Dark Letters - Sascha Zurawczak - E-Book

Dark Letters E-Book

Sascha Zurawczak

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Beschreibung

Ob im Reich der Vampire, in mysteriösen Bauwerken oder im südamerikanischen Dschungel, die Helden der Geschichten müssen geheimnisvolle, unheimliche Begegnungen und Abenteuer überstehen. In sechs rasanten Geschichten ist anspruchsvolle Unterhaltung und Nervenkitzel garantiert.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Mystery – Short Stories

Von

Sascha Zurawczak

 

Über das Buch:

Ob im Reich der Vampire, in mysteriösen Bauwerken oder im südamerikanischen Dschungel, die Helden der Geschichten müssen geheimnisvolle, unheimliche Begegnungen und Abenteuer überstehen.

In sechs rasanten Geschichten ist anspruchsvolle Unterhaltung und Nervenkitzel garantiert.

 

 

 

Über den Autor:

Sascha Zurawczak wurde 1991 in Bad Oldesloe geboren. Schon mit sechzehn Jahren begann er damit, seine erste Fantasy-Trilogie mit dem Titel Lagrosia zu schreiben. Es folgten zwei weitere Bände mit Kurzgeschichten vom magischen Kontinent der Liwanen und Beteiligungen an Anthologien.

Die besten Einfälle hat der Autor in der Natur. So ist es nicht verwunderlich, dass er von Beruf Gärtner ist. Als leidenschaftlicher Besucher von Buchmessen entwickelte er die Idee zur Book Oldesloe, der Buchmesse seiner Heimatstadt. 2017, 2019 und 2021 war er Mitveranstalter.

Erfahren Sie mehr über den Autor auf seiner Webseite –

saschazurawczak-autor.jimdo.com

 

Impressum:

 

Copyright © 2024 Sascha Zurawczak

publiziert von telegonos-publishing

Str. des Frieden 14/17194 Vollrathsruhe

Covergestaltung: Sandra Gernt

www.telegonos.de

Bildrechte: Adobe Stock

 

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowieso Übersetzung, sind vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

 

 

Inhalt

 

Vampire

Das Haus des Künstlers

Die Ruinen

Tod in der Höhle

Die Abtei der Teufel

Die andere Seite

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Vampire

 

ass ich diese Worte erst hier und heute niederschreibe, wird Ihnen eigenartig erscheinen. Die Ereignisse, welche ich schildere, liegen lange zurück. Erst jetzt ist es mir möglich, von meinen Erlebnissen zu berichten. Die Ursachen werden Sie verstehen, wenn ich meine Geschichte erzählt habe. Die Begebenheit liegt bereits viele Jahre zurück.

 

Mein Name ist Malcolm Larson. Ich war gerade neunzehn Jahre alt, als ich im Jahre 2006 die Schule mit Bestnoten abschloss. Das bewog meine Eltern, mir einen lang gehegten Traum zu erfüllen, bevor ich im Herbst mein Studium, Fachbereich alte Geschichte, aufnehmen sollte.

Eine Reise nach Osteuropa. Seit meiner Kindheit war ich von der Folklore eines bestimmten Landes fasziniert. Ein Landstrich, von dem wohl jeder gehört hat, welchen jedoch nur wenige gesehen haben. Die Rede ist von Rumänien, dem Land der Vampire – Siebenbürgen oder auch Transsylvanien.

Aus heutiger Sicht kommt es mir selbst merkwürdig vor. Ein durchaus intelligenter bodenständiger junger Mann, der nach Rumänien reist, um nach Vampiren zu suchen. Ich hatte natürlich nicht ernsthaft damit gerechnet, welche zu finden. Genauso wenig damit, dass ich mehr erleben würde als schwierige Reisebedingungen und schlechte Unterkünfte. Es war das Abenteuer, das mich reizte. Die Aussicht, jene Orte, die ich mir seit meiner Jugend immer wieder ausgemalt hatte, endlich mit eigenen Augen zu sehen.

 

 

Der Flug und die Einreise nach Rumänien verliefen ohne Schwierigkeiten. Mit einem gültigen Visum und einem guten Leihwagen stand meinem Abenteuer nichts mehr im Wege. Die ersten Tage verbrachte ich damit, die verschiedenen Sehenswürdigkeiten abzuklappern, die mein Reiseführer anpries. Ich sah das Schloss des Grafen Dracula und den Ort, an dem der grausame Fürst zwanzigtausend Osmanen gepfählt haben soll. Wie sich herausstellte, waren es nichts anderes als Touristenfallen, an denen nur die Dichte an billigen Souvenirshops unheimlich war.

Ich traf jedoch an diesem Ort auf eine Gruppe gleichaltriger Touristen, die ebenfalls auf der Suche nach authentischen Schauplätzen des Vampirismus‘ waren.

Man erklärte mir, dass die wirklich interessanten Orte jenseits der Touristenpfade lägen. Einige geheime Tipps wurden nur unter vorgehaltener Hand weitergegeben. Die jungen Leute rieten mir außerdem, mich einer Gruppe anzuschließen. Alleinreisende würden bevorzugte Opfer von Kriminellen. Ich nahm mir diesen Rat zu Herzen, da ich selbst auch schon von Fällen gehört hatte, in denen einzelne Personen ausgeraubt wurden. Da ich nun wusste, wonach ich suchen musste, nahm mein Abenteuer an Fahrt auf.

Ich begann jene Orten aufzusuchen, die mir meine neuen Bekanntschaften empfohlen hatten. Dabei achtete ich stets darauf, in Begleitung anderer Reisender zu sein. Viele junge Abenteurer waren Rucksacktouristen. Sie schlossen sich gerne jemandem an, der einen Wagen hatte.

