Das biblische Methodenseminar -  - E-Book

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Beschreibung

"Das biblische Methodenseminar – Kreative Impulse für Lehrende" ist ein Buch für Dozentinnen und Dozenten. Die Beiträgerinnen und Beiträger liefern didaktisch reflektierte, kreative und in der Praxis erprobte Anregungen für die konkrete Gestaltung von biblischen Methodenseminaren. Dabei nehmen sie Erkenntnisse aus der jüngsten hochschuldidaktischen Forschung auf und wenden sie auf die Durchführung der exegetischen Grundlagen-Lehrveranstaltung an. Jedes Kapitel umfasst separate Bausteine zum Alten und zum Neuen Testament, so dass sich das Buch zur Durchführung von alt- und neutestamentlichen sowie von gesamtbiblischen Proseminaren einsetzen lässt.

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EPUB

Seitenzahl: 615

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Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen · Bristol

Waxmann · Münster · New York

Markus Lau / Nils Neumann (Hg.)

Das biblischeMethodenseminar

Kreative Impulse für Lehrende

Vandenhoeck & Ruprecht

Dr. des. Markus Lau ist Oberassistent am Biblischen Departement der Universität Freiburg (Schweiz).

PD Dr. Nils Neumann ist Lehrstuhlvertreter an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal / Bethel.

Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de

Mit 14 Grafiken und 10 Tabellen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2017, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen/Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A.www.v-r.de

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Umschlaggestaltung: Atelier Reichert, StuttgartSatz: SchwabScantechnik, GöttingenEPUB-Erstellung: Lumina Datamatics, Griesheim

UTB-Band-Nr. 4612ISBN 978-3-8463-4612-9

Vorwort

Neue Methodenbücher zur biblischen Exegese bedürfen angesichts des Überangebots von entsprechenden Publikationen auf dem Buchmarkt eigentlich einer Rechtfertigung. Nicht so bei diesem Buch. Denn sein inhaltliches Profil und sein Anliegen sind neu. Es richtet sich nicht primär an Studierende der Theologie oder Religionswissenschaft, sondern an Lehrende, die Methodenseminare zur alt- und neutestamentlichen Exegese anbieten. Anliegen und Ziel des Buches ist es, didaktisch reflektierte, kreative und in der Praxis erprobte Anregungen für die konkrete Gestaltung von biblischen Methodenseminaren zu liefern. Das Buch spricht dabei Lehrende beider Teile der Bibel an und liefert stets Modelle für Methodenseminare im Bereich der alttestamentlichen wie der neutestamentlichen Exegese. Dazu werden jeweils die exegetischen Methoden und hermeneutischen Perspektiven kurz skizziert und in exemplarische didaktische „Bausteine“ für den Seminarbetrieb eingebettet. Das Ganze geschieht stets in Rückbindung an die Definition von Lernzielen, die kompetenzorientiert formuliert sind. Das Buch versteht sich insofern als verlässlicher Wegbegleiter für den Bereich des biblischen Methodenseminars.

Seinen Ausgangspunkt hat dieses Buch an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster genommen. Im Jahr 2009 haben sich dort einige der beteiligten Autorinnen und Autoren im Rahmen einer hochschuldidaktischen Fortbildung über ihre Methodenseminare ausgetauscht. Die dabei entstandene Idee, unsere Seminarkonzeptionen für alttestamentliche und neutestamentliche Methodenseminare zu einem Buch auszuarbeiten, war am Anfang nicht mehr als eine vage Vorstellung – frei nach dem Motto „Müsste man nicht … und könnte man nicht …“ Dass diese Idee nun Wirklichkeit geworden ist, verdankt sich zuallererst der Leidenschaft aller beteiligten Autorinnen und Autoren für das Thema und ihrer Energie, sich auf einen mehrjährigen Projektprozess einzulassen. Sukzessive ist dabei die Gruppe der Autorinnen und Autoren gewachsen – auch über die Grenzen der Konfessionen und Länder hinweg. Exegese verbindet!

Wir danken allen Autorinnen und Autoren, die sich mit uns auf den Arbeitsprozess eingelassen haben und für die wir stellvertretend dieses Buch herausgeben. Die Texte sind im diskursiven Austausch zwischen allen beteiligten Autorinnen und Autoren entstanden. Gleichwohl trägt jedes Kapitel formal und inhaltlich die Handschrift des jeweiligen Autors bzw. der Autorin. Die Letztverantwortung für den individuellen Text liegt selbstverständlich bei den Einzelautorinnen und -autoren.

Sehr herzlich bedanken wir uns beim Verlag Vandenhoeck & Ruprecht und namentlich bei den Herren Jörg Persch, Moritz Reissing und Christoph Spill. Sie haben sich bereitwillig auf dieses Projekt eingelassen und die Buchwerdung kompetent begleitet.

Freiburg (Schweiz)

Kassel/Wuppertal

Markus Lau

Nils Neumann

Inhalt

Einleitung (Nils Neumann / Markus Lau)

Einstiegssitzung (Stephanie Feder)

Methoden der Textkonstituierung

Textkritik (Hildegard Scherer)

Textabgrenzung und Kontexteinordnung (Hanna-Maria Mehring)

Übersetzungsvergleich (Stephanie Feder)

Textorientierte Methoden: Synchrone Perspektiven

Linguistische Analyse (Hildegard Scherer)

Analyse von Gliederung und Komposition (Markus Lau)

Aktantenanalyse (Stephanie Feder)

Analyse der Charakterisierung (Christian Schramm)

Analyse der Erzählperspektiven (Thimo Zirpel)

Analyse der Raumkonstruktionen (Stephanie Feder)

Pragmatische Analyse (Hildegard Scherer)

Textorientierte Methoden: Diachrone Perspektiven

Synoptischer Vergleich (Markus Lau)

Literarkritik (Nils Neumann)

Gattungskritik und Sitz im Leben (Nils Neumann)

Redaktionskritik (Nils Neumann)

Motivkritik (Hanna-Maria Mehring)

Rezeptionsorientierte Zugänge

Feministische Exegese und geschlechtersensible Zugänge zur Bibel (Stephanie Feder)

Postkoloniale Exegese (Thimo Zirpel)

Tiefenpsychologische Exegese (Anne Kruse / Stephanie Feder)

Intermedialität (Thimo Zirpel)

Abschlusssitzung (Markus Lau / Nils Neumann)

Lernziele und Prüfungen (Markus Lau / Nils Neumann)

Materialanhänge

Stellen- und Sachregister

Die Autorinnen und Autoren

Einleitung

Nils Neumann / Markus Lau

Werte Leserin und werter Leser, wenn Sie sich an die Lehrveranstaltungen zurückerinnern, die Sie selbst als Studierende besucht haben – welche dieser Lehrveranstaltungen würden Sie zu den „Highlights“ Ihres Studiums rechnen? Waren es vielleicht die Veranstaltungen, in denen die Lehrperson Begeisterung für das Thema versprühte, so dass Sie selbst von dieser Begeisterung angesteckt wurden? Waren es Veranstaltungen, in denen Sie selbst zum Mitdenken herausgefordert wurden und ihre Sichtweisen in Diskussionen mit der Seminargruppe vertreten konnten? Waren es Veranstaltungen, in denen Ihnen der Gegenstand der Lehre durch den Einsatz geschickt gewählter Darstellungsformen besonders anschaulich nahe gebracht und inhaltlich der sprichwörtliche rote Faden sichtbar wurde? – Wie auch immer Sie diese Fragen beantworten mögen: Irgendwie müssen die betreffenden Lehrveranstaltungen es geschafft haben, dass sich nicht nur das vermittelte Fachwissen, sondern auch die Art des Umgangs damit in Ihrem Gedächtnis festgesetzt haben. Wie ist das möglich? Und vor allem: Was haben Ihre Dozentinnen und Dozenten zum Gelingen der Veranstaltungen beigetragen? Mögliche Vorschläge, wie Lehren und Lernen im biblischen Methodenseminar gelingen kann, möchte das vorliegende Methodenbuch liefern, damit auch die Inhalte Ihres Seminars im Gedächtnis Ihrer Studierenden in ähnlicher Weise präsent bleiben.

Nach einer Studie zur Zukunft der Hochschullehre, die Paetz / Ceylan u. a. in den Jahren 2009–2010 im deutschsprachigen Raum durchgeführt haben, rangieren drei Fähigkeiten mit deutlichem Abstand an der Spitze der hochschuldidaktischen Fertigkeiten, die Lehrende benötigen, um ihren Studierenden gute Lernergebnisse zu ermöglichen. Und Sie können sich selbst prüfen, ob es nicht genau diese Aspekte waren, die auch Ihre Highlight-Lehrveranstaltungen ausgezeichnet haben: Erstens (didaktische) Methodenkenntnis, zweitens Fachwissen und drittens die Fähigkeit, studentische Eigenständigkeit zu fördern.1 Die Nennungen machen deutlich, in welch starkem Maße auch die Studierenden mit ihren Voraussetzungen und Bedürfnissen während der letzten Jahre in den Fokus hochschuldidaktischer Reflexion gerückt sind. Lehrende, die die soeben genannten Fähigkeiten mitbringen, befinden sich in einer guten Ausgangsposition, um studentische Kompetenzentwicklung zu fördern. Vor dem Hintergrund dieser Einsicht hat sich innerhalb der Hochschuldidaktik ein veritabler Perspektivwechsel („Shift“) vom Lehren hin zum Lernen vollzogen. Unter den Bedingungen des Bologna-Prozesses wird die maßgebliche Bedeutung der Lernenden und ihrer Lernprozesse für die Hochschullehre oft unter dem Schlagwort „Kompetenzorientierung“ thematisiert.

