Dark Land - Folge 008 - Graham Grimm - E-Book

Dark Land - Folge 008 E-Book

Graham Grimm

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Beschreibung

"Sobald ich den Mörder meiner Mum gefunden und ihren Tod gerächt habe", sagte Wynn Blakeston in der großen Küche des riesigen Hauses, "werde ich einen Weg zurück in meine Welt suchen und heimkehren."

Seine Freundin Abby sah ihn fast flehend an und fragte: "Nimmst du mich dann mit?"

Ohne Wynns Antwort abzuwarten, machte Sir Roger Baldwin-Fitzroy draußen vor der Tür kehrt und stürmte wütend davon.

Der Junge musste in Twilight City bleiben! Also durfte er den Mörder seiner Mutter nie finden ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Was bisher geschah

Manchmal kommen sie zurück

Leserseite

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Timo Wuerz

Datenkonvertierung E-Book: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-4345-8

www.bastei-entertainment.de

Was bisher geschah

Johnny Conolly hat seine Mutter verloren. Sie wurde von einem Dämon brutal ermordet. Als dieser Dämon durch ein Dimensionstor fliehen will, jagt Johnny ihm zwei Silberkugeln hinterher. Er trifft den Dämon! Eine der Kugeln pflügt eine tiefe Furche in den grässlichen Schnabel des Dämons. Doch sie kann ihn nicht aufhalten. Also springt auch Johnny durch das Tor und folgt dem Mörder seiner Mutter.

Kurz darauf wird das Tor für immer zerstört, sodass es für Johnny keine Möglichkeit zur Rückkehr gibt. Das Dimensionstor spuckt ihn schließlich wieder aus – in einer anderen Welt. Johnny ist in Dark Land gelandet, genauer gesagt in Twilight City, einer Stadt voller Geheimnisse – und voller Gefahren.

Die Fährte des Mörders führt ihn in einen Nachtclub, wo er allerdings herausfinden muss, dass es nicht nur einen Schnabeldämon gibt, sondern viele. Und beinahe tötet er den Falschen. Der Manager des Clubs überwältigt ihn jedoch vorher.

Die Polizei holt ihn ab, und ein Richter, ebenfalls ein Schnabeldämon, verurteilt ihn aufgrund der Geringfügigkeit seines Vergehens zu einer Geldstrafe – die er allerdings mangels hiesiger Mittel nicht begleichen kann. Daraufhin wird aus dem Bußgeld eine Haftstrafe: Fünfzig Jahre soll er einsitzen!

Er ist schon fast auf dem Weg ins Gefängnis, als ihn einer der Polizisten, die er kennengelernt hat, aus dem Transporter holt, um ihn woanders hinzubringen. Wohin und warum, das verrät ihm der unheimliche Panthermann nicht.

Auf dem Weg zu dem unbekannten Ziel kommt es zu einem Unfall. Und zwar zu einem, der absichtlich verursacht wird!

Wynn Blakeston, wie Johnny sich in dieser Welt inzwischen nennt – für den Fall, dass irgendjemand in Twilight City mit seinem Namen John Gerald William Conolly etwas anfangen kann und ihm möglicherweise Übles will –, hat gesehen, wie der andere Wagen auf sie zusteuerte. Allein am direkten Kurs des Fahrzeugs war zu erkennen, dass der Fahrer sie rammen wollte – aber mehr noch hat es sein Gesicht verraten, das Wynn in seinem letzten wachen Augenblick ganz deutlich gesehen hat: das Gesicht nicht irgendeines Dämons, sondern eines Schnabeldämons – und nicht irgendeines Schnabeldämons, sondern das Gesicht des Mörders seiner Mutter!

Er hat es eindeutig wiedererkannt an der Furche, die seine Silberkugel in dem langen Schnabel des Dämons hinterlassen hatte!

Als er nach dem Unfall erwacht, findet er sich im Haus von Sir Roger Baldwin-Fitzroy wieder, in dem auch dessen Tochter Abby und der dämonische Diener Esrath, ein sogenannter Naturalis, leben.

