Das Asmodeus-Prinzip - Helga Kolsky - E-Book

Das Asmodeus-Prinzip E-Book

Helga Kolsky

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Beschreibung

Die rechte Reichshälfte bekämpft einen Wahlirrtum des Volkes, Ex-Politiker konspirieren mit Soutaneträgern, um die alte Ordnung - besser noch die ganz alte Ordnung - wiederherzustellen. Demos und Gegendemos verwüsten die Wiener Innenstadt, Mordanschläge werden vertuscht, während die Medien genüsslich obrigkeitliche Sexskandale ausschlachten. Der Dämon Asmodeus, Hüter der Schätze und zuständig für Zorn, Gier und Wollust, wittert fette Zeiten und nistet sich bei der Bibliothekarin Anika ein, deren Dasein schnell an Farbe gewinnt. Doch kein Abenteuer ohne Risiko. In brenzligen Situationen sind Asmodis Kommentare weinig hilfreich, und fürs Romantische fühlt er sich nicht zuständig ...

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Seitenzahl: 314

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Asmodeus, Ashmodai, Asmodäus, Aschmedai, Asmodi, Asmodai, Asmodaios,

Helga Kolsky

Das Asmodeus-Prinzip

Satirischer Polit-Krimi

© 2014 Helga Kolsky

Umschlag: © 2014 by Ingrid J. Poljak

Cover-Foto: ©2014 Helga Kolsky

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN 978-3-8495-9592-0 (Paperback)

ISBN 978-3-8495-9593-7 (Hardcover)

ISBN 978-3-8495-9594-4 (e-Book)

Printed in Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

00 Asmodi spricht

Ein Dämon hat kein Gesicht, er leiht sich gelegentlich eines. Irgendeines. Die gotische Fratze hier wirkt unelegant, aber wenigstens reizt sie zum Lachen. Ich bin kein Freund vom würdigen Ernst. Unwürdig ist auch der Erhaltungszustand – der Kirche generell und meiner Statue im Besonderen. Von den Hörnern blättert die Vergoldung ab, die Nase bröselt und mein linkes Ohr wackelt, brutal geknickt von einem, der mir – vor einiger Zeit schon – Papierröllchen in den Hintern gestopft hat. (Dorthin, wo das Ankereisen sitzt. Auch Ankereisen werden mit den Jahrhunderten locker).

Viel passiert hier nicht mehr, niemand steigt auf die Kanzel und muss an mir vorbei, bevor er seinen heiligen Zorn ausschütten kann über die Köpfe der Gläubigen. Langweilig, irgendwie.

Aber jetzt wird meine Kirche von Staats wegen renoviert, Bauarbeiter stellen Gerüste auf und hängen Statuen zu. Einige dieser Arbeiter sind Moslems, denen graust vor den Bildwerken, aber mich erkennen sie alle: mich, Aesmodaeva, Asmodi, Aschmedai, Asmodaios et cetera, Hüter der Schätze, zuständig für Gier, Raserei und Wollust, ältester aller Dämonen, sehr viel älter als der Hokuspokus hier. Leider ist mein Banner schon etwas verblasst, und die Steinstufen zur Kanzel hinauf klappern. Der hiesige Prior war einmal ein lustiger Kampel, jetzt klappert er auch schon.

Den Menschen ist nicht klar, wie sehr der Asmodeus noch wirkt in der Welt. Nur das Drumherum ändert sich, Asmodeus ändert sich niemals! Beispiel? Hierzulande baut sich einiges an Spaß auf: die Heimattreuen kämpfen gegen das Fremde, also gegen fast alles; bei den Roten blättert der rote Lack ab, die Schwarzen modern vor sich hin. Und plötzlich regiert ein Dreier aus Zornbürgern, Neuen Linken und Grünresten. Mit dünner Mehrheit, noch hilfloser als die Vorgänger, aber unbestechlich – es ist keine lohnende Beute mehr da. Die Heimattreuen brüllen nach Führung, die Schwarz-Nostalgiker beten um Krucken, die Wehrhaften Christen lecken ihre Wunden. Oder lassen lecken.

Und dann wird ein UNSERER Papst! Kein Polack, kein Piefke, kein Exote, ein UNSERER redet jetzt von sich selbst im Plural und lässt sich die Zehen küssen! Nur leider sind auch WIR ziemlich pleite. WIR haben UNS zwar zu den Armen geneigt und wollten UNSER Sparschwein schlachten, aber dieser Sparschweininhalt war irgendwie längst weg. Einfach weg. Pleitegegangen, die Gottesritter. Zuletzt macht der UNSERE noch diesen aufmüpfigen Landpfarrer hier zum Erzbischof. Aus purer Bosheit wahrscheinlich. Aber Hauptsache, die Herren Kleriker dürfen jetzt heiraten.

Heiraten!

Ich könnte mich zurücklehnen und die Dinge laufen lassen, aber gelegentlich juckt mich der Staub und ich suche Abwechslung. Ein bisschen frische Luft, ein bisschen privaten Kontakt, ein bisschen Weibergeruch, das gönn ich mir ab und zu.

Ich bin nicht boshaft, nein. Ich bin ein geradezu liebenswürdiger Dämon! Naivität, zum Beispiel, geht mir zu Herzen. Da kann ich nicht zuschauen. Manchmal macht es mich richtig glücklich, talentierten Einfältigen auf die Sprünge zu helfen. Was ist die große Weltgeschichte gegen ein rührendes Privatschicksal!

Begeben wir uns also in die Zukunft. Kein Problem für ein immerwährendes Wesen wie mich, und euch holt die Zukunft früh genug ein.

01 Im Kloster

„Du bist das also“, sagte der alte Prior, ließ das Blatt Papier sinken und musterte seinen Besucher über die Brille hinweg. Dann tippte er mit seinem Krückstock den Schirm der Leselampe an, um sein Gegenüber besser zu beleuchten. „Wie die Zeit vergeht. Schaust ihm ähnlich, keine Frage. Bis auf die Nase.“

„Kollateralschaden“, sagte der junge Mann.

Der Prior nickte, strich sich den Bart. „Du willst die Bücher zurückhaben?“

„Sind alle noch da?“

„Als ob wir die verkaufen könnten.“

„Ich will die Bücher nur durchsehen“, sagte der junge Mann, „nicht davontragen. Und wenn möglich, bitte ich um Quartier.“ Er schob einen Umschlag über den Tisch. „Vielleicht hat jemand Bedarf an Exerzitien außer Haus.“

„Ich nicht mehr. Da sind allerdings zwei Jüngere, die juckt es noch.“ Der Prior drehte den Umschlag in den Händen. „In letzter Zeit“, sagte er, „suchen ein paar Eifrige nach einer Satansbibel. Du auch?“

„Ich habe das Gerücht im Netz gelesen. Keine Ahnung, wer sich diesen Scherz erlaubt hat.“

„Scherz“, seufzte der Prior.

