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Die Reise eines Jungen, der äußerlich nicht das zu sein scheint, als, was er in Wahrheit ist.
Das E-Book Das Abenteuer des geheimnisvollen Lucius wird angeboten von Books on Demand und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
Magie, Fremde Welten, Abenteuer, Drachen, Fantasy
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Seitenzahl: 464
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Seit fast fünfzehn Jahren lebte Lucius in der Umgebung der kleinen Stadt Minas, bei seinem Onkel. Viele Freunde hatte Lucius nicht, die meisten mieden ihn. Die Klassenkameraden nannten ihn nur Katzenohr, weil seine Haare stets zu Berge standen und sich links und rechts büschelten. Nur Kodan, sein bester Freund, tat es nicht. Er nahm Lucius so, wie er war.
»Lucius, beeile dich, die Schule fängt bald an«, rief Baltheon.
»Ja, ich komme ja gleich.« Lucius gähnte und streckte sich. Er hasste es, wenn sein Onkel so drängte. Vor zwei Tagen fing sein Onkel an seiner Schule als Lehrer an. Darüber ärgerte sich Lucius. War die Schule doch der einzige Ort gewesen, wo sein Onkel ihn nicht dauernd unter Aufsicht hatte.
»Mach endlich« hörte Lucius ihn wieder rufen.
»Ja, Alter, ich komme ja schon.« Lucius schlurfte aus seinem Zimmer ins Bad. Als er fertig war, stand wieder dieses scheußliche Essen auf dem Tisch.
»Bäh, den Fraß kannst du selber essen«, meckerte Lucius. Seit Tagen war er wütend und gereizt, ausgerechnet an seinem Geburtstag musste er mit der Klasse auf eine Klassenfahrt gehen. Das einzige Positive daran war, dass sein Freund Kodan mit von der Partie war.
»Ich gehe schon voraus«, meinte Lucius. Er nahm seine Tasche und ging aus der Tür.
»Stopp Lucius, du kannst nicht ...«, weiter kam Baltheon nicht, Lucius war schon verschwunden.
»Ich hasse das, immer soll ich an seiner Seite bleiben. Der Alte kann mich mal. Ich mache das, was ich will. Bin doch kein Kleinkind mehr!«, fluchte Lucius. Voller Wut lief er die Bergstraße hinab, bis ein alter Wagen im Schritttempo neben ihm her fuhr.
»Der Weg ist zu Fuß zu weit. Du wirst zu spät kommen und das sieht der Direktor nicht gerne. Steig schon ein. Ich lasse dich auch eine Straße vorher raus«, redete Baltheon auf ihn ein und hielt an. Lucius musste einsehen, dass sein Onkel recht hatte, so stieg er ein. »Wehe, du hältst nicht dein Wort, dann kannst du was erleben«, brummte Lucius ihn an. Doch Baltheon hielt Wort und ließ Lucius vorher aussteigen.
»Hey Lucius«, rief Kodan von Weitem.
»Bist du auch schon aufgeregt?«
»Hey Kodan, was meinst du?«, fragte Lucius, als Kodan auf seine Höhe war.
»Na, wegen der Klassenfahrt!«
»Ach so, ich dachte, du meintest mein Geburtstag.« Kodan schaute auf den Boden und flüsterte:
»Den habe ich doch nicht vergessen.« Schon waren die beiden Jungs an der Schule angekommen, als Lucius auf einmal sagte:
»Sind dir diese komischen Leute auch aufgefallen?« Kodan sah ihn groß an.
»Was für Leute. Ich habe niemand gesehen. Wo waren sie denn?« Kodan sah sich suchend um.
»Ach, ist schon gut, vielleicht habe ich mich auch geirrt. Dachte nur, dass uns jemand beobachtet.« Die Klingel der Schule läutete und die beiden beeilten sich noch vor der Lehrerin in die Klasse zukommen.
»Hey Katzenohr, da hast du ja noch einmal Glück gehabt«, rief einer aus der Klasse, als er eintrat.
»Was meinst du?« Lucius sah Steffen schief an.
»Na, dass dich Herr Baltheon mitgenommen hat. Wohnt er in deiner Gegend?«, fragte Karsten. Es wurde still in der Klasse, jeder hatte sich das auch schon gefragt, so oft wie Lucius schon aus dem Wagen des Lehrers stieg. »Nee, lass mich zufrieden«, meckerte Lucius. In ihm brodelte es, denn keiner aus seiner Klasse wusste, dass Herr Baltheon sein Onkel war.
»Guten Morgen, würdet ihr euch bitte auf eure Plätze setzen. Du auch Lucius«, sagte Herr Baltheon, als er in die Klasse kam.
»Was machst du hier? Und wo ist Frau Zolitara?«, fauchte Lucius.
»Frau Zolitara hat wegen der Klassenfahrt noch etwas zu erledigen. Also, wir werden den heutigen Tag zusammen verbringen«, erklärte Herr Baltheon weiter.
»Das gibt es doch nicht. Jetzt muss ich den Alten den ganzen Tag ertragen«, motzte Lucius.
»Hey Katzenohr, warum duzt du Herrn Baltheon?«, fragte Karsten. Lucius lief rot an. Er hatte es nicht bemerkt, dass er dieses tat. Nun musste er Farbe bekennen.
»Herr Baltheon ist mein Onkel und ich hasse ihn«, knurrte Lucius. Kodan sah ihn mit großen Augen an. »Und das hast du mir nicht gleich gesagt.« Kodan boxte Lucius leicht auf den Oberarm.
»Hey ihr beiden, haltet euren Mund, wir haben jetzt Unterricht«, forderte Herr Baltheon die Jungs auf. Lucius funkelte seinen Onkel böse an. Wie konnte er es wagen mich so bloß zustellen und jetzt in meiner Klasse Lehrer spielen! Für Lucius vergingen die Schulstunden viel zu langsam. Als endlich die letzte Stunde beendet war, lief er zusammen mit Kodan in den Spielsalon. Hier machte sich Lucius sofort an einen der Apparate, um den Highscore zu sprengen. Dass er und Kodan wieder beobachtet wurden, bemerkten die Jungs nicht. »Genieße ruhig die Zeit, die dir bleibt. Sie währt nicht lange, darauf gebe ich mein Wort. Wenn die Zeit gekommen ist, wirst du dem Kaiserhaus Triskano gehören!«, sprach der Mann schon freudig. Er stand an der Straßenecke im Schatten, von wo er den Eingang des Spielsalons im Blick hatte.
»Was sollen wir jetzt tun, Kommandant Rogue? Da sie die Chance nicht ergreifen wollen, um das Zielobjekt zu holen? War das nicht der Befehl des Kaisers, weshalb wir mittels des MPMs in diese Welt gebracht wurden?«, meldete sich ein von Rouges Soldaten zu Wort. Missmutig sah der Kommandant ihn an.
»Sei still!«, fauchte Rogue ihn an.
»Auch dir sollte klar sein, dass wir uns in dieser fremden Welt nicht frei bewegen können. Ich hoffe, ich muss nicht noch einmal die Hintergründe erläutern. Er kann irgendwo in der Nähe sein, denn er lässt den Jungen nie aus den Augen.« Rogue hasste es, wenn man sein Tun anzweifelte. Den Soldaten traf ein Schlag in den Bauch, dass er wie ein Taschenmesser zusammen klappte.
»In Zukunft solltest du lieber schweigen«, raunte Rogue ihn an. So sehr sich Rogue auch bemühte, ihre Anwesenheit blieb nicht unbemerkt. Personen, die an ihnen vorbeigingen, warfen ihm schräge Blicke zu. Einer, der den Angriff von Rogue auf seinen Soldaten mitbekam, rief die Polizei. Als diese wenig später vor Ort eintrafen, waren Rogue und seine Männer längst fort. Ihr Tun und Aussehen hatte zu viel Aufsehen erregt. Kurze Zeit später machten sich die Jungs auf den Weg nach Hause. Die Tage vergingen und Lucius hatte nicht mehr das Gefühl beobachtet zu werden. Er dachte auch nicht mehr daran. So waren die Schultage wie alle anderen. Der Tag der Klassenfahrt war gekommen. Alle standen sie mit ihren Koffern und Taschen vor der Schule. Manche Schüler tobten auf dem Gehweg und der Sackgasse herum.
»Alle mal herhören!«, rief Frau Zolitara zur Achtsamkeit, »kommt sofort von der Straße herunter, der Bus naht. Stellt euch bitte auf und hört dem Busfahrer zu.« Nun wandte sie sich an Herrn Baltheon.