Sir Roger hat Wynn aus dem Gefängnis freigekauft – warum, das weiß Wynn nicht.

Doch im Moment ist auch etwas anderes für ihn wichtiger: Er will Rache am Mörder seiner Mutter!

Zusammen mit Abby begibt er sich auf die Suche nach dem Schnabeldämon. Inzwischen hat er rausgefunden, dass dieser Norek heißt und skrupelloser und gefährlicher ist als alle seine Artgenossen.

Auch Sir Roger und Esrath sind auf der Suche nach Norek, denn Sir Roger hat noch eine Rechnung mit dem Dämon offen.

Davon ahnt Wynn nichts. Er setzt die gefährliche Suche nach Norek fort. Dabei weicht ihm Abby inzwischen nicht mehr von der Seite – sehr zum Ärger von Sir Roger …

Manchmal kommen sie zurück

von Graham Grimm

Die Stimmung des Hausherrn und die abendliche Atmosphäre des Hauses standen in krassem Gegensatz zueinander: Baldwin House atmete eine Düsternis, die in den Winkeln und Nischen kondensierte – und Sir Roger Baldwin-Fitzroy strahlte dermaßen, dass man meinen mochte, sein Gesicht allein genüge, um das ewig finstere Gemäuer zu erhellen.

Er hatte gute Laune, weil er gute Nachrichten hatte – für seinen Gast und Schützling, den jungen Wynn Blakeston.

Ein guter Tag, fand Sir Roger.

Ein selten großer Irrtum …

Von einem Ohr zum anderen grinsend stieg Sir Roger die breite Treppe hinab, der Eingangshalle zu, die am Fuß der Stufen im steten Zwielicht des Hauses gähnte wie ein schwarzer Pfuhl. Seine Schritte hallten wider von den Wänden, die zwar mit allerlei Gemälden und anderen Dingen – nicht nur schmückenden Charakters – behangen waren, ihrer schieren Höhe wegen aber doch eher kahl wirkten.

Und sie schienen aus Eisblöcken zu bestehen, die entweder eine steinerne Fassade nur überzog wie ein Anstrich oder ein Zauber als Mauerwerk maskierte. Unleugbar jedenfalls war die Kälte, die dieses Haus absonderte – wie ein von Angst erfülltes Lebewesen kalten Schweiß. Kein Feuer kam dagegen an, wenigstens reichte die Wärme der Flammen nicht überall hin, und es gab Ecken und Flure im Haus, wo der Atem vor den Lippen zu Wölkchen gerann, die kleinen Gespenstern gleich ins Dunkle flohen und sich dort verflüchtigten. Oder nur verbargen. Und warteten. Worauf auch immer …

Sir Roger wappnete sich gegen die Kälte mit Hausmänteln, die ihm gleichsam zum Markenzeichen geworden waren. Er besaß sie in vielerlei Schnitten, Farben und Stoffarten. Ging er durchs Haus, raschelten sie vertraut, nur das Echo dieses Raschelns klang immer wieder fremd, als flüsterten um ihn Stimmen in der Luft, entweder so leise, dass er sie nicht verstand, oder in fremden Sprachen.

In der Luft lag aber auch sein Duft, der des Bades, das er genommen hatte. Er hatte ein Bad dringend nötig gehabt nach seinem abenteuerlichen Ausflug mit Esrath – jetzt, im Nachhinein, konnte er diesen Trip »abenteuerlich« nennen, in natura war er schlicht mordsgefährlich gewesen! Er hatte einer gründlichen Reinigung bedurft – denn eine ziemliche Sauerei war die Sache ebenfalls gewesen – wie auch der Entspannung und Genesung: Esrath, selbst mit vielerlei Wassern gewaschen, hatte das Badewasser mit Beimischungen versetzt, die zumindest Halbtote wieder munter machten.

Entsprechend vitalisiert, voller Elan und von einer nach Frische duftenden Wolke umgeben durchquerte Sir Roger die Halle, streifte mit einem Blick die Fenster, hinter denen Vorhof und Garten in der Abenddämmerung lagen, und tauchte dann ein in die Korridore, die zur Küche führten. Dort hielten sich, laut seinem Diener, sowohl Abby, seine Tochter, als auch Wynn auf.