„Und du? Auf welcher Seite der abgesagten Kirchenspaltung stehst du?“

„Auf keiner. Ich habe weder Geld noch Einfluss, daher brauche ich auch keine Meinung haben. Ich muss froh sein, wenn das Denkmalamt meine Kirche renoviert, bevor das Gewölbe einbricht.“

„Du hast keinen der verwaisten Gottesritter in deine Gemeinschaft aufgenommen?“

„Schau nach. Wir sind nur mehr fünf, davon nur ein Priester außer mir.“ Der Prior schmunzelte. „Die Ex-Milites sind feine Pinkel, die ziehen nicht in so eine Bruchbude wie die meine. Die wechseln in komfortablere Orden, wenn schon. Und die weltlichen Ritter und Ritterinnen wirken aus dem Privaten, wie vorher auch schon.“

Der junge Mann kniff die Augen zusammen: „Hat niemand in den Rothmann-Büchern geschmökert, seit … damals?“

„Nein. Niemand außer mir weiß von dem Vermächtnis. Mein alter Freund Moritz Rothmann war misstrauisch, wie alle Diebe.“

„Heißt was?“

„Was für dich bestimmt ist, kannst nur du kriegen: wahrscheinlich musst du beim allfälligen Treuhänder eine DNA-Probe abgeben. Dein Problem.“

Der junge Mann grinste. „So ein Test ist kein besonderes Problem, meine ich.“

„Freu dich nicht zu früh. Moritz war damals knapp am Überschnappen, seine Aktionen sind ihm über den Kopf gewachsen. Es würde mich nicht wundern, wenn er dir ein paar Fallen gestellt hätte auf dem Weg zum Erbe.“

Der Alte schob einen Stapel Papiere zur Seite und griff nach seinem Telefon. „Bruder Mario wird dir eine Zelle anweisen“, sagte er. Ein Bett und Zugang zu unserer Bibliothek, mehr kann ich nicht bieten. Hoffentlich genügt das Quartier deinen Ansprüchen. – So von außen betrachtet“, er musterte seinen Gast noch einmal, „scheint aus dir etwas Ordentliches geworden zu sein, ganz ohne Erbschaft.“

Nach einer Weile des Schweigens zeigte der Gast auf den Uralt-Computer, der zwischen zerfledderten Mappen und einem Stundenbuch vor sich hin surrte. „Die moderne Technologie ist bis hierher vorgedrungen?“

„Warum nicht? Mein Hirn funktioniert noch. Das Einzige, was hier noch funktioniert.“

02 Neue Schuhe

Die Rothmann zog ihre Augenbrauen hoch. „Wenn Sie meinen, Fräulein Lauscha …“

„Ja, ich meine“, sagte Anika so gelassen wie möglich. Die paar Stunden Zeitausgleich waren überfällig, außerdem musste das Plus auf dem Konto vernichtet werden. Und die Karriere gefeiert; Karriere im Ramsch-Tiefspeicher unterm Seitentrakt. Immerhin weit weg von dieser schmallippigen Fuchtel.

Jeder braucht einmal neue Schuhe.

Vielleicht ließ sich Heinz morgen zum Ausgehen überreden.

Anika verließ die Bibliothek und strebte der Fußgängerzone zu.

Nach fast zwei Stunden Kaufrausch meldete sich der Wunsch nach einem Kaffee. Und ein gewisser Druck auf die Blase. Anika wollte auch ihre alten Schuhe wieder anziehen. Keine gute Idee, in nagelneuen High-Heels übers Pflaster zu stöckeln! Außerdem näherte sich von ferne Getrommel und Geschrei – die tägliche Demo, Links gegen Rechts oder umgekehrt. Seit den letzten Wahlen ging das so, Schlägereien inbegriffen.

Anika bog in eine Seitengasse ein, wo das von ihr sehr geschätzte Café Dattler Ruhe und Erholung versprach.

Unter den Sonnenschirmen vor dem Café gab es natürlich keinen freien Tisch mehr, nur ein einziger leerer Sessel stand knapp neben einem Ami-Touristen mit Baseballkappe, der mit seiner breit entfalteten New York Times den ganzen Platz brauchte. Aber erst einmal Klo.

Schon durch die offene Tür war zu sehen, dass im Inneren des Lokals gähnende Leere herrschte. Wer wollte schon bei schönem Wetter im Muffigen sitzen.

Einer schon. Zwei, eigentlich.

„Heinz!“

Anikas Ausruf ging im Lautsprechergebrüll der herannahenden Demo unter. Heinz-Herwig hockte in einer der Nischen, zärtlich eine Damenhand haltend, den Blick tief in Klimper-Wimper-Augen versenkt. Sekt auf dem Tisch. Sekt! Am frühen Nachmittag! Heinz-Herwig! Und der Hammel kapiert nicht einmal, dass er vor einem Spiegel sitzt und für alle Welt sichtbar diese blonde Tusnelda anbalzt!

Anika rannte davon, den doppelt gespiegelten Heinz-Herwig immer noch vor Augen. Weit kam sie nicht. Menschenknäuel drängten hinter ihr her, versprengte Demonstranten und Touristen kamen ihr entgegen. Am Graben klirrte ein Trupp Polizisten vorbei. Die Demo schien aus dem Ruder zu laufen. Trillerpfeifen, Getrampel.

Verfluchte Schuhe! Verfluchtes Mannsbild!

Anika stöckelte durchs Gewühl, wurde hin und her geschoben und sah überall auf den Menschenwogen alberne Baseballmützen herumtanzen. Irgendwann wusste sie nicht mehr, wovor sie eigentlich davonlief.

Sie flüchtete ins nächstbeste Tor. Ein Kirchenportal. Das schwere Schloss klackte hinter Anika zu, Licht und Geplärre blieben draußen.

03 Asmodis Ohr

Nach ein paar klappernden Schritten in die Düsternis hinein blieb Anikas Absatz in einer Bodenritze hängen, sie stolperte und musste sich an einer Bank festhalten. Die ganze Bankreihe dröhnte, Anikas schicke Tragtaschen platschten auf den Boden. Ein Schuh schlitterte davon, weit nach vorne in Richtung Altar. Wütend riss sich Anika den zweiten Schuh vom Fuß und schleuderte ihn hinter dem ersten her.