Ich besuchte einige Winkel Siebenbürgens, die schon eher meinen Vorstellungen entsprachen. Zum Beispiel eine alte Burgruine, in der ich mit einigen Gefährten eine ganze Nacht verbrachte. Ich selbst habe dort nichts wirklich Ungewöhnliches erlebt. Einige andere schworen jedoch steif und fest, dass sie gegen drei Uhr nachts einige Lichter gesehen hatten, die wild herumstreiften, im Wald und um die Ruine.

Kurz darauf besuchte ich eine alte Bibliothek. Die Sammlung an alten Büchern war allein schon eine Reise wert. Die Legende besagte, dass gelegentlich blutige Handabdrücke auf den Regalen erschienen. Das war natürlich interessant für mich. Jedoch wurde ich auch hier niemals Augenzeuge dieser Erscheinung. Man zeigte mir einige Fotos, auf denen die Abdrücke zu sehen waren. Diese Erlebnisse waren nicht wirklich das, was ich mir beim Antritt meiner Fahrt erhofft hatte.

Nach diesen ersten Erfahrungen schraubte ich meine Ansprüche weit nach unten.

Ich dachte schon, dass dies die Höhepunkte meiner Reise gewesen wären, als mir erneut der Zufall zur Hilfe kam. Wieder waren es andere Abenteurer, die mir von einer interessanten Stadt berichteten. Diese sollte auf den Katakomben eines alten Klosters errichtet worden war sein. Die Katakomben seien noch erhalten und gefüllt mit Abertausenden von Knochen. Es war nicht erlaubt, das unterirdische Tunnelsystem zu betreten. Wirklich durchgesetzt hatte sich das Verbot jedoch nicht und es gab jede Menge geheimer Zugänge in die Gewölbe.

Das war es, wonach ich gesucht hatte! Ein mysteriöser, geschichtsträchtiger Ort. Ein Untergrund, an dem makabre Geheimnisse darauf warteten, von mir gelüftet zu werden, gepaart mit dem Reiz des Verbotenen. Die Stadt war mir völlig unbekannt. Allerdings hatte ich inzwischen selbst die Erfahrung gemacht, dass die wirklich interessanten Sehenswürdigkeiten eher im Verborgenen lagen.

Meine neuen Freunde gaben mir bereitwillig Auskunft: Der Ort hieß Piatra moartă. Erst nach einigem Suchen fand ich die Stadt auf meiner Karte.

Die Organisation der Unternehmung gestaltete sich diesmal jedoch schwierig. Anders als zuvor, fand ich niemanden, der mir bei meiner Reise Gesellschaft leisten wollte. Das widersprach meinem Vorsatz, nicht allein auf den weniger bekannten Pfaden unterwegs zu sein. Es schien fast so, als wäre jeder, den ich danach fragte, schon einmal in Piatra moartă gewesen. Einige hatten einfach kein Interesse daran, die Stadt erneut zu besuchen.

Dann hatte ich doch noch Glück. Ich traf einen jungen Mann in meinem Alter. Er war gleich Feuer und Flamme, als ich ihm davon berichtete, Piatra moartă zu besuchen.

Sein Name war Reginald Crane, ein sympathischer, etwas überdreht wirkender Typ aus Texas und genau wie ich auf der Suche nach Abenteuern. Nachdem wir uns ein wenig kennengelernt hatten, verstanden wir uns bestens. Der Trip in die sagenumwobene Stadt konnte beginnen.

 

 

Die Fahrt nach Piatra moartă dauerte länger als erwartet. Ich hatte ursprünglich einen halben Tag für die Reise eingeplant. Die schlechten Straßen machten uns einen Strich durch die Rechnung. Wir brauchten tatsächlich einen ganzen Tag, um unser Ziel zu erreichen. Das war noch nicht einmal das Schlimmste. Durch die vielen Schlaglöcher hatte der Leihwagen einiges abbekommen.

Trotz solcher Widrigkeiten erreichten wir unser Ziel, wenn auch mehr schlecht als recht. Am späten Abend kam Piatra moartă in Sicht. Auch wenn ich schon einiges über diesen Ort gehört hatte, und gerade deshalb hierher kommen wollte: Als ich die Stadt das erste Mal sah, lief mir ein Schauer über den Rücken. Im Zentrum, auf einem Hügel, stand eine halb zerfallene Kathedrale. Beide Türme und ein Teil des Daches waren eingestürzt.

Das Bauwerk überragte alles. Was nicht hieß, dass die übrigen Häuser der Stadt klein waren. Kaum eines hatte weniger als drei Stockwerke. Sie standen so dicht beieinander, dass die Wege zwischen ihnen kaum mehr als dunkle Gassen waren. Die Häuser selbst waren so alt, dass sie gut aus der Zeit Draculas stammen konnten.

Ich musste schlucken. Das war also Piatra moartă. Bei dem Gedanken, was sich unter dem Pflaster dieser Stadt verbergen sollte, überkam mich ein wohliges Schaudern.

Wir fuhren in die Stadt hinein und machten uns auf die Suche nach einer Unterkunft.

Die Typen, die mir von dem Ort erzählt hatten, erwähnten eine Pension, die gut geführt und dazu auch noch preiswert war. In letzter Zeit hatte ich schon genügend Erfahrung mit zerrupften Matratzen und kargem Essen gemacht. Die Aussicht auf ein sauberes Zimmer und eine gute Mahlzeit gefiel mir.

Die Straßen der Stadt waren wirklich sehr schmal. Für ein Auto war gerade Platz genug. Wenn uns eines entgegenkäme, hätten wir ein Problem. Zum Glück hatten wir bis jetzt keinen anderen Wagen gesehen, oder überhaupt andere Menschen.

