Dark Ship - Milena Markowitsch - E-Book

Dark Ship E-Book

Milena Markowitsch

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Beschreibung

Der Überfall Afternoons auf das geheime Camp, in dem Kindern geholfen wird, ihre Ängste zu überwinden, liegt ein Jahr zurück. Im Camp scheint Ruhe eingekehrt zu sein. Doch Jacks Wut auf seinen Widersacher, der seinen Vater, den Campleiter Mr. Winterbottem und einen seiner besten Freunde auf dem Gewissen hat, wächst. Als plötzlich Hinweise zum Aufenthaltsort von Afternoon auftauchen, sind Jack und seine Freunde nicht mehr zu halten. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg zum Dark Ship, um im weit entfernten Ort Saiville nach ihm zu suchen. Eine abenteuerliche und gefährliche Reise beginnt. Dark Ship ist der zweite Band der Dark River - Trilogie.

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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Das Buch

Der Überfall Afternoons auf das geheime Camp, in dem Kindern geholfen wird, ihre Ängste zu überwinden, liegt ein Jahr zurück. Im Camp scheint Ruhe eingekehrt zu sein. Doch Jacks Wut auf seinen Widersacher, der seinen Vater, den Campleiter Mr. Winterbottem und einen seiner besten Freunde auf dem Gewissen hat, wächst. Als plötzlich Hinweise zum Aufenthaltsort von Afternoon auftauchen, sind Jack und seine Freunde nicht mehr zu halten. Gemeinsam begeben sie sich zum Dark Ship, um im weit entfernten Ort Saiville nach ihm zu suchen. Eine abenteuerliche und gefährliche Reise beginnt. Dark Ship ist der zweite Band der Dark River - Trilogie.

Die Autorin

Milena Markowitsch wurde 2009 als ältestes von drei Kindern in Berlin geboren und lebt heute mit ihrer Familie in Freiburg. Noch bevor sie lesen und schreiben konnte, dachte sie sich eigene Geschichten aus, die sie ihren Geschwistern erzählte.

Neben dem Schreiben liebt sie Theaterspielen und Musizieren, spielt Kontrabass und Klavier. Für das Jahr 2022/23 wurde Milena für die Kreativwochen „Schreibspuren“ der KULTURAKADEMIE der Stiftung Kinderland Baden-Württemberg am Deutschen Literaturarchiv Marbach ausgewählt.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel

Hannah Samon

Kapitel

Dark Ship

Kapitel

Die Schlucht

Kapitel

Ich sah etwas, war ihr nicht

Kapitel

Das Geheimnis des Shiver Inn

Kapitel

Der Wut hilflos ausgeliefert

Kapitel

Kuss drüber

Kapitel

Michael Afternoon

Kapitel

Schafskopf und Giftschlange

Kapitel

Chuck Vanderwall

Kapitel

Ein Loch ist im Kopf

Kapitel

Der Geheimgang

Kapitel

Dornröschen

Kapitel

Eiskalte Hände

Kapitel

Das Italienische Bonjour

Kapitel

In die Fall getappt

Kapitel

Die Entscheidung

Kapitel

Die Vernehmung

Kapitel

In Ängsten verloren

Kapitel

Nate

Kapitel

Einunddreißig Runden

Kapitel

Die Wahrheit

Nachwort

Prolog

Es beginnt mit der Angst. Sie kommt, wenn du nicht mehr weiterweißt und glaubst, dass alles verloren ist. Sie schleicht sich heran und hüllt dich ein. Dann packt sie dich und gibt dich nicht mehr frei. Lässt du der Angst diese Macht über dich, dann macht sie dich, dein Handeln und dein ganzes Sein zu ihrem Sklaven.

Und dann kommt die Wut. Sie kommt, wenn du versuchst, die Angst abzuschütteln. Zuerst fühlst du dich wieder stärker, fühlst wieder Macht in dir wachsen. Doch die Wut bringt dich dazu, Dinge zu tun, die du nicht tun willst. Jetzt übernimmt sie die Macht und bestimmt über dich. Du hast gehofft, dort, wo die Angst endet, beginnt die Freiheit. Doch die Angst ist heimtückisch. Sie lässt dich nicht ganz los und übergibt dich deinem nächsten Meister, der Wut.

