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Ein furchterregender Ritter und seine eigensinnige Dame …
Der gefühlvolle historische Liebesroman über die Verstrickungen von Verrat und Begehren
Als der Ritter Hugh wie ein Sturm über Lingwod Manor hereinbricht, sind alle entsetzt – außer die scharfzüngige Schönheit Lady Alice. Schon nach der ersten Begegnung ist für Alice klar, dass sie Hugh nicht fürchten, sondern begehren muss. Und: dass er wegen ihrem grünen Kristall gekommen ist, der allerdings nicht mehr in ihrem Besitz ist. Doch Alice hat einen Vorschlag für den abweisenden Ritter: Sie hilft ihm, den Kristall zu finden, und er befreit sie und ihren Bruder aus den Fängen ihres Onkels. Auch wenn Hugh einverstanden ist, stellt er seinerseits die Bedingung, Alice müsse sich auf eine vorübergehende Verlobung mit ihm einlassen. Und so treffen die beiden ein geschäftliches Abkommen, doch ihre Leidenschaft geht tiefer …
Erste Leser:innenstimmen
„Wunderschöner historischer Liebesroman mit starker Frauenfigur!“
„Neben Romantik und Leidenschaft kam auch die Spannung nie zu kurz.“
„Die schlagfertigen, lustigen Dialoge zwischen Lady Alice und Hugh waren mein Highlight!“
„Mitreißend, humorvoll, ans Herz gehend und vor allem: nicht aus der Hand legbar.“
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Seitenzahl: 554
Veröffentlichungsjahr: 2022
Als der Ritter Hugh wie ein Sturm über Lingwod Manor hereinbricht, sind alle entsetzt – außer die scharfzüngige Schönheit Lady Alice. Schon nach der ersten Begegnung ist für Alice klar, dass sie Hugh nicht fürchten, sondern begehren muss. Und: dass er wegen ihrem grünen Kristall gekommen ist, der allerdings nicht mehr in ihrem Besitz ist. Doch Alice hat einen Vorschlag für den abweisenden Ritter: Sie hilft ihm, den Kristall zu finden, und er befreit sie und ihren Bruder aus den Fängen ihres Onkels. Auch wenn Hugh einverstanden ist, stellt er seinerseits die Bedingung, Alice müsse sich auf eine vorübergehende Verlobung mit ihm einlassen. Und so treffen die beiden ein geschäftliches Abkommen, doch ihre Leidenschaft geht tiefer …
Erstausgabe 1995 Überarbeitete Neuausgabe Februar 2022
Copyright © 2025 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten
E-Book-ISBN: 978-3-98637-145-6
Copyright © 1995, Jayne A. Krentz Titel des englischen Originals: Mystique
Die Rechte an der Nutzung der deutschen Übersetzung von Uta Hege liegen beim Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH.
Copyright © 2002, Wilhelm Goldmann Verlag, München Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2002 bei Wilhelm Goldmann Verlag, München erschienenen Titels Süßes Gift der Leidenschaft (ISBN: 978-3-44255-300-6).
Übersetzt von: Uta Hege Covergestaltung: Emily Bähr unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: © Jacob_09, © mikemike10, © Creative Screen periodimages.com: VJ Dunraven, Mary Chronis Korrektorat: Susanne Meier
E-Book-Version 07.02.2025, 13:27:18.
Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.
Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
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Alice rühmte sich ihres logischen Denkvermögens und ihrer Intelligenz. Sie war nie auf irgendwelche Heldenlegenden hereingefallen, aber schließlich hatte sie bis vor Kurzem auch noch nie irgendwelcher Hilfe bedurft.
Heute Abend war sie jedoch nur allzu bereit, an Helden zu glauben, und zufälligerweise saß gerade einer am Kopf der Tafel in der Halle von Lingwood Manor.
Der dunkle Ritter, bekannt als Hugh der Unerbittliche, genoss wie ein normaler Sterblicher Lauchsuppe und Schweinswurst, und Alice kam zu dem Schluss, dass selbst eine Heldenlegende essen musste.
Dieser Gedanke machte ihr Mut, und sie ging entschlossen die Turmtreppe hinab. Zu dem bedeutenden Anlass trug sie ihr bestes Gewand aus dunkelgrünem Samt, mit Seidenbändern verziert. Ihr Haar lag unter einem feinen, mit Goldfäden durchwirkten Netz – einem Erbstück ihrer Mutter –, das von einem feinen, goldfarbenen Metallreif gehalten wurde, und ihre Füße steckten in weichen, grünen Lederpantoffeln.
Alice wusste, dass sie für die Begegnung mit der Legende gewappnet war, dennoch bekam sie beim Anblick des Gastes weiche Knie.
Hugh der Unerbittliche mochte essen wie ein gewöhnlicher Mann, aber dort endete die Ähnlichkeit auch schon. Alice wurde von einem halb furchtsamen, halb erregenden Schauder gepackt. Es hieß, Legenden seien gefährlich, und Sir Hugh passte durchaus in dieses Bild.
Die Hände in die Röcke ihres Kleides gekrallt, blieb sie auf der letzten Stufe stehen und sah sich in der Menschenmenge um. Plötzlich hatte sie das Gefühl, dies alles sei nur ein Traum, und einen beunruhigenden Augenblick lang fragte sie sich, ob sie vielleicht in die Kammer eines Hexenmeisters gestolpert sei.
Trotz der Menschenmenge hatte sich eine bedrohliche Stille über den Raum gesenkt. Die Luft war schwer, erfüllt von bösen Omen und dunklen Warnungen.
Alle, selbst die Dienerschaft, verharrten in Reglosigkeit, und die Harfe des Troubadours schwieg. Sämtliche Hunde kauerten dicht gedrängt unter den langen Tischen und ignorierten die Knochen, die man ihnen hingeworfen hatte. Ritter als auch Waffenträger saßen wie versteinert auf den Bänken, und die Flammen im großen Kamin züngelten vergeblich gegen die Schatten an, die sich in der Halle finster und bedrohlich ausbreiteten.
Es war, als stünde der einst so vertraute Saal unter einem Bann, der ihn fremd und unnatürlich erscheinen ließ. Doch Alice wies sich zurecht, dass sie gar nicht überrascht sein dürfte. Schließlich stand Hugh der Unerbittliche in dem Ruf, weitaus Furcht einflößender zu sein als jeder Magier; in der Tat handelte es sich um den Mann mit dem Schwert, das Bote der Stürme hieß.
Als Alice in Hughs dunkles Gesicht sah, wusste sie drei Dinge mit großer Bestimmtheit.
Erstens: Die gefährlichsten Stürme waren die, die in der Seele dieses Mannes tobten und nicht die, die man seiner Klinge zuschrieb.
Zweitens: Die rauen Winde, die in ihm heulten, wurden von einem unbeugsamen Willen und eiserner Entschlossenheit im Zaum gehalten.
Drittens: Hugh wusste genau, wie er den legendären Ruf zu seinem Vorteil nutzen konnte. Obgleich er nur Gast war, beherrschte er den Saal und alle Anwesenden, als sei er der Herr im Haus.
»Ihr seid Lady Alice?«, fragte Hugh aus der Dunkelheit. Seine Stimme klang, als käme sie aus der Tiefe eines Sees in einer finsteren Höhle.
Die Gerüchte, die sich um ihn rankten, waren nicht übertrieben. Seine rabenschwarzen Ritterkleider wiesen keinerlei Verzierungen auf, nicht die geringste Stickerei. Tunika, Schwertgürtel, Stiefel, alles hatte die Farbe sternloser Mitternacht.
»Ich bin Alice, Mylord.« Sie machte einen tiefen, ehrfürchtigen Knicks, da sie fand, gutes Benehmen schade niemals. Als sie den Kopf hob, bemerkte sie, dass Hugh sie eindringlich musterte. »Ihr habt nach mir geschickt, Sir?«
»Ja, Mylady, das habe ich. Bitte kommt näher, damit wir miteinander sprechen können.« Dies war keine Bitte, sondern ein Befehl. »Wie ich hörte, befindet sich etwas in Eurem Besitz, das mir gehört.«
Dies war der Augenblick, auf den Alice gewartet hatte. Sie erhob sich graziös und schritt zwischen den langen Tischen hindurch, wobei sie trachtete, sich an alles zu erinnern, was sie in den letzten drei Tagen über Hugh erfahren hatte.
Ihre Informationen waren bestenfalls spärlich und basierten auf Gerüchten und Erzählungen. Dieses Wissen jedoch genügte nicht. Sie hätte mehr erfahren müssen, denn allzu viel hing davon ab, wie sie sich diesem geheimnisvollen Mann gegenüber in den nächsten fünf Minuten verhielt.
Aber nun war es zu spät. Sie musste sich mit den wenigen Dingen begnügen, die sie sich aus den Gerüchten im Dorf und auf der Burg ihres Onkels zusammengereimt hatte.
Außer dem leisen Rascheln ihrer Röcke und dem Knistern des Feuers hörte man nichts in dem riesigen Saal; Erregung und Furcht lagen in der Luft.
Alice warf einen kurzen Blick auf ihren Onkel, Sir Ralf, der neben seinem gefährlichen Besucher saß. Ralfs Glatze glänzte vor Schweiß und seine plumpe Gestalt, deren Kürbisform die kürbisfarbene Tunika unvorteilhaft betonte, versank fast gänzlich in den Schatten, die Hugh aussandte. Seine beringten Wurstfinger umklammerten einen Bierkrug, ohne dass er trank.
Alice wusste, dass der sonst so laute, ungehobelte Ralf heute Abend geradezu vor Angst schlotterte, und auch ihre stämmigen Vettern William und Gervase waren gelinde gesagt in Alarmzustand. Sie saßen stocksteif an einem der anderen Tische und starrten Alice an. Sie spürte ihre Verzweiflung und verstand, woher sie kam. Ihnen gegenüber hockten Hughs grimmige, kampferprobte Männer, und die Griffe ihrer Schwerter blitzten im Flammenschein.
Nur Alice konnte Hugh besänftigen. Ob Blut floss oder nicht, lag allein in ihren Händen.
