Das Dorf der jungen Alten - Stefan Eduard Krenn - E-Book

Das Dorf der jungen Alten E-Book

Stefan Eduard Krenn

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Beschreibung

Dreck und Blut kleben in Jakobs Gesicht als er sich eines Morgens verletzt in einem Wald wiederfindet und in einer Situation, die unklarer nicht sein könnte. Sein Weg zur erhofften Klarheit führt ihn in ein Dorf, in dem er sich für einige Tage niederlassen kann. Er will herausfinden, was ihm passiert und eigentlich geschehen ist. Bald muss sich Jakob allerdings ganz andere Fragen stellen, denn irgendetwas stimmt mit diesem Dorf nicht. Vor allem mit dessen Einwohnern. Eine Schauergeschichte aus der österreichischen Provinz, die verwundert.

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EPUB

Seitenzahl: 169

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Adaption des gleichnamigen Drehbuches von Stefan Eduard Krenn aus 2014.

Mit besonderem Dank an meine Schwester Birgit.

Junge werden von alleine alt, Alte können jedoch jung bleiben.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel'

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

I.

Langsam wird es Morgen.

Die Sonne schimmert bereits durch die höchsten Baumspitzen im Wald und weckt nach und nach die Vögel, die bereits äußerst beflügelt mit ihrem täglichen Konzert beginnen und ihre Kehlchen einsingen.

Eine alte Bahnstrecke zieht sich in einer weiten Kurve zwischen zwei Waldstücken hindurch. Von einem zum andren, also von Nord nach Süd, und quer zu dieser Bahnstrecke schlängelt sich wiederum eine kleine Straße. Mitten in der Waldöffnung scheinen sich die Straße und die Bahnstrecke wie ein großes X zu treffen.

Fetzen von Bodennebel heben sich und wandern umher. Die letzten Stunden waren sehr ruhig, nun stört ein dumpfes Motorbrummen das Idyll. Ein Auto. Hochtourig und immer lauter werdend, je näher es an die Bahnstrecke kommt. Als es das nördliche Waldstück verlässt, dreht es weiter hoch und einige Meter vor den Schienen bremst es quietschend ab. Nach kurzem Bremsweg bleibt das kleine, schon etwas ältere Vehikel, direkt auf den Schienen stehen.

Die klapprige Türe wird aufgestoßen, eine Gestalt tritt hervor. Verhüllt in einem schwarzen Umhang. Eine junge Frau liegt regungslos auf dem Rücksitz. Die Gestalt beugt sich zurück ins Auto bis zum Beifahrersitz, wo ein junger Mann, ebenso ohne jegliche Regung, wie ein Sack Kartoffeln lümmelt.

Er packt den Beifahrer fest am Gewand, mit Kraft und Schwung zerrt er ihn ruckweise auf den Fahrersitz. Der leblose Mann hat einen Blutfleck auf Brusthöhe, sieht ansonsten eher aus, als würd er friedlich schlafen.

Sogleich sind seine Beine auf die Pedalen gestellt, die eine Hand auf dem Lenkrad platziert, die andere auf dem Schaltknüppel. Von weitem ist ein Zug zu hören. Die Gestalt sieht hoch über das Autodach. Hinter den Bäumen ist bereits das Frontlicht des Zuges zu erkennen, der sich gemächlich auf der alten Strecke nähert und in den verbogenen Schienen hin und her wiegt.

Im Zug ist es laut, es knirscht von den Schienen hoch und ein kleines Radio ist zwischen all dem Lärm immer wieder einen Augenblick lang zu hören. Es ist dunkel im Führerhäuschen, nur das Licht der Armaturen lassen das kantige Gesicht des Zugführers erahnen.

Er durchsucht seine Taschen. Als er findet, was er sucht, bleibt er damit in der Tasche hängen. Immer wieder zieht er daran, bis er mit Wucht seine Hand mit einer Zigarettenpackung aus der Tasche befreit. Sein Kopf schimmert vor Aufregung rot. Schnell zieht er eine Zigarette aus der Packung und zündet sie an. Sichtlich entspannter sieht er mit der Zigarette im Mund wieder nach vorne.

