Das Bildnis des Todes - Thomas W. Schmidt - E-Book

Das Bildnis des Todes E-Book

Thomas W. Schmidt

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Beschreibung

Jules Dupont aus Paris erhält von seinem Onkel, dem ehemaligen Rechtsanwalt Arthur Morin, eine außergewöhnliche Schenkung. Dabei handelt es sich um Gemälde Pierre-Auguste Renoirs, Caspar David Friedrichs, Spitzwegs und Picassos. Zudem existiert auch eine Mappe mit Grafiken von Marc Chagall. Der Wertumfang allein der Gemälde beträgt über fünf Millionen Euro. Allerdings ist diese Schenkung mit einer Auflage verbunden: Dupont ist es untersagt, sie zu veräußern. Warum? Welches Geheimnis verbirgt Onkel Morin? Geblendet vom Wert der Bilder denkt Dupont darüber nach, wie er diese Auflage umgehen könne, und es dauert auch nicht lange bevor der erste Mord geschieht.

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Seitenzahl: 340

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Impressum

Autor:

Thomas W. Schmidt

Titel:

Das Bildnis des Todes

Verlag: © nexx verlag gmbh, 2014 (www.nexx-verlag.de) . Alle Rechte vorbehalten.

Erscheinungstermin: Dezember 2014

ISBN/EAN: 9783958700093

Die Personen und die Handlung sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen ist rein zufällig und nicht beabsichtigt.

»Nur die Lüge braucht die Stütze der Staatsgewalt, die Wahrheit steht von alleine aufrecht.«

Benjamin Franklin (1706-1790)

1. Kapitel: Die Villa in der Rue Tahère

5. April, 2005.

Nach schlaflosen Nächten setzte sich Dupont mit seinem Freund, Janis Perrin, telefonisch in Verbindung: „Ich benötige deine Hilfe! Schön wäre, wir würden uns treffen und unter vier Augen reden!“

„Dann komm in einer Stunde in das Café von Morel in der Rue Saint-Charles! Dort sind wir ungestört. Ich nehme an, es geht um höhere Beträge.“

Perrin, geschieden, früher im Polizeidienst tätig und ehemaliger Savate-Kämpfer, war ein eher unauffälliger Typ. Man hatte ihn aus dem Polizeidienst entlassen, angeblich wegen Kompetenzüberschreitungen. Zudem trotzte er der Bürokratie innerhalb der Behörden.

Perrin machte sich irgendwann in der Antiquitätenbranche selbstständig und lernte die Unterwelt aus neuem Blickwinkel kennen. Dies lag daran, dass man ihm hin und wieder unsaubere Ware zum Kauf anbot. Im Geheimfach eines alten Schreibsekretärs fand er ein Kilogramm Heroin. Jenes Möbelstück hatte man ihm zum Schleuderpreis untergejubelt, wohl versehentlich. Da eine Anzeige gegen unbekannt endlose Verhöre nach sich ziehen würde, schmiss er den Stoff einfach in die Seine.

Dupont und Perrin trafen sich also in besagter Gastronomie. Musik dämpfte die Gespräche der Gäste ringsum. „Mein Onkel schenkt mir etwas“, so Dupont. „Wie ich dazu komme, weiß ich selbst nicht.“

„Du machst mich neugierig. Ich denke, es ist die Sechsfamilienvilla in Saint-Cloud. Greif nur zu, denn dieser Außenbezirk ist ein begehrtes Pflaster für Einbrecher! Sie schrecken auch vor Mord nicht zurück. Du könntest das Grundstück verkaufen, wenn du es nicht selbst nutzen willst. Bestimmt wirst du es reißend los.“

„Ich müsste das Gebäude sanieren und dazu fehlen mir die Mittel. Ein Verkauf läge schon nahe.“

„Also, was bekommst du nun? Mach es nicht so spannend!“

„Eine Bildergalerie, obwohl mein Onkel mich nie mochte. Dieser Besitz könnte das Leben unserer Familie grundlegend verändern. Ich weiß nicht, ob ich das will. Mein Onkel hat mir diesbezüglich ein Einschreiben gesandt. Allerdings darf ich keines der Bilder verkaufen. Ich muss versuchen, diese Klausel zu umgehen. Nach eigenen Aussagen war mein Onkel passionierter Sammler. Es könnte schon sein, dass mir die Villa eines Tages auch noch gehört. Es ist ein Prachtbau von 1905. Mein Onkel nutzte ihn als Anwaltskanzlei und für Wohnzwecke. Unsere Tochter Léa wohnt mit ihrer Familie in Limoges. Sie ist wohl kaum an solch einer Immobilie interessiert, zumal sie im Außendienst tätig ist. Und für Antiquitäten hat sie auch kein Faible. Jedenfalls hatten wir noch nie die Gelegenheit, in diesem Umfang zu erben. Mein Onkel hat sich in Megève, einem Ferienort in den Alpen, eine Wohnung gemietet. Dort will er den Lebensabend mit seiner Gefährtin Clara Degas verbringen. Nebenbei gesagt, ich habe sie noch nie zu Gesicht bekommen.“

Perrin war fasziniert. „Man schenkt dir also die millionenschwere Bildergalerie? Irgendwann hast du mir von deren Existenz berichtet.“

„Stimmt - Gemälde von Renoir sind wohl auch dabei. Ich verstehe nur wenig von Kunst und spiele mit dem Gedanken, den Großteil der Bilder zu verhökern. Wir können es uns gar nicht leisten, sie alle aufzuhängen. Und gefährlich ist es auch. Zudem soll eine Bande von Kunstmardern umgehen. Kurzum, du sollst mich beim Verkauf der Bilder unterstützen!“

„Blanker Wahnsinn! Nun ja, mich wundert’s nicht. Saint-Cloud gehört zu den Hochburgen in puncto Kunst und Antiquitäten und dein Onkel zu den wohlhabendsten und erfolgreichsten Anwälten von Paris. Wie hätte er diese Sammlung sonst auf die Beine stellen können? Jedenfalls werde ich dir beim Verkauf helfen. Du bist also entschlossen, die Schenkung anzunehmen?“

„Keine Frage, denn das Angebot ist verlockend. Allerdings wäre es für mich ein Risiko, das Geschäft allein in die Hand zu nehmen - man könnte mich nach allen Regeln der Kunst über den Löffel balbieren.“

„Also werde ich versuchen, dich an seriöse Kunden zu vermitteln. Dies erfordert nicht nur zeitlichen sondern auch materiellen Aufwand. Und was springt für mich heraus? Du weißt, ich betreibe ein Gewerbe und ich muss Miete zahlen. Von etwas leben muss ich auch. Als Käufer würde ich durchfallen, denn einen Renoir könnte ich nie bezahlen. Ich bin Kleinunternehmer, der irgendwann vom Trödeln loskommen will. Das Einzige was ich besitze ist Gespür für antikes Inventar.“