Sie alle wussten, weshalb Hugh der Unerbittliche nach Lingwood Hall gekommen war, doch nur den Bewohnern der Burg war klar, dass er das, was er suchte, hier nicht finden konnte, und seine wahrscheinlich zornige Reaktion auf diese unerfreuliche Nachricht ließ sie vor Sorge erbeben.
Man hatte Alice dazu auserkoren, Hugh die Situation zu erklären. Während der letzten drei Tage, seit die Kunde vom Kommen des grimmigen Ritters ging, hatte sich Ralf allerorts lautstark beschwert, dass die drohende Katastrophe allein Alice anzulasten war.
Er hatte darauf bestanden, dass sie Hugh davon abbringen müsse, an der Burg und ihren Bewohnern Rache zu nehmen. Alice wusste, dass ihr Onkel wütend auf sie war, und sie wusste, dass er sich fürchtete. Zu Recht.
Lingwood Manor verfügte über einen kleinen, bunt zusammengewürfelten Trupp von Rittern und Waffenträgern, aber in ihren Herzen waren diese Männer Bauern und keine Männer des Schwerts. Weder verfügten sie über Erfahrung, noch hatten sie je ernsthaft den Kampf geprobt. Es war kein Geheimnis, dass die Burg einem Angriff des legendären Hugh des Unerbittlichen unmöglich standhielte. Er und seine Männer würden diese Tafelrunde im Handumdrehen in ein blutiges Schlachtfeld verwandeln.
Niemand fand es seltsam, dass Ralf von seiner Nichte erwartete, Hugh zu besänftigen. In der Tat hätte man es als höchst ungewöhnlich empfunden, hätte er es nicht getan. Sämtliche Burgbewohner wussten, dass Alice sich von niemandem so leicht einschüchtern ließ, auch von einer Legende nicht.
Mit ihren dreiundzwanzig Jahren war sie eine Frau ausgeprägten Willens, und sie zögerte nur selten, diesen kundzutun. Alice wusste sehr wohl, dass ihr Onkel ihr Selbstbewusstsein als störend empfand, dass er sie hinter ihrem Rücken als altklug bezeichnete, auch wenn er sie offen umschmeichelte, damit sie ihm eines ihrer diversen Heilmittel für seine schmerzenden Gelenke verabreichte.
Alice hielt sich für resolut und keineswegs einfältig. Sie war sich der Gefahr des Augenblicks durchaus bewusst, gleichzeitig jedoch der goldenen Möglichkeit des Entkommens, die Hughs Ankunft ihr bot. Wenn sie sie nicht nutzte, säßen sie und ihr Bruder ewiglich hier auf Lingwood Manor fest.
Sie blieb am Kopfende des Tisches stehen und sah den Mann an, der bedrohlich auf dem am reichsten verzierten Eichenstuhl der ganzen Halle thronte. Es hatte geheißen, dass Hugh der Unerbittliche nicht gerade einer der schönsten Männer war, aber das Spiel der Flammen und der Schatten auf seinem Gesicht verstärkte das Finstere seiner Züge derart, dass er wirkte wie der Teufel in Menschengestalt.
Sein Haar war dunkler als schwarzer Basalt und umrahmte eine hohe, stolze Stirn. Seine Augen, die einen seltsam goldenen Bernsteinton aufwiesen, blitzten vor unbarmherziger Intelligenz. Es lag auf der Hand, weshalb er der Unerbittliche hieß. Alice erkannte, dass dieser Mann sich durch nichts von seinen Zielen abhalten ließ.
Sie fröstelte, doch ihre Entschlossenheit wankte nicht.
»Es hat mich enttäuscht, dass Ihr uns nicht schon beim Essen mit Eurer Gesellschaft beehrt habt, Lady Alice«, sagte Hugh. »Ich hörte, Ihr hättet die Zubereitung der Speisen überwacht.«
»Das stimmt, Mylord.« Sie bedachte ihn mit ihrem gewinnendsten Lächeln. Eins der Dinge, die sie herausgefunden hatte, war, dass Hugh sorgsam ausgewählte, feingewürzte Gerichte zu schätzen wusste, und sie hatte ihre ganze Aufmerksamkeit der Küche gewidmet. »Ich hoffe, es hat Euch gemundet?«
»Eine interessante Frage.« Hugh dachte einen Augenblick darüber nach, als handele es sich um ein philosophisches oder logisches Problem. »Am Geschmack und an der Vielfalt der Speisen gab es nichts auszusetzen. Ich gestehe, ich habe mir den Magen reichlich gefüllt.«
Alice’ Lächeln wurde dünner. Seine gemessenen Worte und sein offensichtlicher Mangel an Wertschätzung für ihre Mühe ärgerten sie. Sie hatte Stunden mit der Überwachung der Bankettvorbereitungen verbracht.
»Es freut mich zu hören, dass es offenbar nichts zu beanstanden gab, Mylord«, sagte sie und sah aus dem Augenwinkel, dass Sir Ralf bei ihrem gereizten Ton zusammenfuhr.
»Nein, es war alles in Ordnung«, räumte Hugh ein. »Aber ich muss zugeben, dass ich immer über die Möglichkeit einer Vergiftung nachdenke, wenn die Person, die die Zubereitung der Gerichte überwacht, es vorzieht, selbst nichts
zu essen.«
»Eine Vergiftung?« Alice war ehrlich empört.
»Aber allein der Gedanke bringt einem Mahl erst die richtige Würze, findet Ihr nicht?«
Ralf zuckte zusammen, als hätte Hugh sein Schwert gezückt, und die Bediensteten stießen gemeinsam einen Entsetzensschrei aus. Die Waffenträger rutschten unruhig auf ihren Bänken herum, ein paar der Ritter legten die Hände an ihre Schwerter, und Gervase sowie William wurden regelrecht grün im Gesicht.
»Nein, Mylord«, stammelte Ralf. »Ich versichere Euch, dass es absolut keine Veranlassung gibt, meine Nichte der Giftmischerei zu bezichtigen. Ich schwöre Euch bei meiner Ehre, Sir, so etwas würde sie niemals tun.«
»Da ich immer noch hier sitze und es mir nach dem reichhaltigen Mahl nicht schlechter geht als zuvor, neige ich dazu, Euch zuzustimmen«, pflichtete Hugh ihm bei. »Aber Ihr könnt es mir wohl kaum verübeln, dass ich unter den gegebenen Umständen Argwohn hege.«
»Und was für Umstände wären das, Sir?« Alice sah ihn fragend an.
Sie sah, dass Ralf angesichts ihres inzwischen eindeutig unhöflichen Tons verzweifelt die Augen schloss, aber schließlich war der Tenor dieser Unterhaltung nicht ihre Schuld. Hugh der Unerbittliche hatte die Feindseligkeiten eröffnet, nicht sie.
Gift. Als würde sie jemals auch nur im Traum daran denken, so etwas zu tun.
Die Anwendung eines der ungesünderen Rezepte ihrer Mutter hätte sie höchstens als allerletztes Mittel in Erwägung gezogen und das auch nur, wenn sie erfahren hätte, dass Hugh ein dummer, grausamer, brutaler Kerl ohne einen Funken Verstand war. Doch selbst unter derartigen Umständen, dachte sie zornig, hätte sie ihn nicht umgebracht.
Sie hätte höchstens ein harmloses Gebräu zusammengemischt, das ihn und seine Männer zu schläfrig oder schwindlig gemacht hätte, um die Bewohner der Burg kaltblütig niederzumetzeln.
Hugh musterte Alice, und als er ihre Gedanken zu erraten schien, verzog er unmerklich das Gesicht. Das Lächeln, das seinen harten Mund umgab, enthielt jedoch keinerlei Wärme, sondern nur eisiges Amüsement.
»Wollt Ihr mir etwa Vorwürfe machen, dass ich vorsichtig bin, Mylady? Wie man mir sagte, interessiert Ihr Euch für alte Schriften. Und es ist doch wohl allgemein bekannt, dass die Alten sehr geschickt waren im Umgang mit Tränken und Gebräu. Außerdem heißt es, dass Eure Mutter eine wahre Expertin für fremde und ungewöhnliche Kräuter war.«
»Wie könnt Ihr es wagen, Sir?« Alice war tief getroffen. Kein Gedanke mehr an einen vorsichtigen, behutsamen Umgang mit diesem Rüpel. »Ich bin eine Gelehrte, keine Giftmischerin. Ich beschäftige mich mit Fragen der Naturphilosophie, nicht mit trüber Magie. Meine Mutter war in der Tat eine Expertin für Kräuter und eine große Heilerin. Aber niemals hätte sie ihre Fähigkeiten dazu benutzt, einem Menschen zu schaden.«
»Das höre ich freilich gern.«
»Auch ich beabsichtige nicht, Menschen umzubringen«, fuhr Alice eilig fort. »Noch nicht einmal unhöfliche, undankbare Gäste wie Ihr es seid, Mylord.«
Ralf fiel fast der Bierkrug aus der Hand. »Alice, um Gottes willen, schweig.«
Alice ignorierte ihn. Sie wandte sich mit zusammengekniffenen Augen an Hugh. »Seid versichert, dass ich noch nie in meinem Leben einen Menschen getötet habe, Sir. Was Ihr von Euch wohl kaum behaupten könnt.«
Die Atemlosigkeit, die sich über den Raum gesenkt hatte, wurde von diversen Schreckenslauten durchbrochen. Ralf stöhnte und hielt sich die Hände vor das Gesicht, Gervase und William warfen sich bestürzte Blicke zu.
Hugh war der Einzige, der völlig ungerührt zu sein schien. Er sah Alice nachdenklich an: »Ich fürchte, Ihr habt recht, Mylady«, bestätigte er mit ruhiger Stimme. »Das kann ich von mir nicht behaupten.«
Dieses bündige Geständnis wirkte auf Alice, als wäre sie gegen eine Steinmauer geprallt.
