Die Reise nach Gardaron - Sascha Zurawczak - E-Book

Die Reise nach Gardaron E-Book

Sascha Zurawczak

4,8

Beschreibung

Bequemlichkeit und ein Hang zum Chaos zeichnen Kona aus. Gerade er soll die Menschheit vom Joch der Dämonen befreien? Die Legende besagt, er sei der wiedergeborene Herr der Unterwelt. Seinem Gegenspieler Zork, dem Gott der Schatten, ist kein Trick zu schmutzig. Die schlagkräftige Larina und der junge Zauberer Salan unterstützen Kona. Nicht zu vergessen sein treuer Hundefreund Zerberus, der im entscheidenden Moment eingreift. Gemeinsam machen sie sich auf nach Gardaron, dem Wohnsitz der Götter. Werden sie dort jemals ankommen?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 460

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,8 (18 Bewertungen)
14
4
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


In Erinnerung an meinen Freund Charly

1991 wurde Sascha Zurawczak in Bad Oldesloe geboren, einer Kleinstadt nördlich von Hamburg. Schon früh fiel er durch seine blühende Fantasie auf und man riet ihm, die vielen Geschichten aufzuschreiben, die er erzählte. Die besten Einfälle hat Sascha bei Fahrradtouren durch die schöne Natur Norddeutschlands. Bereits erschienen sind die „Lagrosiea Trilogie“ und der Fantasyroman „Die Wächter der Auserwählten“, natürlich auch im Genre Abenteuerfantasy.

Kontakt und weitere Infos:

Fantasy by Sascha Zurawczak

Wolkenweher Weg 34, 23843 Bad Oldesloe

Saschzurawczak-autor.jimdo.com

Für das schöne Cover geht

ein herzlicher Dank an Bonny Bendix.

INHALT

Der Herr der Unterwelt

Dankos Vermächtnis

Im Tempel der Morganen

Der graue Wald

Die Insel

Im Nest der Titanen

Die Ritterschaft

Die Weiße Flamme Gajas

Gardaron

Im Auftrag der Götter

DER HERR DER UNTERWELT

Der Wind pfiff über die staubige Straße und blies Kona ins Gesicht. Doch das störte ihn nur wenig. Der Kreatur, die ihm auf den Fersen war, würde es auch nichts ausmachen. Er blickte sich rasch um. Zwei Wege hatte er zur Auswahl. Der kürzere schlängelte sich durch einige Seitenstraßen. Der andere war länger und führte durch ein altes, halb zerfallenes Backsteingebäude. Es sah aus wie eine große Werkstatt für Metallverarbeitung. Kona entschied sich für den zweiten Weg. Hier war die Wahrscheinlichkeit, entdeckt zu werden, geringer. Der Junge kletterte durch das verlassene Gebäude und zeigte dabei eine Geschicklichkeit, die bei einem Zwölfjährigen erstaunte. Die endlosen Fluchten vor teuflischen Geschöpfen, die ihm schrecklichste Folter und Elend zufügen wollten, hatten ihn erfinderisch werden lassen. Kona erreichte das Dach des Gebäudes und sah nun auch das Ziel seiner Flucht, die Stadtmauer. Dort würde ihn niemand finden. Die meisten Bewohner mieden den Schutzwall. Sie hatten Angst vor dem, was dahinter lauerte. Die Wächter hatten sowieso nur Augen für größere Lebewesen. In einer der vielen Nischen und Ecken würde ihn niemand finden. Trotz allem war Kona sich sicher, dass seine Verfolgerin nicht lange von seiner meisterlichen Fluchtaktion beeindruckt sein würde. Wie eine Alptraumbestie würde sie seine Spur aufnehmen und ihn mit der Hartnäckigkeit eines Raubtieres verfolgen, bis einer von ihnen beiden tot war. Doch kampflos würde Kona sich nicht ergeben! Er durchquerte eine weitere Reihe von verlassenen und halb verfallenen Gebäuden. Dann stand er endlich vor ihr, vor der großen Mauer. Hier war nur wenig Betrieb. Der Grund war nicht allein die Angst vor der Welt dort draußen. Es gab hier weder Wohn-, noch öffentliche Gebäude. Nur die Kasernen der Bürgerwehr. Von den Wächtern war niemand zu sehen. Kona war alleine.

Nein, doch nicht ganz. Wenige Schritte von ihm entfernt kauerten zwei Gestalten, die sich ängstlich in eine Ecke zwängten. Es waren Silika und Groka, Konas Freunde. Außerdem seine Mitflüchtlinge und Mitverschwörer. Die beiden waren ein ungleiches Paar, sehr ungewöhnlich für Zwillingsgeschwister. Silika war ein kleines, zierliches Mädchen. Ihr Bruder Groka dagegen, trat ganz genau so groß und grimmig auf, wie sein Name klang. Beide hatten strohblonde Haare und graublaue Augen, wie sie in dieser Stadt verbreitet waren.

Das machte Kona schon zu einer Ausnahme, denn er hatte schwarze Haare und tatsächlich auch völlig schwarze Augen. Das wirkte auf viele Menschen abschreckend. Kona allerdings gefiel es, da es ihm einen mysteriösen Charme verlieh. Jetzt schwor er seine Verbündeten ein. „Wir haben es bis hierher geschafft und sie hat uns nicht gesehen. Alles läuft nach Plan!“ „Nein, tut es nicht!“, jammerte Silika. „Ich glaube, sie hat uns gesehen und ist uns gefolgt.“ „Ich glaube Sili hat recht“, brummte Groka. „Ich habe die verfluchte Nebelkrähe auch mindestens einmal ganz dicht hinter uns gesehen.“

Kona hatte nur ein mitleidiges Kopfschütteln für die Angst und die Dummheit seiner Freunde übrig. Sie waren voll und ganz von seinem besonderen und weitblickenden Talent als Anführer abhängig.

„Keine Sorge“, beruhigte er seine Schützlinge, „ich weiß, wie wir entkommen können.

Wir machen es folgendermaßen. In der Mauer gibt es genügend Abwasserschächte, in die wir hineinpassen und wo uns niemand findet.“ „Gibt es da Ratten?“, fürchtete sich Silika. „Keine Sorge“, brummte Kona und verdrehte die Augen. „Die Rohre sind so hoch gelegen, da gibt es keine Ratten, glaube ich jedenfalls. Groka geht zuerst in Richtung der Versorgungsschächte. Wenn so ein Riesenkerl nicht entdeckt wird, haben wir beide gute Chancen. Sobald alle bei den Abwasserrohren sind, tauchen wir dort unter, bis die Luft wieder rein ist. Verstanden?“ Seine Komplizen nickten. „Dann los!“

*

„Hab ich euch endlich!“, keifte eine triumphierende Stimme. Die Kinder erstarrten. Das Gekreische gehörte zu Idana Idoria, ihrer Lehrerin. „Silika und Groka von Assinga. Ich wusste doch, dass ich euch beide auf der Straße zur Stadtmauer gesehen habe. Und nicht auf dem Weg zur Schule, wo ihr hingehört. Und Kona Brocks ist natürlich der Anführer!“

Kona hasste es, mit seinem Nachnamen angesprochen zu werden. Dieser erfreute sich in der Stadt eines eher düsteren Ruhmes.

„Lehrerin Idoria“, erwiderte Kona in unschuldigem Ton, „was machen Sie denn

hier?“ „Ich erwische euch beim Schuleschwänzen! Wie du Schlauberger bestimmt schon erfasst hast. Und versuch nur nicht, dich heraus zu reden!“ „Schule?“, überlegte Kona laut. „War das denn heute?“

„Kona!“, schimpfte Idana.

„Es war so: Wir waren schon auf dem Weg zur Schule. Aber dann war das mit dem Weg komplizierter als wir dachten. Wir haben uns verlaufen …“

„Na, was für ein Glück, dass ihr mir begegnet seid“, erwiderte Idana grimmig. „Ich werde euch schon den schnellsten Weg zur Schule zeigen.“ „Aber …“, wagte Kona noch zu sagen. „Keine Widerrede, von keinem von euch! Mitkommen!“ Idana machte ihre Drohung tatsächlich wahr. In kürzester Zeit hatte sie mit ihren kleinlauten Gefangenen die menschenleeren Randgebiete der Stadt verlassen. Sie waren im Zentrum angelangt. Dort befanden sich, neben einem gut besuchten Marktplatz, auch die Stadthalle, das Hauptquartier der Bürgerwehr, das Rathaus und das schlimmste Gebäude von allen, die Schule, mit der großen Uhr über dem Eingang. Im Übrigen zeigte sie an, dass sie die Einrichtung fünf Minuten vor Schulbeginn erreicht hatten. „Hat ja wunderbar geklappt!“, maulte Groka böse. „Genau“, schmollte Silika. „Hast du noch mehr so gute Ideen zum Schwänzen? Dann sind wir morgen vielleicht noch früher da.“

„Seid doch nicht so undankbar! Wir können doch stolz sein, weil wir so weit gekommen sind. Beim nächsten Mal wissen wir, was wir besser machen können.“

„Wenn du in meinem Unterricht die gleiche Motivation zeigen würdest, wie bei deinen Versuchen, dich vor dem Unterricht zu drücken“, knurrte Idana Idoria, „wärst du der Beste in der Klasse.“ Sie betraten die Schule und kurz darauf das Klassenzimmer, das bis auf drei Plätze in der hintersten Reihe komplett besetzt war.