Kompetenzorientierung

Mit der Rede vom „Shift from Teaching to Learning“ hat sich einerseits eine Binsenweisheit zum Schlagwort entwickelt. Denn natürlich stellen die Lernerfolge der Studierenden den bedeutendsten Indikator für erfolgreiche Lehre dar.2 Nicht auf die Performance der Lehrenden kommt es schlussendlich an, sondern eben auf die tragfähigen Lernprozesse der Studentinnen und Studenten. Damit hat der so genannte „Shift from Teaching to Learning“, der seit einigen Jahren in aller Munde ist,3 andererseits aber auch wichtige neue Impulse in der wissenschaftlichen Reflexion der Hochschullehre gesetzt. Denn wenn es stimmt, dass es letztendlich auf das Lernen ankommt, dann rückt damit unweigerlich das Lehren in die zweite Reihe. Indem die Hochschuldidaktik zuvorderst die Studierenden und ihr Lernverhalten fokussiert, weist sie der Dozentin oder dem Dozenten die Aufgabe zu, studentische Lernprozesse anzustoßen und zu begleiten.4

Eine in diesem Sinne gelingende Lehre sieht der Alttestamentler David Clines als derart bedeutsam für die Zukunft der Bibelwissenschaft an, dass er sich genau diesem Thema in seiner „Presidential Address“ beim SBL-Meeting 2009 in New Orleans widmete. Clines zufolge zeichnet sich gelingende und zukunftsträchtige Hochschullehre dadurch aus, dass sie den Studierenden über das Fachwissen hinaus vor allem Kompetenzen vermittelt.5 Und damit ist ein entscheidendes Schlagwort gefallen und in die bibelwissenschaftliche Binnendiskussion eingebracht, an dem wir auch in der Einleitung unseres hochschuldidaktisch ausgerichteten Methodenbuches nicht vorbeikommen. Das biblische Methodenseminar soll Studierende primär in die Lage versetzen, exegetische Problemstellungen zu erkennen und auf der Basis forschungsgeschichtlicher Weichenstellungen eigenständig und dem jeweiligen Text angemessen zu bearbeiten. In diesem Sinne lässt sich die relevante Kompetenz als reflektierte „Handlungskompetenz“ im Umgang mit biblischen Texten begreifen,6 die im Sinne eines komplexen, handlungsorientierten Lernziels gerade nicht in der Vermittlung von Wissen aufgeht. Kompetenz, auch exegetische Handlungskompetenz, ist eben „mehr als nur Wissen“.7

Die Einsicht, dass es hilfreich ist, den Kompetenzerwerb von Studierenden mindestens ebenso sehr wie ihren Erwerb von Fachwissen zu fördern, verdankt sich nicht erst dem Postulat von Clines. Vielmehr spricht Clines einen Konsens der gegenwärtigen Hochschuldidaktik an.8 Dass die Kompetenzorientierung in den letzten Jahren Einzug in die Studienordnungen der Hochschulstudiengänge erhält, hat seinen Anlass – nicht jedoch seinen Grund – im Bologna-Prozess. Der Bologna-Prozess wird zwar gerne als Begründung genannt, weswegen die Ausrichtung der Lehre auf die zu vermittelnden studentischen Kompetenzen erforderlich sei.9 Tatsächlich verpflichtet Bologna die Hochschulen damit aber auf ein Prinzip, das angesichts der wissenschaftlichen Landschaft des 21. Jahrhunderts nicht nur hilfreich, sondern sogar notwendig ist: Dem Kompetenzerwerb den Vorrang gegenüber dem Erwerb von Fachwissen einzuräumen, hat seinen Grund in der starken Ausdifferenzierung und Spezialisierung der verschiedenen Wissenschaftszweige.10 Diese Entwicklung basiert auf der Erkennntis, dass zur Kompetenzbildung mehr als nur Wissen gehört.

Für das biblische Methodenseminar liegt dies auf der Hand. Zu den klassischen Methoden der historisch-kritischen Exegese sind in den letzten Jahrzehnten zahlreiche weitere Ansätze hinzugekommen, die Einsichten der Sprach-, Geschichts- und Literaturwissenschaft sowie verschiedener hermeneutischer Schulen für die Auslegung biblischer Texte fruchtbar machen. Im Rahmen eines einsemestrigen Seminars ist es gar nicht möglich, all diese Herangehensweisen vollständig zu behandeln – auch wenn für jeden Ansatz nur eine einzige Seminarsitzung veranschlagt wird. Und selbst wenn es studienorganisatorisch möglich wäre, die Lernenden zu Beginn ihres Studiums mit umfassendem Fachwissen auszustatten, so wäre dieses Fachwissen doch wenig später bereits überholt, da neue Entwicklungen die Fachwissenschaft verändern. Es ist damit zu rechnen, dass der Trend zur Diversifizierung der exegetischen Wissenschaft sich auch in Zukunft noch weiter fortsetzen wird. Angesichts dieser Gegebenheiten ist es erforderlich, der nächsten Generation von Fachleuten nicht ausschließlich isolierte Kenntnisse über exegetische Arbeitsweisen und die Fähigkeit, dieses Wissen am Textbeispiel konkret anzuwenden, nahe zu bringen – sondern darüber hinaus auch noch die zusätzliche Kompetenz, sich bisher unbekannte Ansätze anzueignen und kritisch zu beurteilen.11 Studierende sollen folglich auch das Lernen lernen: Sie sollen sich Strategien aneignen, die sie dazu in die Lage versetzen, sich thematisches Neuland in eigener Verantwortung zu erschließen.12 Mit den im biblischen Methodenseminar behandelten Ansätzen sollen die Studierenden problemorientiert umgehen. Die einzelnen exegetischen Methoden sind nicht Selbstzweck, sondern stehen im Dienst der Bearbeitung eines konkreten Problems, das vom biblischen Text und den in ihm angelegten Fragen angestoßen wird.

Lernmotivation

Erklärtes Ziel der Kompetenzorientierung ist es also, die Studierenden dazu herauszufordern, Hirn, Herz und Hände eigenständig und kritisch zu gebrauchen. Neu ist diese Idee nicht – was aber in den letzten Jahren neu einsetzt, ist eine bewusste Suche nach didaktischen Mitteln zum Erreichen dieses Ziels. Nach der bereits zitierten Studie von Paetz / Ceylan u. a. gehört die Fähigkeit, die Eigenständigkeit der Studierenden zu fördern, zu den wichtigsten Kompetenzen von Lehrenden an Hochschulen: Im Ranking liegt sie auf Platz 3, direkt hinter der Kenntnis didaktischer Methoden und dem Fachwissen.13

Die vorgetragenen Postulate korrespondieren mit den Entwicklungen der Lernforschung in den letzten Jahrzehnten: Dort setzte sich die Erkenntnis durch, dass erstens den Lernenden eine aktive Rolle im Lernprozess zukommt,14 so dass die Gestaltung von Lernprozessen folglich nicht nur von der Lehrperson ausgehen muss. Zweitens werden als Ergebnisse erfolgreichen Lernens zunehmend kognitive Strukturen angesehen, die etwa Transfer und vernetztes Denken ermöglichen – und damit weniger isoliertes Fachwissen, das sich auf Nachfrage reproduzieren lässt.15 Die Bemühung um Eigenständigkeit und Kompetenzerwerb der Studierenden ist damit aus fachwissenschaftlichen wie auch aus lerntheoretischen Gründen sinnvoll.

In letzter Konsequenz heißt das dann, dass die Hochschullehre idealerweise bei den Voraussetzungen, Erfahrungen und daraus resultierenden Fragen der Studierenden einsetzt.16 Den Lehrenden muss es gelingen, Denkprozesse nicht nur vor der Lerngruppe vorzuexerzieren – sondern die Studierenden selbst an diesen Denkprozessen zu beteiligen.17 Wo dies geschieht, machen Studierende im Lernprozess eigene Entdeckungen; und entdeckendes Lernen wiederum steigert die intrinsische Motivation zur Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand.18 Dem gegenüber führt eine extrinsische Motivation, die sich beispielsweise rein aus der Prüfungsrelevanz des verhandelten Fachwissens speist, zu weniger dauerhaften und weniger belastbaren Lernerfolgen.

Soll der Lernprozess sich die intrinsische Motivation der Studierenden zunutze machen,19 so muss diesen die Relevanz der behandelten Themen transparent sein. Wer keinen Gewinn in der Auseinandersetzung erblickt, wird sich damit schwertun, sich auf die Lerninhalte einzulassen. Clines geht in seinem Plädoyer für die Orientierung an den Bedürfnissen der Studierenden sogar so weit, dass er sich weitgehend von curricularen Vorgaben verabschiedet.20 Seiner Ansicht nach kommt den Voraussetzungen der Studierenden in jedem Fall der Vorrang vor den Fragen zu, welche in der Geschichte der bibelwissenschaftlichen Disziplinen klassisch bearbeitet wurden. Ganz so weit gehen wir in unserem vorliegenden Buch nicht. Wir vertreten die Auffassung, dass die exegetischen Methoden, wie sie heute die bibelwissenschaftliche Forschungslandschaft prägen, dazu geeignet sind, aktuelle Fragen auch unserer Studierenden zu bearbeiten. Dies ist jedoch den Studierenden nicht unbedingt so selbstverständlich wie uns. Deswegen ist die Mühe und Energie gut investiert, wenn die Lehrenden ihren Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmern nicht nur erklären, aus welcher historischen Problemstellung heraus die jeweilige exegetische Methode sich entwickelt hat, wie die Methode konkret funktioniert, welche Vor- und Nachteile mit ihr verbunden sind und welche Ziele sie konkret verfolgt, sondern auch mit der Seminargruppe gemeinsam darum ringen, an welchen Stellen diese Problematik aktuell ihren Ort hat und wie die jeweils konkrete Methode vielleicht auch über die Bibel hinausgehend sinnvoll Verwendung finden kann.