Sie blinzelte und suchte nach ihrem Gleichgewicht: »Ja, nun, da könnt Ihr es sehen …«
Hughs Bernsteinaugen blitzten neugierig auf. »Was genau sehe ich, Madame?«
Ralf versuchte heldenhaft, den Teufelskreis zu durchbrechen. Er hob den Kopf, wischte sich mit dem Ärmel seiner Tunika über die Stirn und flehte Hugh an: »Sir, ich bitte Euch, versteht, dass meine törichte Nichte Euch nicht zu nahe treten will.«
Hughs Miene verriet gewisse Zweifel. »Nein?«
»Natürlich nicht«, stotterte Ralf. »Es besteht nicht die geringste Veranlassung, sie irgendwelcher Frevel zu verdächtigen, nur weil sie es vorgezogen hat, nicht mit uns zusammen zu speisen. Genau gesagt, isst Alice nie hier unten in der Halle mit uns.«
»Seltsam«, murmelte Hugh.
Alice wippte auf den Zehenspitzen. »Mit diesem Geplänkel vergeuden wir nur Zeit.«
Hugh sah Ralf fragend an.
»Sie behauptet, dass sie, äh, die Zurückgezogenheit ihrer eigenen Räumlichkeiten bevorzugt«, beeilte sich Ralf zu erklären.
»Und warum das?« Hugh wandte sich wieder Alice zu.
Ralf stöhnte. »Sie sagte, dass der intellektuelle Austausch, wie sie es nennt, hier unten in der Halle für ihren Geschmack zu dürftig ist.«
»Ich verstehe«, sagte Hugh.
Ralf bedachte Alice mit Abscheu im Blick und setzte zu seiner alten, vertrauten Klage an. »Offensichtlich sind die Gespräche ehrlicher, mannhafter Waffenträger nicht erhaben genug, um Myladys Ansprüchen Genüge zu tun.«
Hugh zog die Brauen hoch. »Ach. Lady Alice hat also nicht das Verlangen, von den allmorgendlichen Übungen eines Mannes an der Stechpuppe oder von seinen Erfolgen auf der Jagd zu hören?«
Ralf seufzte. »Nein, Mylord, ich bedaure sagen zu müssen, dass sie für diese Dinge einfach keine Anteilnahme aufbringt. Wenn Ihr mich fragt, so beweist meine Nichte nur, wie töricht
es ist, Frauen zu erziehen. Es macht sie allzu dickschädelig, bringt sie dazu, sich einzubilden, sie wären eigenständige Persönlichkeiten. Und was am schlimmsten ist, es macht sie undankbar und respektlos gegenüber den armen, unseligen Männern, denen sie anvertraut sind, und deren trauriges Los es ist, sie ernähren und kleiden zu müssen.«
Aufgebracht bedachte Alice Ralf mit einem vernichtenden Blick. »Das ist völliger Unsinn, Onkel. Ihr wisst genau, wie dankbar ich Euch bin für den Schutz, den Ihr mir und meinem Bruder gewährt. Wo wären wir ohne Euch?«
Ralf errötete. »Also bitte, Alice, komm jetzt zum Ende.«
»Ich will Euch sagen, wo Benedict und ich ohne Euren großzügigen Schutz wären. Wir säßen auf unserer eigenen Burg und äßen an unserem eigenen Tisch.«
»Beim Blute der Heiligen, Alice. Bist du vollkommen übergeschnappt?« Ralf starrte sie entgeistert an. »Dies ist wohl kaum der richtige Zeitpunkt, um über diese Angelegenheit zu sprechen.«
»Nun gut.« Sie setzte ein grimmiges Lächeln auf. »Wechseln wir das Thema. Wäre es Euch lieber, wenn wir darüber sprächen, wie es Euch gelungen ist, den kläglichen Rest meines Erbes durchzubringen, nachdem Ihr die Burg meines Vaters an Euren Sohn gegeben hattet?«
»Verdammt, Weib, du bist nicht gerade billig im Unterhalt.« Ralfs Furcht vor Hugh wich kurzfristig dem endlosen Verdruss, den er Alice gegenüber empfand. »Das letzte Buch, das ich auf dein Drängen hin kaufen musste, hat mehr gekostet als ein guter Jagdhund.«
»Schließlich ist es auch eine sehr wichtige Schrift des Bischof Marbode von Rennes über Mineralien«, gab Alice zurück. »Sie beschreibt sämtliche Eigenschaften von Edel- und anderen Steinen, und der Preis dafür war gewiss nicht zu hoch.«
»Ach, nein?«, schnauzte Ralf. »Nun, ich versichere dir, dass ich für das Geld durchaus bessere Verwendung hätte finden können.«
»Genug.« Hugh griff mit einer großen, wohlgeformten Hand nach seinem Weinkelch. Es war eine kaum wahrnehmbare Bewegung, aber da sie die vollkommene Reglosigkeit durchbrach, in der er bisher verharrt hatte, trat Alice unwillkürlich einen Schritt zurück, und Ralf schluckte eilig weitere Anschuldigungen herunter, die er hatte vorbringen wollen.
Alice errötete, verärgert und peinlich berührt von dem törichten Streitgespräch. Als gäbe es nichts Wichtigeres, dachte sie. Ihre leidenschaftliche Natur war wirklich ein Fluch.
Nicht ohne einen gewissen Neid fragte sie sich, wie es Hugh gelang, sich derart zu beherrschen. Ohne jeden Zweifel hatte er sein Temperament in eisernem Griff, eine der Eigenschaften, die ihn so gefährlich machten.
In Hughs Augen spiegelten sich die Flammen des Kamins. »Das, was offenbar ein alter Familienzwist ist, interessiert mich nicht. Ich habe weder die Zeit noch die Geduld, um diesen Streit zu schlichten. Wisst Ihr, weshalb ich gekommen bin, Lady Alice?«
»Ja, Mylord.« Alice erkannte die Sinnlosigkeit, um den heißen Brei herumzureden. »Ihr sucht den grünen Stein.«
»Ich bin diesem elenden Kristall seit über einer Woche auf der Spur, Mylady. In Clydemere erfuhr ich, dass er von einem jungen Ritter von Lingwood Hall gekauft worden ist.«
»Das stimmt, Mylord«, bestätigte Alice. Sie wollte die Sache ebenso schnell hinter sich bringen wie er.
»Für Euch?«
»Auch das stimmt. Mein Vetter Gervase entdeckte ihn auf dem Sommermarkt in Clydemere.« Alice sah, dass Gervase sich unruhig wand. »Er wusste, dass mich der Stein interessieren würde, und erwarb ihn freundlicherweise für mich.«
»Hat er Euch auch erzählt, dass der Hausierer, der ihn verkauft hat, später mit durchgeschnittener Kehle gefunden wurde?«, fragte Hugh im Plauderton.
Alice’ Kehle wurde trocken. »Nein, das hat er nicht, Mylord. Offensichtlich wusste Gervase von dieser Tragödie nichts.«
»So scheint es.« Hugh betrachtete Gervase aufmerksam.
Gervase öffnete den Mund und klappte ihn zweimal wieder zu, ehe er seine Stimme fand. »Ich schwöre Euch, ich wusste nicht, dass der Kristall gefährlich war, Sir. Er war nicht teuer, und ich dachte, er würde Alice amüsieren. Sie interessiert sich sehr für ungewöhnliche Steine und dergleichen.«
»Der grüne Kristall hat nichts sonderlich Amüsantes an sich.« Hugh lehnte sich gerade weit genug nach vorn, um das Muster von Licht und Schatten in seinem harten Gesicht so zu verändern, dass es noch dämonischer aussah. »Denn je länger ich ihn suche, desto weniger gefällt er mir.«
Alice runzelte die Stirn, als ihr ein Gedanke kam: »Seid Ihr ganz sicher, dass der Tod des Hausierers mit dem Kristall zusammenhängt, Mylord?«
Hugh sah sie an, als hätte sie ihn gefragt, ob morgen die Sonne wieder aufginge. »Bezweifelt Ihr etwa mein Wort?«
»Nein, natürlich nicht.« Alice unterdrückte ein leises Aufbegehren. Männer waren einfach lächerlich empfindlich, was die Wertschätzung ihres logischen Denkvermögens betraf. »Es ist nur so, dass ich keine Verbindung zwischen dem grünen Stein und dem Mord an dem Hausierer sehe.«
»Ach, nein?«
»Nein. Soweit ich weiß, ist der grüne Stein weder besonders hübsch noch besonders wertvoll. In der Tat ist er für einen Kristall sogar recht unscheinbar.«
»Ich weiß Eure Meinung als Expertin natürlich zu schätzen.«
Alice ignorierte den Sarkasmus seiner Worte, ihre Gedanken kreisten um die Logik dieses rätselhaften Problems. »Ich gebe zu, dass ein bösartiger Räuber töten könnte, wenn er fälschlicherweise annähme, dass der Stein wertvoll ist. Aber offen gestanden war er recht preiswert, sonst hätte Gervase ihn niemals gekauft. Warum sollte zudem jemand den armen Hausierer töten, nachdem er den Kristall bereits verkauft hatte? Das ergibt einfach keinen Sinn.«
»Ein Mord ist in einer solchen Situation durchaus logisch, falls jemand versucht, eine Spur zu verwischen«, stellte Hugh mit viel zu sanfter Stimme fest. »Ich kann Euch versichern, dass Männer schon aus weit unwichtigeren Gründen getötet worden sind.«
»Schon möglich.« Alice stützte einen Ellbogen in die Hand und trommelte mit den Fingerspitzen an ihr Kinn. »Bei den Augen der Heiligen, Männer scheinen erpicht darauf zu sein, eine Menge unnötiger Gewalttaten zu verüben.«
»Das kommt vor«, gab Hugh zu.
»Trotzdem, solange Ihr keinen objektiven Beweis dafür habt, dass es zwischen dem Mord an dem Hausierer und dem grünen Kristall eine klare Verbindung gibt, verstehe ich nicht, weshalb Ihr Euch an eine solche Verbindung klammert, Sir.« Sie nickte, zufrieden mit ihrer durchaus vernünftigen Schlussfolgerung. »Vielleicht wurde der Hausierer ja aus einem ganz anderen Grund umgebracht.«
Hugh sagte nichts. Er betrachtete sie mit eisiger Neugierde, als wäre sie irgendein seltsames, bisher unbekanntes Geschöpf, das aus dem Nichts vor ihm aufgetaucht war. Zum ersten Mal wirkte er leicht im Zweifel, als wisse er nicht genau, was er von ihr halten sollte.