„Setzt euch!“, befahl Idana und scheuchte Kona, Silika und Groka auf die freien Plätze.

„Also gut“, begann Idana Idoria ganz schulmeisterlich den Unterricht, „da wir es nun geschafft haben, alle pünktlich zu erscheinen, können wir mit dem Unterricht beginnen.“

Sie schritt auf die Tafel zu, klappte sie auf und offenbarte die Bilder, die dort aufgeklebt waren. Ein Stöhnen ging durch die Klasse. Diese Bilder kannten alle ganz genau. Es war ein Überblick über die wichtigsten Begebenheiten der Geschichte und der Mythologie der Menschheit. „Das ist ja wohl ein Witz!“, protestierte Kona. Auch die anderen Schüler wirkten frustriert. „Das Thema hatten wir schon drei Mal in diesem Halbjahr!“, meldete sich ein Junge in der zweiten Reihe, der zu den Klassenstrebern gehörte.

„Das mag sein“, gab Idana zu, „aber mir ist aufgefallen, dass dieser wichtigste Teil unserer Geschichte, nur bei den wenigsten von euch in Erinnerung geblieben ist. Deshalb werden wir noch einmal einen Vormittag nutzen, um unseren Wissensstand aufzubessern ...“ Idana räusperte sich. „Vor dem Entstehen dieser Welt, hat es in unserem Universum mächtige Urwesen der Schöpfung gegeben. Von unglaublicher Macht und Stärke. Diese Wesen sind uns als Götter bekannt ...“

Der Anfang dieses Vortrages mochte bei einigen Leuten einen schweren Eindruck machen. Weil dies jedoch der erste Absatz in den meisten ihrer Schulbücher war, löste er bei den Schülern nur ein müdes Gähnen aus. „…uns sind genau einhundert Götter bekannt. Deren einzelne Bedeutung, ihre Namen und ihre Einflüsse auf die Geschichte der Menschheit haben wir teilweise bereits durchgenommen. Was sie alle miteinander verbindet, ist folgende Überlieferung ...“ Sie wies auf eines der Bilder, das die Götter in Form von Götzen zeigte, die sich auf einer Art Sternenbanner anordneten. „…einst versammelten sich die Götter am Himmel, um zu klären, wer von ihnen der Stärkste und Größte war. Dafür sollte jeder von ihnen etwas nach eigener Wahl erschaffen. Derjenige, der das Beste und Großartigste schuf, sollte als der Erste unter ihnen gelten. Neunundneunzig der Götter taten ihr Bestes, um den Wettbewerb zu gewinnen. Jeder von ihnen wirkte ein Wunder, das alles vorher da gewesene übertraf. Dann trat der hundertste Gott vor. Das war Ranu, der Gott der Einheit. Ranu hatte nicht die Kraft, etwas zu erschaffen. Seine Macht bestand darin, alles und jeden zu vereinen. So einte er alle Wunder der Götter zu einem gemeinsamen Werk. Dadurch entstand unsere Welt. Als die anderen Götter sahen, was Ranu vollbracht hatte, erkannten sie, dass er das Großartigste erschaffen hatte und so wurde er zum Ersten der Götter ernannt.“

Ein Papierflieger sauste von einem Ende des Klassenzimmers zum anderen und war ein ziemlich guter Eindruck, von der Aufmerksamkeit der Schüler. Doch Idana ließ sich davon nicht beirren und fuhr munter fort, indem sie auf ein weiteres Bild deutete, auf dem die Götter die junge Welt mit allen möglichen Tieren, Pflanzen und Menschen bevölkerten. „Unter der Führung von Ranu, einten die Götter weiterhin ihre Macht und begannen die Erde mit einer Vielfalt von Leben und Naturwundern zu besiedeln. So wie wir sie heute kennen. Alle Götter arbeiteten zusammen, um den Kosmos zu erweitern. Doch einer von ihnen tat das nicht …“ Nun war sich Idana zum ersten Mal der Aufmerksamkeit der ganzen Klasse gewiss. Jeder wusste, was nun kam. „…Zork, König der Schatten!“

Der Name ließ die Schüler zusammen zucken. „Niemand wagte den Namen laut auszusprechen. Er war, wie sein Name verriet, Gebieter über alle Schatten. Da jeder und alles einen Schatten besaß, konnte Zork auch überall erscheinen und Unheil über den bringen, der ihn verärgerte. Er war das unheimliche Stöhnen in dunklen Gemäuern. Die teuflisch raunende Stimme, die des Nachts einzuflüstern versuchte, man solle erst sein Haus und dann sich selbst anzünden. Das Unbekannte, das jenseits des Lichts existierte. Alles, vor dem sich die Menschen fürchteten. Doch das war nicht der einzige Grund, weshalb man seinem Namen mit so viel Schrecken begegnete. Zork war eifersüchtig auf Ranus schnellen Aufstieg bei den Göttern. Vor ihm hatte Zork als der Größte unter ihnen gegolten. Er war fest entschlossen, diesen Rang zurück zu erobern und beschloss, Ranu zu beseitigen. Zork lockte Ranu in ein dunkles Tal, das von so hohen Bergen umgeben war, dass selbst bei Tag kein Sonnenlicht auf den Boden traf. Dort schlug er Ranu mit der Keule eines Giganten nieder. Als er vor ihm lag, zerstückelte er ihn in 385 Teile. Die verstreute er über die ganze Welt, sodass sie niemals wieder zusammengefügt werden sollten.

Als die anderen Götter sahen, was Zork getan hatte, stellten sie ihn zur Rede. Doch er verhöhnte sie nur und sprach, er habe nun bewiesen, dass er der Mächtigste sei. Als solchem würde es ihm zustehen, über das Schicksal der Schwächeren zu bestimmen. Entsetzt über Zorks Haltung, beschlossen die Götter, ihn aus ihren Reihen zu verbannen. So stießen sie ihn aus dem Himmel. Als Zork auf der Erde aufschlug, entstand ein gewaltiges Loch, welches von unserer Welt in die Unterwelt führte. Auch diese Dunkelheit wurde von Geschöpfen bevölkert, die einstmals von den Göttern erschaffen worden waren. Als sich jedoch ihr destruktives, bösartiges Wesen zeigte, waren sie verstoßen worden. Beherrscht wurde diese Gesellschaft von Rahnhamun, dem Herrn der Unterwelt …“ Dieser Name führte nicht annähernd zu dem Entsetzen in der Klasse, wie der von Zork. Der Grund dafür war, dass Rahnhamun zwar als böse galt, aber auch für Ordnung sorgte. Denn ihm wurde von den Göttern die Aufgabe übertragen, die Geschöpfe der Unterwelt daran zu hindern, zu entkommen und über die Welt herzufallen. Das hätte ihn eigentlich zu einer ehrenwerten Figur machen können. Wenn es nicht gelegentlich dazu gekommen wäre, dass er Menschen um ihre Seele betrog. Seine Höllenhunde holten den armen Tropf dann hinunter in die Unterwelt. „Rahnhamun war also jemand, den eigentlich keiner wollte, den man aber brauchte. Doch dazu später mehr. Nachdem Zork in die Unterwelt verbannt war, begannen die übrigen Götter die Welt allein zu führen. Es vergingen Jahrhunderte. Aus den Siedlungen der Menschen wurden größere Städte und bald entstanden die ersten Nationen, Königreiche und Republiken. Oft gab es Zwietracht zwischen den Völkern. Doch mit Hilfe der Götter konnten Kriege vermieden werden. So wurden die Staaten immer größer, stärker und reicher. Doch dieser Wohlstand sollte nicht ewig dauern, denn in den Tiefen der Unterwelt lauerte immer noch Zork. Im Exil plante er seine Rache. Er traf in der Unterwelt auf die dunkelsten seiner Schatten. Hier konnte ihr König sich wieder mit ihnen vereinen und hier reifte auch sein Plan. Sein erstes Hindernis war Rahnhamun. Er versperrte ihm den Weg zurück in die Welt. Also forderte er ihn zum Kampf heraus. Zwar war Rahnhamun in der Unterwelt stärker, doch Zork wandte einen heimtückischen Zaubertrick an, der Rahnhamun für wenige Augenblicke blendete. Diese wenigen Sekunden der Ablenkung nutzte Zork, um seinem Gegner die Klinge ins Herz zu stoßen. Bevor Rahnhamun jedoch starb, schwor er Rache. Eines Tages würde er aus dem Jenseits zurückkehren und Zork zu sich in die Verdammnis holen. Zork jedoch, hatte sein Ziel erreicht. Der Weg aus der Unterwelt war frei. Bevor er sie verließ, scharte er all seine Geschöpfe um sich. Er versprach, sie zu befreien, wenn sie ihm dafür ewige Treue schworen. Und das taten sie. So verließ Zork mit seinem neuen Gefolge sein Gefängnis und brachte die Plage über die Welt, die uns bis heute quält.“ Idana zeigte auf ein neues Bild, auf dem Zork mit einer Horde Dämonen aus einem tiefen Schlund aufsteigt und über die Welt herfällt. „Den Göttern entging das natürlich nicht und sie zogen in den Kampf, um Zork endgültig unschädlich zu machen. Bevor es jedoch zu diesem finalen Kampf zwischen Gut und Böse kam, nutzte Zork erneut die Macht der Intrige.