»Sind sie auch so aufgeregt? Ich kann es kaum erwarten, wieder ins Hochland Menebus zu kommen. Ich habe so schöne Erinnerungen an diesen Ort. Waren sie schon mal dort?«
»Nein, ich bin nicht aufgeregt und in den Hochlanden war ich noch nicht. Mir ist auch nicht wohl dabei, so weit entfernt von einer Stadt zu sein, so mitten im Nirgendwo und das tagelang. Ich hätte einen belebteren Ort wie ein Hotel bevorzugt, als eine Jugendherberge«, antwortete er ihr. Ich muss verflixt aufpassen, es ist sicher ein Ort, der sich hervorragend für Hinterhalte und sonstige Schandtaten eignet. Wie ich ihn kenne, wird er sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen. Er wird alles daran setzen, um es zu erreichen. Und ich werde es verhindern, versprochen, dachte Baltheon bei sich. Schon kam der Bus rückwärts die Sackgasse heruntergefahren, bis er vor der Schule zum Stillstand kam. Die Türen öffneten sich und der Busfahrer stieg aus. Frau Zolitara begrüßte den Mann freundlich und klimperte mit ihren Augen.
»Gute Frau, sie brauchen mich nicht so anschmachten, suchen sie sich jemand anderen« meinte der Fahrer zu ihr. Gekränkt zog Frau Zolitara sich zurück. Sie war traurig, ihr gefiel der Busfahrer. Kopfschüttelnd wandte sich der Busfahrer Baltheon zu.
»Olav Hemming mein Name. Ich werde sie zu ihrem Zielort bringen. Sie sind Herr Baltheon? Und das ist Frau Zolitara, die mit meiner Firma telefoniert hat?« Herr Baltheon nickte.
»Na dann seid ihr die Schüler der städtischen Melzer-Mittelschule. Es freut mich, eure Bekanntschaft zu machen«, sprach Olav zu den Jugendlichen.
»Es wäre schön, wenn einer nach dem anderen seinen Koffer mir reichen würde und dann in den Bus geht. Unsere Fahrt wird circa viereinhalb Stunden plus Pause dauern, also habt einfach Spaß auf der Fahrt.« Nochmals wandte er sich an Herrn Baltheon:
»Sagen Sie mir bitte, wie viele Personen einsteigen werden. Ich muss es mit meiner Liste vergleichen.« Ehe Herr Baltheon was sagen konnte, mischte sich Lucius ein.
»Es sind vierundzwanzig, Herr Hemming.« Dankend verglich Olav die Zahl mit seiner Liste, nickte und steckte diese wieder in die Brusttasche seiner Jacke.
»Darf ich erfahren, wie du heißt? Du musst wohl der Musterschüler aus der Klasse sein. Das hilft mir sehr, nun weiß ich gleich, an wen ich mich wenden muss, sollte ich wieder eine Frage haben, obwohl dein Lehrer sicher das Gleiche sagen wollte.« Olav sah Lucius kurz verdutzt an. Dann fing er an, die Koffer in den Gepäckraum zu verfrachten.
»Mein Name ist Lucius Baltheon. Und der da«, Lucius machte eine Kopfbewegung zu seinem Onkel,»ist leider mein Lehrer und Onkel.«
»Gut, dann weiß ich Bescheid. Nun geh auch du in den Bus, du scheinst der Letzte zu sein, der hier noch draußen steht«, bat Olav, als alle Koffer verstaut waren. Herr Baltheon machte ein saures Gesicht, als Lucius sich nicht zu ihm setzte.
»Hey Lucius hier zu mir!«, rief sein Freund winkend. Kodan hatte ihm, im hinteren Teil des Busses, ein Platz freigehalten.
»Niemand mag es, neben einem Lehrer zu sitzen. Schon gar nicht, wenn dieser mit einem verwandt ist. Unglaublich, unser neuer Lehrer ist dein Onkel. Ich kann es immer noch nicht glauben. Zudem ist er auch noch dein Vormund. Es ist bestimmt nicht leicht, so zu leben. Zum Glück hat sich das Gerede schnell in der Klasse gelegt, als es bekannt wurde. Wenigstens scheint ihr euch zu verstehen, anders als bei mir«, flüsterte er zu Lucius, als dieser sich zu ihm setzte. Kodan wurde traurig, als er an seine eigene Familie dachte. So hatte Lucius seinen Freund noch nie gesehen. Er kannte Kodan nur als den Jungen, der lachte und Blödsinn machte. Erst als Kodan ihm ein Bild seiner Familie zeigte, konnte er dessen Trübsal verstehen. Auf dem Bild waren Kodan seine Eltern zu sehen, die sich zwar an den Händen hielten, aber zum Boden sahen. Kodan stand ohne ein Lächeln im Gesicht abseits, irgendwie allein gelassen. Alle johlten auf, denn Olav setzte sich hinter das Lenkrad. Nach einem prüfenden Blick in den Rückspiegel startete er und der Bus fuhr los.
»Hey Kodan, warum summt eine Biene?«, fragte Lucius verschmitzt. Kodan zuckte nur mit den Schultern.
»Na, sie hat den Text vergessen. Und was fliegt und macht mus mus?«
»Was ist das den für eine saublöde Frage?« Kodan fing schon wieder an, etwas zu schmunzeln.
»Und weißt du es?«, fragte Lucius nach.
»Nein, weiß ich nicht.«
»Es ist eine Biene, die rückwärts fliegt.« Nun musste Kodan wirklich lachen, denn er stellte es sich gerade vor. »So, jetzt habe ich aber auch was für dich.« Kodan kramte in seinem Rucksack herum und holte ein Päckchen heraus.
»Alles Gute zum Geburtstag, Lucius.«
»Du hast daran gedacht. Danke, Kodan. Ich dachte schon, alle würden es vergessen haben. Selbst der Idiot da vorne hat nichts gesagt«, bemerkte Lucius und packte das Geschenk aus. Ein Freundschaftsarmband fand Lucius in der Schachtel. Als er es sich über den Arm streifte, zeigte Kodan, dass er das Gleiche hatte. »Freunde für immer.« Kodan lächelte. So wie er es sagte, so fühlte er auch.
»Ja, Kodan, Freunde für immer.« In diesen Moment fühlte sich Lucius glücklich. Einen besseren Freund hätte er nicht haben können. Frau Zolitara, die sich neben Herrn Baltheon gesetzt hatte, flirtete ihn an. Doch auch Baltheon wies sie ab.
»Lieber Gott, womit habe ich das nur verdient. Immer wieder werde ich von den Männern abgelehnt. Ich bin doch schön und zugleich eine Singlefrau. Da müsste sich doch jeder Mann in mich verlieben. Doch tut das keiner. Erhöre meine Gebete und erfülle sie mir!«, bettete sie gen Himmel, dabei erhob sie die Hände gefaltet in die Höhe. Kodan fing gerade lautstark an zu lachen, was die anderen ansteckte. So lachten alle, nicht wegen Frau Zolitara, sondern weil Kodan lachte. »Mensch Katzenohr, woher kennst du solche Witze?«, wollte Karsten wissen.
»Na ja, manchmal lernt man doch was von Baltheon«, feixte Lucius. Und schon wieder wurde gelacht.
»Es gibt nichts Schöneres, für mich, als Kinder lachen zu hören«, flüsterte Olav Hemming und griente.
»Haltet euch alle jetzt gut fest, es kann holprig werden.« Hörte man Olavs Stimme aus den Lautsprechern, die im Bus verteilt waren. Der Bus fuhr über eine alte Landstraße, die mit Kopfsteinpflaster gepflastert war. Nachdem sich alle wieder beruhigt hatten, wurde es still im Bus. Der eine oder andere schlief vor Langeweile ein. Erst als der Bus stillstand, erwachten sie wieder. Verschlafen rieben die Jugendlichen sich die Augen und sahen hinaus.
»Aufgewacht, wir haben das Hochland von Menebu erreicht. Ihr habt so schön geschlafen, dass ich keine Pause eingelegt habe. Damit endet unsere Fahrt. Ich hoffe, euch alle bald wiederzusehen. Sobald sich die Türen öffnen, könnt ihren aussteigen«, ertönte es aus dem Lautsprecher des Busses. Leise flüsterte Olav zu Frau Zolitara.
