfe der anderen Männer nicht nur Bären erlegt, sondern Vielfraße, Stachelschweine – und einmal sogar einen Höhlenlöwen. Das war ein ganz besonderer Tag gewesen und Erek trug seitdem die Zähne des Löwen um den Hals.

Moira, seine Frau, war von schlanker Gestalt. Ihr Gesicht war fein geschnitten und ihre Augen funkelten mal grau, mal grünblau. Ihr braunes, langes Haar glänzte in der Sonne.

Die dunklen Augen hatte Darius von seinem Vater, ebenso das dunkel glänzende Haar.

Linus ähnelte mehr der Mutter mit seinen kastanienbraunen Haaren und den grünblauen Augen.

Beide Knaben waren ausnehmend schöne Kinder. Darius liebte seinen kleinen Bruder, der stets fröhlich und zu Streichen aufgelegt war. Er selber ahnte bereits, dass ihm die Zukunft viele Dinge abverlangen würde, doch mit Hilfe seiner Eltern, das wusste er, würde er alles meistern bis er schließlich in den Kreis der Krieger aufgenommen würde.

Gesättigt vom Fleisch hatte sich Darius schlafen gelegt und hing weiter seinen Gedanken nach, bis ihm die Augen zufielen.

In der Nacht war ein Gewitter aufgezogen und er erwachte vom Donner und der Helligkeit der zuckenden Blitze. Darius hüllte sich ganz fest in sein Fell und konnte nicht mehr einschlafen. Angst hatte er nicht, denn in seiner Höhle konnte ihm ja nichts geschehen. Die Blitze tauchten die Höhle sekundenlang in taghelles Licht und der Donnerhall erschütterte die nächtliche Ruhe.

Darius stand plötzlich wieder jene Gewitternacht vor Augen, die sie vor nicht allzu langer Zeit alle aus dem Schlaf gerissen hatte. Sein Bruder Linus hatte angefangen zu weinen, weil er sich fürchtete.

Moira, seine Mutter, hatte ihn sacht in die Arme genommen und leise gesungen:

Schlafe mein kleines Kind, schlafe ein.

Morgen ist wieder Sonnenschein.

Träum’ was Schönes und ganz sacht,

ist vorüber die dunkle Nacht.

Hab’ keine Angst, dir wird nichts geschehen,

weil wir alle bei dir stehen.

Der große Geist gibt auf dich Acht,

auch wenn du wieder bist erwacht.

Schließe die Augen, komme zur Ruh’

bist im Traumland dann im Nu.

Schlafe mein Kind, schlafe ein.

Morgen ist wieder Sonnenschein.

Darius fühlte, wie ihm die Tränen in die Augen stiegen. Mutter hatte dieses Lied auch oft für ihn gesungen, wenn er nicht einschlafen konnte.

Ob er seine Mutter und seinen Vater jemals wiedersehen würde?

Und seine Freunde?

Hado war sein bester Freund. Mit ihm spielte er am allerliebsten.

Sie waren unzertrennlich und warfen sich verschwörerische Blicke zu, wenn sie mal wieder etwas ausgeheckt hatten.

Aber auch all’ die anderen Kinder vermisste er schmerzlich.

Sicher denken alle inzwischen, ich bin tot, dachte er traurig.

Er wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln und fühlte sich unendlich verlassen und alleine.

Doch eine Stimme in ihm sagte:

Irgendwann bist du wieder zu Hause. Verliere nicht den Mut.

Und er war froh, dass er diese verlassene Höhle gefunden hatte, die ihm Schutz gab. Auch einige zurückgelassene Tonkrüge und andere Behältnisse hatte er vorgefunden. Er war dankbar, denn ohne diese Dinge wäre seine Lage noch viel schwieriger gewesen. Wenn er genügend Vorräte gesammelt und Fleisch gedörrt hätte, würde er versuchen, den Weg nach Hause zu finden. Entschlossen verscheuchte er die trüben Gedanken.

Zum Glück gab es in Hülle und Fülle Feuersteine, und das Feuermachen hatte zu den wichtigsten Fähigkeiten gehört, die ihm beigebracht worden waren. So brauchte er nicht zu frieren und konnte sich Nahrung zubereiten.

Allmählich wurde der Donner leiser und das Gewitter zog weiter.

Darius fiel in einen unruhigen Schlaf. Diesmal schickten ihn die Träume nach Hause in sein Dorf.

Alles sah so friedlich aus: Er sah seine Mutter mit Linus an der Hand zur Wasserstelle gehen, sah seine Freunde herumtollen und wollte gerade rufen: „Ich bin wieder da!“, als er erwachte und die Morgenkühle ihn in die Wirklichkeit zurückholte.

Der Himmel war noch bedeckt. Als er zum Fluss kam, um sich zu waschen, sah er, dass der Fluss zu einem reißenden Strom angeschwollen war. Abgerissene Äste und Baustämme schossen flussabwärts. Das gurgelnde Wasser umspülte seine Beine und war recht frisch. Darius begnügte sich daher mit einer flüchtigen Morgenwäsche.

Er schaute nach allen Seiten, und sein Blick blieb an etwas Ungewöhnlichem hängen.

Etwas flussabwärts sah er ein kleines Floß, das sich in einer kleinen, felsigen Bucht verfangen hatte.

Das Floß schaukelte auf den Wellen und drohte jederzeit wieder losgerissen und fortgetragen zu werden.