Wohnort der Götter, war die große Stadt Gardaron. Für Sterbliche unerreichbar, war dieser Ort eine Festung für die Götter. Zork kannte einen geheimen Zugang, der mitten ins Zentrum der Götterstadt führte. Er vollzog dort einen schwarzen Zauber. Mit einem Schlag verloren die Götter alle Lebenskraft und wurden zu Stein. So wurde Zork zum letzten der Götter, zum Herrscher der Welt. Seitdem fallen seine Dämonen über die Menschheit her. Viele Städte und Länder sind bereits untergegangen. Manche Menschen begannen Widerstand zu leisten. Die Armeen richteten ihre Waffen nun nicht mehr gegeneinander, sondern gegen die Bestien, die die Menschheit angriffen. In kleinen Städten bildeten sich Bürgerwehren, die aus tapferen Einheimischen bestehen. Sie haben in unserem Städtchen die Dämonen bis heute abgewehrt.

Dazu gibt es umherreisende Dämonenjäger, die alleine oder als Gruppen von Ort zu Ort ziehen, um da, wo sie gebraucht werden, gegen die Kreaturen zu kämpfen. Die berühmtesten Krieger sind eine Gruppe von Kämpfern, Zauberern und Persönlichkeiten mit außergewöhnlichen Fähigkeiten, die sich schlicht „Die Wächter“ nennen. Aber auch andere Gruppen haben Berühmtheit erreicht. Die Dämonen sind bisher noch nicht vollständig besiegt. Immer noch leiden weite Teile der Welt. Die Menschheit, ihre Kultur und ihre Werte haben jedoch überlebt. Damit das so bleibt, geht jeder von euch in die Schule! Auch wenn die Mauern und die Bürgerwehr diese Stadt beschützen, ihr seid unsere Zukunft. Es wird eure Aufgabe sein, das Wissen, das ihr hier erlernt, an die nächste Generation weiter zu geben. Eines Tages wird einer von euch hier vorne stehen und jungen, nach Wissen lechzenden Menschen diese Geschichte erzählen. Und das ist sehr schön!“

Idana Idoria war so sehr von ihrer eigenen Rede fasziniert, dass sie erst jetzt bemerkte, dass einige ihrer Schüler sich meldeten. „Ja, bitte“, sagte sie und wies auf einen bebrillten Schüler in der ersten Reihe.

„Ich habe nicht so richtig verstanden, was mit Zork passiert ist“, erklärte der Junge. „Was ist denn mit ihm geschehen, nachdem er Gardaron erobert hatte?“

„Das weiß niemand so ganz genau“, gab Idana zu. „Manche meinen, Zork würde immer noch in den Schatten der Welt lauern und nur darauf warten, bis er wieder jemanden ins Verderben ziehen kann. Andere behaupten, er würde ganze Massen von Dämonen anführen, in einem ewigen Krieg gegen die Menschheit. Und wieder andere sagen, dass Zork nun alles erreicht hatte, was er jemals wollte. Weil es für ihn nun nichts mehr gab, nach dem es sich zu streben lohnte, soll er jeden Lebenswillen verloren haben. Wirklich sicher ist nur, solange Zork über diese Welt herrscht, sind wir in Gefahr.“

„Was ist mit den sieben Gegenständen des Himmels?“, fragte jemand dazwischen.

„Das ist nur eine Legende!“, erwiderte Idana streng. „Aber es gehört wahrscheinlich wirklich zum Thema“, fuhr sie dann mit wesentlich sanfterer Stimme fort. „Wenn man der Legende glaubt, haben die Götter sieben Objekte geschaffen, die man die Sieben Gegenstände des Himmels nennt. Sie heißen:

Das Amulett des Krieges Der Kompass des Suchers Der Dolch des MördersDas Fernrohr des Sehers Die Sanduhr des EwigenDer Ring des Reisenden undDer Schlüssel des Heiligen

Jeder dieser Gegenstände hat seine eigene, besondere Fähigkeit. Wenn ein Mensch ihn in seinen Besitz bekommt, erlangt er übermenschliche Kräfte. Die Götter sollen diese Gegenstände erschaffen haben, um in die Machtverhältnisse auf der Erde eingreifen zu können. Auch wenn sie allmächtig waren, konnten sie sich nicht über den freien Willen der weltlichen Herrscher erheben. Sie schufen diese Objekte, um eine Verbindung zwischen sich und den Menschen zu bewahren. Es ist besonders interessant, dass die Götter einen Teil ihrer eigenen Lebenskraft in die Gegenstände einfügten. Rein theoretisch …, wenn jemand alle sieben Gegenstände zusammentragen würde … Wozu man sagen muss, dass diese seit langer Zeit verschwunden sind. Und selbst wenn man sie auftreiben könnte, man müsste sie nach Gardaron, zu den steinernen Überresten der Götter bringen … Wahrscheinlich ein unmögliches Unterfangen … dann die Gegenstände in einem speziellen Ritual zerstören. Das soll, wenn die Legende stimmt, die Lebenskraft der Götter befreien.

Sie wären also wieder zum Leben erweckt.“

„Dann könnten sie Zork sagen, was sie von ihm halten und ihn auf direktem Weg zurück in die Unterwelt schicken!“, gluckste ein dicklicher Junge in der Mitte selbstgefällig.

„Und warum verschwenden wir hier unsere Zeit und verschanzen uns in der Stadt?“, fragte ein Mädchen empört. „Wieso versucht niemand aus unserer tollen Bürgerwehr die Gegenstände zu finden?“

„Niemand weiß, wo sie sich befinden“, erinnerte Idana Idoria, in schulmeisterlichem Ton. „Eine Suche wäre ein Himmelfahrtskommando. Außerdem ist eine Legende eben eine Legende!“

„Jede Legende hat einen wahren Kern“, warf ein weiterer Schüler ein, „zumindest eine Suche in historischen Schriften und alten Aufzeichnungen würde Sinn ergeben.“

Mehrere Schüler begannen nun auf ihre Lehrerin einzureden, um ihre persönliche Meinung zu den sieben Gegenständen des Himmels kundzutun. „Genug!“, befahl Idana schließlich, als ihr die Zurufe zu viel wurden.

„Holt eure Hefte raus. Wir schreiben ein

Diktat!“ Die folgenden Stunden vergingen mit den üblichen Quälereien, die der Lehrplan für gewöhnlich vorsah. Dem Diktat folgte eine Reihe von schier unlösbaren Mathematikaufgaben. Dann Erdkunde, eines der sinnlosesten Fächer, da wohl nur die wenigsten von ihnen die Stadt je verlassen würden und dann geographische Kenntnisse von Nöten waren. Als das überstanden war, folgten zwei Stunden Dämonenkunde, in denen sie lernten, wie man die einzelnen Arten erkannte, besiegte oder ihnen entkam.

*

Das hätte Kona für einen Tag völlig ausgereicht. Doch mit dem Schulschluss war keine Erlösung in Sicht. Nun spürte er die Rache der Idana Idoria. Diese hatte seinen missglückten Versuch zu schwänzen nicht vergessen und ihn mit der schlimmsten Strafe belegt, die je von der Menschheit erdacht und vollstreckt worden war. Nachsitzen!

Ich darf nicht schwänzen, ich darf nicht schwänzen, ich darf nicht sch … Kona ließ frustriert seinen Stift fallen, mit dem er diesen Satz gefühlte eine Million Mal auf seinen Block geschrieben hatte. „Könnte ich nicht wenigstens einen originelleren Satz bekommen?“, fragte Kona Idana, die seine Bestrafung beaufsichtigte.

„Der Standartsatz reicht für dich vollkommen aus. Die Erfahrung zeigt, dass einfache Sätze dem Schreibenden mehr zusetzen, als anspruchsvolle Texte“, erwiderte Idana sachlich. „Also, schreib weiter!“

Kona hörte nicht auf sie, starrte nur wütend auf seine Schreibutensilien.