Dennoch bleibt die Aufgabe des biblischen Methodenseminars, gerade weil die Studierenden es am Beginn ihres Studiums besuchen, mindestens eine dreifache: Es muss erstens die Verantwortung gegenüber den Studierenden als Subjekte im Lehr-Lern-Prozess ernst genommen werden. Nicht weniger ernst genommen werden darf zweitens auch die Verantwortung gegenüber der Geschichte der bibelwissenschaftlichen Disziplinen, aus der der gängige Methodenkanon exegetischer Arbeit resultiert.21 Drittens gilt es schließlich die Verantwortung gegenüber dem biblischen Text und seiner Geschichte wahrzunehmen und Lehr-Lern-Situationen zu gestalten, in denen der Text selbst zu seinem Recht kommen kann und angemessen mit ihm umgegangen wird.22

Konkret: Methodisch-didaktische Grundannahmen

Angesichts der beschriebenen mehrfachen Zielsetzung und Verantwortung der Lehrveranstaltung bietet sich auch eine mehrdimensionale methodisch-didaktische Fokussierung für die einzelnen Sitzungen unseres biblischen Methodenseminars an: Einerseits ist es erforderlich, den Studierenden einen fachlichen Input zur Verfügung zu stellen, um die Verantwortung gegenüber dem biblischen Text und der Forschungsgeschichte, aus der sich die exegetischen Methoden und leitenden Hermeneutiken entwickelt haben, zu wahren; genauso erforderlich ist es aber andererseits auch, die Studierenden mit ihren eigenen Fragen und Ideen ernst zu nehmen und in die Gestaltung der Seminarsitzungen einzubeziehen. Der aktive Einbezug der Studierenden kann insbesondere in regelmäßigen Arbeitsphasen stattfinden, die in Einzel- oder Gruppenarbeit oder auch im Plenum durchgeführt werden können.23 Was die notwendige Präsentation von Theorie-Inputs seitens der Lehrenden betrifft, möchten wir mit unseren Vorschlägen in den einzelnen Kapiteln dieses Buches dazu anregen, ein möglichst großes Spektrum didaktischer Methoden zur Anwendung zu bringen. Damit fördern wir als Lehrende das Mitdenken unserer Studierenden auch in solchen Phasen der Seminarsitzungen, in denen sie sich gerade nicht aktiv zu Wort melden können.24 Erstrebenswert ist es dabei, die gelehrten Inhalte zu visualisieren und mehrfach auf unterschiedliche Weise zu thematisieren.25 Beides liegt im Interesse der Lehrenden, weil es nachweislich zum gelingenden Lernen der Studierenden beiträgt, so dass alle Beteiligten im weiteren Verlauf der exegetischen Ausbildung von den erfolgreichen Lernprozessen aus dem Methodenseminar profitieren können. Dieses starke Bemühen um eine adäquate didaktische Aufbereitung der Seminarinhalte, das sich in unserem Buch widerspiegelt, entspricht dem, was die von Paetz / Ceylan u. a. befragten Experten zur Zukunft der Hochschullehre geäußert haben.

Wir glauben allerdings nicht an Patentrezepte. Lehrende sind verschieden und Seminargruppen sind es erst recht. Deshalb gibt es innerhalb unseres Buches auch keine fixfertigen Stundenverläufe, wie man das etwa aus Arbeitshilfen für den Schulunterricht kennt. Gelingende Lehre und gelingendes Lernen findet unserer Überzeugung nach dann statt, wenn die gewählte Vorgehensweise zu den Studierenden und auch zur Lehrperson passt, die wir im Folgenden stets „Leitung“ nennen, um deutlich zu machen, dass es sich bei den Seminarsitzungen um Lehr-Lern-Prozesse handelt, die angeleitet werden, in denen aber nicht einfach ge- oder belehrt wird. Deswegen möchten wir Sie hiermit ausdrücklich ermutigen, werte Leserin und werter Leser, das vorliegende Buch als Anregung zu verstehen und sich wie in einem Steinbruch daraus zu bedienen. Wir präsentieren Ihnen hier didaktische Wege, die sich in unserer Praxis an der Hochschule bewährt haben. Wenn Sie einzelne dieser Vorschläge unverändert in Ihrer Veranstaltung einsetzen können, freut uns das. Wenn Sie es allerdings für erforderlich halten, unsere Entwürfe für Ihre Zwecke zu modifizieren und auf Ihre Lehr-Lern-Situation anzupassen, ist es umso besser. Denn damit nehmen Sie Ihre Verantwortung gegenüber den Inhalten und gegenüber der Lerngruppe wahr.

Der Aufbau unseres Buches und der einzelnen Kapitel

Unser Buch soll den beschriebenen Grundeinsichten Rechnung tragen und sie für den Bereich des biblischen Methodenseminars durchbuchstabieren. Für viele Studierende stellt das biblische Methodenseminar die erste Begegnung mit der Bibelwissenschaft dar. Hier werden – im Sinne des aufbauenden Lernens, wie es für durch Module und die BA / MA-Struktur phasierte Studiengänge üblich ist – wesentliche Grundlagen gelegt. Diesen Erstkontakt wollen wir motivierend gestalten.

Der Aufbau des Buches entspricht insgesamt dem möglichen Verlauf eines Semesters. Zwischen der Einstiegsphase/-sitzung und der Abschlussphase/-sitzung der Lehrveranstaltung findet sich ein umfangreicher Hauptteil, der eine Vielzahl methodischer Zugänge zu den biblischen Texten behandelt. Hier folgen auf die Methoden, die im Rahmen der Textkonstitution Anwendung finden, zunächst klassisch synchrone Zugänge, dann klassisch diachrone Zugänge und schließlich eher rezeptionsorientierte Zugänge, die ihrerseits primär nicht eine Methode darstellen, sondern einer hermeneutischen Perspektive gleichen, die sich verschiedener konkreter Methoden bedienen kann. In einem Semester mit seinen etwa 14 Seminarsitzungen lassen sich die zahlreichen Ansätze, die wir hier vorstellen, fraglos schlecht unterbringen. Als Benutzerin und Benutzer des Buches stehen Sie also vor der Wahl, welche der möglichen exegetischen Methoden Sie mit Ihren Studierenden behandeln wollen. Unser Buch will als Baukasten verstanden werden, aus dem Sie sich diejenigen Teile auswählen, die für Ihre spezifische Lehr-Lern-Situation hilfreich sind.

Ebenfalls nach dem Baukastenprinzip gestaltet sind die einzelnen Kapitel des Buches: Sie finden dort in einem ersten Block immer eine allgemeine Einleitung in die jeweilige Methode mit einer Formulierung möglicher, mit dieser Methode verbundener Lernziele, die sich als Teilmengen der sich sukzessive entwickelnden exegetischen Kompetenz verstehen lassen, und eine elementare Bibliographie26 zur Methode selbst.

Auf diesen ersten Block folgen jeweils ein alttestamentlicher und ein neutestamentlicher Anwendungsbereich, für die Sie die betreffende exegetische Methode einsetzen können. Diese Bereiche, „Bausteine“ genannt, gliedern sich stets nach dem gleichen Muster. Zu Beginn werden die Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden geklärt, sodann folgen Vorschläge und Hinweise zur Einstiegsphase in die Sitzung. Auch für diese didaktische Hinführung an die jeweiligen Arbeitsweisen und deren Anwendung bieten wir Ihnen meist mehrere Möglichkeiten an, die Sie für Ihre Veranstaltung auswählen, abändern und weiterentwickeln können. In der Erarbeitungs- und Vertiefungsphase operieren wir mit konkreten Textbeispielen, zu denen wir Wege der didaktischen Einbettung in den Seminarverlauf anbieten. Am Ende finden sich jeweils Hinweise für die Abschlussphase der Seminarsitzung, die sich auch mit der Sicherung und synthetischen Auswertung des in der Erarbeitungsphase Behandelten beschäftigen. An dieser Stelle bieten wir immer auch sachliche Ergebnisse im Blick auf die in der Erarbeitungsphase behandelten Texte. Eine kurze Auswahlbibliographie zu den behandelten Texten schließt den jeweiligen Baustein ab. Oftmals finden Sie am Ende eines Kapitels auch noch weitere Ideen für die Gestaltung Ihrer Seminarsitzung. Stets wird am Ende die Leistungsfähigkeit und Bedeutung der betreffenden Methode in genereller Perspektive reflektiert.

Insgesamt ergibt sich damit der folgende Aufbau für die Methoden-Kapitel:

Hinführung zur Methode

Lernziele / Beiträge zur exegetischen Kompetenzbildung

Literatur zur Methode

Baustein AT

Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden

Einstieg

Erarbeitung / Vertiefung

Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss

Literatur zur Textstelle

Baustein NT

Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden

Einstieg

Erarbeitung / Vertiefung

Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss

Literatur zur Textstelle

Ertrag zur Methode

Weitere Ideen

Und nun, liebe Leserin und lieber Leser: Treten Sie ein in das „biblische Methodenseminar“. Wir wünschen Ihnen viel Freude bei der Lektüre, spannende Entdeckungen und kreative Anregungen für Ihren Arbeitsalltag.

Literatur

H. Bachmann, Hochschullehre neu definiert – Shift from Teaching to Learning, in: Ders. (Hrsg.), Kompetenzorientierte Hochschullehre. Die Notwendigkeit von Kohärenz zwischen Lernzielen, Prüfungsformen und Lehr-Lern-Methoden, Bern 2011, 12–28.

B. Bieberger, Der „Shift from Teaching to Learning“ in einer exegetischen Vorlesung, in: M. Scheidler / O. Reis (Hrsg.), Vom Lehren zum Lernen. Didaktische Wende in der Theologie? (Theologie und Hochschuldidaktik 1), Münster 2008, 93–106.

D. J. A. Clines, Learning, Teaching, and Researching Biblical Studies, Today and Tomorrow, in: JBL 129 (2010) 5–29.

S. Hübenthal, Was ist exegetische Kompetenz?, in: F. Bruckmann / O. Reis / M. Scheidler (Hrsg.), Kompetenzorientierte Lehre in der Theologie. Konkretion – Reflexion – Perspektiven (Theologie und Hochschuldidaktik 3), Münster 2011, 65–83.

P.-G. Klumbies, Herkunft und Horizont der Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 2015.

M. Neubrand, „Verstehst du, was du liest?“ (Apg 8,30). Neutestamentliche Wissenschaft und universitäre Lehre, in: M. Scheidler / B. J. Hilberath / J. Wildt (Hrsg.), Theologie lehren. Hochschuldidaktik und Reform der Theologie (QD 197), Freiburg i. Br. 2002, 83–96.

N.-V. Paetz / F. Ceylan / J. Fiehn / S. Schworm / C. Harteis, Kompetenz in der Hochschuldidaktik. Ergebnisse einer Delphi-Studie über die Zukunft der Hochschullehre, Wiesbaden 2011.

O. Reis, Kompetenzorientierung als hochschuldidaktische Chance für die Theologie, in: M. Scheidler / Ders. (Hrsg.), Vom Lehren zum Lernen. Didaktische Wende in der Theologie? (Theologie und Hochschuldidaktik 1), Münster 2008, 19–37.

O. Reis, Sinn und Umsetzung der Kompetenzorientierung – Lehre ‚von hinten‘ denken, in: P. Becker (Hrsg.), Studienreform in der Theologie. Eine Bestandsaufnahme (Theologie und Hochschuldidaktik 2), Münster 2011, 108–127.

O. Reis, Zur Förderung von effizienten Lernstrategien im Theologiestudium, in: M. Scheidler / Ders. (Hrsg.), Vom Lehren zum Lernen. Didaktische Wende in der Theologie? (Theologie und Hochschuldidaktik 1), Münster 2008, 39–63.

