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Eine ganz normale Familie gerät aufgrund ihrer Lebensumstände in seelische Abgründe, die das Idyll zersprengen. Die Handlung führt mit abgrundbösen Charakteren, die zunächst niemand vermutet, in einen mörderischen Sog, der nicht nur ein Opfer fordert. Gier, Neid und Missgunst führen zu überraschenden Ereignissen und schließlich zu einem nicht vorhersehbaren Ende.
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Seitenzahl: 76
Veröffentlichungsjahr: 2020
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Inhalt
Titel
Zuhause
Margret
Im Heim
Der Fehltritt
Verletzte Eitelkeit
Margrets Geheimnis
Detektei Habicht
Die Überwachung
Karl
Depressionen
Beate
Franz
Tschechien
Mitwisser
Unmenschlicher Hass
Beichte
Der Verrat
Der Plan
Das 3. Opfer
Geldgier
Die Wende
Familientreffen
Abkassieren
Besessenheit
Das 4. Opfer
Impressum
Das 4. Opfer
Coletta Coi
Miller E-Books
Das stattliche, weiße Haus stand, angestrahlt vom weichen Morgenlicht der Sonne, unauffällig, doch gut wahrnehmbar mit seinem gepflegten Vorgarten mit der kleinen Rosenrabatte in dieser Straße, wo es seit mehr als 60 Jahren als Heim und Zuhause diente. Als wäre nichts geschehen. Hier, im Herzen von Niederbayern, hatte einmal eine glückliche Familie gelebt. Von außen schien dem Betrachter alles in Ordnung zu sein – wie das eben so ist. Doch der Schein überdeckt so oft das Sein. Wer kann schon in menschliche Abgründe blicken?
Es war ein schwüler Morgen im August. Die abgestandene Luft von Tagen hing wie eine Drohung im Wohnzimmer der Parterrewohnung und machte das Atmen schwer. Leichte Vorhänge flatterten fast unmerklich, da kaum ein Windhauch sie bewegte. Ein Fenster war gekippt, die übrigen alle geschlossen. Von draußen konnte man ganz leise das langsam einsetzende Singen der Vögel vernehmen. Doch ein Hauch von Tod drängte das Zwitschern in den Hintergrund. Was blieb, war der leicht süßliche Geruch, den Tote noch vor der beginnenden Verwesung ausdünsten.
Die Atmosphäre im Zimmer war friedlich, fast zu friedlich. Alles stand an seinem Platz, es war ordentlich aufgeräumt wie immer. Nichts deutete auf ein Verbrechen hin, das sich hier ereignet haben musste.
Eigentlich hätte Margret die Tote sein sollen, zufällig gestorben, in der Badewanne. Das war der Plan gewesen. Ursprünglich.
Doch es war nicht Margret, die mit aufgeschlitzten Pulsadern in ihrem Lieblingsstuhl am Fenster saß. Das Gesicht der Toten war zu einer fragenden Maske erstarrt. Die Kripo würde später „Selbstmord“ in den Akten vermerken. Es war offensichtlich Selbstmord, wie jeder sehen konnte. Jeder wusste, dass Beate labil gewesen war und sich wahrscheinlich aus Hoffnungslosigkeit das Leben genommen hatte.
Wie hatte es nur dazu kommen können?
Doch sie war nicht der einzige tote Mensch in diesem Haus.
Erstaunt nahm Margret ihre Umgebung wahr. Hatte sie geträumt? Sie war wieder zu Hause, in ihrem Haus. Doch die Tote im Sessel – was hatte das zu bedeuten? War es wirklich eine Tote? Irgendwie war Margret nicht ganz bei sich, nicht ganz anwesend. Es kam ihr vor, als würde sie als Voyeur von außen in ihr Wohnzimmer blicken. Streit – Geschrei – ein Messer. Da war doch noch jemand im Zimmer gewesen? Aber nein, sie konnte einfach keinen klaren Gedanken fassen. Jetzt war sie auf jeden Fall alleine. Mutterseelenallein. Wäre da nicht die Tote auf dem Stuhl gewesen, deren Blick aus starren Augen sie kaum mehr ertragen konnte. Noch war sie zu erschöpft, um die Zusammenhänge zu erkennen. Letzte Nacht musste etwas Schreckliches passiert sein. Plötzlich – ein lautes Klingeln. Es war jemand an der Türe.
