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Vier seltsame Geschichten, vier offene Fragen: Verfolgen Anderswelt-Wesen die Räuber eines Schatzes? Was erzählt die kleine Alina, die vom Kirchturm wegfliegen wollte? Wer ist die Schöne, mit der Jo Ender in ein Unwetter hineinrudert? Und was hat es mit der Katze auf sich, die sich bei einem neuerdings erfolgreichen Schriftsteller eingenistet hat?
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Seitenzahl: 62
Veröffentlichungsjahr: 2015
Wenn wir bedenken, dass wir alle verrückt sind, ist das Leben erklärt.
Mark Twain
Helga Kolsky
Das Amulett
und andereseltsame Geschichten
© 2015 Helga Kolsky
Umschlag, Illustration: © Ingrid J. Poljak
nach einem Foto von © Helga Kolsky
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
ISBN
Paperback
ISBN 978-3-7323-3994-5
Hardcover
ISBN 978-3-7323-3995-2
e-Book
ISBN 978-3-7323-3996-9
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Inhaltsverzeichnis
Das Amulett
Das Uhrenhaus
Die Wasserfrau
Rote Katze
Das Amulett
Warum müssen Diskussionen über die hehre Kunst immer in den stinkigsten Wirtshäusern stattfinden? Lisa entschied sich für einen verlängerten Nachhauseweg, frische Luft würde ihr gut tun. Sie war auch neugierig geworden, hatte doch Professor Albrecht Bemerkungen fallen lassen wie: phantastische Funde, Wunderdinge, internationale Aufmerksamkeit! Wunschträume eines frustrierten Stadtarchäologen? Oder doch mehr? Die Baugrube, in der diese Funde angeblich aufgetaucht waren, lag ganz in der Nähe. Die Abrissfirma sitzt uns im Nacken, hatte Albrecht gesagt. Vielleicht wurde die Nacht durchgearbeitet und es gab ausreichend Beleuchtung.
Ausreichende Beleuchtung gab es keine, nicht einmal irgendeine Beleuchtung. Vor Lisas Füßen gähnte ein riesiges, finsteres Loch. Die Straßenlampe in der Nähe der Baucontainer war ausgefallen, die gelben Warnlichter blinkten nur matt, und in den Häusern rundum gab es kaum erleuchtete Fenster. Ein tristes, abgewohntes Viertel, in dem sicher noch weitere Abrisse geplant waren.
Lisa drückte sich an den Bauzaun und versuchte hinunterzuschauen. Ein feuchtkalter Hauch wehte ihr entgegen. An der gegenüberliegenden Seite, unter der Feuermauer des Nebenhauses, waren die zerstörten Kellergewölbe gerade noch zu erkennen. In der Düsternis sahen die Löcher im Mauerwerk aus wie Blasen in einem angeschnittenen Brot. Die archäologische Fundstelle musste unterhalb von Lisas Standpunkt liegen, dort, wo die Schaufel des auf der Rampe geparkten Baggers hinwies. Der Bagger, der vor wenigen Tagen im lehmigen Erdreich auf eine Steinpackung gestoßen war.
Lisa ging am Zaun entlang auf die Container zu, Sand knirschte unter ihren Schuhen. Vielleicht sollte sie nach Hause gehen. Die Fundstelle war sicher mit Planen abgedeckt, es gab also nichts zu sehen, erst wieder morgen, wenn die Arbeit weiterging.
An einem der Container schien die Tür offen zu stehen. Hoffentlich nicht die Hütte, die das Institut extra angemietet hatte! Lisa ging näher und spähte in den dunklen Spalt zwischen Türblatt und Rahmen. Muffiger Geruch schlug ihr entgegen, und sie meinte, zwei Lichtpunkte wahrzunehmen. Atmete da jemand? Vielleicht ein schlafender Obdachloser, der Gestank war danach. Lisa zog sich zurück. Keine gute Idee, hier herumzuschnüffeln.
Ein Schlag traf sie in den Rücken. Sie stolperte gegen den Container, knickte ein und landete auf allen Vieren. Das Blech dröhnte. Lisa ließ sich auf die Seite fallen und versuchte wegzurollen, weg von dem großen Kerl, der jetzt über ihr aufragte und einen Prügel schwang. Ein zweiter Schlag streifte den unteren Rand der Tür, knapp an Lisa vorbei. Sie hörte tiefes Grollen, dann einen schnappenden Laut. Etwas Großes, Schwarzes schoss aus dem Container und stürzte sich auf den Kerl mit dem Prügel, kegelte ihn einfach von den Füßen. Der Kerl versuchte hochzukommen, fiel wieder hin, sein Prügel schlitterte davon. Trotz tränender Augen sah Lisa, wie sich ein Mann und ein riesiger Hund kämpfend auf dem Boden wälzten, ineinander verkrallt und verbissen, keuchend und knurrend. Die Masse aus Hund und Mensch rollte auf den Bauzaun zu, der Drahtverhau schepperte, ein Schrei, und im nächsten Moment hatte die lichtlose Grube den Mann verschlungen. Lisa hörte einen dumpfen Aufprall und dann nur mehr das Hecheln des Hundes, dessen zottige Gestalt sich gegen den Schein einer Straßenlaterne abzeichnete. In die Hütte, schnell …
Aber der Hund war schon verschwunden.
„Sicher war das keine gute Idee“, seufzte Lisa. Der feste Verband um die Rippen nahm ihr den Atem.