O. Reis / M. Scheidler, Der „Shift from Teaching to Learning“ als Anliegen der Theologiedidaktik, in: Dies. / Ders. (Hrsg.), Vom Lehren zum Lernen. Didaktische Wende in der Theologie? (Theologie und Hochschuldidaktik 1), Münster 2008, 5–18.

T. Stelzer-Rothe, Befunde der Lernforschung als Grundlage des Hochschullehrens und -lernens, in: Ders. (Hrsg.), Kompetenzen in der Hochschullehre. Rüstzeug für gutes Lehren und Lernen an Hochschulen, Rinteln 22008, 32–58.

B. Zimmermann, Mehr als nur Wissen! Kompetenzorientierung im Bologna-Prozess. Eine theologiedidaktische Perspektive (Studien zur Praktischen Theologie 2), Münster 2017 (im Druck).

_______________

1PAETZ / CEYLAN U. A., Kompetenz 87. Auf den weiteren Plätzen der Top-10-Kompetenzen folgen (in dieser Reihenfolge): Selbstreflexion, Begeisterungsfähigkeit, Kompetenzorientierung, Kommunikationsfähigkeit, Teilnehmerorientierung, Gestaltungskompetenz, Perspektivwechsel und Methodeneinsatz, wobei die beiden letztgenannten Kompetenzen miteinander auf Platz 10 liegen.

2So auch REIS / SCHEIDLER, Shift 13.

3Vgl. dazu auch PAETZ / CEYLAN U. A., Kompetenz 36.

4Vgl. CLINES, Learning 6 f.

5CLINES, Learning 9 f.

6Vgl. dazu REIS, Sinn 112. Zu den so genannten „Learning Outcomes“, an denen sich die Lehre folgerichtig orientiert, vgl. auch REIS, Sinn 120. Eine ausdifferenzierte Fassung des Kompetenzmodells bietet HÜBENTHAL, Kompetenz.

7Vgl. zu diesem Ansatz die Studie von ZIMMERMANN, Wissen pass.

8Zur Kompetenzorientierung vgl. insbes. BACHMANN, Hochschullehre pass.; ZIMMERMANN, Wissen pass.; vgl. auch REIS, Kompetenzorientierung 19.

9Schlagen Sie ein beliebiges Buch auf, das den Begriff „Hochschuldidaktik“ im Titel trägt und in den letzten Jahren erschienen ist: Sie werden dort bereits auf den ersten Seiten den Stichworten „Kompetenzen“ und „Bologna“ begegnen.

10Deswegen kann auch eine gerechtfertigte Skepsis gegenüber dem Bologna-Prozess nicht als Argument gegen die grundsätzliche Fokussierung auf die Lernenden und ihren Kompetenzerwerb herhalten.

11Vgl. dazu auch STELZER-ROTHE, Befunde 42.

12Vgl. REIS, Förderung 39. Außerdem BIEBERGER, Shift 93.

13PAETZ / CEYLAN U. A., Kompetenz 87.111.

14Vgl. BIEBERGER, Shift 94; vgl. auch BACHMANN, Hochschullehre 14 f.

15STELZER-ROTHE, Befunde 41, spricht diesbezüglich sogar von einer „kognitive[n] Wende in der Lernforschung“ seit den 1960er Jahren.

16Vgl. REIS, Förderung 58.

17Dies erfordert nicht zwingend eine permanente Diskussion studentischer Fragen in der Seminargruppe (zu methodisch-didaktischen Grundsätzen s. u.). Denkbar ist zunächst einmal auch, dass die Studierenden während des Vortrags ihrer Dozentin oder ihres Dozenten innerlich so am Thema beteiligt sind, dass sie mitdenkend die verhandelten Probleme durchdringen und Lösungsansätze erproben (so BIEBERGER, Shift 95 f.).

18Vgl. STELZER-ROTHE, Befunde 43.

19Vgl. dazu CLINES, Learning 20. Zur Bedeutung der intrinsischen Motivation vgl. auch STELZER-ROTHE, Befunde 43.

20CLINES, Learning 25.

21Für diese Zweipoligkeit macht sich neuerdings auch ganz dezidiert P.-G. Klumbies stark (KLUMBIES, Herkunft und Horizont 142–155).

22Auch Neubrand weist darauf hin, dass eine gelungene neutestamentliche Lehrveranstaltung „den Studierenden ein solides biblisches Grundwissen vermitteln und das Interesse an einer wissenschaftlichen, methodisch geleiteten Auseinandersetzung mit den neutestamentlichen Texten schmackhaft machen“ soll. Die Lehrveranstaltung soll auf eine Weise „die Studierenden […] zu einem Verstehen der neutestamentlichen Texte in ihrem geschichtlichen Charakter hinführen, dass dadurch auch der Gegenwartsbezug des ‚Wortes Gottes‘ und die Aktualität der biblischen Botschaft für Kirche und Gesellschaft aufscheint“ (NEUBRAND, Verstehst du 85).

23Vgl. dazu auch HÜBENTHAL, Kompetenz 75.

24Vgl. NEUBRAND, Verstehst du 88.

25Vgl. REIS, Förderung 55; vgl. auch CLINES, Learning 11.

26Die Literaturhinweise erfolgen auf zwei unterschiedliche Arten: Kurztitel beziehen sich in den Fußnoten jeweils auf die bibliographischen Angaben („Literatur zur Methode“ bzw. „Literatur zur Textstelle“) in den betreffenden Kapiteln; sämtliche dort nicht verzeichnete Literatur wird jeweils vollständig bibliographiert.

Einstiegssitzung

Stephanie Feder

Hinführung

Statistiken belegen, dass junge Menschen in Deutschland die Bibel kaum lesen: Nur 7 % der 16 bis 29-Jährigen lesen hin und wieder bis häufig in der Bibel – so eine Allensbacher Studie von 2005.1 Noch weniger (junge) Menschen wissen, was sich genauerhin hinter dem Begriff „Exegese“ verbirgt, wofür sie gut ist und warum man sie im Rahmen eines Theologiestudiums unbedingt lernen sollte. Umso wichtiger ist es, den Lernenden aufzuzeigen, was exegetische Methoden wollen und welchen Gewinn sie aus einem Seminar zur Methodenlehre ziehen können.

Die Einstiegssitzung ist fundamental für die intrinsische Motivation der Lernenden, von der eingangs die Rede war. Wenn die Einstiegssitzung zu kurz ausfällt oder gar weggelassen wird, wird die Orientierungslosigkeit der Lernenden größer und sie haben u. U. bis zum Ende des Seminars nicht verstanden, was Sinn und Zweck eines Methodenseminars ist und inwiefern sie an späterer Stelle davon profitieren können.

Lernziele / Beiträge zur exegetischen Kompetenzbildung

–Die Lernenden verstehen, was „Exegese“ meint. Sie können den Begriff anwenden.

–Sie erhalten einen Überblick über exegetische Methoden und können diese in die Kategorien „synchron“, „diachron“ bzw. „rezeptionsorientiert“ einordnen.

–Sie erkennen, dass zum angemessenen Verstehen von Bibeltexten Methoden hilfreich und in der Regel sogar notwendig sind.

Baustein AT/NT:Was ist Exegese und wozu braucht man sie eigentlich?

Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden

–Keine.

Einstieg

Zunächst lernen sich die Lernenden untereinander kennen. Als Methode erprobt hat sich das so genannte Chaosinterview. Die Lernenden werden auf Stühlen in zwei Kreise gesetzt: Einen Innenkreis, der nach außen schaut, und einem Außenkreis, der nach innen schaut. Jeder Person im Innenkreis sollte eine Person im Außenkreis gegenübersitzen. Die Personen im Innenkreis erhalten einen kleinen Stapel mit Zetteln. Jeder Zettel eines Stapels beinhaltet immer dieselbe Frage. Die Person im Innenkreis stellt der Person im Außenkreis die Frage, die auf dem Zettel steht und notiert Namen und die Antwort der Person aus dem Außenkreis auf dem Zettel. Nach 2 Minuten (durch die Leitung angezeigt) wechselt der Außenkreis einen Platz nach links. Dann sitzen sich zwei neue Personen gegenüber und die Person im Innenkreis nimmt einen neuen Zettel mit der eben schon gestellten Frage und stellt diese an sein neues Gegenüber. Nach ca. 5 Fragen übergibt die Innenperson den Frageblock an die Außenperson. Dann werden noch einmal ca. 5 Interviews geführt. Am Ende werden die beschriebenen Zettel unter den Personen aufgeteilt, die jeweils die gleiche Frage gestellt haben. Nachdem alle in die normale Sitzordnung zurückgekehrt sind, fragt die Leitung, welche Antworten zu einer Frage gegeben wurden. Die Interviewer geben einen Überblick, ohne dabei die Namen der Interviewten zu nennen. Mögliche Fragen für das Interview könnten sein:

–Was bezeichnet der Begriff „Exegese“ Ihrer Meinung nach?

–Wie viel Prozent der ganzen Bibel (Altes und Neues Testament) haben Sie schon gelesen?

–Welche biblische Geschichte ist Ihre Lieblingsgeschichte?

–Welches Vorwissen über das Alte Testament / das Neue Testament bringen Sie mit?

–Welche Ereignisse aus der Geschichte Israels können Sie benennen?

–Welche Geschichten aus dem Alten Testament / Neuen Testament kennen Sie?

–Wozu müssen Sie eigentlich Methoden für die Bibelauslegung lernen? Könnten Sie den Text nicht einfach so lesen und verstehen?

Nach diesem Einstieg, der eher die Lernenden in den Blick nimmt, projiziert die Leitung den folgenden Text an die Wand und erklärt, dass es sich hierbei um einen Eintrag in einem Diskussionsforum handelt.

Wie konnte Jona so lange im Wal überleben?

gefragt von LichtAnFuerAlle am 07.10.2010 um 14:40 Uhr

Hallo!

Ich mache jeden Sonntag Kindergottesdienst und beim letzten mal war die Geschichte mit Jona und den Wal dran. Die Kinder fanden die Geschichte super, aber einer hat ständig Fragen gestellt und gefragt wie das denn möglich sein soll, das der Mensch dann keinen Sauerstoff oder sowas hätte. Der war richtig nervig dieser Junge und hatte keine guten Manieren! Er hat gesagt, das die Magensäure schon lange Jona zerfressen hätte und das kein Tier so lange braucht um mit der Verdauung zu beginnen.