„Und im Kontakt mit mir hat es sich bestätigt.“

„Eben nicht! Ich hätte doch nie gedacht, dass du mal ein solches Erbe antrittst.“

„Ich kann’s noch gar nicht fassen! Jedenfalls sollte der Verkauf an Privatkunden erfolgen und nicht an Gewerbetreibende. Ich habe sogar noch eine Detektivin an der Hand. Sie verfügt über eine Art Strafregister von Kunsthändlern. Dies könnte von Nutzen sein.“

„Hör mir auf mit Detektivinnen! Woher kennst du sie?“

„Sie gehörte zum Bekanntenkreis meiner verstorbenen Eltern. Warum soll ich dir den Namen verheimlichen? Es ist Inès Gauthier. Sie lebt hier in Paris und ist auch Kunstsachverständige.“

„Hab den Namen schon gehört.“

„Nach deiner Mimik zu urteilen, ist sie dir ein Begriff. Warum hältst du damit hinterm Berg?“

„Typisch für einen Psychologen – du kannst Gedanken lesen! Gauthier war kürzlich in meinem Laden, nicht um etwas zu erwerben, sondern wegen einer Rückforderung. Ich kaufte im März eine goldene Sprungdeckeluhr der Firma Lange & Söhne an und habe mir vom Anbieter keine Personalien geben lassen - meine Schuld! Dann stellte sich heraus, dass diese Uhr gestohlen war. Ich weiß nicht einmal, wer mir diese Detektivin auf den Hals geschickt hat. Sicher war es der Geschädigte selbst. Er gab sich nicht einmal zu erkennen, womöglich der Anonymität wegen. Gauthier kam gleich mit der Nummer des Uhrgehäuses zu mir und forderte die Ware zurück. Sie hat eben ihre Informanten. Sie gewinnt sie, weil sie bei Straftaten beide Augen zudrückt. Ich glaube noch immer, man hat mich bewusst reingelegt. Man kann einen Artikel auf diese Art auch zwei Mal verkaufen. Angeblich war der Anbieter dieser Uhr ein gewöhnlicher Dieb, der schnellem Geld nachjagte. Nun stehe ich auch auf Gauthiers Liste. In welcher Beziehung stand sie zu deinen Eltern?“

„In rein Privater. Hast du Vorurteile bei weiblichen Ermittlern? Manchmal sind sie erfolgreicher als männliche Kollegen, wenn sie neben ihren Aktivitäten auch Charme spielen lassen.“

„Charme dürfte bei Gauthier keine Rolle spielen - sie hat keinen!“

„Also hast du doch Vorurteile!“

„Ja, weil sie mir auf den Nähten gekniet ist. Sie hat mich gezwungen, die Uhr stehenden Fußes herauszugeben. Soll ich mich etwa um Ware streiten, die mir gar nicht gehört? Manche Händler fordern Besitznachweise oder fingieren Ankaufbelege. Vor einem Jahr wurde eine Kirche in der Normandie ausgeraubt. Bei jenem Diebesgut handelte es sich um diverse Holzschnitzereien aus dem siebzehnten Jahrhundert. Vor einiger Zeit hat man mir Derartiges zum Schleuderpreis angeboten, was mich argwöhnisch machte. Ich gab vor, finanziell nicht flüssig zu sein und habe den Ankauf vorerst abgelehnt. Zudem notierte ich mir die Adresse des Anbieters. Dass ich sie ohne Weiteres bekommen habe, lässt vermuten, dass Betreffender am Raub nicht beteiligt war. Sicher war ich mir natürlich nicht. Auf diese Weise ist eine Namensliste entstanden. Mir wird alles Mögliche auf dem Ladentisch präsentiert. Die Ware reicht von Tinnef bis Alt-Meißner Porzellan. Ich wurde auch schon von Fahndern getestet. Sie haben mir Diebesgut angeboten, um herauszubekommen, ob ich den einen oder anderen Bruch nicht etwa in Auftrag gegeben hätte. Jedenfalls ist unsereiner nicht der Beliebteste unter den Gewerbetreibenden. Das liegt daran, dass Ermittler und Steuerfahnder selten etwas von Kunst verstehen. Selbst Steuerberater haben Probleme mit Steuererklärungen der Kunsthändler. Um wieder auf die Schenkung deines Onkels zurückzukommen: Zunächst ist es wichtig, sie zu schützen! Sind‘s schöne Bilder?“

„Ich habe sie nie gesehen, doch wegen der Berühmtheit der Maler gehe ich davon aus. Bisher habe ich mich nie für Gemälde interessiert - das bereue ich!“

„Und wann zeigst du mir die Bilder?“

„Wann immer du willst, aber wir müssen nach Saint-Cloud fahren, und zwar in die Rue Tahère. Die Bilder befinden sich in einem Speicher. Ich bin im Besitz der Schlüssel und darf überall hin. Mein Onkel hat sie mir übergeben, als er das letzte Mal in Paris war.“

„Und das Schloss kann man mit einem Nagel öffnen!“

„So einfach ist es nicht - die Tür ist mehrfach gesichert!“

„Zu viele Schlösser sind verräterisch.“

„Soll man Kunst im Treppenhaus aufbewahren? Niemand weiß von deren Existenz - dafür hat mein Onkel gesorgt.“

„Wenn er Stillschweigen gewahrt hat? Dazu gehört auch, auf Taxierungen zu verzichten oder sie nicht öffentlich zu machen.“

„Daran hat mein Onkel bestimmt gedacht!“

„Es gibt windige Schätzer, die Haushalte ausspionieren und es darauf anlegen, die Preise im Auftrag dubioser Händler zu drücken. Auktionskataloge jedenfalls müssen nicht neu sein - Anhaltspunkte zur etwaigen Wertermittlung liefen sie in jedem Fall.“

„Onkel Morin lebte bislang zurückgezogen, die Privatsphäre betreffend. Die Villa wird derzeit von einem Wächter mit Hund bewacht. Er dreht tagsüber seine Runden. Zudem schaltet sich nachts eine automatische Beleuchtung ein. Und dann ist der Haupteingang mit einer Scheinbeschilderung versehen. In der Rue Tahère 60 befindet sich neuerdings der Kalender-Verlag von Alain Petit.“

„Besser als nichts. Wenig sinnvoll ist es, tagsüber Wache zu schieben. Ich will damit sagen, dass die Bilder schleunigst aus diesem Grundstück müssen. Bedenke, Antiquitätenmarder und Metalldiebe treiben in leer stehenden Gebäuden ihr Unwesen! Etwas ist dort immer zu holen.“

„Du machst mir Angst!“

„Das ist so gewollt - Angst macht vorsichtig. Es ist ein Jammer, wie leichtfertig dein Onkel mit Kunstschätzen umgeht! Er scheint die Bilder nicht zu mögen. Vielleicht liegt es auch an deren Herkunft.“