„Und warum muss ich so viel schreiben?“, maulte er, „Silika und Groka mussten den Satz nur hundert Mal schreiben. Ich bestimmt schon über tausend Mal! Dabei wollten die beiden auch schwänzen.“

„Aber du hast sie dazu angestiftet! Ohne deinen schlechten Einfluss, hätten sie es gar nicht erst versucht.“ Idana sah Kona böse an.

„Es ist wirklich eine Schande, dass du dein Talent für solchen Unfug missbrauchst! Und das, obwohl dein Familienname mit den größten Heldentaten unserer Stadt in Verbindung gebracht wird. Die besten Krieger der Bürgerwehr stammen aus der Familie Brocks, genau wie deine Eltern. Was würden sie sagen, wenn sie dich hier sehen würden?“

„Meine Eltern sind im Kampf gegen die Dämonen gestorben!“, erwiderte Kona trotzig.

„Ich muss nur nachsitzen. Also habe ich es definitiv besser gemacht.“

„Deiner Familie wird großer Respekt entgegengebracht. Und du tust alles, um diesen guten Ruf zu zerstören!“

„Da ich der einzige Überlebende meiner Familie bin, glaube ich nicht, dass das jemanden stören wird.“

„Und was wird sein, wenn du eines Tages das Erbe deiner Familie antreten willst?“

„Und ebenfalls ein großer Verteidiger dieser Stadt werde?“ Kona grinste bitter. „Ein Held werden, der von allen bewundert wird? Der aber nichts davon hat, weil er nun mal leider tot ist? Nein danke! Jeder Faulenzer hat mehr vom Leben, als jemand, der durch irgendein Abenteuer frühzeitig ins Gras beißt.“ Kona hatte schon halb mit einer Gardinenpredigt gerechnet, weil er das Heldentum so beleidigt hatte. Doch Idana sah ihn nur traurig an.

„Na schön“, meinte sie, „ich glaube die Bestrafung war ausreichend. Vielleicht ist die Botschaft angekommen. Du kannst jetzt gehen, Kona. Und sei morgen pünktlich.“

Kona war zu sehr überrascht, um noch eine spitze Bemerkung loszulassen. Schnell räumte er seine Sachen zusammen, um dann mit eingezogenem Kopf und misstrauischem Blick das Klassenzimmer zu verlassen. Er wusste nicht, dass er seine Lehrerin nie wieder sehen würde.

*

Zur gleichen Zeit vor der Stadt.

In einen schwarzen Mantel gehüllt, trat eine Person aus dem Schatten eines dunklen Tannenwaldes. Er grenzte dicht an umzäunte Felder. Die Person schaute zu den Abwehranlagen der Stadt. Mit Augen, die jetzt zu glitzern begannen. Sie waren verschiedenfarbig. Ein Auge war dunkel, fast schwarz. Der Schnitt war allerdings völlig normal. Das zweite Auge erschien bizarr in der Form und glänzte in einem hellgrauen Farbton, was unwillkürlich an einen Wolf denken ließ. Es verlieh dem Antlitz eine fast hypnotische Wirkung. Das scharf geschnittene Gesicht des Fremden unterstrich diesen Eindruck noch. Es ergab sich ein dämonisches Gesamtbild, was noch durch die pechschwarzen, bis zu den Schultern reichenden Haare betont wurde. Ein durchtriebenes Grinsen zog über sein Gesicht, als das Geschöpf sah, wie gewissenhaft die Stadt geschützt wurde. Die Mauern waren hoch und dick, selbst für fliegende Dämonen nur schwer zu überwinden. In den Mauern befanden sich Wachtürme, die mit Geschützen bestückt waren, welche die Flugmonster problemlos vom Himmel holen konnten. Selbst die Felder waren gesichert. Zwischen den Zäunen waren angespitzte Pfähle in den Boden gerammt, die jeden Angreifer aufspießen würden. Dadurch war die Versorgung der Stadt mit Nahrung gesichert. Nicht zuletzt, durch die bewaffneten Krieger, die dort Wache hielten. Man konnte sich also in dieser Stadt sicher sein. Die Bewohner hatten alles getan, um sich zu schützen. Um eine Zone des Friedens zu schaffen, in einer Welt, die vom Chaos verschlungen wurde. Wahrscheinlich würde diese Stadt noch hundert Jahre fortbestehen … Wenn es nicht zu einem Angriff eines wirklich mächtigen Dämons käme. Genau das stand dieser Stadt nun bevor. Der Fremde zog sein Schwert und überlegte, ob er sofort losschlagen solle. Dann besann er sich und steckte seine Waffe, deren Knauf ein Rubin in Form eines Auges zierte, wieder in die Scheide. Es war besser, bis zum Einbruch der Dunkelheit zu warten.

*

Kona hatte inzwischen sein Domizil erreicht. Es wurde von der Stadt finanziert, für Kinder, deren Eltern bei Angriffen von Dämonen umgekommen waren. Eine gängige Bezeichnung dafür war: Der stadteigene Kinderknast. Eigentlich war nicht zu erwarten, dass sich Kona, nach all den Jahren, noch erinnern konnte, was seinen Eltern damals geschehen war. Doch dem war nicht so. Immer noch hatte er die Bilder vor Augen, wie Dämonen in das Haus seiner Familie eingedrungen waren. Obwohl seine Eltern tapfer gekämpft hatten, waren sie der Übermacht nicht gewachsen. Sie waren tapfer und sind gestorben. Irgendwie wird da nie ein Zusammenhang gesehen. Es gab noch etwas anderes, an das er sich erinnerte. Ein Feuer, unglaublich heiß. Ihm konnte es nichts anhaben. Sämtliche Dämonen wurden jedoch davon vernichtet. Am nächsten Morgen fand man ihn als einzigen Überlebenden in den Trümmern des Hauses. Abgesehen von einigen Prellungen und blauen Flecken, war er vollkommen unverletzt. Manche hatten das als Zeichen gesehen, dass Kona von einer höheren Macht gerettet worden war, die ihm übermenschliche Kräfte verlieh. Damit sollte er nun große Taten vollbringen. Ein Prophezeiung, die sich jedoch nie erfüllte.

Seufzend betrat Kona das Heim. Der Empfangsraum war zwar alt und mit einfachen Möbeln ausgestattet, aber blitzsauber und geschmackvoll eingerichtet. Hier hatte jemand das Beste aus den Gegebenheiten herausgeholt. In der Mitte lag ein großer Teppich. Vier Kleinkinder saßen darauf und streichelten hingebungsvoll einen Hund. Der streckte erschöpft alle Pfoten von sich. Ein kleines Mädchen entdeckte Kona und sprang begeistert auf. „Kona ist wieder da!“ „Klasse!“, rief ein Junge, „spielst du mit uns Dämonen und Jäger? Wir wollten eigentlich mit Niepie spielen“, er wies auf die ältere Labradorhündin, „aber sie ist noch so traurig, weil alle ihre Welpen ein neues Zuhause gefunden haben.“

Tatsächlich hatte Niepie, das Haushundemädchen, vor einigen Wochen überraschend noch einen Wurf bekommen, obwohl sie nicht mehr die Jüngste war. Die Welpen, bei bester Gesundheit und alt genug, waren neuen Besitzern übergeben worden. Einen Welpen jedoch waren sie nicht losgeworden. „Was ist denn mit Zerberus?“, fragte Kona die Kleinen, „den wollte doch niemand haben.“

„Ja, aber man kann ihn nicht mit Niepie allein lassen, meint jedenfalls Aniel. Er ist einfach zu wild. Deshalb wollte ihn auch niemand nehmen. Übrigens, Aniel wollte mit dir sprechen. Ich glaube, es ging ums Schwänzen oder so ...“

„Oh, danke, ich werde mich darum kümmern“, erwiderte Kona und flitzte die Treppe hinauf. Er hatte keine Lust auf Aniel, den eher rauen, als herzlichen Heimleiter, mit dem er sich praktisch seit dem ersten Tag Wortgefechte lieferte. Aniel würde seinen Versuch zu schwänzen nicht als Dummejungenstreich abtun und ihn hart bestrafen. Kona sah noch eine kleine Chance, dem zu entkommen. Wenn er es schaffte, still und leise im Gewirr der Zimmer und Flure unterzutauchen, hätte Aniel die Missetat vielleicht bald vergessen und würde ihn in Ruhe lassen. Aber der Junge konnte keinen Schritt tun, ohne sich eine lautstarke Lästerei seiner Mitbewohner anzuhören zu müssen. „Hey, Kona, wie war’s denn heute in der Schule? Hab gehört, du warst heute besonders pünktlich. Schwänzen sieht aber anders aus!“ „Kona ist ein Trottel!“ Dann dröhnte es ihm auch schon grantig entgegen: „Kona! Wo ist Kona?! Dem reiße ich den Kopf ab!“ Kona versuchte sich zu verstecken. Doch die anderen Jungs teilten dem Heimleiter vergnüglich mit, wohin er verschwunden war. Aniel hatte ihn schnell gefunden. Er sah aus, als hätte er komplett die Beherrschung verloren. Alle Adern an seinem Hals pulsierten und seine Augen blitzten. Kona hatte den Verdacht, dass das, was da aus seinem Mund spritzte, kein Speichel war sondern Säure. „Kona, komm sofort mit!“ Aniel packte Kona unsanft an der Schulter und zerrte ihn mit sich. „Da sieht man es wieder einmal“, rief der Junge trotzig, „erzieherische Unfähigkeit wird durch Gewalt wettmacht.“ „Halt die Klappe, Kona! Sonst kriegst du erst recht was auf den Deckel!“