»Ich bin fest überzeugt, dass sie den Mann ihrer Träume noch finden werden.« Die Türen öffneten sich. Jubelnd stürmten die Kinder aus dem Bus. Olav reichte den Jugendlichen die Koffer heraus, die dann weiter nach hinten gereicht wurden. Es dauerte nicht lange, bis jeder seinen Koffer in seine Hände hielt. Alle winkten Olav hinterher, bis der Bus nicht mehr zu sehen war.
»Alle hergehört!«, rief Frau Zolitara.
»Wir werden jetzt zur Herberge gehen, wo wir die Tage bleiben. Ich möchte euch bitten, nicht gleich hineinzustürmen, vorher habe ich euch dort noch etwas zu sagen. So, nehmt eure Koffer und folgt uns.« Wie ihnen gesagt wurde, marschierten alle den Lehrern hinterher. Manche fingen unter der Last ihres Koffers, an zu ächzten. Vor dem Eingang der Herberge stellten sich Frau Zolitara und Herr Baltheon auf die Eingangsstufen, sodass sie alle Schüler im Blick hatte.
»Hört mir alle genau zu. Da wir fünfeinhalb Tage in den Hochlanden Menebu verbringen werden, haben wir uns ein Programm ausgedacht, das ich beim gemeinsamen Abendessen bekannt geben werden. Bis dahin könnt ihr, nachdem ihr eure Zimmer aufgesucht habt, tun und lassen, was ihr wollt. Solange ...« Frau Zolitara erhob mahnend einen Finger, »ihr das Herbergsgelände nicht verlasst. Wenn Herr Baltheon nicht noch etwas zu sagen hat, seid ihr entlassen. Oh, noch eins. Ihr kommt nacheinander herein, wo ich jedem die Zimmernummer nenne. Bitte seit nicht so laut, es befinden sich noch andere Gäste in der Herberge.« Die Lehrer betraten die Herberge und die Schüler ihnen hinterher. Lucius war froh, dass er zusammen mit Kodan ein Zweibettzimmer bekommen hatte. Sie warfen ihre Koffer auf die Betten und rannten wieder hinaus. Beim Eingang sahen sie sich den Lageplan des Herbergsgeländes an.
»Lass uns die Umgebung erkunden, Kodan«, forderte Lucius seinen Freund auf. Kodan zögerte. Er machte sogar ein paar Schritte zurück. Lucius sah Kodan fragend an und Kodan grübelte. Sollten sie schon am ersten Tag auf Entdeckungsreise gehen. Doch Kodan Neugier war größer, er schüttelte seine Zweifel beiseite. So marschierten die beiden los, hinein in den umliegenden Wald. Sie unterhielten sich über die Busfahrt und lachten. Die Jungs waren so vertieft, dass sie nicht merkten, dass sie die Geländegrenze längst überschritten hatten. Erst als sie die Bäume hinter sich ließen und auf ein Felsplateau standen, bemerkten sie ihr Irrtum. Das Plateau war eine spärliche, bewucherte, ebene Fläche. Kodan war überwältigt, als er am Rand des Plateaus stand. Unterhalb floss ein Bach und die Aussicht war unbeschreiblich. Die Sonne ließ den Bach wie ein silbernes Band glitzern. Kodan streckte die Arme in die Höhe und gab ein Jubelschrei von sich.
»Du weißt, dass wir uns nicht mehr auf dem Herbergsgelände befinden, oder?«, fragte Lucius vorsichtig.
»Ja, das habe ich ebenfalls bemerkt. Aber schau dir nur einmal das an. So etwas bekomme ich sonst nie zu sehen. Anders als du, der auf einem Berg inmitten der Natur wohnt, lebe ich im völlig überfüllten Stadtzentrum von Minas. Und das mit einer Familie, wo jeder nur an sich selbst denkt, was für mich unerträglich ist. Deswegen bin ich froh, einen Freund wie dich zu haben«, sagte Kodan, dem eine Träne die Wange herunterlief. Lucius schluckte, kam ihm doch das Familienbild von Kodan ins Gedächtnis.
»Wir sollten zurückgehen«, flüsterte Lucius. Sie wandten sich dem Wald zu, dann sahen sie sich verunsichert an. Weder Kodan noch Lucius wussten, in welche Richtung die Herberge lag. Ihnen wurde bewusst, dass sie sich verirrt hatten. Plötzlich bröckelte der Boden unter Kodans Füßen. Er drohte die steilgehende Felswand herunterzufallen. Lucius, der ein Schritt hinter Kodan stand, reagierte sofort. Er griff Kodans Hand, doch bevor er ihn zu sich ziehen konnte, gab der Boden nach und Kodan fiel hinab. Sein Freund schrie vor Schreck auf. Doch Lucius, der auf den Bauch fiel, hielt ihn fest. Um Kodan zu retten, reichte Lucius ihm seine zweite Hand entgegen.
»Nimm meine Hand«, schrie er seinen Freund an. Bei dem Anblick, wie tief es nach unten ging, fing Lucius an zu schlucken. Unterhalb von ihnen waren Bäume, doch den Boden konnte man nicht wirklich erkennen. Kodan flehte Lucius an, ihn endlich hinaufzuziehen. Er sehnte sich nach festen Boden unter seinen Füßen. Als es danach aussah, hochgezogen zu werden, kam es anders. Noch bevor Lucius Kraft nachließ, zerfiel auch unter ihm der Boden. Gemeinsam mit Kodan fiel er dem Abgrund entgegen. Da keiner wusste, wo sie waren, konnte niemand ihnen zur Hilfe kommen. Trotzdem schrien sie laut:
»Hilfe!«
Nichts und niemand schien, ihren Fall beenden zu könnten. Weshalb sich die Jungen auf das Schlimmste gefasst machten. Lucius ließ Kodan nicht los, sie hielten sich immer noch an den Händen fest. Als die Wipfel der Bäume zum Greifen nahe waren, bremste etwas ruckartig ihren Fall. Erst wirbelten sie in die Höhe, dann landeten sie, auf dem Rücken liegend, auf dem festen Boden. Sie sahen zu ihren Füßen, um zu erkennen, wer sie dort festhielt. Beide brauchten einen Augenblick, bis sie registrierten, dass es Lucius Onkel war, der sie gerettet hatte.
»Wir sind gerettet und dabei dachte ich schon, es wäre um uns geschehen. Danke, danke! Doch woher wussten sie, wo wir sind? Und wie konnten sie uns im freien Fall retten?«, fragte Kodan aufatmend, noch am Leben zu sein.
»Ich muss mich auch bei dir bedanken, Onkel. Woher wusstest du, dass wir nicht ...? Wir hatten uns doch verirrt. Auch ich will wissen, wie du es schaffen konntest, uns zu retten, raus mit der Sprache. Wir waren doch schon viel zu tief gefallen, als dass du so einfach nach uns greifen konntest! Ich verlange eine Antwort!«, pochte Lucius provokant. Mittlerweile hatten sich die Jungs aufgesetzt und sahen Baltheon fragend an. Kodan erfreut gerettet zu sein, warf Lucius einen wütenden Blick zu, weil er so viele Fragen stellte, auf deren Antwort er immer noch wartete.
»Fauche Herrn Baltheon nicht so an! Schließlich hat er uns gerettet. Wir sollten glücklich sein, dass nichts Schlimmeres passiert ist. Jetzt will ich nur noch zur Herberge und diese Minuten schnellstmöglich vergessen. Du doch auch, oder?«, gab Kodan von sich. Er sprang auf und wollte schon loslaufen, als Baltheon ihn stoppte.
»Wenn du jetzt ohne uns gehts, Kodan, erwarte nicht, dass ich dich nochmals rette. Außerdem bezweifle ich, dass einer von euch den Weg zurück weiß. Dann wäre da noch eine gewisse Sache, die ihr verbrochen habt. Mir ist es gleich, ob ihr bewusst oder unterbewusst gehandelt habt. Sobald wir in der Herberge sind, macht euch bereit für euer Vergehen die Konsequenzen zu tragen. So und nun zu eurer Frage, woher ich wusste, wo ihr seid. Das bist du, Lucius. Ich versprach, dich um jeden Preis zu beschützen. Das schließt für mich ein, immer in deiner Nähe zu sein.« »Aber dann hättest du uns ja warnen können, bevor wir die Grenze des Herbergsgeländes überschritten«, bemerkte Lucius sauer.
