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Der Regen fiel in Strömen. Er war kalt und schmeckte nach Tod und Verderben. Die Wassermassen konnten den Flammensäulen nichts anhaben, die an beunruhigend vielen Stellen der Stadt in die Höhe schossen und den ewig trüben Himmel mit schwarzen Rauchsäulen zusätzlich verdunkelten.
Dieser Regen wusch nichts rein. Er spülte lediglich den Schmutz und das unfassbar viele Blut der Stadt in die tiefer gelegenen Ebenen, während von oben neuer, rotbrauner Schlamm in Mengen nachfloss.
Untergang war der Name des Schreckgespenstes, das seine dürren Finger nach Twilight City ausstreckte.
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Seitenzahl: 146
Veröffentlichungsjahr: 2018
Cover
Impressum
Was bisher geschah
Die Zeit des Jägers
Leserseite
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
»Geisterjäger«, »John Sinclair« und »Geisterjäger John Sinclair« sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: breakermaximus / shutterstock
Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam
ISBN 978-3-7325-6556-6
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Die Hauptpersonen dieses Romans sind:
Lieutenant Bella Tosh: Ermittlerin der Abteilung Delta
Sergeant Kajahn: Bellas Partner in der Abteilung Delta
Johnny Conolly hat seine Mutter verloren. Sie wurde von einem Schnabeldämon brutal ermordet. Als dieser Dämon durch ein Dimensionstor flieht, folgt Johnny ihm.
Kurz darauf wird das Tor für immer zerstört, sodass es für Johnny keine Möglichkeit zur Rückkehr gibt. Das Dimensionstor spuckt ihn schließlich wieder aus – in einer anderen Welt. Er ist in Dark Land gelandet, genauer gesagt in Twilight City, einer Stadt voller Geheimnisse.
Menschen und Dämonen leben hier mehr oder weniger friedlich zusammen, und doch ist Twilight City voller Gefahren. Die Stadt ist zudem von einem dichten Nebelring umgeben, den kein Einwohner jemals durchbrochen hat. Niemand weiß, was hinter den Grenzen der Stadt lauert …
In dieser unheimlichen Umgebung nennt sich Johnny ab sofort Wynn Blakeston – für den Fall, dass irgendjemand in Twilight City mit seinem Namen John Gerald William Conolly etwas anfangen kann und ihm möglicherweise Übles will. Schließlich wimmelt es hier von Dämonen aller Art – und die hat Wynn in seiner Heimat immer bekämpft.
Wynn findet heraus, dass der Schnabeldämon Norek heißt und skrupelloser und gefährlicher ist als alle seine Artgenossen, die sogenannten Kraak.
Als Wynn wegen eines unglücklichen Zwischenfalls zu einer langen Haftstrafe verurteilt wird, zahlt der geheimnisvolle Sir Roger Baldwin-Fitzroy das Bußgeld und nimmt ihn in bei sich auf – warum, das weiß Wynn nicht.
Er lernt Sir Rogers Tochter Abby und seinen Diener Esrath kennen, die auch in Sir Rogers Villa leben. Er freundet sich mit Abby an, sie wird schon bald zu seiner engsten Vertrauten in dieser mysteriösen Welt.
Was Wynn nicht ahnt: Auch sein geheimnisvoller Gönner hat noch eine Rechnung mit dem Dämon Norek offen. Als es Sir Roger schließlich gelingt, Norek zu schnappen, liefert er den Kraak dem Wissenschaftler Dr. Shelley aus, der gleichzeitig Leiter des Sanatoriums Dead End Asylum im Deepmoor ist. Dieser verpflanzt Noreks Gehirn in einen anderen Körper und sperrt den Kraak in seinem Sanatorium ein.
Sir Roger aber präsentiert Wynn Noreks toten Körper, sodass der glaubt, der Kraak wäre für immer besiegt.
Doch einen Ausweg aus Dark Land scheint immer noch in weiter Ferne, und Wynn muss sich mit dem Gedanken anfreunden, dass sein Aufenthalt in dieser Welt wohl noch länger andauern wird. Mit der Hilfe von Abby, die inzwischen herausgefunden hat, dass ihre verstorbene Mutter Matilda Fitzroy eine Hexe war, hat er einen Job beim Twilight Evening Star ergattert, der größten Zeitung von TC. Als man dort erkennt, dass er für Größeres bestimmt ist, steigt er vom Archivar zum Reporter auf.