„Ich werde Ihnen gleich erzählen, wie schlecht diese Idee war.“ Der Polizeibeamte blätterte in seinen Notizen. „Der Typ, der Sie angegriffen hat, ist tot. Genickbruch. Knapp vorher hatte dieser Typ allerdings einen Obdachlosen erschlagen. Die Leiche lag im Container. Irgendwelche Beobachtungen von Ihrer Seite?“
Lisa schüttelte den Kopf. „Ich habe nur Gestank wahrgenommen. Dann kam dieser Schlag …“
„Und ein zweiter Mann, ein Komplize des Schlägers?“
„Nein. Ich habe sonst niemanden gesehen. War denn noch einer da?“
„Das wüssten wir gerne. Manche Spuren deuten darauf hin.“
„Und der Hund?“, frage Lisa.
„Keine Spur von einem Hund.“
„Keine Spur?“
Der Inspektor lächelte matt. „Falsch ausgedrückt. Jede Menge Spuren, vor allem Biss- und Schleifspuren, Pfotenabdrücke, Haarbüschel, alles. Nur eben kein Hund.“
„Also doch ein realer Hund? Irgendwie beruhigend.“
Der Inspektor zog die Brauen hoch. „Beruhigend?“
„Mir kam dieser Hund vor wie eine Ausgeburt der Unterwelt.“
„Archäologin, was?“ sagte der Inspektor. „Ihr Leute habt zu viel mit modrigen Knochen zu tun. Da wird jeder Sandlerköter gleich zum Höllenhund.“
Blödmann. Laut sagte Lisa: „Ich bin Kunststudentin! Der Teilzeitjob bei den Stadtarchäologen zahlt nur meine Miete.“ Sie tastete über das Pflaster auf ihrer Stirn. „Ich hab mir den Kopf angeschlagen.“
„Schon gut, schon gut“, sagte der Inspektor.
„Was mich wundert“, sagte Lisa, „Wieso ist der Kerl durch den Zaun in die Grube gefallen?“
„Das Gittertor war nur angelehnt. Schlosskette durchgezwickt, wahrscheinlich von den Tätern selbst. Das Tor ist aufgeschwungen, wie Mann und Hund dagegen gedonnert sind. Und das kluge Hundchen hat, so scheint es, im richtigen Augenblick losgelassen.“
„Und was hat der Knüppelmann bei der Baugrube überhaupt gesucht? Doch nicht unsere antiken Scherben?“
„Kaum. Wenn wir den zweiten Mann finden sollten, kann der uns vielleicht etwas erzählen. Möglich, dass sie von der Baugrube aus ins Nebenhaus einbrechen wollten. Oder sie hatten vor, den Bagger zu stehlen, ist auch schon vorgekommen. – Sie haben sicher keinen zweiten Mann gesehen?“
„Nein, tut mir leid“, sagte Lisa. „Aber vielleicht haben Sie mein Handy gefunden? Ich bin ganz sicher, dass es vorher noch da war.“
Noch in der Ambulanz hatte Lisa ihre Handtasche ausgeschüttelt. Kein Telefon, aber eine Handvoll Baustellensand und ein fingernagelgroßes, goldenes Plättchen, in das eine Spirale eingehämmert war.
Souvenir. Ging das die Polizei etwas an?
„Lisa! So schön, dass du wieder da bist!“ Markus schmiss seinen Stift hin und eilte ihr entgegen. „Wie geht’s dir denn, alles wieder okay?“
„Alles. Bis auf eine angeknackste Rippe und zwei Quadratmeter aufgeschürfte Haut. Und mach keine Witze, ich kann nicht lachen. Wehe, du klopfst mir auf die Schulter!“
„Wir haben sie wieder, unsere gute, alte, hantige Lisa!“
„Nur Lisa würde reichen“, sagt sie. „Auf meinem Schreibtisch wartet sicher ein Riesenstapel Papier.“
Professor Albrecht streckte seinen Kopf durch die Tür. „Lisa, es tut mir leid, dass Sie so ein böses Erlebnis hatten! Alles aus Interesse an unserer Arbeit! Kommen Sie, ich zeige Ihnen unsere glänzenden Funde. Vielleicht lässt Sie das den Schrecken vergessen.“
Aufgeregt wie ein Kind zu Weihnachten eilte der Professor den Korridor entlang.
„Seit er ernstlich was entdeckt hat, ist der Alte völlig von der Rolle“, murmelte Markus in Lisas Ohr.
Lisa staunte. „Ein Goldschatz! Aus dieser matschigen Baugrube mitten in der Stadt?“
„Es ist nicht zu fassen, ja“, sagte der Professor. Hingerissen betrachtete er die schimmernden Kostbarkeiten. „Und es liegt vielleicht noch mehr da unten.“
Keltisch, stellte Lisa fest. Ein gedrehter Halsreif, Armspangen, mehrere Ringe, Fibeln, Gürtelbeschläge. Ein Arrangement gehämmerter Goldplättchen. „Die stammen wahrscheinlich von einem Gewand“, sagte der Professor.
Goldene Plättchen!
Lisa hatte nur wenig Detailwissen von den Kelten und ihrer Geschichte, aber sie begriff, dass hier ganz außerordentliche Kunstwerke vor ihr lagen, kein Vergleich mit den bescheidenen Zeugnissen der Laténekultur, die hier in der Gegend manchmal zum