Es war Franz, ihr Sohn. Nach einem flüchtigen Blick auf seine Schwester wusste er, was zu tun war. Er rief die Polizei. Die Polizisten würden sich um alles kümmern. Irgendwie konnte er keine Trauer empfinden. Es hatte alles so kommen müssen.
Sie war ungefähr 1,65 Meter groß, schlank und ihre Gesichtszüge verrieten, dass sie einmal eine recht hübsche Frau gewesen sein musste. Ihre grau-weißen Haare mit einem modernen Schnitt wirkten natürlich, obwohl ein guter Coiffeur hier der Natur bestimmt ein wenig nachgeholfen hatte. Selbst ungeschminkt verfügte sie über eine attraktive, sympathische Ausstrahlung. Auch kleine Fältchen um Mund und Augen ließen keinen Rückschluss auf ihr eigentliches Alter zu. Sie hatte dieses gewisse Etwas, das aus gewöhnlichen Frauen Persönlichkeiten macht. Ihre grünen Augen wirkten wach und interessiert.
Jetzt saß sie hier in diesem kleinen Zimmer und wusste eigentlich nicht so genau, was sie hierher geführt hatte. Wenn sie um sich blickte, so erkannte sie zwar einige von ihren früheren Lieblingsmöbelstücken, doch die Umgebung selbst war ihr fremd. Es gab nichts, woran sich ihr Blick klammern konnte. Ruhelos schweiften ihre Augen im Viereck. Von einer Ecke zur anderen. Sie liebte doch Bilder. Warum gab es hier keines? Nichts, woran sie sich klammern konnte, Einen Gegenstand, der sie an etwas erinnerte. Fehlanzeige.
Das Zimmer war viel kleiner als jenes, das sie zuletzt bewohnt hatte. Die Möblierung bestand aus einem Sideboard, dessen Kunststoffmaserung wohl Holz imitieren sollte. Ein Bett, ein Stuhl und ein kleiner Tisch aus dem gleichen Material vervollständigten den sterilen Eindruck des Zimmers. Wie sehr sie Kunststoff verabscheute! Es war kein Leben darin. Irgendwie schien die Einrichtung fast zum Zustand ihrer eigenen Person zu passen. Sie konnte einfach keine innere Zufriedenheit empfinden, an diesem Ort zu sein.
Erfreulicherweise stand ihr Fernsehsessel noch in einer Ecke. Der Bezug war zwar nicht mehr neu und ein wenig verschlissen, aber er war ein Stück Heimat.
Langsam, fast wie in Zeitlupe, trippelte sie mit kleinen Schritten zum einzigen Fenster in diesem leblosen Raum. Ihr Blick führte sie auf eine viel befahrene, ein paar hundert Meter entfernte Straße, eingesäumt von großen, laubreichen Bäumen, die sich müde im Wind der Abgase wiegten. Fast war sie versucht, es ihnen gleich zu tun. Langsam begann sie ihren Oberkörper hin und her zu wiegen.
Auch war es ihr ein wenig zu ruhig in diesem Zimmer. So sehr sie sich auch bemühte, sie konnte keine Geräusche hören. Ihr Leben lang hatte sie in der Stadt an einer viel befahrenen Straße gewohnt. Sie sehnte sich geradezu nach dem Vibrieren der alten Kirschbaumkommode, wenn der Stadtbus an ihrem Haus vorbeifuhr, nach dem Quietschen der Bremsen, bevor die Autos an der Kreuzung zum Stehen kamen.
