Dark Land - Folge 001 - Graham Grimm - E-Book

Dark Land - Folge 001 E-Book

Graham Grimm

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Beschreibung

Der Mörder durfte nicht entkommen!

Die Jagd führt durch ein magisches Tor in eine Stadt, die fremd und anders ist. Sie ist mit nichts zu vergleichen, was er je gesehen hat. Hier herrscht ewiges Zwielicht, alles erinnert an vergangene Zeiten, die er selbst nie erlebt hat, es scheint keine Grenzen zu geben. Und unter den Bewohnern sind Wesen, denen er in seiner Welt den Tod geschworen hat! Aber eins nach dem anderen ... Erst einmal sucht er nur ihn, den dämonischen Killer, der ihm sein Leben und Glück zerstört hat. Er muss ihn haben, um jeden Preis - denn er will Rache! Nur deshalb ist und bleibt er hier in diesem dunklen Land ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Böses Erwachen

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Timo Wuerz

Datenkonvertierung E-Book: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-4146-1

www.bastei-entertainment.de

Böses Erwachen

von Graham Grimm

Johnny kam zu sich. Er fasste sich an den Kopf, spürte kein Blut, nur sein zerzaustes Haar – und irgendetwas, das sich daraus löste, über seine Hand krabbelte und in der völligen Dunkelheit verschwand.

Er fragte sich, wo er war. Wie aufs Stichwort fiel ihm alles wieder ein: Ein Dämon hatte seiner Mutter den Hals umgedreht, und er war dem Mörder gefolgt – durch ein Tor zwischen den Welten, auf dessen anderer Seite weiß der Teufel was liegen mochte!

Es war ihm egal, wo er gelandet war.

Hauptsache, er erwischte ihn, den Dämon, der Sheila Conolly das Genick gebrochen und ihm, ihrem Sohn, damit gleichsam das Herz aus dem Leib gerissen hatte!

Er wollte und würde ihn zur Strecke bringen – und wenn es das Letzte war …

Der Boden, auf dem er bäuchlings lag, begann zu zittern. Dann zu beben. Schotter und Kies knirschten. Das Vibrieren drang tief in seine Knochen.

Ein fernes Raunen hob an, wurde lauter – wurde schnell lauter. Etwas kam. Und es kam mit spürbarer Wucht näher. Das Raunen steigerte sich zu einem Fauchen und Röhren, zu den Lauten eines wütenden Tieres.

Licht brandete wie eine Welle auf ihn zu.

Er riss den Kopf hoch und blickte hinein in zwei schmutzig weiße Löcher in der Schwärze, die größer wurden, heranrasten.

Die Augen eines Ungeheuers?

Brüllend jagte es ihm entgegen!

***

Das dröhnende Ding schoss heran, wie um sich auf ihn zu stürzen. Es würde ihn überrennen, niederwalzen.

In einem Kraftakt, der ihm die Muskeln seiner Arme und Schultern zu zerreißen schien, stemmte er sich in den Liegestütz hoch und warf sich in der gleichen Bewegung zur Seite. Einen Meter weit, anderthalb. Er prallte gegen ein steinhartes Hindernis, wurde zurückgeworfen, auf das brüllende Biest zu …

Vorbei.

Rauschender Wind zerrte noch an ihm, an seinem Kapuzenpullover, den Jeans. Aber das Ding war vorbei.

Johnny schlug dahinter zu Boden, so schwer und plump, dass ihm die Luft schmerzhaft aus den Lungen getrieben wurde und pfeifend über die Lippen wich.

Als er endlich aufsah, war das, was er für ein Ungeheuer gehalten hatte, schon ein gutes Stück entfernt und leiser geworden. Rote Lichter verglühten im Dunkel.

Staunen löste seinen Schrecken ab.

»Eine … U-Bahn?«

Jetzt interessierte es ihn doch: Wo war er bloß gelandet?!

Von einer fremden Welt, einem dämonischen Reich, in dem, ganz wie zu Hause, eine U-Bahn fuhr, hatte er noch nie gehört. Allerdings hatte er – von seinen Eltern und seinem Patenonkel, dem berühmten Geisterjäger John Sinclair – im Lauf seines Lebens so vieles gehört, dass ihm vor allem eines klar war: Es gab nichts, was es nicht gab.

Und jetzt lag er offenbar auf dem Gleisbett einer Untergrundbahn. Er spürte im Dunkeln Schotter unter sich, hier und da auch massiven Stein oder Beton, links und rechts je einen Metallstrang, der unsichtbar nach vorn und hinten verschwand.