Ralf stöhnte auf: »Alice, um Himmels willen, bitte streite nicht mit Sir Hugh. Dies ist nicht der rechte Augenblick, um deine rhetorischen Fähigkeiten zu erproben.«
Alice nahm sichtlich Anstoß an dieser ungerechten Anschuldigung. »Ich streite nicht, Onkel. Ich versuche lediglich, Sir Hugh darauf aufmerksam zu machen, dass man ohne eindeutige Beweise unmöglich auf etwas so Ernstes wie ein Mordmotiv schließen kann.«
»Ihr müsst mir einfach glauben, Lady Alice«, sagte Hugh. »Der Hausierer starb wegen dieses verdammten Kristalls. Ich glaube, wir sind uns darin einig, dass es das Beste wäre, wenn nicht noch ein Mensch deswegen stürbe, nicht wahr?«
»Allerdings, Mylord. Ich bin sicher, Ihr seid nicht der Meinung, dass ich mit Euch streiten will, ich stelle lediglich …«
»… offenbar alles infrage«, beendete er ihren Satz.
Sie runzelte die Stirn. »Mylord?«
»Ihr scheint nichts ohne Widerspruch hinzunehmen, Lady Alice. Bei anderer Gelegenheit fände ich diese Angewohnheit vielleicht unterhaltsam, aber heute Abend bin ich nicht in der Stimmung für derartige Spiele. Ich bin aus einem einzigen Grund hier: wegen des grünen Kristalls.«
Alice richtete sich zu ihrer ganzen Größe auf. »Ich möchte Euch keineswegs zu nahe treten, Mylord, aber es steht fest, dass mein Vetter diesen Stein für mich erworben hat. Also gehört er jetzt mir.«
»Alice, bitte«, jammerte Ralf.
»Um Gottes willen, Alice, musst du unbedingt mit ihm streiten?«, zischte Gervase.
»Wir sind verloren«, murmelte William.
Hugh ignorierte sie alle und starrte Alice an. »Der grüne Kristall ist der letzte der Steine von Scarcliffe, Mylady. Und da ich der neue Herr von Scarcliffe bin, gehört der Kristall mir.«
Alice räusperte sich und wog ihre Worte sorgsam ab. »Mir ist klar, dass Euch der Stein früher einmal gehört haben mag, Mylord. Aber ich denke bestreiten zu können, dass er immer noch Euer Eigentum ist.«
»Ach, ja? Kennt Ihr Euch etwa nicht nur in Dingen der Naturphilosophie, sondern auch mit den Gesetzen aus?«
Sie funkelte ihn wütend an: »Der Stein wurde von Gervase rechtmäßig gekauft und dann erhielt ich ihn als Geschenk. Ich verstehe nicht, wie Ihr ihn so ohne Weiteres von mir fordern zu können glaubt.«
Durch das unnatürliche Schweigen, das sich über die Halle gesenkt hatte, drang ein allgemeines Ringen nach Luft. Irgendwo krachte ein Blechkrug zu Boden und das harte Scheppern von Metall auf Stein hallte wider. Ein Hund winselte.
Ralf atmete rasselnd ein und starrte Alice mit hervorquellenden Augen an. »Alice, was hast du vor?«
»Ich verteidige lediglich meinen Besitzanspruch an dem grünen Kristall.« Dann wandte sie sich abermals Hugh zu: »Ich habe gehört, Hugh der Unerbittliche sei ein harter, doch gerechter und ehrenhafter Mann. Stimmt das, Mylord?«
»Hugh der Unerbittliche«, schnarrte der Angesprochene, »ist ein Mann, der sein Eigentum zu behaupten versteht. Und ich versichere Euch, Mylady, dass ich der Überzeugung bin, der Stein gehört mir.«
»Sir, ich brauche den Stein unbedingt für meine Forschungen. Ich untersuche augenblicklich verschiedene Mineralien auf ihre Eigenschaften hin, und der grüne Kristall ist höchst interessant.«
»Ich hörte Euch sagen, er sähe eher unbedeutend aus.«
»Ja, Mylord. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Dinge, denen es auf den ersten Blick an Charme und Schönheit fehlt, häufig eine vielversprechende Herausforderung in sich bergen.«
»Wendet Ihr diese Theorie auch auf Menschen an?«
Sie wahr ehrlich verwirrt. »Mylord?«
»Nur wenige bezeichnen mich als charmant oder schön, Madam. Und jetzt frage ich mich, ob Ihr mich vielleicht vielversprechend findet.«
»Oh.«
»Ich meine im intellektuellen Sinn.«
Alice fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. »Tja, nun, was das anbelangt, Mylord, so kann man Euch sicher als vielversprechend bezeichnen. Ganz sicher«, sagte sie und dachte, faszinierend wäre ein noch passenderes Wort.
»Ich fühle mich geschmeichelt. Und es wird Euch sicher auch interessieren zu erfahren, dass ich meinen Namen keinem Zufall verdanke. Man nennt mich den Unerbittlichen, weil ich die Angewohnheit habe, niemals eher zu ruhen, bis ich das Ziel meiner Wünsche erreicht habe.«
»Das bezweifle ich keineswegs, Sir, aber ich kann einfach nicht zulassen, dass Ihr mir meinen grünen Stein wegnehmt.« Sie setzte ein strahlendes Lächeln auf: »Ich könnte ihn Euch allerdings hin und wieder leihen.«
»Geht und holt den Stein«, sagte Hugh in schrecklich ruhigem Ton. »Sofort.«
»Mylord, Ihr versteht nicht …«
»Nein, Mylady, Ihr seid diejenige, die nicht versteht. Ich habe genug von diesem Geplänkel, das Euch anscheinend Freude macht. Bringt mir auf der Stelle den Stein oder Ihr werdet es bereuen.«
»Alice«, kreischte Ralf. »Tu doch etwas.«
»Ja«, sagte Hugh. »Tut etwas, Lady Alice. Bringt mir auf der Stelle den grünen Stein.«
Alice holte tief Luft, um die schlechte Nachricht vorzubringen. »Ich fürchte, das kann ich nicht, Mylord.«
»Ihr könnt oder Ihr wollt nicht?«, fragte Hugh sanft.
Alice zuckte mit den Schultern. »Ich kann nicht. Wisst Ihr, ich bin in derselben Situation wie Ihr.«
»Wovon in aller Welt sprecht Ihr?« Der Unerbittliche reckte sich vor.
»Der grüne Kristall wurde mir vor ein paar Tagen geraubt, Mylord.«
»Bei Gott«, flüsterte Hugh. »Falls Ihr die Absicht habt, mich mit Eurem Gewirr aus Lügen und Täuschungen zur Weißglut zu treiben, dann seid Ihr auf dem besten Weg dazu. Aber ich warne Euch, mein Gegenzug wird Euch kaum gefallen.«
»Nein, Mylord«, beeilte sich Alice, »ich sage die reine Wahrheit. Der Stein verschwand vor weniger als einer Woche aus meinem Arbeitsraum.«
Hugh bedachte Ralf mit einem kalten, fragenden Blick, und sein Gastgeber nickte stumm. Dann wandte er sich wieder an Alice und nahm sie ins Visier.
»Wenn das stimmt, was Ihr sagt, warum wurde mir das nicht sofort bei meiner Ankunft mitgeteilt?«
Alice räusperte sich. »Da der Stein mir gehört, war mein Onkel der Meinung, dass allein ich die Aufgabe hätte, Euch über seinen Verlust aufzuklären.«
»Um mir gleichzeitig zu verdeutlichen, dass ich keinen Anspruch darauf habe?« Hughs Lächeln wies starke Ähnlichkeit mit der fein geschwungenen Klinge eines Schwertes auf.
Es wäre zwecklos gewesen, das Offensichtliche zu leugnen. »Ja, Mylord.«
»Ich wette, dass es Eure Entscheidung war, mir erst nach einem reichhaltigen Mahl vom Verlust des Steins zu berichten«, murmelte Hugh.
»Ja, Mylord. Meine Mutter hat mir beigebracht, Männer seien nach einer guten Mahlzeit zugänglicher. Nun, es freut mich, Euch sagen zu können, dass ich bereits einen Plan habe, wie ich den Stein zurückbekomme.«
Hugh schien sie nicht gehört zu haben. So vertieft war er in seine Gedanken. »Ich glaube nicht, dass ich jemals einer Frau wie Euch begegnet bin, Lady Alice.«
Die unerwartete Freude, die sie bei diesen Worten empfand, lenkte sie kurzfristig ab. »Findet Ihr mich interessant, Mylord?« Sie wagte kaum, den Nachsatz zu bringen. »Im intellektuellen Sinn?«
»Oh ja, Madam. Höchst interessant.«
Alice errötete. Nie zuvor hatte ihr ein Mann ein derartiges Kompliment gemacht. Nie zuvor hatte ihr ein Mann überhaupt ein Kompliment gemacht. Sie spürte eine angenehme Erregung. Die Tatsache, dass Hugh sie ebenso interessant fand wie sie ihn, war nahezu überwältigend. Sie musste sich zwingen, das ungewohnte Gefühl zu ignorieren und sich wieder den praktischen Dingen zuzuwenden.
»Danke, Mylord«, sagte sie so gefasst wie möglich. »Nun, wie ich bereits sagte, schmiedete ich, als ich von Eurem bevorstehenden Besuch erfuhr, einen Plan, mit dem wir den Kristall vielleicht zurückbekommen können.«
Ralf starrte sie an. »Alice, wovon redest du da?«
»Ich werde Euch gleich alles erklären, Onkel.« Sie sah Hugh freudestrahlend an. »Ich bin sicher, dass Ihr die Einzelheiten hören wollt, Mylord.«
»Es haben schon in der Vergangenheit Menschen versucht, mich zu hintergehen«, entgegnete Hugh.