Der Zug ist bereits recht nahe. Die Kapuzengestalt schlägt die klapprige Türe des Autos zu. Die alte Dieselmaschine des Zuges wird immer lauter und es dauert nicht mehr lange, bis das Frontlicht das Auto ausleuchtet.

Die dunkle Gestalt zieht sich zurück. Auf der Straße in Richtung nördliches Waldstück braucht es nur einige Meter bis die dunkle Silhouette in dem noch dunkleren Unterholz des Waldes verschwindet.

Der Zugführer zieht kräftig an der Zigarette und behält diese zwischen den Lippen, während er kratzig ausatmet. Er hebt seine Hände vor die Brust und lässt die Finger ineinander gleiten. Ruckweise beginnt er, die Finger knacksen zu lassen und im nächsten Augenblick legt er eine Hand ruhig auf die rote, breite Notbremse.

Auf seiner Hand ist eine Frau tätowiert, gezeichnet wie ein Comic aus den fünfziger Jahren. Blonde Haare, knallrote Lippen und eine üppige, überzeichnete Figur in verführerischen Pose und gepackt in etwas, das eine Uniform sein könnte. Dazu ein breites, verschmitztes Lächeln.

Nun haben die Scheinwerfer des Zuges das kleine Auto endlich entdeckt. Der jungen Mann am Fahrersitz wird von der Seite angeleuchtet. Weiterhin keine Reaktion.

Der Zugführer umklammert mit seiner Hand nach wie vor die Notbremse. Stumm fällt Asche von der Zigarette hinunter auf die Armaturen. Sein Blick ist nach vorne versteinert. Er atmet tief ein, um dann den Atem angespannt in seiner Brust festzuhalten.

Der Zug ist nur mehr ein paar Meter vom Auto entfernt, das Frontlicht spiegelt sich am Autodach. Im nächsten Moment reißt der Zug das Auto ohne jegliche Mühe mit sich. Glas klirrt und das kleine Auto verbiegt sich, als wäre es aus Gummi.

Im Zugführerhäuschen wartet der Zugführer noch ein paar Takte aus dem Radio.

»Ups.«

Er betätigt die Notbremse und die Eisenräder schlagen Funken, während der Zug allmählich langsamer wird. Es dauert, bis er mit einem letzten, trägen Ruck stehen bleibt. Die angehängten Waggons stoßen an den Kupplungen zusammen und beruhigen sich allmählich. Der Zugführer atmet kräftig aus. Auch die Lokomotive scheint kräftig auszuatmen.

Laut stampfend auf der Holztreppe kommt die Wirtin aus dem Vorraum des Wirtshauses hoch in den ersten Stock. An der ersten Türe rechts nach der Treppe lauscht sie. Die Wirtin ist einfach gekleidet, dicklich und ihre bereits schütteren, dafür fettigen Haare sind streng nach hinten gebunden. Ihr Gesicht ist gezeichnet und es ist wohl eine Zeitlang her, dass sie ansatzweise glücklich ausgesehen hat. Ihr Gesicht wirkt fast aussagelos, um es weder positiv noch negativ zu werten.

Dann klopft sie leise an, die Türe öffnet sich sofort einen Spalt. Neugierig blitzt sie erst mit dem einen, dann mit beiden Augen in das Gästezimmer.

Schummrig erklimmt ein wenig Licht den Raum und sie erkennt, dass das Bett aufgewühlt ist. Das Zimmer wirkt leer. Sie öffnet die Türe bis zum Anschlag und sieht noch ein paar weitere prüfenden Sekunden in den Raum hinein.

»Sauerei!«

Wütend dreht sie sich um und stampft die Treppe wieder hinunter.

Ihr Mann, der Wirt, sitzt mit einem Kaffee und der Tageszeitung in der Gaststube. Sein Blick ist stets derart unmotiviert, als hätte er bereits alles schon mindestens einmal gelesen, gesehen, gehört oder gemacht.