„Eigentlich müsste ich froh sein, wenn er sie abstoßen will, aus welchen Gründen auch immer!“

„Die Leute vererben oder verschenken eher Dinge, an denen sie nicht hängen. Du sagtest aber, dein Onkel war passionierter Sammler. Liegt darin nicht ein Widerspruch? Leute wie er müssten eher an ihren Werten kleben. Wie war das Verhältnis zwischen deinem Onkel und dir?“

„Eher schlecht. Morin nannte mich einen Versager, weil ich nicht in die Fußstapfen meines Vaters gestiegen bin. Mein Vater war Mediziner und ich konnte es nicht werden weil die schulischen Leistungen nicht ausreichten - was soll’s! Was die Sicherheit der Bilder betrifft, hast du recht! Ich vermute aber, dass sie sich erst seit Kurzem in dieser Villa befinden. Und dann schaut Morins frühere Anwaltsgehilfin nach dem Rechten.“

„Du siehst also, dass dein Onkel mit nationalem Kulturgut stiefmütterlich umgeht. Du sagtest, zwei Werke von Renoir befinden sich in besagter Sammlung. Warum dein Onkel die Bilder ausgerechnet in Saint-Cloud lagert, ist mir ein Rätsel. Dort treiben Langfinger ihr Unwesen und das in zunehmendem Maße. Morin könnte die Gemälde auch in seiner Wohnung in Megève aufbewahren, wenigstens vorübergehend. Du solltest sie einfach holen, wenn er sie nun mal loswerden will! Eine Schenkung zu Lebzeiten ist wenig problematisch - du sparst notariellen Aufwand. Der Abtransport der Bilder muss natürlich unauffällig vonstattengehen.“

„Hilfst du mir?“

„Zu jeder Zeit, denn mich plagen Neugier und Verlangen, eines der Werke zu besitzen!“

„Ich werde nicht kleinlich sein!“

Der Ober kam und nahm die Bestellung auf. Perrin und Dupont ließen sich je ein Baguette Parisienne und ein Bier kommen. Dupont übernahm die Rechnung unter der Maßgabe, er habe Perrin zu besonderem Anlass eingeladen. „Sehen wir uns?“, fragte Dupont. „Wir sehen uns und du legst fest, wann wir starten - ich führe den Transport durch!“

„Okay! Dann werde ich jetzt heimfahren.“

Dupont, zu Hause angelangt, stellte sein Fahrzeug ab und ging zur Pariser Bir-Hakeim-Brücke. Sie befand sich in der Nähe seiner Behausung. Dupont schaute auf die Seine und dachte nach. Heute Vormittag war ohnehin wenig Betrieb in der psychotherapeutischen Praxis und seine Frau Agnes schmiss den Laden auch mal ohne ihn. Notfalls konnte sie Patienten wegen eigenen Arztbesuches auch mal abwimmeln und neue Termine vergeben. Dupont überlegte, ob er seinen Freund tatsächlich in die Übernahme dieser Schenkung mit einbeziehen sollte. Würde Janis beim Anblick der Bilder durchdrehen? Doch in erster Linie befürchtete er Repressalien von Antikmardern, die über kurz oder lang Kunde von jenem Besitz erhalten könnten. Also plante er, die Bilder bei Perrin zwischenzulagern.

Dupont rief seinen Onkel in Megève an. „Vielen Dank für das Einschreiben! Du avisierst die Schenkung deiner Gemäldesammlung? Ich kann es noch gar nicht fassen! Und nun wollte ich fragen, wann ich die Bilder holen darf. Möchtest du vielleicht zugegen sein? Es gibt ja schließlich viel zu bereden. Ich würde dich in Megève abholen, nach Saint-Cloud kutschieren und wieder zurückbringen. Was sagst du?“

„Warum diesen Aufwand? Wir treffen uns später - momentan fehlt mir die Zeit. Du musst vorher anrufen, wenn du mich besuchen willst! Ich bin trotz meines fortgeschrittenen Alters viel unterwegs und mit meiner Lebensgefährtin Clara allein kannst du nichts anfangen. Vor allem will ich nicht, dass jemand meine neue Adresse erfährt. Ich verlange also Diskretion! Einige meiner Mandanten sind oder besser gesagt waren mit mir nicht zufrieden. Man kann’s niemandem recht machen, vor allem im Anwaltsgeschäft. Sagen wir es so: Es kann Nachforderungen von einigen meiner Klienten geben. Damit hast du allerdings nichts zu schaffen!“

„Und was haben diese Nachforderungen mit der Schenkung zu tun?“ Morin wich der Frage aus. „Ich war wohl vom Thema abgekommen. Jedenfalls fragen die Kunden nicht nach meinem Gesundheitszustand. Und dass ich im Ruhestand bin, interessiert auch niemanden. Falls mein Aufenthaltsort publik würde, bekäme ich ständig Besuch. Natürlich halte ich die Verbindung zu einigen meiner früheren Kunden aufrecht, allerdings per E-Mail oder mit einem Postschließfach. Was die Bilder betrifft, hol sie nur schnell! Und dann hatte einer meiner Mandanten eine Vorliebe für Raubkunst. Sie fiel in meine Hände und jetzt ist Gras über die Sache gewachsen. Maitre weiß auch davon. Die Nazis hatten jüdischen Besitz in Form von Ölbildern beschlagnahmt, der in den sechziger Jahren in einem Pariser Ramschladen aufgetaucht ist. Es sind Schinken, für die ich nun gar nichts übrig habe - Malerei des Kubismus ist nicht mein Ding. Die Bilder befinden sich in einem Verschlag.“

„Soll ich dieses Geschenk wirklich annehmen?“

„Du musst, bevor ich tot bin! Ich bin über siebzig und mein Gesundheitszustand ist nicht der Beste. Hinzu kommt die angeschlagene Psyche. Aus diesem Grund war ich saumselig.“