Und schon bald stellt Wynn fest, dass noch ganz andere Aufgaben in TC auf ihn warten …
So gelingt es ihm, TC von dem so genannten »Richter« zu befreien, einem riesigen, schlangenartigen Wesen, das TC in regelmäßigen Abständen mit seinen Jägern heimgesucht hat.
Bei seiner Vernichtung warnt der Richter Wynn vor einer drohenden Gefahr, und Wynn fragt sich, ob das etwas mit dem geheimnisvollen weißen Schiff zu tun hat, das vor einiger Zeit wie aus dem Nichts im Hafen aufgetaucht ist und auf dem immer wieder Bewohner der Stadt spurlos verschwinden.
Kurz darauf bricht der Winter über TC herein – was in dieser Stadt sehr ungewöhnlich ist, die meisten Bewohner haben noch nie Schnee gesehen. Und tatsächlich bringt das Schneechaos eine Seuche mit sich, der auch Abby zum Opfer fällt. Gerade noch rechtzeitig gelingt es Wynn & Co., Abby zu retten und ein Gegenmittel aufzutreiben.
Doch damit ist die Gefahr für TC noch lange nicht gebannt. Die Dämonen des Weißen Schiffs stellen eine unbestimmte Bedrohung für die Stadt dar. Und schließlich gelingt es Wynn und Abby, was kein Bewohner von TC zuvor geschafft hat: Sie verlassen die Stadt und gelangen in die Welt, aus der das geheimnisvolle Schiff stammt.
Und auch Bella und Kajahn haben einen Weg raus aus TC gefunden. Nachdem die fünf Dämonen das Weiße Schiff verlassen haben, machen die beiden sich auf den Weg zu dem sagenumwobenen Ort Sgoth, um dort das Geheimnis der Dämonen zu lüften. Sie ahnen nicht, welchen Gefahren sie sich dort aussetzen …
Und auch Wynn und Abby geraten in der fremden Welt in Schwierigkeiten. Doch das Schlimmste erwartet sie erst nach ihrer Rückkehr nach Twilight City …
Die Zeit des Jägers
von Marc Freund
Der Regen fiel in Strömen. Er war kalt und schmeckte nach Tod und Verderben. Die Wassermassen konnten den Flammensäulen nichts anhaben, die an beunruhigend vielen Stellen der Stadt in die Höhe schossen und den ewig trüben Himmel mit schwarzen Rauchsäulen zusätzlich verdunkelten.
Dieser Regen wusch nichts rein. Er spülte lediglich den Schmutz und das unfassbar viele Blut der Stadt in die tiefer gelegenen Ebenen, während von oben neuer, rotbrauner Schlamm in Mengen nachfloss.
Untergang war der Name des Schreckgespenstes, das seine dürren Finger nach Twilight City ausstreckte …
Es war ein ungleiches Duell, und sie fochten es jetzt bereits seit über einer Stunde aus. Alain Pecksom rieb sich in einer beiläufigen Bewegung das Regenwasser aus den Augen. Er wischte das Glas seines Feldstechers mit dem letzten trockenen Zipfel seines Taschentuchs sauber und blickte damit zum Waldrand hinüber, der keine dreißig Meter entfernt war.
Natürlich konnte er den hässlichen weißen Vogel in den Ästen der hohen Tanne auch mit bloßen Augen erkennen, aber der Wachmann wollte jede mögliche Regung seines Gegners sofort registrieren. Bevor es möglicherweise zu spät war …
Der Raubvogel hockte zwischen dem dunklen Grün des Baums und starrte Pecksom an. Unentwegt. Er hatte sich nicht mehr gerührt, seit er sich dort niedergelassen hatte.
Aber das wirklich Unheimliche waren seine Augen. Soweit Pecksom es beurteilen konnte, hatte das Mistviech nicht ein einziges Mal geblinzelt. Nein, das war es nicht, was ihn beunruhigte. Es war etwas in seinen Augen. Pecksom glaubte, durch das Glas seines Feldstechers hindurch ein Schwelen und Wabern in den dunklen Augen des Vogels zu erkennen. Fast wirkte es so, als wolle ihn die Kreatur mit seinem stechenden Blick hypnotisieren.
Zwischen ihnen fiel der Regen wie ein Vorhang herab. Auch er verschleierte die Sicht, doch Pecksom war sich sicher, dass er die Sache mit den Raubvogelaugen tatsächlich gesehen hatte.