Der Junge würde Augen machen ob der Neuigkeit!

Sir Roger überlegte, und ein Schatten verdüsterte seine strahlende Miene. Wie teilte er sie am besten mit? Er musste, was er zu sagen hatte, mit Bedacht formulieren. Denn es gab Dinge, Begriffe und Zusammenhänge, die Wynn Blakeston nicht zu wissen brauchte – und einiges, was er nie erfahren durfte. Das Ganze war ein Balance-Akt. Er musste dem Jungen ein väterlicher Vertrauter sein – ohne ihn vollends ins Vertrauen zu ziehen. Ein Reifeprozess. Er würde sich von selbst entwickeln. Solange der Junge nur hier war und hier blieb.

Als wäre sein Gedanke ein Stichwort, erklang vor ihm, wo ein heller Spalt im Dunkel des Gangs klaffte, eine Stimme. Sie drang hinter der Handbreit offen stehenden Küchentür hervor, und es war Wynn Blakeston, der da, offenbar mitten in einem Gespräch, sagte: »Sobald ich den Tod meiner Mutter gerächt, ihren Mörder zur Strecke gebracht habe …«

Er verstummte. Sir Roger hörte, wie der Junge schluckte. Als müsse er Kraft oder wenigstens Spucke sammeln für das, was er noch sagen wollte.

»… wirst du endlich Ruhe finden?«, half Abby aus.

»Nein«, erwiderte Wynn, »dann werde ich einen Weg nach Hause suchen, zurück in meine Welt.«

Fast schon an der Tür, die Hand bereits danach ausgestreckt, blieb Sir Roger stehen und zögerte.

***

Vorher, am Morgen dieses Tages …

Es hatte harmlos begonnen. Mit dem Läuten des Telefons.

Esrath, der Diener des Hauses, nahm den schweren Hörer aus der Gabel des klobigen Apparats im salonartigen Studierzimmer seines Herrn.

»Baldwin House«, meldete er sich mit dunkler Stimme, die stets ein wenig so klang, als rieben in seiner Brust Steine aneinander.

»Sir Roger«, sagte der Anrufer nur. Eine Sekunde verging, dann fügte er wenigstens hinzu: »Bitte.«

»Wer spricht?«, verlangte Esrath zu wissen. Ohne Neugier, ohne indigniert zu sein. Die merkwürdigsten und unhöflichsten Leute riefen in diesem Haus an.

»Das sag ich ihm selbst«, erwiderte die Stimme am anderen Ende der Leitung.

»Ich muss darauf bestehen …«, begann Esrath.

»Glaub mir, Sir Roger will mit mir sprechen«, unterbrach ihn der Anrufer.

»Daran zweifle ich nicht einmal, aber …«

»Er wäre ungehalten, wenn er nicht erfahren würde, was ich ihm zu sagen habe.«

»Dann möchte ich Sie bitten, mir mitzuteilen, worum es geht. Mein Herr ist ein beschäftigter Mann und …«

»Worum es geht?«, fiel der Anrufer dem Diener einmal mehr ins Wort. »Das kann ich dir genau und in aller Kürze sagen.«

Und er sagte es, nannte nicht mehr als einen Namen.

»Ich verstehe«, sagte Esrath. »Warten Sie bitte.«

»Esrath?«, erklang es da vom Schreibtisch am anderen Ende des geräumigen Zimmers her. »Wer ist dran? Warum dauert das so lange?«

Der livrierte Dämon drehte sich um in Richtung seines Herrn, der hinter dem wuchtigen Schreibtisch in einem hochlehnigen Sessel saß. Auf dem Tisch brannte eine einsame Lampe. Der Rest des Raums lag in Zwielicht. Die wuchtigen Möbel, über und über mit Schnitzereien verziert und verstärkt mit Schmiedeeisen, waren nur als klobige, kantige Schatten auszumachen.