Das Kopfsteinpflaster machte dem angeschlagenem Auto zu schaffen. Jeder Meter drohte unserem Fahrzeug den Gnadenstoß zu versetzen. Ich sah mir die Häuser genauer an. Viele waren scheinbar unbewohnt. Als es immer dunkler wurde und hinter den ersten Fenstern Licht aufflammte, blieben einige Häuser komplett dunkel. Die Gebäude waren zwar alle sehr alt, schienen aber bewohnbar zu sein. Nicht einmal die Fensterscheiben waren zerbrochen. Waren sie tatsächlich unbewohnt? Gerade als ich mir diese Frage stellte, glaubte ich zwei Augen hinter einem der dunklen Fenster aufblitzen zu sehen. Sie leuchteten wie die einer Katze, wirkten aber auch irgendwie menschlich.

„Hey, wo schaust du denn hin?“, fragte Reginald in diesem Moment.

Er hatte recht. Ich war so abgelenkt von meiner Beobachtung, dass ich nicht auf die Straße geachtet hatte. Fast wären wir an unserem Ziel vorbeigefahren. Auf der rechten Seite tauchte in dem Moment eine Zufahrt auf, die zu einem großen Hof führte, auf dem schon einige Autos parkten. Dahinter erhob sich ein großes, herrschaftliches Gebäude, mit zahlreichen Erkern und Türmchen. Laut der Beschreibung war das die Pension. Gerade noch rechtzeitig bog ich in den Hof ab und parkte unseren Wagen.

„Puh, ob wir den hier je wieder wegkriegen?“, fragte Reginald.

Als ich den Motor abstellte, gab er ein beunruhigendes Röcheln von sich. Wenn es in Piatra moartă keine Autowerkstadt gab, die die Vollkaskoversicherung, die meine Eltern mir wohlweislich spendiert hatten, anerkennen würde, würden wir die Stadt mit diesem Wagen wohl nicht wieder verlassen können.

„Bleib locker“, meinte Reginald im lässigen Tonfall. „Wir fahren doch nicht in diese Stadt, um gleich wieder wegzufahren. Wenn wir die Karre nicht wieder flott kriegen, finde ich schon ein paar süße Bräute, die uns mitnehmen. Dann lassen wir den alten Kübel hier einfach an der Straße stehen.“

„Du hast leicht reden“, erwiderte ich, mit einer Prise Galgenhumor. „Du musstest ja auch nicht die Kaution hinterlegen. Wobei – ist mir jetzt auch egal. Ich hoffe nur, dass die da drin vernünftige Betten haben.“

Das Gebäude strahlte etwas düster Muffiges aus, was mich nicht gerade auf gemachte Betten in geheizten Zimmern hoffen ließ. Wir betraten die Pension und standen kurz darauf in der Eingangshalle.

Hier sah es schon ganz anders aus. Es war zwar alles alt, doch sauber und gepflegt.

Aus dem großen, holzgetäfelten Entree führten rechts und links zwei Türen und dazwischen eine kunstvoll verzierte Holztreppe in die oberen Stockwerke. Die prächtige Standuhr in einer Ecke war stumm. Offensichtlich war sie schon vor langer Zeit stehen geblieben. Hinter der Rezeption stand eine ältere, rundliche Frau. Sie trug die landesübliche Tracht und wirkte ebenso streng wie akkurat. Eben wie eine überkorrekte Herbergsmutter.

„Guten Abend!“ Sie sprach mit starkem, rumänischen Akzent. „Wünschen die beiden Herren hier zu übernachten?“

„So ist es, gute Frau“, erwiderte Reginald fröhlich. „Zwei Leute, zwei Zimmer. Und nur die besten. Geld spielt keine Rolle.“

Da war ich zwar anderer Meinung, doch der Preis, den uns die Herbergsmutter für zwei Zimmer berechnete, war am Ende recht günstig. Die ältere Frau, die sich als Oana Radu vorstellte, hievte ein großes Gästebuch unter dem Tresen hervor. Wir trugen uns darin ein, während die Dame des Hauses die Schlüssel für unsere Zimmer holte.

Als ich meinen Namen in das Buch schrieb, fiel mir etwas auf. Nachdem die Alte mir meinen Schlüssel gab, sprach ich sie darauf an. „Entschuldigung, wohnen hier viele Touristen?“ Die Herbergsmutter warf mir nur einen strengen Blick zu.

„Weil so viele Namen in dem Gästebuch stehen ...“, erklärte ich schnell, „...und wie ich sehe, sind die meisten von ihnen noch nicht ausgezogen ...“ Einen kurzen Moment dachte ich, die Frau würde mir die Augen auskratzen. „… und für so viele Gäste, erscheint es mir hier doch ziemlich still hier.“

Schließlich gab sie mir doch noch eine Antwort. „Die meisten unserer Gäste schlafen noch. Die Sehenswürdigkeiten von Piatra moartă sind besonders nachts interessant. Die Besucher schlagen sich die Nächte um die Ohren. Tagsüber schlafen sie. Aber Sie werden sicherlich noch einige von ihnen zu sehen bekommen.“

„Verstehe“, entgegnete ich kleinlaut und steckte meinen Zimmerschlüssel ein.

Reginald und ich stiegen die elegante Treppe hinauf bis in den dritten Stock, wo unsere Zimmer lagen. Das Innere des Hauses verströmte eine altehrwürdige Atmosphäre.

„Hey, Reginald. Warum meinst du, haben wir noch nichts von den anderen Gästen gesehen? Denkst du wirklich, dass die alle den Tag über durchschlafen?“

„Na klar!“ Reginald lachte. „Liegt doch auf der Hand, was hier los ist. Wir sind in einem Vampir-Hotel gelandet. Die Bewohner liegen tagsüber in ihren Särgen und erwachen erst in der Nacht zum Leben. Wir kommen gerade recht fürs Frühstück.“

„Ha, ha, sehr witzig“, erwiderte ich genervt.