Alice runzelte die Stirn. »Euch zu hintergehen, Mylord? Das hat hier niemand versucht.«
»Die Menschen, die es versucht haben, sind tot.«
»Sir, ich glaube, wir sollten uns wieder dem eigentlichen Problem zuwenden«, kam Alice auf ihr Anliegen zurück. »Nun, da wir beide ein Interesse an dem grünen Stein haben, ist es ratsam, unsere Kräfte zu vereinen.«
»Ich bedaure es sagen zu müssen, aber unter denen, die versucht haben, mich zu täuschen, waren auch ein, zwei Frauen.« Hugh sah sie an. »Doch vermutlich möchten Sie gar nicht erfahren, was mit ihnen geschah.«
»Mylord, wir reden eindeutig aneinander vorbei.«
Hugh strich über den Stiel seines Weinkelches. »Wenn ich an die wenigen Frauen zurückdenke, die ihre Spielchen mit mir treiben wollten, kann ich einige Unterschiede zu Euch entdecken.«
»Natürlich können Sie das.« Erneut wallte Ärger in Alice auf. »Ich treibe kein Spiel mit Euch, Sir, ganz im Gegenteil. Es wäre zu unser beider Vorteil, wenn wir meinen Verstand und Eure ritterlichen Fähigkeiten verbänden, um den Stein zu finden.«
»Das dürfte schwierig werden, Lady Alice, denn bisher habe ich noch nicht den kleinsten Hinweis darauf erhalten, ob Ihr über so etwas wie Verstand verfügt.« Hugh drehte den Kelch gedankenverloren zwischen seinen Fingern. »Zumindest keinen, den Ihr nicht durch Eure eigenartigen Gedankengänge wieder aufhebt.«
Alice war außer sich. »Mylord, das ist eine Beleidigung.«
»Alice, du bringst uns noch alle ins Grab«, flüsterte Ralf am Rande der Verzweiflung, doch Hugh sah weiterhin nur Alice an.
»Das ist keine Beleidigung, Mylady, sondern lediglich eine Feststellung von Tatsachen. Euer Verstand muss mit Euch durchgegangen sein, wenn Ihr glaubt, dass ich auf diese Weise mit mir umgehen lasse. Eine wirklich kluge Frau hätte längst bemerkt, dass sie sich auf dünnem Eis bewegt.«
»Mylord, allmählich habe ich genug von diesem Unsinn«, fuhr Alice ihn an.
»Ich auch.«
»Wollt Ihr nun vernünftig sein und Euch meinen Plan anhören oder nicht?«
»Wo ist der grüne Stein?«
Alice war am Ende ihrer Geduld. »Wie gesagt, er wurde geraubt. Ich glaube, ich weiß, wer ihn gestohlen hat, und ich bin bereit, die Suche gemeinsam mit euch durchzuführen. Aber ich erwarte eine Gegenleistung von Euch.«
»Eine Gegenleistung?« Hugh musterte sie mit einem unergründlichen Blick. »Das ist doch sicher ein Scherz, Mylady?«
»Oh nein, es ist mein voller Ernst.«
»Ich glaube nicht, dass Ihr mit mir ein Abkommen treffen wollt.«
Alice sah ihn argwöhnisch an. »Warum denn nicht? Welches wären Eure Bedingungen?«
»Ich würde nichts für Euch tun, ohne dass Ihr mir dafür Eure Seele gebt.«
»Ihr guckt wie ein Alchimist vor seinem Schmelztiegel, Mylord.« Dunstan spuckte gewohnheitsmäßig über den Rand des nächstgelegenen Hindernisses, was in diesem Fall die alte Mauer war, die den Burghof von Lingwood Manor umgab. »Das gefällt mir nicht. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass dieser Blick meinen alten Knochen nichts Gutes verheißt.«
»Eure Knochen haben schon Schlimmeres überstanden als ein, zwei missbilligende Blicke.« Hugh legte die Unterarme auf die Mauer und schaute in die Morgendämmerung hinaus.
Von innerer Unruhe getrieben, war er vor einer halben Stunde aufgestanden. Er kannte diese Stimmung. Die Stürme, die tief in seinem Inneren lauerten, erwachten. Sie drehten und wendeten sich in ganz neuen Mustern. So war es immer, wenn sein Leben eine Wendung nahm.
Das erste Mal hatte Hugh dieses Gefühl im Alter von acht Jahren verspürt, an dem Tag, an dem er an das Totenbett seines Großvaters gerufen und ihm erklärt worden war, dass er von nun an in der Obhut von Erasmus von Thornewood leben würde.
»Sir Erasmus ist mein Lehnsherr.« Thomas’ helle Augen hatten in seinem hageren, ausgemergelten Gesicht geglüht. »Er hat sich bereit erklärt, dich aufzunehmen, und will dafür sorgen, dass du eine Ausbildung als Ritter erhältst. Verstehst du mich?«
»Ja, Großvater.« Hugh hatte ergeben und ängstlich neben dem Bett seines Großvaters gestanden, in stummem Entsetzen, unfähig zu glauben, dass dieser schwache alte Mann, der den Tod erwartete, derselbe Mensch war wie der leidenschaftliche, verbitterte Recke, der ihn seit dem Tod seiner Eltern erzogen hatte.
»Erasmus ist jung, aber stark, ein guter, talentierter Krieger. Er ging vor zwei Jahren auf Kreuzzug, und nun ist er ruhmreich und wohlhabend zurückgekehrt.« Thomas’ Worte waren von heiserem Husten unterbrochen worden. »Er wird dir die Dinge beibringen, die du wissen musst, um den Rachefeldzug gegen das Haus von Rivenhall zu vollenden. Verstehst du mich, Junge?«
»Ja, Großvater.«
»Lerne eifrig. Lerne soviel du kannst, solange du in Erasmus’ Obhut weilst. Wenn du ein Mann bist, wirst du wissen, was zu tun ist und wie du es tun musst. Vergiss nichts von dem, was ich dir von der Vergangenheit erzählt habe.«
»Nein, Großvater.«
»Was auch immer geschieht, du hast deine Pflicht gegenüber deiner Mutter zu erfüllen. Du bist der einzige Überlebende, Junge, der letzte deiner Linie, auch wenn du ein Bastard bist.«
»Ich verstehe.«
»Du darfst nicht eher ruhen, als bis du einen Weg gefunden hast, um dich an dem Haus zu rächen, aus dem die Viper kam, die meine unschuldige Margaret verführt hat.«
Dem jungen Hugh war es nicht ganz richtig erschienen, sich am Hause seines Vaters zu rächen, trotz all des Unwesens, das der rivenhallsche Clan trieb. Schließlich war sein Vater ebenso tot wie seine Mutter. Das genügte doch sicher.
Aber Hughs Großvater hatte es nicht genügt. Nichts hatte Sir Thomas zufrieden zu stellen vermocht, und der achtjährige Hugh schob seine momentanen Zweifel pflichtbewusst beiseite. Es war eine Frage der Ehre, und etwas Wichtigeres als die Ehre gab es nicht. Seit seiner Geburt hatte man ihm die Bedeutung dieses Wortes eingehämmert. Die Ehre war das Einzige, was ein Bastard besaß, das hatte Sir Thomas ihm wieder und wieder deutlich gemacht.
»Ich werde nicht ruhen, bevor ich den Namen meiner Mutter reingewaschen habe«, versprach Hugh mit dem leidenschaftlichen Ernst eines Achtjährigen.
»Recht so. Und vergiss niemals, Ehre und Rache sind das Einzige, was zählt.«
Es hatte Hugh nicht überrascht, dass sein Großvater ohne ein Wort der Liebe oder des Segens für sein einziges Enkelkind gestorben war. Wärme und Zuneigung hatte Thomas nie zu zeigen vermocht. Der grüblerische Zorn, den die unziemliche Verführung, der Verrat und der Tod seiner geliebten Tochter in ihm geweckt hatte, hatte alle Gefühle des alten Mannes vergiftet.
Nicht dass Thomas für seinen Enkelsohn nichts empfunden hätte. Hugh hatte immer gewusst, dass er seinem Großvater sehr wichtig war, aber nur, weil er Thomas’ einziges Werkzeug zur Rache war.
Das Letzte, was über die ausgetrockneten Lippen des alten Mannes gedrungen war, sollte seiner geliebten Tochter gelten: »Meine schöne Margaret. Dein unehelicher Sohn wird dich rächen.«
Zum Glück für den kleinen Jungen hatte Erasmus von Thornewood vieles wettgemacht, was Thomas Hugh nicht hatte geben können. Erasmus war ein scharfsichtiger, intelligenter, junger Mann gewesen, der Hugh mit brummiger Freundlichkeit empfangen hatte und sofort in die Rolle des Vaters hineingewachsen war. Hugh hatte seinem Mentor in jungen Jahren den größten Respekt und höchste Bewunderung gezollt, und nun, als erwachsener Mann, diente er seinem Lehnsherrn in vollkommener und unerschütterlicher Loyalität. Eine solche Ergebenheit war selten und hochgeschätzt in der Welt, der Erasmus angehörte.
Dunstan schlang die Ränder seines grauen Wollumhangs enger um seine untersetzte, stämmige Gestalt und sah Hugh verstohlen an. Hugh wusste, was er dachte. Dunstan missfiel die Jagd auf den grünen Kristall. Er betrachtete sie als reine Zeitvergeudung.
Hugh hatte versucht, ihm zu erklären, dass nicht der Kristall selbst wertvoll war, sondern das, wofür er stand. Der Besitz des Steins war der sicherste Weg zur Festigung seines Anspruchs auf Scarcliffe. Aber Dunstan hatte für derlei Überlegungen keinen Sinn. Seiner Meinung nach waren guter Stahl und ein Trupp wackerer Waffenträger der Schlüssel zum Erfolg.
Fünfzehn Jahre älter als Hugh, ein kampferprobter Veteran, hatte er an demselben Kreuzzug wie Erasmus teilgenommen. Seine harten, wettergegerbten Züge waren ein deutlicher Spiegel jener Zeit. Anders als Erasmus hatte Dunstan im Gegenzug für seine Mühen weder Ruhm noch Gold eingeheimst.