»Ja, hätte ich können. Doch ich wollte mich nicht zeigen. Jetzt wird es Zeit zu gehen«, forderte Baltheon, um sich auf den Weg zu machen. Kaum dass sie ein paar Schritte machten, hielt Baltheon inne und packte die Schultern der Jungs. Er spürte eine Präsenz auf sie zukommen. Angespannt sah er in den Wald hinein. »Seid still und rührt euch nicht, verstanden!«, sprach er mit rauer Stimme zu ihnen. So kannte Lucius seinen Onkel nicht. Verwirrt sah Kodan zu ihm rüber, auch er verstand nicht, was gerade geschah. Das Zwitschern der Vögel verstummte. Der Wind schien still zu stehen. Jedes Geräusch war verstummt, bis auf das pochende Herz in seiner Brust. Es war unheimlich. Kodan zitterten an ganzen Leib. Das Nähern von Schritten und das Rascheln vom Laub auf dem Waldboden unterbrach die Stille. Zu Lucius Freunde ließ sein Onkel sie los. Baltheon griff zu seinem Hals, wo sich seine Finger um die Kette legten, die er trug. Es war im Grunde eine unscheinbare Kette mit einem Kreuz daran. In dem Moment, wo Baltheon das Kreuz nicht mehr auf seiner Haut spürte und es vor ihm baumelte, flüsterte er kaum hörbar ein paar Worte. Das Kreuz vergrößerte sich zu einem Schild, hinter dem sie alle drei Schutz fanden. Lucius starrte dieses Schild an. Er fragte sich, wie es vor ihnen schweben konnte, um sie zu schützen. Fragend sah er seinen Onkel an, in der Hoffnung, dass er es erklären würde. Doch Baltheon blieb stumm. Kodan wurde immer ängstlicher, bis er es nicht mehr aushielt. Er nahm seine Beine in die Hand und rannte schreiend, als wenn der Teufel hinter ihm her sei, in den Wald hinein. Baltheon wollte ihn noch aufhalten, indem er versuchte, nach ihm zu greifen. Doch Kodan war schneller, als er reagieren konnte.
»So ein Trottel, warum konnte Kodan nicht hierbleiben und still bleiben? Erst das Geschrei bei dem Sturz von der Klippe. Und das jetzt, wo er sich nähert. Ist seine hervorstechende Aura nicht Ärger genug? Was solls, es ist nicht mehr zu ändern«, seufzte Baltheon.
»Egal, was geschieht, du weichst mir keinesfalls von der Seite. Ich versprach, dich mit allen Mitteln zu beschützten, genau das tue ich. Selbst wenn es mein Leben kosten würde. Mal sehen, wie viele von ihnen aufkreuzen. Ich lasse sie erst mal etwas von meiner Kraft spüren!«, flüsterte er. Lucius nickte, auch wenn er nicht wusste, wovon sein Onkel sprach. Von Baltheon ging eine spürbare Kraft aus, die Lucius mit Worten nicht wirklich beschreiben konnte. Er spürte diese Kraft, wie ein Schauer, der Gänsehaut bereitete. Baltheon seine Kraft entfaltete die gewünschte Wirkung. Sie fegte wie ein Orkan über das Plateau und machte alle Gestalten vor ihnen kampfunfähig. Er hatte gehofft, dass die Gefahr für Lucius damit vorbei sei, doch er irrte sich. Es erschien ein Mann, dessen Rüstung im Abendlicht wie Gold schimmerte. Er trug, anders als Baltheon, versteckt unter seinem Umhang eine Waffe bei sich.
»Man hat sich schon lange nicht mehr gesehen. Hätte dich kaum wiedererkannt, Theo Triskano. Ach, entschuldige, in dieser Welt nennst du dich ja Baltheon.« Verachtung lag in der Stimme des Mannes. Lucius war neugierig. Wieso nannte der Mann seinen Onkel Theo Triskano? Er versuchte hervorzukommen, um den Mann genauer betrachten zu können. Doch Baltheon schob ihn wieder hinter sich.
»Alle Achtung, du hast fast alle kampfunfähig gemacht. Du bist stärker geworden, aber nicht stark genug. Nun hoffst du, nur mit einem Kreuzschild uns, die Gesandten von Triskanos abwehren zu können?« Der Mann vor ihnen grinste und lachte höhnisch auf.
»Dies zeigt nur mehr deinen Verrat an deinem eigenen Land. Und warum? Wegen des Jungen, dessen Bedeutung dir wohlbekannt ist. Übergebe ihn mir, dann sehe ich über deinen Verrat hinweg. Ich erzähle keinem von deinem Leben in dieser Welt? Andernfalls ...« Der Mann stockte, sein Blick lag auf Lucius. Der wieder einmal hervorlugte. Der Fremde wirkte auf ihn bedrohlich, vor dem man Angst bekam. Baltheon schob Lucius abermals hinter sich.
»Bleib hinter mir, verdammt noch mal!«, grollte er ihn mahnend an.
»Ihr müsst ihn euch schon mit Gewalt holen. Freiwillig überreiche ihn nicht. Schon gar nicht einem Schurken wie dir Rogue. Ja, ich weiß um die Bedeutung des Jungen und was mein alter Herr mit ihm vorhat, nur zu gut! Ich gab seinen Eltern und mir ein Versprechen. Dafür nehme ich den Verrat gerne in Kauf. Anders, als wie meine Landsleute betrachte ich ihn als einen Menschen und nicht als ein Werkzeug, das man nach Benutzung wegschmeißt«, entgegnete Baltheon heroisch. Der Mann, den Baltheon Rogue nannte, lachte nur und spottete über Baltheon verachtend her. Lucius schäumte vor Wut, welches Rogue nicht entging, da Lucius zum dritten Mal hervorblickte. Breit grinsend sah er dem Jungen ins Gesicht. Lucius hielt es nicht mehr aus, er entzog sich dem Schutz seines Onkels. Er wollte schon auf Rogue losstürmen, als Baltheon ihn am Kragen packte, ihn umdrehte und ihm einen Schlag in den Bauch verpasste. Wie ein nasser Mehlsack sackte der Junge zusammen. Noch bevor er auf den Boden sinken konnte, warf Baltheon sich ihn über seine Schulter.
»Er wäre mir fast freiwillig von selbst ins Netz gegangen. Aber du musstest dich wieder einmischen«, grollte Rogue.
»Wobei, ein anderes Handeln, als dieses kenne ich von dir ja nicht. Dir ist kein Mittel zu schade, um ihn zu beschützen. Für einen Jungen, dessen Leben wertvoller ist, als deines. Stellst dich mir und somit dem ganzen Kaiserreich entgegen. Wenn es so ist, dann brauche ich mich nicht mehr zurückhalten. Ich wollte dir eine Chance geben. Du nimmst diese ja nicht an. So wird es mir eine Freude sein, deinem Leben ein Ende zu setzen«, brüllte Rogue und vollführte eine Transformation durch. Seine Männer, die wieder zu sich gekommen waren, griffen mit Schwertern, Speeren und Auren-Geschossen Baltheon pausenlos an. Dieser griff mit der rechten Hand zu dem schwebenden Kreuz, welches er nun als magischer Schutzschild vor sich hielt. Obwohl er Lucius auf seiner Schulter trug, parierte Baltheon jegliche Angriffe mit dem Schild ab. Die Auren-Geschosse lenkte er entweder nach links oder rechts ab, dass sie ins Leere verpufften. Baltheon lief auf die Männer zu und schlug mit dem Schild zu. Einer nach dem anderen fiel besinnungslos um.
»Mutig von dir und deinen Männern mich anzugreifen. Du weißt, dass es dir unmöglich ist, meine Verteidigung zu durchbrechen. Da nützt auch der Einsatz deiner Gottesfrucht nichts. Gegen einen Schild, welche mir die Götter schenkten, haben deine Leute keine Chance und du auch nicht. Sehe es ein und verschwinde. Sonst muss ich es sein, der Ernst macht!«, drohte Baltheon. Rogue, der die Drohung ignorierte, vollendete seine Transformation. Ein großer Pandabär stand aufrecht vor ihm, der die Kleidung von Rogue trug. Diese war auf magischerweise auf die Größe des Bären angepasst. »Danke dir. Jetzt gibt es nur noch uns beide und den Jungen auf deiner Schulter. Zeit, den Kampf zu beenden. Ich heiße nicht umsonst Rogue, hätte ich nicht noch ein Ass im Ärmel, dass ich ausspielen könnte. Das ist mein Weg, die magische Barriere deines Schildes umgehen zu können«, protze er siegessicher. Rogue zog mit einer Pranke eine Tinktur aus der Tasche des Umhanges. Öffnete das Fläschchen und trank den Inhalt komplett leer. Achtlos ließ er die Flasche zu Boden fallen. Es war ein Verstärkungstrank gewesen, was seine Muskeln um ein Vielfaches anschwellen ließ. Baltheon machte sich zum Abwehren bereit. Von Stärke strotzend rannte Rogue, als Panda auf allen vieren los. Alles, was dabei seinen Weg kreuzte, wurde zerstört. Er war sich sicher, Baltheon besiegen zu können. Rouge bäumte sich auf und mit geballter Kraft holte er mit der Pranke zum Siegesschlag aus. Doch Baltheon parierte den Schlag und konterte mit dem Schild. Der Panda starrte ihn an und kippte bewegungsunfähig zu Boden.