Ich hab gesagt das der HERR Jona von allem reichlich gab und sich darum gekümmert hat und da hat er nur gelacht und gesagt, das das biologisch unmöglich ist und doch nur ein Märchen oder eine Zaubergeschichte oder sowas ist.

Hat der kleine junge Recht? Wie konnte Gott Jona retten? Wie könnte man den Walmagen austrixxen damit die Geschichte doch wahr sein kann?2

Die Lernenden sind aufgefordert, Antworten auf die gestellten Fragen zu formulieren. Diese werden vorgelesen.

Ein sich anschließender Austausch sollte darauf abzielen, mit den Lernenden ins Gespräch darüber zu kommen, welche Schwierigkeiten sie beim Verfassen einer möglichen Antwort hatten und welche Fragen sich für sie neu gestellt haben. Diese Fragen können gesammelt werden. Im Verlauf des Seminars sollte immer wieder darauf Bezug genommen werden, denn die Fragen der Lernenden sind der Motor des Seminars.

In der Diskussion mit den Lernenden sollte deutlich werden, dass viele Bibeltexte nicht aus sich heraus verstanden werden können. Das liegt vor allem daran, dass die Texte mehr als 2700 Jahre alt sind und ursprünglich nicht für unsere heutige Lebenswelt und -situation verfasst wurden. Um entschlüsseln zu können, welche Botschaft sich in den Texten verbirgt, muss man sie genauer untersuchen. Als Untersuchungsinstrumente dienen exegetische Methoden.

Erarbeitung / Vertiefung

Welche Funktion Methoden in Hinblick auf die Texte haben, kann mit Hilfe einer Walnuss und unterschiedlicher Werkzeuge von der Leitung erklärt und veranschaulicht werden (möglichst durch Demonstration an einer Walnuss mit den entsprechenden Werkzeugen): Eine Nuss lässt sich hervorragend mit einem Nussknacker öffnen. Mit viel Geschick lässt sich eine Walnuss auch mit einem Küchenmesser öffnen. Fast unmöglich ist es jedoch, die Nuss mit einem Dosenöffner zum Knacken zu bringen. Das liegt daran, dass es unterschiedliche Werkzeuge gibt, die unterschiedliche Gefäße – oder in unserem Fall eben die Nuss – öffnen können. Auch in der Exegese bedient man sich unterschiedlicher Methoden (Werkzeuge), um zum Inneren des Textes, seiner Botschaft (dem Kern der Nuss), zu gelangen. Je nachdem was ich herauszufinden suche, muss ich das passende Werkzeug (die passende Methode) wählen. Natürlich kann die Nuss auch ungeknackt zur Dekoration in einer Schale liegen bleiben. Aber wenn der Bibeltext tiefer ergründet werden soll, dann kommt man um das Knacken der Nuss nicht herum.3

An dieser Stelle empfiehlt es sich, die Definition von „Exegese“ einzuführen, da der Begriff immer wieder vorkommen wird, für die Lernenden aber meist ein Fachbegriff ohne inhaltliche Füllung bleibt. Dazu bietet sich ein Text von Melanie Köhlmoos an:

Der Begriff [Exegese] kommt vom griech. Wort exégesis („Auslegung, Erläuterung“). Dabei handelt es sich um eine Art der Textinterpretation, die nach bestimmten Prinzipien und Methoden vorgeht. Zwischen der Exegese biblischer Texte und der Interpretation von anderen Texten aus Literatur und Geschichte gibt es viele Überschneidungen; tatsächlich hat sich die Interpretation solcher Texte aus der Bibelauslegung entwickelt. Trotzdem ist es üblich, von Exegese nur dann zu sprechen, wenn religiöse oder juristische Texte ausgelegt werden. Der Grund dafür, Exegese von Interpretation zu unterscheiden, liegt weniger in den Methoden als im Ziel: In Theologie und Rechtswissenschaft sollen mit Hilfe der Texte normative (= verbindliche) Aussagen gemacht werden.4

Die Leitung markiert die wichtigsten Wörter des Textes und entwickelt mit den Lernenden eine Kurzdefinition von Exegese, die sich die Lernenden notieren.

Damit die Lernenden die unterschiedliche Ausrichtung von Methoden kennen lernen, zeichnet die Leitung ein Dreieck an die Tafel und versieht die Ecken mit den Schlagwörtern „Text“, „Autor“ und „Leser/in“:

Die drei Ecken stehen für die verschiedenen Akzentuierungen bei der Auslegung von biblischen Texten. Wenn man einen Text untersuchen will, kann man danach schauen, wie der Text entstanden ist und schaut damit auf den Autor. Oder aber man schaut sich den Text selbst an, untersucht, wie er gebaut ist. Darüber hinaus ist aber auch denkbar, danach zu schauen, wie ein Text von denjenigen verstanden wird, die ihn lesen. Welche Informationen kommen bei ihnen an? Welche Gefühle löst er aus?

Wenn die drei Ecken erklärt wurden, kann nun ein erster Blick auf die verschiedenen Methoden geworfen werden, denn auch diese können einer Ecke des Dreiecks zugeordnet werden: Die diachronen Methoden fragen vor allem nach der Entstehung des Bibeltextes, nach dem Autor und seinem Kontext. Mit Hilfe von diachronen Methoden lässt sich entschlüsseln, wann, wie und unter welchen Bedingungen ein Text entstanden ist und wer ihn verfasst bzw. bearbeitet hat. Anders verhält es sich mit den synchronen Methoden, die sich vor allem auf den Text, wie er heute vorliegt (sogenannter Endtext), konzentrieren. Ziel von synchronen Methoden ist es, den Endtext zu analysieren – ähnlich wie im Deutschunterricht Gedichte untersucht werden. Durch die Beschreibung des Textes und seiner Strukturen hofft man, Informationen über den Text, seine Struktur und seine Absicht zu erhalten. Die letzte Ecke zeigt, dass es auch Methoden gibt, die vom Leser / von der Leserin her denken. Die leserorientierten Methoden stellen den Menschen und sein Verständnis des Textes in den Mittelpunkt. Fragen von rezeptionsorientieren Zugängen sind u. a.: Wie kann man den Text heute verstehen? Welche Verbindungen stellt der Leser / die Leserin zwischen dem vorliegenden Text und anderen Texten her?

Nach der Erläuterung des Dreiecks und der Vorstellung der drei Stränge innerhalb der Exegese teilt die Leitung die Gruppe in Paare auf und verteilt an ein Paar jeweils eine Methode und ihre Kurzdefinition (s. u.). Aufgabe ist es, die Methoden in die Kategorien „synchron“, „diachron“ und „leserorientiert“ einzuordnen oder sie begründet zwischen diesen Polen zu verorten. Die Leitung heftet an die Tafel drei A4-Blätter mit jeweils einer der drei Kategorien. Die Lernenden stellen nach einer kurzen Murmelphase ihre Methode vor und sortieren sie in der entsprechenden Kategorie ein.

Methodenübersicht

Textkritik

Die Textkritik versucht, den Text der Bibel zu rekonstruieren, denn es liegt keine Original-Bibel vor, von der man den Text einfach abschreiben könnte. Deswegen ist es notwendig, mit Hilfe von Handschriften und anderen Textzeugen herauszufinden, welcher Text die ursprünglichste Version sein könnte.

Textabgrenzung

Die Textabgrenzung ist eine klassische Einstiegsmethode. Sie dient dazu, begründet Anfang und Ende eines biblischen Teiltextes festzulegen. Das ist notwendig, insofern man sich im exegetischen Alltagsgeschäft zumeist auf Teiltexte bezieht. Nur muss dabei die Festlegung von Anfang und Ende des jeweiligen Abschnitts begründet werden. Auf makrostruktureller Ebene dient die Textabgrenzung zugleich der Gliederung der Ganzschrift.

Gliederungs- und Kompositionskritik

Die Gliederungs- und Kompositionskritik will der Struktur und der planvollen Komposition eines biblischen Textes auf die Spur kommen. Der Methodenschritt hilft dabei nicht nur, sich dem Text anzunähern und ihn möglichst präzise zu erfassen. Er leistet auch Vorarbeit für eine inhaltliche Interpretation des Textes. Denn oft trägt schon die Form einen Teil der Botschaft des Textes.

Synoptischer Vergleich

Der synoptische Vergleich, der auf der Zwei-Quellen-Theorie beruht, analysiert die Redaktion des Markusevangeliums bzw. der Logienquelle (Q) durch die Evangelisten Matthäus und Lukas, die beide unabhängig voneinander das Markusevangelium bzw. Q als Quellen verwenden. Der Vergleich der Texte miteinander erlaubt es, in die Schreibwerkstatt des Matthäus bzw. Lukas zu blicken und ihren redaktionellen Interessen bei der Verarbeitung ihrer Quellen nachzugehen.

Literarkritik

Da Texte nicht immer von nur einem Autor verfasst wurden und häufig später auch noch bearbeitet und ergänzt wurden, sind die Texte nicht immer einheitlich. Die Aufgabe der Literarkritik ist es, die fehlende Einheitlichkeit und die Brüche im Text offen zu legen.

Gattungskritik

Auch biblische Texte lassen sich unterschiedlichen Gattungen / Textsorten zuordnen. Die Gattungskritik versucht zu bestimmen, zu welcher Gattung ein Text gehört, für welchen Leser/innen-Kreis er verfasst wurde und welche Aussageabsicht er hat.

Redaktionskritik

Die Ergebnisse der Literarkritik werden für die Redaktionskritik genutzt, um herauszustellen, wer etwas an dem Text geändert hat, aus welchen Gründen und inwiefern das Auswirkungen auf die Theologie der Texte hat.

Motivkritik

Weil kein Text in einem Vakuum entsteht, ist es für die Exegese ebenfalls notwendig herauszufinden, welche Motive (Bilder, Texte, Ideen) den vorliegenden Bibeltext geprägt haben. Man sucht nach Bildern, Texten, Ideen, die aus anderen Texten oder mündlichen Überlieferungen aus der Umwelt des biblischen Textes übernommen wurden und sich im biblischen Text niedergeschlagen haben.

Linguistische Analyse

Die linguistische Analyse untersucht den biblischen Text auf seine grammatikalischen, syntaktischen, semantischen und stilistischen Merkmale. Auch Wortfelder und Leitwörter versucht man zu ermitteln. Die Analyse ähnelt der eines Gedichts, wie man sie aus dem Deutschunterricht kennt.