Dunstans Fähigkeiten als Krieger dienten Erasmus in vieler Hinsicht, aber alle wussten, dass es Hughs unheimliche Fähigkeit zur Entwicklung von Kriegslisten war, die Erasmus zu einem der mächtigsten Männer machte.
Vor Kurzem hatte er dafür seinen treuen Diener mit Scarcliffe belohnt, einer Burg, die einst der Familie von Hughs Mutter gehört hatte.
»Ich möchte Euch wirklich nicht zu nahe treten, Hugh, aber Eure missbilligenden Blicke unterscheiden sich von dem Stirnrunzeln anderer Männer.« Dunstan grinste, wobei die Lücken zwischen seinen fleckigen Zähnen sichtbar wurden. »Wenn Ihr eine finstere Miene aufsetzt, dann ist das wie ein Todesurteil. Selbst ich fürchte mich von Zeit zu Zeit davor. Vielleicht erweist Ihr Eurem Ruhm als dunkler und gefährlicher Ritter ein allzu viel Ehre.«
»Da irrt Ihr.« Hugh lächelte schwach. »Offensichtlich gelte ich noch nicht als gefährlich genug, wenn man Lady Alice’ gestrigen Umgang mit mir bedenkt.«
»Allerdings.« Dunstan sah aufrichtig niedergeschlagen aus. »Sie hat sich keineswegs vor Euch gefürchtet, wie man es erwartet hätte. Vielleicht sieht sie nicht gut.«
»Sie war viel zu beschäftigt damit, mit mir zu verhandeln, um zu merken, dass mir allmählich die Geduld ausging.«
Dunstan verzog das Gesicht. »Diese Frau würde sich wahrscheinlich noch nicht einmal vom Teufel persönlich einschüchtern lassen.«
»Eine höchst ungewöhnliche Person.«
»Ich habe die Erfahrung gemacht, dass rothaarige Frauen unweigerlich Ärger mit sich bringen. Ich habe einmal eine rothaarige Hure in einer Londoner Taverne kennengelernt. Sie hat mir so viel Bier vorgesetzt, dass ich schließlich auf ihrem Bett eingeschlafen bin. Als ich wieder aufwachte, waren sowohl sie als auch mein Geldbeutel verschwunden.«
»Ich werde mich bemühen, mein Geld nicht aus den Augen zu verlieren.«
»Das solltet Ihr auch.«
Hugh lächelte stumm. Die meisten Edelmänner kümmerten sich kaum um den Inhalt ihrer Börsen. Sie gaben ihr Geld mit beiden Händen aus und verließen sich auf die üblichen Einnahmequellen wie Lösegeld, Turniere oder - falls sie zu den Glücklichen gehörten, die über eigene Ländereien verfügten – schlecht geführte Güter. Hugh jedoch hatte einen untrüglichen Instinkt für Geschäfte. Am liebsten verließ er sich auf sichere und geregelte Einkünfte und hielt sein Geld samt Besitz sorgsam zusammen.
Dunstan schüttelte traurig den Kopf. »Schade, dass die Spur des grünen Kristalls zu einem Weib wie dieser Lady geführt hat. Es wird nichts Gutes dabei herauskommen.«
»Ich gebe zu, dass die Sache einfacher gewesen wäre, wenn sie sich schneller einschüchtern ließe, aber ich bin mir noch nicht sicher, ob die augenblickliche Situation unbedingt von Nachteil ist«, meinte Hugh. »Ich habe fast die ganze Nacht darüber nachgedacht und sehe Möglichkeiten für uns, Dunstan. Interessante Möglichkeiten.«
»Dann sind wir wohl verloren«, stellte Dunstan philosophisch fest. »Wenn Ihr zu viel über ein Problem nachdenkt, geraten wir häufig in Schwierigkeiten.«
»Ihr habt sicher bemerkt, dass sie grüne Augen hat.«
»Ach, ja?« Dunstan runzelte die Stirn. »Ich kann nicht gerade behaupten, dass ich auf ihre Augenfarbe geachtet hätte. Das rote Haar hat mir schon gereicht.«
»Ein ganz besonderes Grün.«
»Ihr meint, wie die Augen einer Katze?«
»Oder wie die einer Fee, einer Elfenprinzessin.«
»Es wird schlimmer und schlimmer. Elfen praktizieren eine sehr zweifelhafte Magie.« Dunstan verzog das Gesicht. »Ich beneide Euch nicht darum, es mit einer flammenhaarigen, grünäugigen kleinen Xanthippe zu tun zu haben.«
»Zufälligerweise habe ich entdeckt, dass ich rotes Haar und grüne Augen mag.«
»Bah. Ihr habt immer eine Vorliebe für Frauen mit dunklem Haar und dunklen Augen gehabt. Meiner Meinung nach ist Lady Alice noch nicht einmal besonders schön. Ihr seid fasziniert von ihrer ungewöhnlichen Kühnheit, völlig klar. Der Mut, den sie bewies, als sie Euch herausforderte, hat Euch amüsiert.«
Hugh zuckte die Schultern.
»Das ist der Reiz des Neuen, mehr nicht, Mylord«, versicherte Dunstan seinem Herrn, »und geht vorüber, genau wie der Kopfschmerz, nachdem man zu viel Wein getrunken hat.«
»Sie weiß, wie man einen Haushalt führt«, fuhr Hugh nachdenklich fort. »Das Bankett, das sie gestern vorbereitet hat, hätte der Frau eines großen Barons zur Ehre gereicht, es hätte auf jeder edlen Burg aufgetragen werden können. Ich brauche jemanden mit solchen Fähigkeiten, der meinen Haushalt führt.«
Dunstan erschrak: »Wovon zum Teufel redet Ihr da? Denkt an ihre Zunge, Mylord. Sie ist spitz wie ein Dolch.«
»Wenn sie will, hat sie das Benehmen einer großen Dame. Nur selten habe ich einen eleganteren Knicks gesehen. Ein Mann kann stolz darauf sein, wenn sie seine Gäste unterhält.«
»Das, was ich gestern Abend gesehen habe und das, was mir die Gerüchte sagen, vermittelt mir den Eindruck, dass sie sich nicht gerade oft derart vorbildlich benehmen will«, warf Dunstan eilig ein.
»Sie ist alt genug, um zu wissen, was sie tut. Bei ihr habe ich es nicht mit irgendeinem naiven jungen Mädchen zu tun, das ich beschützen und verwöhnen muss.«
Dunstans Kopf fuhr herum, und er riss überrascht die Augen auf. »Bei den Augen des Heiligen Osyth, das kann unmöglich Euer Ernst sein.«
»Warum nicht? Wenn ich erst den grünen Kristall zurückbekommen habe, werde ich sehr beschäftigt sein. Auf Scarcliffe gibt es alle Hände voll zu tun. Nicht nur, dass ich mich um meine neuen Ländereien kümmern muss, ich muss auch das alte Burgverlies wieder in Ordnung bringen.«
»Nein, Mylord.« Dunstan sah aus, als ersticke er gerade an einem Stück Wildbret. »Wenn Ihr im Sinn habt, was ich denke, dass Ihr es im Sinn habt, so bitte ich, es Euch noch einmal gründlich zu überlegen.«
»Sie ist offenbar gut ausgebildet in der Kunst der Haushaltsführung. Und wie Ihr wisst, lebe ich schon immer nach dem Grundprinzip, dass es sich bezahlt macht, Experten zu beschäftigen, Dunstan.«
»Dieses Prinzip mag richtig sein, wenn es um Verwalter, Schmiede und Weber geht, Mylord, aber Ihr sprecht hier von einer Ehefrau.«
»Na und? Himmel noch mal, Dunstan, ich bin ein Ritter. Ich habe keine Ahnung, wie ein Haushalt abläuft, und Ihr kennt Euch damit ebenso wenig aus. Ich habe noch nie in meinem Leben eine Küche betreten und weiß nicht genau, was an einem solchen Ort überhaupt vor sich geht.«
»Und was hat das mit der Wahl einer Ehefrau zu tun?«
»Eine Menge, wenn ich gut essen will – ich liebe gutes Essen.«
»Ja, das stimmt. Ich möchte Euch nicht zu nahe treten, Sir, aber meiner Meinung nach seid Ihr viel zu wählerisch, wenn es ums Essen geht. Keine Ahnung, warum Ihr Euch nicht mit ordentlichem Hammelbraten und gutem Bier zufriedengebt.«
»Weil Hammelbraten und Bier mit der Zeit langweilig werden«, fiel Hugh Dunstan ins Wort. »Und neben der Essensvorbereitung gibt es noch andere wichtige Dinge in einem Haushalt zu tun. Tausende. Die Säle und Zimmer müssen gesäubert werden. Die Wäsche muss gewaschen und die Betten müssen gelüftet werden. Die Bediensteten gilt es zu überwachen. Und wie stellt man es an, seinen Kleidern einen frischen Duft zu verleihen?«
»Über diese Frage habe ich noch nie nachgedacht.«
Hugh ignorierte ihn. »Kurz gesagt, ich möchte, dass Scarcliffe ordnungsgemäß geführt wird, also brauche ich eine Expertin, wie bei meinen diversen anderen Geschäften. Mir fehlt eine Frau, die es gelernt hat, einen großen Haushalt zu führen.«
Eine Vision seiner Zukunft tauchte vor Hughs geistigem Auge auf. Er wollte eine wohnliche Heimstatt, am Tisch unter einem Baldachin sitzen und köstliche Speisen zu sich nehmen. Er liebte es, auf sauberen Laken zu schlafen und in duftendem Wasser zu baden. Vor allem jedoch beseelte ihn der Wunsch seinen Lehnsherrn, Erasmus von Thornewood, standesgemäß zu empfangen.
