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Beschreibung

Knapp sechzig Jahre nach Kriegsende wird in russischen Archiven ein Dokument von höchster historischer Brisanz entdeckt: Das Buch Hitler. Verfasst exklusiv für Josef W. Stalin, enthält es die persönlichen Erinnerungen von Otto Günsche und Heinz Linge, die diese in sowjetischer Gefangenschaft unter NKWD-Aufsicht zu Papier brachten. Beide Männer bewegten sich als SS-Offiziere über viele Jahre in nächster Nähe Adolf Hitlers. Ihre sehr dichten Schilderungen enthalten nicht nur viele, bislang unbekannte Details zu Hitlers Politik und Kriegführung, sondern vermitteln auch ein ungeschminktes Bild davon, wie es in Hitlers Umgebung wirklich zuging. Eine der eindrucksvollsten historischen Quellen über das Dritte Reich!

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Über das Buch

Knapp sechzig Jahre nach Kriegsende wird in russischen Archiven ein Dokument von höchster historischer Brisanz entdeckt: Das Buch Hitler. Verfasst exklusiv für Josef W. Stalin, enthält es die persönlichen Erin­nerungen von Otto Günsche und Heinz Linge, die diese in sowjetischer Gefangenschaft unter NKWD-Aufsicht zu Papier brachten. Beide Män­ner bewegten sich als SS-Offiziere über viele Jahre in nächster Nähe Adolf Hitlers. Ihre sehr dichten Schilderungen enthalten nicht nur viele, bislang unbekannte Details zu Hitlers Politik und Kriegführung, sondern vermitteln auch ein ungeschminktes Bild davon, wie es in Hitlers Um­gebung wirklich zuging. Eine der eindrucksvollsten historischen Quellen über das Dritte Reich!

Über die Autoren

Henrik Eberle, geboren 1970, arbeitete nach dem Studium der Geschichte und angrenzender Fächer in Halle (Saale) zunächst als Journalist, später als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Zeitgeschichte der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. 2002 promovierte er mit einer Dissertation zur Wissenschaftspolitik des Nationalsozialismus. Zurzeit lehrt er Geschichte an der Universität Halle. Veröffentlichungen (Auswahl): Kopfdressur, Zur Propaganda der SED in der DDR (1994), Mit sozialistischem Gruß (1998), Einverstanden! E. H. (zus. mit Denise Wesenberg, 1999), Die Martin-Luther-Universität in der Zeit des Nationalsozialismus (2002).

Matthias Uhl, geboren 1970, studierte von 1990 bis 1995 Geschichte, Osteuropäische Geschichte und Politikwissenschaften in Halle (Saale) und Moskau. Von 1996 bis 2000 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und promovierte zum Dr. phil. Seit September 2005 arbeitet er am Deutschen Historischen Institut (DHI), Moskau. Veröffentlichungen (Auswahl): Stalins V-2 (2001), Ulbricht, Chruschtschow und die Mauer (zus. mit Armin Wagner, 2003), Lexikon der Geheimdienste im 20. Jahrhundert (zus. mit Helmut Roewer u. Stefan Schäfer, 2003).

HENRIK EBERLE UND MATTHIAS UHL (Hg.)

DAS BUCH HITLER

Geheimdossier des NKWD für Josef W. Stalin, zusammengestellt aufgrund der Verhörprotokolle des Persönlichen Adjutanten Hitlers, Otto Günsche, und des Kammerdieners Heinz Linge, Moskau 1948/49

Aus dem Russischen von Helmut Ettinger

Mit einem Vorwort von

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Originalausgabe

Copyright © 2005 by Bastei Lübbe AG, Köln Redaktion: Boris Heczko, München, und Inge Leo, Wertingen E-Book-Produktion: Dörlemann Satz, Lemförde

ISBN 978-3-732-51373-4

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Inhalt

Vorwort von Prof. Dr. Dr. h. c. Horst Möller, Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, München-BerlinVorwort der HerausgeberDas Buch Hitler, aus der Akte Nr. 462a im Bestand 5 Verzeichnis 30 im Russischen Staatsarchiv für Zeitgeschichte, MoskauNachwort der HerausgeberBiographienQuellen- und Literaturverzeichnis (Auswahl)DanksagungAnmerkungen

Horst Möller

DAS BUCH HITLER Versuch einer Einordnung

Zwei Diktatoren: Bündnis und Krieg

Warum interessieren sich Diktatoren füreinander, warum insbesondere die beiden an Brutalität nicht zu übertreffenden Führer derjenigen fanatischen Ideologien, die im 20. Jahrhundert Europa in den Abgrund geführt haben? War es die wechselseitige Faszination des Totalitären? War es eine innere Verwandtschaft des Herrschaftstyps trotz aller äußeren Feindschaft? War es der Wille, die Herrschaftstechnik des Feindes zu kennen, um aus ihr zu lernen? Wie dem auch sei, Das Buch Hitler – eine ungewöhnliche Quelle – verdanken wir Stalins Neugier in Bezug auf Hitler – eine Neugier, die keineswegs nachließ, als Hitler am 30. April 1945 in der Berliner Reichskanzlei Selbstmord begangen und sich damit der Verantwortung für die grauenhafte Katastrophe entzogen hatte, in die er und das auf ihn eingeschworene nationalsozialistische Regime Deutschland und seine Nachbarn getrieben hatten. Eine Antwort aber scheidet definitiv aus: Stalins Interesse an Hitler war nicht durch Abscheu vor Hitlers Verbrechen geprägt, und er war offenbar auch nicht sonderlich an ihnen interessiert – in dieser Hinsicht war er mit Hitler durchaus konkurrenzfähig. An Vorsicht und rationalem Kalkül war er diesem indes überlegen, ein Hasardeur war Stalin nicht. Und vielleicht liegt hier ein Grund für sein besonderes Interesse an Hitler, hatte er sich doch einmal völlig in dem deutschen »Führer« getäuscht: als Stalin im Frühjahr 1941 die Warnungen Marschall Schukows vor einem möglichen Angriff Hitler-Deutschlands in den Wind schlug und damit fast den Untergang der Sowjetunion riskierte – vermutlich, weil er Hitler die gleiche Machtrationalität unterstellte, der er selbst folgte. Diese Überschätzung Hitlers ging mit der Unterschätzung seiner fanatischen rassistischen Ideologie einher.

Doch haben sich nicht allein die Diktatoren füreinander interessiert, sondern auch die Historiker für die Frage, was beide unterschied, worin sie vergleichbar waren und wie ihre Wirkung – die gemeinsame und die gegensätzliche – auf das 20. Jahrhundert gewesen ist. Dieses historiographische Interesse hat sogar zu einer Doppelbiographie der in ihnen personifizierten, einander feindlichen und doch ähnlichen ideologischen Extreme geführt: So hat der große englische Historiker Alan Bullock, der 1952 die erste und für Jahrzehnte grundlegende wissenschaftliche Biographie über Hitler veröffentlicht hatte, später Hitler und Stalin gemeinsam dargestellt.1

Diese Parallelität lag nicht allein in vergleichbaren Herrschaftstechniken, sondern auch darin, dass ihre Leben seit 1939 stärker noch als in der ideologischen Gegensätzlichkeit in der Praxis aufeinander bezogen waren. Die partielle Kooperation Hitlers und Stalins hat die erste Phase des Zweiten Weltkrieges nach dem von beiden Seiten geführten Angriff auf Polen geprägt, ihre fundamentale ideologische Feindschaft die säkulare Wendung des Krieges nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 herbeigeführt. Dieser Krieg ist, wie schon Andreas Hillgruber in seinem grundlegenden Werk Hitlers Strategie. Politik und Kriegführung 1965 festgestellt hat, als »ideologischer Vernichtungskrieg« geplant und realisiert worden.

Nach dem »diplomatischen« Akt, dem deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt mit dem geheimen Zusatzprotokoll – dem »Hitler-Stalin-Pakt« vom 23. August 1939 —, folgte der militärische auf dem Fuße: Der Pakt diente der Vorbereitung des Krieges2 und gab Hitler den Weg frei, um den geplanten Angriff auf Polen mit geringerem Risiko durchführen zu können. Stalin folgte Hitler und begünstigte die deutsche Ausdehnung nach Osten durch die korrespondierende Expansion der Sowjetunion nach Westen: Die Aufteilung Polens zwischen den Diktatoren wurde definitiv besiegelt, als Stalin nach dem am 1. September 1939 erfolgten deutschen Angriff nicht lange zögerte und die Rote Armee am 17. September in Ostpolen einmarschieren ließ. Die Behandlung der polnischen Gefangenen und der Zivilbevölkerung durch beide Aggressoren war durchaus vergleichbar, auch wenn Stalin nicht rassistischen, sondern machtpolitischen und imperialistischen Motiven folgte. Ebenso wenig zögerte Stalin, es Hitler gleichzutun und sich die anderen, von Hitler zu diesem Zeitpunkt nicht beanspruchten Teile Osteuropas einzuverleiben, unter anderem die baltischen Staaten und Teile Finnlands.

Das Schreckensregiment der deutschen Besatzungsherrschaft schon bei Beginn des Krieges fand seine Analogie in der sowjetischen: Symbol dafür war das ostpolnische Katyn, wo nach dem sowjetischen Einmarsch auf Stalins Weisung und Beschluss des Politbüros der KPdSU nach heutigem Kenntnisstand 25700 polnische Offiziere und Zivilisten durch das NKWD ermordet wurden. Als im Februar 1943 deutsche Soldaten tausende von Leichen entdeckten, schob Stalin das Massenverbrechen den deutschen Besatzern in die Schuhe. Beides war nicht ungewöhnlich, Besatzungsverbrechen dieser Art wurden des Öfteren der jeweils anderen Seite angelastet und für den wechselseitigen Propagandakrieg instrumentalisiert. Und schon zu diesem Zeitpunkt verstieß auch die Sowjetunion gegen die Genfer Konvention von 1929 zur Behandlung der Kriegsgefangenen: Da die Sowjetunion Polen nicht den Krieg erklärt hatte, behandelte die Rote Armee die gefangenen polnischen Soldaten nicht nach kriegsvölkerrechtlichen Grundsätzen, sondern als Verbrecher und deportierte sie in Straflager.