Unsichtbar …

»Ach, ich Idiot«, tadelte er sich stöhnend, kam mühsam auf die Knie hoch und fummelte sein Smartphone aus der Hosentasche.

»Kein Netz«, stellte er fest. Aber telefonieren wollte er ja auch nicht. Er schaltete die Taschenlampenfunktion ein. Im Licht des Handys sah er sich um.

Tatsächlich, er befand sich in einem U-Bahn-Tunnel, so stinknormal, dass er sich in nichts von denen der London Underground unterschied. Er hatte sich schon in ihren Tunnels herumgetrieben – im abenteuerlustigen Teenageralter und ohne Wissen seiner Eltern natürlich.

Die ältesten Bereiche der sogenannten Tube hatten an die hundertfünfzig Jahre auf dem Buckel, und dort hatte es kaum anders ausgesehen als hier: ein halbrunder, aus feucht glänzenden Steinen gemauerter Tunnel, der links und rechts in die Schwärze jenseits des Lichts seines Handys hineinführte.

Mehr war nicht zu sehen.

Johnny horchte. Neben der Frage, wo er war, beschäftigte ihn noch eine zweite: War er allein?

Er schluckte, um den stacheligen Kloß im Hals loszuwerden. Vergebens. Hatte der Mörder seiner Mutter dieselbe Reise gemacht wie er? War der Schnabeldämon, wie sie ihn wegen seines charakteristischen Aussehens nannten, mit ihm hier angekommen … oder war er umgekommen, als das Weltentor, in das sie sich beide gestürzt hatten, zerstört wurde?

Johnny hatte noch mitbekommen, wie John Sinclair die Macht seiner stärksten Waffe, des silbernen Kreuzes, wachgerufen hatte. Eine Flut reinsten weißen Lichtes hatte sich daraufhin in das Tor ergossen, und mit einem schrillen, saugenden Geräusch hatte es aufgehört zu existieren. Es war eingestürzt, erloschen, was auch immer.

Ihn, Johnny Conolly, hatte es daraufhin irgendwo ausgespuckt, hierhin, wo immer hier auch war.

Und den Dämon? Hatte ihn die entfesselte Magie des Kreuzes vernichtet?

Angehört hatte es sich so. Die furchtbaren Schreie des Dämons hatten Johnny in den Ohren wehgetan, als würden ihm glühende Nadeln durchs Trommelfell gestochen. So konnte nur jemand schreien, der starb, auf qualvollste Weise. Oder …?

Beinahe selbst überrascht, stellte Johnny fest, dass er es nicht hoffte. Im Gegenteil, er wünschte sich, der Schnabeldämon möge noch leben – damit er ihn selbst töten konnte!

Er atmete durch, fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Fühlte bröseligen Dreck und halb verkrustetes Blut, das kupfrig wie ein alter Penny schmeckend auf seiner Zunge kleben blieb. Er berührte seinen Mund vorsichtig mit zwei Fingern. Es tat ein bisschen weh. Offenbar hatte er sich die Lippen aufgeschlagen oder darauf gebissen, als er in diese Wirklichkeit geworfen worden war.

Richtig erinnern konnte er sich daran nicht. Alles war zu schnell gegangen, und irgendwann musste er wohl das Bewusstsein verloren haben. Oder sein Verstand hatte einfach ausgesetzt, um nicht zu zerbrechen an all den unmöglichen Eindrücken, die er nicht fassen konnte.

Ein Geräusch!

Kündigte sich ein weiterer unterirdischer Zug an, der gleich auf ihn zurasen würde?

Nein, es war … anders.

Er wischte sich die Tränen aus den Augen und blinzelte in den Lichtschein seines Smartphones.

Dicht hinter der Grenze, bis zu der es reichte, bewegte sich etwas im Dunkeln.

Er justierte die Richtung des breit streuenden Lichtkegels. Und korrigierte sich: Da bewegte sich nicht etwas … sondern jemand.

Und dieser Jemand lachte, heiser und bellend. Schaurig.

Johnny zuckte zusammen.

Der Schnabeldämon!

***

Der Scheißkerl lebt!, schrie es in ihm. Und leiser, fast nur ein Knurren in seinem Kopf: Gut …

Das Telefon in die linke Hand wechselnd, fuhr er mit der rechten unter sein Hoodie. Seine Finger berührten die Beretta, die er von zu Hause mitgenommen hatte, als alles losgegangen war und aus der er zwei Silberkugeln in das Dimensionstor abgefeuert hatte, bevor er sich hinter den Dämon hergestürzt hatte. Jetzt trug er die Pistole links in einem Schulterhalfter, und es dauerte eine Sekunde, bis er sie unter dem Kapuzenpulli hervorgezogen und schussbereit in der Hand hatte.