Wenigstens kühlten die Steinplatten ihre heißen Sohlen.

Eine kleine Kirche, Anika war noch nie hier herinnen gewesen. Staubig. Ein Teil des Gewölbes war eingerüstet und mit Planen verhängt. Ob es auffiel, wenn sie jetzt in einen der Gipskübel pinkelte?

Die Schuhe waren bis unter die Stufen der Kanzel gerutscht, Anika musste nochmals alles abstellen und in die Knie gehen, um die teuren Dinger aus einem Winkel zu angeln. Sie zischte ein paar unheilige Worte, während sie, auf jeweils einem Bein balancierend, ihre Schuhe wieder anzog. Ein Knopf sprang ihr von der Bluse.

Sie hörte Schritte, quietschende Sohlen auf Stein, und dauckte sich rasch hinter die Säule. Ein kapuzenverhüllter Mönch wallte vorbei. Ziemlich dreckige Kutte, stellte Anika fest.

Einen Augenblick lang blieb der Mönch stehen und schnüffelte. Dann schritt er weiter Richtung Haupttor.

Wieso schnüffelt der? Anika hob ihr Handgelenk unter die Nase. Hatte sie zu viel Parfum probiert?

Seufzend ließ sie sich auf die steinerne Wendeltreppe nieder, die zur Kanzel hinaufführte. Die störende Kordel mit dem „Aufgang verboten“- Schild hängte sie einfach aus, der Karabiner klirrte auf den Boden.

Noch etwas klirrte: ein Schlüsselbund. Hatte der Mönch das Tor abgesperrt?

Wenn schon, ein Loch wird schon noch offen sein. Der fromme Mann ist ja auch irgendwohin verschwunden. Und jetzt Ruhe. Keine Demo, kein Heinz samt seinem Pausengirl. Wieder ein kühler Kopf.

Nein, kein kühler Kopf. Einmal ein freier Halbtag, einmal schön einkaufen, und dann turtelt der feine Herr im Kaffeehaus, weil er seine Alte bei der Arbeit vermutet. Anika trat nach einem der Einkaufssäcke, das schicke rote Umhängetäschchen rutschte heraus.

Ein Luftzug hauchte ihr in den Nacken. Sie wandte sich halb um und fand sich Auge in Auge mit einer steinernen Fratze, die aus dem Rankenwerk des Kanzelfußes lugte. Kerzenlicht flackerte über das Dämonenwesen und ließ die Knopfaugen schimmern.

„Arschgesicht“, sagte Anika laut.

Über dem Monster schwebte ein in Stein gemeißeltes Banner. Anika tastete über die abgewetzten Lettern: ASMODIS DIABOLUS. Darunter stand in winzigen Buchstaben: IRA.AVIDITAS.CUPIDITAS.

„Wut jede Menge, Arschgesicht. Mit Wollust schaut es momentan finster aus!“

Ausdrücke hast du!, sagte eine leise, etwas kratzige Stimme.

„Wer spricht?“

Asmodi. Zu Diensten.

Die Fratze gehörte zu einer wunderlichen Statue, die zusammengekrümmt am Kanzelaufgang hockte: dicker Bauch, krallenbewehrte Füße, ein Drachenschwanz, der sich um die Säule ringelte.

„Seit wann plaudern gotische Schnörkel?“

Ich bin höflich. Wenn mich eine Dame anspricht, kriegt sie auch Antwort.

„Weil ich ja alles lesen muss, was ich sehe …“, murmelte Anika.

Sie tastete über die Figur. Rissig und bröckelig wie alles hier, glatt gewetzt war nur der vorstehende Bauch, an dem sich ungezählte Prediger bei ihrem Aufstieg zur Kanzel vorbeigezwängt haben mochten. Eines der Schweinsohren seitlich an Asmodis Kopf schien locker zu sein, Anika wackelte damit hin und her wie mit einem losen Zahn, und plötzlich hielt sie das Ohr zwischen den Fingern. Darunter klaffte ein Loch, Staub rieselte heraus.

He!, sagte die kratzige Stimme.

Anika schaute das Ohr an, dann wieder Asmodi. „Du redest wirklich?“

Klar. du redest ja auch, sogar laut.

Anika schob das steinerne Ohr in ihre Hosentasche und wunderte sich nicht einmal. Verrückter Tag, sowieso. Plauderten halt die Teufelchen, wie in der Fernsehwerbung.

„Hast du gesagt zu Diensten?“

Ich bin ein hilfsbereiter Dämon! Ich liebe es, naiven Mädchen aus der Patsche zu helfen!

„Ich muss nur diesen banalen Irrtum von einem Heinz-Herwig loswerden!“

Den bist du schon los. Asmodi keckerte.

04 Der schweigsame Mönch

Im Altarraum, vor der Tür zur Sakristei, blieb Anika stehen und betrachtete den bestickten Klingelzug.

Wenn du klingelst, kommt der Mönch, flüsterte As-modi.

Entschlossen drückte Anika die Tür auf und betrat einen großen Raum. Dunkle Möbel, in der Mitte ein Riesentisch auf dicken Säulenfüßen. Weihrauchwolken waberten ins Gewölbe. „Mir scheint, dein Freund hat sich hier eingeraucht“, sagte Anika laut. „Schau! Da hängen Spitzenunterröcke, wie in der Vintage-Boutique vorhin!“

He, Finger weg, das sind Männerkleider!

Zwischen zwei Wandschränken bemerkte Anika eine gotische Pforte, sie lief hin und rüttelte daran. Geschlossen. Verdammt! Irgendwo muss doch da ein Schlüssel sein! Wenn nicht zu dieser Pforte, dann das Hausmeister-Dings für das große Tor! Anika begann, die Laden einer hohen Kommode zu durchwühlen. Allerhand seltsames Zeugs. Kein Schlüssel. „Da schau her, ein Buch! Ein altes Buch, einfach so in der Lade! Man muss doch gelegentlich unter Spitzenunterröcke schauen!“

Asmodi flüsterte: Wie die Pforte aufgeht, steht da auch nicht drin.

Aus dem Nichts tauchte der Mönch auf. Anika zuckte zurück und stieß die Lade zu, als hätte das Buch gebissen. Sie atmete tief ein und versuchte, ihren Herzschlag zu beruhigen. Trotzig starrte sie den Mönch an, der sich vor der jetzt offen stehenden Pforte aufgebaut hatte. Die Kapuze hing ihm bis über die Nase, die Ärmel der Kutte hatte er aufgekrempelt. Kräftige Hände.