„Da, seht ihr die Gewalt, mit der Aniel von seiner Unfähigkeit ablenkt?“, reizte Kona in Richtung seiner Mitbewohner. „Den Quatsch kannst du dir sparen“, fauchte Aniel „Dir wird keiner helfen.“ Er bugsierte Kona in Richtung seines Büros. „Hilfe, Hilfe! Ich werde körperlich und seelisch schikaniert!“, jaulte Kona noch, dann klappte die Bürotür hinter ihm zu.

Aniels Büro war klein. Nur ein Tisch, zwei Stühle und ein Aktenschrank hatten Platz darin. In der Ecke stand ein Hundekorb, in dem Niepie des Nachts schlief. Im Moment schlummerte dort Zerberus, Niepies Welpe. Er sprang alarmiert auf, als die beiden Menschen hereinplatzten.

„Setz dich!“, befahl Aniel und wies auf den unbequemeren der zwei Stühle. Kona überlegte kurz, welche Chance ihm jetzt noch blieb. Die Antwort war klar: Gar keine. Also setzte er sich, bereit Aniels Zorn auf sich herabprasseln zu lassen. „Diesmal bist du zu weit gegangen“, behauptete Aniel, mit dem strengen Blick eines unerbittlichen Richters.

„Ach, komm schon“, beschwichtigte Kona, „ich habe schon schlimmere Dinge getan als zu schwänzen.“ „Aber zum zehnten Mal in diesem Monat! Dazu kommt noch, dass du dich ständig vor deinen häuslichen Pflichten drückst! Und dein dauernder Missbrauch von Hauseigentum, die Diebstähle aus der Speisekammer, sogar Stühle hast du zerlegt.“

„Ich wollte mir nur einen vernünftigen Liegestuhl basteln!“ „Lenk jetzt nicht ab!“, polterte Aniel ungerührt weiter. „Allein in den letzten vier Wochen hast du mehr Ärger gemacht, als die anderen im ganzen letzten Jahr. Die Stadtverwaltung hat mir Drohbriefe wegen dir geschickt! Wenn ich es nicht schaffe, meine Unruhestifter in den Griff zu bekommen, mit anderen Worten dich, wird man meinen Posten neu vergeben.“

„Das ist ernst“, gab Kona zu. „Aber seit wann hat die Stadtverwaltung Einfluss darauf, wer hier das Sagen hat?“

„Sie machen ihre Drohung wahrscheinlich nicht wahr, aber sie können mir gewaltigen Ärger bereiten. Und auf Ärger habe ich keine Lust! Nur weil du dich nicht zusammenreißen kannst! Damit ich mir das in Zukunft erspare, wirst du jetzt auf Linie gebracht! Du wirst in den nächsten Monaten keinen Schritt tun, ohne dass ich davon weiß. Du verlässt das Haus nur, um in die Schule zu gehen. Und ich werde überwachen, ob du wirklich in die Schule gehst! Wenn die Schule vorbei ist, kommst du sofort wieder hierher. Da du also in nächster Zukunft sehr viel Zeit hier im Haus verbringst, werde ich dafür sorgen, dass du auch genug zu tun hast. Du wirst bei jedem einzelnen Haushaltsdienst eingesetzt. Das wird solange durchgezogen, bis ich mir sicher bin, dass du die Lektion gelernt hast. Die Bestrafung gilt ab sofort und zwar …“ Aniels abschließenden Worte wurden von einem unangenehmen Geräusch übertönt, das Kona und jeder andere in der Stadt kannte und fürchtete. Die Alarmsirenen der Wachposten. Die Stadt wurde von Dämonen angegriffen!

„Na toll“, knurrte Aniel, „kaum hat man den einen Plagegeist abgefertigt, tauchen die nächsten auf.“ Er ging zum Aktenschrank und betätigte den Mechanismus, der das Geheimfach dahinter freigab. Dort bewahrte Aniel seine Waffen auf. Er nahm sich eine Axt, ein Schwert von außergewöhnlichen Ausmaßen und rundete das Ganze noch mit einer Kette ab, an der ein Morgenstern hing. Aniel warf sich die Ausrüstung über die Schulter und wandte sich an Kona. „Das Gespräch setzen wir fort, wenn sich die Lage beruhigt hat. Geh du mit den anderen in den Schutzraum, während ich den Kriegern der Bürgerwehr helfe. Ach, und nimm den Hund mit.“ Mit geschulterten Waffen verließ Aniel den Raum. Erst da begriff Kona seine Situation. Der kleine Welpe war durch das Schrillen der Sirenen ganz aus dem Häuschen. Kona war nun für dieses hilflose Geschöpf verantwortlich. Damit wurde ihm vom Schicksal eine weitere, lästige Aufgabe auferlegt. Aber jetzt war keine Zeit, darüber nachzugrübeln. Alles musste schnell gehen. Er nahm den völlig verstörten Hund auf den Arm und ging auf den menschenleeren Flur hinaus. Die Kinder des Heimes waren diszipliniert. Niemand geriet beim Ertönen der Sirenen in Panik. Jeder wusste, was zu tun war. Zügig und im Gleichschritt suchten sie im hauseigenen Schutzraum Zuflucht. Es wurde keine Zeit damit verschwendet, irgendwelche Lieblingsspielzeuge mitzunehmen. Jedes Kind wusste, Dinge konnte man ersetzen, Menschenleben jedoch nicht. Wahrscheinlich war Kona der einzige, der noch nicht im Schutzraum eingetroffen war. Schnell nahm der Junge den zitternden, kleinen Hund auf den Arm und brachte sich in Sicherheit. In seiner Neugier ließ er es sich jedoch nicht nehmen, wenigstens einen Blick auf die Dämonen zu werfen. Er trat an eines der Fenster und erstarrte. Die Stadt wurde nicht von vielen, sondern nur von einem einzigen Dämon angegriffen. Das war kein gewöhnliches Monster. Kona erblickte eine Schlange von gewaltigen Ausmaßen, mit drei Köpfen. Ihre Mäuler spien flüssiges Feuer und das Ungeheuer schien unaufhörlich zu wachsen! Dann bemerkte Kona, dass er einer optischen Täuschung erlegen war. Sie wurde nicht größer, sie kam nur immer näher. Offenbar direkt auf das Kinderheim zu! Das grausige Geschöpf hatte offenbar vor, das Haus einfach niederzuwalzen. Kona überlegte nicht lange, versuchte sich in Deckung zu bringen. Gerade noch rechtzeitig schaffte er es, unter eine stabile Fenstereinfassung zu springen, als das Biest auch schon begann, mit allen drei mächtigen Hälsen gleichzeitig auf das Haus einzuschlagen. Dach und Wände barsten. Kona wurde von einer Welle aus Schutt und Holzsplittern aus den Mauern gedrückt, die ihn bis jetzt geschützt hatten. Instinktiv schloss er den kleinen Hund noch fester in die Arme, um ihn zu sichern. Als Kona von einer weiteren Trümmerlawine endgültig nach draußen geschleudert wurde, wäre er beinahe lebendig begraben gewesen. Wundersamerweise landete er jedoch nicht inmitten des Trümmerfeldes, sondern etwas abseits davon. Die Prellungen und Schürfwunden waren zwar unangenehm, aber zumindest war er nicht tot. Noch war der Junge aber nicht außer Gefahr. Schon wieder holte die Schlange mit ihren drei Hälsen zum Schlag aus. Trotz der Schmerzen, zwang sich Kona auf die Füße und begann zu rennen. Die Verwüstung ließ nicht lange auf sich warten. Diesmal spie die Angreiferin ihre flammende Säure auf die Reste des Hauses. Zuerst sah die Flüssigkeit wie dunkles Blut aus. Als sie jedoch auf die Trümmer traf, fingen sie Feuer. Die Reste des Hauses wurden in ein flammendes Inferno verwandelt. Egal, ob in einem Schutzraum oder nicht, in dieser Feuersbrunst konnte niemand überlebt haben. Panisch floh Kona und erreichte die Hauptstraße, die schon von beißendem Rauch eingehüllt war. Wird er ausreichen, um mich vor der Schlange zu verbergen? Wird sie mich finden und umbringen? Was kann mich jetzt noch retten?