»Das war´s Rogue. Der Kampf ist vorbei. Geht dorthin, wo du und deine Männer hergekommen seid. Ich wiederhole mich kein zweites Mal, ist das klar! Und beeilt euch, ehe euch noch jemand sieht. Wage es nicht, uns zu folgen!« Den letzten Satz betonte Baltheon mit strenger Stimme. Er senkte das Kreuzschild, was sich wieder zu einem Kreuz an der Kette verwandelte. Mit nur einer Hand legte er sich die Kette wieder um den Hals, was ihm etwas Mühe breitete. Das Plateau war verwüstet, es zogen sich tiefen Risse im Boden und den angrenzenden Bäumen.
»Da dies nun erledigt ist, muss ich Kodan suchen. Er sich sicher vor lauter Angst irgendwo im Wald versteckt. Außerdem muss ich mir eine Ausrede einfallen lassen, mit der ich das hier alles glaubhaft tarnen kann«, ächzte Baltheon und lief mit Lucius auf der Schulter in den Wald. Zu seinem Glück erwies sich die Suche nach Kodan leichter als erwartet. Der Junge hatte sich unweit des Plateaus in einer Baumhöhle versteckt.
»Was ist los, Onkel? Wieso trägst du mich auf der Schulter? Das will ich nicht, lasse mich sofort runter. Ich bin doch kein kleines Kind, das nicht laufen kann. Wenn die anderen mich so sehen, werden sie mich verspotten und noch mehr meiden«, meckerte Lucius, während er sich den brummenden Kopf hielt. Kodan erging es genauso, er wartete ungeduldig die Antwort ab. Lucius von der Schulter gelassen, erzählte Baltheon ihnen eine Halbwahrheit, ohne ins Detail zu gehen. Damit gaben sich Lucius nicht Kodan zufrieden. Sie spürten beide, dass Herr Baltheon sie belog.
»Wir wollen doch ...«, äußerten die Jungen. Baltheon schnitt den Jungs das Wort mit einer Handbewegung ab. Er besaß kein Interesse daran, sich zu erklären. Es war ihm wichtiger, das Thema zu wechseln. Er erinnerte die Jung an ihr Vergehen, als sie das Gelände der Herberge verlassen hatten. Geknickt sahen sie zum Boden und trotteten ihrem Lehrer hinterher. Kein Wort kam mehr über ihre Lippen. Sie ahnten, dass die Konsequenzen groß ausfallen würden. Als die drei bei der Herberge eintrafen, es fing schon an zu dämmern, machten Lucius und Kodan große Augen. Auf der Eingangstreppe stand Frau Zolitara. Sie hatte ihre Hände in die Hüfte gestemmt und sah die Jungs böse an. Was die zwei Herren der örtlichen Polizei, die neben ihr standen, auch taten.
»Wie konntet ihr es wagen, das Gelände zu verlassen? Wir haben uns Sorgen gemacht. Ich musste sogar die Polizei hinzuziehen. Wisst ihr eigentlich, wie peinlich so etwas ist?«, polterte Frau Zolitara los.
»Aber«, Lucius wollte etwas einwenden.
»Nicht aber, ihr wusstet, dass es nicht erlaubt war. Kein anderer Schüler hat dieses getan, nur ihr zwei. Als Strafe geht ihr hungrig ins Bett«, fauchte Frau Zolitara weiter, dabei zeigte sie auf die Eingangstür. Dies war der Hinweis, dass die Jungs sich auf ihr Zimmer zu begeben hatten. Schnell liefen sie los, nicht dass Frau Zolitara oder Herr Baltheon sich noch eine weitere Strafe einfallen lassen würden.
»Da sind wir noch mal mit einem blauen Auge davon gekommen. Sie hätte uns auch nach Hause schicken können«, meinte Kodan.
»Ist dir aufgefallen, dass mein Onkel nicht ein Wort gesagt hat. Er hätte doch Frau Zolitara erzählen können, in was für eine Gefahr wir geraten waren«, wunderte sich Lucius.
»Na ja, vielleicht tut er es ja noch«, entgegnete Kodan. »Was war das?«, fragte Lucius auf einmal. Er hatte ein knurrendes Geräusch gehört.
»Das war nur mein Magen. Ich habe Hunger«, erwiderte Kodan.
»Jetzt greift unsere Bestrafung. Komm, lass uns schlafen, dann merken wir nicht, dass wir Hunger haben«, forderte Lucius. Bei der nächtlichen Patrouille durch die Herberge warf Baltheon in jedes Zimmer der Klasse einen Blick hinein, bei Lucius und Kodan sogar zweimal. Es war noch dunkel, als sich ein gewaltiges Gewitter über dem Hochland entlud. Beim ersten Donner waren sie kurz erwacht, schliefen dennoch wieder fest ein. Die Blitze erleuchteten das Zimmer der Jungs immer wieder, was die Jungs in ihren Schlaf nicht störte. So bemerkte keiner von ihnen, wie sich ein gleißendes Licht in ihrem Zimmer manifestierte. Rogue trat hervor, legte seine Hand auf Lucius Mund, hob ihn auf seine Arme und verschwand in diesem Licht. In dem Moment, wo das Portal anfing sich zu schließen, gab es einen lauten Knall. Ein Blitz war ganz in der Nähe eingeschlagen. Als Kodan am Morgen erwachte, hatte er das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Er sah sich um, Lucius lag nicht in seinem Bett. Aufgeregt lief auf den Flur.
»Herr Baltheon, Herr Baltheon, etwas stimmt mit unserem Zimmer nicht«, rief Kodan schon von Weiten, als er den Lehrer erblickte.
»Immer mit der Ruhe«, forderte sein Lehrer.
»Was soll mit eurem Zimmer nicht stimmen?«
»Das weiß ich doch nicht. Es ist nur so ein Gefühl. Wissen Sie, wo Lucius ist?«, fragte Kodan aufgeregt weiter.
»Na gut, ich schaue es mir einmal an. Wo mein Neffe zurzeit ist, kann ich dir auch nicht sagen. Er wird aber sicher im Bad sein«, entgegnete Baltheon. So gingen sie zusammen hinauf. Frau Zolitara, die das Gespräch mitbekam, versuchte die Schüler, die auf den Fluren standen und laut quasselten, zu beruhigen.
»Es ist alles in Ordnung. Geht wieder in euer Zimmer und zieht euch um. Es gibt gleich Frühstück.« Baltheon hatte einen Verdacht, was im Zimmer passiert war. Er hoffte, dass er sich irren würde. Leider bestätigte sich seine Vermutung, als er das Zimmer durchsuchte. Ihm fiel, für andere unsichtbar, etwas auf und verlor keine Zeit zu handeln. Zu Kodan sagte er nur:
»Lucius ist nicht im Bad. Ich gehe ihn suchen.« Baltheon hatte noch ein Gespräch mit Frau Zolitara, dann verließ er die Herberge und kam nicht zurück. Sein Weg führte ihn eine ganz andere Welt, namens Balthon. Zu dieser waren Rogue und seine Einheit schon zurückkehrt.
»Ich muss dringend zum Kaiser«, rief der Bote den Wachen an den Türen zum Thronsaal entgegen. Sie schafften es gerade, die Türen zu öffnen, als der Bote wie ein Wirbelwind an ihnen vorbeisauste. Die Fahnen mit den Wappen von Triskanos, die von der Decke hingen, bewegten sich durch den Luftzug. Der Bote rannte den roten Teppich entlang, bis zum Ende des Saales. Vor dem Podest kniete sich der Bote nieder, auf dem drei Throne standen. Auf dem mittleren und größeren Thron saß Kaiser Zeno.
»Steh auf, was hast du mir zu berichten?«, fragte Zeno. Völlig außer Atem schnappte der Bote nach Luft.