„Hast du einen Arzt konsultiert? Siebzig ist noch kein Alter!“

„Schön, dass du mir Mut manchen willst – ich werd drüber nachdenken! Jedenfalls ist es lange her, seit dem ich das letzte Mal in meinem Grundstück war. Wie du weißt, gibt es neben einem Wächter noch eine Kraft, die zwischendurch nach dem Rechten sieht. Es ist Lina Dubois, eine korpulente Blondine mit Haaren auf den Zähnen. Sie war viele Jahre meine Anwaltsgehilfin. Sie darf aber nur in die ehemaligen Büroräume und nur dafür hat sie einen Generalschlüssel. Dubois ist zwar zuverlässig, aber schwatzhaft veranlagt. Sie darf nichts von den Bildern erfahren. Außer dir ist Jan Maitre der Einzige, der meine neue Adresse hat und von den Gemälden weiß. Natürlich kennt er nicht jedes Motiv und kaum Signaturen. Zumindest ist er ein Vertrauter. Ich hatte ihn vor längerer Zeit in einem Prozess vertreten, obwohl er selbst Anwalt ist. Deshalb fühlt er sich zu Dank verpflichtet. Auch er wohnt in der Rue Tahère, nur fünf Häuser weiter. Irgendwann mache ich dich mit ihm bekannt. Wie du weißt, befindet sich meine Wohnung im vierten Stock. Sie ist zum Teil noch möbliert. Verlasse sie, wie du sie vorgefunden hast und vor allem, lass niemanden hinein! Im Flur steht nämlich ein alter intarsierter Barockschrank aus dem siebzehnten Jahrhundert. Es ist ein wahrer Blickfang und um die hunderttausend Euro wert. Die Existenz dieses Schranks lässt auf Vermögen schließen. Und im Wohnzimmer befindet sich eine alte über zwei Meter hohe Standuhr, datiert 1750. Es ist ein ausgefallenes Stück. Im Moment hänge ich noch daran. Die Räumlichkeiten hier in Megève sind zwar gemütlicher, dafür aber kleiner, und sie haben eine geringere Deckenhöhe. Ich weiß also nicht, wo ich Schrank und Uhr hinstellen soll. In der Villa gibt es auch einen Personenaufzug. Benutze ihn nicht! Falls du mit ihm stecken bleibst, hört niemand die Alarmglocke und du musst verrecken. Ich weiß auch nicht, ob dieser Aufzug noch funktioniert. Irgendwann wird er gebraucht. Also könntest du ihn testen lassen, bevor du die Bilder holst. Bis jetzt weiß niemand von deren Existenz. Die Stahltür im Treppenhaus hat zwei Sicherheitsschlösser. Man kann sie knacken, aber es nimmt Zeit in Anspruch. Schau auch gleich nach den Porzellanen in der Etage darüber und bedien dich! Wem soll ich sie sonst geben? Du weißt, ich habe keine Nachkommen. Ich ahne, was du jetzt sagen willst: Morin ist ein Kunstbanause und hat für antikes Inventar nichts übrig. Dem ist nicht so. Was dich betrifft, wirst du dich an diesen Besitz gewöhnen.“

„Ich finde keine Worte!“

„Schlechtes Omen für einen Psychotherapeuten, der seine Patienten gesund machen soll! Naja, bescheiden warst du schon immer, doch meist an der verkehrten Stelle. Du weißt, was du da bekommst? Und noch einmal zum Mitschreiben: Halte dich an die Auflage - nichts wird verkauft! Andernfalls hast du die Antik-Mafia am Hals und ich auch. Freilich wirst du die nötigen Tricks finden und meine Auflage umgehen. Das wäre der Fall, wenn du am Hungertuch nagen müsstest. Ich weiß nicht, wie du dein Leben überhaupt meistern willst! Von der Mentalität deines Vaters hast du nichts und von deiner Mutter nicht viel. Aber du bist der Sohn meines Bruders, mit dem ich immer zurechtgekommen bin. Schade, dass er schon tot ist! Nun, wir alle müssen mal abdanken. Apropos Finanzen: Wenn alle Stränge reißen, könnte ich dir etwas Geld leihen oder den Verkauf eines Bildes genehmigen. Letzteres wäre für mich sicherer. Wer weiß, ob du Schulden je zurückzahlen könntest. Und noch etwas: Im Hausflur befindet sich eine Videokamera, die mit meinem Computer gekoppelt ist.Du kannst die Aufnahmen abrufen. Ich hoffe, die Gerätschaften funktionieren noch! Die Kamera befindet sich in Nähe der Treppenhausbeleuchtung im Erdgeschoss. Bei ausgeschalteter Beleuchtung ist sie unsichtbar. Wenn die Lampe in Betrieb ist, blendet das Licht – ein Spezi hat die Kamera so installiert. Prüfe, ob es Fotos von ungebetenen Gästen gibt! Also – wir müssen jetzt Schluss machen!“ Morin hatte ohne sich zu verabschieden aufgelegt.

Dupont rief Perrin am späten Abend an. „Ich habe mit meinem Onkel telefoniert.“

„Und was hat er gesagt?“

„Er hat mich wieder mal gedemütigt. Für ihn bin ich ein Versager und womöglich auf Almosen anderer angewiesen.“

„Aber du bekommst dein Erbe noch zu Lebzeiten, und zwar als Schenkung. Also bist du in meinen Augen kein Versager!“

„Wenn du es so formulierst? Zudem hat mich Morin über die Existenz von Bildern aus dem Bereich der Raubkunst informiert.“ Perrin horchte auf. „Es könnte sich hier auch um Werke von Picasso handeln - darauf sollten wir uns konzentrieren!“

„Am besten, wir fahren schon morgen nach Saint-Cloud - mein Onkel lässt mir freie Hand!“

„Da habe ich einen wichtigen Termin!“

„Verschieb ihn - du könntest ein gutes Geschäft verpassen! Du hast selbst gesagt, ich soll mich um die Bilder kümmern!“

„Gut, ich verschiebe meinen Termin und bis nach Saint-Cloud ist‘s ja nur ein Katzensprung.“

„Auch mein Onkel ist dafür, den Abtransport der Gemälde nicht auf die lange Bank zu schieben. Wie gesagt, er hat seine frühere Anwaltsgehilfin beauftragt, hin und wieder nach dem Rechten zu sehen. Hoffentlich läuft sie uns nicht über den Weg. Mit meinem Onkel müssen wir jedenfalls nicht rechnen. Außerdem hat er gesagt, er müsse beim Räumen nicht zugegen sein. Das verstehe, wer will! Ansonsten wurde an alles gedacht. Im Hausflur befindet sich sogar eine Videokamera, gekoppelt mit einem Computer.“

6. April.

Dupont und Perrin fuhren also nach Saint-Cloud, um die ehemalige Anwaltskanzlei Morins in der Rue Tahère aufzusuchen. An der Vorderfront hing tatsächlich das Firmenschild mit der Aufschrift „Kalenderverlag Alain Petit“. Im Hof befand sich ein Vorgarten. Rhododendren hinter dem schmiedeeisernen Zaun versperrten die Sicht zum Hauseingang, doch das Hoftor stand offen. Dupont verfiel fast in Panik. Perrin mahnte zur Ruhe. „Vielleicht ist die frühere Anwaltsgehilfin zugegen und führt gerade eine Kontrolle durch.“ Die Männer öffneten die schwere Haustür und bewegten sich ins Treppenhaus. Es roch nach defekter Abflussleitung. Neonlampen flackerten gespenstisch. Dann waren Schritte zu hören. Perrin sprang in den Kellerhals. Eine Dame in Begleitung eines hageren Herrn kam gerade die Treppe herunter. Ihr Äußeres entsprach der Beschreibung Morins. „Wer sind Sie?“, fragte sie barsch. Dupont stellte sich vor: „Wenn’s Ihnen nichts ausmacht der Neffe Monsieur Morins. Ich habe die Schlüssel für die Eingänge, die sie allerdings offengelassen haben!“ Die Dame wurde verlegen. „Ich bin im Begriff, gleich wieder zu verschwinden - Lina Dubois! Ich sehe hier nach dem Rechten - Ihr Onkel hat mich dazu beauftragt“