»Das härteste Schicksal erlebten zunächst die Menschen im sowjetischen Besatzungsgebiet. Die Sowjetisierung wurde als Klassenkampf organisiert, dem die bürgerlichen Eliten, vorwiegend polnischer Nationalität, zum Opfer fielen... Das Gewaltregime der sowjetischen Geheimpolizei unter Lawrenti P. Berija wird seit den Neunzigerjahren durch die neue polnische Historiographie gründlich erforscht. So ist heute deutlich erkennbar, dass es sich in seinen Auswirkungen kaum von der mörderischen Politik unterschied, die auf der Gegenseite Heinrich Himmler mit seinem SS- und Polizeiapparat durchführte.«3

Mit dem beiderseitigen Angriff auf Polen und der Aufteilung Osteuropas in eine deutsche und eine sowjetische Machtsphäre rückten die beiden Diktatoren geographisch in eine unmittelbare Nachbarschaft. Die unvorstellbare Barbarisierung des Krieges, der nur ein Ziel – das der Vernichtung des Feindes – kannte, ließ von vornherein keinen Interessenausgleich zu: Wer nicht siegte, musste untergehen. Der militärische Sieg entschied über das Schicksal der Diktatoren, und seit Hitlers größtem militärischem Fehler, dem Angriff auf die Sowjetunion, war diese mit den ideologisch mindestens so gegensätzlichen westlichen Staaten, vor allem den USA und Großbritannien, alliiert.

Folgte aus dieser Konstellation persönlicher Hass? So zwangsläufig das scheint, so wenig war es dauerhaft der Fall. Hitlers Tischgespräche, aber auch die Tagebücher des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels bieten eine Fülle anderer Zeugnisse: Bezeichnend war schon die generelle Äußerung Hitlers über Kommunisten wenige Wochen nach dem Angriff auf die Sowjetunion: »Der Pakt mit Russland hat mich nie bestimmt, der Gefahr im Innern gegenüber eine andere Haltung einzunehmen. Aber an sich sind mir unsere Kommunisten tausendmal sympathischer als zum Beispiel ein Starhemberg.4 Es waren robuste Naturen, die, wenn sie länger in Russland gewesen wären, vollkommen geheilt zurückgekommen sein würden.«5

Am 23. März 1942 erklärte Hitler, man müsse an Stalin schätzen, dass er die Juden nicht an die Kunst heranlasse.6 Am 11. April 1942 lobte er seinen Antipoden: Gemeinschaft lasse sich nur durch Gewalt schaffen, und »wenn Stalin beim russischen Volk in den vergangenen Jahren Methoden angewandt habe, wie sie damals Karl der Große beim deutschen Volk angewandt hätte, so dürfe man mit Rücksicht auf den derzeitigen kulturellen Stand der Russen nicht den Stab darüber brechen. Auch Stalin habe aus der Erkenntnis heraus gehandelt, dass man die Russen zu einer straffen staatlichen Organisation zusammenfassen müsse, wenn man den Daseinskampf der gesamten in der UdSSR vereinigten Völkerschaften politisch sichern... wolle«.7

Tatsächlich sah Hitler in Stalin ein Genie,8 dessen Beseitigung des Marschalls Tuchatschewski zum eigenen Machterhalt unvermeidlich gewesen sei, weil Welten zwischen den früheren zaristischen Offizieren und ihm gelegen hätten.9 Stalin sei in seiner Weise ein »genialer Kerl«, man müsse »unbedingten Respekt« vor ihm haben, auch seine Wirtschafts- und Sozialpolitik verdiente nach Hitlers Meinung Anerkennung.10

»Charismatisches Führertum« – Hochschätzung im Vernichtungskrieg?

Noch bezeichnender ist vermutlich die Charakterisierung, »wenn Churchill ein Schakal sei, so sei Stalin ein Tiger«.11 Und tatsächlich fällt in allen einschlägigen Bemerkungen Hitlers immer wieder auf, mit welchem Hass und welcher Verachtung er über die demokratischen Staatsmänner der Zeit wie Churchill oder Roosevelt herzog, während sich über Stalin nur ausnahmsweise einmal eine kritische Äußerung findet. Diese »Seelenverwandtschaft« basierte ideologisch auf der Verherrlichung des charismatischen Cäsarismus, der die Ideologien transzendierte und deshalb ihre Inhalte gegenüber der Verherrlichung des Herrschertypus bedeutungslos werden ließ.

Es ist kein Zufall, dass in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg beispielsweise Oswald Spengler einem auf Gefolgschaft beruhenden Staatssozialismus huldigte, den er als preußisches Erbe ansah und zu dem die Bereitschaft zum Krieg gehörte: Hierin kam für ihn die Funktionstüchtigkeit des Staates zum Ausdruck.12»Ein leitender Typus ist notwendig, der die schöpferischen Eigenschaften des Volkes im Hinblick auf seine geschichtliche Lage zusammenfasst und herausbildet...« Dieser Führer eines »nach Befehl und Gehorsam gegliederten Staates« müsse die Kräfte eines Volkes zusammenfassen und seine wahren Werte und Ziele verkörpern, meinte Spengler. Die historischen Beispiele, die er nannte, zeigen, wie sekundär die ideologischen Inhalte selbst für seine Bewertung waren: »Sowjetrussland war Lenin, Südafrika war Rhodes, Mussolini ist Italien.«13 Insofern geht es hier nicht allein um die Frage, inwieweit der Nationalsozialismus von der feindlichen Ideologie des Bolschewismus fasziniert war und er auch deshalb als Reaktion auf die weltrevolutionäre Sendung der russischen Oktoberrevolution 1917 zu verstehen ist. Auch die Vorbildrolle, die Stalin und die bolschewistischen Gewaltexzesse für Hitler gespielt haben, ist hier nicht das ausschlaggebende Element,14 sondern das herrschaftstechnisch übereinstimmende Prinzip der Führerdiktatur, zu deren Instrumenten eine Gewaltausübung zählte, deren Grenzen nur der jeweilige Führer bestimmte: Sie erwuchs in vielen Spielarten in der Zwischenkriegszeit aus antidemokratischem Denken, das sich gegen den liberalen Rechts- und Verfassungsstaat und seine differenten europäischen Erscheinungsformen richtete. Und insofern gab es auch eine Verwandtschaft zwischen der 1917 in der russischen Oktoberrevolution erfolgenden Selbsternennung von Lenins Bolschewisten zur gesellschaftlichen, politischen und intellektuellen Avantgarde, die als Minderheit das »richtige« gesellschaftliche Bewusstsein besaß, und der Elitentheorie des italienischen Nationalökonomen und Soziologen Vilfredo Pareto, der den italienischen Faschismus Mussolinis beeinflusste. In der Praxis führte diese Paradoxie ähnlicher Herrschaftsmaximen und feindlicher Ideologien sowohl zu auf der Straße ausgetragenen brutalen Auseinandersetzungen zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten wie zu gemeinsamen Aktionen zur Zerstörung der Weimarer Demokratie, sei es bei der Instrumentalisierung von Obstruktionsmehrheiten in den Parlamenten, sei es in Form gemeinsam organisierter Demonstrationen oder Schlägereien mit der Polizei.

Die auf den ersten Blick paradox anmutende Hochschätzung Hitlers für Stalin selbst während des Vernichtungskrieges kann man als »Kollegialität der Diktatoren« (Percy Ernst Schramm) bezeichnen, doch liegt sie tiefer: im Glauben an die Allmacht des Diktators und die Gewalt als entscheidendes Mittel der Herrschaftsausübung. Und für beide bildeten Kampf und Krieg die Bewegungsgesetze der Geschichte, Klassenkampf für die Kommunisten und Rassenkampf für die Nationalsozialisten, wie das bereits Hannah Arendt erkannt hat.15

Charakteristisch für die praktischen Konsequenzen solcher Herrschaftsauffassung ist aber auch, wie Stalin auf der einen, Hitler und sein Sprachrohr Goebbels auf der anderen Seite ein durchaus paralleles Problem ihrer Machtausübung, die Rolle des traditionellen Offizierskorps und der Generalität, bewerteten. Neben der zitierten Aussage Hitlers finden sich beispielsweise auch in Goebbels’ Tagebuch zahlreiche positive, ja dessen Vorbildfunktion zeigende Charakterisierungen Stalins. Stalin sei ein »sehr kühler Rechner... der vor allem die Möglichkeiten und Auswirkungen einer großen Volksbewegung richtig einzuschätzen versteht«.16 An anderer Stelle erklärt Goebbels, Stalin habe es richtig gemacht, indem er die reaktionäre Generalsclique habe umbringen lassen: In Deutschland hätte man ähnlich verfahren sollen. Bezeichnenderweise reagierte Stalin nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 mit Unverständnis auf die Tatsache, dass Hitler nicht schon vorher die traditionellen Militäreliten beseitigt hatte. Keine Frage, Hitler und Goebbels haben Stalins Machttechnik mit größter Aufmerksamkeit verfolgt, und Stalin war ähnlich stark an Hitlers Herrschaftssystem interessiert. Deswegen ließ das NKWD die gefangenen persönlichen Adjutanten Hitlers, Otto Günsche und Heinz Linge, Aufzeichnungen und Aussagen über Hitler Zusammentragen und unter Anleitung des Oberstleutnants Fjodor Karpowitsch Parparow in den Jahren 1948/49 das Buch Hitler zusammenstellen.

Diktaturvergleich und Totalitarismusmodell

Wenngleich die vergleichende Analyse diktatorischer Herrschaft Konjunkturen unterlag, haben doch schon (nach früher Verwendung der Begrifflichkeit im italienischen Faschismus in den 192oer-Jahren) die zeitgenössischen Politikwissenschaftler in den 193oer-Jahren die Strukturähnlichkeiten totalitärer Herrschaft herausgearbeitet und den Begriff Totalitarismus in erster Linie auf die bolschewistische und die nationalsozialistische Diktatur, auf Stalin und Hitler, bezogen. Zu diesem Zeitpunkt, also vor dem Zweiten Weltkrieg, waren zahlreiche kommunistische Massenverbrechen in der Sowjetunion bereits geschehen (der Klassenmord bzw. der bewusst herbeigeführte Hungertod mehrerer Millionen russischer Großbauern, der Kulaken, die »Parteisäuberungen« mithilfe von willkürlichen Verhaftungen und Schauprozessen, die allein 1937/38 nachweislich mindestens 681692 kommunistische Partei- und Wirtschaftsfunktionäre das Leben kosteten),17 während die größten Massenverbrechen der nationalsozialistischen Diktatur (der millionenfache systematische Mord an den europäischen Juden in den besetzten Ländern, der Massenmord an den Sinti und Roma und anderen Minderheiten, schließlich die Kriegsverbrechen) erst ab 1939 bzw. 1941 stattfanden. Diese Verbrechen, vor allem die Singularität des Judenmordes, aber auch die Gegensätzlichkeit der beiden Ideologien, schließlich der statische Charakter des Totalitarismusmodells, waren allerdings auch die Gründe für die heftige Kritik an diesem Modell.