Er stand nur da und sagte nichts.

Ob so ein Mönch Feinripp unter der Kutte trägt? Oder nur einen Bußgürtel?

Asmodi begann unflätig zu lachen.

„Hören Sie, Sie haben mich in der Kirche eingeschlossen“, sagte Anika laut und versuchte, energisch zu klingen. „Ich suche nur den Ausgang.“

Der Mönch tat drei lange Schritte und schob einen rotsamtenen Vorhang zur Seite. Dahinter tauchte ein Haustor auf, eher barock als gotisch. Straßenlärm war zu hören. Mit einem Ruck zog der Mönch einen großen Riegel auf.

Anika sammelte ihr Gepäck ein und bemühte sich, nicht zu rennen. Asmodi lachte noch immer.

05 Einpacken

Anika ließ alles fallen, Schuhe, Tragtaschen, die Post. Schnaufend warf sie sich auf ihr Sofa und legte die Füße hoch. Fast wäre sie eingeschlafen.

He, nix da, flüsterte Asmodi, du hast noch was vor!

„Was, du bist auch noch da?“

Freilich! Ich bin pflichtbewusst, weißt du? Guten Hat hast du dringend nötig!

Anika wälzte sich auf den Teppich hinunter, kramte nach ihrem Handy, rief den Express-Schlüsseldienst an und bestellte ein neues Türschloss. Dann holte sie einen Überseekoffer aus dem Abstellraum, den großen mit den Rädern, den Heinz-Herwig höchstpersönlich angeschafft hatte.

Für den Rest nimm die blauen Müllsäcke, kicherte Asmodi, blau passt zu seinen Vergissmeinnichtaugen.

Während der Schlosser an der Tür werkte, packte Anika Heinz-Herwigs Anzüge ein. An einer Jacke hing noch das Preisschild: vierstellig. „Und mit mir streitet er um seinen Anteil an der Miete!“

Selber schuld, murmelte Asmodi. Und schau in alle Taschen!

Gehört sich nicht.

Ah, geh …

In einer der Jackentaschen fand sich eine Magnetkarte, unbeschriftet. Anika drehte sie hin und her.

Seltsam. In seiner Bank steht überall der Name auf sowas, und bei mir in der Bibliothek auch.

Behalten, sagte Asmodi. Wenn sie ihm fehlt, wird er schon schreien.

Anika schob die Karte zu Asmodis Ohr in ihre Hosentasche und machte weiter.

Was du alles in deinen Hosentaschen herumträgst. Wie ein Straßenjunge! Asmodi kicherte.

Red nicht wie meine Mutter, sonst stopf ich die Hose in die Waschmaschine, samt deinem Ohr!

Schuhe mit beschlagenen Absätzen. Seidensocken. Haarspray, Fönbürste, verschiedene Düfte. „Mit was für einem Kerl bin ich da zusammen?“, rief Anika und versenkte alles in einem Müllsack.

Ich soll das wissen? Jedenfalls war die blonde Dame vorhin ganz entzückt!

„Und zu Hause klebt er vor dem Fernseher wie alter Kaugummi!“

Meine Liebe, sagte Asmodi, du darfst mit mir auch lautlos reden, der Schlosser schaut schon ganz dumm. Ich habe extrem gute Ohren, weißt du?

Ja, Schweinsohr …

06 Goldfee und ZK

Der Schlosser ging.

Nicht billig, murrte Asmodi, aber das muss es dir wert sein.

Ja, ja. Und ich soll mein Hirn einschalten, bevor ich wieder jemandem den Schlüssel gebe. Das wolltest du doch sagen, oder?

Genau. Und jetzt schau in seinen Computer!

Der braucht sicher ein Passwort.

Gelbe Zettel! Heinzi hat doch nix im Hirn!

Anika sichtete die zahlreichen Haftnotizen in Heinz-Herwigs Arbeitsecke, und nach einigen Fehlschlägen signalisierte das Notebook Willkommen. Das Mailprogramm war zugänglich. Zwei markierte Nachrichten: „15 Uhr Café Dattler“ von einer gewissen Goldfee, und D. wollte wissen, „wann endlich mit der ZK zu rechnen ist“.

Goldfee, du liebe Güte. wie eine Fee hatte die robuste Blondine nicht ausgeschaut. Und ZK? Die neue Linkspartei hatte zwar Zulauf, aber gleich Zentralkomitee? Heinz und die Linken? Lachhaft. Sein Vater da unten in Kärnten marschiert beim Trachtenverein und trägt zu Fronleichnam den Himmel.

Anika schloss das Notebook. Der Rest der Dateien bezog sich aufs Bankgeschäft, und davon verstand sie nichts.

07 Stelldichein

„Journaille!“, brüllte die Männerstimme aus dem Telefon. „Sie haben mich hintergangen! Glauben Sie, ich erfahre nicht, an wen Sie sich sonst noch heranmachen? Sie haben Diskretion zugesagt und Anonymität, und jetzt wollen Sie Rufmord an mir begehen?“

Manuela Birnstingl nahm das Telefon vom Ohr und checkte die Nummer. „Aha“, sagte sie, und dann: „Wenn Sie die besseren Informationen haben, dafür bin ich immer offen – Herr Professor.“

„Ich fordere ein Treffen! Ich werde Ihnen persönlich klarmachen, dass Sie zu weit gegangen sind!“

„Schön. Von mir aus gleich. Und regen Sie sich ab inzwischen. Ich habe nicht vor, Unwahrheiten zu schreiben. Dazu muss ich allerdings überprüfen, was mir meine Informanten, also auch Sie, erzählen.“

„Geschwätz! Und sofort treffen geht nicht! Ich betreue auch Abendkurse!“

„Dann etwas später, gegen neun?“

„Aber nicht in aller Öffentlichkeit! Mit Ihnen und Ihrem gottlosen Schmierblatt in Verbindung gebracht zu werden, kann ich mir nicht leisten!“

„Ich schlage die Halle des Hotels Intercont vor. Von der Straße aus nicht einsehbar und voll mit ausländischen Touristen. Wenn Sie sich trotzdem zu beleuchtet fühlen, dann können wir ja im nächtlichen Stadtpark wandeln.“

„Park“, knurrte der Professor. „Da ist es ordentlich finster!“

Manuela Birnstingl runzelte die Stirn.