Darius sah sich suchend um und erspähte einen langen Ast. Den ergriff er und rannte zum Floß, das immer noch unruhig auf den Wellen schaukelte. Er stellte sich auf die runden, mit Baumrinde zusammengebundenen Stämme und versuchte, die Stange in den Boden zu rammen, um das Floß am Abdriften zu hindern.

Es schaukelte wild auf und ab und Darius hatte Mühe, sein Gleichgewicht zu halten.

Er hatte den Baumstamm zu spät gesehen, der auf das Floß zuschoss, da wurde er auch schon gerammt. Augenblicklich verlor Darius das Gleichgewicht und die Stange rutschte ihm aus den Händen. Das Floß schoss auf die Flussmitte zu und wurde von einem reißenden Strudel davongetragen.

Darius klammerte sich fest so gut es ging. Gurgelnd und dunkel schleuderte das Wasser das kleine Floß auf den Wellen hin und her, drehte es im Kreise und führte es immer weiter flussabwärts. Die Geschwindigkeit war beängstigend und nahm immer mehr zu.

Ins Wasser springen und an Land schwimmen, daran war nicht zu denken! Zum Glück war Darius bei dem Aufprall zum Sitzen gekommen und klammerte sich an Schlaufen aus Baumrinde fest, die sich offensichtlich gelöst hatten. Sein Herz klopfte zum Zerspringen. Hoffentlich wurde das Floß nicht auseinander gerissen!

An beiden Ufern links und rechts flog der Wald in rasendem Tempo vorüber und das Floß schien immer schneller zu werden.

Bitte, großer Geist, flehte Darius, rette mich...

Irgendwann verlangsamte sich die Fahrt. Der Fluss war breiter geworden, aber immer noch reißend und schmutzig grün. Äste und Blätter tanzten auf den Fluten.

Die dicht bewaldeten Hügel hatten sich gelichtet und gingen allmählich in eine weite Ebene über. Dann verschwand der Fluss um eine Biegung und es wurde sonderbar still.

Das Floß schaukelte jetzt träge auf den Wellen, um dann urplötzlich wieder vom reißenden Wasser erfasst zu werden. Und dann hörte Darius ein unheilvolles Dröhnen und Rauschen.

Ein eisiger Schreck durchfuhr ihn: Ein Wasserfall!

3. Kapitel

Ein kleines, blondes Mädchen, bekleidet mit einem knöchellangen Gewand, das mit kunstvollen bunten Stickereien verziert war, folgte der alten Frau, die einen Korb auf dem Rücken trug.

Die weißen Haare der Alten waren hinten zu einem Zopf zusammengehalten. Ihre blitzenden, blauen Augen musterten aufmerksam die Umgebung und ihre Hand umklammerte einen Stock, auf den sie sich beim Gehen abstützte.

An den Füßen trug sie Schuhe aus geschmeidigem Leder, die kunstvoll zusammengenäht waren. Auch das Kind trug ebensolche Schuhe. Das Mädchen hob die Hand an die Augen, blickte zum Himmel und sagte:

„Nanda, der Himmel wird wieder blau.“

„Ja, Kyra“, entgegnete die Frau, „das Unwetter hat sich verzogen.

Hoffentlich sind unsere Netze nicht zerstört…“.

„…und unser Boot noch da“, fügte Kyra hinzu.

Sie gingen durch Pfade zwischen niederen Hecken und näherten sich langsam dem großen See, dessen Ufer mit Schilf bewachsen war.

Das Boot lag noch gut vertäut da, sie hatten Glück gehabt.

Auf der anderen Seite des Sees konnte man den Wasserfall sehen, der unaufhörlich seine Wassermassen in den See ergoss. Er wirkte Nebel verhangen durch die vielen, feinen Wassertropfen, die beim Herabstürzen entstanden.

„Wo ist Rufus?“, fragte die Kleine plötzlich und sah sich um.

„Ach, du kennst ihn doch,“ lachte Nanda, „weit wird er nicht sein.“

„Ruuuufus!“ rief Kyra mit heller Stimme und schaute sich suchend um. Wenige Sekunden später schoss ein grauer Schatten auf sie zu.

Ein großer, kräftiger Wolf strich wedelnd um Kyra herum, die ihm stürmisch sein Fell kraulte, ihren Kopf an seine Schultern legte und ihre Arme um das Tier schlang.

Doch der Wolf entwand sich ihren Armen. Es schien aufgeregt zu sein, denn es fasste Kyra vorsichtig am Ärmel und versuchte das Mädchen mitzuziehen.

„Nanda, er will mir etwas zeigen“, rief Kyra aufgeregt und folgte dem Wolf. Dieser führte das Kind ein Stück am Ufer entlang, um dann zwischen dem Schilf zu verschwinden. Dabei drehte sich das Tier immer wieder um und stieß einen knurrenden Laut aus.

„Was ist denn da, Rufus?“, fragte Kyra und ging durch das seichte Wasser. Das Schilf teilte sich und sie erstarrte. Vor ihr lag eine leblose Gestalt, halb im Wasser, halb auf einem grob gezimmerten Holzfloß. Die Halteseile aus Baumrinde, die die Stämme aneinander banden, hatten sich teilweise gelöst.

Der Wolf schnüffelte an dem Jungen, winselte leise und sah das Mädchen mit seinen hellbraunen Augen an.