Nach der über Jahrzehnte kaum bestrittenen Gültigkeit dieses Interpretationsansatzes, der sich während des Kalten Krieges zwischen den westlichen Demokratien und kommunistischen Diktaturen verstärkte, wurden seit den 1960er-Jahren zunehmende Zweifel angemeldet, ob der Begriff Totalitarismus der historischen Realität beider Diktaturen entspreche. Für diese Skepsis waren unterschiedliche Gründe verantwortlich, sowohl historiographische als auch politisch-gesellschaftliche.

Die zunehmende Erforschung der nationalsozialistischen Diktatur konnte sich – anders als die der kommunistischen Diktaturen – auf riesige Quellenmassen stützen, die zum größten Teil schon bald nach deren Ende zugänglich wurden. So vergrößerte sich nicht allein die Kenntnis vom Ausmaß ihrer Massenverbrechen, vielmehr differenzierte sich auch die Analyse der Gesellschafts- und Herrschaftsstruktur: Dadurch wurde der Begriff »totalitär« als angemessene Kennzeichnung der historischen Realität von zahlreichen Interpreten infrage gestellt.18

Einerseits war es dem Regime nicht gelungen, eine wirklich totale Erfassung der Bevölkerung zu realisieren, andererseits wurde der polykratische Charakter der Herrschaftsstruktur mit zahlreichen, zum Teil konkurrierenden Machtzentren und der improvisatorische Charakter vieler Entscheidungen Hitlers deutlich; zum Teil wurde dieser Charakterzug seiner Herrschaft so stark betont, dass Hitler als »schwacher Diktator« (Hans Mommsen) erschien. Stalin teilte eine solche Einschätzung zweifellos nicht, sonst wäre sein Interesse für Hitler geringer gewesen, und er hätte so intensive Recherchen über seinen Antipoden kaum durchfuhren lassen. Und schließlich wusste er zu genau, dass ihm ein schwacher Diktator wohl kaum derart gefährlich hätte werden und der sowjetischen Bevölkerung solche Blutopfer hätte abverlangen können.

Die politisch-moralische Kritik unterstellte fälschlich, die gemeinsame Kennzeichnung »Totalitarismus« für die Diktaturen Stalins und Hitlers verharmlose die nationalsozialistischen Verbrechen durch den Vergleich. Komparatistische Fragestellungen zählen aber zum normalen Instrumentarium politikwissenschaftlicher und soziologischer Typologie in der Geschichtswissenschaft,19eine Verharmlosung ist damit nicht verbunden.

Und schließlich war die Kritik am Totalitarismus-Modell als vermeintlichem Produkt des Kalten Krieges nicht allein historiographisch falsch, da dieses Modell lange vorher in den USA zum Teil von Immigranten aus dem nationalsozialistischen Deutschland entwickelt worden war, sondern selbst politisch bedingt: Im Kontext des erstarkenden Neomarxismus sollten die kommunistischen Diktaturen als moralisch besser hingestellt werden, zumal zahlreiche Linksintellektuelle noch bis zur Niederschlagung des Ungarnaufstands durch sowjetische Truppen 1956 und der Abrechnung mit dem Stalinismus durch Nikita Chruschtschow auf dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 an ihrer Stalin-Verehrung festhielten und danach oftmals einem »Reformkommunismus« huldigten. In der Sache wurde solchen Illusionen der Boden entzogen durch Untersuchungen, die ehemalige Kommunisten verfasst haben – eine Tendenz, die zwar schon mit den Werken Arthur Koestlers begonnen hatte,20 doch erst mit dem Werk des großen französischen Historikers François Furet Das Ende der Illusion. Der Kommunismus im 20. Jahrhundert21 sowie dem von Stephane Courtois mitverfassten und herausgegebenen Schwarzbuch des Kommunismus22 Tiefen- und Breitenwirkung erlangte.

In diesen Werken wurde nicht allein der totalitäre Charakter der kommunistischen Diktaturen herausgearbeitet, sondern ebenso ihre Massenverbrechen, darunter die millionenfachen Morde während der Herrschaft Stalins. Auf der anderen Seite hat die Historiographie zur nationalsozialistischen Diktatur nicht nur ebenfalls eine größere Kenntnis des verbrecherischen Charakters Hitlers und seiner Gehilfen erbracht, sondern auch die Überzeichnungen der These einer polykratischen und improvisatorischen Herrschaft korrigiert: So allgemein akzeptiert viele Erkenntnisse dieser Herrschaftsinterpretation auch sind, wohl kein ernst zu nehmender Historiker teilt heute noch die absurde Annahme, Hitler sei ein »schwacher Diktator« gewesen. Hinzu kam, dass schon früher die polykratischen Züge durchaus gesehen worden waren, jedoch als planmäßige Herrschaftstechnik gedeutet wurden: »Divide et impera«.23

Das Ende der kommunistischen Diktaturen in Ost- und Ostmitteleuropa hat nach 1991 den Diktaturvergleich erneut befördert. Und dazu zählen die Kriterien des Totalitarismusmodells, auch wenn die Mehrheit der Historiker gegen seine Dogmatisierung ist und eine Anwendung als heuristisches, flexibel zu applizierendes Interpretationsmodell befürwortet. Die Herrschaftskennzeichen, die von Hans Kohn, Carl J. Friedrich, Zbigniew Brzezinski und anderen Autoren bis hin zu Hannah Arendt entwickelt worden sind, kennzeichnen die kommunistische, die faschistische und die nationalsozialistische Herrschaftstechnik, wenngleich nicht alle Faktoren die gleiche Relevanz haben, die Ideologien unterschiedlich oder gegensätzlich waren, schließlich die Reichweite der jeweiligen »totalen« Herrschaft differierte: Doch geht es hier zunächst um die Intention, eine totalitäre Herrschaft ausüben zu wollen, nicht um die Lücken, die die Realisierung faktisch ließ. Eine Gleichsetzung der Verbrechen ist damit nicht verbunden, da Formen und Zielgruppen des Massenmordes, auch die historischen Kontexte und Spezifika keineswegs identisch waren.

Diese übereinstimmenden Kriterien totalitärer Herrschaft in nach heutigem Kenntnisstand zu modifizierender Form sind: das Ziel totaler Erfassung und Gleichschaltung der Bevölkerung durch eine Partei und ihr untergeordnete Massenorganisationen, Einparteienstaat mit Entscheidungs- und (politischem) Elitemonopol; Geheimpolizei mit Einsatz terroristischer Mittel, Nachrichtenmonopol, allgemein gültige Herrschafts- und Gesellschaftsideologie, Personenkult – der sich bei Stalin ebenso findet wie bei Mussolini, Hitler, Mao oder Fidel Castro –, Freund-Feind-Denken, Ausgrenzung, Diskriminierung oder Ermordung von Minderheiten, ein prinzipiell unbegrenztes Gewaltmonopol.24

Das Interesse Stalins an Hitler erstreckte sich allerdings nicht bloß auf die Herrschaftstechnik, sondern sehr weitgehend auch auf Persönliches. Um ihn zufrieden zu stellen, haben die Autoren eine Fülle von Informationen zu seinem alltäglichen Verhalten zusammengetragen, darunter auch Klatsch und Tratsch, die keine quellenmäßige Basis haben: Passagen dieser Art sind denn auch aussagekräftiger für den Auftraggeber oder die Annahmen, die die Autoren über dessen Neugier hatten als über Hitler selbst. Auf der anderen Seite machen nicht allein Stalins Interesse, sondern auch der Zeitpunkt und die Quellenbasis den Text interessant; die Herausgeber haben dies im Einzelnen beleuchtet.25

Was hätte Stalin über Hitler wissen können? Zeitgenössische Deutungen

Zwar hat es auch zu diesem frühen Zeitpunkt schon Deutungen Hitlers, sogar Biographien gegeben, doch authentische Berichte aus seiner Umgebung gab es nur wenige, die überdies sehr spezifischer Natur waren, beispielsweise die zahllosen Stellen in den Tagebüchern von Joseph Goebbels, die aber immer der Perspektive des Tagebuchschreibers verpflichtet sind. Vor der Arbeit an dem für Stalin bestimmten Buch Hitler konnten naturgemäß in Deutschland keine authentischen Aufzeichnungen aus Hitlers engster Umgebung erscheinen. Zu den ersten zählten die 1951 durch Gerhard Ritter veröffentlichten Tischgespräche Hitlers, denen die von Hugh Trevor-Roper 1953 herausgegebene, ebenfalls noch unzulängliche Ausgabe Hitlers Table Talks folgte.

Eine der ersten Publikationen dieser Art war das zuerst 1940 veröffentlichte Buch des ehemaligen Danziger Senatspräsidenten Hermann Rauschning, Gespräche mit Hitler,26 Rauschning, der 1931 in die NSDAP eingetreten war, ursprünglich antisemitische Positionen vertreten und einem Führerkult angehangen hatte, geriet nach der Machtergreifung mit dem Danziger Gauleiter Forster aneinander und musste auf Druck Hitlers am 24. November 1934 zurücktreten. 1936 emigrierte Rauschning über Polen in die Schweiz, 1948 in die USA. Seine beiden Bücher über den Nationalsozialismus enthalten eine persönliche Abrechnung mit dem NS-Regime, das versuchte, deren Publikation zu verhindern. Zwar hat das erwähnte Buch die Hitler-Forschung beeinflusst und wurde international ein Erfolg, doch erwies es sich später als Fälschung: Tatsächlich handelte es sich nicht um die Wiedergabe authentischer Gespräche, sondern um auf persönlicher Kenntnis beruhende Fiktionen, die Rauschning für den amerikanischen Geheimdienst zum größeren Teil erfunden hatte. Sie dienten der alliierten Propaganda.