Auch er ist stärker gebaut – möglicherweise stärker geworden über die Zeit –, seine grauen Haare und die gut verteilten Löcher in seinem Gewand sprechen das ihrige.

Die Wirtin kommt in die Gaststube, lehnt sich ermüdet vom Treppensteigen an die Theke und sieht ihren Mann an.

»Die sin weg. Ohne bezahlen.«

Der Wirt braucht, bis er endlich von der Zeitung hoch zur Wirtin schaut. Die von ihr erwartete Reaktion bleibt aus.

Mit einem Murren als Zusatz hebt sie die Schultern ruckartig, um ihren Mann zum Reden zu bringen. Auch das nutzt nichts. Der Wirt dreht sich sehr langsam zum Fenster und blickt über die recht gepflegten Blumen hinweg hinaus in den Hof.

»Dos Auto is a weg.«

Er dreht sich genauso langsam wieder zur Wirtin um, die den Kopf schüttelt und nun noch wütender wirkt. Ihr Blick schweift über die Theke, sie greift nach dem Geschirrtuch, das vor ihr liegt.

»Was tät i nur ohne di ...«

Schwungvoll wirft sie sich das Geschirrtuch über ihre Schulter und verlässt die Gaststube, dabei murmelt sie Unverständliches.

Der Wirt sieht ihr einen Augenblick nach und widmet sich dann wieder seiner Zeitung. Er hat den Witz des Tages noch nicht ganz verstanden.

II.

Mitten im Wald.

Viele Laubbäume, es ist hügelig und der Boden durchgehend mit abgefallenen, braunen Blättern bedeckt. Es ist noch sehr ruhig, obwohl die Vögel mittlerweile aufgewacht sind und schreien, als würden sie sich gegenseitig von ihren Träumen erzählen.

In einer der vielen breiten Furchen zwischen den Hügeln bewegt sich etwas. Bedeckt von Blättern und Dreck erwacht Jakob. Er ist nass vom Tau und voll mit Erde. Ausgekühlt von der Nacht setzt er sich starr auf. Sein Atem stockt vom Zittern, das seinen ganzen Körper durchschüttelt.

Weißer Hauch bildet sich vor seinem Mund, wenn er ausatmet. Neben dem Dreck klebt Blut im Gesicht, das sich auch in seinen hellbraunen Haaren angesammelt hat. Das Blut stammt wohl von seinem aufgeschürften Ohr.

Sein Blick durchsucht die Umgebung. Er weiß nicht so recht, wo er ist und was er hier macht. Er drückt seine Hände auf das Gesicht und wischt sich kräftig die Augen aus. Langsam kommen Erinnerungen zurück, die ihn erschrocken nochmals die Gegend absuchen lassen.

Er ist eindeutig alleine. So schnell wie er kann, steht er auf, orientiert sich erstmal. Ringsumher nur Boden, Bäume und zwischen den Ästen über ihm der blauer Himmel. Nichts Menschengemachtes zu erkennen.

Sein Hemd ist an mancher Stelle zerrissen, er öffnet die Knöpfe und schwankt dabei, als hätte er letzte Nacht eine paar Bier zu viel gehabt.

Durch das Hemd kommt eine kugelsichere Weste zum Vorschein, die einige aufgerissene Stellen an der Vorderseite zeigt. In einem der Löcher steckt noch eine Patrone, die Jakob herauszieht. Dabei bemerkt er den Schmerz unter der Weste und verzieht sein Gesicht. Er hebt die vom Aufprall gequetschte Patrone hoch, sieht sie kurz an und lässt sie dann in seiner Hosentasche verschwinden.

Als er die Weste ganz auszieht, kommen große blaue Flecken zum Vorschein. Immer dort, wo auch die Weste getroffen wurde. Er ist kräftig und gut gebaut, doch die Wucht der Patronen gleicht der Wucht eines Hammers, den man auf die Brust geschlagen bekommt. Wohl aus kurzer Distanz abgefeuert, denkt er sich.