Doktor Hayworths Privatklinik lag im Stadtteil Morland Heights und glich einer kleinen Festung. Das dunkle Gemäuer verfügte über hohe Mauern und ein etwa drei Meter hohes Eingangstor aus Metall, das über und über mit ineinander verschlungenen Symbolen und Fabelfiguren verziert war. Direkt dahinter lag der Innenhof, während über dem Tor ein mittelalterlich anmutender Wehrgang verlief.
Alain Pecksom arbeitete jetzt seit über fünf Jahren für Dr. Hayworth, den er als resoluten Mann kennengelernt hatte, dem man besser nicht widersprach, wenn man an seinem Job hing. Der Wachmann hatte die Ankunft des Vogels gemeldet. Hayworth selbst hatte angeordnet, dass ihm alle ungewöhnlichen Ereignisse und Beobachtungen sofort zur Kenntnis zu bringen waren.
Ein Vogel hatte Pecksom anfangs gedacht und milde gelächelt. Aber seit er das erste Mal in die Augen der Kreatur geblickt hatte, wusste er, dass mit dem Tier etwas nicht stimmte.
Er hatte so ein Biest in Twilight City ohnehin noch nie gesehen. Also war er zum Telefon am Ende des Gangs marschiert und hatte die Nummer des Doktors gewählt. Das Gespräch war denkbar kurz gewesen. Kein Wort des Danks oder der Anerkennung von Hayworths Seite. Der Leiter der Klinik hatte ihm lediglich aufgetragen, jede Regung dieses Tiers zu beobachten und weitere auffällige Ereignisse sofort zu melden.
Das war vor einer Stunde gewesen, und seitdem war Pecksom bis auf die Knochen vom kalten Regen durchgeweicht. Aber das Gute daran war, dass er es nicht einmal spürte. All seine Sinne und Empfindungen waren auf das verdammte Federvieh ausgerichtet.
Pecksom verstand seinen Auftrag als eine Art Chance. Wenn er diesen Job hier zur Zufriedenheit des Alten erledigte, hatte er vielleicht sogar die Chance, eine Stufe rauf zu rücken, vielleicht sogar bis zum stellvertretenden Chef der Wachmannsch …
Alain Pecksom zuckte zusammen, als der Vogel sich mit einem Ruck von seinem Ast abstieß und wie ein Pfeil in die Luft schnellte. Dort breitete er seine Flügel aus, die in den Regen schnitten, und stieg rasch höher.
Pecksom ließ sein Fernglas fallen, das an einem Lederriemen um seinen Hals hing. Er griff nach seinem Gewehr, das neben ihm an der Wehrmauer lehnte. Mit dem Lauf verfolgte er den Flug des Vogels, der einen weiten Bogen über dem Wald beschrieb und dann langsam wieder in den Sinkflug überging.
Der Zeigefinger des Wachmanns krümmte sich um den Abzug.
»Was hast du vor, du Drecksviech?«, flüsterte er.
Der Vogel stieß mehrmals hintereinander einen kurzen, schrillen Schrei aus, bevor er sich wieder an exakt derselben Stelle niederließ, von der aus er gestartet war.
Pecksom fühlte die Aufregung in sich aufsteigen. Wie elektrisiert starrte er auf die weiße Brust des Vogels, die nun noch mehr als zuvor geschwellt war.
»Was hatte das zu bedeuten, hä?«, stieß der Wachmann hervor, während er die schweren Regentropfen von seiner Oberlippe blies.
Er packte sein Gewehr fester, als er eine bisher nicht gekannte Form der Aggression in sich aufsteigen fühlte.
»Du willst nicht antworten?«, fragte er grimmig. »Auch gut. Dann werde ich es für dich tun.«
Pecksom legte sein Gewehr auf seinen gefiederten Gegner an und setzte dabei ein hämisches Grinsen auf.
Wieder krümmte sich sein Finger um den Abzug, und ein weiteres Mal sollte er die Bewegung nicht zu Ende führen.
Schuld daran war ein Geräusch hinter ihm. Pecksom hatte es lediglich am Rande der Ereignisse wahrgenommen.
Es war ein leises Scharren gewesen.
Als Pecksom das Gewehr sinken ließ und sich langsam umdrehte, erblickte er einen weiteren weißen Vogel in der Luft, der sich in diesem Augenblick auf das Dach des Haupthauses der Klinik niederließ. Er gesellte sich zu dem Dutzend seiner weißen Kameraden, die auf den Erkern, dem Dach und selbst auf den Rändern der beiden hohen Schornsteine hockten und ihn anstarrten.
»Verdammt«, entfuhr es Pecksom.
