Dark Angels' Summer. Das Versprechen (1) - Kristy Spencer - E-Book

Dark Angels' Summer. Das Versprechen (1) E-Book

Kristy Spencer

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Beschreibung

Es ist der Sommer, in dem Dawna und Indie beide 17 Jahre alt sind - vertraute, verrückte, beunruhigende 33 Tage lang. Gemeinsam mit ihrer Mutter kehren sie zur Oase ihrer Kindheit zurück: Whistling Wing, voll mit Erinnerungen an die geliebte Granny. Aber diese ist seit einem Jahr tot und Whistling Wing hat sich verändert. Nicht jeder hier spielt mit offenen Karten, Freund und Feind lassen sich immer schwerer voneinander unterscheiden und ein Schwarm unheimlicher Vögel sorgt für Unruhe und Angst unter den Einwohnern. Fast ist es zu spät, als Indie und Dawna beginnen, zu verstehen, was geschieht. Und erkennen, welches unglaubliche Opfer sie bringen müssen, um das aufzuhalten, was sich über ihnen zusammenbraut. Wie weit würdest du gehen, um den Menschen zu retten, der dir am wichtigsten ist?

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Seitenzahl: 564

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Kristy Spencer und Tabita Lee Spencer

Dark Angels’ Summer

Das Versprechen

Impressum

1. Veröffentlichung als E-Book 2012© 2012 Arena Verlag GmbH, WürzburgAlle Rechte vorbehaltenCovergestaltung: Frauke Schneiderunter Verwendung von Fotos von© mauritius images/Trigger, emay 20216;© mauritius images/Trigger, jjon 16189; ilolab und bloom © shutterstockISBN 978-3-401-80122-3www.arena-verlag.deMitreden unter forum.arena-verlag.de

Widmung

Für unseren Bruder Floyd.Er hat uns Schießen gelehrt.

1 Dawna

Wir sitzen zusammengequetscht vorne im alten Pick-up meiner Mutter. Ich sitze ganz rechts, lehne meinen Kopf gegen die Scheibe und starre hinaus, auf die vorbeihuschende Landschaft. Neben mir sitzt Indie, meine Schwester. Sie rutscht ungeduldig herum, nestelt am Radio und schneidet Grimassen in den Rückspiegel. Ab und zu remple ich sie an, damit sie stillhält, aber Indie ignoriert mich einfach.

»Mein Arsch ist eingeschlafen«, sagt sie alle fünf Minuten und ich tu so, als würde ich nichts hören, und wackle mit den Zehen in meinen Flipflops, bis sie zu kribbeln anfangen.

Mum fährt. Seit wir vor drei Stunden ins Auto gestiegen sind, hat sie keinen Ton mehr gesagt. Zumindest nicht zu uns. Ihre Lippen bewegen sich und ich weiß, dass sie ihr Mantra vor sich hin betet. Das Mantra, das sie seit ihrem letzten Workshop in unserer ganzen Wohnung verteilt. Irgendwelcher esoterischer Kram, den ich nicht kapiere oder kapieren will. Sie hat Angst vorm Autofahren, aber mit dem Mantra schafft sie sogar weite Strecken. Nur wenn uns Lastwagen entgegenkommen, zuckt sie zusammen. Sie lenkt einen Tick nach rechts, bis unsere Räder den Seitenstreifen berühren und dabei ein komisches surrendes Geräusch machen. Dann fängt sie sich wieder.

Es ist eine seltsame Zeit. Die Zeit zwischen dem ersten August und dem zweiten September. Die Zeitspanne, in der Indie und ich gleich alt sind. Genau dreiunddreißig Tage, in denen alles still zu stehen scheint. Die Hitze legt sich über uns. Wir schalten die Deckenventilatoren an und verschlafen den Tag. Nachts gehen wir hinaus und kühlen uns mit Eis die Handgelenke und die kleine Kuhle unterhalb des Halses.

Die seltsamsten Dinge passieren in diesen dreiunddreißig Tagen. Dinge, die uns Angst einjagen und uns unruhig schlafen lassen. Nachts treffen wir uns in der Küche. Rastlos. Wir sagen: »Das ist die Hitze, der verfluchte August, der heiße Südwind.« In Wirklichkeit haben wir Angst, dass das Telefon klingelt und jemand uns schlechte Nachrichten bringt. Letztes Jahr, zu der Zeit,

ist Granny gestorben. Ganz plötzlich. So plötzlich, dass wir nicht zur Beerdigung hingefahren sind. Wir warteten, dass die Sonne nicht mehr als gleißende Kugel über den Himmel wanderte und Mum sagte: »Granny hätte nicht gewollt, dass wir jetzt fahren, gerade jetzt.«

Der Unfall war auch zu der Zeit. Der Unfall, seit dem Mum diese Panik hat vor dem Fahren und die Narbe quer über ihrer Brust.

Dann kommt der zweite September und wir atmen auf. Mum holt einen Geburtstagskuchen aus dem Supermarkt, dem wir beim Auftauen zusehen. Wir öffnen die Fenster und beobachten, wie sich die Wolken am Horizont zusammenballen und der Wind sie über den Himmel treibt. Der Regen kommt, ich bin wieder ein Jahr älter als Indie und der Spuk ist vorbei. Dieses Jahr sind wir beide siebzehn. »Ein furchtbares Alter«, hat Mum gesagt.

Wir fahren vorbei an Feldern und kleinen Siedlungen. Die letzte Stadt haben wir lange hinter uns gelassen und alles sieht irgendwie trostlos aus. Sogar bei gleißendem Sonnenlicht. Die Häuser sind grau und heruntergekommen. Windräder stehen herum, alte, aus Holz, sie drehen sich langsam. Draußen ist es heiß. Mittag. High Noon.

Wir sind seit zwei Tagen unterwegs. Mir macht das nichts aus. Das Umziehen. Das Reisen. Immer wieder woanders aufwachen. Daran habe ich mich gewöhnt, denn wir ziehen ständig um. Mum hält es nie dort aus, wo wir sind. Die Städte sind ihr zu eng und das Land zu einsam. Wir mieten seltsame Häuser, die keiner will, in denen die Heizung nicht funktioniert oder die Toilette. Manchmal wohnen wir in winzigen Wohnungen, in denen wir uns ein Zimmer teilen müssen. Indie sagt, Mum ist gestört. Sie läuft irgendetwas hinterher, was sie sowieso nie bekommt. Einem besseren Job, zum Beispiel. Oder dem perfekten Mann.

Als Mum uns gesagt hat, dass wir in Grannys Haus ziehen, ist Indie ausgetickt. Sie ist vom Küchentisch aufgesprungen und ihr Stuhl ist bis zur Waschmaschine hinübergeschlittert. Ihr blasses, herzförmiges Gesicht wurde noch blasser und ließ ihr rotes Haar unheilvoll aufleuchten. Ich sagte gar nichts. Unfähig, dem zu folgen, was Mum uns gerade mitzuteilen versuchte. Meine Gedanken kreisten um Mum und Granny und warum wir nicht bei der Beerdigung gewesen waren. Nicht dass ich wirklich gerne hingefahren wäre. Aber ich fand, dass es nicht richtig gewesen war. Granny war unsere einzige Verwandte. Mum hat keine Geschwister. Und bei unserem Vater wussten wir es nicht. Es gab niemanden mehr, außer Indie, Mum und mir.

Und dann hatte Mum das Haus geerbt, das Haus und das Brachland drum herum.

»Was sollen wir jetzt dort TUN?«, hatte Indie damals geschrien. »Jetzt wo Granny tot ist?«

Sie meinte damit, dass wir schon früher hätten fahren sollen. Vor einem Jahr, als wir den Traum hatten. Als sich Indie plötzlich so sicher war, dass sie zurückwollte.

An dem Abend vor ein paar Wochen, als Mum uns eröffnete, dass wir in Grannys Haus ziehen würden, war Indies Stuhl gegen die Waschmaschine geknallt, in der sich unsere Wäsche träge herumdrehte. Indies schwarze Jeans und Tanktops und Mums Büstenhalter. Ich konnte sehen, wie so ein Büstenhalter am Bullauge klebte. Der Bügel schabte am Glas.

»Was wir hier auch TUN«, hatte Mum genervt zur Antwort gegeben, »stell dich verdammt noch mal nicht so an. Nimm dir ein Beispiel an deiner Schwester Dawna.«

Dabei stand sie auf, stellte sich hinter mich und legte mir beide Arme um den Hals, eine Berührung, die mich unweigerlich auf Mums Seite zog und die mir irgendwie unangenehm war. Indie funkelte mich wütend über den Tisch hinweg an. Manchmal macht mir Indie Angst. Ihr aufbrausendes Wesen, ihre unberechenbaren Launen. Ihr ständiges Himmelhoch-Jauchzend und Zu-Tode-Betrübt. Mum sagte immer »Keine Ahnung, wo sie das herhat« und ich dachte jedes Mal Wahrscheinlich hat sie es von dir. Wahrscheinlich war Mum irgendwann genauso gewesen.

»Ja«, sagte Indie böse, »unsere Dawna ist überall zufrieden. Unsere tolle, unkomplizierte Dawna.«

Wieder tauchen Häuser vor uns auf. Diesmal mehr, die Ausläufer von New Corbie. Eine Tankstelle, ein Bahnhof, eine windschiefe Kirche. Vor der Tankstelle steht ein Typ und spritzt sein Geländemotorrad mit einem Dampfstrahler ab. Drecklachen sammeln sich unter dem Motorrad und seinen Füßen und die Wassertropfen schillern in allen Regenbogenfarben. Als er unser Auto bemerkt, beschattet er mit der Hand seine Augen und sieht zu uns herüber.