Als Kona noch verzweifelt grübelte, bemerkte er, wie sich ihm eine Gestalt näherte.

Eine menschliche Gestalt. War es ein weiterer Überlebender? Oder war es ein Mitglied der Bürgerwehr, der Kona zu Hilfe kam? Doch nein, der Unbekannte bewegte sich nicht wie ein verschreckter Stadtbewohner oder wie ein kampfbereiter Krieger der Bürgerwehr. Dieser Fremde bewegte sich so sorglos, als würde er den Angriff der Bestie gar nicht als Gefahr sehen. Es war eine düstere Gestalt, die ein blitzendes Schwert in der Hand trug. Das Auffallendste an der Person waren die verschiedenfarbigen Augen. Sie wirkte direkt hypnotisch auf Kona. Er meinte für einen Moment, eine Dämonenfratzte hinter dem menschlichen Gesicht hervorblitzen zu sehen. Das muss eine optische Täuschung sein, beschloss Kona. Wegen meiner Verletzungen und dem Rauch.

„Schwächlicher Mensch!“, sprach ihn der Fremde an. „Ihr scheint die gleichen Eigenschaften wie Insekten zu haben. Tummelt euch wie Schaben zu Tausenden an einem Ort. Doch wenn man versucht, euch zu zerquetschen, schaffen es immer noch ein paar zu entkommen.“ Der Spinner hat doch tatsächlich den Knall nicht gehört, dachte Kona. Bemerkt er denn das Riesenmonster nicht, das ihn gleich zermalmen wird? Anstatt sich zur Wehr zu setzen, stellt er philosophische Vergleiche zwischen Menschen und niederen Krabbeltieren auf. Kona hatte es offensichtlich mit einem Verrückten zu tun. Er beschloss zu verschwinden und die Kreatur samt ihrer Zerstörungswut hinter sich zu lassen. Wenn es den Irren hier erwischen würde, konnte man Kona sicher nicht dafür verantwortlich machen. Während er das alles bedachte, sah er aus den Augenwinkeln, wie der Fremde mit dem Schwert ausholte und blitzschnell nach ihm schlug. Kona war jetzt total panisch. Ihm wurde gar nicht richtig bewusst, dass er intuitiv noch schneller reagierte. Mit übermenschlicher Geschwindigkeit sprang er zur Seite. Die Klinge sauste in sicherem Abstand an seinem Kopf vorbei. Einige abergläubische Bewohner der Stadt hätten von Zauberei gesprochen, wären sie in der Lage gewesen, diese Szene zu beobachten. Der Junge war wie betäubt, als er sich klar machte, was der Fremde gerade getan hatte. In seinem jungen Leben hatte noch nie erlebt, dass ein Mensch einen anderen Menschen angriff, in der Absicht ihn zu töten. Das war eine Tat, die nur von Dämonen begangen wurde. Kona war sich nicht mehr sicher, ob er es hier wirklich mit einem Menschen zu tun hatte. „Wer bist du? Und was bist du?“, fragte Kona. Der Fremde lächelte bösartig, was sein dämonisches Wesen betonte „Mein Name ist Torrok. Ich bin ein Diener des großen Zork.“ Kona wich zurück. Das konnte nur bedeuten, dass sein Gegenüber ebenfalls ein Dämon war. Aber wie war das möglich? Konnten die Kreaturen Zorks auch menschliche Gestalt annehmen? Ehe Kona darauf eine Antwort fand oder der Fremde ihn erneut angreifen konnte, dröhnte Kanonendonner durch die Stadt. Offenbar hatte die dreiköpfige Bestie nicht die ganze Bürgerwehr zerschlagen. Sie setzten zur Gegenwehr an. Detonationen erschütterten den Boden. Die Geschosse trafen einen der drei Hälse der Riesenschlange und der Kopf fiel leblos zu Boden. „Ja!“, schrie Kona begeistert. „Egal wie groß so ein Biest ist. Irgendwie kann man jedes Monster platt machen.“ Dann blieben ihm die Worte im Hals stecken. Dort, wo eben der Kopf der Schlangenbestie abgeschossen worden war, wuchsen zwei neue nach. Bald waren diese genau so groß und bedrohlich wie die ersten.

„Eure Waffen reichen nicht aus, um eine Kreatur wie die Hydra zu töten.“ Torrok genoss offenbar das Schauspiel. Um Kona kümmerte er sich nicht mehr ernsthaft. Wahrscheinlich hielt er ihn für keine besondere Bedrohung, was er wohl auch nicht war. „Ihr könnt der Hydra wohl die Köpfe abschlagen. Aber für jeden Kopf, den sie verliert, werden zwei Köpfe nachwachsen.“ Einer der neuen Köpfe begann den Boden vorsichtig abzusuchen. Wahrscheinlich war das Untier auf der Suche nach dem, der es angegriffen hatte. Stattdessen entdeckte das Biest Kona. „Sieht so aus, als wolle die Hydra sich deiner annehmen“, stellte Torrok amüsiert fest. „Mir soll’s recht sein. Ich habe Besseres zu tun.“

Das Monster riss eines seiner Mäuler weit auf. Es schoss mit dem dazu gehörigen Kopf auf Kona zu. Offenbar wollte es ihn fressen, mitsamt Zerberus, der immer noch auf seinem Arm saß. Kona war wie erstarrt. Flucht hatte keinen Sinn. Wenn Kona sich gewehrt, und auf einen der Köpfe eingeschlagen hätte, hätten sich die übrigen nur totgelacht. Die Lage war aussichtslos. „Hilfe!“, schrie Kona, weil ihm nichts Besseres mehr einfiel. „Zu Hilfe!“

Obwohl die Lage hoffnungslos schien und alles dafür sprach, dass er gleich gefressen würde, kam ihm tatsächlich jemand zu Hilfe kam. Beziehungsweise etwas. Wie in Trance hob Kona seine Arme. Aus ihnen schossen mit einem Mal Flammen! Kona war zu erschrocken, um zu begreifen, was sich da eigentlich tat. Er bemerkte nicht, dass er Zerberus fallen gelassen hatte, der nun völlig verwirrt vor ihm auf dem Boden herumkroch. Währenddessen entwickelten die Flammen, die Kona so unwillkürlich heraufbeschworen hatte, ein Eigenleben. Er hatte schon immer geglaubt, dass Feuer unberechenbar war. Man konnte ihm durchaus einen eigenen Willen zugestehen. Aber diese Flammen schienen tatsächlich taktisches Denken mitzubringen. Einerseits bildeten die Flammen einen schützenden Kreis um Kona und den noch immer völlig verwirrten Zerberus, um sie vor der Bestie und den Angriffen Torroks zu abzuschirmen. Andere Flammen türmten sich zu einer Feuersäule auf und schlugen, wie mit einer Pranke, auf den Kopf der Hydra ein, der versucht hatte, sie zu verschlingen. Mit einem Feuerhieb wurde der Kopf abgetrennt und hinterließ nur noch einen qualmenden, verkohlten Stumpf. Für einen Moment befürchtete Kona, dass der Kopf gleich wieder durch zwei neue ersetzt würde, wie es zuvor geschehen war. Doch nichts dergleichen geschah. Die übrigen Köpfe der Hydra brüllten vor Schmerz und Zorn. Nun nahmen sie Kona gemeinsam ins Visier und machten sich bereit, ihr tödliches Sekret auf den Menschen zu speien. Sofort griff das lebendige Feuer in den Kampf ein. Es verformte sich zu einer Lanze. Mit einem pfeifenden Geräusch sauste es auf die Kreatur zu und traf. Die Hydra stieß ein markerschütterndes Gebrüll aus, während sie von Flammen eingehüllt wurde, und zerfiel rasend schnell zu Asche. Mit dem Verschwinden der Hydra, verschwand jedoch auch das von Kona gerufene Feuer. Was war denn das? Kona schaute verblüfft auf seine Hände. Er hatte sich nie träumen lassen, dass er zu Derartigem in der Lage war. Trotzdem, er hatte gerade einen Schwall intelligentes Feuer beschworen! Es hatte ihn geschützt und ein fast hundert Meter hohes, vielköpfiges Schlangenmonster bezwungen. Gewissermaßen hatte er die Stadt gerettet. Was Kona, es schnürte ihm fast den Hals zu, zum Helden machte. Dieser Gedanke erschien ihm so grotesk, dass er sich weigerte, ihn zu begreifen. Auch Torrok schien unfähig, das Geschehen zu verstehen. Fassungslos starrte er Kona an. Alle Überheblichkeit war aus seinem Gesicht verschwunden. Darin waren nur noch Entsetzen und Ungläubigkeit.