»Eure Hoheit verzeiht mir, dass ich störe. Kommandant Rogue kam soeben mit seiner Einheit zurück. Seine Leute mussten vom Heiler versorgt werden. Manche kamen halb tot hier an. Doch der Kommandant marschierte direkt in sein Gemach. Er hätte auch den Heiler aufsuchen sollen. Mir schien, dass etwas nicht in Ordnung war. Des Weiteren ...«
»Stopp«, rief Zeno. Der Bote verstummte.
»Richte dem Kommandanten Rogue aus, er soll sich umgehend bei mir einfinden.« Er warf dem Boten ein Säckchen mit Münzen vor die Füße.
»Jetzt geh und tu, was ich dir aufgetragen habe«, befahl der Kaiser. Der Bote verbeugte sich tief, nahm den Beutel, drehte sich um und lief freudig grinsend aus dem Raum. Auf dem Flur sah er hinein und staunte. Zehn Trelar befanden sich im Beutel. So viele Münzen hatte seine Hoheit ihm für eine Nachricht noch nie gegeben. Eilig machte er sich, auf den Weg, um den Auftrag auszuführen. Es dauerte nicht lange, da sprang die Flügeltür zum Thronsaal mit einem heftigen Ruck auf. Die Türen hüpften aus ihren Angeln und flogen mit einem lauten Knall auf dem Boden. Rogue kümmerte dies nicht, er ging direkt auf den Kaiser zu und kniete sich vor ihm nieder. Kopfschüttelnd hielt sich Zeno die Stirn. Die Wachen sahen sich das Unglück an und versuchten die Türen, wieder in die Angel zu hängen. Was ihnen nicht wirklich gelang. Windschief hingen die Türen in den Zargen.
»Wieder neue Türen. Wer von und beiden geht?«, flüsterte einer der Wachen.
»Du«, antwortete der andere. Immer noch starrten sie die windschiefen Türen an. Erst als der Kaiser sich räusperte, drehten sie sich zu ihm um. Mit einem Wink gab er ihnen zu verstehen, dass sie den Raum verlassen sollten. Was die Wachen sofort taten. Zeno stand auf, kam die Stufe herunter, holte aus und verpasste dem knienden Rogue zwei Hiebe ins Gesicht. Durch den Ring, den der Kaiser trug, wurde Rogue gezeichnet. Blut floss seine Wangen herunter. Ohne eine Gegenwehr nahm Rogue diese Bestrafung hin. Ohne ein Wort zu sagen, kehrte Zeno zu seinem Thron zurück.
»Rogue, was soll ich dazu sagen? Ich zähle schon gar nicht mehr mit, wie oft du die Türen zum Thronsaal aus ihren Angeln gerissen hast. Langsam mag ich nicht mehr darüber hinwegsehen. Deswegen die erste Ohrfeige. Zukünftig werde ich dich zur Kasse bitten!«, mahnte er den Kommandanten ab.
»Die Zweite bekamst du, weil du nicht sofort nach deinem Eintreffen hier erschienen bist. Wie kannst du dir so etwas erlauben!«, brüllte der Kaiser weiter. Rogue erhob sich.
»Eure Hoheit, ich bedanke mich und nehme die Wunden als Mahnung an und verspreche dieses in Zukunft sein zu lassen«, antwortete er aufrichtig.
»Das will ich hoffen!«, brummte der Kaiser. Er holte tief Luft und sprach weiter:
»Nun berichte mir, wie deine Mission verlief. Hast du den Jungen gefunden und ist er in deiner Gewalt? Ihn benötigen wir, um unser ... nein, mein Vorhaben zu erreichen. Nun berichte und lasse kein Detail aus. Lass dir aber auch nicht mehr Zeit, als nötig«, forderte Zeno »Ich entschuldige mich für das, was ihr zu hören bekommt, mein Kaiser. Bitte habt Nachsehen mit mir.« Rogue neigte seinen Kopf, dann berichtete er. Andächtig hörte der Kaiser zu. Ab und an war eine Zornesfalte auf der Stirn von Zeno zu sehen.
»Meine Hoheit, ihr habt alles gehört, von dem, was in der anderen Welt geschah. Ich habe es unterschätzt und nicht mit dieser Gegenwehr gerechnet. In Zukunft wird es zu so einem Versagen nicht mehr kommen. Ich werde jede Strafe wegen meines Versagens auf mich nehmen«, gestand Rogue. Er kniete sich reumütig nieder und war auf alles gefasst. Doch es passierte nichts.
»Bring mir den Jungen«, forderte Zeno. Mit einem Wink entließ er Rogue.
Nach einigen Stunden war Rogue wieder im Thronsaal. »Mein Kaiser, wie befohlen bin ich gekommen, um euch über den Einsatz des MPMs zu berichten.« Schon kniete er vor dem Thron und sah zum Kaiser auf.
»Ich hoffe, du hast Erfreuliches zu verkünden. Du wolltest mich nicht noch mal enttäuschen, also berichte«, sprach Zeno schroff. Er hatte das Gefühl, dass Rogue sein Versprechen nicht gehalten hatte.
»Warum ist Yukiko anwesend, ohne dass ich sie rufen ließ?«, brüllte Zeno fast. Böse blickte er zu ihr, die rechts in seinem Blickfeld ebenfalls kniete und ihr Haupt gesenkt hielt.
»Eure Hoheit, ich bitte um Vergebung. Der Kommandant befahl es mir. Da ich etwas über den Jungen herausfinden konnte. Was ihr erfahren solltet«, bat sie unterwürfig. Zeno sah sie immer noch erzürnt an. In ihm breitete sich eine Wut auf. Welches Rogue wohl bemerkte. Um eine Bestrafung für Yukiko zu verhindern, erhob er das Wort:
»Verzeiht ihr, mein Kaiser. Bestraft mich, denn sie tat nur das, was man ihr befahl.« Rogue neigte seinen Kopf und erwartete eine Bestrafung, auch wenn er es innerlich nicht einsah. Da diese aus blieb, sprach er weiter:
»Der Einsatz vom MPM funktionierte, wie wir es geplant haben. Wir konnten den Jungen, in die unsere Welt holen. Somit war es ein Erfolg und ebnet den Weg für Größeres. Doch als wir am Zielort ankamen, um ihn abzuholen, war er nicht da. Was ich zu meiner Schande gestehen muss.« Dass er alleine am Zielpunkt ankam, obwohl er den Jungen auf dem Arm hatte, verschwieg er. Schließlich konnte er nicht erklären, wie dieses geschehen konnte.
»Was soll es heißen, Kommandant? Wo ist er erschienen, wenn nicht da, wo er sollte? Es wäre ungünstig für uns, falls der Junge in einem der anderen Länder aufgetaucht ist. Sagt Rogue, wo ist der Junge?« Zeno hatte schon einen roten Kopf, so sauer war er, dass es kein positives Ergebnis gab. Er holte tief Luft und wandte sich an Yukiko.
»Du kannst gehen. Ich werde mich später um dich kümmern«, wies Zeno sie an. Yukiko verneigte sich und verließ sofort den Saal. Rogue sah ihr nach, dann wandte er sich wieder dem Kaiser zu.
»Wie wir erfuhren, soll der Junge im Göttergarten erschienen sein. Doch wir können dort nicht einfach einmarschieren. Man könnte es als Kriegserklärung ansehen. Wir brauchen einen Plan, dass der Junge diesen Ort von alleine verlässt. Nun seid ihr auf den gleichen Wissensstand wie ich. Ich erlaube mir, euch zu verlassen, um weitere Ermittlungen durchführen zu können. Wenn ich Neues weiß, gebe ich sofort Bescheid. Bis dahin entschuldigt mich mein Kaiser.« Rogue stand auf, verneigte sich und verließ den Thronsaal. Er war froh, dass der Kaiser weder ihn noch Yukiko betraft, hatte. Was sich noch im Saal abspielte, davon bekamen weder Rogue noch Zeno etwas mit. Eine kleine Maus mit grünen Augen hatte sie belauscht und beobachtet. Nun schlüpfte sie hinter Rogue unbemerkt aus dem Saal, um gleich darauf in eine kleine Spalte im Boden zu verschwinden. In Zeno schwoll der Zorn wieder auf. Er ballte die Fäuste, lief zu den windschiefen Türen und boxte darauf herum, bis er sich beruhigt hatte. Dennoch stampfte er wie ein wilder Stier zum Thron.
»Es erzürnt mich, dass dieser Verräter noch am Leben ist. Ich glaubte, ihn getötet zu haben. Ach, egal. Es wird wieder eine Gelegenheit geben und dann hole ich dieses nach«, sprach er in einem rauen Ton zu sich selbst.