»Das war doch Miley«, sagt Indie und windet sich auf der Sitzbank, bis sie durchs Rückfenster hinaussehen kann, »klar ist er das. Der bescheuerte Miley, jetzt guck doch, Dawna.«

Ich drehe mich nicht um. Was interessiert mich Miley.

»Und da ist auch Sam Rossells Laden, sieht gar nicht so abgefuckt aus«, sagt Indie und schiebt mich vom Fenster weg. »Ich dachte, der versäuft den ganzen Laden.«

»Vielleicht ist es auch gar nicht mehr Sam Rosells Laden«, meine ich und Mum sagt genervt: »Jetzt seid doch mal still. Ich muss mich konzentrieren.«

Wir biegen vom Highway ab, hinunter auf eine Schotterpiste. Früher kamen uns hier Grannys Hunde entgegen. Sie konnten uns spüren. Granny sagte, die Hunde wären den ganzen Sommer nur faul herumgelegen, plötzlich bekamen sie unseren Geruch in die Nase, sprangen auf und winselten so lange, bis Granny sie hinausließ. Dann hetzten sie den Weg hinauf, strichen an der Kreuzung herum, bis sie unser Auto sahen. Sie sprangen an den Autotüren hoch und verkratzten den Lack und Mum schimpfte halbherzig mit ihnen. Sie war viel zu erleichtert, dass die Fahrt vorbei war und sie endlich aussteigen konnte, um ernsthaft böse zu sein.

Natürlich gibt es die Hunde nicht mehr. Niemand wartet hier auf uns. Der Weg schlängelt sich durch verwilderte Felder und ausgedörrte Wiesen, über denen die Hitze flimmert.

»Ob die Comtesse noch lebt«, sagt Indie und wir sehen zu ihrem Haus hinüber, verborgen hinter meterhohen Hecken und Schlinggewächsen.

Ab und zu blitzt es zwischen den Blättern auf und ich weiß, das ist die Sonne, die sich in den Gewächshäusern spiegelt. Früher war es verboten, in der alten Gärtnerei zu spielen, aber Indie und ich schlichen trotzdem hin. Wir wussten, dass die Comtesse am frühen Nachmittag zu Bett ging, um dann mitten in der Nacht aufzustehen und sich die Sterne anzusehen. Dann liefen wir hinüber, krochen unter den zerbrochenen Zaunlatten hindurch und kletterten auf das Dach des Geräteschuppens. Indie war mutiger als ich. Viel mutiger. Ihre Knie waren zerschrammt von Tausenden von Stürzen und ihr Haar hing ihr wirr und voller winzig kleiner Kletten ins Gesicht. Sie schlängelte sich über die heißen Dachschindeln, bis unter das Fenster der Comtesse, während ich mich flach auf das Dach drückte und die Luft anhielt.

»Und«, fragte ich, »was ist? Schläft sie?«

Indie richtete sich auf und spähte vorsichtig hinein. Zog die Vorhänge ein Stück auseinander und wartete, bis sich ihre Augen an das Dunkel gewöhnt hatten.

Decken sah man da und Kissen und alte zerschlissene Teppiche, erzählte sie. Einen schmiedeeisernen, leeren Vogelkäfig und Unmengen von Kleidungsstücken auf dem Boden verstreut. Manchmal ragte ein knochiger Fuß aus dem Deckenberg, manchmal ein Haarschopf, weiß gesträhnt, doch das wusste ich nur aus Indies Berichten. Ich selbst traute mich nie, über den Rand des Fensterbretts zu sehen, und Indie konnte nie mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, ob die Comtesse schlief oder nicht. Und trotzdem glitten wir wenig später vom Schuppen hinunter und streunten durch die Gewächshäuser. Durch die endlosen Reihen von Tischen, die von Tonscherben übersäten Wege, durch alle Ecken und Winkel, Treppenaufgänge und Kellerlöcher.

Der Weg macht eine letzte Biegung und vor uns liegt Grannys Haus.

»So, da wären wir«, sagt Mum betont fröhlich, aber ich sehe an ihrem Blick, wie anstrengend die letzten Stunden für sie waren.

Sie lässt den Pick-up ausrollen und hält genau vor der Veranda. Ich warte darauf, dass Granny die Haustür öffnet. Vielleicht warten wir alle darauf, denn keiner sagt etwas und keiner bewegt sich und öffnet die Autotür, um auszusteigen. Mum legt ihren Kopf aufs Lenkrad und ich hoffe, dass sie jetzt nicht zu heulen anfängt.

»Dahinten ist ein Pferd«, sagt Indie in die Stille und das Surren der Klimaanlage hinein und zeigt auf einen Fleck in den ausgedörrten Weiten hinter dem Haus.

»Die Wüste«, nannten wir damals den unfruchtbaren Boden, der sich vom Haus bis zu den Kiesgruben erstreckte. Dort gab es nur struppiges Gras und Disteln und Dornenhecken. Man konnte nicht barfuß laufen und auch nicht mit kurzen Hosen, außer man wollte blutige Fußsohlen und Waden riskieren. Die Wüste war unser Land. Granny stapfte mit uns über die Pfade und zeigte uns, wo man wilden Thymian finden konnte und am Ufer der Kiesgruben Minze und Salbei. Sie trug lange Röcke, in denen sich die Dornen einhängten, und wenn wir müde wurden, nahm sie uns huckepack. Ihr weißer Hund lief vor uns her. Ihm machte die Hitze nichts aus, obwohl sein Fell so dicht war wie das Fell eines Wolfes. »Wüstenhund« riefen wir ihn und er legte seine Ohren an und drängte seine lange Schnauze in unsere Kinderhände.

Wie konnte ich diesen Hund vergessen.

»Ohne Scheiß«, sagt Indie, »seht doch hin, dahinten ist ein Pferd.«

Mum seufzt.

»Eure Granny war am Schluss nicht mehr ganz bei sich«, sagt sie, »kann sein, dass das Pferd ihr gehört.«

Jetzt öffne ich doch die Tür und die Hitze schlägt mir entgegen. Ich springe aus dem Pick-up und drehe mich einmal um mich selbst. Ich kann Grannys Schritte auf der Holzveranda hören, wie sie mit nackten Füßen über die Bohlen läuft, hinter ihr das Klackern der Krallen des Wüstenhundes. Die Fliegengittertür steht offen, das Netz ist vom Wind zerrissen.

»Was sollen wir hier TUN?«, will jetzt auch ich sagen.

Ich laufe auf der Veranda einmal ums Haus. Die Blumen in den Töpfen sind vertrocknet und die kleine Scheune hinter dem Haus ist halb eingestürzt. Das Pferd sieht mich aus der Ferne an, es dreht leicht den Kopf und ich kann die sternförmige Blesse erkennen, schwarzes, struppiges Fell und eingefallene Flanken. Es steht am Rande des kleinen Wäldchens, wobei man von Wald kaum sprechen kann, eher von Gestrüpp, ein paar Bäume gibt es schon, knorrige, vom Wind zerzauste Kiefern. Ich mache eine Bewegung aus. Zwei weitere Pferde treten aus dem Unterholz, graubraun gefleckt heben sie sich kaum von den Zweigen ab.

»Es sind drei«, sage ich zu Indie, die jetzt neben mir steht.

Sie hat ihre Arme auf das Geländer gestützt. Spätestens morgen wird sie Sonnenbrand auf dem Nasenrücken und den Schultern haben und fluchen, weil ihre Haut so hell und empfindlich ist.

»Mum sitzt immer noch im Wagen«, sagt sie, »ich glaube, sie weint. Ich hasse es, wenn sie weint.«

Wir lehnen uns nebeneinander ans Geländer und sehen zu, wie die Pferde zu grasen beginnen. Sie rupfen das struppige Gras ab und peitschen mit ihren Schweifen die lästigen Fliegen fort. Das schwarze Pferd blickt immer wieder misstrauisch zu uns herüber.

Hinter uns hören wir die Autotür zuschlagen.

»Ich hasse es auch«, sage ich leise.

2 Indie

Dawna, unser Engel, denke ich mir böse. Das sagt sie jetzt auch nur, damit ich mich besser fühlen kann. Damit ich merke, dass sie mich ernst nimmt. Aber ich fühle mich nicht besser, das war gerade einfach nur unglaublich gönnerhaft. Und was ich an dieser dummen Heulerei von Mum hasse, ist, dass sie nicht heult, weil sie traurig ist. Sie heult, um uns weichzuklopfen. Damit wir ihr helfen, damit wir ein schlechtes Gewissen haben, damit wir gar nicht erst auf die Idee kommen, irgendwie aufzumucken. Ich starre weiter auf das schwarze Pferd. Es sieht unglaublich biestig aus. Ich kann mich nicht mehr an dieses Pferd erinnern.

Ich drehe mich von den Pferden weg und beobachte meine Mutter. Sie ist ausgestiegen und steht vor dem Haus. Sie hat in etwa den Gesichtsausdruck wie ich. Griesgrämig. Mit verschmierter Wimperntusche. Dazu stemmt sie die Hände in die Hüften und betrachtet ein paar Sekunden lang die Haustür, als wäre sie ihr persönlicher Feind. Endlich dreht sie sich zu uns um und strahlt uns an.