Bei seinem kurz vorher publizierten Werk Die Revolution des Nihilismus27 handelt es sich um eine Deutung des Nationalsozialismus. Es beruht auf der damals ungefähr fünf Jahre dauernden Herrschaft Hitlers und der Erfahrung der Emigration, die den nationalrevolutionären Ausgangspunkt Rauschnings modifiziert hatten. Dieses Buch besitzt durchaus erhebliches historiographisches Interesse als substanzielle und gedankenreiche Interpretation der nationalsozialistischen Diktatur als Produkt der Krise der Zwischenkriegszeit, beispielsweise durch Rauschnings Darstellung des Herrschaftssystems, ist aber im Kern kein biographischer Text zu Hitler, selbst wenn es den selbstzerstörerischen Machiavellismus Hitlers als sich kontinuierlich steigernden Prozess analysiert.28

Auch bei den anderen frühen Veröffentlichungen zu Hitler handelte es sich um Deutungen und nicht um authentische biographische Zeugnisse. Solche Interpretationen erschienen im In- und Ausland, wie im Falle Rauschnings des Öfteren verfasst von Emigranten, also in Bezug auf seine Politik von meist mehr oder weniger hellsichtigen Gegnern Hitlers. Darunter waren schon früh biographisch ansetzende Studien, in Deutschland beispielsweise von Theodor Heuss, Hitlers Weg (1932), oder in Großbritannien von Wyndham Lewis, Hitler (London 1931). Seit 1933 häuften sich die meist publizistischen Auseinandersetzungen.29

Diejenigen, die die frühesten gewichtigen Darstellungen über Hitler und den Nationalsozialismus veröffentlicht haben, darunter zwei wichtige Biographien sowie Analysen des nationalsozialistischen Herrschaftssystems, die für die spätere Forschung enorme Bedeutung erlangt haben, waren Emigranten.

Rudolf Olden – 1933 emigrierter Publizist und Jurist, zuvor politischer Redakteur des Berliner Tageblatts und Verteidiger Carl von Ossietzkys im Hochverratsprozess – veröffentlichte 1935 im Amsterdamer Exilverlag Querido nach kleineren Vorstudien die Biographie Hitler, die neben lebensgeschichtlichen Kapiteln, zum Beispiel über Hitlers Kindheit, die Auseinandersetzung Hitlers mit der Reichswehr schildert. Sie betrachtet Olden als einen Sektor der »herrschenden Klasse«, den einzigen, den Hitler »achtete«, die »bewaffnete Macht«. Auch hier handelt es sich, wenngleich auf Hitler konzentriert, um die psychologische und politische Deutung eines Typus.

Bald darauf folgte, ebenfalls das Werk eines Emigranten, die zweibändige Biographie Hitler von Konrad Heiden, 1936/37 im Europa Verlag Zürich erschienen. Heiden, ebenfalls Jurist und Publizist, hat sich wohl als Erster so intensiv und kritisch mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus befasst und für die Frankfurter Zeitung schon von 1923 bis 1930 als Münchner Korrespondent hierüber berichtet, bevor er seine Beobachtung 1930 von Berlin aus fortsetzte. Hier organisierte er einen Pressedienst, der über die nationalsozialistische Propaganda berichten sollte, und warnte bereits früh vor der Unterschätzung des Nationalsozialismus. 1933 floh er zunächst ins Saargebiet und von dort aus nach Frankreich.

Schon 1932 und 1934 hatte er Bücher über den Nationalsozialismus veröffentlicht. Seine Biographie Hitlers ist die erste wirklich bedeutende, die schon damals grundlegende Fragestellungen auch der späteren Forschung aufwirft, beispielsweise Hitlers Prinzipienlosigkeit oder das Verhältnis der in Mein Kampf formulierten Ziele zum Opportunismus seiner praktischen Politik thematisiert: Die spätere Kontroverse über Planmäßigkeit oder Improvisation findet sich bereits hier, ohne dass Heiden eine definitive Antwort gibt. Damit liegt er sehr nah an heutigen Interpretationen, die beide Elemente am Werk sehen. Heiden sah auch die künftige fundamentale Erschütterung der Welt durch Hitler voraus, zeigte seine Weltherrschaftspläne ebenso auf wie das Ziel, eine rassistisch definierte arische Herrschaftselite zu formen.30 Heiden beschäftigte sich intensiv mit dem »unglücklichen Menschen«, seinen nächtlichen Gesellschaften, seiner Schlaflosigkeit, seiner engeren Umgebung31 – Themen, die dann später im Buch Hitler auftauchen, aber auf positivistischere Weise behandelt werden und – anders, als das bei Heiden sein konnte – stark auf die Kriegsphase bezogen sind.

Schließlich sind zwei weitere grundlegende Werke zu erwähnen, die, wenngleich historiographisch von ungleichem Gewicht, die spätere Forschung befruchtet haben, ohne auf Hitler zentriert zu sein, jedoch die Herrschaftsstruktur betreffen. Beide Analysen sind ebenfalls in der Emigration, in den USA, veröffentlicht worden: das Buch des Juristen und Politikwissenschaftlers Ernst Fraenkel, Der Doppelstaat. Recht und Justiz im Dritten Reich,32 sowie Franz Neumanns Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944.33

Das Buch Fraenkels richtet sich streng auf die Rechts- und Staatsstruktur, in der der nationalsozialistische Maßnahmenstaat den herkömmlichen Rechts- und Normenstaat überlagerte. Neumann gab hingegen eine zahlreiche Faktoren, darunter die »monopolkapitalistischen« Voraussetzungen einbeziehende, stark marxistisch geprägte Interpretation.

Diese Werke lagen also schon einige Jahre vor, als Stalin seine Recherchen in Auftrag gab. Der Diktator hat sie wohl ebenso wenig gekannt wie das NKWD, das für ihn Fakten über Hitler zusammentrug: Sie waren sehr viel stärker auf das Persönliche und das Alltagsleben konzentriert, eine Strukturgeschichte der Herrschaft war ebenso wenig ihre Sache wie die psychologische Deutung des Typus Hitler im Kontext der Krisen der 1920er- und 1930er-Jahre.

Die großen Biographien von Alan Bullock (zuerst 1952, vollständig überarbeitet 1964, deutsch 1967), das in der Darstellung und Interpretationsleistung unübertroffene Werk von Joachim Fest (1973) bis hin zur die gesamte Literatur und die einschlägigen Quellen auswertenden zweibändigen Biographie von Ian Kershaw (1998/2000), schließlich die meisterlich pointierenden Anmerkungen zu Hitler (1978) Sebastian Haffners beziehen selbstverständlich persönlichen Lebensweg und Strukturprobleme, Epochendeutung und biographische Interpretation ein, wie das auf sehr ergiebige Weise auch für Brigitte Hamanns Hitlers Wien (1996) gilt. Sie umfassen im Rahmen der Ergiebigkeit auch biographische Quellen, die seit den 1950er-Jahren reichlich sprudelten. Diese Memoiren besaßen jedoch meist nicht mehr die Authentizität wirklich zeitgenössischer Zeugnisse, wie dies für die unter sehr spezifischen Umständen zusammengetragenen Informationen der zwei Personen aus dem engsten persönlichen Umfeld um Hitler gilt.

Von zahlreichen aufschlussreichen Details abgesehen, handelt es sich beim Buch Hitler wohl um den einzigen, durch monatelange Recherchen und Verhöre des Geheimdienstes erstellten biographischen Text, der für beide, Stalin und Hitler, aussagekräftig ist, übrigens auch für das, was offenbar bewusst ausgelassen wurde: den Hitler-Stalin-Pakt vom August 1939, den Anfang vom Ende der direkten politischen Beziehungen beider Diktatoren.

Vorwort der Herausgeber

Als sich Adolf Hitler am 30. April 1945 kurz vor halb vier Uhr im unterirdischen Bunker der Reichskanzlei erschoss, standen die Spitzen der Roten Armee nur noch ein paar hundert Meter entfernt – ihnen wollte Hitler unter keinen Umständen in die Hände fallen. In einem Käfig über den Roten Platz getragen und von einem wütenden Mob grausam gelyncht zu werden, das war die grässliche Zwangsvorstellung, die er gegen Ende seines Lebens mit dem Bolschewismus verband.

Josef Wissarionowitsch Stalin hingegen kam seit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 von seinem Hitler-Trauma nicht mehr los – und bezweifelte die Nachricht vom Selbstmord des Diktators. Er glaubte an Hitlers Flucht und ein geheim gehaltenes Asyl bei den West-Alliierten, denen er unterstellte, sie wollten den Krieg gegen die Sowjetunion weiterführen. Die Berichte über Hitlers Tod klangen allzu widersprüchlich, und je mehr angebliche Hitler-Leichen präsentiert wurden, desto mehr ließ sich Stalin verunsichern. Von mehreren ranghohen Funktionären des Regimes wusste man bald zuverlässig, dass sie entkommen waren. Unzufrieden mit den sowjetischen Ermittlungsergebnissen, erteilte Stalin Ende 1945 dem Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten (NKWD) den Auftrag, die letzten Tage im Bunker unter der Reichskanzlei zu rekonstruieren und Hitlers Tod definitiv nachzuweisen.

Zur Durchführung der »Operation Mythos« – so der Deckname des Unternehmens – wurde beim zuständigen Volkskommissar Sergej Kruglow eine Arbeitsgruppe aus hochrangigen Offizieren gebildet. Hier liefen alle Fäden zusammen. Mitarbeiter des NKWD beschafften sämtliche verfügbaren Unterlagen über Hitler und sein Regime, die Offiziere der Abteilung für Kriegsgefangenenwesen fahndeten in den Lagern nach Mitarbeitern des Diktators, die immer neuen Verhören unterzogen wurden. Auch das Innenministerium (MWD), die Nachfolgebehörde des NKWD, befasste sich regelmäßig mit der »Operation Mythos«. Stalin ließ sich von seinem Stellvertreter im Ministerrat, dem langjährigen Innenminister und Geheimdienstchef Lawrenti P. Berija, mehrfach über den Fortgang der Recherchen berichten.

Am 29. Dezember 1949 erhielt der Diktator eine Art Abschlussbericht von 413 Schreibmaschinenseiten über das Leben Hitlers in den Jahren 1933 bis 1945 mit dem Titel Das Buch Hitler. Nach der Lektüre ließ Stalin den Text in sein persönliches Archiv, das Archiv des Generalsekretärs, einordnen. Dieses Exemplar wird noch heute im persönlichen Archiv des russischen Präsidenten aufbewahrt, wo es für ausländische Nutzer nicht zugänglich ist.

1959 hielt es Stalins Nachfolger, Nikita S. Chruschtschow, für opportun, in die in der Bundesrepublik erbittert geführte Debatte um Hitler und den Zweiten Weltkrieg einzugreifen. Er gab Anweisung, parteitreuen Historikern bestimmte Materialien aus den Akten der »Operation Mythos« zugänglich zu machen. Daraufhin wurde von dem Buch Hitler eine Abschrift für die Ideologische Kommission beim Sekretariat des Zentralkomitees der KPdSU angefertigt und am 20. April 1959 ZK-Sekretär Leonid Iljitschow übergeben. Der gewünschte Zweck ließ sich mit dem Dokument jedoch nicht erreichen, gab das Buch Hitler doch eine Version der Geschichte des Zweiten Weltkrieges wieder, die der offiziellen Parteipropaganda nicht entsprach. Außerdem waren zahlreiche Details über die Diplomatie des nationalsozialistischen Deutschland, die Kampfhandlungen an der deutsch-sowjetischen Front und den Untergang des Dritten Reiches bisher anders dargestellt worden – Grund genug, die Akte weiterhin unter Verschluss zu halten. Sekretär Iljitschow sperrte sie und ließ sie in den Aktenbestand der »Allgemeinen Abteilung« einordnen.