„Denk doch mal nach. Wahrscheinlich machen die Gäste die ganze Nacht Party. Ist doch klar, dass sie dann tagsüber nicht zu sehen sind. Deshalb war die Alte da unten auch so grimmig, weil zwei weitere Partylöwen eingecheckt haben.“

Als Partylöwen hätte ich mich selbst nun wirklich nicht bezeichnet. Alles andere ergab für mich aber durchaus Sinn. Wir erreichten den dritten Stock und bezogen dort unsere Zimmer. Reginalds lag direkt an der Treppe, meines ganz am anderen Ende des Flurs.

„Tja, sieht nicht so aus, als wenn einer von uns die Hilferufe das anderen hören würde,“ kommentierte Reginald die Zimmerverteilung lachend.

„Ich hoffe, dass nichts passiert“, entgegnete ich stirnrunzelnd. „Wäre nervig, wenn ich dich retten müsste.“ Wir beide lachten und gingen in unsere Zimmer.

Als ich mein Reich betrat, war ich erst mal angenehm überrascht. Das Zimmer war nicht nur größer, als ich erwartet hatte. Es war auch um einiges gemütlicher als alles, was ich bis dahin in diesem Land gesehen hatte. Die Wände waren holzvertäfelt. Auf dem Dielenboden lag ein kunstvoll gewebter Teppich. Der Kamin verbreitete eine angenehme Wärme. Durch eine Seitentür gelangte ich in ein kleines Badezimmer. Die Krönung war das gewaltige Himmelbett: Es war groß genug, dass darin vier Leute bequem schlafen konnten. Ich ließ meine Tasche fallen und trat, fast wie unter Hypnose, auf die Schlafstätte zu. Als ich mich auf die Matratze legte, kam es mir vor, als wären all die Strapazen der Reise verflogen. Eine tiefe Ruhe überkam mich.

Ich musste wohl kurz eingeschlafen sein. Das Nächste, das ich mitbekam, war, dass jemand an die Tür klopfte.

„Hey, Malcolm!“, rief jemand. „Wo bleibst du denn? Die Party läuft noch ohne dich!“

„Reginald ...?“, fragte ich verschlafen.

„Wer denn sonst!“, erwiderte dieser gut gelaunt. „Mach los. Da draußen geht gerade die Post ab. Sag bloß, du bist eingepennt?“

„Nein, so ein Quatsch!“, log ich schnell.

„Dann beeile dich!,“ rief Reginald. „Ich warte an der Treppe.“

Mühselig erhob ich mich vom Bett. Ich hatte wirklich eine ganze Weile geschlafen. Inzwischen war es draußen völlig dunkel. Mir fiel auf, dass die Fenster in meinem Zimmer ungewöhnlich klein waren. Eigentlich nur schmale Luken, vielleicht fünfunddreißig Zentimeter breit. Bei Feuer oder einem anderen Notfall würde ich kaum durch diese Fenster entkommen können. Ein kurzer Blick hindurch bewies, dass das sowieso nichts bringen würde. Es ging senkrecht nach unten, mindestens fünfzehn Meter, bis auf einen dunklen, nur vom Mond beschienenen Hof. Ich schloss den wenig vertrauenerweckenden, lockeren Riegel so gut wie möglich, wandte mich von dem düsteren Ausblick ab und ging noch einmal ins Badezimmer, um mir das Gesicht zu waschen. Dann verließ ich das Zimmer.

Der Flur lag genauso verlassen vor mir wie zuvor. Ich schaute mich nach Reginald um. Von ihm war nichts zu sehen. Stattdessen erblickte ich eine unheimlich wirkende Gestalt. Am Ende des Flures stand ein Mädchen, ungefähr neun Jahre alt, mit durchscheinend blasser Haut, grünen Augen und langem, blonden Haar. Sie trug ein altmodisches Rüschenkleid. Einen Moment lang sah sie mich mit einer Mischung aus Neugier und Misstrauen an, dann wandte sie sich ab und lief davon.

Was war das denn?, fragte ich mich verdutzt. Diese Begegnung zu nachtschlafender Zeit war für mich ebenso bizarr wie belustigend. Ich dachte kurz darüber nach, der Kleinen zu folgen, da legte jemand seine Hand auf meine Schulter.

„Malcolm, verdammt, wo bleibst du denn?“ Es war Reginald. Ich hatte ihn nicht kommen hören und zuckte erschrocken zusammen.

„Alter, was ist denn mit dir los?“, wollte Reginald wissen. „Hast du einen Geist gesehen?“

„Da war ein kleines Mädchen ...“, stotterte ich. „Sie stand da drüben. Und ist dann weggelaufen ...“

„Ich weiß, das war Sarah“, erklärte Reginald. „Die Enkelin der Herbergsmutter.“

Ich sah meinen Reisegefährten verwundert an. „Woher weißt du das?“

„Na, sie hat es mir gesagt“, erklärte er. „Wir haben uns an der Treppe getroffen und ein wenig unterhalten. Sie spricht ziemlich gut Englisch. Wegen der ganzen Touristen, die hier durchkommen.“

Also die Enkelin der Herbergsmutter. War ja auch naheliegend, dass dieses Mädchen etwas mit der Pension zu tun hat. War ich etwa wirklich davon ausgegangen, dass das Mädchen etwas Übernatürliches ausstrahlte? Das verwunschene Flair dieses Ortes ließ wahrscheinlich meine Fantasie mit mir durchgehen.