„Du bist derjenige …?“, fragte Torrok stockend. „Ein Kind soll der sein, der dem Höchsten gefährlich werden kann?“

„Ich weiß ja nicht, welchen hohen Leuten ich gefährlich werden soll! Ich weiß auch nicht, mit wem ich hier verwechselt werde. Ich will nur eins klarstellen. ICH BIN KEIN KIND! Ich bin fast dreizehn!“

„Schweig!“, befahl Torrok. Mit einem Ruck riss er sich Mantel und Hemd auf und entblößte seine Brust. Darauf war ein Kreis von magischen Symbolen tätowiert. Irgendwie kamen sie Kona bekannt vor. Torrok ballte seine Fäuste und konzentrierte sich. Die Tätowierungen begannen zu leuchten. Das Innere des Kreises verwandelte sich in einen wirbelnden Schlund, von dem ein enormer Sog ausging. Kona wurde von einer gewaltigen Macht gepackt. Er versuchte zu fliehen. Die Kraft war jedoch stärker und zog ihn gnadenlos zu Torrok. „Ich nehme dich in meiner eigenen Dimension in Gefangenschaft. Dort wirst du bleiben, bis ich mir deine Energie zunutze machen kann!“ „Können wir nicht noch mal darüber reden?“ Doch Torrok dachte nicht daran, es sich noch einmal zu überlegen. So schien Konas Schicksal besiegelt.

*

Plötzlich geschah etwas Überraschendes. Ein greller Blitz schoss vom Himmel und traf Torrok mitten in die Brust. Er wurde durch die Luft geschleudert und der Sog, der den Jungen eben fast verschlungen hätte, verschwand. Kona fand keine Gelegenheit, sich zu besinnen. Eine kräftige Hand packte ihn und zog ihn mit sich. „Was soll das?“, fragte Kona. „Lass das!“ „Komm mit mir, wenn du leben willst!“ „Vergiss es!“, erwiderte Kona.

„Ich gehe nicht mit Fremden!“ Zur Antwort bekam er einen Faustschlag in die Seite. „Hör auf mit dem Scheiß! Ich muss dich aus dem Weg schaffen. Wenn Torrok kapiert, was hier passiert ist, kann ich vielleicht mit ihm fertig werden. Aber du bist dann tot!“

Derart gemaßregelt, ließ Kona seine Bedenken vorerst beiseite und ging widerstandslos mit dem Fremden. Zerberus folgte ihnen, noch immer aufgeregt kläffend. Kona wusste nicht, ob es an den Anstrengungen der letzten Zeit lag, die Nachwirkung der unheimlichen Kräfte war, die er entwickelt hatte oder ob es der giftige Rauch war, den er seit Minuten einatmete. Er fiel in einen tranceartigen Zustand, als er dem Fremden folgte, bekam kaum mit, wohin er ging. Irgendwann merkte der Junge, dass sie sich außerhalb der Stadtmauern befanden. Sie standen auf einem Hügel, mit Blick auf die Stadt. Die Feuer, die von der Hydra gelegt worden waren, hatten sich inzwischen ausgebreitet. Alles, innerhalb der Stadtmauern, war in ein Flammenmeer verwandelt. Hunderte von Gestalten wuselten zwischen den brennenden Häusern herum und versuchten sie zu löschen. Es sah nicht gut aus. „Üble Sache, nicht wahr?“, sagte der Fremde neben ihm. Kona schaute sich ihn genauer an. Es war ein Mann, ein Krieger, wie es schien. Das verriet die Rüstung, die er trug und das Schwert an seiner Seite, das seltsamerweise eine weiß strahlende Klinge besaß. Der Krieger selbst war nicht mehr der Jüngste. Das bewiesen die grauen Strähnen, die sich durch sein schulterlanges, schwarzes Haar zogen. Dennoch schien er nicht allzu weit über seine besten Jahre hinaus zu sein. Sein Körper war muskelbepackt und durchtrainiert. Mehrere Narben an Armen und im Gesicht bewiesen, dass er schon so manche Schlacht hinter sich hatte. „Wer bist du eigentlich?“, fragte Kona.

„Danko“, antwortete der Krieger einsilbig. Danko? Bei dem Namen klingelte etwas bei dem Jungen. Na klar! Danko, der Träger des Donarschwertes. Bezwinger unzähliger Dämonen, und einer der legendären Wächter. Noch einmal betrachtete Kona das Schwert mit der weißen Klinge, das, laut Legende, Blitze schleudern konnte. Das erklärt zumindest, woher der Blitz kam, der mich vor Torrok gerettet hat. Aber nicht, warum Danko so plötzlich hier aufgetaucht ist.

„Rauchst du?“, fragte der Krieger auf einmal.

„Eigentlich nicht.“ „Egal. Das ist auf jeden Fall eine gute Gelegenheit, damit anzufangen.“ Danko kramte eine Metallbox hervor, in der sich mehrere selbstgedrehte Zigaretten befanden, die mit einem grünen, getrockneten Kraut gefüllt waren. Kona nahm eine davon und schob sie sich zwischen die Lippen, während Danko ihm ein Streichholz hinhielt. „Eigentlich könntest du dir ja selber Feuer geben“, meinte er, während er Konas Zigarette entfachte, „aber so ist es wohl sicherer.“

Kona nahm einen tiefen Zug und hatte gleich darauf das Bedürfnis, ihn wieder hervorzukeuchen. Dann breitete sich ein angenehmes Aroma in seinem Mund aus und als er einen zweiten Zug nahm, war es schon wesentlich erträglicher. „Tabak von den Südinseln Jagars. Es gibt nicht viel Gutes, was von diesem Kontinent stammt. Aber dieser Tabak gehört dazu.“ Tatsächlich bewirkte das Genussmittel, dass Kona seinen Kopf wieder klar kriegte und sich auf die vergangenen Ereignisse besinnen konnte. „Hast du eine Ahnung, wer dieser Typ war, der versucht hat, mich in sein Bauchloch zu ziehen?“

„Das war ein Dimensionsportal, das mit seinem Körper verschmolzen wurde. Es führt in seine eigene Dimension, wo er jede Art von Dämonen und andere Kreaturen einschließen kann. In seiner eigenen Welt kann er sie seinem Willen unterwerfen, um sie dann bei Bedarf zu rufen und für sich kämpfen zu lassen. Er nennt das ´Seine Sammlung`. Wenn der Spinner nicht so ein mächtiger Gegner und Diener Zorks wäre, könnte man ihn fast lächerlich nennen, mit seiner selbstgefälligen Art.“

„Und, was wollte er von mir?“

„Das hast du doch vor einigen Minuten selber gezeigt.“ „Dieser Feuersturm? So etwas habe ich vorher noch nie getan. Und ich glaube nicht, dass ich das Feuer wirklich beherrscht habe.“ „Das Höllenfeuer, das du aus der Unterwelt gerufen hast? Es wird von denen gesteuert, die darin gefangen sind. Aber du musst ihnen schon genau sagen, was du von ihnen willst. In diesem Fall sollte das Höllenfeuer dich wahrscheinlich vor der Hydra retten. Nachdem es das getan hat, ist es wieder verschwunden. Aber du hättest ihm auch wesentlich komplexere Befehle erteilen können“, meinte Danko. „Wieso kann ich dem Höllenfeuer Befehle erteilen?“ Kona war überrascht. Danko sah ihn mit hoch gezogener Augenbraue an. „Hast du das immer noch nicht kapiert, Junge? Überall auf der Welt gibt es Anhänger, die an deinem Schicksal interessiert sind. Es gibt Leute, die glauben, dass du in den Krieg gegen Zork ziehen wirst. Einige glauben, dass du dann die natürliche Ordnung wieder herstellst. Andere fürchten, dass du die Welt in eine Hölle verwandeln wirst. Es gibt sogar einige, die behaupten, in deinen Diensten zu stehen. Meistens allerdings nur, um Eindruck zu schinden.“

„Wenn die sonst keine Probleme haben. Entweder haben die ein vollkommen übertriebenes Bild von mir, oder steht bei denen auf Schuleschwänzen Heldenverehrung?“

„Schwänzen?“, wiederholte Danko. „Die wissen nicht mal, wer du wirklich bist, wie du heißt und in welcher Stadt du lebst. Und vor allem nicht, dass du erst zehn Jahre alt bist.“

„Jetzt bin völlig durcheinander!“, gab Kona zu. „Außerdem, ich bin zwölf! Wieso glauben die Leute, dass ich irgendjemandem Ärger machen könnte, obwohl die doch gar nichts über mich wissen?“ Danko sah ihm tief in die Augen. „Du, mein Junge, bist die Wiedergeburt von Rahnhamun, dem Herrscher der Unterwelt.“ Ach du heilige Scheiße! „Das passt mir jetzt aber gar nicht! Ist das denn sicher?“