Die Zeit genügte dem Dämon, um mit einer huschenden Bewegung aus dem Licht zu verschwinden.

Johnny folgte ihm mit dem weißen Strahl, aber die Kreatur war schnell. Widernatürlich schnell eben, weil sie selbst von widernatürlicher Art war.

Er schoss, aber die Silberkugel ging fehl, traf irgendwo die Tunnelwand und jaulte davon.

Buchstäblich im nächsten Augenblick tauchte der Dämon vor ihm auf.

Wieder wollte Johnny den Finger um den Abzug krümmen, da traf ihn die Krallenhand des Dämons und fegte die Faust mit der Pistole beiseite.

Der Schuss krachte, das Echo zerbrach am Mauerwerk des Tunnels, die Kugel verschwand sirrend im Dunkel.

Johnny stieß mit dem Kopf zu, traf das Gesicht des Schnabeldämons, tat sich selbst dabei aber vermutlich mehr weh als seinem Widersacher.

Die Wucht des Treffers trieb den Dämon zurück, schuf Distanz, die Johnny nutzte, um auf sein Gegenüber anzulegen.

Da jagte ein Krallenfuß von unten herauf ins Licht. Der Tritt des gelenkigen, von Muskeln knotigen Beines traf schmerzhaft Johnnys linke Hand. Die Finger lösten sich reflexhaft, das Smartphone wirbelte davon, prallte gegen die Wand und fiel an ihrem Fuß zu Boden. Das leuchtstarke Lämpchen wies nach oben, das Licht warf einen zerfasernden Kreis aus Helligkeit an Wand und Decke.

Johnny und der Dämon bewegten sich im Randbereich dieses Kreises, waren mit einem Mal selbst nur noch Schatten zwischen hell und dunkel.

Es folgte ein Schlag. Johnny wurde getroffen und wankte zur Seite, stolperte über die Schiene am Boden – zu seinem Glück!

Der nächste Hieb mit der krallenbewehrten Hand des Dämons hätte ihm womöglich den Kopf vom Hals gerissen. So fuhr er dicht über ihn hinweg, Johnny bekam nur den Luftzug zu spüren und teilte seinerseits mit dem gestreckten Bein nach hinten aus, rammte dem Dämon einen Fuß in den Bauch, der nicht ganz so fest war, wie es die steinern aussehende graue Haut vermuten ließ. Die Wucht des Tritts trieb den Dämon bis vor die gegenüberliegende Tunnelwand.

Aus der Bewegung heraus las Johnny sein Handy vom Boden auf. Seine Wut auf den Dämon war übermächtig. Er sah seine Mutter vor sich, das blonde Haar zerwühlt, der schief liegende Kopf von ihrem gebrochenen Hals kaum noch gehalten. Niemals würde er diesen Anblick vergessen.

Er würde ihren Mörder richten, ihn hinrichten!

Er fuhr herum, das Smartphone in der einen, die Pistole in der anderen Hand.

Das Licht traf den Dämon, projizierte den Schatten seiner hässlichen Gestalt auf die andere Tunnelseite, scharf umrissen und tiefschwarz wie ein Loch. Zum Sprung geduckt stand er da, die dunkelgrünen, quergeschlitzten Pupillen in den großen gelben Augäpfeln fixierten Johnny, die Gesichtshaut war rot verbrannt, vielleicht von der Macht des Kreuzes, die ihn im Tor getroffen hatte. Die Kraft seiner muskulösen Beine musste genügen, um ihn die Breite des Tunnels mit einem Satz überwinden zu lassen.

Und genau das schien er vorzuhaben – springen, sich auf Johnny stürzen, ihn niederringen und zerreißen oder Besitz von ihm ergreifen, wie er es mit Sheila Conolly getan hatte.

Angst tobte in Johnny. Aber sein Zorn, sein Hass waren stärker.

Vielleicht würde er hier sterben. Aber nicht als Erster!

Der Dämon sprang.

Und Johnny schoss.

Im selben Moment wurden sie beide in gleißend helles Licht getaucht – und von der nächsten heranrasenden U-Bahn getrennt.

Die Beretta spuckte Silber, doch die Kugel traf den Zug, der wie aus dem Nichts vorbeizog, prallte ab, und Johnny hörte trotz des ohrenbetäubenden Lärms der Bahn, wie das Geschoss dicht neben seinem Kopf auf die Tunnelwand traf und davonpfiff, gottlob in die andere Richtung.