Ich komme gut damit zurecht, wenn Mum in abgedunkelten Zimmern depressiv rumhängt. Aber wenn sie sich plötzlich vornimmt, dass alles anders werden soll. Meine Scheiße. In der Zeit vor unserem Umzug nach Welby war alles so was von in Ordnung gewesen. Bis Mum im Internet so einen blöden Guru oder was weiß ich gefunden hatte, der ihr eingeredet hat, Engelsseminare besuchen zu müssen. Was für ein Mist. Seitdem glaubt meine Mutter an Engel. Dabei ist sie vierzig Jahre alt. Dawna fand das gar nicht komisch. Sie tat fast so, als wäre Mum ihr Kind, das sich jetzt eben mal ein bisschen selbst verwirklichen musste. Ich schrie nur noch rum. »Was soll das, Dawna? Welcher normale Mensch glaubt mit vierzig an Engel? Man braucht doch nur den Fernseher anzuschalten. Dann sieht man doch sofort, dass es keine Engel geben KANN. Dann gäbe es nämlich diese ganzen bekackten Talksendungen nicht!« Den Gedanken fand ich ziemlich clever, aber Dawna war sauer und meinte, ich solle keinen Quatsch reden und etwas heraufbeschwören.

Heraufbeschwören. Ein Lieblingswort meiner Mutter, das ich genauso hasse wie das Wort »erleuchtet«.

»Ich spüre es«, sagt Mum mit ihrer Märchenerzählerstimme. »Wir sind hier willkommen.«

Was für ein Quatsch. Meine Mutter spürt andauernd Quatsch. Seit sie dieses bescheuerte Engelsseminar besucht hat, fühlt sie sich ständig erleuchtet. Dabei ist sie ungefähr so erleuchtet wie der Hackstock neben der Scheune.

»Wie lange bleiben wir hier?«, will ich wissen. »Lohnt es sich, unsere drei Koffer auszupacken?«

Für eine Weile starrt mich Mum nur an. Wir bleiben nie länger als ein halbes Jahr an demselben Ort. Und wenn wir wieder fahren, packen wir unsere Sachen in drei Koffer. Jedes Mal reichen diese drei Koffer. Wenn das nicht traurig ist.

»Ich mach uns mal etwas zu essen. Dann fühlen wir uns gleich viel besser«, sagt sie munter, ohne auf meine Frage einzugehen, und kramt in ihrer bunten Umhängetasche nach dem Haustürschlüssel. »Wollt ihr euch noch ein bisschen umsehen?«

Umsehen. Selbst Dawna sagt nichts.

»Ich habe Hunger«, erwidere ich patzig und lehne mich gegen den Holzzaun. Und zwar auf anständiges Essen. Nicht dieses Quatsch-Essen meiner Mutter. Seit sie dieses dämliche Engelsseminar gemacht hat, isst sie nämlich nur noch »lebendes Essen« und nennt sich einen »Raw Foodie«. Das bedeutet im Klartext, dass wir ständig irgendwelchen ekelhaften ungekochten Kram in uns hineinstopfen. Mum fühlt sich nach dem Essen immer unglaublich lebendig und erleuchtet. Ich fühle mich von der ganzen Rohkost nur aufgebläht. »Pups-Essen«, sage ich, um sie zu ärgern. »Wir brauchen bald drei Klos, weil wir so lange auf dem Klo pupsen müssen.«

Mum sagt auf so etwas immer gar nichts, sondern sieht nur enttäuscht aus. Mein Magen beginnt zu knurren.

»Natürlich, mein Engelchen«, sagt meine Mutter sanft. Ich drehe mich von ihr weg, starre wieder auf die struppigen Pferde.

Dawna bleibt neben mir stehen. Mum geht ins Haus.

»Willst du nicht mit rein?«, fragt Dawna.

Ich verdrehe nur die Augen.

»Mach es ihr nicht so schwer.«

»Wer macht hier wem was schwer?«, fauche ich Dawna an. »Wer zwingt uns denn dazu, rohen Brokkoli zu essen? Und noch ein Wort über Engelsseminare und ich fange zu kotzen an.«

Dawna seufzt.

Ich verschränke die Arme vor der Brust und schaue weg. Dawna und Mum werden sich noch wundern. Ich habe nämlich vor, hier allen das Leben möglichst schwer zu machen. Vielleicht hört Mum dann auf, an Engel zu glauben, und fährt wieder zurück in unser altes Haus. In ein Leben mit fettigem Essen und ohne Engel.

»Ist es nicht wunderbar? Es ist wie Nach-Hause-Kommen«, schwärmt Mum und stellt Teller mit Raukesalat auf den Tisch. »Es ist wie immer, nicht wahr?«

Wie kann sie nur so einen Unsinn reden. Es ist nicht mehr unser Zuhause. Nicht jetzt, wo Granny nicht mehr hier ist. Es ist sogar irgendwie unheimlich. Es riecht nach abgestandener Luft und kein bisschen nach Granny. Dawna schaut mich an, als warte sie auf etwas. Vielleicht etwas Versöhnliches. Aber ich drehe mich weg und öffne das Fenster. Es soll lieber nach staubiger Sommerluft riechen als so abgestanden, so gar nicht nach Hefeteig. Man sieht vom Küchenfenster aus ein kleines Stückchen der Koppel. Früher grasten da die Pferde der Comtesse. Drei gepflegte Appaloosas und ein kleines Pony namens Charly, das meistens ein ziemlich mürrisches Gesicht zog. Außer man hatte Karotten dabei. Na ja, eigentlich sogar dann. Jetzt steht in der Ecke der Koppel das struppige schwarze Pferd und blickt griesgrämig zu uns herüber.

»Mmm. Rauke«, sagt Dawna schließlich, weil ich es nicht tue.

»Dann setzt euch doch.« Mum strahlt uns an und setzt sich auf den Stuhl, auf dem immer Granny gesessen hat. Dabei redet sie ohne Punkt und Komma weiter.

Dawna sieht immer noch so aus, als wünschte sie sich, ich würde etwas sagen.

»Granny hat gesagt, etwas Warmes braucht der Mensch«, sage ich schließlich, ohne mich zu setzen.

In der Küche ist es plötzlich totenstill.

»Ich bin doch kein Hase«, füge ich hinzu und fühle mich plötzlich richtig gut. »Und fress den ganzen Tag nur Salatblätter und Karotten.«

Mum steht auf. Sie hat Tränen in den Augen. Ohne mich anzusehen, dreht sie sich um, geht aus der Küche und schlägt die Tür hinter sich zu.

»Indie«, faucht Dawna.

»Ich habe Hunger«, fauche ich zurück. »Man kann von Raukesalat und ungekochten Karotten nicht satt werden!«

Für einen Augenblick sieht es so aus, als würde Dawna ausrasten. Ihre Augen werden plötzlich seltsam dunkel und die Luft zwischen uns scheint zu knistern. Es ist, als saugten sich unsere Augen aneinander fest. Auf einmal bin ich mir sicher, dass zwischen uns etwas Seltsames passieren wird. Mein Herz beginnt, wild zu schlagen.

Etwas, was nur passiert, wenn wir gleich alt sind.

Aber plötzlich schweifen Dawnas Augen zum Fenster. Ich sehe, wie ihre Pupillen ganz klein werden. Nach ein paar Sekunden drehe ich mich auch zum Fenster um.

»Da ist jemand«, flüstert Dawna. »Da drüben. Im Schatten des Baumes.«

Ich kneife die Augen zusammen. Ich sehe gar nichts.

Dawna kneift auch die Augen zusammen und seufzt dann.

»Vielleicht auch nicht.«

»Wir hätten vor einem Jahr hier sein sollen«, sage ich, nachdem wir beide eine Weile geschwiegen haben. »Damals, als wir das Gefühl hatten . . .« Ich vollende den Satz nicht. Damals, als wir beide den Traum hatten, dass uns Granny ruft. Wir hatten versucht, Mum dazu zu bringen, mit uns nach Whistling Wing zu fahren. Wir hatten sie sogar so weit, es zu tun, aber genau an dem Tag, an dem wir unsere Koffer gepackt hatten, hatte sich Mum umentschieden. Wir sehen uns eine ganze Weile wortlos an, bis das Knistern in meinem Kopf unerträglich wird.

Ich stelle mich neben Dawna ans Fenster und sehe hinaus auf den menschenleeren staubigen Hof. Die Tür von Mums Auto steht offen. Hat sie vor, wieder abzureisen? Obwohl ich das die ganze Zeit hören will, fühle ich mich nicht gut bei dem Gedanken. Noch immer steht das griesgrämige Pferd vor den Kiefern. Es schaut zum Auto.

Dawna antwortet mir nicht. In meinem Kopf knistert es ein wenig und ich meine, einen Gedanken von Dawna aufzufangen. Wir wären nicht rechtzeitig vor Grannys Tod hier gewesen, denkt sie. Wir sehen beide hinüber zu dem schwarzen Pferd, keine von uns will über Grannys Tod sprechen.

»Wer kümmert sich eigentlich um die Pferde?«

»Gar niemand«, schlage ich vor.

Dawna verdreht die Augen. Plötzlich ist wieder alles wie sonst.

»Na ja, sieh dir doch das Pferd an. Das ist ja ein einziges Gerippe«, erkläre ich ihr. »Scheiße. So ein Pferd will doch kein Mensch haben.«

»Granny ist schon ein Jahr lang tot. So lange hält das kein Pferd aus.«

Ich zucke mit den Schultern.