„Kommen Sie in regelmäßigen Abständen?“

„Soweit es meine Zeit erlaubt, einmal pro Woche.“

„Alles in Ordnung?“

„Ich glaub schon! Hab noch mal nach den Fenstern gesehen, ob sie zu sind.“ Dubois versuchte, sich aus der Affäre zu ziehen. Grund war der misstrauische Blick Duponts. „Und das ist Monsieur Legrand von einer Fensterbaufirma. Die Balkontür in der Loggia war defekt. Von dort aus hätte man Zugang zu den Wohnungen des ersten Stocks. Was sich dort befindet, entzieht sich aber meiner Kenntnis. Jedenfalls hat die Reparatur einige Zeit in Anspruch genommen.“

„Dann lassen Sie mir die Rechnung zukommen, ich übergebe sie meinem Onkel! Haben Sie meine Adresse?“ Dupont war auf die Antwort Dubois’ gespannt. „Es gibt keine Rechnung - es bedurfte nur weniger Handgriffe. Ach übrigens will sich Ihr Onkel in drei Wochen mit mir in Saint-Cloud treffen. Da werde ich Bericht erstatten.“

„Gut, dann bin ich auch vor Ort - hab mit meinem Onkel Wichtiges zu besprechen!“ Dubois schaute finster drein. Womöglich kam es ihr ungelegen. „Und wer ist der Monsieur im Kellerhals? Man kann sein Gesicht in der Dämmerung gar nicht erkennen.“

„Er ist Mitarbeiter eines Sicherheitsunternehmens“, log Dupont. „Was ist denn hier so Interessantes eingelagert?“, fragte Dubois und zündete sich ein Zigarillo an - ihre Hände zitterten. „Nach den Sicherheitsschlössern zu urteilen, könnte man die Villa mit einer Festung vergleichen.“ Dubois machte eine Pause. „Man muss das Gebäude schon sichern. Die Bürotechnik ist zwar nicht die Neuste, aber sie funktioniert noch. Man könnte damit drei Gemeinschaftsbüros ausstatten. Gleiches trifft für das schöne Gebrauchsporzellan zu. Ich war über zwanzig Jahre bei Ihrem Onkel angestellt und hab in den Frühstücks- und Mittagspausen davon gegessen.“ Madame Dubois stemmte die Hände in die Hüften und schaute Dupont ungläubig an. „Sie als der Neffe müssten ja das Innenleben dieses Gebäudes kennen!“

Perrin hatte Madame Dubois beim Rauchen beobachtet. Er kannte die Marotten seiner Kunden zur Genüge. Sie lieferten sich mitunter wahren Nervenkriegen aus, wenn sie versuchten, ihre Ware im Preis nach oben zu treiben. In vorliegendem Fall erregte Dubois Misstrauen durch den Widerspruch, in den sie sich mit der angeblichen Fensterreparatur verwickelte. Und dann war Schwatzhaftigkeit im Spiel, die Kenntnis der Sachlage verriet. Möglicherweise misstraute Morin seiner früheren Mitarbeiterin, denn sie hatte lediglich Zugang zu den stillgelegten Gewerberäumen. „Dann werden wir mal“, sagte Dubois und verschwand mit ihrem Begleiter.

Dupont und Perrin stiegen in die obere Etage, um die ausgeführte Reparatur auf der Loggia zu besichtigen. Da war nichts. Besagte Balkontür ließ sich nämlich nur von innen öffnen. Der Staub auf den Scheiben des Balkonfensters war verräterisch. Dubois und Legrand hatten versucht, in das Gebäudeinnere zu schauen, doch durch die Stores war dies unmöglich. Die Spuren vierer Hände waren deutlich zu erkennen.

„Warum hat Dubois die Story mit der Reparatur erfunden?“, fragte Perrin. „Irgendetwas stimmt nicht! Dubois wollte ja auch wissen, was sich in diesem Speicher befindet. Vermutlich ist Sie über deine Rolle als Erbe nicht informiert. Sie wäre sonst vorsichtiger.“

„Da kannst du recht haben!“

„Hat dein Onkel in irgendeiner Weise Aufsehen erregt? Vielleicht schon mit eingeschränktem Zugang? Wer hat den Transport der Bilder in das Gebäude vorgenommen?“

„Vermutlich mein Onkel. Um sich einen Helfer zu nehmen, war er viel zu vorsichtig.“

„Ich frage mich trotzdem, warum er dieses Gebäude gewählt hat. Schauen wir uns die Bilder an – lass uns keine Zeit verlieren!“ Der Speicher war durch eine doppelt gesicherte Stahltür vom Treppenhaus zu erreichen. Dupont öffnete sie – vor ihm lag ein Raum mit spärlichem Licht. Dubois hatte wohl versucht, von der Loggia aus hineinzuschauen. Es roch nach Rauch, obwohl die Öfen seit Jahren nicht mehr benutzt wurden. Es waren türkisfarbene, über zwei Meter hohe Prunkstücke aus der Zeit des Jugendstils und. Hier also befanden sich besagte Gemälde. „Besser ist, wenn wir uns einschließen“, sagte Perrin. „Es ist nicht ausgeschlossen, dass Dubois noch einmal zurückkommt. Sie könnte vorgeben, etwas vergessen zu haben. Und der hagere Legrand mit seiner Schmalztolle? Er ist nie und nimmer Handwerker. Solche Leute haben immer ein Springmesser dabei – ich kenn mich aus. Wo befand sich sein Werkzeug?“

„Welches meinst du?“

„Sein Springmesser.“ Perrin lachte. „Solchen Leuten begegnet man nicht gern im Dunkeln.“

Dupont verschloss die Stahltür von innen. „Licht und Klima im Raum sind ungünstig für Gemälde“, sagte Perrin. Sie lehnten an der Wand, verpackt in Zellophan. Dupont nahm ein Messer und schnitt die Verpackung auf. Es kamen vier Werke zum Vorschein. Zwei davon enthielten unleserliche Signaturen und zwei waren Werke von Auguste Renoir. Dargestellt war Markttreiben irgendwo in Paris. Perrin hielt eines der Bilder ins Licht. „Impressionisten haben es mir besonders angetan, doch ich hab ein solches Werk noch nie in der Hand gehabt. Vor Jahren sah ich mal einen Renoir in Christies Auktionshaus, und zwar in der Avenue Matignon. Die Auktion erzielte mit einen Verkaufspreis von einer halben Million Euro. Was sagst du nun? Du bist jetzt eine reiche Sau! Vermögen kann einem aber auch Sorgen bereiten - denk daran! Es kommt natürlich darauf an, wie man damit umgeht. Ich sagte schon, die Bilder müssen schleunigst ausgelagert werden. Womöglich ist man gerade dabei, das Innenleben des Gebäudes auszuspionieren.“ Perrin nahm ein weiteres Paket in Augenschein. Darin befand sich eine Landschaft von Caspar David Friedrich. „Schon mit einem dieser Bilder könntest du dich zur Ruhe setzen.“