Der Fahrtwind riss an ihm, ewig, so schien es ihm, obwohl es nicht einmal Sekunden dauerte, bis die U-Bahn ihn passiert hatte. Der Wind ließ von ihm ab. Wie seines Halts und Gleichgewichts beraubt, taumelte er einen Schritt nach vorne und blickte über das Gleis hinweg. Der Dämon war fort.

Aber er lachte, heiser und grässlich wie zuvor.

Johnny drehte den Kopf, ließ den Lichtstrahl folgen. Der Schnabeldämon klebte mit spinnenhaft gespreizten Gliedern am Heck des sich entfernenden Zugs. Seine gelben Augen glühten fast so hell wie die roten Rückleuchten.

Hinter der Scheibe darüber machte Johnny Schatten und Bewegung aus: Fahrgäste, die keine Ahnung hatten von dem blinden Passagier, der jetzt mit ihnen an Bord war – geschweige denn, dass sie wussten, was ihnen da für eine mörderische Gefahr im Nacken saß!

Das bellende Lachen des Dämons wurde noch einmal laut, dann verklang es. Der Zug verschwand. Stille senkte sich bleischwer und drückend über den Tunnel.

Johnny ließ, für den Moment mutlos, die Hände sinken. Das Licht seines Telefons wies zu Boden. Dunkelheit umfing ihn.

Er blickte in die Richtung, in die U-Bahn und Dämon entschwunden waren, und sah schwarz.

***

Johnny rannte durch die Dunkelheit.

Um den Akku zu schonen, ließ er die Lampe seines Smartphones nur nach jedem zehnten Schritt aufblinken. So konnte er sich wenigstens ein bisschen orientieren, um nicht gegen eine Wand des Tunnels zu laufen, über die Schienen zu stolpern oder in ein Loch zu stürzen, das sich plötzlich auftun mochte.

Er rannte in die Richtung, in die der Zug verschwunden war – mit dem Dämon und all den Passagieren an Bord, von denen jeder einzelne in Gefahr war, das gleiche Schicksal zu erleiden wie Sheila Conolly.

Seine Hand schloss sich so fest um die mit geweihten Silberkugeln geladene Beretta, als wollte sie die Pistole zerdrücken. Einmal mehr ließ er das Licht seines Handys aufscheinen. Noch immer war kein Ende des Tunnels in Sicht. Dafür näherte sich ein weiterer Zug. Johnny sprang zur Seite, presste sich fest an die Mauer und ließ die U-Bahn passieren.

Natürlich dachte er daran, es dem Dämon nachzumachen und aufzuspringen. Doch er verwarf die Idee als zu gefährlich. Der Zug war zu schnell, das Risiko, sich zu verletzen oder gar zu sterben, zu groß.

Er rannte schneller, noch entschlossener. Natürlich glaubte er nicht, den Zug mit dem Schnabeldämon einholen zu können. Er mochte ja jung sein und ein bisschen naiv vielleicht, aber nicht blöd. Er würde nicht rechtzeitig zur Stelle sein – aber hoffentlich reichte es, um das Schlimmste zu verhindern.

Angst hatte er nicht. Er kannte Angst, ja. Von klein auf war sie sein Begleiter gewesen. Als Sohn des besten Freundes von John Sinclair, dem ärgsten Feind der Hölle, hatte er von Anfang an auf der Abschussliste der anderen Seite gestanden. Entsprechend früh hatte er allerdings auch gelernt, sich seiner Haut zu wehren. Und schließlich hatte er, dem Einfluss des Geisterjägers sei Dank, auch eine eigene Pistole bekommen. Geweihte Silberkugeln wirkten zwar längst nicht vernichtend auf jede schwarzblütige Kreatur, aber sie waren ein bewährtes »Hausmittel«.

War der Schnabeldämon gegen Silber gefeit? Das musste sich zeigen …

Johnny rannte weiter. Zorn und Hass verliehen ihm neue Kräfte. Vielleicht war es auch einfach nur Verzweiflung, die sich mit diesen Gefühlen maskierte.

Egal!

Er rannte schneller. Konnte es nicht erwarten, seinen Gegner zu stellen.

Er stand nicht zum ersten Mal allein gegen einen Dämon. Aber zum ersten Mal auf so fremdem Gebiet …

***

Endlich sah Johnny Licht am Ende des Tunnels. Als er ihn verließ und den Fuß in die U-Bahn-Station setzte, war er zumindest in einer Hinsicht um keinen Schritt weiter: Noch immer wusste er nicht, wo er wirklich war.