Dieser letzte Gedanke dämpfte den Glanz seiner Vision. Erasmus hatte nicht gut ausgesehen, als Hugh vor sechs Wochen in sein Audienzzimmer bestellt worden war, um das Lehn von Scarcliffe zu empfangen. Offensichtlich hatte Erasmus stark abgenommen, sein Gesicht war spitz geworden und dann diese Melancholie. Beim kleinsten Geräusch war Erasmus zusammengezuckt, und Hugh hatte ihn alarmiert angeblickt. Er hatte Erasmus gefragt, ob er krank sei, doch dieser hatte sich geweigert, Auskunft zu geben.
Beim Verlassen der Burg waren Hugh dann die Gerüchte zu Ohren gekommen. Es hatte geheißen, dass diverse Ärzte etwas von einer Krankheit des Pulses und des Herzens gemurmelt hätten. Er misstraute Ärzten weitgehend, aber trotzdem blieb seine Sorge groß.
»Mylord, ich bin sicher, dass Ihr durchaus eine passendere Frau finden könntet«, beschwor Dunstan ihn.
»Vielleicht, aber ich habe keine Zeit, nach einer solchen Frau zu suchen. Vor dem nächsten Frühjahr werde ich keine Gelegenheit mehr haben, mich umzusehen. In dem jetzigen Zustand möchte ich nicht auf Scarcliffe überwintern. Ich will eine saubere, geordnete Behausung.«
»Ja, aber …«
»Es ist ungemein praktisch, Dunstan. Denkt einmal darüber nach. Ich habe Euch ja bereits erklärt, dass der Besitz des Kristalls den Menschen von Scarcliffe beweisen wird, dass ich ihr rechtmäßiger Herr bin. Denkt doch nur, um wie vieles mehr ich sie mit einer Ehefrau im Gefolge beeindrucke.«
»Bedenkt, was Ihr da sagt, Mylord.«
Hugh lächelte zufrieden vor sich hin. »Auf diese Weise werde ich zweifellos ihre Herzen gewinnen. Sie erkennen daran sofort, dass ich die Absicht habe, unter ihnen zu leben. Es wird ihnen Vertrauen in ihre eigene Zukunft geben. Ich brauche ihre Zuneigung, wenn ich Scarcliffe fruchtbar und ertragreich machen will, Dunstan.«
»Da stimme ich Euch durchaus zu, aber Ihr tätet besser daran, eine andere Frau zu finden. Diese Schlange hier gefällt mir einfach nicht.«
»Ich gebe zu, dass Lady Alice auf den ersten Blick vielleicht nicht gerade wie die zugänglichste und lenkbarste aller Frauen wirkt.«
»Nun, anscheinend habt Ihr wenigstens das bemerkt«, murmelte Dunstan.
»Trotzdem«, ereiferte sich Hugh, »ist sie intelligent und weit über die frivole Phase hinaus, die jungen Frauen anhaftet.«
»Allerdings und zweifelsohne ist sie auch über ein paar andere Dinge längst hinaus.«
Hugh betrachtete ihn aus zusammengekniffenen Augen. »Wollt Ihr damit etwa andeuten, dass sie unter Umständen keine Jungfrau mehr ist?«
»Ich möchte Euch nur an Lady Alice’ große Kühnheit erinnern«, bemerkte Dunstan. »Nicht unbedingt das, was man als schüchterne, errötende, ungeöffnete Rosenknospe bezeichnen würde, Mylord.«
Hugh runzelte angestrengt die Stirn.
»Rotes Haar und grüne Augen sind Zeichen starker Leidenschaft, Sir. Gestern Abend habt Ihr selbst festgestellt, was für ein Temperament sie hat. Und zweifellos hat sie schon vorher hin und wieder andere starke Gefühle ausgelebt. Schließlich ist sie bereits dreiundzwanzig Jahre alt.«
»Hmm.« Hugh dachte über Dunstans Worte nach. »Ganz offensichtlich ist sie ein wissbegieriger Mensch und hegt für viele Dinge eine natürliche Neugierde. Zumindest ist sie bestimmt diskret.«
»Das kann man nur hoffen.«
Hugh schüttelte die Vorbehalte ab, die Dunstans Bemerkungen in ihm geweckt hatten. »Ich bin sicher, dass sie und ich gut genug miteinander auskommen könnten.«
Dunstan stöhnte: »Wie in aller Welt kommt Ihr nur auf die Idee?«
»Wie gesagt, sie ist eine intelligente Frau.«
»Wenn Ihr mich fragt, dann machen allzu viel Intelligenz und Bildung eine Frau nur widerspenstig.«
»Ich glaube, dass wir uns einigen könnten«, sagte Hugh. »Mit ihrer Auffassungsgabe wird sie schnell lernen.«
»Und was, bitte, wird sie lernen?«
»Dass auch ich nicht ganz dumm bin.« Hugh lächelte. »Und dass ich zweifellos zu selbstbewusst und willensstark bin, um mich von ihr herumkommandieren zu lassen.«
»Wenn Ihr es wirklich mit Lady Alice aufnehmen wollt, dann kann ich Euch nur raten, ihr vorerst zu zeigen, dass Ihr wesentlich gefährlicher seid, als sie es augenblicklich noch denkt.«
»Seid versichert, dass ich jede erforderliche Kriegslist anwenden werde.«
»Die Sache gefällt mir nicht, Mylord.«
»Das merke ich.«
Dunstan spuckte erneut über die Mauer. »Ich sehe, dass es sinnlos ist, Euch zur Vernunft bringen zu wollen. Die Übernahme Eurer neuen Ländereien ist erheblich problematischer, als Ihr es erwartet habt, nicht wahr?«
»Allerdings«, gab Hugh zu. »Aber das ist mein Los, ich habe mich bereits daran gewöhnt.«
»Wie wahr. Unsereinem wird wahrlich nichts geschenkt. Man sollte meinen, die Heiligen erbarmten sich unser wenigstens hin und wieder.«
»Ich werde tun, was ich tun muss, um Scarcliffe zu halten, Dunstan.«
»Das bezweifle ich nicht. Ich bitte Euch nur, im Umgang mit Lady Alice ein wenig vorsichtig zu sein, Mylord. Ich habe den Verdacht, dass selbst der mannhafteste Ritter bei ihr ein schlimmes Ende nähme.«
Hugh nickte zum Zeichen, dass er die Warnung vernommen hatte, aber verbannte sie dann irgendwo in der hintersten Ecke seines Hirns. Noch heute Morgen würde er die Angelegenheit mit der geheimnisvollen und unberechenbaren Lady Alice klären. Und dann würde die Lady mit all ihrer Intelligenz und Erhabenheit erkennen, dass sie mehr bekäme, als sie je erwartet hätte.
Als er gestern Abend spürte, dass er es mit einer Gegnerin zu tun hatte, die wesentlich listiger war als erwartet, hatte er lautstark verkündet, dass er seine Geschäfte nicht in aller Öffentlichkeit tätige. Alice erklärte er, dass er heute mit ihr unter vier Augen über die Sache reden wolle.
In Wahrheit hatte er die Verhandlungen vertagt, weil er über die neue Wendung des zunehmenden Durcheinanders hatte nachdenken müssen.
Seit Beginn des Abenteuers hatte er zahlreiche Warnungen erhalten, aber niemand hatte ihn vor Alice gewarnt.
Den ersten Hinweis auf ihre Natur hatte er bereits am frühen Abend erhalten, als ihr Onkel mit einem leidvollen Seufzer auf die Erwähnung ihres Namens geantwortet hatte. Die Dame, so schien es, war eine große Last für Ralf.
Aufgrund der wenigen Dinge, die Hugh über sie gehört hatte, war in ihm das Bild einer verbitterten, verdrießlichen alten Jungfer entstanden, mit einer Zunge schärfer als jeder Dolch. Das Einzige, was sich von dieser Vorstellung bewahrheitet hatte, war die Beschreibung ihrer Schlagfertigkeit. Alice hielt offensichtlich nicht viel von Zurückhaltung und Bescheidenheit.
Abgesehen von ihrem Mundwerk hatte die Frau, die ihm gestern Abend gegenübergetreten war, auch keine Ähnlichkeit mit der von Dunstan beschriebenen Londonerin.
Alice war nicht verbittert, sondern willensstark. Diesen Unterschied hatte er sofort erkannt. Sie war nicht verdrießlich, sondern offen und selbstbewusst und zweifellos wesentlich intelligenter als all die anderen Bewohner der Burg. Eine schwierige Frau, vielleicht, aber auf jeden Fall interessant!
Ralfs Beschreibung seiner Nichte zufolge hatte Hugh eine Person von der Gestalt seines Schlachtrosses erwartet, aber auch in diesem Punkt hatte Lady Alice ihn überrascht.
Sie war sehr schlank, elegant, gar graziös. Nichts an ihr erinnerte an ein Schlachtross. Ihr langes grünes Kleid hatte die Rundungen ihres geschmeidigen Leibs angenehm betont – Brüste in der Größe reifer Pfirsiche, eine schmale Taille und Hüften mit einem üppigen Schwung.
In einem Punkt hatte Dunstan jedenfalls recht, musste Hugh sich eingestehen. Alice hatte gewiss genug Feuer, um einen Mann bei lebendigem Leib verschmachten zu lassen, das verriet bereits die Farbe ihres Haars. Die flammenfarbenen Locken hatten unter einem glitzernden, goldenen Netz gelegen, das in der Glut des Kamins verführerisch schimmerte.
Ihr Gesicht war zart mit einer festen Nase, einem kraftvollen, kleinen Kinn und einem ausdrucksvollen Mund. Ihre großen Augen standen leicht schräg und wurden von köstlich geschwungenen rötlichen Brauen gerahmt; ihre Schultern und der gereckte Kopf verrieten Kampfgeist und Stolz. Sie war eine Frau, die die Blicke der Männer, auch wenn sie alles andere als hässlich war, nicht wegen ihrer Schönheit, sondern wegen ihrer Persönlichkeit auf sich zog.
Alice konnte man keinesfalls ignorieren.