08 Zwischen Tür und Angel

Am Abend rüttelte Heinz-Herwig an der Tür. Anika schob den Bissen Schinkenbrot in eine Backe, goss noch ein Schlückchen Wein nach und öffnete vorsichtig die Tür. Die neue Kette rastete ein.

Schlucken und lächeln, flüsterte Asmodi.

„Nimm es gelassen“, sagte Anika in süßem Ton, „aber deine Residenz in meiner Wohnung ist beendet. Ich habe das Schloss austauschen lassen. Du musst ab jetzt anderswo schlafen.“

Von draußen tönten so originelle Satzteile wie: „Spinnst du …“, „was soll der Blödsinn“ und „mach sofort die Tür auf, du dämliche …“

Zorn erweitert den Wortschatz, murmelte Asmodi.

„Hör auf zu kreischen“, sagte Anika, „du willst doch nicht, dass die Nedbal aufmerksam wird.“

Heinz klappte den Mund zu. Das Minutenlicht ging aus.

„Deine Sachen stehen im Keller“, sagte Anika. „Dort passt dein Schlüssel noch. Sobald du alles abgeholt hast, wirf mir diesen Schlüssel in den Postkasten. Aber Beeilung, nach sieben Tagen bestelle ich den Entrümpler.“

Bravo!, jubelte Asmodi.

Halts Maul, Schweinsohr.

Uiiii, machte Asmodi, die ist in Fahrt!

„Dein Notebook steht noch heroben, das kriegst du, sobald du deine Schulden bei mir bezahlt hast. Drei Monate, fünfhundert Euro, zu deiner Erinnerung.“

„Das kannst du …“

„Und jetzt geh zu deiner Blonden und wein dich dort aus.“

09 Uferpromenade

Die Promenadenbeleuchtung schwächelte noch, und der Wienfluss, vom letzten Gewitterregen angeschwollen und schlammig, spiegelte nur wenig Licht. Auf den Bänken schmusten die ersten Liebespärchen. Niemand beachtete den massigen Mann, der sich in die Schatten eines hängenden Efeus drückte. Der Hundehaufen vor der leer gebliebenen Bank schien den Mann nicht zu stören.

Von der U-Bahn Station her klapperten Schuhe auf dem Pflaster, eine einzelne Person kam herangeeilt, wippende Haare, Tasche über der Schulter.

Mit behandschuhten Fingern schob der Mann unterm Efeu seine Brille zurecht, holte eine Drahtschlinge aus der Jackentasche und wickelte die Enden um seine Hände.

10 Zwei Beamte

Am Morgen rannte Anika barfuß durch die Wohnung und suchte ihre bequemen Schuhe.

Schau vielleicht in das Schuhgeschäft-Sackl, kecker-te Asmodi.

Natürlich, sie war ja gestern in den Hurenhämmerchen nach Hause gestöckelt, ihre Zehen taten jetzt noch weh.

In diesem Augenblick läutete es an der Tür, lang und fordernd. Doch nicht schon wieder Heinz!

Traut er sich nie!

Draußen standen zwei Kerle, ein Älterer, feist und mit Glatze, und ein großer, schlanker, fein geschnittenes Gesicht, schwarze Locken. Der Ältere hielt Anika eine Polizeimarke unter die Nase. „Kriminalpolizei, machen Sie auf!“

Lass dich nicht einschüchtern, murmelte Asmodi.

Anika hängte die Kette aus und öffnete die Tür. „Meine Herren“, sagte sie, „ich habe wenig Zeit, ich muss ins Büro.“

„Ein bisserl muss das Büro schon noch warten, Frau Lauscha“, sagte der Feiste. „Bezirksinspektor Zwone-schek“, stellte er sich vor, „das da ist der Kollege Rashn-an. Wir dürfen eh reinkommen?“ Dann standen sie auch schon im Wohnzimmer.

Asmodi! Der Kollege Rashnan sieht ja hinreißend aus!

Vielleicht hat er noch Platz in seinem Harem? Asmodi schmatzte.

„Sie sind gut bekannt mit dem Herrn Magister Heinz-Herwig Gassner?“ Zwoneschek ließ sich auf das Sofa fallen und betrachtete das Chaos im Wohnzimmer, speziell das Rotweinglas mit dem eingetrockneten Bodensatz.

So ein grauslicher Kerl auf deinem schönen Sofa!

„Ja“, sagte Anika und merkte, wie sich ihr Magen zusammenzog. „Der hat bis gestern hier gewohnt. Ist ihm was passiert?“

„Kann man sagen. Jedenfalls ist er tot. In Hund-strümmerln gewälzt und in den Wienfluss entsorgt.“

Anika ließ den Schuh fallen, den sie noch immer in der Hand gehalten hatte.

Anika hockte da und beantwortete automatisch Bezirksinspektor Zwonescheks Fragen: sind Sie Angelika Lauscha, wie lange kennen Sie den Herrn Gassner schon und wo waren Sie überhaupt gestern so um neun und kann das wer bezeugen und worum ging’s bei dem Streit und wieso kennen Sie seine Freunde nicht … Anika hörte sich reden, aber ihre eigene Stimme kam ihr fremd vor. Asmodi schwieg.

„Ich hole Ihnen zu trinken“, sagte Rashnan plötzlich und verschwand in die Küche. Nach einer Weile kam er zurück und Anika nippte dankbar an dem Wasserglas.

„Eigentlich ganz einfach“, sage Bezirksinspektor Zwoneschek endlich und klatschte sich auf die Schenkel. „Sie schmeißen ihn raus, weil er mit einer anderen schäkert, er lässt sich nicht abwimmeln, will reden, Sie treffen ihn am Stadtpark, es kommt wieder zum Streit – und zack!“

„Blödsinn!“ schrie Anika.

„Ich rate Ihnen, Ihre Zunge zu hüten“, schnaubte Zwoneschek. „Machen Sie’s nicht noch schlimmer!“

Rashnan, der herumgewandert war, kam wieder näher. „Wo sind eigentlich die Sachen des Opfers?“

Anika schaute zu ihm hinauf, suchte seine Augen. Samtbraune Augen. „Im Keller“, sagte sie. „Dort hab ich sie hingeräumt gestern Nachmittag.“

Von wegen Wasser bringen! Er hat herumgeschnüffelt und in alle Kästen geschaut! Asmodi war aufgewacht.

„Na, dann auf in den Keller“, sagte Zwoneschek und erhob sich schnaufend. „Und Sie, schöne Frau, gehen vor mir, so, dass ich Sie gut sehen kann.“

Der Rashnan geniert sich für ihn, flüsterte Asmodi.