Wenn sich Angst und Wut vereinen, zerstören sie dich. Doch du kannst beide besiegen, wenn du nicht aufgibst.

Erstes Kapitel

Hannah Samon

„Jetzt schließt die Augen und denkt an etwas Schönes. Denkt an das Rauschen des Meeres, das ihr, eine Limonade trinkend, am Strand vernehmt, während die Mittagssonne eure Haut wärmt. Oder denkt an einen wundervollen Frühlingstag. Ihr sitzt mit euren Freunden im grünen, saftigen Gras während…“

„Und was, wenn man keine Freunde hat?“

Eine hohe, dünne Mädchenstimme unterbrach Jack.

„Nun, dann sitzt ihr mit eurem Haustier im Gras und…“

„Und was, wenn man auch kein Haustier hat?“, unterbrach sie ihn schon wieder.

„Katy, könntest du bitte aufhören, mich andauernd zu unterbrechen? Ich versuche hier, Euch etwas beizubringen und du…“

„Ich wollte bloß realistisch sein. Außerdem dachte ich, du stehst auf Mädchen, die dich durchgehend unterbrechen!“

Jack spürte, wie seine Wangen warm wurden. Ein Gekicher machte sich im Klassenzimmer breit. Offenbar war allen im Raum klar, dass Katy sich auf Becca bezog, eine Freundin von Jack, der es ebenfalls sehr schwer viel, anderen nicht ins Wort zu fallen. Dass es zwischen Jack und Becca ordentlich gefunkt hatte, hatten bereits alle Kinder mitbekommen. Zum Glück rettete ihn der Schlussgong. Schnell packte Jack seine Sachen in den schwarzen Rucksack und lief, ohne sich noch einmal von der Klasse zu verabschieden, aus dem Raum.

„Hey, wie lief es bei dir?“ Beccas Stimme ließ Jack hochschrecken. Er schüttelte den Kopf, und Becca ließ sich neben ihn auf die Bank fallen.

„Katy?“, fragte sie und in ihrer Stimme klang Mitgefühl.

„Ich weiß nicht, wie ich das durchhalten soll. Ich versuche, diesen Kindern beizubringen, wie sie ihre Angst bekämpfen können, und sie hindert mich daran - andauernd!“

Becca zog nachdenklich die Augenbrauen hoch.

„Vielleicht könntest du ja mal mit ihr reden…“, fragte Jack vorsichtig.

„Was? Wieso gerade ich?“

„Hey Leute, was geht ab? Wie ich sehe, nicht sehr viel. Jack sieht aus, als hätte er eine Kröte verschluckt und Becca, als hätte sie einen Elefanten im Ballettröckchen gesehen. Oder vielmehr, als hätte sich Jack vor ihren Augen als Elefant im Tutu entpuppt. Macht keinen Sinn, was ich da rede, oder?“

Jeremy ließ sich lachend auf die andere Seite der Bank Becca gegenüber plumpsen. Auch Theo schwang sich wenige Sekunden später neben Jeremy.

Schon ein Jahr lag der Angriff auf das Camp zurück. Afternoon hatte damals die gesamte Anlage zerstört und George, einen Freund von Jack, vor dessen Augen erschossen. Doch mit Charlies Hilfe und zusammen mit Becca, Jeremy und Theo hatte Jack einen Neuanfang geschafft. Gemeinsam hatten sie das Camp wieder aufgebaut. Nun, ein Jahr später, stand es wieder in seiner vollen Pracht. Unter den Kindern war Ruhe eingekehrt und das Leben im Camp nahm seinen gewohnten Gang.

Becca, Jack und Jeremy hatten sich entschieden, ebenfalls zu unterrichten. Sie wollten den Kindern im Camp helfen, ihre Angst zu überwinden, genauso, wie ihnen selbst geholfen worden war.

„Jack, wenn dich diese Katy so unglaublich aufregt, solltest du mit Kimjin sprechen und sie fragen, ob sie mal mit Katy reden kann.“

Jeremy nahm sich ein Brot und beschmierte es dick mit Butter.