„Jetzt steh hier doch nicht herum wie ein modernes Kunstwerk. Lass uns endlich gehen!“

Ich folgte Reginald die Treppe hinunter und wir betraten den Empfangsraum.

Hier sah ich zum ersten Mal die anderen Bewohner der Pension. Es waren sechs Gäste, ungefähr in unserem Alter. Sie kamen scheinbar aus jedem Winkel der westlichen Welt. Das erfuhr ich, als Reginald sie mir vorstellte. Er hatte offenbar mehr Energie als ich. Während ich geschlafen hatte, machte er sich bereits mit den übrigen Bewohnern bekannt. Anscheinend war bloß ein kleiner Teil seiner neuen Bekanntschaften anwesend.

„Die meisten von uns sind schon weg“, erklärte ein Junge aus Schweden. „Wir warten nur noch auf euch.“

„Da hörst du es“, erklärte mir Reginald. „Wir sind die Letzten. Also los, sonst steigt die Party ohne uns.“

 

 

Die Party fand offenbar nicht in der Pension statt, sondern irgendwo in Piatra moartă. Wo genau, erschloss sich mir zunächst nicht. Ich folgte den anderen durch die nächtlichen Straßen. Die Stimmung war großartig. Weshalb ich davon ausgehen konnte, dass dort, wohin auch immer es ging, ein gewaltiges Specktakel stattfinden musste. Anscheinend kannten unsere Begleiter den Weg blind. Obwohl es kaum Straßenbeleuchtung gab, fanden sie ihn ohne Probleme. Schließlich standen wir vor einem Haus, welches eine gewisse altehrwürdige Pracht ausstrahlte.

Viel war allerdings nicht davon übrig geblieben. Das Dach war teilweise eingestürzt. Die Naturelemente hatten das Ihrige dazu beigetragen. Das Haus stand kurz davor, vollständig zu verfallen. Normalerweise hätte vor dem Gebäude ein Schild mit

>Zutritt verboten, Einsturzgefahr< hängen müssen. Hier legte man offenbar keinen besonderen Wert auf Sicherheit.

Ohne zu zögern, betraten unsere Begleiter die Ruine. Reginald und ich folgten ihnen etwas beklommen. Wir stiegen durch das ramponierte Erdgeschoss, über eine nicht weniger marode Treppe in den Keller. Es standen Reste von Kisten, Säcken und einige alte Möbel herum. Dieser Ort wurde wahrscheinlich einst als Lager genutzt. Alles war so vermodert, dass man nicht erkennen konnte, was damals hier gehandelt wurde.

Wir widmeten wir uns der hintersten Ecke des Kellerraumes, wo ein Loch in der Wand noch weiter nach unten führte. Anscheinend war es erst vor kurzer Zeit in die Mauer geschlagen worden. Unsere Führer zogen mehrere Taschenlampen hervor und begannen einer nach dem anderen durch das Loch zu steigen.

„Kommt schon!“, rief der junge Schwede. „Das hier ist der Einstieg in die Katakomben.“

Das Erste, was ich sah, als ich durch das Loch stieg, war ein Haufen sorgfältig gestapelter Totenschädel. Das war nicht wirklich überraschend. Ich wusste ja, dass diese Tunnel als Grabstätte genutzt wurden. Doch etwas zu wissen und es mit eigenen Augen zu sehen, waren zwei völlig unterschiedliche Dinge. Ich erschrak so sehr, dass ich fast kopfüber in den Schädelhaufen gefallen wäre. Nur der schnelle Griff von zwei meiner Begleiter bewahrte mich vor einem wirklichen Unglücksfall.

Reginald, der kurz nach mir durch das Loch gestiegen war, amüsierte sich köstlich über meinen albernen Anblick. Ich richtete mich auf, klopfte mir den Staub von der Kleidung und straffte die Schultern. So hoffte ich, wenigstens einen Hauch von Würde zu bewahren. Ich funkelte ihn böse an. Sofort reduzierte Reginald sein blödes Gekicher auf ein verschmitztes Grinsen. Nach diesem ersten Schreck folgten wir unseren Begleitern weiter durch die unterirdischen Gänge. Ihre Lampen waren unsere einzige Lichtquelle.

Ich erkannte sofort, dass dieser Ort meinen Erwartungen an diese Reise am nächsten kam. Das lag nicht nur an den vielen Knochenpyramiden, die von nun an ständig an unserem Weg auftauchten. Die Katakomben von Piatra moartă waren mehr als nur ein paar dunkle Tunnel und Kellerräume. Wir kamen durch gewaltige Hallen, die man durch prachtvolle Rundbögen betrat. An Wänden und Decke befanden sich kunstvolle Malereien von Heiligen und andere christlich-orthodoxe Symbole. Auch wenn diese schon recht mitgenommen wirkten, strahlten sie immer noch Würde aus. Was war das nur für ein Bauwerk? Wieso war es so unbekannt? Dieser Ort müsste berühmt sein! Eine Attraktion, die jeder Touristenführer als Pflichtprogramm anpreisen sollte. Fremdenführer könnten Scharen von Schaulustigen durch diese Katakomben führen.

Tatsächlich kannten womöglich nur ein paar Rucksacktouristen diesen Ort. Diese nutzten ihn, um durch die dunklen Gänge zu schleichen, um Party zu machen. Mir stand es nicht zu, darüber zu urteilen. Schließlich war ich kein Stück besser.