Indessen war Rogue im Gemeinschaftsraum eingekehrt, wo er erneut auf seine Vize-Kommandantin Yukiko traf.
»Da haben wir uns ja eine tolle Suppe eingebrockt, den Jungen aufzufinden und zu uns zubringen. Dabei ist es nicht klug, gleich mit der ganzen Einheit, wie auch nur mit zwei Mann aufzubrechen. Dazu ist das Gebiet einfach zu groß und unsere Möglichkeiten beschränkt«, grummelte Rogue vor sich her. Yukiko sah ihn an. »Eventuell wüsste ich da einen Weg, mit dieser wir den Jungen leichter finden könnten«, sprach sie und teilte es ihm mit. Rouge nickte zufrieden. Umgehend entsandte er Yukiko mit der Ausführung ihres Einfalls.
Parallel dazu spielte sich im Göttergarten, außergewöhnliche Ereignisse ab. Über dem Göttergarten tat sich am Himmel ein Loch auf, was noch heller als die Sonne schien. Aus der Öffnung kam eine rätselhafte Energie und etwas, was ungebremst zu Boden sauste. Erst die Äste und Zweige eines Baumes bremsten den Fall ab. Krachend landete es mit einigen Zweigen auf den Boden und rührte sich nicht. Das Loch am Himmel verschwand so schnell, wie es aufgetaucht war. Das alles hatte eine ältere Dame beobachtet. Erschrocken eilte sie zum Baum, um zu helfen. Ganz langsam, Schritt für Schritt, näherte sie sich dem Fremdartigen. Mit großen Augen stellte sie fest, dass das, was vom Himmel fiel, ein menschliches Wesen war, und bewusstlos vor ihren Füßen lag. Sein Äußeres machte sie neugierig.
»Ein menschliches Wesen! Ich habe in meinem Leben bereits vieles gesehen, aber noch nie, dass solche vom Himmel regnen. Es scheint noch ein Kind zu sein. Woher es wohl stammt? Wieso ist er aus dem Himmelsloch gefallen? Fragen, die ich ihm stellen kann, nachdem ich ihn zu mir nach Hause gebracht habe. Dort wird er gut aufgehoben sein, als ihn hier liegenzulassen. Wer weiß, wer nach mir kommt und sonst was mit ihm anstellt. So Melza, Ärmel hochkrempeln und den Jungen auf den Handkarren hieven, und an den Wächter vorbei. Auf gehts!«, sprach sie zu sich selbst. Keine Zeit vergeudend, setzte sie ihre Worte in die Tat um. Es kostete sehr viel Kraft, aber sie schaffte es, den Jungen in den Handkarren zu legen, und versteckte ihn unter einer Decke. Von alldem bekam der Junge nichts mit, da er nicht bei Bewusstsein war.
»Na, Melza, warst du heute wieder an Grab deines Mannes und hast ihm neue Blumen hingelegt? Zu schade, dass er tot ist. Er hat zu seinen Lebzeiten Großes für unsere Welt getan. Warst vorher noch groß einkaufen und hast alles mit hierhergeschleppt? Muss ja viel sein, so sehr wie du dich abrackerst, um den Karen zu ziehen«, sprach der Wächter sie verschlafen an.
»Ja, das werde ich nicht noch einmal tun. Aus Erfahrung wird man klug!«, bestätigte sie die Vermutung der Wache.
»Na, dann guten Heimweg«, gab er gähnend den Weg für sie frei. Frau Melza war froh, ohne Kontrolle passieren zu können. Sie musste ein gutes Stück den Karren ziehen, bis sie aus dem Blickfeld der Wache war. Um sich nicht den ganzen Weg nach Hause so abmühen zu müssen, begab sie sich zu dem Platz, wo so manche Kutsche auf Kundschaft wartete. Sie suche nach einer, die auch ihren Handwagen mit transportieren konnte. »Na Mütterchen, wohin soll es denn gehen?«, fragte der freundliche Kutscher.
»Nach Dartavis bitte«, antwortete sie.
»Das geht in Ordnung, dann steigen sie schon mal ein. Oh, ihr Enkel scheint wohl etwas zu tief ins Glas geschaut zu haben, dass er nicht bei sich ist«, vermutete der Kutscher. Der alten Dame war es peinlich, so nickte sie nur. Im Grunde war sie froh, dass der Junge als ihr Enkel angesehen wurde und der Kutscher einen Grund wegen der Ohnmacht des Jungen wusste. Als der Junge in die Kutsche verfrachtet wurde und der Handkarren auf das Brett für die Koffer gehievt ward, nahm der Kutscher die Zügel in die Hand und brachte die Kutsche ins Rollen. Nach fast einer Stunde Fahrt rief der Kutscher »Wir wären da, gnädige Frau, auf dem Markt von Dartavis.« Der Kutscher entlud den Handwagen. Der Junge war immer noch nicht erwacht, sodass der Kutscher ihn wieder in den Handwagen setzte.
»Danke hierfür. Ich wünsche ihnen noch einen schönen Tag. Tschüss«, äußerte die alte Dame und winke dem Kutscher noch zu. Dieser winkte zurück und fuhr ab. Die alte Frau legte wieder die Decke über den Jungen. Sie wollte nicht, dass gleich jeder ihn zu Gesicht bekam. So griff sie zur Deichsel des Wagens und zog diesen hinter sich her. Sie musste auf die andere Seite der Stadt, durch sehr schmale Gassen. Dort am Stadtrand, in einer verwickelten Ecke hatte sie ihr Häuschen mit einem Garten. Unterwegs traf sie allerlei Menschen. Der eine oder andere wollte nach der Decke greifen. Doch dieses ließ sie nicht zu. Böse schaute sie diejenigen stets an, sodass sie es nicht wagten, unter die Decke sehen zu wollen. Ein breitschultriger Mann in Handwerkermontur und einem Hammer in der Hand, kam auf sie zu.
»Grüße dich Melza. Schleppst heute einen aufgefüllten, statt eines leeren Karrens hinter dir her. Ist das nicht kräftezehrend in deinem Alter? Darf ich fragen, was darinnen ist?« Der Schmied beugte sich zum Wagen, schnupperte und umrundete das Gefährt. Doch er wagte es nicht, die Decke zu lüften. Er wollte sich nicht den Zorn von der alten Melza auflasten. Sie konnte manchmal zur Furie werden. Doch die Neugier blieb. »Hallo Oskar. Ich habe auf dem Markt eingekauft. Mehr als ich wollte, sodass es anstrengender ist, den Wagen nach Hause zubringen. Vorher war ich im Göttergarten. Dort habe ich meinen Mann am Grabe besucht, ehe es mit der Kutsche zurückging. So war mein Tag bisher, also nichts Auffälliges und deiner? Wie laufen die Geschäfte? Man erzählt sich, dass eine Persönlichkeit bei dir etwas gekauft haben soll? Wer war das denn?«, fragte sie, um Oskar von dem Wagen abzulenken.
»Was meine Schmiede angeht, es könnte nicht besser gehen. Es stimmt, letztens war ein hochrangiger Kommandant aus Sandanos in der Stadt und kaufte bei mir ein Kettenhemd und zwei Kurzschwerter. Was meinen guten Ruf als Schmied guttat. Ich kann mich vor Aufträgen kaum retten. Doch du versuchst, mich abzulenken.« Oskar, sein Blick ging wieder zum Handwagen.
»Mach mir nichts vor, wir kennen uns mittlerweile so gut, um einander nichts vormachen zu können. Also, was verbirgst du vor mir?«, wollte Oskar wissen. Er sah sie auffordernd an und Melza gab nach. In einer nahen Seitengasse lüftete sie die Decke, gab somit den Inhalt preis. Oskar fing an zu lachen, mit einem versteckten Jungen hatte er nicht gerechnet. Er dachte, dass Melza, darin ein halbes Schwein versteckte. So berichtete die alte Dame dem Schmied flüsternd, was sich zugetragen hatte.
»Es ist nun mal meine Art, jemanden wie ihm helfen zu wollen«, gestand sie. Als Oskar aufhörte zu lachen, lächelte er die alte Dame verständnisvoll an.