„Was glaubst du, was sie tun wird, wenn ich zu ihr komme und ihr sage, dass ich nicht unterrichten kann, weil mich ein 10-jähriges Mädchen mobbt! Sie würde mich nicht mehr unterrichten lassen oder würde sagen, ich solle sie ignorieren. Aber wie soll man jemanden ignorieren, der einen die ganze Zeit unterbricht?“

„Autsch! Das hättest du lieber nicht sagen sollen!“

Jeremy deutete mit dem Kopf zu Becca. Jack sah gerade noch ihr verletztes Gesicht, bevor sie sich von der Bank erhob und ging.

„Könnte sein“.

Zaghaft klopfte Jack an Beccas Tür. Nichts rührte sich. Doch Jack wusste genau, dass jemand in dem Zimmer war. Er vernahm ein zittriges Atmen hinter der Tür. Ungeduldig drückte er, ohne eine Antwort abzuwarten, die Klinke herunter. Der Raum war leer. Schnell trat er ein. Die grünen Vorhänge, die die helle Mittagssonne von draußen aussperrten, warfen ein grünliches Licht in den Raum. Ganz langsam lief er zu dem hinteren Bett. Die Pinnwand darüber war voller Fotos. Er erkannte eines mit Becca und Charlie, eines von Beccas Familie und mehrere Bilder des Camps. Es war keine Frage, Becca war eine ausgezeichnete Fotografin. Vorsichtig löste Jack ein Bild von der Wand. Er selbst war darauf zu sehen. Er hielt Becca im Arm, und sie hatte einen Arm um Theo gelegt, der Jeremys Hand griff. Und noch jemand war zu sehen. George.

Er lehnte sich an Jeremy und lächelte sein verschmitztes und doch ernstes Lächeln. Bei George hatte Jack immer das Gefühl gehabt, dass er einen nie ganz an sich heranließ. Selbst, wenn sie zusammen gelacht und Spaß gehabt hatten, war eine Mauer zwischen ihnen gewesen, hinter der George sein Innerstes stets fest verborgen hielt. Jack spürte, wie seine Augen feucht wurden. Schnell wischte er sich die Tränen fort und hängte das Bild wieder zu den anderen. Ihm war, trotz der leichten, aber dennoch Wärme spendenden Sonne auf einmal furchtbar kalt. Rasch zog er sich die schwarze Lederjacke enger um den Körper und wandte sich zum Gehen.

Eine Gestalt auf dem gegenüberliegenden Bett ließ ihn zusammenschrecken.

„Es ist furchtbar, wenn man jemanden verliert.“

Jack erblickte ein Mädchen, das dort saß. Ihre Stimme klang leer.

„Ich habe auch jemanden verloren“, sagte sie leise und erhob sich aus dem Bett. Das grünliche Licht beschien die eine Hälfte ihres Gesichtes, die andere war bleich wie die Wand.

„Wer bist du?“, fragte Jack und ging forschend einen Schritt auf sie zu.

„Hannah, Hannah Samon. Und du bist Jack, oder?“

Sie trat ebenfalls einen Schritt nach vorn. Nun konnte Jack sie richtig erkennen. Sie trug ein weißes, mit Spitzen besetztes Nachthemd, und ihre honigblonden, zerzausten Haare fielen ihr in kleinen Wellen über die rechte Schulter. Für einen Moment verlor Jack sich in ihren kastanienbraunen Augen. Er kannte sie, da war er sich sicher.

„Kenne ich dich?“, fragte er und wartete gespannt auf ihre Antwort.

„Ich weiß nicht, vielleicht, vielleicht auch nicht. Ich bin schon länger im Camp, aber oft allein. Seit ein paar Tagen wohne ich in Beccas Zimmer. Sie ist sehr nett zu mir. Ansonsten werde ich nicht beachtet. Ich bin wie ein Geist, sagen sie.“

„Wer sind sie?“

Jack war verunsichert. Er ließ den Blick auf ihrem makellosen, Porzellan ähnlichen Gesicht ruhen.

„Alle“, raunte sie, und ihre Stimme nahm einen drohenden Unterton an.