Anika sperrte das Kellerabteil auf und erschrak. „Wie schaut’s denn da aus!“

„Haltaus jetzt, nix angreifen!“ Zwoneschek hielt Anika am Arm zurück. „Der Kollege Rashnan macht das schon.“

Der Koffer offen, Säcke zerrissen und durchwühlt, Wäsche auf dem Boden verstreut, alles unter dem trüben Licht einer Sparlampe. Rashnan holte einen dünnen Handschuh aus seiner Hosentasche und begann herumzustochern. „Herr Gassner hatte den Schlüssel zum Keller?“ fragte Rashnan über die Schulter hinweg.

„Ja.“

„Dann ist anzunehmen, dass er sich ein paar Sachen zusammengesucht hat. Rasierzeug und dergleichen fehlt.“ Rashnan deutete auf die zerfetzten Säcke. „Offensichtlich war er ziemlich wütend.“

Zwoneschek schaute auf einen der Anzüge hinunter. „Feiner Zwirn“, sagte er. „Sehr feiner Zwirn.“

Ist mir auch schon aufgefallen!

Nach einer Weile richtete sich Rashnan auf. „Sagen Sie, Frau Lauscha, war da kein Laptop oder so etwas Ähnliches?“

Du musst lügen! Kalt lügen!, flüsterte Asmodi.

„Doch“, sagte Anika. „So was Kleineres. Er wird es halt mitgehabt haben.“

Das Notebook steckte in einer Reisetasche ganz oben im Schlafzimmerkasten. Samt den gelben Zetteln. Rashnan konnte das Ding unmöglich gefunden haben bei seinem schnellen Rundgang.

„Da war aber nix bei der Leich “, sagte Zwoneschek, „nur Wäsch und so ein Smartphone, das im Wasser ziemlich gelitten hat.“

„Vielleicht im Auto? Oder in seinem Büro? Das Notebook, mein ich“, sagte Anika.

Ob sie das schlucken?

„In die Menlo-Bank müss ma eh auch“, seufzte Zwoneschek. „Oder du gehst da hin, Rashnan, und ich schau, was die Spurensicherung Neues hat.“

Inspektor Rashnan ließ seinen Blick über das Chaos schweifen.

„Familie hatte der Herr Gassner nicht in Wien?“

„Nein. In Hermagor. Ich hoffe, Sie übernehmen die Verständigung.“ Anika schluckte. „Diese Leute reden nicht mit mir und ich nicht mit ihnen.“

Rashnan zog die Augenbrauen hoch, gab aber keinen Kommentar ab.

„Weil S’ mich erinnern“, knurrte Zwoneschek, „ihren Schlüssel zum Auto des Herrn Gassner hätt ich gern.“

„Ich habe seinen Autoschlüssel nicht. – die Garagenkarte werden sie ja bei ihm gefunden haben?“

Zwoneschek lachte. „Mir scheint, sehr innig waren sie nicht mit dem Gassner. Der hat Sie ja nicht einmal an sein Auto rangelassen!“

„Wir finden allein hinaus“, hatte Zwoneschek noch gesagt. „Sie hören von uns. Inzwischen keine Weltreisen, wenn ich bitten darf.“

Anika stand da, die Hand um ihre neuen Wohnungsschlüssel gekrallt. Die Kellertür hinter ihr knarrte, Dreck rieselte aus der Lüftung. Plötzlich hörte sie Rashnans Stimme, durch den Lüftungsschacht, wie eine Verkündigung von oben. „Ein missglückter Raubmord ist auf alle Fälle logischer“, sagte Rashnan. „Wie soll dieses bisschen Frau den Kerl unauffällig erdrosseln und ihn dann übers Geländer kippen? Und Goldfee passt weder auf ihre schwarze Igelfrisur noch auf das Marmeladeglas voll Centmünzen im Küchenkasten.“

Zwoneschek schnaubte. „Was weißt du schon, wozu beleidigte Weiber imstande sind! Ich hab da so meine Erfahrungen. Und von wegen bisschen Frau: die hat einen ordentlichen Arsch! Aber ihr Kameltreiber steht ja auf sowas.“

Autotüren schlugen zu.

Was wissen die von der Goldfee?

Die haben Heinzis Handy. Er wird seine Goldfee ja angerufen haben.

11 Kurzinformation

„Personalstelle, Rothmann. Grüß Gott.“

„Pst, Hilde!“

„Didi!“ Hildegard Rothmann ließ kurz den Hörer sinken, streckte den Hals und spähte ins leere Nebenzimmer. „So früh?“

„HH ist ermordet worden. Drahtschlinge, sehr unweidmännisch. Hörst du keine Nachrichten?“

„Mein Gott!“ Hildegard Rothmann bekreuzigte sich mit dem Telefonhörer. „Der hübsche Bursche!“

„Ein fester Depp.“

„Und unsere… Dings?“

„Weiß der Geier, wo die Karte hingekommen ist. Ich schau mir das an, ich bin eh schon in Wien. Wer immer dahinter steckt, den kauf ich mir!“

„Ja geh, von welchem Geld.“

„War durchaus witzig gemeint“, knurrte Didi. „Und noch etwas: Rolf, der Herr Obergescheit, hat sich gemeldet, mahnt zu Vorsicht und Rücksicht. Nur, damit du das auch weißt.“

„Dein Freund Wendemann sollte schnellstens die Verhältnisse ändern, statt arrogante Ermahnungen auszusprechen!“

„Also dann“, sagte Didi matt und legte auf.

12 Die Nedbal

Anika rief die Rothmann an und meldete sich krank. Keine Empörung von der Frau Personalchefin, keine spitzen Fragen.

So sachlich war die auch noch nie.

Das Telefon noch in der Hand stand Anika da und betrachtete das unbenützte Bett neben dem ihren.

Geht dir Heinzi ab?

Nein, er geht mir nicht ab, das ist es ja. Meine Nerven flattern, mein Mund ist ganz trocken, aber nicht, weil mir Heinz-Herwig fehlt. Bin ich jetzt ein Monster?

Wieso du? Er hat dich doch nur ausgenutzt! Wahrscheinlich haben sich alle seine flotten Freunde krumm gelacht, weil du Nuss nie merken wolltest, dass er dich pflanzt!

Und jetzt ist er tot!

Nicht deine Schuld. Wer weiß, was er getrieben hat hinter deinem Rücken!

Und warum hab ich nur das Notebook versteckt! Wo mich dieser grässliche Zwoneschek am liebsten verhaften würde!