»Da kann ich dir nicht widersprechen. Du hilfst allen und jedem, ohne zu fragen, ob es dir was einbringt. Du hättest es mir gleich sagen können, anstatt ihn vor zu mir verbergen. Es wäre hilfreich, zu erfahren, woher dieser Junge stammt und was es mit ihm für eine Bewandtnis hat. Komm, lass mich den Wagen ziehen. Zu Hause bringe ich den Jungen in dein Haus und warte bis er erwacht. Keine Widerrede, es ist auch zu deinem Schutz. Anschließend muss ich zurück in die Schmiede, nicht, dass mir mögliche Kundschaft davonläuft. Wenn du weitere Hilfe brauchst, dann rufe mich«, entgegnete Oskar. Bei Melza angekommen zog der Schmied den Handwagen ins Haus, hob den Jungen heraus und legte ihn auf das Sofa. Melza nahm die Decke und legte sie wieder über den noch immer bewusstlosen Jungen. Schnell kochte sie für Oskar und sich einen guten schwarzen Tee mit Honig. Da keiner der beiden wusste, wann der Junge zu sich kommen würde, verabschiedete sich Oskar nach zwei Stunden Wartezeit. Die alte Dame nahm Papier und Tinte zur Hand, setzte sich neben den Jungen und schrieb das Erlebte auf. Es dauerte weitere drei Tage, bis der Junge endlich zu sich kam. Es war früh am Morgen, die Sonne strahlte in sein Gesicht. Der Junge war so geblendet, dass er nicht mitbekam, dass die alte Dame an ihn herantrat. Zu sehen, dass er sein Bewusstsein wieder erlangt hatte, erfreute sie. Sogleich servierte sie ihm eine Mahlzeit.
»Schön, du bist endlich erwacht. Ich habe mir schon Sorgen gemacht. Du wirst sicher Hunger und Durst haben. Nur keine Scheu, ich habe es für dich zubereitet. Ich bin Melza Patrealis und wohne hier. Es ist unglaublich, jemand deiner Art zu sehen. Neben deinem sonderbaren Aussehen und der Tatsache, dass du vom Himmel gefallen bist, siehst du fast wie ein gewöhnlicher Junge aus. Nimm dir aller Zeit der Welt zum Essen. Unterhalten können wir uns später immer noch, sofern du unsere Sprache verstehst. Außerdem liegt unter dem Couchtisch Wechselkleidung. Nicht, dass du mir noch im Schlafanzug außer Haus gehst. Ich bin im Zimmer nebenan, falls was sein sollte«, sagte Melza zu ihm. Der Junge nickte ihr zu, während sie in das andere Zimmer wechselte. Er sah ihr verdattert hinterher.
»Wo bin ich hier und wer ist diese Melza Patrealis? Was ist passiert und warum dröhnt mir mein Kopf so?«, fragte der Junge leise. Er sah an sich herunter. An diesen Schlafanzug konnte er sich nicht erinnern. Auch nicht daran, wann er diesen angezogen hat. Ein Knurren seines Magens erinnerte ihn daran, etwas zu essen. Nachdem essen sah er sich die Kleidung an, nickte und zog sich um. Nun warf er einen Blick in den Spiegel, der an der Wand hing. Die Worte von Frau Patrealis ließen ihm keine Ruhe. Wieso vom Himmel gefallen? Diese Frage beschäftigte ihn, dass er nicht bemerkte, wie jemand anklopfte. Erst eine laute Stimme holte den Jungen in die Realität zurück.
»Melza, bist du da? Ich bin es Oskar und möchte einmal nach deinem Schützling schauen«, rief dieser. Da sich die Haustür öffnen ließ, betrat Oskar ohne Aufforderung einfach das Haus. Als der Schmied sich umsah, erblickte er den neu gekleideten Jungen. Erstaunt sahen sich beide an.
»Wenn das nicht der Schützling ist. Etwas schmächtig von Statur, dennoch ein sehenswerter Bursche.« Oskar grinste und betrachtete den Jungen von oben bis unten.
»Ich bin Oskar Brandtmann, betreibe meine eigene Schmiede in dieser Stadt. So viel zu mir. Wer bist du? Woher kommst du und was kannst du noch über dich sagen?«, forderte der Schmied.
»Mach mal halblang, Oskar. Lass den Jungen doch erst einmal zu sich kommen. Im Übrigen bin ich es, die hier Fragen stellen darf!«, preschte Melza hervor, als sie den Raum betrat. Sie stellte sich zwischen dem Jungen und dem Schmied.
»Na gut, wollte nicht aufdringlich sein. Fände es nur schön, wenn ihr gemeinsam nachher in meiner Schmiede vorbeischauen könntet. Immer nur im Haus zu bleiben, tut nicht gut!«, sagte er, drehte sich um und ging, ohne auf eine Antwort von Melza, noch die des Jungen abzuwarten.
»Ich heiße Lucius, glaube ich jedenfalls. Es ist nett, sie kennenzulernen, Frau Patrealis. Danke für alles, was sie bisher für mich getan haben. Leider kann ich mich kaum an etwas erinnern, seit ich erwacht bin, geschweige, was mit mir passiert ist.« Um seiner Dankbarkeit Ausdruck zu verleihen, verbeugte sich Lucius vor der alten Dame, die sich geschmeichelt fühlte.
»Hallo Lucius, schön das du unsere Sprache sprichst. Das erleichtert vieles. Bedanken musst du dich nicht. Für mich war es eine Selbstverständlichkeit, zu helfen. Und entschuldigen für deine Amnesie musst du dich schon gar nicht. Es passiert nicht jeden Tag, dass jemand vom Himmel regnet. Deine Amnesie wird sicher eine Nebenwirkung von diesem Himmelssturz sein. Habe etwas Geduld. Mit der Zeit wird dir alles wieder einfallen. Dann wirst du auch einen Weg finden, um zurückzukehren, woher du auch gekommen bist. So lange darfst du gerne bei mir wohnen. Ich würde mich über deine Gesellschaft sehr freuen, wäre dann nicht mehr alleine. Falls jemand fragt, wer du bist, werden wir sagen, dass du mein Adoptivenkel bist. Diese Frage wird nicht ausbleiben, denn du siehst nicht gerade wie ein gewöhnlicher Mensch aus. Ich kann dir nicht sagen, ob es deine wahre Gestalt ist oder hervorgerufen wurde, als du in diese Welt kamst. Bist du einverstanden, mein Adoptivenkel zu sein, Lucius? Wenn ja, begleite mich bitte. Wir werden zur Schmiede gehen. Keine Furcht, Oskar, beißt schon nicht. Er ist ein netter Mann, auch wenn sein Äußeres anderes vermuten lässt. Alles Weitere siehst du selbst, wenn wir das Haus verlassen. So auch die Welt Balthon, in der du gelandet bist«, sagte sie. Ohne eine Antwort abzuwarten, nahm sie seine Hand. Gemeinsam gingen sie zur Schmiede. Lucius war noch etwas wacklig auf den Beinen, so schritten sie langsam durch die Gassen von Dartavis. Staunend sah er sich um, in der Hoffnung etwas Bekanntes zu sehen. Dem war nicht so, alles war so fremd für ihn. Beim Schmied saßen sie noch lange zusammen, bis Melza wieder nach Hause wollte. Langsam gewöhnte sich Lucius an das Leben bei Melza. Er fühlte sich bei ihr Zuhause. Dennoch fiel es ihm schwer, sich zu erinnern. Fast täglich begaben sich die alte Dame und er, an den Fundort. Doch es veränderte sich nichts an Lucius Zustand.
Während Lucius sein Leben ruhig verlief, herrschte im Land Rehm ausgelassene Stimmung. Das 1000-jährige Bestehen des kleinen Landes stand vor der Tür. Rehm war berühmt, das einzige Land zu sein, welches vor Magie nur so übersprudelte. Nicht zuletzt lag es daran, dass sich die Akademie, des Landes, sich voll und ganz der Magie verschrieben hatte. Einmal in Jahr scharten sich hunderte Personen vor den Toren von Rehm. Alle wollte sie die Magie erlernen und erforschen. Es gab nur begrenzte Plätze an der Akademie. Jeder musste sich einer Prüfung unterziehen, um einen der Plätze zu ergattern. Was nicht leicht war. An der Spitze dieser Akademie stand eine unscheinbare Person.
In einem der Gebäude der Akademie gab es eine Tür, worauf mit großen Lettern Direktor Arajin stand. Eine attraktive Frau klopfte an und betrat das Zimmer.
»Guten Tag, Herr Direktor. Ich hoffe, ich störe sie nicht gerade«, sprach sie den Direktor an. Dieser schüttelte den Kopf, sah auf und machte große Augen, ein freches Grinsen zierte sein Gesicht.