Lange Zeit war nichts anderes zu hören, als der Hall unserer Schritte und aufgeregtes Getuschel. Mit einem Mal war da ein gleichmäßiges Dröhnen. Für einen Augenblick gaukelte mir meine Fantasie das Bild eines mehrköpfigen Ungeheuers vor, welches sich mit rhythmischen Bewegungen durch die Katakomben schob, auf der Suche nach Beute. Niemand außer mir schien dieses Geräusch als Bedrohung zu empfinden, im Gegenteil. Die anderen wurden immer ausgelassener. Also bewahrte auch ich erst einmal die Ruhe. Je weiter wir gingen, umso lauter wurde das Geräusch. Plötzlich wusste ich, was das für Töne waren: Ziemlich laute Musik, irgendein Techno-Party-Mix. Nun verstand ich auch, was die Herbergsmutter gemeint hatte, als sie sagte, dass die Gäste der Pension die nächtlichen Attraktionen von Piatra moartă zu schätzen wussten.

Was sonst hatte ich eigentlich gedacht, was damit gemeint sein sollte? Dass die Leute auf Geisterjagd gingen? Oder dass sie selbst Vampire waren? Wahrscheinlich hatte die Ausstrahlung dieses Ortes die Fantasie mit mir durchgehen lassen. Piatra moartă war einfach eine Party-Hochburg. All diese Leute kamen hierher, um ihren Spaß zu haben.

Wir erreichten eine Halle, die größer war als alle bisherigen. Hier waren nicht einfach nur Knochen und Schädel übereinandergestapelt worden. Es handelte sich diesmal um eine wirkliche Grabanlage. Prächtige Sarkophage von hohen Würdenträgern, welche hier bestattet worden waren, was man an den pompösen Verzierungen aus gemeißelten Ehrenkränzen erkannte. Was davor jedoch stattfand, war weniger würdevoll.

Dutzende junge Leute tummelten sich zwischen den Grabmälern und gaben sich dem Alkohol und der Musik hin. Letztere dröhnte aus einer tragbaren Musik-Anlage.

Die mobilen Lautsprecher gehörten zu einer beeindruckenden Soundanlage. In der Halle wurde die Musik um ein Vielfaches verstärkt von den Wänden zurückgeworfen.

Das war nicht gerade das, was ich mir von unserem nächtlichen Ausflug erhofft hatte.

„Das ist ja noch geiler, als ich es mir vorgestellt habe!“, rief Reginald verzückt.

Er lief sofort los, um sich unter das Partyvolk zu mischen. Alle übrigen schlossen sich an. Nur ich blieb zurück. Meine anfängliche Zufriedenheit wich der Ernüchterung.

Natürlich war eine tolle Party für die meisten Menschen interessanter, als nur eine Gruft voller alter Knochen zu bestaunen. Auch wenn hier beides gut miteinander kombiniert wurde. Aber dafür hätte ich nicht nach Rumänien reisen müssen.

Ich sah ein, dass mein Wunsch wohl nicht umzusetzen war. Ich wollte in die Welt der Geschichten meiner Kindheit eintauchen. In die Welt der Vampire, düsteren Burgen und modrigen Verliese. Auch wenn ich wusste, dass das ins Reich der Fantasie gehörte, hatte ich gehofft, mich zumindest dem wahren Kern dieser Erzählungen zu nähern.

Nun musste ich einsehen, dass es da wohl nichts mehr gab. Natürlich hatte es einmal Personen, Mythen und Riten gegeben, auf denen diese Geschichten beruhten.

Was diese Zeiten überdauert hatte, war von Tourismus und Schaulustigen bis zur Unkenntlichkeit verzerrt und entstellt worden.

Ich wollte niemandem einen Vorwurf machen. Ich wusste, dass es in diesem Land viele Menschen gab, die damit ein gutes Geschäft machten. Mancher war auf diese Weise der blanken Armut entkommen. Für mich war es trotzdem eine Enttäuschung.

Wieder einmal fühlte ich mich als kleiner, dummer Junge, der erfuhr, dass die Träume seiner Kindheit nur Hirngespinste waren. Dann fiel mein Blick auf jemanden, dem es scheinbar ähnlich ging wie mir.

Ein ganzes Stück abseits von den Feiernden lehnte ein Mädchen an den Resten einer Mauer. Sie kritzelte auf einem Schreibblock herum. Der Lärm schien sie kaum abzulenken. Neugierig ging ich auf das Mädchen zu. Beim Näherkommen sah ich, dass sie ihr dunkelbraunes Haar zu einem praktischen Knoten zusammen gebunden hatte, passend zu ihrer sportlichen Kleidung. Für einen Ausflug in die Katakomben wirkte sie angemessen angezogen. Ihre dunklen, fast schwarzen Augen folgten der Bewegung ihres Stiftes über das Papier, als würde sie sich bei jedem Strich die allergrößte Mühe geben. Ich war wirklich neugierig auf sie.

„Hey, was machst du da?“

Als Antwort bekam ich nur einen misstrauischen Blick. Wahrscheinlich hielt sie mich für jemanden, der sie anbaggern wollte.

„Ich meine, weil du genau wie ich keine große Lust auf die Party zu haben scheinst. Mich interessiert der Grund dafür.“

Das hatte sich wahrscheinlich so unsicher angehört, dass mir das Mädchen die Begründung abkaufte. Zumindest fuhr sie mich nicht gleich an oder ließ mich einfach stehen.

„Der Grund ist, dass ich überhaupt nicht vorhatte, auf diese Party zu gehen“, erklärte sie und drehte ihren Block um. Sie zeigte mir, was sie darauf gezeichnet hatte.

Ich war beeindruckt. Es war zwar nur eine Bleistiftskizze, aber sehr detailliert und sorgfältig. Das Mädchen hatte die Heiligenfiguren der Gruft abgezeichnet.

Auch wenn ich es nicht wirklich beurteilen konnte, sie musste über großes Talent und Detail- und einiges an Fachwissen verfügen.