Er begriff in dieser Sekunde, dass ihn der weiße Vogel reingelegt hatte. Er hatte nichts als ein verdammtes Ablenkungsmanöver durchgezogen und er, Alain Pecksom, war darauf hereingefallen.
Irgendwo in seinem Innern spürte er nach wie vor den kalten Stahl des Gewehrs in seinen Händen. Aber dieses Gefühl gab ihm mit einem Mal keine Sicherheit mehr.
Langsam wich er einen Schritt zurück, bis er mit dem Rücken gegen die Wehrmauer stieß. Sein Blick wanderte nach rechts. In einer kleinen Nische, vom Regen geschützt, befand sich das Telefon, über das er Hilfe verständigen konnte. Musste.
Kaum, dass er den Gedanken zu Ende gebracht hatte, begann er zu rennen.
Als hätten die weißen Vögel auf genau dieses Kommando gewartet, stießen sie sich von ihren Sitzplätzen ab und schnellten wie Geschosse auf ihn zu. Pecksom nahm die fliegenden Angreifer aus den Augenwinkeln wahr, während er weiter das schwarze Telefon anvisierte. Nur wenige Sekunden später begriff er, dass er es nicht schaffen würde. Kurz bevor er die Nische erreichte, spürte er einen scharfen Schmerz in seinem ungeschützten Nacken, als ihm einer der Vögel (etwas sagte Pecksom, dass es der Kundschafter gewesen war) mit seinem scharfen, gekrümmten Schnabel ein Stück Fleisch herausriss.
Pecksom schrie auf und warf sich aus einem Reflex heraus zur Seite, gegen die Mauer. In seinem Rücken spürte er wildes Flügelschlagen, als sein Gegner für einen kurzen Moment in Bedrängnis geriet.
Dann war er verschwunden. Dafür hatten jetzt seine Artgenossen den Wachmann erreicht. Gleich drei der fahlen Gestalten, die aussahen, als wäre ihr Gefieder mit einem Bleichmittel behandelt worden, stürzten sich aus dem Flug auf ihn.
Pecksom riss sein Gewehr in die Höhe und schlug mit dem Kolben blindlings zu. Er traf einen der Angreifer frontal. Ein hässliches Knacken ertönte, Federn wirbelten durch die Luft, dann war das Tier aus Pecksoms Blickfeld verschwunden.
Der zweite Angreifer verfing sich mit seinen Krallen im Haar des Mannes und zerrte daran, begleitet von einem schrillen Kreischen, das Pecksom beinahe die Trommelfelle platzen ließ.
Er schrie auf und ließ das Gewehr los, das nutzlos in die Tiefe fiel und irgendwo auf dem Innenhof aufkam.
Der Wachmann spürte, wie das warme Blut aus seiner aufgerissenen Kopfhaut quoll und sich mit dem kalten Regen vermischte.
Er ging in die Knie, fuchtelte in blindem Schmerz mit seinen Händen herum und schaffte es dabei sogar noch, sich zwei Meter weiter zu schleppen.
Der schwarzglänzende Telefonhörer baumelte direkt über seinem Kopf in der Wandhalterung.
Als Pecksom danach griff, bohrte sich ein langer Schnabel durch seine Hand. Zudem erkannte er, dass sich mindestens vier weitere Vögel, die zunächst noch einen Bogen über dem Dach der Klinik geflogen waren, auf den Weg zu ihm machten. Die zweite Angriffswelle rückte heran, und Pecksom wusste, dass er den Bestien nichts mehr entgegenzusetzen hatte.
Mit letzter Kraft riss er den Telefonhörer von der Gabel und zog die Schnur bis zum Anschlag heraus.
Kurz bevor die Vögel ihn erreichten, wickelte sich Pecksom das lange Kabel mit einer Schlinge um den Hals, bäumte sich ein letztes Mal auf und sprang mit einem gellenden Schrei von der Mauer in Richtung des Innenhofs.
***
Dr. Jack Hayworth stand am Fenster seines Arbeitszimmers. Er hatte die schweren Vorhänge zugezogen, weil er es leid war, dem Regen dabei zuzusehen, wie er an die dicken Scheiben klatschte, um daran herunterzurinnen und die Sicht zu verschleiern.
Er wartete auf ein Zeichen, auf ein Signal. Und er ahnte, dass es in Kürze so weit sein würde.
Der weiße Vogel am Waldrand war der Anfang gewesen. Er war ein Feind, ganz zweifellos. Die Frage war nur, ob er als Beobachter oder als Teil einer angreifenden Armee gekommen war. Und daraus resultierte die Zeitspanne, die Hayworth möglicherweise noch blieb, um das Ziel zu erreichen, an dem er jetzt bereits seit Tagen fieberhaft arbeitete, ohne ihm auch nur nennenswert nähergekommen zu sein.