Sollte es sie, wie Ralf gesagt hatte, verbittern, dass sie mit dreiundzwanzig Jahren noch nicht verheiratet war, so zeigte sie es nicht. In der Tat hatte Hugh den starken Verdacht, dass es ihr sogar gefiel, keinem Gatten untergeordnet zu sein, eine Tatsache, die ihm vielleicht ein paar Schwierigkeiten bereiten würde. Aber bisher hatte er noch immer Lösungen gefunden.
»Lady Alice will mit Euch verhandeln«, ließ Dunstan sich vernehmen. »Was will sie Eurer Meinung nach für ihre Hilfe bei der Suche nach dem grünen Stein haben?«
»Vielleicht ein paar Bücher«, sagte Hugh geistesabwesend. »Ihrem Onkel zufolge hegt sie eine große Vorliebe für Literatur.«
Dunstan schlug die Augen gen Himmel. »Und, werdet Ihr ihr ein oder zwei geben?«
Hugh lächelte. »Vielleicht erlaube ich ihr, sie von Zeit zu Zeit auszuleihen.«
Er gab sich erneut der Betrachtung der morgendlichen Landschaft hin. Die Bauernhöfe und Felder von Lingwood Manor lagen ruhig unter dem bleiernen Himmel. Der Herbst hatte gerade angefangen. Die Ernte war fast eingefahren, und ein Großteil des Landes lag in Erwartung der Winterkälte nackt und kahl da. Hugh wollte so schnell wie möglich nach Scarcliffe zurück. Es gab so vieles zu tun.
Lady Alice war der Schlüssel dazu, er spürte es in seinem Inneren. Mit ihrer Hilfe fände er vielleicht den grünen Stein und somit das Tor zu seiner Zukunft. Er war zu weit gereist, hatte zu lange gewartet und sich allzu sehr nach einem Zuhause verzehrt, um jetzt aufzugeben.
Er war dreißig Jahre alt, aber an kalten Vormittagen wie diesem fühlte er sich eher wie vierzig. Die inneren Stürme tobten und erfüllten ihn mit schmerzlicher Rastlosigkeit, mit einer zaghaften Sehnsucht, die er nicht ganz verstand.
Die Unruhe, die permanent an seiner Seele nagte, war ihm bewusst, aber nur in den tiefsten Stunden der Nacht oder in den grauen Nebeln der Dämmerung erkannte er hin und wieder tatsächlich die dunklen Unwetter, deren Gefangener er war. So gut es ging, wich er derartigen Tumulten aus. Es gefiel ihm nicht, allzu tief in das Auge des Sturms zu sehen.
Er konzentrierte sich lieber auf die Aufgabe, die vor ihm lag: Er besaß eigene Ländereien und wollte sie behalten. Doch das würde nicht leicht werden.
Während der letzten paar Wochen war Hugh allmählich dahinter gekommen, warum Scarcliffe in den vergangenen Jahren so oft den Besitzer gewechselt hatte.
Vor ihm war es keinem Mann gelungen, Scarcliffe länger als ein paar Jahre zu halten, ehe er es durch Tod oder ein anderes Unglück wieder verlor. Es hieß, Scarcliffe wäre von bösen Geistern und vom Pech verfolgt und obendrein mit einem alten Fluch belegt.
Wer da findet die Steine, der besitzet das Land, doch bewahr er den grünen Kristall mit eiserner Hand.
Hugh glaubte nicht an die Macht alter Flüche. Er glaubte an kaum etwas anderes als an seine eigenen Fähigkeiten als Ritter und an den eisernen Willen, der ihn so weit gebracht hatte. Aber er hatte einen gesunden Respekt vor der Macht, die derartiger Unsinn oft über die Gedanken anderer Menschen besaß.
Ungeachtet seiner eigenen Meinung bezüglich dieser im Wege stehenden Prophezeiung wusste er, dass die entmutigte Bevölkerung von Scarcliffe an die alte Wahrsagung glaubte. Demnach war es unbedingt erforderlich, dass ihr neuer Herr sich ihnen durch den grünen Kristall zu erkennen gab.
Bei seiner Ankunft auf der Burg vor weniger als einem Monat hatte Hugh sich dort einem Häuflein überraschend dumpfer, verdrossener Menschen gegenübergesehen. Die guten Leute von Scarcliffe gehorchten ihm aus Furcht, aber er hatte in ihnen keine Hoffnung auf die Zukunft zu wecken vermocht. Ihr Trübsinn zeigte sich bei allen Verrichtungen: von der lustlosen Art, die magere Ernte einzufahren, bis hin zum halbherzigen Mahlen des Korns.
Hugh war es gewohnt zu befehlen, man hatte ihn dazu erzogen. Zeit seines Erwachsenenlebens war er der natürliche Anführer anderer gewesen. Er wusste, dass er die Menschen zu einem Mindestmaß an Zusammenarbeit zwingen konnte, aber zugleich wusste er, dass das nicht ausreichte. Damit Scarcliffe für sie alle Gewinne abwarf, brauchte er ihre willige Loyalität.
Die Wurzel des Übels lag in der Ungläubigkeit der Bewohner des Dorfes, dass Hugh lange ihr Lehnsherr blieb. Keiner der anderen Herren hatte hier länger als ein, zwei Jahre überlebt.
Bereits wenige Stunden nach seiner Ankunft hatte Hugh ein Murmeln über drohendes Unglück vernommen. Eine Bande Gesetzloser hatte die Ernte niedergemacht, ein heftiges Gewitter der Kirche schweren Schaden zugefügt. Ein Wandermönch war in der Nähe aufgetaucht und predigte vom Jüngsten Gericht.
Für die Menschen von Scarcliffe war der Diebstahl des grünen Kristalls aus dem Gewölbe des ortsansässigen Klosters ein eindeutiges Zeichen gewesen. Hugh wusste, dass er in ihren Augen der Beweis für seine unrechtmäßige Lehnsherrschaft war.
Der schnellste Weg, um sich das Vertrauen der Menschen zu erwerben, wäre die Wiederbeschaffung des grünen Steins, und genau das hatte er vor.
»Seid vorsichtig, Mylord«, riet Dunstan ihm. »Lady Alice ist kein aufgeregtes junges Mädchen, das sich allein durch Euren Ruf einschüchtern lässt. Sie wird bestimmt versuchen, mit Euch zu handeln, als wäre sie eine Londoner Krämerin.«
»Das wird bestimmt eine interessante Erfahrung für mich.«
»Vergesst nicht, dass sie gestern Abend sogar bereit zu sein schien, ihre Seele für das zu geben, was auch immer sie von Euch bekommen will.«
»Das vergesse ich nicht.« Hugh lächelte beinahe. »Und vielleicht ist ihre Seele genau das, was ich bekommen will.«
»Seht zu, dabei nicht Eure eigene zu verlieren«, riet Dunstan trocken.
»Man kann nur verlieren, was man besitzt«, lautete die ebenso trockene Erwiderung.
Wegen seines krummen Beins konnte Benedict nicht durch die Tür von Alice’ Studierzimmer stürmen, aber seinem geröteten Gesicht und seinen blitzenden grünen Augen waren Zorn und Empörung deutlich abzulesen.
»Alice, das ist vollkommener Wahnsinn.« Er blieb vor dem Schreibtisch seiner Schwester stehen und klemmte den Stock unter einen Arm. »Es ist doch wohl nicht dein Ernst, mit Hugh dem Unerbittlichen Geschäfte zu planen.«
»Er heißt jetzt Hugh von Scarcliffe«, Alice betrachtete die Sache nüchterner.
»Nach allem, was ich gehört habe, passt der Unerbittliche hervorragend zu ihm. Was tust du da eigentlich? Er ist doch ein hochgefährlicher Mann.«
»Gleichwohl ein ehrlicher. Es heißt, wenn er ein Abkommen trifft, hält er sich auch daran.«
»Ich möchte schwören, dass man ein Abkommen mit Sir Hugh nur zu seinen Bedingungen trifft«, erwiderte Benedict. »Alice, es heißt, er sei sehr gerissen und habe eine Vorliebe für Kriegslisten.«
»So? Ich selbst bin auch nicht gerade auf den Kopf gefallen.«
»Ich weiß, dass du dir einbildest, du könntest mit ihm umspringen wie mit Onkel Ralf. Aber Männer wie Hugh lassen sich von niemandem herumkommandieren, schon gar nicht von einer Frau.«
Alice legte ihre Schreibfeder zur Seite und sah ihren Bruder prüfend an. Benedict war sechzehn Jahre alt, und sie trug seit dem Tod ihrer Eltern die Verantwortung für ihn. Sie wusste durchaus, dass sie versagt hatte, tat aber alles in ihrer Macht Stehende, um ihn dafür zu entschädigen, dass sein Erbe in Ralfs Hände gefallen war.
Ihre Mutter Helen war vor drei Jahren gestorben und ein Jahr später war ihr Vater, Sir Bernard, vor einem Londoner Bordell einem Straßendieb zum Opfer gefallen.
Sobald Ralf von Bernards Tod erfahren hatte, war er aufgetaucht und hatte Alice in einen hoffnungslosen Rechtsstreit verwickelt, in dessen Verlauf sie Benedicts Erbe, die kleine Burg, verloren hatte. Sie hatte um die bescheidene Besitzung wirklich gekämpft, aber auch wenn Ralf über das Hirn eines Ochsen verfügte, hatte er sie in diesem Fall ausgestochen. Nach langem Hin und Her war es ihm gelungen, Fulbert von Middleton, Alice’ sowie seinen Lehnsherrn, davon zu überzeugen, dass die Burg eines erfahrenen Ritters als Hausherrn bedurfte. Er hatte behauptet, dass eine Frau wie Alice unfähig sei, die Ländereien vernünftig zu verwalten und dass Benedict mit seinem kranken Bein niemals ein Ritter würde; schließlich war Fulbert tatsächlich zu dem Schluss gekommen, dass er einen Kämpfer als Wächter der winzigen Burg brauchte, die Lord Bernards Eigentum gewesen war.
Ohnmächtig vor Zorn hatte Alice mit ansehen müssen, wie Fulbert das Haus ihres Vaters an Ralf weitergab, der es seinerseits seinem ältesten Sohn Lloyd vermachte.