Weil du noch einmal reinschauen willst in das Notebook?

Anika ließ sich vom Radio andudeln, goss sich eine Kanne Tee auf und machte sich über das Notebook her. Sie kam allerdings nicht weit. Zugriff verweigert, immer wieder. Außer dem Mailprogramm konnte sie nichts öffnen, nirgendwohin zugreifen. Und sie konnte nicht die Konzentration aufbringen, alle die möglichen Codes, die sie auf den gelben Zetteln fand, einzeln durchzuprobieren. Und plötzlich waren da Nachrichten im Radio und der Sprecher sagte: „von dem heimtückischen Stadtpark-Mörder fehlt noch jede Spur.“

Du bist total daneben, brummte Asmodi. Und du zitterst wie eine Säuferin. Geh zurück ins Bett oder an die frische Luft.

Anika überlegte. Vielleicht konnte ein alter Freund helfen, der sich mit Notebook-Knacken besser auskannte als sie selbst. Und sie brauchte wirklich frische Luft.

Aber zieh bequeme Schuhe an!

Anika packte das Notebook in eine unauffällige Tasche. „Oh nein!“, sagte sie plötzlich laut. „Kriminalpolizei im Haus in aller Früh! Dazu noch die Eskorte in den Keller! Die Nedbal und ihr Besen lauern garantiert schon im Hausflur und warten auf mich!“

Mist murmelte Asmodi.

Anika grüßte kurz und wollte vorbeihuschen, da hielt sie die Nedbal am Ärmel zurück. „Fräuln Lauscha“, raunte sie, „wenn S’ in die Nebengassen ausse wolln, dann sperr i Ihna des Türl im Hof auf, des geht ins Haus um die Eckn. Da draußen steht nämli ana.“ Sie deutete heftig auf das noch geschlossene Haustor.

Cool bleiben, flüsterte Asmodi, cool und seeehr freundlich.

Anika lächelte. „Das ist ganz lieb von Ihnen, Frau Nedbal. Aber ich muss mich nicht fürchten, ich habe nichts angestellt.“

„Na, i waß ned. Wundern täts mi ned, so arrogant, was der Pimpf immer war. Wissen S’, i schau jedn Krimi, i kenn mi aus.“

Die hat gelauscht, stellte Asmodi fest.

„Frau Nedbal“, sagte Anika, „ich kenne den Notausgang. Sobald ich ihn brauche, melde ich mich bei Ihnen.“

„Eh.“ Die Nedbal zwinkerte. „Dar Schlissl hängt im Besnkammerl, des loss i nochan offn.“

„Wissen S’“, sagte die Nedbal noch, während Anika schon das Haustor öffnete, „Wenn mei Oida ned freiwilli gschturm war, vielleicht hätt i eam aa hamdraht.“

Asmodi kicherte. Die Nedbal mochte den Heinzi nicht. Der hat sie nie gegrüßt, der Pimpf!

13 Umwege

Anika hockte in der Straßenbahn und starrte auf ihre Schuhspitzen. Sie wollte keinen Zeitungskiosk mehr sehen samt der Schlagzeile „Drahtschlingenmörder“ in handtellergroßen Lettern. Ist nichts anderes passiert in der Welt? Plötzlich sprang sie auf, rempelte die Leute an und quetschte sich gerade noch zwischen den sich schließenden Türen aus dem Waggon.

Aua! Spinnst du?

Ich kann keine Freunde da hineinziehen! In Gefahr bringen! Wer weiß, was in dem Notebook steht! Ich muss das alleine schaffen!

Großartig. Und was jetzt?

Der Straßenbahnzug stand noch immer da. Auch jemand anderer hatte noch unbedingt aussteigen wollen.

Ich geh ins Café Dattler, den Herrn Theo fragen. Der Herr Theo weiß immer alles. Vielleicht kann ich wenigstens herauskriegen, wer dieser blonde Trampel ist, mit dem Heinz geflirtet hat. Ob die nicht was zu tun hat mit …!

Anika versuchte, vor ihren eigenen Gedanken davonzurennen.

Ja, der Heinzi, sinnierte Asmodi. Früher ist er halt mit dir im Dattler gesessen. Champagner hat er allerdings nie bestellt

Asmodi! Du bist ekelhaft!

Hauptsache, du bist immer lieb.

Vorhin, bei ihrem Haustor, war Anika niemand aufgefallen, aber je näher sie der Innenstadt kam, desto mehr fühlte sie sich beobachtet. Einmal glaubte sie in der Spiegelung einer Auslage die hohe Gestalt und den Wuschelkopf Rashnans zu erkennen.

Wunschdenken, was?

Blödsinn! Aber der Dickliche dort mit den Graulöckchen um die Glatze? Hab ich den nicht schon einmal gesehen?

Du würdest dich wundern, wie viele Dicke mit Glatze du schon einmal gesehen hast…

Der war in der Straßenbahn, Asmodi, sicher!

Aber geh, du träumst. So soignierte Herren wie der fahren nicht Straßenbahn.

Anika schlug einen Umweg ein. Ohnehin wollte sie weder an der Bibliothek vorbeikommen noch an der Menlo-Bank, in der Heinz-Herwig gearbeitet hatte.

14 Flucht aus dem Dattler

Vor dem Café Dattler standen viele leere Sessel, der Mittags-Andrang hatte noch nicht eingesetzt. Nur der Kapperl-Tourist hinter seiner New York Times hockte da, als hätte er sich seit dem Vortag nicht von der Stelle gerührt.

Anika setzte ich in den Innenraum, ans Fenster, damit sie die Gasse im Blick behalten konnte.

Der Herr Theo brachte Melange und ein großes Stück Torte, dazu eine Zeitung, diskret mit der Titelseite nach unten.