»Der Anrufer weigert sich leider, mir seinen Namen zu verraten. Aber er möchte mit Ihnen über etwas sprechen, das Sie sich ganz gewiss anhören wollen.«

Esrath sah mit seinen scharfen Augen auch über die Länge des Raums hinweg, wie Sir Roger interessiert die Brauen hob.

»In Ordnung, ich nehme den Anruf hier entgegen.« Sir Roger griff nach dem Hörer des Telefons auf seinem Schreibtisch, gab Esrath aber mit einer Geste zu verstehen, nicht aufzulegen, sondern stumm mitzuhören.

Sie verständigten sich mit einem Nicken, dann meldete sich Sir Roger und fragte: »Mit wem habe ich das Vergnügen?«

»Das Vergnügen bekommen Sie erst noch«, sagte der Anrufer, »wenn Sie gehört haben, was ich Ihnen anbiete.«

»Ich bin gespannt«, gestand Sir Roger, ohne zu lügen. Esrath konnte das Funkeln in den Augen seines Herrn sehen. »Und ich bin ganz Ohr. Also?«

»Ich weiß, dass Sie jemanden suchen.« Viel verraten war damit noch nicht. Sir Roger war immer auf der Suche. Nach irgendetwas. Oder irgendjemandem.

»Machen Sie es nicht zu spannend«, riet er dem Anrufer. »Meine Geduld ist nicht unerschöpflich.«

»Ich weiß. Aber ich möchte, dass Sie wissen, wer hier am längeren Hebel sitzt.«

Diese Worte ließ Sir Roger unkommentiert.

»Ich weiß etwas, das Sie wissen möchten, Sir Roger – und ich bin bereit, es Ihnen zu sagen.«

Sir Roger nickte. »Ich verstehe. Ihre Bereitschaft, mir behilflich zu sein, hat ihren Preis. Richtig?«

»So ist es.«

Das war nicht überraschend.

»Ich bin meinerseits grundsätzlich bereit, mich erkenntlich zu zeigen.« Sir Roger setzte eine genau bemessene Pause. »Wenn es sich lohnt. Das heißt, es kommt darauf an, was Sie für mich haben.«

»Das ist klar.«

»Also?«

Jetzt war es der Anrufer, der seine Pause genau bemaß, bevor er endlich mit der Sprache herausrückte.

»Ich weiß, wo der Kraak steckt, den Sie suchen, Sir Roger.«

»Der Kraak?«

»Sie wissen ganz genau, von wem ich rede, Sir Roger.«

Wieder eine Pause, kürzer diesmal. Dann nur ein Name. Der Name.

»Norek.«

***

Der Schnabeldämon!

So hatte Wynn Blakeston den verfluchten Dämon seines Aussehens wegen immer genannt, bevor er dessen wahren Namen und den der Rasse, zu der Norek gehörte, erfahren hatte.

Unter Sir Roger knirschten die hölzernen Treppenstufen, er selbst knirschte mit den Zähnen. Wynn durfte bloß nicht alles über Norek erfahren … und auch nicht, was er, Sir Roger, mit dem Dämon zu schaffen hatte. Das hätte alles gefährden können, mehr noch, es konnte alles ruinieren! Nachdem es bislang doch so gut gelaufen war …

In einer anderen Welt, die Wynn Blakeston Erde nannte, hatte Norek eine Frau namens Sheila Conolly getötet, Wynns Mutter. Sein Name konnte also nicht wirklich Wynn Blakeston lauten. Doch das war Sir Roger Baldwin-Fitzroy egal. Beinahe egal. Jedenfalls gab es sehr viel wichtigere Dinge, Fragen und Probleme, die ihn vordringlicher beschäftigten. Aber auch sie drehten sich um Wynn Blakeston – und eben um Norek, den Kraak.

Sir Roger erklomm die steilen Stufen, die zur Spitze des alten Glockenturms hinaufführten. Die Treppe, so alt, aber sehr viel altersschwächer als der massive Turm, war sicher irgendwann einmal fest an der aus Bruchsteinen gemauerten Innenwand verankert gewesen. Doch Zeit, Wind und Wetter hatten an den Verbindungen genagt, und jetzt schwankte und knarrte die Konstruktion unter jedem Schritt, den Sir Roger setzte. Womit er der Erste seit Langem sein musste, denn unter seinen Schuhen quoll der Staub von Jahren auf.