Kein Hinweis an den hohen Wänden, nichts, was ihm irgendwie bekannt vorgekommen wäre und einen Schluss zugelassen hätte. Allenfalls kam ihm der unterirdische Bahnhof – der nicht viel mehr war als ein langer Bahnsteig, der beiderseits von Gleisen gesäumt wurde – ein bisschen so vor, als wären bei seiner Gestaltung Farben noch nicht erfunden gewesen. Alles wirkte grau, fast wie ein Bild aus einem alten Schwarz-Weiß-Film.

Er fürchtete schon, in dieser Szenerie selbst aufzufallen wie ein bunter Hund. Doch als er an sich hinabblickte, stellte er überrascht fest, dass diese seltsame Farblosigkeit seiner Umgebung auf ihn … ja, abzufärben schien. Seine Jeans sah ausgebleichter aus als zu Hause, sein Hoodie verwaschener.

Aber vielleicht spielten ihm seine Sinne nur einen Streich, vielleicht lag es am Licht der Lampen unter der kathedralenartig hohen Decke der Station, das auf dem langen Weg herunter einen Teil seiner Intensität verlor.

Auch das war letztlich egal.

»Heda!«

Johnny schreckte hoch.

Ein groß gewachsener älterer Herr mit Bowler und langem Mantel blickte auf ihn herab.

»Pass auf, wo du hinläufst, junger Mann«, rügte er ihn und sah ihn an mit einem Blick, der eine Entschuldigung erwartete.

Johnny wurde erst jetzt klar, dass er den Mann angerempelt haben musste. Er war sich kaum bewusst gewesen, dass er aus dem Tunnel auf den Bahnsteig gestiegen und ein paar Schritte gegangen war. Ebenfalls jetzt erst sah er, dass der Herr mit Hut nicht der Einzige war, der ihn musterte.

Natürlich, man hatte beobachtet, dass er aus dem Tunnel gekommen war. Es herrschte Betrieb auf dem Bahnsteig, aber nicht so viel, dass den Leuten, die sich in der Nähe des Tunnelausgangs aufhielten, entgangen wäre, dass da jemand herauskam. Zumal er … fremd aussah, zum einen seiner Kleidung wegen, zum anderen bewegte er sich auch so, als gehörte er hier nicht hier her.

»Verzeihung«, sagte er rasch.

»Und was hast du denn da überhaupt?« Der Herr mit Hut fixierte die Pistole in Johnnys Hand.

»Das ist … nichts.« Johnny schob die Beretta vorne in die Hose und zog den Bund des Kapuzenshirts darüber.

»Das ist doch eine Waffe … Der Junge hat eine Waffe!«

Ringsum hob Raunen an.

Johnny sah sich um. Die Leute … irgendetwas war seltsam an ihnen. Sie waren …

»Weg da!«, rief er und drängelte sich zwischen einem Paar hindurch, schlug Haken um andere Personen, ging eilig, ohne zu rennen, entfernte sich von der Stelle, an der er aufgetaucht war an diesem sonderbaren Ort.

Er sah sich um. Atmete auf. Glück gehabt! Niemand folgte ihm. Inzwischen achtete auch niemand mehr wirklich auf ihn.

Zugute kam ihm, dass ein Zug einfuhr und Bewegung in die Menge kam. Fahrgäste stiegen aus, man machte ihnen Platz, schloss die Lücken wieder und stieg zu.

Johnny war langsamer geworden und ging jetzt kaum noch schneller als die anderen über den breiten Bahnsteig.

Die anderen …

Das traf den Nagel auf den Kopf: Die Leute um ihn herum waren anders.

Wie anders, das konnte er an nichts konkret festmachen, so angestrengt und aufmerksam – und so unauffällig – er sich auch umsah. Natürlich war es zum einen die Kleidung der Leute. Sie kam ihm nicht wirklich fremdartig vor, nicht so, als wäre er in einem Land gelandet, in dem sich das ganze Volk einer Tradition gemäß kleidete – wie auf dem Münchner Oktoberfest zum Beispiel.

Nein, das hier war … anders eben. Seine Kleidung unterschied sich nicht völlig von jener der Leute ringsum, aber sie passte auch nicht dazu.

Und noch etwas anderes fiel ihm auf: Die Leute waren nicht nur Leute, nicht alle, darunter waren auch …

Johnny bekam eine Gänsehaut. Die Idee, er könnte durch das Tor nicht in eine andere Welt, sondern »nur« in eine andere Zeit gelangt sein, zerbrach an der Wirklichkeit. Ein solches