Die Männer sichteten die Sammlung stichprobenmäßig, wohl in der Eile. Das Gros bestand aus Werken von Renoir und Friedrich. Von Renoir existierten allein fünf Studien, die erst einmal zurückbleiben sollten. Sechs der Werke waren also für den Abtransport vorgesehen. „Und wo befinden sich nun die Werke der Raubkunst?“, fragte Perrin. „Laut Info meines Onkels in einem Verschlag.“

„In diesem Raum sind sie jedenfalls nicht. Wir müssen das Haus durchsuchen - ein Picasso kann Millionen bringen. Am besten ist, du rufst deinen Onkel noch mal an!“

Dupont stand an der Balkontür und schaute hinaus auf die Loggia. „Wovon träumst du?“, fragte Perrin. „Wir müssen handeln! Morgen fahren wir wieder her und holen den Rest mit meinem Kleintransporter. Gibt es noch mehr an Ware? Wo gute Bilder existieren, findet man meist auch gute Antiquitäten.“ Dupont hatte zwei Mappen mit Grafiken von Chagall gefunden. Sie lagen in einem Regal hinter einem Vorhang. „Wenn wir uns zu unserem Fahrzeug begeben“, so Perrin, „müssen wir damit rechnen, dass man uns beobachtet.“

Dupont ging also in den Keller und kam nach wenigen Minuten zurück. „Die Kellerfenster befinden sich über Terrain. Von dort aus kann man die Straße überblicken. Momentan gibt es nichts Auffälliges. Allerdings wird Dubois nicht so dumm sein und sich vor dem Grundstück postieren. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindet sich das Café Albert. Davor befindet sich eine Grünanlage. Du kannst den Beobachter kaum ausmachen. Wir werden uns in dieses Café begeben und die Lage peilen. Wenn die Luft rein ist, verladen wir die Bilder.“ Dupont fuhr seinen Wagen ins Grundstück. „Gibt es noch einen anderen Ausgang?“, fragte Perrin. „Wir können das Gelände nicht verlassen, ohne dabei gesehen zu werden.“

„Ja, einen zu einem Hinterhof. Dort müssen wir einen Zaun überspringen und gelangen dann über eine Seitengasse wieder in die Rue Tahère. So erreichen wir das Café, ohne gesehen zu werden.“ Die Männer nahmen diesen Weg. Die Terrasse des Cafés war zu zwei Dritteln besetzt. In einer der hinteren Tischreihen saß wie vermutet Dubois mit ihrem Begleiter. „Die beiden haben uns nicht kommen sehen“, sagte Dupont. „Ihr Blick ist auf das Tor der Hausnummer 60 gerichtet. Wenn wir es verschließen und so tun als würden wir fahren, verschwinden auch sie.“ Die Männer gingen den gleichen Weg zurück. Dupont fuhr seinen Wagen vom Hof und Perrin schloss das Tor. Dupont beobachtete das Café im Wageninnenspiegel. Tatsächlich, Dubois und Legrand verließen es, stiegen in ihr Fahrzeug und fuhren davon. „Die Typen sind nicht astrein!“, sagte Dupont. „Schlimm wäre, sie hätten Kenntnis von den Bildern!“

Perrin wusste nur zu gut, dass die Sicherheitsschlösser für Profis kein Hindernis waren. Er schlug vor, auch noch die Wohnung über dem Speicher unter die Lupe nehmen. Die Männer stiegen also in den zweiten Stock. Im Flur befanden sich Unmengen Gebrauchsporzellans und in den restlichen Räumen Figuren der Meißner Porzellanmanufaktur. „Was geschieht mit diesen Stücken?“, fragte Perrin. „Ich habe Kunden an der Hand, die sich auch für Porzellan interessieren. Frag deinen Onkel, ob er sich davon trennt - wir könnten auch daraus ein Geschäft machen!“

„Ich darf mich nach Herzenslust bedienen. Es ist gut, wenn wir für die nächste Aktion einen Kleintransporter haben. Jetzt kümmern wir uns erst einmal um die Bilder.“

Die Männer holten die Gemälde aus dem Lager, schlugen sie in Decken und legten sie ins Fahrzeug. „Es scheint zu funktionieren“, sagte Dupont, „wir sind unbeobachtet! Wie gehen wir die Sache morgen an? Lieber wäre mir übermorgen!“

„Du beliebst zu scherzen!“, so Perrin. „Ich hab’s im Gespür - man liegt uns auf der Lauer!“

„Du meinst Madame Dubois?“

„Oder jemand in ihrem Auftrag - du solltest sie nicht unterschätzen, auch wenn ihre Lügerei nichts taugt! Sie hat gesagt, sie träfe sich mit deinem Onkel. Daraufhin hast du geantwortet, dass du auch zugegen wärst. Dubois schien dies gar nicht zu gefallen. Frag deinen Onkel, ob es ein Treffen gibt!“

„Das werde ich tun!“

Dupont wusste, dass er auf Perrin angewiesen war. „Du hast recht - wir sollten den Abtransport der Ware nicht auf die lange Bank schieben!“

„Nicht wir, du!“, so Perrin. „Wenn du die nächste Fahrt unbedingt vertagen willst, muss ich mich eben danach richten!“

„Schon gut, die Fahrt morgen ist gebongt! Agnes könnte unsere Praxis für einen Tag schließen und wenn notwendig, auch länger.“ Die Männer fuhren also zurück. Nach etwa zehn Minuten gerieten sie in einen Stau, der sich partout nicht auflösen wollte. Dupont, am Steuer sitzend, stieg aus dem Fahrzeug und versuchte, das Stauende zu lokalisieren - es war nicht in Sicht. Dann lief er im Sturmschritt zurück. Schließlich wollte er die wertvolle Ladung im Auge behalten. Er zündete sich eine Zigarette an, obwohl er das Rauchen längst aufgegeben hatte. „Steig ein!“, sagte Perrin. „Du kannst nichts ausrichten, wir müssen warten! Vielleicht haben wir Glück und es gibt einen Ruck.“ Tatsächlich setzten sich die Fahrzeuge peu à peu in Bewegung. Dann tauchte die Zufahrt zu einem Bistro auf. „Essen wir ‘ne Kleinigkeit?“, fragte Dupont. „Der Tag ist sowieso gelaufen.“ Perrin akzeptierte. Die Männer parkten also und nahmen etwas zu sich. Nach einer Weile ging Dupont zum Ausgang des Bistros und schaute zur Straße - der Verkehr rollte. Plötzlich scherte ein Fahrzeug aus. Der Lenker war kein Geringerer als Legrand. Er fuhr betont langsam in Richtung Parkplatz und starrte in die Gegend, als suche er jemanden. Dupont fuhr der Schreck durch die Glieder. Legrand stellte sein Fahrzeug im äußersten Winkel des Geländes ab, wohl um nicht aufzufallen. Dann stieg er aus und bewegte sich durch die Fahrzeugreihen. Dupont eilte zurück in den Gastraum.