Aber wenn hier lange niemand mehr heraufgestiegen war, wie wollte ihn der geheimnisvolle Anrufer dann dort oben erwarten? Nun, vielleicht, fand Sir Roger eine Antwort auf seine Frage, würde er nachkommen. Möglicherweise hatte der Kerl, der seinen Namen nicht nennen wollte, draußen auf der Lauer gelegen und abgewartet, ob er überhaupt kam.

Der Gedanke bereitete Sir Roger ein unangenehmes Kribbeln im Nacken. Er blieb stehen und lauschte, eine Hand um das nicht sehr vertrauenswürdige Geländer rechts von ihm gelegt. Dahinter ging es in eine Tiefe, deren Boden nur noch zu erahnen war, so hoch war er bereits gestiegen. Und so düster war es hier drin.

Mithin sah er niemanden, aber er hörte auch nichts. Keine Schritte, die ihm folgten. Keinen Atem von jemandem, der wie er innehielt und darauf wartete, dass er weiterging und mit den Geräuschen, die er verursachte, die seines Verfolgers überdeckte.

Eines Verfolgers, den es jedoch nicht zu geben schien.

Sir Roger wollte sich gerade wieder in Bewegung setzen, als er doch noch einmal stockte.

Tappte er womöglich in eine Falle? Es gab genug Leute – jeder Art – in Twilight City, die nicht gut auf ihn zu sprechen waren, aus so unterschiedlichen Gründen, dass er sie selbst nicht alle hätte benennen können. Nicht all diese Leute hatten wirklich Grund – oder den Mut –, ihm ans Leder zu wollen. Aber ein paar …

Sir Roger ging weiter. Hätte er sich davon – von der Möglichkeit, dass es jemand auf ihn abgesehen haben mochte – Bange machen lassen, könnte er schließlich den Fuß nicht mehr vor die Tür setzen. Vor solchen, also vor lediglich potenziellen Gefahren durfte er sich nicht fürchten. Nur bewusst musste er sich ihrer sein. Aber das war er ja. Und er traf stets Vorsorge für den Fall der Fälle. So gut es ging. Und ohne völlig paranoid zu werden.

Die Treppe geriet unter und über ihm wieder ins Schwanken, wie ein Kartenhaus, das auf den Einsturz zusteuerte.

Wahrlich, ein ungewöhnlicher und auch unpraktischer Ort für ein Treffen, an dem nur ein Austausch stattfinden sollte, Information gegen Preis. Wenn denn tatsächlich nur das dahintersteckte und eben nicht etwa doch eine Falle …

Dann langte er oben an. Und es war nichts passiert. Es war aber auch niemand da. Niemand wenigstens, den er gesehen hätte. Es konnte also jemand da sein, der sich nur noch nicht zeigen und erst einmal überzeugen wollte, dass er, Sir Roger, wie verlangt alleine hergekommen war.

Jetzt kam es darauf an …

Sir Roger ließ den Blick schweifen, schob die dunkle Brille auf die Stirn hoch und versuchte das ringsum nistende Halbdunkel zu durchdringen. Fehlendes Licht war nicht alles, was die Sicht erschwerte. Der Blick verfing sich in einem Gewirr aus Balken und Sparren, zwischen denen wiederum mit Spinnweben regelrecht verkrustete Taue hingen und spannten. Alles zusammen diente der Aufhängung der beiden Glocken, die sich trotz ihrer monströsen Größe in den Schatten unter der Turmspitze förmlich verbargen.