Aktantenanalyse

Die Figuren des biblischen Textes übernehmen innerhalb einer Erzählung häufig bestimmte Rollen, z. B. als Held, Helfer oder Gegenspieler. Mit Hilfe eines Modells werden diese Rollen erschlossen.

Erzählperspektiven

Der Erzähler ist für viele biblische Texte sehr wichtig. Er lenkt den Blick der Lesenden auf bestimmte Ereignisse und Figuren. Wie er das tut und welche Wirkung dadurch erzielt wird, untersucht diese Methode.

Auslegungen in genderspezifischer Perspektive

Die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht kann die Bibelauslegung beeinflussen. Genderspezifische Ansätze versuchen, Frauen in den Fokus der Auslegung zu stellen, sie untersuchen Konzepte von Männlichkeit und Weiblichkeit und sie stellen die patriarchalen Wertesysteme heraus, die biblische Texte vermutlich beeinflusst haben.

Postkoloniale Exegese

Postkoloniale Exegesen versuchen, offen zu legen, inwiefern ein Text Stereotypisierungen reproduziert, ob bestimmte Gruppen oder einzelne Figuren abgewertet werden, wie sich Machtverhältnisse im Text abbilden und ob der Text eher mit den Mächtigen oder den Ohnmächtigen sympathisiert.

Erkenntisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss

Abschließend kann der Verlaufsplan für das Seminar oder die Unterrichtseinheit verteilt werden. Durch die Kurzvorstellung der Methoden sind diese nun nicht mehr nur Fremdwörter, mit denen die Lernenden nichts anzufangen wissen. Auch die Fragen zu Jona könnten an dieser Stelle von der Leitung noch einmal aufgenommen werden und evtl. den einzelnen Sitzungen zugeordnet werden (z. B. „Gibt es nicht auch noch andere Geschichten, in denen Figuren von einem Fisch verschluckt werden?“ wird der Sitzung zur Motiv- oder Gattungskritik zugeteilt).

Weitere Ideen

–Anstelle des Forenbeitrags zu Jona empfiehlt es sich auch, mit dem Brief von Dr. Laura zu arbeiten.5

–Die Frage nach dem Umgang mit Bibeltexten wird auch in dem Buch „Die Bibel und ich“ von A.J. Jacobs thematisiert. Jacobs, Journalist in New York, der zwar jüdisch aber gleichzeitig auch Agnostiker ist, hat ein Jahr nach dem Alten Testament gelebt und ist dabei auf Schwierigkeiten gestoßen, wie einzelne Texte zu verstehen sind.

–Die Lernenden sollen eine Predigt zu Mk 10,41–45 oder zu Röm 3,21–26 skizzieren und dabei folgende Aufgabenstellung berücksichtigen: Was würden Sie in Ihrer Predigt zum Bibeltext sagen? Einzelne Begriffe (Mk: Lösegeld; Röm: Erlösung / Sühne) der Texte sind nicht selbsterklärend und können nur durch intensive Auseinandersetzung mit dem Text und mit Hilfe der entsprechenden Methoden entschlüsselt werden.

–Zu Beginn wird ein Bibeltext gelesen. Anschließend werden möglichst kontroverse Auslegungen dazu präsentiert. Die Lernenden werden gefragt, welche der Auslegungen Recht hat. Damit ist angezielt, auf die Pluralität von Interpretationen zu sprechen zu kommen und deutlich zu machen, dass es verschiedene Methoden gibt, die Unterschiedliches herauszufinden suchen.

–Die erste Szene des Films „Von Menschen und Göttern“ (Regie: Xavier Beauvois, 2010) wird gezeigt. Anhand des Films werden Kategorien vorgestellt oder reaktiviert, wie sie in der Exegese vorkommen, z. B.: Woran haben Sie erkannt, dass eine neue Szene beginnt? Was vermuten Sie geschieht nach dieser ersten Szene? Usw.

_______________

1http://www.ifd-allensbach.de/uploads/tx_reportsndocs/prd_0520.pdf (12.08.16).

2http://www.gutefrage.net/frage/wie-konnte-jona-so-lange-im-wal-ueberleben (08.01.15).

3Die Idee mit der Nuss und den verschiedenen Werkzeugen verdanke ich meinem Methodenseminarlehrer Thomas Meurer.

4M. KÖHLMOOS, Altes Testament (UTB.Basics 3460), Tübingen 2011, 26.

5Vgl. http://www.tadzio.de/serious/lawsoftheoldtestament.html (12.08.16).

Methoden der Textkonstituierung

Textkritik

Hildegard Scherer

Hinführung zur Methode

Historisierende Bilder von biblischen Schriftstellern beim Schreiben betonen gerne, dass die Autoren unter „himmlischem“ Einfluss arbeiteten: Die Inspiration versinnbildlichen flüsternde Tauben oder mystische Lichtkegel. Die Texte, die uns heute vorliegen, sind allerdings nicht unmittelbar „vom Himmel gefallen“. Bis zur Erfindung des Buchdrucks wurden sie – wie übrigens alle Texte antiker Autoren – über Jahrhunderte handschriftlich tradiert. Wer einmal einen Text von Hand abgeschrieben, geschweige denn diktiert bekommen hat, weiß, dass sich dabei Fehler einschleichen. Doch nicht nur das: Auch bewusste Vereinheitlichungen oder Interpretationen sind in den Manuskripten vorgenommen worden.1

So liegen die neutestamentlichen Texte in einer Vielzahl von Manuskripten vor – angefangen von den ältesten einfachen Papyrusgeheften über stattliche Pergamentbände bis hin zu mittelalterlichen Abschriften – und unterscheiden sich bisweilen: Buchstaben sind verändert, Wörter weichen ab, manchmal fehlen ganze Satzteile. Für das Alte Testament haben sich ganze Texttraditionen herausgebildet, z. B. der sogenannte masoretische Text, der einen ab dem 1. Jh. n. Chr. fixierten Konsonantentext mit Vokalzeichen und Anmerkungen versieht. In der vollständigen Ausgabe von 1009 n. Chr. ist der masoretische Codex Leningradensis (Petropolitanus) Vorlage der heute im deutschsprachigen Raum gebräuchlichen Biblia Hebraica Stuttgartensia. Daneben steht u. a. die jüdisch-hellenistische Texttradition der Septuaginta (LXX), der griechischen Übersetzung einer teils eigenständigen hebräischen Vorlage (ab 3. Jh. v. Chr.), die die Christen als ihr „Altes Testament“ betrachten.

Die alttestamentliche und die neutestamentliche Textkritik haben daher unterschiedliche Schwerpunkte: (1) Die neutestamentliche Textkritik rekonstruiert eine älteste Fassung des Textes,2 indem sie im Vergleich der zahlreichen erhaltenen Handschriften Gemeinsamkeiten und Unterschiede filtert und bewertet. Dabei stellt sich heraus, dass nicht immer die älteste Abschrift dem Ausgangstext am nächsten steht. So hat z. B. B. Aland, ausgewiesene Textkritik-Expertin, festgestellt, dass ein sehr alter Papyrus (P46, einer der wichtigsten Textzeugen für die Paulusbriefe) mehr auf Schönschrift bedacht sei denn auf Wortsinn und deshalb einige Unschlüssigkeiten überliefert, die in jüngeren Manuskripten nicht zu finden sind.3 Deshalb hat die Textkritik Kriterien entwickelt, um den Wert eines Textes zu beurteilen, sofern alternative Überlieferungen vorliegen, z. B.:4

–Eine Lesart gilt als umso sicherer, je besser sie von hochwertigen Textzeugen geboten wird.

–Eine schwierigere Formulierung (lectio difficilior) gilt als ursprünglicher, da man im Lauf der Zeit einen Text eher geglättet hat als ihn schwerer verständlich zu machen.5

–Schließlich gilt die Version als ursprünglicher, aus der heraus sich die anderen schlüssig erklären lassen.

Die Kriterien werden kumulativ angewandt: Je mehr Kriterien für eine Lesart sprechen, desto besser.

Ein Ergebnis dieses Prozesses, also den mit der höchsten Wahrscheinlichkeit anzunehmenden Ausgangstext, dazu eine Auflistung von Textzeugen und Alternativen, bieten textkritische Ausgaben des NT.

(2) Die alttestamentliche Textkritik steht vor einer anderen Überlieferungslage: In der jüdischen Tradition finden sich wohl seit dem 1. Jh. ein immer genaueres Textbewusstsein und eine Vereinheitlichung, später dann die ausgeprägte „textkritische“ Arbeit der Masoreten, die den Text u. a. vokalisierten und kommentierten. V. a. die Qumran-Funde bieten jedoch u. U. alternative hebräische Texttraditionen – wie sich dort gezeigt hat, existierten sogar verschiedene Versionen nebeneinander.6 Allen voran weicht aber die LXX, eine griechische Übersetzung, teils gravierend vom masoretischen Text ab und setzt z. T. eine eigene hebräische Vorlage voraus.7 Im Zusammenspiel der Versionen (und deren Manuskripttradition) kann nun nicht nur nach einem evtl. ältest erreichbaren Text bzw. den Gründen für die jeweiligen Unterschiede gefragt werden – die alttestamentliche Textkritik ortet auch, wo LXX und masoretischer Text in ihren theologischen Konzepten voneinander abweichen; sie sucht darüber hinaus nach Lösungen, wo hebräische Wörter nicht mehr identifiziert werden können oder Verständnisprobleme auftreten (die ja bereits die Masoreten hatten).

Die Auseinandersetzung mit der Textkritik schult den Blick für sprachliche Nuancen und lädt ein, sich auf die Spuren erster Lösungsversuche für textliche und theologische Schwierigkeiten in biblischen Texten zu begeben.

Lernziele / Beiträge zur exegetischen Kompetenzbildung

Kennen

–Die Lernenden wissen um die Problematik der Tradierung antiker Texte.

–Die Lernenden kennen Ansätze textkritischer Argumentationen.

Können

–Die Lernenden können präzise Textvergleiche durchführen.

–Die Lernenden können in Ansätzen textkritische Kriterien anwenden.

–Die Lernenden können die Aussagekraft und Grenzen textkritischer Argumentation benennen.

Literatur zur Methode

Bibelausgaben mit textkritischen Apparaten, die alternative Lesarten vermerken

Biblia Hebraica Stuttgartensia, hrsg. v. K. Elliger / W. Rudolph, Stuttgart 1967/1977.