„Das sieht ja klasse aus!“ Ich war ehrlich beeindruckt. „Du musst dich richtig gut mit diesem alten Gemäuer auskennen. Entschuldigung, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Malcolm Larson.“

Das Mädchen sah mich nun etwas offener an. „Ich heiße Chloe Smith. Ich kenne mich mit alten Bauwerken aus, weil ich Architekturgeschichte studiere.“

„Du bist schon auf der Uni?“, fragte ich. Das überraschte mich. Mein Studium würde erst in einigen Monaten beginnen. Chloe erschien mir etwas jünger als ich. Ich fragte mich, wie alt sie wirklich war. Sie einfach direkt zu fragen, kam mir unhöflich vor. „Und in welchem Semester bist du?“, fragte ich stattdessen.

„Erst im zweiten“, erwiderte das Mädchen. „Ich nehme mir gerade eine Auszeit, um mir die bedeutendsten Bauwerke Europas selber anschauen zu können, anstatt nur darüber zu lesen.“

Im zweiten Semester … Dachte ich. Dann ist sie ja gar nicht so viel älter ...

Chloe grinste mich an. „Du hast geglaubt, dass ich jünger als du bin, oder?“

„Nein, gar nicht!“, log ich schnell.

Chloe grinste frech. „Ich werde öfter für jünger gehalten. Das bin ich schon gewohnt. Mach dir keine Gedanken.“

Ich versuchte, mir diesen Vorschlag zu Herzen zu nehmen. Trotzdem war es mir irgendwie peinlich. Um das zu überspielen, versuchte ich, das Thema zu wechseln.

„Du hast gesagt, dass du dir die bedeutendsten Bauwerke Europas ansehen möchtest. Bis vor Kurzem habe ich noch nie etwas von Piatra moartă gehört. So bedeutend kann die Stadt also nicht sein.“

Chloe runzelte die Stirn, sie schien mir diese Bemerkung übel zu nehmen. Dann kam sie wohl zu dem Schluss, dass meine Frage berechtigt war. „Weißt du, es ist so ...“, begann sie.

Bevor sie mir Näheres erklären konnte, wurde der Lärm der Feiernden plötzlich lauter. Als ich mich zu ihnen umsah, erkannte ich, dass einer der Leute auf einen der Sarkophage geklettert war. Wahrscheinlich unter Alkoholeinfluss hatte er begonnen, darauf zu tanzen. Dabei wurde er von der berauschten Menge angefeuert.

„Wollen wir vielleicht woanders hingehen?“, fragte ich. „Ich meine, irgendwohin, wo es leiser ist?“

„Ja, gerne“, erwiderte Chloe. „Ich bin hier sowieso fertig.“

Sie klappte ihren Zeichenblock zu und steckte ihn zusammen mit ihren Stiften in eine Tasche. „So, ich bin bereit! Lass uns gehen.“

Ich zögerte kurz wegen Reginald, doch der war glücklich, wie es schien, und ich war so angetan von Chloe, dass ich den Gedanken an ihn verdrängte und ihr folgte.

Wir verließen die Halle und bogen in einen der Tunnel ein. Je weiter wir uns von den Feiernden entfernten, um so leiser wurde es. Die Mischung aus Musik und grölenden Stimmen blieb aber immer ein Hintergrundrauschen. Chloe kannte sich offenbar in den Gewölben aus. Sie schritt zielsicher voran, scheinbar ohne wirklich darüber nachzudenken zu müssen. Zum Glück hatte sie wenigstens eine Lampe dabei.

Ich musste einsehen, dass ich mich nicht gut auf meinen Ausflug vorbereitet hatte. „Also, um auf die Bedeutung dieser Katakomben zurückzukommen“, unterbrach Chloe meine Gedanken. „Du hast schon recht. In der Fachwelt sind die Katakomben weitgehend unbekannt. Obwohl ihre Geschichte ziemlich aufregend ist.“

„Wirklich?“ Vielleicht würde es ja doch noch etwas mit einer authentischen Vampirgeschichte.

„Diese Katakomben gehörten früher zu einem Kloster. Es wurde vor über tausend Jahren gegründet und stand in dem Ruf, die perfekte Begräbnisstätte zu sein. Wie es dazu kam, ist nicht ganz geklärt. Vielleicht sprach sich herum, dass die Gebete der gottgefälligen Mönche besonders fromm waren. Man hoffte, somit sicherer in den Himmel zu kommen, wenn man hier bestattet wurde.

Besonderes viele Adelsfamilien hatten in diesen Katakomben ihre Grabmäler. Für das Privileg, an diesem Ort beerdigt zu werden, musste man eine großzügige Spende an das Kloster zahlen. Es kamen im Laufe der Jahre so viele Bestattungen zusammen, dass der Friedhof überfüllt war. Es musste eine Lösung her. Man begann die Gräber zu öffnen und die Knochen in die Katakomben einzulagern.“

„Ja, die Knochenhaufen habe ich auf den Weg hierher gesehen“, erwiderte ich und ein leichtes Schauern zog sich dabei über meinen Rücken.

„Dann weißt du ja, wovon ich rede. Die Knochen der Verstorbenen in den Katakomben sind teilweise mehrere hundert Jahre alt. Einige von ihnen waren einmal wirklich einflussreiche Personen. Irgendwann geriet das alles jedoch in Vergessenheit.“

„Wieso? Was ist passiert?“, wollte ich wissen.