Anika deutete auf den Ami draußen im Schanigarten. „Sitzt der immer dort?“ Der Herr Theo schmunzelte. „Seit ein paar Tagen. In seinem Hotel ist ihm wohl der Kaffee nicht gut genug.“

„Herr Theo …“ Anika sprach noch leiser. „Erinnern Sie sich an – dieses Paar, das gestern Nachmittag da in der Nische gesessen ist?“

Herr Theo beugte sich zu ihr herunter, verrückte den Zuckerstreuer und die Eiskarte. „Der junge Herr war ja oft hier Gast … Auch mit Kollegen aus seinem Büro.“

„Und die Dame?“

„Ein bekanntes Gesicht. Eine Journalistin, von so einem bunten Magazin. Sensationen, Sensationen.“ Herr Theo ließ seine Augen zum Zeitungsständer wandern. „Sie war im Fernsehen, gar nicht lange her, ich glaube, es ging um diese verrückte Sekte, die unser Papst nicht mehr haben wollte. Um diesen ganzen Aufruhr. Schon ein bisserl her. Ich kann mich momentan nicht an den Namen der Dame erinnern. Irgendetwas Ländliches. Bergbauer, Birnberger, oder so ähnlich. Birnstingl! Ja, Birnstingl.“

Bekümmert schaute Herr Theo auf Anika herunter. „Vielleicht wollte er der gnädigen Frau nur eine Geldanlage empfehlen.“

Dann enteilte der Herr Theo in die Küche.

Anika widmete sich intensiv ihrer Cremetorte.

Aaah, machte Asmodi. Fettsüß ist gut für die Nerven.

Wird der Hintern noch breiter.

Hast du gesagt.

Als Anika wieder aufschaute, war der Ami verschwunden. Eine Gruppe schnatternder Japanerinnen hatte an seiner Stelle Platz genommen.

Und dann sah sie den Dicklichen mit den grauen Löckchen wieder, Krawatte, dreiteiliger Anzug, trotz des warmen Wetters. Er kam vom Graben her geschlendert, blieb vor einer Auslage stehen und interessierte sich intensiv für Silberlöffel und üppige Tafelaufsätze.

Der schielt herüber!, Asmodi kicherte.

Na klar habe ich den Kerl schon gesehen! Ich spinn doch nicht! Der ist hinter mir her, die ganze Zeit schon!

Mit zitternden Fingern legte Anika Geld auf den Tisch. Verstecken oder rennen? Der Herr Theo war nirgends zu sehen.

Ein frischer Trupp Touristen, aufgespannter Signalschirm voran, drängte an dem Dicklichen vorbei.

Jetzt renn!, zischte Asmodi, weg! Um die nächste Ecke!

Anika rannte, an den Waschräumen vorbei und bei der Hintertür hinaus.

15 Sakristei mit Spion

In einer schmalen Gasse ohne Gehsteig und ohne Geschäftsportale blieb Anika stehen, lehnte sich keuchend an die Mauer. Und dann begriff sie, wo sie hingerannt war.

Asmodi, das ist die Seitenfront deiner Kirche!

Das ist nicht meine Kirche, brummte Asmodi. Und ich weiß wirklich nicht, wieso es dich immer hierher zieht.

Anika drückte sich in eine Türnische und schaute sich kurz um. Die Gasse war menschenleer, aber in einiger Entfernung, dort, wo Anika hergekommen war, tauchte der dickliche Herr auf. Nach vorne krümmte sich das Gässchen, von dort her hallten eilige Schritte. Anika stellte sich Inspektor Rashnan vor, wie er dahineilte, um sie zu verhaften und in Handschellen zu legen.

Du stehst an der Tür zur Sakristei, flüsterte Asmodi. Da bist du rausgekommen gestern.

Anika rüttelte am Türknauf. Geschlossen, natürlich. Der Dickliche kam näher, auch die Schritte vom anderen Ende der Gasse her wurden lauter.

Plötzlich knarrte die Tür auf, eine kräftige Hand packte Anika und zog sie ins Halbdunkel zwischen den roten Vorhängen. Der Riegel knirschte. Weihrauchschwaden.

Anika schnappte nach Luft.

„Sch …“, machte der Mönch und legte seinen Finger über ihren Mund. Er deutete auf ein rundes Loch neben dem Türpfosten, durch das ein bisschen Licht schimmerte. Ein Torspion! Irgendwo da draußen, getarnt von barocker Steinmetzarbeit, musste eine Linse eingebaut sein, Anika konnte ein größeres Stück der Gasse sehen, nach beiden Seiten, wenn auch stark verzerrt. Jemand eilte vorbei. Ein Fremder, nicht Rashnan. Dann kam der Dickliche ins Bild. Er blieb stehen, schaute sich um, inspizierte kurz die Sakristeitür und drückte vorsichtig dagegen. Der Riegel hielt Stand. Anika sah das pausbackige Gesicht samt Schnurrbärtchen, verzerrt, kurz darauf nur noch die Nase. Aber dann wandte sich der Mann ab, überquerte die Gasse und betrachtete dort eine abgeblätterte Holztür, an der ein Zettel klebte: Eingang vorne. Er probierte den Türgriff, aber auch diese Tür war verschlossen. Er wanderte weiter.

Nicht umfallen jetzt, zeterte Asmodi, aber Anika fühlte sich plötzlich ganz schwach, ihre Knie gaben nach, die Tasche plumpste zu Boden. Der Mönch legte beide Arme um sie und hielt sie fest. Seine Kutte kratzte gegen ihre Wange und roch nach Staub, aber Anika fühlte sich gestützt und geborgen, und so stand sie eine ganze Weile an den Mönch gedrückt, bis ihr Kopf wieder klar wurde.

16 Der Ami vom Kaffeehaus

Sie wand sich los und trat zwei Schritte zurück, schaute den Mann an, an den sie sich so vertrauensvoll gelehnt hatte. Er hob den Arm und schob die Kapuze zurück: Ein kräftiger Kerl, nur wenige Jahre älter als Anika, kurze Haare, schmale grüne Augen, Boxernase, eine Narbe an der Oberlippe, die auch der Dreitagebart nicht ganz verdecken konnte.

Sowas von peinlich! Fällst einem wildfremden Mönch um den Hals!

„Tut mir leid“, murmelte Anika.

„Mir nicht“, sagte der Mönch und lächelte.

Etwas herb, dein frommer Freund, flüsterte Asmodi, aber schöne Zähne

Anika spürte feucht unter der Nase und kramte nach einem Taschentuch.

Hoffentlich hast du ihm die Kutte nicht angerotzt!

In Anikas Hosentasche fand sich nur das zerknüllte Papierding, in das sie Asmodis Ohr eingeschlagen hatte. Sie zupfte daran und das Ohr fiel laut klackernd auf den Boden, die Plastikkarte aus HHs Anzug segelte nach.

He!, rief Asmodi, pass doch auf!

Der Mönch bückte sich blitzschnell. „Asmodis Ohr!“, sagte er, und seine Augen glitzerten amüsiert.

„Sie kennen Asmodi?“

„Die Skulptur war einmal recht berühmt. Aber seit hier niemand mehr auf die Kanzel steigt …“

Her mit dem Ohr, das ist meins!