Sicher drei Mannslängen maßen sie in der Höhe. Sir Roger wollte sich das Läuten, das sie verursachten, würden sie angeschlagen, nicht einmal vorstellen. Aus dieser Nähe hätte es sein Gehör gewiss dauerhaft geschädigt. Aber er hatte es auch aus der Ferne noch nie vernommen. Diese Glocken hatten seit zig Jahren nicht mehr geläutet. Warum, das wusste Sir Roger nicht, obwohl er vieles wusste. Doch auch welchem Zweck sie einst gedient hatten, entzog sich seiner Kenntnis. Vielleicht wusste es niemand mehr. In jedem Fall gehörte es weder zu den größten noch zu den großen Geheimnissen dieser Stadt. Und nur die interessierten Sir Roger Baldwin-Fitzroy wirklich …

Trotzdem, Gedanken machte er sich durchaus über die Glocken und den Turm, in dem sie so stumm hingen. Möglicherweise hatten sie ehedem vor einer Gefahr gewarnt, die immer wiederkehrte. So wie das Schiff der Toten eine war.[1] Aber vielleicht hatte man es im Gegensatz zum Schiff der Toten geschafft, jene Gefahr, vor der diese Glocken hier einst gewarnt hatten, ein für alle Mal abzuwenden – und seither schwiegen sie.

Das war denkbar, fand Sir Roger, während er sich, den Kopf eingezogen, durch Lücken im Gebälk zwängte, bis er sich einer der Glocken, der etwas kleiner wirkenden, so weit genähert hatte, dass er sie mit der Hand berühren konnte.

Das dunkle Metall – wenn es Metall war, Bronze etwa oder Eisen – fühlte sich nicht so kalt an, wie er es ob der Zugluft hier oben erwartet hatte. Der Wind pfiff durch die mannsgroßen Schallöffnungen im Mauerwerk und fuhr Sir Roger unter die Kleidung bis auf die Haut. Er fror nicht leicht, hier oben jedoch schauderte selbst er. Aber das mochte eben auch daran liegen, dass die Außenhaut der Glocke nicht kalt war unter seiner Hand, sondern beinahe warm … wie richtige Haut. Wie die Haut eines Lebenden. Oder eines Wesens, das noch nicht lange tot war. Und darin, in diesem Metall, das doch keines sein mochte, glaubte er etwas zu spüren. Ein Pochen, einen trägen Puls vielleicht. Den Schlag eines Herzens? Oder den letzten Schlag dieser Glocke, der nur fürs Ohr verhallt war, aber tief in ihr selbst noch heute nachklang?

Sir Roger kniff die Augen zu Schlitzen zusammen und verzog den Mund. Vielleicht sollte er sich doch eingehender mit diesen Glocken, dem Turm und seiner Vergangenheit befassen. Vielleicht sollte er die Gelegenheit jetzt, da der mysteriöse Anrufer, der ihn herbestellt hatte, sich noch nicht blicken ließ, nutzen und einen genaueren Blick wagen.

Er hob eine Hand, um nach seiner Brille zu greifen und sie sich von der Stirn auf die Nase herabzuschieben … da fuhr er herum!

Hinter ihm war etwas. Jemand!

Niemand jedoch, der sich ihm auf leisen Sohlen genähert hätte.

Ein Fauchen war an sein Ohr gedrungen. Als hätte der Wind draußen noch einmal zugelegt und wäre mit noch mehr Macht durch die Öffnungen hereingeweht.

Aber so war es nicht. Stattdessen trug der Wind etwas herein, jemanden eben.

Jemanden, der fliegen konnte. Auf ledrigen, durchscheinend schwarzen und vielfach geäderten Schwingen, die sich zwischen seinen Armen und dem Rumpf spannten. So sah es jedenfalls im ersten Augenblick aus. Im nächsten hatte sich das Bild bereits verändert, weil die Gestalt, die da aufgetaucht war aus den Lüften über der Stadt, sich verändert hatte.

Verwandelt hatte sie sich – von einem Wesen, das fliegen konnte, in einen … Vampir.

Und nicht in irgendeinen Vampir.

Sondern in den sogenannten Roten Vampir.

»Kylandros?!«

***

Sir Roger kannte den Vampir.

Jeder kannte diesen Vampir. Oder hatte zumindest schon von ihm gehört. Der Rote Vampir machte von sich reden.