„Die Osmanen“, sprach Chloe mit ernster Stimme. „Als sie in dieses Land einfielen, plünderten und brandschatzten sie auch die gesamte Klosteranlage und entweihten sie dadurch. Die Mönche wurden getötet oder verschleppt. Von der Abtei blieben nur diese Katakomben und die Kathedrale über uns.“

„Moment mal, meinst du die Kathedrale im Zentrum von Piatra moartă?“, fragte ich. „Die sieht zwar ziemlich zerfallen aus. Aber nicht so, als wäre sie vor Jahrhunderten von Osmanen geplündert worden.“

„Da hast du recht“, stimmte mir Chloe zu. „Die Kathedrale wurde wieder aufgebaut, im Gegensatz zum Rest des Klosters. Und zwar von den Siebenbürger Sachsen, die sich hier lange nach dem Untergang des Klosters ansiedelten.“

„Siebenbürger Sachsen?“ Ich wühlte in meinen Erinnerungsschätzen aus der Schulzeit. „Waren das nicht irgendwelche Leute aus Frankreich? Die irgendwann hierher nach Rumänien gekommen sind?“

„Nicht aus Frankreich, aus Deutschland“, korrigierte mich Chloe. „Die Siebenbürger Sachsen haben diese Region stark geprägt. Sie bauten die Kirche wieder auf und dann die Stadt um diese herum. So entstand Piatra moartă. Beim Bau ihrer Häuser stießen sie natürlich auch auf die Fundamente des Klosters und auf die Katakomben. Du kannst dir vorstellen, wie beängstigend es für diese einfachen Menschen gewesen sein muss, diese Tunnel voller Knochen zu entdecken.“

Das konnte ich mir sogar sehr gut vorstellen. Schließlich hatte ich selbst erst vor Kurzem die Bekanntschaft mit den grausigen Knochenskulpturen gemacht. Zumindest hatte ich geahnt, was mich erwarten würde. Die Menschen der damaligen Zeit, die wahrscheinlich um einiges abergläubischer und ungebildeter gewesen waren, hatte der Anblick wohl wesentlich mehr verstört.

„Für die Leute muss es gewesen sein, als hätten sie das Tor zur Hölle geöffnet. Obwohl der Tod damals eine viel größere Rolle im Alltag der Leute gespielt hat als heute. Was sollten sie machen? Der Bau der Stadt war bereits weit fortgeschritten. Die Siebenbürger Sachsen konnten sich nicht einfach irgendwo sonst ansiedeln. Sie entschlossen sich, alle Zugänge in die Katakomben zu verschließen und nicht mehr davon zu reden. Erneut gerieten die Katakomben in Vergessenheit. Zumindest für eine Weile. Da die Stadt genau über den Gewölben lag, waren fast alle Häuser über ihre Keller damit verbunden. Manchmal gingen Keller und Katakomben direkt ineinander über. Sie waren nur durch eine einfache Mauer voneinander getrennt. Das war praktisch eine Einladung für zwielichtiges Gesindel aller Art.“

„Du meinst Einbrecher?“, fragte ich.

„Zum Beispiel!“, bestätigte Chloe. „Außerdem Schmuggler, Hehler und Schwarzbrenner. Damals begann für Piatra moartă eine düstere Zeit. Die Bevölkerungszahl sank immer weiter. Das Ende für die Stadt kam, als vor einigen Jahren die Siebenbürger Sachsen fast völlig verschwanden und nach Deutschland zurücksiedelten. Seitdem leben in Piatra moartă nicht einmal mehr hundert Menschen.“

„Vielleicht ändert das sich ja, wenn du deine Forschungen von hier veröffentlichst?“

Chloe lächelte schwach über meinen Vorschlag.

„Ich glaube nicht, dass irgendjemand großen Wert auf die Erkenntnisse einer einfachen Studentin legt. Wenn ich meinen Doktor schon in der Tasche hätte, wäre das vielleicht etwas anderes. Aber so werden meine Aufzeichnungen nur eine Erinnerung an meinen Ausflug hier sein. Als eine der Pioniere der Architekturgeschichte, die hier geforscht hat.“

„Wie meinst du das?“, fragte ich.

„Weißt du, heutzutage ist die Erforschung alter Gebäude eine ziemlich moderne Angelegenheit“, erklärte mir Chloe. „Mit Computern werden 3D Modelle der Gebäude entworfen. Dank moderner Technik, wie Sonden und anderer technischer Hilfsmittel, kann das Alter und die Geschichte eines Bauwerkes aufs Genaueste bestimmt werden. Und zwar ohne, dass die Forscher jemals an den historischen Orten waren. Früher mussten die Fachleute für Altertümer manchmal wochenlang herumreisen, um die geschichtsträchtigen Gebäude überhaupt zu finden. Dann galt es, mit dem bloßem Auge Einzelheiten zu erkennen, die auf Alter und Bauweise schließen lassen. Die chemische Analyse steckte auch noch in den Kinderschuhen. Alle Aufzeichnungen wurden per Hand auf Papier festgehalten. Wenn dies beschädigt wurde oder verloren ging, war die Expedition praktisch gescheitert. Das machte die Forschung zwar um einiges beschwerlicher, aber die handgeschrieben Aufzeichnungen und Skizzen waren richtig wertvoll.“

„Ach, deswegen hast du diese Zeichnungen angefertigt.“

Chloe warf mir ein vergnügtes Lächeln zu. „Du merkst ja wirklich alles.“

Ich lächelte zurück. Wir sahen uns einen Moment lang an. Eine knisternde Stille breitete sich zwischen uns aus. Plötzlich wurde mir bewusst, dass die Feiernden gar nicht mehr zu hören waren. Die Musik dröhnte zwar noch durch das Gemäuer aber das Johlen und Lachen war verstummt. Ich war mir ziemlich sicher, das Partyvolk einen Moment zuvor noch gehört zu haben. Fast schien es, als hätten alle zusammen beschlossen, von jetzt auf gleich den Mund zu halten. Mich überkam ein ganz mieses Gefühl.

---ENDE DER LESEPROBE---