„Für mich bist du nicht wie ein Geist“, sagte Jack stockend, doch schon, als er die Worte aussprach, merkte er, dass sie nicht stimmten.

Hannah lachte gehässig auf.

„Das sagen sie alle, und doch wissen sie, dass es nicht wahr ist. Du hast mich noch nie bemerkt, habe ich recht?“

In Jack zog sich alles zusammen.

„Ich…tut mir leid.“

Wieder lachte Hannah auf, aber diesmal klang es sanfter. Und ungläubig, so, als hätte sich noch nie jemand bei ihr entschuldigt oder auch nur ein Wort mit ihr gewechselt.

„Ich habe manchmal Visionen“.

Jack horchte auf.

„Wovon handeln sie?“

Hannah strich sich eine ihrer hellen Haarsträhnen aus dem Gesicht und blickte Jack dann tief in die Augen.

„Von Afternoon.“

Sie zögerte, als warte sie auf eine Reaktion von Jack, aber dieser bemühte sich mit allen Kräften, bei dem Namen nicht zusammenzuzucken.

„Manche sagen, ich sei eine Hexe“, sprach sie weiter.

Ihre Stimme klang schläfrig und doch hellwach. Sie war rau und kitzelte in den Ohren, wenn man sie vernahm.

„Eine Geister-Hexe?“

Es sollte ein Scherz sein, aber Jack schaffte noch nicht einmal ein kleines Lächeln. Stattdessen lachte Hannah ihr engelsgleiches Lachen.

„Hast du sie auch, die Träume, wie du ihn findest, und ihm, mit einem Lächeln im Gesicht, ein Messer in die Brust stößt?“

Jack wollte den Kopf schütteln, doch gleichzeitig wollte er nicken. Irgendetwas war mit Hannah. Etwas, das sich tief in seinem Inneren so anfühlte, als wären sie miteinander verbunden. In irgendeiner Weise. Sie brachte Erinnerungen in ihm hervor, die er glaubte überwunden zu haben. Und das machte ihm Angst.

„Wen hast du verloren?“, fragte Jack leise, und Hannah schüttelte langsam, in sich versunken, den Kopf.

„Sie hieß Elisabeth, Elisabeth Bolstroud.“

Und da wusste Jack es wieder. Er wusste, woher er Hannah kannte. Sie war das Mädchen gewesen, das schluchzend aus dem Zelt gerannt war, als Elisabeths Name bei der Beerdigung gefallen war. Jack nickte.

„Hast du es gesehen? Wie sie verbrannte?“, fragte Jack vorsichtig und merkte sogleich, wie Hannahs magerer Körper erschauerte.

„Ja“, hauchte sie gerade noch so laut, dass Jack sie verstehen konnte.

„Ich sah sie verbrennen. Und dann sah ich ihn. Er stand auf der anderen Seite, und als er mich sah, lächelte er mir zu. Er lächelte mir zu, während sie verbrannte. Elisabeth und ich waren die besten Freundinnen, fast wie Schwestern. Sie war immer die vernünftigere von uns beiden. Wir hatten viele Freunde, und viele haben uns um unsere treue Freundschaft beneidet. Seit sie weg ist, beachtet mich niemand mehr, keiner von ihnen. Ich bin ganz allein“.

Sie begann vor Wut zu keuchen, und ihre kleinen, schneeweißen Hände ballten sich zu Fäusten. Jack trat zu ihr und umgriff ihre mageren Fäuste. Sie waren eiskalt, und Jack wäre fast zurückgeschreckt, doch als er wahrnahm, wie sie auch seine Hände umschloss, gab es kein Zurück mehr. Mit Tränen in den Augen sah Hannah auf.

„Hey“, flüsterte Jack sanft und strich ihr über die Wange.

„Ich weiß, was er dir angetan hat. Ich weiß, wie schlimm es ist. Es zerreißt einen. Aber wir werden uns rächen! Wir werden einen Weg finden und Afternoon auslöschen. Wir werden das schaffen. Irgendwie!“

Es war die verzweifelte Wut auf Afternoon, die sie im Innersten miteinander verband, das spürte Jack. Und er spürte, wie er sich mit seinen Worten Mut machte.

„Wann?“, raunte Hannah.