»Auf so einem dürren Pferd kann auch kein Mensch reiten«, behaupte ich, froh darüber, dass wir uns nicht mehr ansehen, dass es nicht mehr zwischen uns knistert. »Was meinst du, was du nach dem Reiten für einen Arsch hast.«

Dawna schweigt. Als ich sie von der Seite anschaue, sehe ich, dass sie die Lippen zusammenpresst.

»Charly ist nicht mehr da«, sagt Dawna schließlich. »Weißt du noch?«

Als könnte ich Charly je vergessen. Ein kleines Shetty, auf dem wir wilde Indianerjagden geritten waren. Tausendmal abgeworfen, weil Charly etwas Besseres zu tun hatte, als mit uns Indianer zu spielen.

»Bei dem Baum da drüben«, sagen wir gleichzeitig und beginnen zu lachen.

Bei diesem Baum war er immer umgekehrt, auch wenn wir ihm den Hals in die andere Richtung gedehnt haben. Irgendwann war es ihm meist zu blöd, dann begann er, so lange herumzutanzen, bis wir auf dem Kies lagen.

Auf der Treppe hören wir meine Mutter. Sie reißt die Küchentür auf und sieht noch mitgenommener aus als gerade eben.

»Wie geht das mit dem Internet?«, fragt sie atemlos.

Richtig. Jetzt muss sie sich im Internet über ihre unmögliche Tochter ausheulen.

»Weiß nicht«, antwortet Dawna. »Willst du nicht erst was essen?«

»Hatte Granny kein Internet?«, bohrt Mum nach.

Was für eine blöde Frage.

»Granny hatte keinen Computer«, erzähle ich der Fensterscheibe. »Granny hatte auch keinen Fernseher.«

Ich sehe sie an. Ich weiß genau, wie sehr wir uns in diesem Moment ähneln. Die Augen. Die roten Haare. Der zusammengekniffene Mund. Und es ärgert mich total, dass meine Mutter über ihre eigene Mutter so wenig weiß.

»Aber vielleicht hat sie sich ja das alles in den letzten sieben Jahren zugelegt«, mache ich mit betont liebenswerter Stimme weiter. »Keine Ahnung. Da durften wir sie ja nicht mehr besuchen.«

Dawna zieht scharf die Luft ein. Ich sehe, dass Mum die Zähne zusammenbeißt und mir einen bösen Blick zuwirft.

»Das mit dem Internet kriegen wir schon noch hin, Mum«, sagt Dawna mit einer Stimme, als würde sie mit einem Kind reden. »Iss doch erst mal ein bisschen was.«

Mum dreht sich um und geht wortlos aus dem Raum.

»Das geht ganz einfach«, sagt Dawna leise, obwohl Mum sie nicht mehr hören kann.

Kein Internet.

Wenn wir Glück haben, fahren wir heute wieder nach Hause, frohlockt es in mir. Ohne Internet und ihre Engelsplattform kann Mum nicht leben.

»Bitte. Reiß. Dich. Zusammen«, sagt Dawna böse mit einer Pause zwischen jedem Wort.

Für einen kurzen Moment schauen wir uns an. Hinter meinen Augen beginnen Kopfschmerzen zu brennen.

Ich hasse es, wenn wir gleich alt sind.

Dawna dreht sich um und geht aus der Küche. Ich höre, wie sie »Mum« im Flur ruft.

Ich sehe wieder aus dem Fenster. Das struppige Pferd ist verschwunden.

3 Dawna

Ich nehme den alten Weg. Den tausendmal gegangenen Weg. Den Weg, den Indie und ich wählten, wenn wir zur Gärtnerei wollten. Den gefährlichen Weg, auf dem man sich Dornen einzog und auf giftige Schlangen treten konnte. Ich bin überrascht, dass der Weg überhaupt noch da ist, irgendjemand muss ihn absichtlich frei halten und die Zweige abknicken, die ein Durchkommen zu sehr behindern. Er schlängelt sich über den Kiefernboden. Ich ducke mich unter Dornenranken hindurch und denke an Mum und daran, dass sie uns nicht alles gesagt hat, was Whistling Wing und unsere Rückkehr betrifft, und wie sauer ich deswegen bin. Ich hasse vollendete Tatsachen. Und die vollendeten Tatsachen sind, dass wir hier nicht alleine wohnen werden. Mums »Neuer« wird einziehen. Das weiß ich, seit ich sie vor einer Viertelstunde habe telefonieren hören. Ihre Stimme war leise und zärtlich und mir war sofort klar, was los ist. Seit ich denken kann, hat Mum immer wieder »Bekanntschaften«, die genauso schnell verschwinden, wie sie auftauchen, und die meine Mutter jedes Mal als armseliges Häufchen Elend zurücklassen. Ich bin froh, dass Indie mich nicht entdeckt hat, dass ich an ihr vorbei entwischt bin. Sie würde mit Sicherheit versuchen, mir alles aus der Nase zu ziehen. Ach was, sie würde wissen, dass Mum einen Mann hierher bringen will, bevor ich auch nur daran gedacht hätte.

Unter den Bäumen ist es dämmrig, die Hitze ist wie eine Mauer, die man nicht durchbrechen kann. Ich pflüge mich hindurch, halte die Arme vor mich, um mich vor den Zweigen zu schützen. Fast spüre ich Indie hinter mir, nein, vor mir. Indie hüpfte immer voraus.

»Ksch!«, rief sie, »ksch, ksch, ksch!«

Sie trampelte extra laut, damit die Schlangen uns hören konnten, sie machte ein Spiel daraus und ich lief hinterher, immer mit einem kleinen Rest Angst in der Brust. Angst vor den Schlangen. Angst vor Charly. Und Angst vor der Comtesse. Indie hatte keine Angst vor den Schlangen, denn die Schlangen konnten sie verstehen. Sie redete mit ihnen und machte, dass unser Weg frei blieb.

Eine winzige Bewegung lässt mich stoppen, eine Bewegung oder eigentlich kaum mehr als ein weißes Flimmern im Augenwinkel. Ich bleibe stehen, starre ins Dunkel, in dieses unheimliche Gewirr von Zweigen vor mir. Da ist nichts, denke ich.

Dann sehe ich noch mal einen hellen Fleck, verschwommen, weiter entfernt, und mein Herz beginnt, wild zu klopfen, klopft in meinen Ohren und ich halte still, starre angestrengt, ohne zu atmen.

»Nein, nichts«, sage ich laut, »da ist nichts. Du bist schon völlig durchgedreht, von der Hitze und dem Essen und Mum und Indie.«

Meine Stimme hört sich seltsam schrill an und ich denke, genau, jetzt wirst du schon wie deine Mutter.Du siehst Lichtstreifen und sprichst mit dir selbst.

Ich wische mir den Schweiß aus den Augen, mein Blick fällt auf den Weg, genau vor meine Füße, und da liegt sie, eingeringelt, schuppig, schwarz. Die Schlange, deren Biss einen töten kann, vor der Granny uns immer gewarnt hat. Nur einen Schritt weiter und ich wäre auf sie getreten. Ich sehe auf meine Füße hinunter, auf meine nackten Zehen und Knöchel. Ich kann Grannys Stimme hören, leiser als mein Herz, aber doch deutlich in meinem Ohr.

»Nicht bewegen, Kind«, sagt sie, »du wirst es doch nach all den Jahren in der Stadt nicht vergessen haben. Was man tut, wenn man hier auf Schlangen trifft.«

»Was tut man denn«, flüstere ich.

Die Schlange blickt mich an, sie richtet sich auf, dabei windet sie ihren Körper spiralförmig um sich herum.

Grannys Stimme bleibt still, doch ich kann sie jetzt sehen, wie sie vor uns her durch die Wüste läuft. Sie hat den blauen Rock an, der sich bei jedem Schritt um ihre Wade bauscht. Ich bin kurz hinter ihr. Indie läuft weiter vorne. Sie wirft dem Wüstenhund Stöcke in das dürre Gras und der Hund springt nach, wirbelt Staub auf und zerknackt die Stöcke mit einem Biss. Dann plötzlich schreie ich. »Granny«, schrei ich, »Granny!« Und Granny wirbelt herum, viel zu schnell, schneller, als dass ich ihren Bewegungen folgen kann. Sie packt die Schlange am Schwanz und zieht sie mit einem Ruck durch die geöffneten Finger ihrer anderen Hand. Dann reißt sie ihr den Kopf ab. Wir atmen schwer. Indie beginnt zu weinen.

»Warum hast du das gemacht«, weint sie.

Der tote Schlangenkörper liegt zwischen uns. Indies Schluchzen und Grannys Stimme.

»Indie«, sagt Granny eindringlich, »manchmal nützt Mitleid nichts. Dawna wäre jetzt tot, verstehst du das?«

Indie nickt. Zögernd. Unschlüssig.

»Manchmal muss man schnell entscheiden.«

Indie nickt wieder und ich stubse die tote Schlange mit dem Fuß an.

»Sonst ist es zu spät. Und wenn es zu spät ist, bereut man es ein Leben lang.«

Damals nahm Granny uns an der Hand. Indie links und mich rechts. Wir gingen zurück und der Wüstenhund trollte sich hinter uns her. Ich wusste, dass Granny recht hatte. Und dennoch. Wie konnte sie so etwas Grausames tun. Wie konnte sie sich nur so plötzlich verwandeln, von der Frau, die wir kannten, in eine völlig Unbekannte.