Biblia Hebraica Quinta, hrsg. v. A. Schenker u. a., Stuttgart 2004 ff.

Septuaginta, hrsg. v. A. Rahlfs / R. Hanhart, Stuttgart 2006.

Novum Testamentum Graece, hrsg. v. Institut für Neutestamentliche Textforschung, Stuttgart 282012.

Sekundärliteratur

B. Aland, Welche Rolle spielen Textkritik und Textgeschichte für das Verständnis des Neuen Testaments? Frühe Leseperspektiven, in: NTS 52 (2006) 303–318.

B. Aland, Sind Schreiber früher neutestamentlicher Handschriften Interpreten des Textes?, in: Transmission and Reception: New Testament Text-Critical and Exegetical Studies (FS C. C. Osburn) (Texts and Studies III/4), Piscataway (NJ) 2006, 114–122.

K. Aland / B. Aland, Der Text des Neuen Testaments. Einführung in die wissenschaftlichen Ausgaben sowie in Theorie und Praxis der modernen Textkritik, Stuttgart 22006.

M. Ebner / B. Heininger, Exegese des Neuen Testaments. Ein Arbeitsbuch für Lehre und Praxis (UTB 2677), Paderborn 32015.

H.-J. Fabry, Der Text und seine Geschichte, in: E. Zenger / C. Frevel u. a., Einleitung in das Alte Testament (KStTh 1/1), Stuttgart 92016, 37–66.

S. Kreuzer u. a., Proseminar I. Altes Testament. Ein Arbeitsbuch, Stuttgart 22005.

D. C. Parker, An Introduction to the New Testament Manuscripts and Their Texts, Cambridge 2008.

M. Tilly, Einführung in die Septuaginta (Einführung Theologie), Darmstadt 2005.

E. Tov, Der Text der Hebräischen Bibel. Handbuch der Textkritik, Stuttgart 1997.

D. Trobisch, Die 28. Auflage des Nestle-Aland. Eine Einführung, Stuttgart 2013.

H. Utzschneider / S. A. Nitsche, Arbeitsbuch literaturwissenschaftliche Bibelauslegung. Eine Methodenlehre zur Exegese des Alten Testaments, Gütersloh 42014.

Baustein AT: Kain und Abel (Gen 4)

Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden

Kennen

–(Assoziativ) Motive der Erzählung von Kain und Abel.

–Grundwissen zu MT und LXX.

Einstieg

Das Vorwissen der Lernenden zur Erzählung von Kain und Abel wird reaktiviert, indem z. B. anhand eines Bildes (provokativ: aus der Kinderbibel, wo viele vielleicht zum ersten Mal mit der Geschichte in Kontakt kamen) Assoziationen und Motivschritte der Erzählung gesammelt werden. Schließlich kann der Versuch unternommen werden, den Plot des ersten Geschwisterstreits so nachzuerzählen, wie er den Lernenden bekannt ist. Dieser virtuelle Text wird festgehalten, mit den biblischen Vorlagen konfrontiert und kritisch hinterfragt.

Erarbeitung / Vertiefung

An einem Ausschnitt aus der Erzählung von Kain und Abel, der Passage nämlich, in der der Hergang des Mordes erzählt wird (Gen 4,3–8), zeigen sich im Vergleich von masoretischem Text und Septuaginta Grundprobleme der Textkonstituierung.

Masoretischer Text8

Septuaginta

3a

Und es geschah nach Tagen:

Und es geschah nach Tagen:

b

Kain brachte von den Früchten der Erde ein Geschenkfür JHWH

Kain brachte dem Herrn von den Früchten der Erde ein Opfer

4a

und auch Abel brachte von den Erstgeborenen seines Kleinviehs, und zwar von ihrem Fett,

und auch Abel brachte von den Erstgeborenen seiner Schafe, und zwar von ihrem Fett,

b

und es sah JHWH auf Abel und auf sein Geschenk;

und es sah Gott auf Abel und auf seine Gaben;

5a

und auf Kain und sein Geschenk sah er nicht

auf Kain aber und auf seine Opfer gab er nichts

b

und es brannte in Kain sehr

und er machte den Kain sehr traurig

c

und es fiel sein Gesicht.

und er fiel zusammen am Gesicht.

6a

Und JHWH sagte zu Kain:

Und Gott der Herr sagte zu Kain:

b

Wozu brennt es in dir

Wozu wurdest du so traurig

c

und wozu fiel dein Gesicht?

und wozu fiel dein Gesicht zusammen?

7a

Ist es nicht so: Wenn du es gut sein lässt, kannst du ertragen

Ist es nicht so: Wenn du richtig darbringst,

b

und wenn du es nicht gut sein lässt,

aber nicht richtig zuteilst,

c

als Anlass der Verfehlung lagert er (Abel).9

sündigst du nicht?

d

Sei ruhig,

e

Zu dir hin ist sein Verlangen

zu dir hin ist seine Hinwendung,

f

und du wirst über ihn herrschen.

und du wirst ihn beherrschen.

8a

Und Kain sagte es zu Abel, seinem Bruder,

Und Kain sagte zu Abel, seinem Bruder:

b

Lass uns in die Ebene gehen.

c

und es geschah, als sie auf dem Feld waren,

Und es geschah, als sie in der Ebene waren,

d

da erhob sich Kain gegen Abel, seinen Bruder,

da erhob sich Kain gegen Abel, seinen Bruder,

e

und tötete ihn.

und tötete ihn.

Auswerten lässt sich der Textvergleich anhand der folgenden Leitfragen:

1. Welche Unterschiede sind stilistisch begründet?

Hier sind zu nennen die Differenz von Feld und Ebene (V. 8c), die keinen offensichtlichen Einfluss auf Theologie oder Erzählsituation hat, sowie die Varianz des Gottesnamens: Im MT steht das „Tetragramm“ JHWH. Aus Respekt wird dieser Name Gottes allerdings nicht ausgesprochen, sondern durch andere Bezeichnungen wie „Herr“ oder „Gott“ ersetzt.10 Dies wird sichtbar in der LXX, wo durchgängig die Funktionsbezeichnung „Herr“ steht, in V. 6a zusätzlich die generische Bezeichnung „Gott“.

2. Wie unterscheiden sich der Tathergang und die Charakterisierung Gottes und Kains? Welche Wirkung auf den Leser und die Leserin wird dadurch erzielt?

Beim Tathergang fällt auf, dass im LXX-Text die Opfer / Gaben von Kain und Abel (V. 3b.4b) und die Reaktion Gottes (V. 4b.5a) begrifflich auseinandergehalten werden. Zudem wird Kain in V. 8b eine wörtliche Rede zugewiesen, mit der er seinen Bruder einlädt, mit ihm zum Ort des Mordes zu kommen.

Die Reaktion Gottes auf die Brüder und ihre Gaben bezeichnet die LXX in V. 4b und 5a, anders als im MT, mit unterschiedlichen Verben. Dadurch wird die negative Reaktion auf Kains Opfer verstärkt; dessen Opfer erscheint als umso stärker zurückgewiesen. So löst Gott auch das Gefühl der Traurigkeit bei Kain aus, das im MT noch ganz im Inneren Kains entsteht. Die Gottesrede liefert schließlich ein Element, das im MT von vielen Auslegungen schmerzlich vermisst wird: eine Begründung, warum Gott sich den Gaben der Brüder gegenüber so unterschiedlich verhält. Laut LXX ist die Ursache dafür ein formaler Fehler Kains beim Opfer, den Gott als Sünde interpretiert.11 Während hier die Anknüpfungspunkte an den MT nur sehr lose erkennbar sind,12 gibt es eine gewisse Entsprechung in der Mahnung zur Ruhe: In der LXX spricht Gott einen Imperativ aus, im MT dagegen argumentiert Gott, das Geschehene zu akzeptieren, indem er Kain zwei Handlungsalternativen zur Auswahl stellt (V. 7a–c). V. 7d–f LXX sind dagegen nur schwer in Kohärenz zu bringen. Der aktive Anteil Gottes wird also in der LXX im Vergleich zum MT verstärkt; außerdem bringt Gott den Fehler des Kain und damit die Ursache für seine Zurückweisung zur Sprache, die aus der parallelen Darstellung V. 3b und 4a nicht zu ersehen waren.

Während Kain13 im MT in seiner emotionalen Verfassung nach einer nicht offensichtlich begründeten Zurückweisung seiner Gabe gezeigt wird, die Gottesrede ausschließlich an dieser Verfassung zu arbeiten sucht und die Tat ohne genaue zeitliche Anbindung an die Gottesrede geschieht, widersetzt sich der Kain der LXX unmittelbar dem Appell Gottes, er solle ruhig bleiben, und inszeniert den vorsätzlichen Mord an seinem Bruder in der Ebene. Affektiv erscheint dieser umso unvermittelter, als nach der Gottesrede der LXX ja die Ursache für die Zurückweisung explizit bei Kain selber zu suchen ist.

Somit füllt die LXX-Fassung Leerstellen, die der MT produziert, schafft aber dadurch in V. 7bc eine neue: Sie portraitiert Gott mehr als Ritualempfänger und Weisungsgeber denn als beratenden Gesprächspartner und verstärkt die negativen Züge Kains.

Weiterführung

Diskutiert werden kann im Anschluss, welche Entscheidungen die Herausgeber einer (Schul-/Kinder-)Bibelübersetzung treffen müssten, wenn sie diesen Text edieren. Anhand von verschiedenen Bibelausgaben, die von den Lernenden mitgebracht werden, kann dann nachvollzogen werden, welche Textvarianten jeweils abgedruckt sind und inwiefern in den Bibelausgaben solche Entscheidungen transparent gemacht werden.

Erkenntnisgewinn (Text) / didaktischer Abschluss

Meist unbewusste Interpretations- und Überblendungsvorgänge beeinflussen unser Verständnis eines biblischen Textes: Wir sind ihm in Visualisierungen, Erzählungen, Übersetzungen begegnet. Die Konfrontation mit diesem erzählerisch offenen Text des MT, der besonders im Vergleich mit einer bereits tendenzverstärkenden Version der LXX seine Wirkung zeigt, regt an, ins theologische Reflektieren zu kommen: Welche Frage will diese eindrückliche Geschwistergeschichte eigentlich beantworten, welche Lebenserfahrung spiegelt sich in ihr, und welche Fragen wirft sie schließlich auf?

Literatur zur Textstelle

Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, hrsg. von W. Kraus / M. Karrer, Stuttgart 2009.