In diesem Moment öffnete sich die Tür und Becca trat herein.

„Jack?!“, rief sie erschrocken und kam mit schnellen Schritten auf ihn und Hannah zu.

Sie löste Jacks Hände aus den festen, eiskalten von Hannah.

„Was machst du?“

Die Frage schien mehr an Hannah gerichtet, deshalb trat Jack einen Schritt zurück.

„Ich habe bloß mit ihm geredet.“

Hannahs Stimme war auf einmal zuckersüß, und sie lächelte Becca mit verwirrtem Blick an.

„Du musst doch im Bett bleiben, damit du wieder gesund wirst.“

Becca nahm ihre Hand und führte sie zu ihrem Bett zurück.

„Ich wollte nur mit ihm reden. Er hat mir geholfen. Du hast einen tollen Freund.“

„Leg dich hin. Hast du deine Medikamente genommen?“

Hannah nickte langsam, aber ihr Blick ruhte auf Jack.

„Muss er schon gehen? Wir wollten gerade bereden, wie wir Afternoon umbringen können.“

Becca schüttelte den Kopf.

„Nein Hannah, Jack hat Unterricht. Er muss los.“

„Schade. Auf Wiedersehen, Jack, komm bald wieder, ja?“

Jack hatte sich die ganze Zeit nicht gerührt, doch nun schüttelte er den Kopf.

„Ich kann nicht. Es könnte dir schaden.“

„Nein, nein, nein, wirklich, du musst wiederkommen! Wir müssen doch noch den…“

„Jack, wir sollten gehen. O‘Kelly kommt gleich, um sich um sie zu kümmern.“

Mit diesen Worten ergriff Becca Jacks Arm und zog ihn aus der Tür.

„Was, was war mit ihr?“

Jack blieb abrupt stehen und löste seine Hand aus Beccas. Sie seufzte.

„Als sie zusehen musste, wie ihre beste Freundin starb, brach sie zusammen. Seitdem ist sie nicht mehr sie selbst. Sie schreit und weint ganz plötzlich los und schlägt um sich. Sie wird von O‘Kelly betreut. Er ist immer für sie da, um ihr zu helfen und ihr beizustehen, aber auch er schafft es kaum. Wenn sie jemandem begegnet, der Afternoon nur im Entferntesten ähnlich sieht, wird sie rasend vor Wut. Manche Kinder hier aus dem Camp, die sie besucht haben, beschimpfen sie jetzt als Geister-Hexe. Sie hatten irgendetwas von Afternoon an sich. Entweder hatten sie blondes Haar oder blaue Augen so wie er, oder sie trugen ähnliche Kleidung wie Afternoon an dem Tag, als er das Camp zerstörte. Hannah hat diese Kinder verflucht, und die verstehen eben nicht, was sie Hannah angetan haben.“

„Das ist furchtbar!“, rief Jack aus und krallte die Hände in sein schwarzes, seidiges Haar. „Es ist schrecklich, wie Afternoon es schafft, uns alle zu verderben! Wieso tut niemand was dagegen?“

„Jack, die Polizei sucht doch schon so lange nach ihm, aber er verwischt seine Spuren immer wieder. Als er sich hier im Camp versteckt hatte, konnten sie ihn nicht finden. Das Camp ist geheim, das kennt niemand. Jetzt ist er nicht mehr hier, jetzt könnte die Polizei ihn fassen. Aber er scheint seine Sache unfassbar gut zu machen. Und er ist geübt darin, schmutzige Geschäfte zu betreiben.“

Becca kaute heftig auf ihrer Unterlippe.

„Wie kann ein Mensch nur so brutal sein! Warum ist er bloß zu einem solchen Monster geworden?“

Jack setzte sich auf einen am Wegrand liegenden großen Stein.

„Ich weiß nicht. Aber ich denke, dass Lügen von Menschen, die man liebt und die einem nahestehen, einen viel tiefer treffen als Lügen von Menschen, mit denen man eigentlich nichts zu tun hat. Und es waren Afternoons Frau und sein Kind, die ihn hintergangen haben.“

„Aber Mary und Lucy konnten doch gar nicht anders handeln. Sie hatten so große Angst vor Afternoon bekommen und waren verzweifelt. Ihre Flucht war ihr einziger Ausweg. Dass Afternoon so brutal geworden ist, muss viel früher angefangen haben und hat sicher andere Gründe. Auch Jamie Waadter hat Streit in die Familie gebracht.“

Becca setzte sich neben Jack.