Die Schlange richtet sich auf und schlängelt sich ein paar Zentimeter an mich heran. Ich halte still und sehe in ihre gelben Augen. Wenn sie mich beißt, werde ich es nicht mehr bis nach Hause schaffen. Ihr Gift wirkt zu schnell. Es würde mich in wenigen Sekunden töten.

Dann wendet sie sich von mir ab, und erst als sie weg ist, langsam ins Unterholz gleitet, höre ich das Geräusch. Ich blicke nach oben. Der Himmel verdunkelt sich, es ist das Klatschen von Flügeln, ich sehe, wie sich Vögel in den oberen Ästen der Kiefern zu beiden Seiten des Weges niederlassen. Die Wipfel schwanken, es sieht aus, als würden sie die Zweige nicht richtig zu fassen bekommen. Ich lege meinen Kopf in den Nacken. Heiße Luft schlägt mir entgegen. Einer der Vögel lässt sich auf einem Baum unmittelbar in meiner Nähe nieder. Seine Federn sind schwarz und schillern bläulich und sein Kopf ist kahl. Er fixiert mich mit seinen blanken Augen. Instinktiv weiche ich einen Schritt zurück.

Lauf weg, pulsiert es in mir, doch ich bin unfähig, mich zu bewegen.

Wie gebannt starre ich zu ihnen hinauf, beobachte, wie sie die Kiefern zum Schwanken bringen. Sie sind riesig. Ich habe noch nie so große Vögel gesehen. Ich weiß, dass mich der eine Vogel noch immer anstarrt, ich kann es spüren. Und dann wendet er mit einem Mal seinen Blick von mir ab, die Vögel schwingen sich wieder in die Luft und ich höre Schritte.

»Aha«, sagt die Comtesse und bohrt ihren Gehstock zwischen uns in den Boden, genau an der Stelle, an der vor wenigen Augenblicken noch die Schlange gelegen hat, »Ernestines Enkelin. Dass ich euch noch mal zu Gesicht krieg, hätte ich nicht gedacht.«

Ich weiche etwas zurück, doch die Comtesse kommt mir nach. Sie trägt sonderbare, viel zu weite Klamotten, Bermudas in Tarnfarben und eine riesige verspiegelte Sonnenbrille, die ihr halbes winziges Gesicht verdeckt. Auf dem Rücken hat sie die Winchester.

»Wir sind erst heute angekommen«, sage ich vorsichtig, was der Comtesse ein heiseres Lachen abringt.

»Das Beste wär, ihr würdet auch heute gleich wieder verschwinden«, sagt sie orakelhaft und fuchtelt mit dem Stock vor mir herum.

»Das müssen Sie meiner Mutter erzählen«, sage ich gereizt, »an uns liegt es nicht.«

»Soso«, sagt sie, »eure Mutter . . .«

Dann bricht sie ab und ein ungutes Schweigen breitet sich zwischen uns aus. Sie hat uns nie erwischt, damals, denke ich, aber wahrscheinlich hat sie es immer gewusst. An ihrem Gesicht kann ich nichts ablesen. Ob sie gleich auf mich losgeht und mich verhext. Ob sie sagt: »Ich hab immer gewusst, dass ihr auf meinem Dach herumgeturnt seid und dass ihr heimlich auf Charly geritten seid, ihr kleinen Bastarde.«

»Wie lange wollt ihr bleiben?«, fragt sie stattdessen.

Ich zucke mit den Schultern.

»Ich glaube nicht, dass Mum so schnell wieder wegwill«, sage ich. »Zumindest haben wir unsere Koffer ausgepackt.«

Ich muss an das Telefonat denken. Was immer Mum vorhat, es scheint diesmal ernst zu sein. Nicht wie damals, als sie bei uns zu Hause eine Massagepraxis eröffnen wollte und Indie und mich mit den Flyern losgeschickt hat. Als dann Leute bei uns anriefen, ließ sie sich verleugnen, verkroch sich im Bett und sagte, sie habe jetzt keine Kraft dazu. Sie müsse auf sich hören. Auf ihre innere Stimme. Oder die tausend anderen Jobs, die sie halbherzig annahm, um dann nie wieder dort aufzutauchen.

Aber diesmal konnte ich an ihrer Stimme hören, dass etwas anders war. Die Art, wie sie mit ihm am Telefon redete, und der Klang ihres Lachens. Und ehrlich, das machte mir mehr Angst als alles, was sie die Jahre davor getan hatte.

»Das sollte sie nicht«, sagt die Comtesse leise, mehr zu sich selbst, »das sollte sie nicht. Sie sollte sehen, dass sie hier wegkommt, sie und ihre Töchter.«

Dann schreckt sie auf. Ein Geräusch lässt uns herumfahren. Wir blicken gleichzeitig nach oben. Der Schwarm Vögel kreist über uns, eine schwarze Wolke, das Klatschen der Flügel ist so laut, dass wir den Wind in den Bäumen nicht mehr hören können. Sie kreisen, als würden sie etwas suchen, dann drehen sie wieder ab und fliegen weiter nach Norden. Wir sehen uns kurz an und ich meine, ihre Augen hinter den Gläsern ausmachen zu können, doch dann wendet sie ihren Blick ab.

»Geh jetzt«, sagt sie streng, »du hast hier nichts verloren.«

4 Indie

Dawna und Mum sind losgefahren, um Meister Shantani von der Tanke abzuholen. Meister Shantani. So heißt er. Shantani. Ihr Neuer, den sie uns verschwiegen hat. Mum ist total durchgeknallt, seit sie weiß, dass der blöde Kerl tatsächlich kommt. Ich wollte nicht mitfahren. Das wäre zwar eine gute Möglichkeit gewesen, etwas Fettes, Gekochtes zu essen, aber ich hatte absolut keine Lust auf eine Unterhaltung mit Mum. Und keine Lust auf eine Unterhaltung mit einem Engelsguru. Ich weiß, dass sie irgendetwas plant. Keine Ahnung, was es ist. Vielleicht ist das auch besser so, denn bestimmt hat es etwas mit Engeln zu tun. Und wenn ich noch ein Wort über Engel höre, dann fange ich zu schreien an. Außerdem will ich eine Weile alleine durchs Haus geistern. Irgendetwas suchen, was mich an Granny erinnert. »Ihre Seele«, würde Dawna sagen. Aber ich suche nur Erinnerungen an früher.

Seit wir hier sind, habe ich ständig das Gefühl, dass Granny mit mir spricht, und das macht mich völlig verrückt. Manchmal bilde ich mir sogar ein, ihre Schritte zu hören. Ihr fester, bestimmter Tritt auf den Stufen. Ich gehe schon zum dritten Mal in den ersten Stock, weil ich meine, etwas flüstern und wispern zu hören. Schritte auf dem Kies. In unserem früheren Zimmer klemmen die Fensterläden. Die Sonne malt staubige Streifen auf den Fußboden. Der alte bunte Flickenteppich, der schon immer hier war, liegt noch vor dem Bett. Und die Lampe mit dem Engelsfuß steht auf dem Nachtkästchen. Der Fuß der Lampe ist eine schlanke Frau mit großen Brüsten, auf dem Rücken hat sie riesige Flügel, dicht angelegt an den Körper, und ihre Arme stemmen einen filigranen Lampenschirm in die Höhe.

»Für mein Engelchen«, sagt Granny in meinem Ohr, wie sie es früher immer gemacht hat. »Eine Engelslampe.« Dabei hatte sie immer gelacht. Vermutlich weil ich so gar nicht engelsgleich war. »Irgendwann fliegt sie weg«, hatte ich behauptet. »Dann wache ich in der Nacht auf und habe kein Licht.« Granny hatte darüber immer schallend gelacht und erklärt, dass Engelsfrauen, die Lampenschirme halten, niemals wegfliegen. Und wenn, dann würde sie bestimmt ein Sternchen über mein Bett hängen, das für mich leuchtet.

Manchmal meinte ich damals, die Engelsfrau zwinkere mir zu. Wenn ich gerade am Einschlafen war und meine Augen schon fast zufielen. Dann bewegte sie sich ein wenig, als würde ihr der Lampenschirm ein bisschen unbequem werden. Und dann zwinkerte sie so, als würde sie sich denken: Die schläft sowieso gleich. Dann kann ich wegfliegen.

Schon wieder höre ich Grannys Schritte im Kies. Ich habe wirklich zu wenig geschlafen. Ich stelle mich ans Fenster und linse durch die schmalen Schlitze nach draußen. Der staubige Hof liegt ausgestorben da. Und doch höre ich noch immer Schritte. Ich überlege, ob ich versuchen soll, die Fensterläden zu öffnen. Natürlich weiß ich, dass das nicht Grannys Schritte sind, nicht sein können. Anders als Mum oder vielleicht auch Dawna glaube ich nämlich an nichts, was übersinnlich ist. Für mich gibt es nur das, was ich sehen und berühren kann. Trotzdem fühlt sich, seit ich hier bin, alles danach an, als wäre Granny noch auf Whistling Wing. Was für ein Quatsch! Energisch schüttle ich den Kopf, versuche, all die widersprüchlichen, verwirrenden Gedanken einfach abzuschütteln. Wieder knirschen Schritte im Kies.

Dann sehe ich ihn. Er geht ganz unbefangen über den Hof. In der rechten Hand trägt er einen alten Blecheimer, man sieht von hier aus nicht, was drin ist. Er hat dunkle widerspenstige Locken und wirkt irgendwie italienisch. Sein Oberkörper steckt in einem dunklen, abgetragenen Muskelshirt, die schlanken, muskulösen Arme sind braun gebrannt. Ich erkenne ihn sofort. Er geht in Richtung Koppel und beginnt zu pfeifen.