Mit Öffnung des Parteiarchivs im Jahr 1991 bestand für ausländische Historiker die Möglichkeit, KPdSU-Akten einzusehen. Aufgrund der Einordnung des Buches Hitler in den Bestand der Allgemeinen Abteilung und einer nicht ohne weiteres nachvollziehbaren Verschlagwortung in den Findbüchern des Archivs blieb die Akte mit der Nr. 462a lange unentdeckt. Erst die von Matthias Uhl vorgenommene systematische Durchsicht der Bestände der Allgemeinen Abteilung im Rahmen eines Forschungsprojektes des Instituts für Zeitgeschichte förderte das Buch Hitler schließlich zutage. Ein russischer Kollege mit Zugang zum Präsidentenarchiv hat Abschrift und Original überprüft und die Echtheit der Akte beglaubigt. Bei der Akte Nr. 462a handelt es sich um eine wortidentische Abschrift des NKWD-Dossiers aus dem Jahr 1949.

Wichtigste Grundlage für das spätere Manuskript der Arbeitsgruppe des MWD waren die Aussagen und Niederschriften zweier Männer, die Hitler jahrelang Tag für Tag aus nächster Nähe erlebt hatten: Heinz Linge und Otto Günsche. Ihnen befahl Hitler auch die Verbrennung seiner Leiche (und die seiner Ehefrau Eva). Seit 1935 gehörte Linge dem Begleitkommando des Führers an, 1939 wurde er sein persönlicher Diener, später Chef des persönlichen Dienstes bei Hitler. Günsche kam 1936 ins Begleitkommando, 1943 ernannte ihn Hitler zum Persönlichen Adjutanten. Nach kurzem Fronteinsatz war er ab Februar 1944 erneut Persönlicher Adjutant Hitlers. Beide waren in der Nacht vom 2. zum 3. Mai 1945 in sowjetische Gefangenschaft geraten.

Vier Jahre lang, von 1946 bis 1949, mussten Linge und Günsche Auskunft über Hitler geben. Immer wieder fragten die Vernehmer nach den Lebensumständen des Diktators, nach seinem Verhältnis zu den Spitzen der Wehrmacht, nach Details zu Vorgängen im jeweiligen Führerhauptquartier. Wegen der starken Zweifel an Hitlers Selbstmord schaffte man Linge und Günsche 1946 sogar nach Berlin, wo sie noch einmal exakt den Ablauf der letzten Stunden im Leben Hitlers wiedergeben und den genauen Platz der Verbrennung bezeichnen mussten. Nach ihrer Rückkehr forderten die Offiziere des MWD sie – und andere einstige Mitarbeiter Hitlers auf – auf, ihre Erinnerungen schriftlich niederzulegen. Gleichzeitig wurde der Druck auf die prominenten Häftlinge erhöht, indem man ihnen den Status als reguläre Kriegsgefangene aberkannte. Für den Fall, dass sie sich weigerten, ihre »Erinnerungen« zu Papier zu bringen, drohte die Staatsanwaltschaft, sie als Kriegsverbrecher anzuklagen.

Vermutlich war es Linge, der sich als Erster bereit erklärte, »Memoiren« zu verfassen. Seine Einzelzelle war von Wanzen bevölkert, er wurde gedemütigt und mehrfach ausgepeitscht. Sein Vernehmer verhörte ihn mit unerbittlicher Geduld, die ihn, so Linge später, »schier zur Verzweiflung brachte«. Günsche wird einer ähnlichen Prozedur unterzogen worden sein. Immerhin erklärte er sich im Frühjahr 1948 bereit, einen Text über die deutschbritischen Friedensgespräche zu Papier zu bringen, der umgehend Stalin vorgelegt wurde.

Die Offiziere der Sonderkommission nahmen die Aufzeichnungen später zu den Akten der »Operation Mythos« und übergaben die Autoren einem Sondergericht. Linge und Günsche wurden zu je 25 Jahre Zwangsarbeit verurteilt. 1955 wurden sie mit den letzten Kriegsgefangenen aus sowjetischer Haft entlassen. Linge reiste in die Bundesrepublik weiter. Günsche, in die DDR verbracht, wurde dem Ministerium für Staatssicherheit überstellt. Für ihn – wie für viele andere von sowjetischen Gerichten Verurteilte – öffneten sich die Tore des Zuchthauses Bautzen 1956.

Beteiligt an der Abfassung des Buches Hitler waren mehrere Offiziere, dazu Dolmetscher und Übersetzerinnen. Der Chef der Kommission, Oberstleutnant Fjodor Karpowitsch Parparow, kontrollierte regelmäßig den Fortgang der Arbeiten und redigierte die Endfassung des Textes. Zweifellos war er für einen Auftrag wie die Bearbeitung des Buches Hitler qualifiziert. Er hatte Rechtswissenschaften studiert und arbeitete seit 1926 für den sowjetischen Auslandsnachrichtendienst. Seine Felderfahrung sammelte er in Deutschland, wo er – getarnt als Kaufmann aus Costa Rica – mehrere Quellen in der NSDAP und im Auswärtigen Amt anwarb. Am ergiebigsten war für ihn die bisher nicht identifizierte Agentin »Elsa/Juna«. Hierbei handelte es sich um die Frau eines hochrangigen deutschen Diplomaten in der näheren Umgebung des späteren Außenministers Joachim von Ribbentrop.

Nach kurzem Einsatz in der Türkei und den Niederlanden geriet Parparow in die Mühlen der stalinistischen »Säuberungen«. Offenbar entsprachen seine Deutschland-Berichte nicht den politischen Prämissen des Hitler-Stalin-Paktes. Unmittelbar nach dem Angriff der deutschen Wehrmacht wurde er rehabilitiert und verhörte seit Ende 1941 als Angehöriger der 4. Verwaltung des Volkskommissariates für Staatssicherheit im Hinterland der sowjetischen Front deutsche Kriegsgefangene. Sein wichtigster Häftling war der Generalfeldmarschall Friedrich Paulus, den er in wochenlangen Gesprächen langsam und beharrlich auf die Seite der Sowjetunion zog und für den Nürnberger Hauptkriegsverbrecher-Prozess als Belastungszeugen präparierte.

Obwohl Parparows Deutschkenntnisse als exzellent geschildert werden, gestaltete sich die Transformierung der Verhörprotokolle und der Aufzeichnungen von Linge und Günsche zum Buch Hitler offenbar schwierig. Schon bei der Übertragung ins Russische musste Parparow zwei konträren Anforderungen gerecht werden: Der Text sollte authentisch wirken, also die Aussagen bis in die Nuancen exakt und möglichst in Linges und Günsches Worten wiedergeben, aber er musste auch den Lesegewohnheiten und Erwartungen des Auftraggebers – Josef Stalin – entgegen kommen. Zwischen diesen beiden Polen entwickelte Parparow einen eigenen Stil der Darlegung, ein merkwürdiges Gemisch aus Authentizität und gestanztem Amtsrussisch, dem man den Erwartungsdruck deutlich anmerkt.

Auch wenn Duktus und Aufbau des Textes unverkennbar die Herkunft des Materials zu erkennen geben – das Verhör und den Bericht so steht andererseits außer Zweifel, dass das Autorenkollektiv des NKWD zuweilen der Versuchung nicht widerstehen konnte, dramatische oder besonders emotionale Situationen auszuschmücken. Der eklatanteste Verstoß gegen die Regeln einer nüchtern-sachlichen Berichterstattung findet sich gleich am Anfang des Buches Hitler. Die offenbar aus dramaturgischen Gründen für notwendig erachtete Wiedergabe einer Schlüsselszene aus dem Jahr 1933 ist eindeutig nicht authentisch. Hierdurch soll lediglich die Figur Hitler eingeführt und auf die zentrale Stellung seiner persönlichen Garde, der SS-Leibstandarte »Adolf Hitler«, hingewiesen werden. Erst für die Zeit nach 1935 nimmt der Text den Charakter eines Augenzeugenberichtes an. Für zahlreiche Begebenheiten in späteren Jahren, zumal einige Vier-Augen-Gespräche Hitlers, sind die Aussagen von Linge oder Günsche die einzige Quelle. Sie berichten von Lagebesprechungen, von denen keine Protokolle mehr existieren, und sie erinnern sich an Situationen, die andere Zeitzeugen vor Gericht oder in ihren Memoiren wohlweislich verschwiegen. Genau registrierten sie auch den körperlichen und geistigen Verfall des Diktators, ohne Einblick in die medizinischen Dossiers zu haben.

Was das Buch Hitler von vergleichbaren Dokumenten unterscheidet, ist die existentielle, unmittelbar lebensbedrohende Situation, unter der es entstand. Zum einen mussten Linge und Günsche ständig auf der Hut sein, bei einer falschen oder auch nur unpräzisen Auskunft schon am nächsten Tag der Unwahrheit überführt zu werden. Zum anderen konnten sie, da sie in Einzelhaft saßen, weder ihre Aussagen noch ihre »Verteidigungsstrategie« abstimmen. Die Vernehmer ihrerseits suchten während der mehrjährigen Verhöre memorierte Ungenauigkeiten auszumerzen und befragten Linge und Günsche immer wieder aufs Neue zu denselben Vorgängen.

Was Linge und Günsche berichteten, wurde mit den Aussagen anderer Gefangener abgeglichen. Wenn man bedenkt, dass weder den Vernehmern noch den Befragten Aufzeichnungen zur Verfügung standen, ist das Ergebnis um so beeindruckender. Im Buch Hitler werden Fakten und Daten überwiegend exakt benannt, Szenen korrekt beschrieben und selbst Dokumente präzise wiedergegeben. Der Vergleich eines von Günsche memorierten Schriftstücks mit dem inzwischen publizierten Original zeigte, dass er in der Wiedergabe das Wort »erfolgt« anstelle von »erhalte« einsetzte und »übernehme« statt »übernehmen muss« schrieb. Auch an Aussprüche Hitlers erinnerten sich Linge und Günsche mit großer Präzision. Ein Abgleich mit den publizierten Reden und Schriften Hitlers sowie mit anderen Zeitzeugenberichten ergab Abweichungen, jedoch keine gravierenden Ungenauigkeiten.