„Ja, aber etwas verstehe ich überhaupt nicht. Warum um alles in der Welt wollte Jamie Waadter das Camp geheim halten?“

Zweites Kapitel

Dark Ship

Jack betrat mit leisen Schritten sein Zimmer. Jeremy und Theo schienen schon zu schlafen. Noch immer geisterte ihm Hannahs Stimme durch den Kopf. Ein Trauma. Wieder kam ihm Beccas Frage in den Sinn. `Warum um alles in der Welt wollte Jamie Waadter das Camp geheim halten?´ Ja, warum? Vielleicht wollte er einfach nur die Kinder vor den Gefahren der Außenwelt beschützen. Erschöpft legte er sich in sein Bett und schloss die Augen. Aber als er George vor seinen geschlossenen Augenlidern sterben sah, öffnete er sie schnell wieder. Er konnte nicht aufhören, an Hannah zu denken. Und daran, was er zu ihr gesagt hatte. Dass sie sich an Afternoon rächen würden.

Ein Knarzen ließ ihn aufhorchen. Eine Silhouette bewegte sich auf Zehenspitzen auf die Tür zu. Jack erkannte einen Rucksack auf dem Rücken der Person.

„Hey!“, rief Jack, und die Person drehte sich ruckartig zu ihm um.

Es war Jeremy.

„Was zum…?“, begann Jack, setzte sich kerzengerade in seinem Bett auf und schaltete seine Nachttischlampe an. Jeremy seufzte schwer und ließ den Rucksack auf den Boden fallen.

„Jack, ich, ich dachte, du schläfst! Äh also, ich meine, ich… ich kann das erklären…“. Jeremy setzte sich auf Jacks Bettkante und fuhr sich durch das dunkelblonde Haar.

„Na, dann schieß mal los!“

„Ich weiß, es sieht so aus, als hätte ich den Tod von George gut verkraftet, aber das stimmt nicht. Ich habe, seit er umgebracht worden ist, jede freie Minute damit verbracht, herauszufinden, wo sich Afternoon aufhalten könnte. Tag und Nacht. Und… ich glaube, ich habe etwas gefunden…“

Mit diesen Worten zog er einen Zeitungsartikel aus dem Rucksack und reichte ihn Jack.

Spuk im Shiver Inn Seit einigen Tagen, so heißt es, spukt es in der Scheune des Shiver Inn in Saiville. Wirt Oscar Davies ist ratlos. Seiner Meinung nach befindet sich niemand darin, doch die Bewohner Saivilles sehen das anders. Licht flackert zu ungewöhnlicher Stunde in dem Lagergebäude auf, und nicht nur ein Gast behauptete, eine Silhouette am Fenster gesehen zu haben. „Afternoon“, befürchten die Leute, und auch die Polizei schöpft langsam Verdacht. Der Massenmörder wurde das letzte Mal vor einem Jahr und zehn Monaten in Jeacksonwill gesehen. Seitdem ist er spurlos verschwunden.

„Und du denkst, dass Afternoon sich in dieser Scheune versteckt?“, fragte Jack fassungslos.

„Na ja, Saiville ist ein abgelegenes Fischerdorf hinter den Bergen. Und es ist gute zwölf Stunden von Jeacksonwill entfernt. Außerdem heißt es, dass Afternoon da Verwandte hat.“

Jack schüttelte ungläubig den Kopf.

„Und du wolltest dich gerade ernsthaft alleine dahin aufmachen? Geht’s noch? Ich meine, was war dein Plan? Wolltest du dich in ein Boot schmuggeln und dann zwölf Stunden den Dark River runterfahren?“

„Na ja…also, ähm…ja. Das war eigentlich mein Plan…“, gab Jeremy peinlich berührt zu und kratzte sich verlegen am Hinterkopf.

„Oh Mann, Jer!“