Obwohl sie eigentlich als Kind auf dem Land gelebt hatte, war ihr die Freude an dieser Art von Natur, die sie jetzt beim Blick aus dem Fenster wahrnahm, gänzlich abhanden gekommen. Auch dass öfters junge Leute in weißen Kitteln hereinschauten, konnte sie irgendwie nicht in ihr gewohntes Leben einordnen.
Ihre Erinnerungen verdrängten langsam die Realität vor dem Fenster. Sie konnte sich jetzt ganz genau daran erinnern, dass eines Tages ihre beiden Kinder, Franz und Beate, lange bei ihr in ihrem Haus in Niederbayern gewesen waren, obwohl sie beide schon längst ausgezogen waren. Auch an die Worte: „Mutter, es geht so nicht mehr, du kannst nicht mehr alleine leben“ erinnerte sie sich noch sehr gut.
Dann war eines Tages ein kleiner Möbelwagen vor der Tür gestanden und hatte einige ihrer Möbel, die sie lange Jahre geliebt, aber auch abgewohnt hatte, eingeladen. Sie selbst hatte sich wie in Trance ihr gutes Kostüm angezogen, das sie immer sonntags zur Kirche getragen hatte. Wohin die Reise gehen sollte, hatten ihre Kinder nur ansatzweise verraten: „Du wirst es gut haben, man wird sich um dich kümmern, die Einsamkeit hat nun ein Ende.“ Dann stieg sie in den großen BMW ihres Sohnes. Was machte der eigentlich beruflich?
Das Auto verschwamm vor ihren Augen: Sie konnte sich schon wieder nicht erinnern. Ja, das Alter, es schlich sich heimlich und fast unmerklich träge in ihren Körper, nahm Besitz von ihm an vielen Stellen…
Eigentlich hatte sie sich gar nicht so einsam gefühlt. Jede Woche waren ihre beiden Freundinnen zum Karten spielen gekommen. Auch die Fahrt zum Friedhof mit einem ehemaligen Kollegen ihres Mannes hatte zum festen Wochenprogramm gehört. Jeden Dienstag um 14 Uhr hatte er sie abgeholt. Sie waren erst zum Blumengeschäft gefahren, danach zum Friedhof und gegen 16 Uhr waren sie immer ins gleiche Café gegangen. Es war ein Ritual, das sie liebte, und auf das sie sich jede Woche von Neuem wie ein kleines Kind freute. Ein Stündchen genossen sie es, sich zu unterhalten, Tee zu trinken, Kuchen zu essen, bevor Lothar sie wieder nach Hause fuhr. Zum Abschied hatte er ihr immer in einer kleinen Schachtel ein paar bunte Pillen gegeben: Sie hielt diese damals für Placebos. Sie waren klein und leicht zu schlucken „Damit es dir gut geht!“
Mit diesen Worten und einem kleinen Kuss auf die Wange verabschiedete sich der Freund ihres Mannes, der nun mehr als früher auch ihrer war, von ihr. Das war nicht immer so gewesen! Wann hatte sie eigentlich angefangen, diese Pillen einzunehmen? Mit einem ungewöhnlichen Anflug von schlechtem Gewissen zwang sie sich an dieser Stelle, nicht an früher zu denken. Es war ihr einfach unangenehm. Was eigentlich genau? Sie verspürte ein widerwilliges Ziehen in der Brustgegend und lenkte ihre Gedanken wieder auf alltägliche Situationen in ihrer Vergangenheit, die wie selbstverständlich vor ihrem inneren Auge auftauchten.
Der Alltag und ihr schönes Haus boten ihr die Möglichkeit, ruhig und entspannt zu leben. Sie kaufte für sich ein, kochte, besorgte ihren Haushalt und hielt per Internet ab und zu Kontakt zu ihren beiden Kindern…
Wo war denn bloß ihr Computer? Suchend blickte sie im Zimmer umher. Zu ihrem 65. Geburtstag hatten sie ihr einen Laptop geschenkt, den sie nach einem Computerkurs für Senioren sogar einigermaßen gut bedienen konnte.