Linges Stärke lag sicher in der Wiedergabe von Alltagsbegebenheiten, Stimmungen und in der Beschreibung des engeren Kreises um Hitler. Von ihm dürfte der größte Teil jener Passagen stammen, für die sich Stalin besonders zu interessieren schien und die man am besten wohl als Klatsch und Tratsch am »Hofe Hitler« qualifiziert. Der fronterfahrene Günsche verfügte über einen ausgeprägten militärischen Sachverstand. Die von ihm memorierten Begebenheiten sind ausgesprochen kühl wiedergegeben. So beschreibt er die Verhaftung und Hinrichtung von Hitlers »Schwager« Hermann Fegelein absolut emotionslos. Dabei war er es, der Hitler davon überzeugte, dass es notwendig sei, diesen einem Standgericht zu übergeben.

Während die Bearbeiter des NKWD Inhalt und Duktus der Aussagen nur in Ausnahmefallen verändert haben dürften, spiegelt sich ihr Einfluss in der Terminologie deutlicher wider. Der Text verrät das ängstliche Bestreben der Verfasser, Stalins Anforderungen an ein solches Manuskript im Vorhinein unbedingt gerecht zu werden, ja sich dem Stil des Generalsekretärs und obersten Kriegsherrn weitestgehend anzupassen. Hätte der Bericht ihm missfallen oder auch nur Fragen aufgeworfen, so hätte das für die Beteiligten nicht absehbare Folgen haben können. Passagen, die nicht mit Stalins Vorstellungen kompatibel waren, wurden gestrichen. So finden sich im endgültigen Text nur zwei versteckte Hinweise auf den Hitler-Stalin-Pakt von 1939. Die Beflissenheit der Bearbeiter zeigt sich darin, dass die Namen handelnder Personen, ihre Funktionen und sonstige für den Zusammenhang wichtige Erläuterungen häufig wiederholt werden (wie das auch Stalin in seinen Reden und Publikationen tat) und in Klammern oder Fußnoten einige – oft überflüssige – Hinweise zu Deutschland und zur deutschen Politik erfolgen. Was Stalin den Zugang erleichtern sollte, führte zu Redundanzen, die dem heutigen Leser ungewohnt erscheinen.

Was auffällt, ist die sparsame Verwendung der offiziellen Bezeichnungen für die nationalsozialistischen Einrichtungen. Die von den Befragten mit Sicherheit benutzten Begriffe tauchen im Text häufig nur in Umschreibungen auf. So ist viel von Hitlers Leibwache, aber nie vom Führer-Begleitkommando, selten von der Leibstandarte die Rede. Die NSDAP taucht nie mit ihrem offiziellen Namen und der entsprechenden Abkürzung, sondern nur als nationalsozialistische Partei auf (wobei das Adjektiv kleingeschrieben wird). Wenn offizielle Termini gebraucht werden, dann meist in Anführungszeichen: »Drittes Reich«, »Braunes Haus«, »Wolfschanze«, »Hitlerjugend« oder »Volkssturm«.

Der Gebrauch von Personennamen ohne Vornamen, Rangbezeichnung oder Adelsprädikate soll Distanz andeuten. Nicht anders verhält es sich mit der durchgängig gebrauchten Vokabel »Schloss« für Hitlers Berghof. Zwar erscheint diese Bezeichnung für die Residenz angesichts ihrer Größe und der am Obersalzberg zügig errichteten Infrastruktur nicht abwegig, aber Linge und Günsche haben dieses Wort ganz sicher nicht benutzt. Anstelle der üblichen Formulierung »deutscher Gruß« oder »Hitlergruß« wurde »Faschistengruß« gebraucht, auch die Charakterisierung des SD-Chefs Ernst Kaltenbrunner als »Schlächter« dürfte von Parparows Redaktion in den Text hineingeschrieben worden sein.

Auffällig ist zuletzt ein – meist unbeholfen gebrauchtes – stilistisches Mittel. Um den Bericht aufzulockern und Spannung zu erzeugen, wechseln die Redakteure zuweilen abrupt die Zeitform. Läuft die Erzählung insgesamt im Imperfekt ab, so springt sie plötzlich ins Präsens, wenn eine Szene besonders hervorgehoben werden soll. Dabei geht es innerhalb weniger Zeilen oft hin und her, und nicht immer ist die dabei verfolgte Logik zu erkennen.

Die Reihe der redaktionellen Eingriffe und stilistischen Besonderheiten ließe sich fortsetzen. Die wenigen Beispiele dürften jedoch genügen, die Überzeugung der Herausgeber plausibel zu machen, dass jede nachträgliche Vereinheitlichung und Glättung des Textes den Charakter des historischen Dokuments in unzulässiger Weise verfälscht hätte. Die Übersetzung durch Helmut Ettinger folgt daher dem Original. Die Authentizität des Buches Hitler beruht ja nicht nur auf dem, was mitgeteilt wird, sondern auch auf der Art und Weise seines Zustandekommens. Die Umständlichkeiten des Stils, in denen sich sowohl die komplizierte Entstehungsgeschichte als auch das heikle politische Umfeld niederschlagen, sind als wesentlicher Bestandteil des Dokuments anzusehen und müssen hingenommen werden.

Das Buch Hitler enthält die Schilderungen zweier SS-Offiziere, die mit Hitler täglich zu tun hatten, ohne ihm jedoch menschlich nahe zu sein. Sie bewunderten ihn und waren gläubige Nationalsozialisten, verstanden aber – wie die meisten Zeitgenossen – nicht, welche Ziele der Diktator wirklich verfolgte. In ihren Erinnerungen haben sie manches distanzierende Urteil sicher schärfer herausgestellt, dabei aber nie ihre unmittelbare Nähe zu Hitler geleugnet. Entstanden ist mit dem Buch Hitler ein ebenso einmaliges wie eigenartiges Dokument: Gestützt auf das Material von zwei SS-Sturmbannführern, hat ein Autorenkollektiv des sowjetischen Inlandsgeheimdienstes die Biographie Hitlers über vier Jahre so lange bearbeitet, bis sie an die Lesegewohnheiten des Auftraggebers angepasst war.

Der Text der Akte Nr. 462a aus dem ehemaligen Parteiarchiv enthält nicht nur viele bisher unbekannte Details zu Hitlers Politik und Kriegführung, er vermittelt auch ein ungeschminktes Bild, wie es in der Umgebung Hitlers wirklich zuging. Darüber hinaus spiegelt sich in diesem Dokument auf das Eindrücklichste die Auseinandersetzung zwischen dem Führer des Großdeutschen Reiches und jenem Mann, der eine Zeitlang glaubte, sich Europa mit ihm teilen zu können, und der ihn dann in einem mörderischen Ringen, das Millionen Menschen das Leben kostete, bezwang. Das Buch Hitler bildet gleichsam die Quintessenz des Antagonismus zwischen Hitler und Stalin, eines Gegensatzes, in dem zahlreiche Historiker von Alan Bullock bis Richard Overy einen Schlüssel zum Verständnis der Geschichte des letzten Jahrhunderts gefunden haben.

Berlin, Halle, am 3. Januar 2005 Matthias Uhl und Henrik Eberle

1. Kapitel

Sommer 1933. Die Sonne scheint auf den Wilhelmplatz in Berlin. Dort befindet sich die Reichskanzlei. Nachdem Hitler am 30. Januar 1933 an die Macht gekommen ist, hat hier die neue Ära des »Dritten Reiches« begonnen. Hinter den Gardinen eines Fensters im ersten Stock steht ein Mann mittlerer Größe, dem eine Haarsträhne in die Stirn fällt. Das ist Hitler. Leicht nach vorn gebeugt, beobachtet er das militärische Zeremoniell, das unten im »Ehrenhof« abläuft. Dort findet die Wachablösung statt, zelebriert von den Soldaten seiner Leibwache, SS-Leibstandarte »Adolf Hitler« genannt.34 Hoch fliegen die Beine der SS-Leute, hart knallen die beschlagenen Stiefel auf den Asphalt. Die Männer stehen stramm, den Blick starr nach vorn gerichtet. Die Wachablösung ist beendet, und Hitler tritt vom Fenster zurück. Schon 14.00 Uhr – Zeit für Hitlers Mittagessen.

Heute speisen mit ihm die Adjutanten Wilhelm Brückner und Julius Schaub, der Kommandeur der Leibstandarte Sepp Dietrich und Reichspressechef Otto Dietrich. Linge hat Telefondienst in Hitlers Speisezimmer. Die Tischgespräche dringen bis zu ihm.

Die Einwürfe der Adjutanten lassen unschwer erkennen, dass sie aus ihrer Stellung persönlichen Vorteil ziehen wollen, bevor es zu spät ist. Hitler meint ironisch, er habe nicht die Absicht, den Posten des Reichskanzlers so schnell wieder aufzugeben. In schneidendem Ton ruft er aus: »Man hat mir vorausgesagt, dass ich mich nur Monate halten werde. Aber die werden sich noch wundern. Ich bleibe!«

Hitler kündigt an, jeden Widerstand mit allen Mitteln brechen. »Ich bin kein Kanzler wie Bismarck, der nur der Reichskanzler des Kaisers war. Ich habe meine Partei! Ich bin der Führer! Welche Eigenschaften muss ein Führer haben? Vor allem einen Namen, der stets in aller Munde ist. Deshalb habe ich den Gruß ›Heil Hitler!‹ eingeführt, der meinen Namen enthält. Da bin ich aber froh, dass ich nicht Oberhubinger oder Unterkirchner heiße!35 Die Massen müssen den Führer immer vor Augen haben... Alle Kameras sind auf mich gerichtet: Die Menge sieht jeden meiner Schritte. Der Führer muss die Massen mitreißen wie ein Schauspieler – seine Kleidung, seine Mimik und seine Gesten – alles ist wichtig...«

Das Mittagsmahl ist beendet. Hitler erhebt sich in glänzender Stimmung. Die Hände in den Jackentaschen, trällert er vor sich hin: »Schön ist jeder Tag, den du mir schenkst, Marie Luise« – ein Schlager aus den Berliner Vergnügungslokalen, der es ihm angetan hat.

Plötzlich hält er inne und sagt, zu den Adjutanten gewandt: »Wie glücklich bin ich, dass die Vorsehung mich dem verzweifelten deutschen Volk in seiner Schicksalsstunde als Retter geschickt hat.«

In den Kellern des Hotels Prinz Albrecht in der Berliner Prinz-Albrecht-Straße, wo sich die Gestapo befand, waren in jenen Tagen Häftlinge eingesperrt, die von Hitlers »gottgewollter« Mission nichts hielten.36 In diesem Gestapo-Gefängnis saßen besonders wichtige Personen ein.