„Legrand ist draußen auf dem Parkplatz, er muss uns verfolgt haben, komischerweise ohne Dubois. Kannst du ihn ablenken, bevor er unser Fahrzeug entdeckt?“

„Ich will es versuchen!“

„Du hattest es im Gespür – wir wurden beobachtet, als wir die Bilder verluden. In unserer Euphorie haben wir es nicht mitbekommen.“

„Zahl erst mal die Zeche - mir wird schon etwas einfallen! Vor allem will ich wissen, warum uns Legrand gefolgt ist.“

„Sei auf der Hut! Wäre es nicht besser, wir würden ihn gewähren lassen? Wenn er uns an den Färsen bleibt, wissen wir, woran wir sind.“

„Was soll das werden! Bis in die Rue Saint-Charles sind’s noch zehn Kilometer und dann haben wir eine Ampel nach der anderen vor uns. Zudem müssen wir den Verfolger ständig im Blick haben.“ Perrin ging zum Parkplatz und steuerte auf Legrand zu. Dieser war gerade dabei, sich eine Zigarette anzuzünden. Perrin sprach ihn an. „Monsieur haben Sie auch eine für mich? Meine Glimmstängel sind mir gerade ausgegangen.“ Perrin zog seine Geldbörse aus der Tasche zum Zeichen dessen, dass er nichts schnorren wollte. Legrand ging einen Schritt zurück, seine Miene war finster. Es schien, als wollte er sich in Verteidigungsstellung begeben. „Ich beiße nicht!“, sagte Perrin. Legrand sagte noch immer nichts. Perrin war möglicherweise unerkannt geblieben. In der Villa gab es nur Kontakt mit Dubois und Dupont spielte die Hauptrolle. „Ich wollte ja nur eine Zigarette, denn für den Automaten fehlt mir das Kleingeld. Entschuldigen Sie, dass ich Sie angesprochen habe, obwohl wir uns fremd sind!“ Legrand zwang sich zu einem Lächeln. Sein glasiger Blick und das Pendeln der Augen verrieten Drogenkonsum. Legrand fingerte eine Zigarette aus der Schachtel und warf sie Perrin vor die Füße. Perrin dachte nicht daran, sie aufzuheben. „Behandelt man so einen Landsmann?“ Damit war der Streit vom Zaun gebrochen und Zeit gewonnen. Perrin zertrat die Zigarette, sprang auf Legrand zu und hielt ihn am rechten Arm fest. „Was glauben Sie, wen Sie vor sich haben! Den letzten Dreck? Mir ist das Rauchen vergangen!“ Legrand riss sich los und griff unter sein Jackett, wohl um eine Waffe zu ziehen. Einen Zweikampf wollte er wohl unter allen Umständen vermeiden, doch Perrin war schneller. Er brachte Legrand mit einem Fußfeger zu Fall. Dann griff er in Legrands linke Jackentasche. Seine Hand landete an einem Pistolengriff. „Was haben wir denn hier?“, so Perrin. Der am Boden Liegende wehrte sich mit Händen und Füßen, allerdings chancenlos. Perrin bekam einen Colt, Kaliber 45, zu fassen. „Wollten Sie mich wegen einer Zigarette umlegen?“ Legrand verneinte. „Da wäre ich mir nicht sicher!“, so Perrin.

„Zeigen Sie mal Ihre Papiere!“

„Ich zeig Ihnen gar nichts, Sie sind ja nicht bei der Polizei!“

„Seien Sie froh! Jedenfalls handle ich in Notwehr. Wenn Sie mir Ihren Ausweis nicht zeigen, nehme ich ihn mir!“

„Haben wir uns nicht schon irgendwo gesehen?“, fragte Legrand. Perrin erschrak, ließ sich aber nichts anmerken. „Sie wollen nur ablenken!“

„Stimmt und wenn Sie hier Terror machen, gibt’s einen Menschenauflauf!“

„Ich habe Sie erst mal im Griff“, sagte Perrin. „Auch ohne Waffe!“ Perrin schleuderte die Fünfundvierziger zur Seite. Legrand versuchte jetzt, mit der linken Hand in die rechte Brusttasche seines Jacketts zu greifen. Perrin ließ es geschehen unter der Maßgabe, Legrand könnte in seiner Zwangslage nicht gefährlich werden. Dieser förderte ein Springmesser zutage und ließ die Klinge herausschnellen. „Sie sind ein mieser Hund! Wenn ich Ihren Arm loslasse, stechen Sie mir in die Visage!“

„Wenn ich es täte, dann auch nur in Notwehr!“

„Gar nichts werden Sie tun!“

Legrand erkannte die Aussichtslosigkeit seiner Lage und ließ das Springmesser fallen. „Nun haben Sie Ihre rechte Hand frei“, so Perrin. „Zeigen Sie mir Ihren Ausweis?“ Legrand blickte nach allen Seiten. „Wir sind noch immer ohne Zeugen“, so Perrin. Legrand zu enttarnen, war für ihn oberstes Gebot. Plötzlich wurde es auf dem Parkplatz lebendig. Es näherten sich Bistrogäste, die zu ihren Fahrzeugen wollten. Perrin ließ Legrand los, nahm seine Kamera zur Hand und schoss ein Foto.

„Glück für Sie, dass wir Besuch bekommen!“, sagte Legrand.

„Sie kämen mir sonst nicht so leicht davon! Keine Angst, ich ziehe keine Waffe!“ Legrand griff in die rechte Hosentasche. „Hier ist meine Lizenz - ich bin Privatdetektiv und ich werde meine Pistole wieder an mich nehmen.“ Perrin nahm die Karte zur Hand. Nach ihrem Äußeren zu urteilen, war an Echtheit nicht zu zweifeln. Verzeichnet war Michel Legrand als Mitarbeiter des Pariser Detektei-Verbandes Ledoux. „Will gar nicht glauben, dass Sie für eine Detektei arbeiten“, sagte Perrin. „Detektive gehen wohl kaum mit Springmessern um!“ Perrin versuchte dennoch, mit Legrand ins Gespräch zu kommen.