„Da du gerade das Inferno aus den Tiefen der Unterwelt gerufen hast, ist ein Irrtum so gut wie ausgeschlossen.“ „Und woher wusstest du, wo ich wohne?“ „Man muss bei einer Prophezeiung auch zwischen den Zeilen lesen können. Das war wirklich kein leichtes Unterfangen. Eigentlich dachte ich, dass ich der einzige bin, der wusste, wo du steckst. Aber scheinbar hat Zork deinen Aufenthaltsort ebenfalls aufgespürt, sonst wäre sein Bluthund hier nicht aufgetaucht.“ „Aber da hat er sich gewaltig den Kopf gestoßen!“, erklärte Kona zufrieden. „Ist vielleicht nicht die beste Entwicklung, dass ich schon mal gelebt habe und man mich bis heute verfolgt. Aber wenn das mit solchen Kräften einhergeht, könnte mir das helfen, eine Menge Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen. Und mit Schule und ständigen Strafarbeiten ist es jetzt auch vorbei!“

„Stimmt. Ich schätze mal, wenn du jetzt aus deiner Heimatstadt fliehst und dich in den Wäldern, den Bergen oder der Wüste versteckst, hast du noch genau eine Woche, bevor dich Torrok oder ein anderer von Zorks Versallen gefunden und gefangen genommen hat. Dann wird Torrok dich doch noch in seine Sammlung aufnehmen und du wirst auf ewig sein Sklave sein. Oder man wird dich foltern und töten. Beides nicht gerade erfreuliche Möglichkeiten. Und wenn du glaubst, dass du ihnen mit diesem Höllenfeuer imponieren kannst, vergiss es! Das eben war nur Zufall. Beim nächsten Mal, werden sie vorbreitet sein. Du wirst es nicht schaffen, dich zu wehren!“ Danko versucht mir Angst einzujagen. Und das, um mir eine andere Lösung schmackhaft zu machen. Etwas, das mir zwar nicht gefallen wird, aber besser ist, als Zork in die Hände zu fallen. Da kam der Vorschlag auch schon. „Natürlich gibt es Kräfte, die dich beschützen würden. Vorausgesetzt, sie könnten sich deine außergewöhnlichen Begabungen zu Nutze machen. Du weißt ja, es gibt nichts umsonst auf der Welt.“ Langsam wurde Kona klar, was Danko von ihm wollte.

„Ich mache dir einen Vorschlag. Ich sorge dafür, dass du weder von Zork noch von sonst irgendjemandem behelligt wirst. Und ich zeige dir, wie du deine Kräfte wirkungsvoll einsetzen kannst.“ „Und dafür soll ich dir deine Schuhe putzen, oder was?“ „Nicht ganz“, erwiderte Danko. „Du wirst für meine Organisation als Gehilfe arbeiten. Ich werde dir alle Tricks beibringen, die ich kenne. Mit dir würden die Wächter eine mächtige Waffe gegen Zorks Horden gewinnen. Natürlich wird es bei vielen Leuten erst mal für Verwirrung sorgen, wenn sie erfahren, dass die Reinkarnation von Rahnhamun auf Erden wandelt. Aber mit der Zeit, wirst du dir schon einen gewissen Ruhm erarbeiten. Auch wenn du immer einen eher negativen Ruf haben wirst.“ Es wäre massiver Unsinn, zu behaupten, dass Kona den Vorschlag wohlwollend aufgenommen hatte. Er war weder ein Freund von Abenteuern und Ruhm, noch irgendeiner anderen Aktivität, die versprach, seine besinnlichen Ruhe zu stören. Doch Danko hatte Recht. Er hatte keine andere Wahl. „Na schön“, meinte Kona gedrückt. „Wir haben einen Deal. Erwarte aber nicht, dass ich aufräume, koche oder ähnliches.“

„Ach, rede keinen Quatsch!“, meinte Danko.

„Für so was haben wir Personal. Aber was ist das eigentlich für ein Hund?“ Nun erst bemerkte Kona, dass Zerberus immer noch da war und auf seinen Beinchen um ihn herumwackelte. „Für den bin ich wohl verantwortlich“, seufzte der Junge.

„Dann nimm ihn halt mit. Aber durchfüttern wirst du ihn selber.“ Missmutig nahm Kona seinen Schützling auf den Arm, denn der kleine Kerl drohte gleich umzufallen. Zutraulich schmiegte sich Zerberus an Kona. Da musste er doch lächeln. Denn egal was ihn nun erwartete, er nahm wenigstens einen Freund mit.

DANKOS VERMÄCHTNIS

8 Jahre später, der Vollmond schien über dem Tal und der Burg. Er tauchte alles in ein bläuliches Licht, das scheinbar aus einer anderen Welt kam. Bei diesem Licht sollen die Mächte der Unterwelt am stärksten sein. Auch Kona spürte, dass er in solchen Nächten besonders aktiv war. Er hatte sich in all der Zeit, die er von zuhause fort war und für Danko arbeitete, Fähigkeiten erworben, um mit den meisten Dämonen fertig zu werden. Allerdings mied er beharrlich jeden Kampf, dem er irgendwie ausweichen konnte. Zu seinem Missfallen, gelang ihm das jedoch nur sehr selten. Gerade jetzt hatte er wenig Lust, sich auf einen Kampf mit ungewissem Ausgang einzulassen. Hierher trauten sich sowieso keine Dämonen. Trotzdem hatte Kona gute Lust, seine Kräfte irgendwie einzusetzen. Was jedoch nicht möglich war, weil er in Dankos Burg festsaß. Zwar war er nicht direkt eingesperrt. Es gab jedoch die stillschweigende Vereinbarung, dass er nicht allzu oft alleine herumstreifen solle. Und es war so gekommen, wie Danko vermutet hatte. Kona war in der Welt zu einer Art Berühmtheit geworden. Viele redeten von ihm, als dem wiedergeborenen Herrn der Unterwelt, der über hundert Dämonen im Kampf besiegt hatte. Er sollte die Schwarze Armee, eine militärisch organisierte Gruppe von Banditen, die sich durch Plünderungen bereicherte, zerschlagen haben. Außerdem sollte er Arrok, den Eroberer, in die Schranken verwiesen und dabei offenbar dämonische Kräfte angewandt haben. Es gab sogar Leute, die behaupteten, Kona könne jemanden mit einem Blick töten oder mit bloßen Händen seine Seele aus dem Körper reißen. Zumindest bei diesem letzten Gerücht, sollte sich in absehbarer Zeit ein Funken Wahrheit offenbaren. Mancher war der Überzeugung, Danko hätte Kona durch einen Trick zu seinem Lakaien gemacht. Dass er aber jederzeit die Kontrolle über ihn verlieren könnte, worauf Kona dann zur gewissenlosen Killermaschine mutieren würde. Natürlich war das alles ganz und gar nicht in Konas Sinne. Den Aufwand war es einfach nicht wert. Allerdings war es schon zu beklemmenden Situationen gekommen, wenn Kona und die anderen Gehilfen von Danko aufeinander trafen. Daher war er dazu angehalten worden, in einem extra für ihn vorgesehenen Bereich der Burg zu bleiben. Das fiel Kona nicht schwer, denn ihm wurde ein eigener Turm zur Verfügung gestellt, in dem es alle Annehmlichkeiten gab, die man sich wünschen konnte. Er hatte einen Vorratskeller voller Delikatessen, die man nur in die Finger bekam, wenn man für eine internationale Organisation arbeitete. Außerdem hatte der Turm eine gut bestückte Bibliothek, mit einer vortrefflichen Sammlung von Kurzromanen, mit vielen Bildern und wenig Text. Das oberste Turmzimmer offenbarte einen fantastischen Blick auf die vom Mond beschienene Landschaft, die bereits Erwähnung gefunden hat. Kona nahm einen letzten Zug aus seiner Zigarette, für die er, seit Danko ihm die erste aufschwatzte, eine Schwäche hatte. Dann warf er den Stummel aus dem Fenster und drehte sich um. Abgesehen vom Mondlicht, gab es keine Beleuchtung im Raum. Kona hatte bemerkt, dass er im Dunkeln immer besser sehen konnte, seit sich seine Kräfte entwickelten. Das ging so weit, dass er kaum noch künstliche Lichtquellen brauchte. Kona steuerte auf seinen Sessel zu, in dem es sich Zerberus schon gemütlich gemacht hatte. Nach acht Jahren war aus dem kleinen Welpen ein stattlicher Rüde geworden, der Kona schon bei vielen seiner Abenteuer zur Seite gestanden hatte. Längst war die Verantwortung für seinen pelzigen Gefährten keine Belastung mehr. Im Gegenteil, Zerberus war sein bester Freund geworden. Auch wenn es Kona ziemlich schnurz war, was man von ihm selbst hielt, wer etwas gegen Zerberus sagte, hatte ein Problem.