Nach dem »Ermächtigungsgesetz« wurden hunderttausende aufrechter Deutscher in die Konzentrationslager geschickt – nach Oranienburg, Buchenwald oder Dachau.37 Wegen Baufälligkeit längst stillgelegte Gefängnisgebäude führte man auf Weisung Himmlers »zum Schutz von Volk und Vaterland« erneut ihrer Bestimmung zu.

In der Reichskanzlei war bekannt, dass Hitler Gefängnisse und Konzentrationslager persönlich mit immer neuen Häftlingen belieferte.38 Dabei erklärte er: »Wir hätten viel zu tun, wenn wir unsere Zeit mit Gerichtsprozessen verschwenden würden. Auf die Herren Juristen kann ich mich nicht verlassen. Es ist doch viel praktischer zu verhaften... ohne dass die Paragraphenreiter einbezogen werden... Dieses Recht nehme ich mir. Ich bin mein eigener Justizminister!«

Die Keller des Hotels Prinz Albrecht konnten bei weitem nicht alle wichtigen »politischen Verbrecher« des »Dritten Reiches« fassen. Sie drängten sich auch im berüchtigten Columbiahaus in Berlin-Tempelhof, einem wegen Baufälligkeit stillgelegten Fabrikgebäude, wo die Gestapo ebenfalls ein Gefängnis eingerichtet hatte.39

Aufseher in diesen Berliner Gestapo-Verliesen waren ausgewählte Nazis, die sich vor Hitlers Machtübernahme, darauf »spezialisiert« hatten, Kommunisten aus dem Hinterhalt zu ermorden und kommunistische Kundgebungen in den Straßen Berlins auseinander zu knüppeln. Ihre Wachstuben waren mit Plakaten beklebt, auf denen es hieß: »Führer befiehl, wir folgen!«

Die Gefangenen wurden gefoltert, mit Füßen getreten und unmenschlich misshandelt.

Die Aufseher meinten grinsend: »Wir haben hier unseren Spaß... Himmler hat gesagt: ›Die Unverbesserlichen bleiben im Gefängnis, bis sie schwarz werden... So bahnen wir den Weg zur nationalen Wiedergeburt.‹«

23. Juni 1934. Auf besonderen Befehl sind die Tore der Kasernen in Berlin-Lichterfelde, wo die SS-Leibstandarte »Adolf Hitler« untergebracht ist, geschlossen. Niemand darf die Kaserne verlassen. Die Männer haben Befehl, sich in voller Montur schlafen zu legen. Koppel und Stahlhelm liegen auf dem Schemel. Die Maschinengewehre stehen auf dem Tisch. Schon eine Woche lang wird jede Nacht Probealarm ausgelöst. Niemand weiß, was eigentlich los ist. Die Vorgesetzten hüllen sich in Schweigen.

Am Abend des 29.Juni wurden endlich mehrere Einheiten der Leibstandarte auf dem Bahnhof Lichterfelde-Ost in Waggons verladen und nach München gebracht. Schon beim Einsteigen sickerten Gerüchte durch, der Stabschef der Sturmabteilungen (SA), Ernst Rohm, einer von Hitlers engsten Mitkämpfern, bereite einen Aufstand vor. Es hieß, Rohm, hinter dem die SA stand, verlange von Hitler für seine Verdienste bei der Machtübernahme einen höheren Posten im Staat.

Am 30. Juni wurden die Einheiten der Leibstandarte nachmittags auf dem Münchner Hauptbahnhof ausgeladen und marschierten zum »Braunen Haus«.40 Auf dem Balkon des »Braunen Hauses« stand Hitler. In Viererreihen defilierten die SS-Männer im Stechschritt an ihm vorbei.

Zu diesem Zeitpunkt war der so genannte »Röhm-Putsch« mit der Festnahme Röhms und seiner Helfershelfer bereits niedergeschlagen. Die Aktion wurde von Hitler persönlich geleitet. Am frühen Morgen des 30. Juni war er mit einer Wagenkolonne unter verstärkter Bewachung nach Bad Wiessee (zwei Autostunden von München entfernt) gefahren, wo sich Rohm mit seinem Stab befand.

In Bad Wiessee ertappte Hitler Rohm, den SA-Obergruppenführer in Schlesien Heines und andere hohe SA-Führer im Bett mit jungen Homosexuellen. Er befahl, alle festzunehmen. Rohm wurde ins Münchner Polizeigefängnis gebracht. Dort wurde er aufgefordert, sich selbst das Leben nehmen, wofür man ihm eine Pistole in die Zelle legte. Rohm warf sich schluchzend zu Boden und flehte um sein Leben. Von der stolzen Pose und den hohlen Phrasen, die das deutsche Volk von diesem Führer der nationalsozialistischen Partei und des »Dritten Reiches« kannte, blieb nur ein jämmerliches Winseln.41

Rohm wurde erschossen.

Offiziell hieß es, Rohm sei wegen Homosexualität hingerichtet worden. Aber Hitler verschwieg dem deutschen Volk, dass Homosexualität in führenden Kreisen der nationalsozialistischen Partei und der Hitlerjugend weit verbreitet und geduldet war.

Den wahren Grund, weshalb er Rohm als seinen Rivalen erschießen ließ, enthüllte Hitler seiner engeren Umgebung mit den Worten: »Ich lasse nicht mehr mit mir spaßen! Soll das allen meinen versteckten und offenen Feinden als Warnung dienen! Ich bin kein Kanzler vom alten Schlag. Ich bin Hitler! In Partei und Staat ist nur einer Herr im Haus, und das bin ich!«

In den Tagen des »Röhm-Putsches«, der ein Machtkampf zwischen Hitler und Rohm war, wurden zahlreiche unschuldige Menschen erschossen, die dem »Dritten Reich« aus diesem oder jenem Grund nicht genehm waren.42

SS-Männer der Leibstandarte, die in Lichterfelde zurückgeblieben waren und an den Erschießungen in Berlin teilgenommen hatten, berichteten ihren aus München zurückkehrenden Kameraden Einzelheiten. Lastwagenweise seien Gefangene auf das Kasernengelände in Lichterfelde gefahren worden. Die Gefangenen wurden mit nacktem Oberkörper an die Kapellenwand auf dem Kasernenhof gestellt und dort erschossen.43

Die Mitglieder des Erschießungskommandos berichteten: »Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie betrunken wir waren. Man hat uns ohne Ende Schnaps zu saufen gegeben.«

In jenen Tagen wurde auch der frühere Reichskanzler und Kriegsminister, General von Schleicher, »unschädlich gemacht«. In der Reichswehr war bekannt, dass Schleicher als Gegner Hitlers eine Militärdiktatur befürwortete.

Auf Himmlers Anweisung drangen zwei Gestapo-Leute in die Berliner Wohnung des Generals ein. Schleichers Tochter, die ihnen öffnete, wurde auf der Stelle erschossen. Die Gestapo-Leute stiegen über ihre Leiche, und als Schleicher nach seiner Pistole griff, erschossen sie ihn und seine Frau.«44

2. Kapitel

Zwar hatte Hitler nun Gegner und Rivalen in der Partei aus dem Weg geräumt, konnte aber nach wie vor nicht den Alleinherrscher spielen. Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, der greise Reichspräsident, stand ihm noch im Weg. Für den Ehrgeizling Hitler war es unerträglich, im Schatten einer solchen Persönlichkeit zu stehen.

Am 9. September 1934 starb Hindenburg endlich.45 Nach dessen Tod erklärte sich Hitler zum Staatsoberhaupt und zum Obersten Befehlshaber der Reichswehr. Das Amt des Reichspräsidenten eignete sich Hitler ebenfalls an. Jetzt hatte er alle Zügel der Macht in der Hand.

In seiner ersten Reichstagsrede nach Hindenburgs Tod erklärte Hitler, er verzichte auf das Gehalt, das ihm als Reichspräsident zustehe.46 Diese Erklärung war ein ebenso demagogischer Trick wie Goebbels’ Propagandageschichten für das deutsche Volk, in denen Hitler als selbstloser Mensch dargestellt wurde, der seinem Volk dienen wolle.

Mit seiner Machtübernahme wurde Hitler zu einem der reichsten Männer Deutschlands. Er hatte Einkünfte in Millionenhöhe, und brauchte natürlich das Präsidentengehalt nicht. Sein Buch Mein Kampf, das Pflichtlektüre war, brachte ihm enormen Profit.47

Hitler war Mitbesitzer des Parteiverlages Eher. Dieser schluckte einen Verlag nach dem anderen und wurde schließlich zu einem der größten Pressekonzerne Deutschlands.48 Dank seiner Monopolstellung warf er kolossale Dividenden ab. Den Löwenanteil davon erhielt Hitler.49 Hitler verfügte auch ohne jede Kontrolle über die Parteikasse der nationalsozialistischen Partei.50

Die war im Grunde genommen ein grandioses kapitalistisches Unternehmen. Neben Mitgliedsbeiträgen und Großspenden von deutschen Industriellen und Bankiers flossen die Einnahmen verschiedener Unternehmen, darunter Güter in Mecklenburg und Bayern, in die Parteikasse.

Um Profit zu machen, wurde sogar eine Kette von Hotels gegründet, die über ganz Deutschland verstreut war. Sie hieß Parteihotel-Konzern Färber. Direktor war der Altnazi Färber, ein Freund Martin Bormanns.

Aber selbst diese riesigen Einnahmen genügten Hitler nicht. Entgegen den vor seinem Machtantritt geltenden Regeln ordnete er an, den »Staatsfonds« und den »Repräsentationsfonds« der Kontrolle des Rechnungshofes zu entziehen, um ungehindert Geld für persönliche Zwecke ausgeben zu können.51 Dabei erklärte er: »Ich lasse nicht zu, dass diese alten Sklerotiker mir vorschreiben, wie viel ich ausgeben darf!«

Hitler kaufte auf dem Obersalzberg bei Berchtesgaden riesige Grundstücke auf und ließ sich dort ein luxuriöses Schloss bauen, das unter dem Namen »Berghof« bekannt geworden ist. Um das Schloss zu errichten, wurde am Obersalzberg Abriss in großem Stil betrieben. Dem Erdboden gleichgemacht wurden Wohnhäuser, Pensionen, selbst ein Erholungsheim für gelähmte Kinder, die man aus ganz Deutschland zur Klimakur dorthin brachte.52

Hitlers Palast mit seinen gepflegten Parkanlagen und Straßen kostete etwa 1oo Millionen Mark.53 Für seinen Bau wurden nicht nur Gelder des Volkes verschwendet, sondern auch Menschenleben geopfert. Gebaut wurde an fast unzugänglichen Felswänden in großer Höhe. Sprengungen, die ohne ausreichende Vorsichtsmaßnahmen durchgeführt wurden, lösten Lawinen und Steinschläge aus. Es herrschten Arbeitsbedingungen wie für Sträflinge, und es kam zu Todesfällen.54

Das Schloss Berghof wurde in einer Höhe von 1000 Metern am Hang des Obersalzbergs beim Luftkurort Berchtesgaden in den Bayerischen Alpen errichtet. Es bestand aus 60 Räumen, die mit teuren Möbeln, wertvollen Gobelins sowie Gemälden holländischer, italienischer und deutscher Meister ausgestattet waren.