J. Erzberger, Kain, Abel und Israel. Die Rezeption von Gen 4,1–16 in rabbinischen Midraschim (BWANT 192), Stuttgart 2011.

J. C. Gertz, Variations autour du récit du Caïn et Abel, in: RHPR 94 (2014) 27–50.

K. Heyden, Die Sünde Kains. Exegetische Beobachtungen zu Gen 4,1–16, in: BN 118 (2003) 85–109.

B. Janowski, Jenseits von Eden. Gen 4,1–16 und die nichtpriesterschriftliche Urgeschichte, in: H. Lichtenberger / A. Lange / K. F. D. Römheld (Hrsg.), Die Dämonen. Die Dämonologie der israelitisch-jüdischen und frühchristlichen Literatur im Kontext ihrer Umwelt, Tübingen 2003, 137–159.

W. Kraus / M. Karrer (Hrsg.), Septuaginta deutsch. Erläuterungen und Kommentare, Bd. 1: Genesis – Makkabäer, Stuttgart 2011.

J. N. Lohr, Righteous Abel, Wicked Cain. Genesis 4:1–16 in the Masoretic Text, the Septuagint, and the New Testament, in: CBQ 71 (2009) 485–496.

Baustein NT: Der „kleine Unterschied“: ein weiblicher Apostel?

Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden

Kennen

–Im Idealfall: das griechische Alphabet.

–Grammatische Grundbegriffe.

–Grundwissen zu den Quellen: Neues Testament – altkirchliche Übersetzungen des NT – altkirchliche Literatur.

Einstieg

Im 16. Kapitel des Römerbriefs schreibt Paulus eine ganze Reihe von Grüßen an Personen nieder, die er gut kennt oder die sich besonders für die Gemeinde engagieren. Je nachdem, welche Bibel aufgeschlagen wird, findet sich dabei aber ein erstaunlicher „kleiner Unterschied“ in V. 7, den die Lernenden im Textvergleich feststellen können:

Einheitsübersetzung:14

Grüßt Andronikus und Junias, die zu meinem Volk gehören und mit mir zusammen im Gefängnis waren; sie sind angesehene Apostel und haben sich schon vor mir zu Christus bekannt.

Lutherbibel:15

Grüßt Andronikus und Junias, meine Stammverwandten und Mitgefangenen, die berühmt sind unter den Aposteln und schon vor mir Christen waren.

King James Version:16

Salute Andronicus and Junia, my kinsmen, and my fellow prisoners, who are of note among the apostles, who also were in Christ before me.

Münchener Neues Testament:17

Grüßt Andronikos und Junia, meine Volksgenossen und meine Mitgefangenen, welche ausgezeichnet sind unter den Aposteln, die auch vor mir gewesen sind in Christos.

Die ersten beiden Übersetzungen halten „Junias“ offensichtlich für einen Mann, die anderen für eine Frau. Besonders brisant ist dies, weil die Person wie auch Andronikus als „Apostel“, sogar als angesehene/r, bezeichnet wird. Wer hat aber recht? Ein Blick in die Textgeschichte hilft …

Erarbeitung / Vertiefung

Zunächst werden die Arbeitsübersetzungen des Verses Röm 16,7, wie er in drei verschiedenen antiken Handschriften überliefert ist, verglichen.18 P46 ist der älteste der drei Textzeugen, ein Papyrus, entstanden wahrscheinlich um 200 n. Chr. Der Codex Sinaiticus () ist nach seinem Fundort, dem Katharinenkloster im Sinai, benannt, die Pergamenthandschrift der vollständigen Bibel stammt aus dem 4. Jh; der Codex Alexandrinus (A) stammt aus dem 5. Jh.19

P46(Chester Beatty Papyri)

01 (Codex Sinaiticus)

A 02 (Codex Alexandrinus)

7a

Grüßt Andronikus und Julia (IOULIAN),

Grüßt Andronikus und Junia / Junias (IOUNIAN),20

Grüßt Andronikus und Junia / Junias (IOUNIAN),

b

die zu meinem Volk gehören(,)

die zu meinem Volk gehören

die zu meinem Volk gehören

c

und (diejenigen,) die21 meine Mitgefangenen waren,

und meine Mitgefangenen waren,

und meine Mitgefangenen waren,

d

jene ragen unter den Aposteln hervor,

jene ragen unter den Aposteln hervor

jene ragen unter den Aposteln hervor

e

er22 kam schon vor mir zu Christus.

[Lücke] und kamen schon vor mir zu Christus.

und sie kamen schon vor mir zu Christus.

Nach einem Textvergleich mit Markierung der Unterschiede erhalten Kleingruppen die Aufgabe, eine These zu erstellen und zu diskutieren:

–Welche Lesart des Verses ist die ursprünglichere? Wägen Sie dabei gegeneinander ab: das Kriterium der besten Bezeugung und der schwierigeren Lesart.

–Wenn Sie sich für eine ursprüngliche Lesart entscheiden, wie lassen sich dann die Fehler der anderen Manuskripte schlüssig erklären?

Die Thesen werden im Plenum diskutiert. Dabei können folgende Argumente vorgebracht werden:

–P46 ist die älteste Handschrift. In ihr ist eine weibliche Form überliefert.

–Die von zwei hochwertigen Handschriften vertretene und damit besser bezeugte Form des Namens lautet „Junia/s“. Dies spricht gegen „Julia“. Zudem ist „Julia“ der gebräuchlichere Vorname, was die schwierigere Lesart „Junia/s“ nahelegt.

–P46 ist eindeutig, indem er, vielleicht auch aufgrund eines Hörfehlers, den gebräuchlichen Namen „Julia“ eingefügt hat. Da er auch im V. 7e eine einmalige und grammatisch nicht schlüssige Formulierung hat, gehört er jedoch an dieser Stelle nicht zu den zuverlässigsten Textzeugen.

Fazit: Der ursprüngliche Text heißt mit großer Wahrscheinlichkeit „Grüßt Andronikus und Junia / Junias“. Dies bestätigt auch die textkritische Ausgabe des Neuen Testaments.23 Die Ausgangslage hält wegen der Akkusativformulierung beide Möglichkeiten offen; die Frage nach dem „kleinen Unterschied“ ist aufgrund des Textbefundes allein nicht entscheidbar, jedoch tendiert sie – wenn wir nur diese drei Manuskripte vergleichen – zur weiblichen Form.

Mit einem so offenen Entweder-Oder werden sich die Lernenden und die Forschung aber nicht zufrieden geben: In den Bibelübersetzungen, bei der Lesung im Gottesdienst muss dem Publikum gegenüber einer Version der Vorzug gegeben werden – und dies mit plausibler Begründung. Schließlich handelt es sich aufs erste Hören um eine brisante Stelle, läge hier doch die im NT einmalige lobende Bezeichnung einer Frau als „Apostel“ vor.24

Um in der Frage nach Junia oder Junias weiterzukommen, benötigen wir also weitere Informationen aus der Text- und Interpretationsgeschichte. Über unsere drei Beispieltexte hinaus hat die Forschung noch mehr Indizien gesammelt,25 die die Leitung am besten im Vortrag präsentiert. Doch um die Argumentation verstehen zu können, ist ggf. zuerst eine Vergewisserung über die philologischen Hintergründe notwendig.

Der unakzentuierte Name IOUNIAN steht im griechischen Akkusativ. Zwei verschiedene Betonungen (bzw. Akzentsetzungen) sind möglich, denen unterschiedliche Nominative zugrunde liegen. Über sie lassen sich nach bisherigem Forschungsstand folgende Informationen erheben:26

Wie lassen sich nun mit Hilfe der textkritischen Daten die Möglichkeiten beurteilen?

–Die eindeutig männliche Form Ἰουνιᾶς hat eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit: Keine Bibelhandschrift schreibt so; kein antiker Mann diesen Namens ist uns bekannt; als Abkürzung wäre diese Namensform ungewöhnlich.

–Ein männlicher Ἰουνίας steht in Sachen Abkürzung und Onomastik vor dem gleichen Befund, wenn nicht eine Gräzisierung eines hebräischen Namens postuliert wird. Mit dem Akzentbefund der Handschriften ist er vereinbar. Zudem setzen wenige antike bzw. mittelalterliche Ausnahmen ein maskulines Verständnis des Namens explizit voraus.

–Ἰουνίαν ist nach Auskunft von Onomastik, Übersetzungen und Kirchenvätern von einer wesentlich höheren Zahl von Rezipienten als Frauenname verstanden worden – doch muss er deshalb auch so gemeint gewesen sein?

–Fazit: Wir können einen Männernamen aufgrund des textkritischen Befunds und der Rezeptionsgeschichte nicht mit Sicherheit ausschließen. Doch ist diese Annahme voraussetzungsreicher als die eines Frauennamens: Der Name existiert bisher nur hypothetisch, und die Mehrheit von Übersetzern müsste ihn missdeutet haben. V. a. aber die Rezipienten können ohne Weiteres eine weibliche Junia verstanden haben – und nichts deutet darauf hin, dass man in der Antike Anstrengungen unternommen hätte, um ein dermaßen auf der Hand liegendes Verständnis auszuschließen – die Frage wird schlicht nicht thematisiert.29 Im Gegenteil: Offensichtlich gibt es prominente christliche Stimmen, vor allem aus der frühen Tradition, die sich eine klar weibliche „Apostelin Junia / Julia“ problemlos vorstellen konnten – angefangen vom Verfasser unseres ältesten Textzeugen P46 über die Übersetzer der Bibel ins Lateinische, Koptische und Syrische bis hin zu einem Theologen wie Johannes Chrysostomos.

Weiterführung

Das Reservoir der textkritischen Begründung ist an dieser Stelle ausgeschöpft. Doch um die Diskussion um eine „Apostelin Junia“ abzurunden, führen folgende Beobachtungen weiter:

–Dass Paulus in Röm 16,7 an ein Ehepaar gedacht haben könnte, konvergiert mit 1 Kor 9,5: Dort erwähnt er, dass Petrus und die übrigen Apostel mit einer Frau unterwegs waren! Zudem kennt die Grußliste des Römerbriefs zwei weitere Paare: die „Mitarbeiter“ Priska und Aquila (Röm 16,3 f.; vgl. Apg 18,2) sowie Philologus und Julia (Röm 16,15). Obwohl beide Frauen wichtige Stützen der Ekklesia sind, sind sie m. W. nie in ein textkritisches Kreuzfeuer geraten.