Es ist Miley.

Irgendwie seltsam, woran man sich erinnert. Granny hat uns sehr oft etwas erzählt, was wir nicht verstanden haben. Nun, jedenfalls hatte ich es nie verstanden. Manchmal hat sie uns Versprechen abgenommen, mit denen ich nichts anfangen konnte. Wenn wir Johannisbeeren in unsere kleinen Eimerchen pflückten, bis unsere Hände rot waren. Oder wenn wir ihr beim Abtrocknen halfen und die Besteckschublade klirrt. »Versprecht mir, dass ihr dann klug seid.«

»Was ist klug?«, hatte ich dann immer gefragt.

Dawna hatte darüber gelacht und Granny zugezwinkert. Aber Granny streichelte mir nur mit ihrer alten Hand über den Kopf und flüsterte: »Ihr seid beide klug. Versprecht mir, dass ihr auch klug handeln werdet.«

»Und was muss ich tun, damit ich klug handle?«, hatte ich immer wieder gefragt.

»Das weißt du dann schon«, hatte Granny behauptet. »Vertrau einfach auf dein Gefühl.«

»Und wenn ich kein Gefühl haben werde?«, hatte ich nachgebohrt.

»Schätzchen, du wirst ein Gefühl haben.« Granny lächelte und zwinkerte mir zu. Als wäre es vollkommen normal, dass ihre Enkeltöchter immer das richtige Gefühl zur richtigen Zeit hatten.

»Und passt auf eure Mutter gut auf.« Damit hatten ihre klugen Ratschläge meist geendet.

Das fand ich einen sehr seltsamen Rat. Denn auf Eltern mussten Kinder nicht aufpassen. Wenn, dann mussten Eltern auf Kinder aufpassen. Inzwischen weiß ich es besser.

Dieses ganze Rohkostgegesse zum Beispiel ist etwas, was meines Erachtens als Ernährung für mich völlig ungeeignet ist. Aber trotzdem habe ich das Gefühl, dass Granny damals nicht das Rohkostessen gemeint hat, sondern etwas, was bedeutender ist.

Und mein Gefühl sagt mir, dass es kein Zufall ist, dass ich mich ausgerechnet jetzt daran erinnere, dass ich klug handeln soll.

Aus einiger Entfernung sieht man eine lang gestreckte Staubwolke auf unseren Hof zukommen. Ich weiß, dass es Mums und Shantanis Autos sind. Meine Augen folgen der Staubwolke, die sich zwischen den Feldern hindurch auf Whistling Wing zubewegt. Die Wolke bleibt über den Getreidefeldern stehen wie ein schlechtes Omen. Direkt hinter den Getreidefeldern zieht sich eine lang gestreckte Front von Hickorys und Erlen bis zu einem kleinen Fluss, dessen Ufer dicht bewachsen sind von Bäumen, Brennnesseln und verschiedenen Schlingpflanzen. Es sieht aus wie ein dunkles grünes Band, das sich zwischen den trockenen Feldern und Brachen entlangschlängelt. Wie ein winziges, fruchtbares Gebiet in der Wüste.

Über den Erlen zieht gerade ein größerer Schwarm schwarzer Vögel seine Kreise.

Ich kneife ein wenig die Augen zusammen, obwohl ich weiß, dass ich die Vögel dann auch nicht erkennen kann. Für einen Moment wirkt es, als würden sie über der Staubwolke kreisen. Aber die Hitze und der Staub machen komische Dinge. Plötzlich sind die Vögel weg. Dann meine ich, sie wieder auf einem der Hickorys zu sehen, auf die sich die Autos zubewegen. Es ist ein riesiger, uralter Hickory. Genau hier macht die Straße einen Knick und führt dann in gerader Linie auf Whistling Wing zu.

Die Staubwolke erreicht den alten Hickory und bewegt sich jetzt direkt auf uns zu. Wie auf ein unsichtbares Kommando erhebt sich die schwarze Vogelschar in die Luft und ist verschwunden. Ich kneife die Augen weiter zusammen. Was sind das für Vögel? Sie sehen so groß aus. Meine Augen fangen an zu brennen, ich zwinkere den Staub weg.

Die Staubwolke kommt in unserem Hof an. Als sich der Staub gelegt hat, sehe ich Guru Mara Shantani aus seinem Auto steigen.

Nachdem Mum uns gestern die Sache mit Shantani und dem Engelsseminar eröffnet hat, habe ich ihn mir als Inder vorgestellt. Mit einem weißen, langen Mantel, olivbrauner Haut und schwarzen Augen. Und einem unglaublich weisen und segnenden Blick. So, als wäre er komplett weltfremd.

Irgendwie beruhigt es mich, dass er nicht so aussieht. Er sieht wie ein junger Mann aus, der gerade den Pickeln entwachsen ist. Nur an seinen Augen merkt man, dass er schon älter sein muss. Vielleicht so alt wie Mum oder ein paar Jahre jünger. Er hat ziemlich ungepflegte blonde, strähnige Haare und blaue Augen. »Die Augen verraten den Menschen«, hat mir Granny einmal gesagt. Was mir diese wässrigen blauen Augen verraten, weiß ich nicht. Vielleicht, dass er so erleuchtet ist wie ein ungekochtes Ei. Dass er bei Engeln nicht an den Himmel denkt. Und dass es kein Spaß sein wird, ihn hier zu haben.

Mum hat das noch nicht erkannt. Sie steht neben ihm und sieht ihn intensiv an. Vermutlich will sie von ihm hören, wie toll es hier ist. Wie geeignet, um mit Engeln in Kontakt zu treten. Vielleicht will sie aber auch nur Sex. Sie sieht jedenfalls unglaublich glücklich und erleuchtet aus.

»Sei gegrüßt«, sagt er zu mir mit seiner seidenglatten Stimme. Es ist eine Stimme ohne Wärme, sie gibt nichts von ihm preis. Und ich spüre tief in mir, dass seine Absichten nicht gut sind.

Ich sage gar nichts. Verpiss dich, würde ich gerne sagen. Du gehörst hier einfach nicht her. Du gehörst nicht zu uns. Und erleuchtet bist du auch nicht, auch wenn du die nächsten hundert Jahre rohen Brokkoli frisst.

»Sieh mal, was er mir mitgebracht hat«, sagt Mum zu mir und hält mir etwas unter die Augen.

Ein Schlüsselanhänger. Er hat ihr einen potthässlichen Schlüsselanhänger mitgebracht, den er garantiert bei einer unerleuchteten Tankstelle gekauft hat. Io ti proteggo steht auf dem rosa Anhänger mit dem gesichtslosen Engel. Mum, du bist 40 Jahre alt, liegt mir auf der Zunge, du kannst doch nicht wirklich glauben, dass dieser billige Schlüsselanhänger irgendein Zeichen ist! Aber ich spüre unterschwellig, dass mich Dawna abhält.

»Toll«, sage ich trotzdem ironisch.

Shantani öffnet die Tür seines Autos. Für einen Moment meine ich, dass mich der heiße Luftschwall aus dem aufgeheizten Inneren streift. Dann tritt Shantani zur Seite und ein Hund springt heraus. Er bleibt vor mir stehen und starrt mich mit gelben Augen an.

Mein Herzschlag beschleunigt sich. Für einen winzigen Moment will ich mich einfach nur umdrehen und ins Haus zurückrennen. Jetzt weiß ich, was Granny damit gemeint hat, dass ich wüsste, wann ich nach meinem Gefühl handeln muss.

»Das ist kein Hund«, zische ich Mum zu.

»Das ist Dusk«, erklärt Shantani mit seiner widerlich süßlichen Stimme.

Mum lächelt nur.

»Das ist kein Hund«, zische ich etwas lauter. »Der kann nicht zu uns ins Haus.«

Dawna steht stumm daneben, sie sieht von Mum zu mir, dann zu Dusk.

»Natürlich ist das ein Hund«, widerspricht mir Shantani.

»Wenn das ein Hund ist, bin ich ein Engel«, sage ich und imitiere die Stimme von Shantani. Irgendwie weiß ich, dass wir jetzt nahe dran sind an einem fürchterlichen Krach.

»Seine Mutter ist eine Schäferhündin«, erklärt Shantani so geduldig, als würde er einem kleinen Kind etwas erklären.

Das macht mich noch wütender. Am wütendsten macht mich jedoch, dass Shantani nicht wütend wird. Er sieht wirklich so aus, als wäre ich kein geeigneter Partner für einen Streit. Als wäre klar, wer dabei gewinnt. Und als müsste er mir mit sanfter Stimme noch Trost zusprechen. Arme, kleine Indie. Du brauchst keine Angst haben. Der gute Shantani passt auf dich auf.

»Das ist ein Wolf«, wiederhole ich und merke, dass meine Stimme nicht mehr das tut, was ich von ihr will. Ich sehe Mum an. Versuche, Blickkontakt aufzunehmen. Es klappt nicht. Ich spüre, dass Dawna mich ansieht, und weiß, dass sie mich verstanden hat.

Mum dagegen interessiert sich überhaupt nicht für das Problem.

Auch in der Miene des Wolfes kann man nichts lesen. Für eine Weile fixiert er mich mit seinen seltsamen Augen und mich überläuft es kalt. Er ist gefährlich, will ich zu Mum sagen, aber ich bekomme keinen Ton heraus.

»Und sein Vater«, sage ich schließlich.