„Und was ist Ihr Gebiet?“

„Grundstücksspekulationen.“ Dies war zunächst glaubwürdig, doch jeder x-beliebige Bürger konnte sich die Karte einer Detektei drucken. „Ich muss weiter!“, sagte Perrin und ging langsamen zum Eingang des Bistros zurück, wo Dupont wartete. „Lass uns zu verschwinden - Legrand wird uns nicht mehr folgen! Jedenfalls ist sein plötzliches Aufkreuzen kein Zufall. Ich habe ein Foto von ihm geschossen – für alle Fälle. Ich glaube, er hätte Widerstand geleistet, wären nicht Gäste aus dem Bistro gekommen. Wir steigen jetzt in unser Fahrzeug und beobachten ihn. Ich habe ihn gezwungen, sich auszuweisen, dafür gab’s einen Vorwand.“

„Den du in Szene gesetzt hast! Was hast du rausbekommen?“

„Dass Legrand in der Pariser Detektei Ledoux arbeitet. Sein Spezialgebiet Grundstücksspekulationen passt gut zu seinem Besuch in der Rue Tahère 60. Er hat mir seine Karte gezeigt. Seinen Personalausweis einzusehen war nicht möglich.“

Die Männer beobachteten Legrand, dann war er wie vom Erdboden verschluckt. Perrin spielte mit dem Gedanken, noch mal zurückzugehen. „Bleib!“, sagte Dupont. „Ich habe ein ungutes Gefühl. Am liebsten würde ich nach Saint Cloud zurückfahren. Wenn uns Legrand wirklich gefolgt ist, dann um uns im Auge zu behalten. Inzwischen wird die Villa ausgeräumt.“ Plötzlich tauchte Legrand wieder auf und ging in Richtung Bistro. „Was meinst du, fahren wir zurück in die Rue Tahère?“

„Es bleibt dabei, wir fahren heim!“

Legrand hatte es sich nicht gewagt, die Verfolgung wieder aufzunehmen.

Zu Hause angekommen schlug Dupont vor, die Ölgemälde bei Perrin zu deponieren. Dieser lehnte ab unter der Maßgabe, er müsse erst Sicherheitsvorkehrungen treffen. Dazu gehöre eine neue Schließanlage, die sowieso fällig sei. Antikläden seien schon immer beliebtes Ziel von Einbrechern gewesen. Jeder Händler sei schließlich gezwungen, seine Werte zu präsentieren. Andernfalls schade er seinem Image. Das Leben mit gewissen Gefahren müsse man eben in Kauf nehmen. In einem Privathaushalt sei diese Gefahr geringer. Perrin ließ sich dann doch breitschlagen und nahm fünf Bilder in Verwahrung. Es handelte sich um Werke von Renoir. Dupont hatte nun ein Landschaftsgemälde von Caspar David Friedrich in seinem Besitz. Agnes schaute es sich an und sagte: „Man muss keinen großen Kunstverstand besitzen, um fasziniert zu sein!“

„Es ist eins von vielen Werken, die wir zurücklassen mussten“, gab Dupont zur Antwort. „Unser Fahrzeug ist zu klein. Morgen fahren wir wieder zurück, und zwar mit Perrins Kleintransporter. In Morins Villa sind die Bilder auf Dauer nicht sicher. Eine ehemalige Angestellte und deren Begleiter versuchten, die Räumlichkeiten auszuspionieren. Ich verstehe nicht, weshalb mein Onkel so unvorsichtig ist und millionenschwere Antiquitäten in einem unbewohnten Gebäude zurücklässt.“

„Wer weiß schon davon, und niemand vermutet in einer Anwaltskanzlei Kunstschätze!“

„Ich glaube die frühere Anwaltsgehilfin Lina Dubois. Um Fremde zu täuschen, hat mein Onkel über dem Hauseingang ein Schild anbringen lassen. Es weist auf eine Schein-Firma hin. Was ist! Übernimmst du morgen die Kunden? Ich bin am frühen Nachmittag wieder zurück.“

„Wenn es nicht anders geht? Eigenartige Erbschaft! Dein Onkel war nie ein Fan von dir. Warum dieser Sinneswandel? Geht der Sache auf den Grund - warum trennt sich Morin von diesem Kapital?! So alt ist er auch nicht, dass alles Hals über Kopf geschehen muss. Gut, ich kenne einen Fall, in dem es der Besitzer satthatte, den Rest seines Lebens in einem Privatmuseum zu verbringen. Wenn ich mich recht erinnere, hatten wir einen solchen Typen als Patienten. Er wollte einfach mit der Vergangenheit brechen. Aus diesem Grund verschenkte er einen Teil seines Hab und Gutes. Wie dem auch sei - du hast ein wunderschönes Gemälde geschenkt bekommen. Ich könnte mich glatt darin verlieben, doch leider bin ich schon vergeben!“ Agnes schmunzelte. Sie schaute wie gebannt auf die Leinwand. „Und der Rest der Bilder? Wie wäre es mit einem Verkauf? Wir könnten ein wenig Geld gebrauchen!“

„Ich werde mich Perrin anvertrauen. Er sagte, er habe potenzielle Kaufkunden an der Hand. Wie du weißt, bekomme ich die Bildergalerie geschenkt. Einen Teil davon werden wir natürlich behalten, eben als Geldanlage. Allerdings gibt es eine Auflage - ich darf nichts verkaufen. Während des Gesprächs lenkte mein Onkel aber ein. Falls ich in finanzielle Schwierigkeiten bekäme, könnte ich mich von einem Spitzweg trennen. Mein Onkel ist schon ein eigenartiger Typ!“

„Ein Spitzweg ist auch dabei? Sag das noch mal!“

„Du hast richtig gehört! Ist ein Caspar David Friedrich vorhanden, ist der Spitzweg nicht weit. Ist doch irgendwie lustig, nicht? Dies gilt natürlich nur für jene, die das nötige Kleingeld haben. Ich hörte, ein Spitzweg kann auf Auktionen vierhunderttausend Euro bringen.“ Agnes winkte ab. „Eigentlich fühle ich mich mit solchen Werten nicht sicher. Was sagst du?“

„Niemand weiß von den Bildern, außer Onkel Arthur und ein Vertrauter namens Maitre und dann eben Janis Perrin. Was die frühere Anwaltsgehilfin Dubois betrifft, bin ich mir nicht sicher. Janis bewahrt Bilder für uns auf. Es sind Werke von Renoir. Er hat mit Widerwillen zugestimmt, dies zu tun. Er meinte, sein Laden sei nicht sicher genug.“

„Das spricht für Ehrlichkeit.“

„Ja, ich vertraue ihm! Andererseits bleibt mir keine Wahl. Ich kenne sonst niemanden aus der Kunstbranche. Wie gesagt, morgen wollen wir den Rest der Bilder holen. Wertvolles Porzellan ist auch vor Ort und eine Mappe mit Grafiken von Chagall. Nichts von alldem ist versichert – das macht mir Angst!“