Als Pecksoms Schrei von irgendwo da draußen ertönte, hatte Dr. Hayworth seine Antwort. Mit einer energischen Bewegung drehte er sich um und griff nach dem Telefon auf seinem Schreibtisch.
Zielsicher wählte er eine Nummer und hielt sich den Hörer ans Ohr.
Nach nur zweimaligem Klingeln wurde am anderen Ende abgehoben.
»Es hat begonnen«, sagte Hayworth mit tonloser Stimme und legte den Hörer auf die Gabel zurück.
Kurz darauf wurde die Tür aufgerissen. Eine blonde Frau mit geöffnetem weißen Kittel und schulterlangen blonden Haaren stürmte über die Schwelle.
»Doktor Hayworth! Haben Sie …«
Der Leiter der Klinik hob abwehrend die Hände, als er der jungen Ärztin mit raschen Schritten entgegentrat.
»Ich habe es gehört«, antwortete er knapp und ohne die Frau anzublicken. »Bitte kommen Sie, Doktor Novak. Möglich, dass ich Ihre Hilfe benötige.«
Die Ärztin nickte knapp und beeilte sich, hinter ihrem Vorgesetzten den Raum gleich wieder zu verlassen.
Sie eilten durch einen langen Korridor, der an einer dicken Metalltür ein jähes Ende fand. Hayworth zog einen vergleichsweise kleinen Schlüssel aus seiner Westentasche und schob ihn in ein Schloss, das mit bloßem Auge kaum zu erkennen war, weil auch diese Tür mit vielen seltsamen Figuren bestückt war.
Der kleine silberne Schlüssel verschwand in dem Maul eines drachenähnlichen Wesens. Im nächsten Moment ertönte ein metallisches Schnappen, und die Tür sprang ihnen ein kleines Stück entgegen. Hayworth zog sie mit einer spielerischen Bewegung weiter auf. Dahinter befand sich eine kurze Treppe mit sieben Stufen, die der Arzt forsch hinunter schritt.
Der angrenzende Raum war hell erleuchtet. Dr. Karen Novak, die Hayworth auf dem Fuß folgte, blinzelte und wartete einen Augenblick, bis ihre Augen sich an das grelle Licht gewöhnt hatten.
Als sie wieder klar sehen konnte, beugte sich Hayworth gerade über den klobigen Operationstisch in der Mitte des Raums.
Darauf lag, unter einem grasgrünen Laken verborgen, eine menschliche Gestalt.
Gideon van Manderley.
Novak wusste nur wenig über ihn. Und das Wenige schien ihr derart fantastisch zu sein, dass sie noch immer nicht wusste, ob Hayworth ihr die Wahrheit gesagt hatte oder sie absichtlich mit Andeutungen und halbgaren Informationen hatte zurücklassen wollen.
Den Worten des Arztes zufolge war Manderley aus einer anderen Welt zu ihnen herübergeholt worden. Er stammte aus Sgoth, einer Stadt, der auch die Weißen Herrscher entsprungen waren, bevor es ihnen eingefallen war, in Twilight City einzufallen, um es zu zerstören.
Um sich an uns zu nähren, hatte Hayworths Beschreibung für das Tun dieser gottähnlichen Wesen gelautet. Novak war bei diesen Worten ein kalter Schauer über den Rücken gelaufen.
Sie trat näher an den Tisch heran. Es war nicht das erste Mal, dass sie sich hier unten aufhielt. Seit der Leichnam von der Polizistin Bella Tosh in einem gläsernen, gefrorenen Sarg hierhergebracht worden war, hatte sie an Hayworths Seite bereits mehrere Stunden in diesem Raum zugebracht.
Sie wagte es nicht, das Wort Leiche zu verwenden. Einmal hatte Novak es getan und gleich darauf von Dr. Hayworth einen Rüffel verpasst bekommen. Offenbar arbeitete er daran, diesen neuen Patienten, dem er all seine Zeit opferte, wieder zum Leben zu erwecken. Jedenfalls deuteten alle Versuche, die seither an dem Mann vorgenommen worden waren, darauf hin.
Noch immer verliefen von einem Schaltpult hinüber zu dem Metalltisch mehrere Kabel, die über aufgeklebte Kontakte im Brustbereich des Patienten elektrischen Strom in seinen Körper transportierten.