Es tritt eine seltsame Stille zwischen uns ein. Sie ist durchdrungen von dem Gefühl, dass Dawna und ich auf einer Seite sind und Mum auf der anderen. Dass Mum so wenig von der Realität versteht, dass es zum Heulen ist. Und dass Shantani das ausnützen wird.

Der Wolf darf nicht in unser Haus, denke ich und sehe Dawna an. Seltsamerweise beobachtet Dawna den Wolf und sieht überhaupt nicht beunruhigt aus. Als sie den Blick hebt, merke ich, dass sie sich fragt, wovor ich Angst habe.

»Lasst uns doch was essen«, schlägt Mum vor und lächelt engelsgleich.

»Und sein Vater?«, hake ich nach und habe den Mut, in Shantanis seelenlose Augen zu blicken.

Ich höre plötzlich ganz klar Grannys Stimme in meinem Kopf. Du wirst wissen, wann du deine Mutter beschützen musst.

»Sein Vater ist ein Wolf«, behaupte ich. »Das ist kein Hund. Und ich werde nicht in diesem Haus schlafen, wenn der Wolf dort schläft.«

»Es ist ein Hund.« In Shantanis glatter Stimme schwingt ein Ton mit, der neu ist. Aber er sagt nicht, dass meine Vermutung nicht stimmt. Mum lächelt immer noch, inzwischen etwas ratlos. Shantanis Miene ist undurchdringlich.

»Es ist ein Wolf«, sage ich aggressiv. »ER oder ICH.«

Mum sieht jetzt etwas beleidigt aus. Sie hasst es, wenn man sie vor eine Entscheidung stellt. Sie will, dass sich alles von alleine regelt, von alleine löst.

»Er oder ich«, wiederhole ich mich.

5 Dawna

Der Hund hat sich im Auto zusammengerollt. Von unserem Zimmerfenster kann ich die beschlagenen Scheiben sehen, obwohl Shantani die Fenster offen gelassen hat. Als würde dieses Tier mehr Wärme ausstrahlen, als gewöhnliche Tiere es tun.

»Bist du jetzt zufrieden«, sage ich zu Indie, die mit angezogenen Beinen auf ihrem Bett sitzt.

»Wieso zufrieden«, fragt sie bockig und zieht ihr Nachthemd über die Knie, als würde sie frieren. Und das bei der Hitze.

»Na, du hast gewonnen«, sage ich, »der Hund schläft im Auto.«

»Wenn ich gewonnen hätte, würde die Arschgeige auch im Auto schlafen«, sagt sie.

»Die Arschgeige denkt jetzt, du hast Angst vor Hunden.«

»Es ist mir egal, was er denkt«, sagt Indie.

Ich drehe mich wieder zum Fenster. Schemenhaft erkenne ich, wie der Hund sich einmal um sich selbst dreht und dann wieder hinlegt. Er ist unglaublich drahtig, dieser Hund, auf eine andere Art als Grannys Wüstenhund, bei dem man jeden Wirbel und jede Rippe spüren konnte. Schlaksig war er gewesen und verspielt wie ein Welpe.

Dieses Tier hat kein Gramm Fett am Leib, es scheint nur aus Muskeln zu bestehen. Ständig angespannten Muskeln.

Ich habe die Pferde gesehen, als Dusk aus dem Auto sprang. Sie standen wieder bei den Kiefern. Hundert Meter entfernt von uns, aber als der Hund aus dem Auto sprang, wirbelten sie herum mit hochgestellten Schweifen und blickten zu uns herüber. Ich konnte die rote Innenseite der Nüstern des schwarzen Pferdes erkennen. Es verharrte einen Augenblick, dann galoppierte es davon, in den entferntesten Winkel der Koppel, und die anderen beiden hinterher. Der Staub, den sie aufwirbelten, wehte zu uns herüber.

»Ich habe keine Angst vor Hunden«, sagt Indie, »ich habe Angst vor Wölfen.«

Ich spüre, wie sie sich um den Ausdruck Ich habe es gefühlt herumwindet.

Ich fühle es, dass mit dem Hund etwas nicht stimmt, will sie sagen und ich will sagen:

Ich weiß, Indie.

Doch wir schweigen beide.

Unten schlägt eine Tür und Shantani schlendert über den Hof. Es wird langsam dunkel und die letzten Strahlen der Sonne lassen seine weiße Kleidung hell aufleuchten.

»Was hat Mum dir erzählt«, fragt Indie, »hat sie dir im Auto erzählt, was sie mit ihm vorhat?«

Shantani streckt seinen Arm durchs offene Fenster, der Schatten des Hundes drängt sich ihm entgegen. Für einen Moment sieht es aus, als würden sie verschmelzen, doch dann zieht Shantani seine Hand zurück.

»Irgendwelchen Quatsch«, sage ich leise, »so wie immer.«

»Du lügst, Dawna«, widerspricht Indie, »du kannst mich das ganze Jahr über verarschen, aber nicht um diese Zeit. Ich weiß, dass es kein Quatsch ist. Jedenfalls nicht der übliche Quatsch. Diese Ich-bin-jetzt-Seelenheiler-Scheiße und Ich-bin-jetzt-Energie-in-den-Fluss-Bringer-Kacke. Diesmal ist es anders.«

Wieder will sie ein Ich fühle es dranhängen, beißt sich aber im letzten Moment auf die Lippen.

»Jetzt sag schon, Dawna«, sagt sie, während ich weiter Shantani zusehe, wie er um das Auto herumgeht und prüft, ob alles verschlossen ist, und wie ihm der Schatten folgt.

Schon im Auto, auf der Fahrt zur Tankstelle und dann wieder zurück, habe ich fieberhaft überlegt, was ich Indie erzählen kann. Was von all diesen Verrücktheiten, die aus Mums Mund strömten, ich ihr zumuten konnte, ohne dass sie völlig durchdrehte. Selbst ich könnte durchdrehen, wenn ich nur daran denke, dass Mum im Internet inseriert hat. Dass ein Engelsseminar stattfinden soll. Auf Whistling Wing. Und dass sich tatsächlich schon Teilnehmer gemeldet haben. Verrückte, die Kontakt zu ihrem Schutzengel aufnehmen wollen.

Komm, Dawna, dachte ich, dir fällt etwas ein, dir ist noch immer etwas eingefallen. Du findest für jedes Problem eine Lösung, du musst dich nur ein paar Nächte darauf herumwälzen und zack, hat Dawna alles geregelt. Das Blöde war nur, ich hatte keine paar Nächte Zeit. Im Grunde hatte ich gar keine Zeit, denn die Minuten zerrannen, während Mum erzählte und erzählte und mich immer wieder mit fiebrig glänzenden Augen von der Seite ansah.

Sie sagte Dinge wie »Ich bin mir sicher, Shantani ist ein aufgestiegener Meister, der zu uns zurückgekehrt ist«.

»Was heißt das?«, hab ich gesagt und versucht, ruhig zu bleiben. »Erklär es mir.«

Da hat sie gelächelt, komisch verklärt, und hat den Kopf geschüttelt.

»Jesus«, hat sie dann gesagt.

Sonst nichts.

»Was willst du mir damit sagen«, hab ich gefragt und gespürt, wie es hinter meinen Augen zu pochen anfing.

»Na, Jesus eben.«

Sie wich einem auffliegenden Vogel aus und erst da wurde mir klar, dass ihre Hände nicht zitterten. Kein bisschen. Nicht wie sonst, wo jede Fahrt im Desaster endete.

»Jesus ist auch ein aufgestiegener Meister.«

»Du willst mir also sagen, dass Shantani Jesus ist?« Fassungslos habe ich sie weiter beobachtet, wie sie den Blinker setzte, kurz in den Rückspiegel blickte und dann links abbog.

Kein Hyperventilieren, kein hektisches Lenkradherumreißen. Nichts.

»Ach, Dawna«, sagte sie ärgerlich, »er ist wie Jesus. WIE Jesus.«

Was sollte ich also Indie erzählen. Dass wir mit einem Typ zusammenleben würden, der wie Jesus war?

Besser als Jesus, denke ich, wenn es nach Mum geht, besser als Jesus.

Ich gehe hinüber und setze mich zu Indie aufs Bett. Sie rückt ein Stück von mir weg und ich lehne mich mit dem Rücken gegen das Kopfteil.

»Die Engelslampe«, sage ich und knipse sie ein paar Mal ein und aus. Wie Morsezeichen. SOS.

»Weißt du noch, wie Granny sie vom Trödel mitgebracht hat?«

Indie verdreht die Augen.

»Klar, du warst sauer, weil du dachtest, sie ist für dich, und ich dachte, soll sie das potthässliche Ding doch nehmen.«

»Das hast du nicht gedacht«, sage ich, »vergiss nicht, das war im Sommer. Wir waren gleich alt und ich wusste, dass du scharf auf die Lampe warst.«

»Höchstens ein bisschen«, sagt Indie, »aber nicht so scharf wie du.«

»Sie wollen Engelsseminare geben«, sage ich unvermittelt und sehe Indie an, »Shantani will channeln. Er will Nachrichten aus dem Jenseits channeln und Mum sagt, er kann das.«

Indie atmet einmal tief durch.

»Sie wollen, dass Leute hierher kommen, die Probleme haben, und denen wollen sie helfen. Mit dem Channeln.«

»Dieser Typ hat doch selbst ein Riesenproblem«, sagt Indie.

»Mum ist davon überzeugt«, sage ich, »davon, dass es funktioniert.«

»Mum hat schon in Welby die ganzen Typen eingeladen und alles klargemacht. Stimmt’s?«, fragt sie grimmig und ich nicke.