Die Bilder kaufte Hitler bei der Münchner Antiquitätenhändlerin Frau Almers und beim Berliner Antiquitätenhändler Haberstock sowie über seinen Fotografen Hoffmann und den Direktor der Dresdener Gemäldegalerie.55

Im Parterre lag Hitlers Speisezimmer. Es war ganz mit heller Kiefer getäfelt. Die Ausstattung bestand aus Tafelsilber, teurem Porzellan und Kristall, das Millionen kostete. Das Geschirr stammte aus Staatsbeständen, vor Hitlers Machtantritt war es für Regierungsempfänge in Berlin bestimmt. Auf dem Tafelsilber waren außer dem deutschen Adler und dem Hakenkreuz die Initialen »A. H.« (Adolf Hitler) eingraviert. Der Tisch war mit Goldleuchtern in Form von Engelsfiguren geschmückt, die Schalen für die Kerzen in den Händen hielten.

In dieser Etage befanden sich auch der Salon und die große Halle. Den Salon beherrschte ein Ofen, auf dessen braunen Kacheln sich Reliefs von Mädchen mit Nazifahnen und jungen Trommlern befanden. Dort hing auch ein sehr wertvolles, altes italienisches Gemälde mit einer Darstellung des Kolosseums in Rom.

An den Salon schloss sich auf der einen Seite der Wintergarten mit Terrasse an, auf der anderen Seite die riesige Gesellschaftshalle von über 200 Quadratmeter Größe, die vom Salon mit einer Portiere abgetrennt war. Aus dem Salon führten einige Stufen hinunter. Neben der untersten Stufe stand auf einem Podest ein Kopf des Zeus, der von Ausgrabungen in Italien stammte. Die Attraktion des Raums war ein riesiges Panoramafenster von 32 Quadratmetern aus Glasscheiben, die ganz heruntergelassen werden konnten. Hitler machte jeden Gast auf dieses Fenster aufmerksam, durch das sich ein herrlicher Blick auf die Alpen und die Stadt Salzburg in Österreich eröffnete. Stolz erklärte Hitler, er habe sein Schloss eigentlich wegen dieses Fensters bauen lassen. Vor dem Fenster stand ein langer Marmortisch, wo Hitler, wenn er in der Kriegszeit auf dem Obersalzberg weilte, seine Lagebesprechungen abhielt. An den Wänden der Halle hingen Gobelins und Gemälde, darunter die Venus von Tizian.56 Der Fußboden war mit rotem Velours ausgelegt, auf dem seltene persische Teppiche lagen. Auf dem Bechstein-Flügel stand eine Büste von Richard Wagner. Hier, am großen Kamin, pflegte Hitler seine Abende im intimen Kreis bei Tee und Schallplattenmusik vom Grammophon zu verbringen.

Aus der Vorhalle des Schlosses führte eine breite Marmortreppe in den ersten Stock. In der Vorhalle hing ein Porträt von Bismarck, das bei Einbruch der Dunkelheit angestrahlt wurde.

Im ersten Stock lagen Hitlers Privaträume, an die sich die Zimmer seiner Geliebten Eva Braun anschlossen. Eines der Zimmer in Hitlers Appartement war eine Bildergalerie. Hier stand ein Schrank von hohem Wert, der einst Friedrich II. gehört hatte. Der Schrank war mit verschiedenen Edelhölzern verkleidet. Hitlers Arbeitszimmer war hellbraun getäfelt und mit Möbeln aus poliertem Ahorn eingerichtet. Über dem Kamin hing ein Porträt von Moltke.

Eva Brauns Räume hatte man mit exklusivem Luxus ausgestattet.

Zum Schloss gehörte ein Grundstück von etwa drei Quadratkilometern, das bis zur Spitze des Kehlsteins in 1800 Meter Höhe reichte.

Auf dem Berggipfel hatte man das »Kehlsteinhaus«, einen Teepavillon, errichtet, dessen Größe und Bauweise an eine mittelalterliche Burg erinnerten. Er bestand ganz aus grauem Granit. Im Teepavillon gab es einen Rittersaal von 15 Meter Durchmesser. Die hohen Fenster waren in tiefe Nischen eingelassen. Zwischen den Fenstern hatte man vergoldete Kandelaber angebracht, die große Wachskerzen trugen. Außer diesem Saal gab es dort ein geräumiges Speisezimmer, ein Wohnzimmer, Räume für Hitlers Leibwache und das Personal sowie ein weiteres Wirtschaftsgebäude.

Auf den Kehlstein führte eine Autostraße, die in einem Tunnel im Fels endete. Von dort gelangte man mit einem Fahrstuhl in den Teepavillon. Die Straße auf den Kehlstein hat 13 Millionen Mark gekostet.57

Auf dem Schlossgelände gab es Almen und Rotwildgehege. Zum Schloss gehörte ein Gutshof mit modernster technischer Ausrüstung, der Hitler und sein Gefolge mit Lebensmitteln belieferte. Hitler meinte zuweilen, dass es »den Kühen hier besser geht als den Menschen«. Und fuhr im Scherz fort: »Hier möchte man gern eine Kuh sein, nicht wahr?«

Im Herbst 1935 gab Hitler als Staatsoberhaupt seinen ersten offiziellen Empfang für die Industrie- und Finanzmagnaten Deutschlands.

In der Reichskanzlei erwartet man die Ankunft der Gäste. Der Luxus dieses Empfangs soll alle rauschenden Feste des Kaisers in den Schatten stellen. Hitlers Gemächer zieren Gold, Bronze und Gobelins von sagenhaftem Wert. Den hell erleuchteten und festlich geschmückten Sälen nähert sich eine grauhaarige Frau im teuren Abendkleid. An ihrem faltigen Hals blitzen altehrwürdige Brillanten. Das ist die Gattin von Hjalmar Schacht, dem Reichsbankpräsidenten und Reichswirtschaftsminister. Heute, bei dem ersten großen Empfang für Industrielle und Bankiers, wird sie die Hausherrin spielen, denn Schacht ist die Hauptperson auf dem Bankett.

Er ist der Initiator dieser Begegnung der Industriellen und Finanziers mit Hitler, welche die Übereinstimmung der Interessen des Kapitals und der Hitlerregierung demonstrieren soll.

In Erwartung der Gäste wandelt Hitler im Frack, begleitet von seinem ersten Kammerdiener Linge, durch die Säle mit den in Gewächshäusern gezogenen duftenden Blumen.

Der ehemalige Gefreite Hitler ist aufgeregt: Zweifel quälen ihn, ob er sich so bewegen kann, wie es sich in dieser eleganten Gesellschaft geziemt. Er geht die für die Gäste gedeckten Tische entlang und rückt hier und da ein Besteck zurecht. Unmittelbar vor Eintreffen der Gäste hat er vor dem Spiegel noch einmal den Gesichtsausdruck geprobt, mit dem er den »hohen Herren« gegenübertreten will.

Die Gäste fahren vor. Diener in blauen, goldbetressten Livreen sind ihnen beim Aussteigen aus den Luxuslimousinen behilflich. Mädchen in braunen Seidenkleidern mit Spitzenschürzchen und -häubchen nehmen den Gästen die Mäntel ab.

Auf ein Zeichen von Meißner, dem Chef der so genannten Präsidialkanzlei, stößt Zeremonienmeister Jungfer, der mit Degen und Dreispitz unter dem Arm bereitsteht, seinen Stab dreimal auf den Boden und verkündet die Namen der eingetroffenen Gäste.

Hitler begrüßt sie mit einer tiefen Verbeugung. Anschließend hält er vor den Gästen eine Rede. Darin geht er auf sein vor der Machtübernahme gegebenes Versprechen ein, das Kapital könne sich seiner Positionen sicher sein.

»Jetzt kann man feststellen«, führt Hitler aus, »dass der Staat zum wichtigsten Auftraggeber der Industrie geworden ist und für ihre Entwicklung sorgt. Für mich steht Aufrüstung jetzt an erster Stelle. Ich werde Deutschland eine Macht verleihen, die in der Welt nicht ihresgleichen hat. Kanonen – das ist meine Außenpolitik!«58

Als Hitler geendet hat, applaudieren die Industriellen, Bankiers, Mitglieder des Kabinetts und Reichsleiter. Das Diner beginnt. An den Tischen sieht man die Monopolherren Krupp, Röchling, Kirdorf, Vogler, Poensgen, Stinnes, Schröder und Pferdmenges. Hitler sitzt neben dem Kanonenkönig Krupp von Bohlen und Haibach.

Linge, der hinter Hitlers Stuhl Aufstellung genommen hat, hört, wie Krupp diesem zuflüstert: »Ich habe von Schacht erfahren, dass es mit der Valuta derzeit Schwierigkeiten gibt, die sich auf den Import von schwedischem Stahl auswirken können...« Hitler erwidert selbstsicher: »Herr Geheimrat, dafür finden sich Valuta, und wenn ich sie aus dem Boden kratzen muss. Boden, aus dem man Eisen und Kohle holen kann, werden wir ebenfalls bekommen. Sie wissen, welchen Boden ich meine. Bedenken Sie nur, was für eine Rasse in dem Raum lebt, der sich vor unserer Haustür nach Osten erstreckt. Das sind Menschen zweiter Klasse. Man muss diesen Menschen die Sorge um einen so großen Raum und seine richtige Nutzung nehmen.«

Krupp pflichtet ihm bei und entwickelt seinerseits die Theorie, dass Deutschland das historische Recht auf Kolonialbesitz im Osten habe.

Spät am Abend geht das Fest zu Ende. Hitler zieht sich bestens gelaunt in seine Privaträume zurück. Im Anrichteraum trinken Bedienstete und Ordonnanzen die Weinreste aus.