Die Dunkelheit breitet sich um uns herum aus. Nur die Lampe leuchtet ihr kleines, warmes Licht. Ich denke an den Hund und streiche mir schnell mit den Händen über die Unterarme. Um die Gänsehaut zu vertreiben. Mum hat gesagt, morgen kommt der Hund ins Haus.

»So ein freundliches, liebes Tier«, hat sie gesagt und ihn hinter den Ohren gekrault und ich hätte schwören können, aus der Brust des Hundes kam ein tiefes Grollen, das aber nur Indie und ich hören konnten. Wie das ferne Anrollen eines Sturmes, doch Mum kraulte weiter und die Augen des Hundes verengten sich zu Schlitzen.

»Das kann man so einem Tier nicht antun«, sagte sie feierlich, »er will zu seiner Familie und WIR sind jetzt seine Familie.«

Sie breitete die Arme aus, schloss uns mit einer allumfassenden Geste ein. Indie und mich und Shantani. Und Shantani lächelte sein seltsam leeres Lächeln und befahl dem Hund, wieder in den Kofferraum zu springen.

»Sei willkommen«, sagte sie zu Dusk und Indie schüttelte den Kopf, als wäre Mum jetzt völlig verblödet, und ich konnte mich nicht wirklich entscheiden, ob sie verblödet war oder nur ganz schrecklich naiv.

»Sie brauchen nur Zeit«, erklärte Mum.

Und Indie sagte: »Ich brauche keine Zeit, ich brauche Grannys altes Gewehr . . . Kawumm!«

Und dabei streckte sie ihre Hand aus und zielte auf den Hund und der Hund zog die Lefzen hoch. Nur wenige Millimeter.

»Shantani hat eine Botschaft von Granny gechannelt«, sage ich und höre mich selbst reden. Hilflos und müde.

»Von Granny«, wiederholt Indie spöttisch, »von unserem Vater, das wäre auch irgendwie blöd, oder? Weil der hätte bestimmt gesagt, lass die Finger von der Arschgeige. Oder pass auf, dass du nicht stirbst, Arschgeige, weil hier drüben mach ich dich kalt. So was in der Art.«

»Das ist nicht witzig, Indie«, sage ich. Alles, was mit unserem Vater zusammenhängt, klammern wir normalerweise sorgfältig aus.

Wir sprechen nie von ihm, so als hätte es ihn nie gegeben. Und das ist wahrscheinlich auch besser so. Denn wir wissen nichts über ihn, nur die paar Brocken, die Mum uns von ihm erzählt hat. Dass er tot ist. Dass er Indie nicht mehr kennengelernt hat.

»Ich finde es witzig«, sagt Indie, »ich finde es sogar scheißwitzig.«

Ich stehe auf und krieche unter meine Bettdecke. Ein geblümtes Laken, das Granny an den heißen Tagen statt der normalen Decke benutzte. Ich legte mich aufs Bett und Granny wirbelte es in die Luft, um es dann federleicht auf mich herabsinken zu lassen. Es schmiegte sich an meinen Körper wie eine zweite Haut.

»Mach das Licht aus«, sage ich mürrisch und presse die Augen fest zu.

»Also, was hat sie gesagt, was hat Granny der Arschgeige gesagt?«

Sie knipst das Licht aus.

»Im Übrigen finde ich es scheiße, dass Granny nie was zu uns sagt. Außer damals. In Welby. Aber wahrscheinlich muss man dazu channeln können.«

Ich höre, wie sie sich in ihrem Bett herumwälzt, das Laken zwischen ihre Beine klemmt. So schläft sie immer, eingerollt wie eine Katze. Manchmal dreht sie sich nachts herum und wacht, genauso eingerollt, mit dem Kopf nach unten wieder auf. Ich schlafe immer gerade, auf dem Rücken, die Hände über dem Herzen verschränkt.

»Sie hat gesagt, dass wir hierher kommen sollen«, sage ich und höre, wie Indie die Luft scharf durch die Nase zieht.

»Sie hat gesagt, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist.«

»Na, darauf wäre ich jetzt nicht gekommen«, stellt sie trocken fest, »kluges Kerlchen, dieser Shantani.«

Ich träume von Granny. Sie steht vor mir und ich kann ihr Gesicht nicht sehen. Ihr Gesicht ist nur ein heller blasser Fleck.

»Wach auf, Dawna«, sagt sie sanft, »du musst aufwachen.«

Ich versuche, die Augen zu öffnen, aber es geht nicht. Sie kleben aneinander, und als ich die Hände heben will, um darüberzureiben, kann ich sie nicht bewegen. Sie liegen wie gelähmt, schlaff neben meinem Körper.

»Ich kann nicht, Granny«, sage ich.

Ich will wirklich aufwachen. Mit aller Kraft, aber es ist, als würde eine große, bleierne Decke über mir liegen.

Grannys Gestalt flimmert, sie schwebt etwas vor und wieder zurück.

»Wach auf, Dawna«, sagt sie noch einmal, mit ihrer weichen, warmen Stimme.

Dann schlägt sie mir unvermittelt mit voller Kraft ins Gesicht und ich schnelle im Bett nach oben und spüre das Brennen ihrer Finger auf meiner Wange.

Vor mir sitzt Indie.

»Spinnst du«, fauche ich sie an, »tickst du noch richtig?!«

Ich taste mit der Hand nach meinem Gesicht. Die Stelle brennt wie Feuer.

»Da draußen ist was«, flüstert Indie.

»Und deswegen schlägst du mich ins Gesicht«, sage ich ungehalten, »na danke schön.«

»Ich hab dich nicht geschlagen«, sagt Indie, »ich bin nur rübergekommen, weil ich dich wecken wollte.«

»Lüg mich bloß nicht an«, noch einmal berühre ich vorsichtig die Wange. Das Brennen lässt langsam nach und ich schüttle den Traum ab.

»Ich lüg nicht und da draußen ist wirklich was«, sagt Indie und dann sind wir still und lauschen beide.

»Das Geräusch hab ich gestern schon einmal gehört«, flüstere ich, »auf dem Weg zur Comtesse.«

»Die schwarzen Vögel«, sagt Indie.

Genau.

Wir lauschen weiter. Das Klatschen der Flügel verstummt und wir sehen uns an.

»Sie waren genau über mir«, sage ich, »drüben unter den Kiefern.«

»Krähen?«, fragt Indie.

»Ich glaube nicht«, sage ich, »sie waren größer.«

»Bussarde fliegen nicht in Schwärmen«, sagt Indie.

»Bussarde sind nicht schwarz.«

»Es könnten Schwarze Milane sein«, schlägt Indie vor.

»Wenn du meinst«, sage ich und ziehe mir das geblümte Laken bis zum Kinn. Scheiße, die Wange brennt immer noch. Das ist doch nicht normal.

»Ich habe das Gefühl, sie sind mit Shantani gekommen«, sagt Indie, »halt mich für verrückt, aber da habe ich sie zum ersten Mal gesehen.«

»Wie ein schlechtes Omen«, füge ich hinzu.

»Ach was«, Indies Stimme klingt unwirsch, »an so was glaub ich nicht. Wahrscheinlich kommen sie, weil er so stinkt. Nach geistiger Verwesung. Die riechen das.«

»Verwesung«, wiederhole ich.

»Dawna!« Indie schenkt mir einen strafenden Blick. »Du immer mit deinen komischen Gedanken. Das habe ich nicht gemeint. Du glaubst doch Mums Blödsinn nicht. Der hat einfach ein grauenhaftes Aftershave. Das ist alles.«

Ich zucke mit den Schultern.

»Ich glaube den Blödsinn jedenfalls nicht«, sagt Indie bestimmt, »ich glaube das, was ich sehen kann. Und mehr nicht.«

Das Komische ist, ich bin mir nicht mehr sicher. Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll.

»Dann lass uns nachsehen«, schlage ich vor, »ob sie noch da sind.«

Wir kriechen aus dem Bett, zum Fenster hinüber.

In der Dunkelheit ballt sich etwas noch Schwärzeres. Es ballt sich auf Shantanis Wagen. Es sind die Vögel, die sich auf dem Dach niedergelassen haben. Sie hocken dort, als würden sie Wache halten. Der Hund rührt sich nicht.

6 Indie

»Neuer Tag, neues Glück«, hatte Granny manchmal lächelnd gesagt, wenn wir polternd aus dem ersten Stock kamen.

Das ist bestimmt nicht das Motto des heutigen Tages. Wenn ich nach dem Aufstehen als Erstes Shantanis blödes Gesicht sehe, kann es nur bergab gehen.

»Sei gegrüßt«, sagt Shantani mit seinem Lächeln ohne Gefühl.

»Morgen«, sage ich, weil Dawna und Mum mich so verzweifelt ansehen.

Alle sitzen vor irgendeinem grässlichen gekeimten Getreide. Das riecht so derart ungesund, dass ich mich bestimmt übergeben muss, wenn ich da mitmache.

Als ich mich setzen will, sehe ich ihn.

Der Wolf liegt neben unserem Esstisch, er hat seinen Blick unverwandt auf mich gerichtet. Ich bleibe stehen, trete einen Schritt zurück. Irgendwie habe ich es geahnt. Gewusst, dass es nicht lange dauert, bis das Biest bei uns in der Küche sitzt. Und dann Schritt für Schritt die ganze Wohnung erobert.

»Was tut er hier?«