Noch unsicher, was tatsächlich geschehen ist, baut er sich zumindest aus den wenigen Informationen zusammen, was möglicherweise geschehen ist. Mehr und mehr Erinnerungen kommen zurück ins Gedächtnis und mit jedem Gedanken, ahnt er weniger Gutes.

Er wirft die Weste auf den Boden, zieht sich sein Hemd wieder an und stapft dabei den nächsten Hügel hoch. Dabei bleibt er nochmals stehen und blickt zurück auf die schusssichere Weste mit den Einschusslöchern.

Er ist dankbar, sie gehabt zu haben, aber gerade auch unschlüssig, ob es eine gute Idee ist, sie zurückzulassen. Die ärgste Gefahr sollte nun bereits hinter ihm liegen. So denkt er es sich und stapft durch das dichte Laub am Boden.

Um eine bessere Übersicht zu erhalten, geht er bergauf. Er hat keine Ahnung, wo er ist und wohin er gehen soll.

Nach einiger Überlegung entscheidet er sich intuitiv für eine Richtung und folgt dieser. Es könnte aber auch Zufall sein.

III.

Ein abgetragenes, buntes Paar Sandalen steht am Anfang einer Treppe, die jemand recht flott nach unten rennt. Barfuß schlüpft er in die Sandalen und lässt eine Kutte drüber fallen, die das Schuhwerk gänzlich verdeckt. Es ist der Pfarrer, ein unscheinbarer und ruhiger, älterer Herr.

Er geht hinaus ins Freie und die Einfahrt hinunter bis zum Gartenzaun, schnappt sich gekonnt die Zeitung aus dem Postkasten und überfliegt mit seinem guten Auge die erste Seite. Das anderes ist grau unterlaufen, darüber und darunter eine alte Wunde, die das Auge quert. Plötzlich wird er gestört.

Sirenenklänge aus nördlicher Richtung kommen stetig näher, der Pfarrer dreht sich erschrocken und fast zitternd nach hinten, bis er zwei Polizeiautos erkennen kann. Mit stockendem Atem und einem sichtbar unguten Gefühl sieht er den Autos hinterher, als sie an ihm vorbeisausen.

Noch bevor die Sirenen weit genug weg sind, um wieder zur Ruhe zu kommen, drückt er die Zeitung fest unter seinen linken Arm, mit der rechten Hand fasst er schwungvoll unter die Kutte und zieht einen Flachmann hervor. Mit zittrigen Händen schraubt er diesen auf, nimmt einen Schluck und atmet darauf mit starrem Blick den Sirenen nach.

Mitten in dem idyllisch wirkendem Dörfchen, direkt an der Durchfahrtsstraße, im sporadischen Gastgarten mit billigen Gartenmöbeln des einzigen, sporadischen Cafés, sitzt der Herr Bürgermeister bei seinem Morgenkaffee und studiert die Zeitung. Ein fülliger Mann und immer gut gekleidet. Er führt seine Tasse hoch und setzt an, als die zwei Polizeiautos um die Ecke schnellen. Mit Getöse fahren sie an ihm vorbei. Die Kaffeetasse noch im Anschlag sieht er den Autos nach, bis er dann einen ruhigen Schluck davon nimmt.

Aus dem Café kommt die kleine, stämmige Besitzerin von eben diesem. Sie sieht wie immer mürrisch aus, blickt den Polizeiwägen nach. Danach visiert sie den Bürgermeister, der ihren Blick nicht sieht, aber durchaus auf seinem Hinterkopf spüren kann. Räuspernd atmet er nochmals durch, wirkt dabei genervt und legt die Zeitung mit einem Klatsch auf den Tisch. Er leert den Kaffee mit einem Ruck.

Nachdem er aufgestanden ist, zupft er sein Gewand zurecht und geht an der Café-Besitzerin vorbei, die weiterhin stumm und missmutig schaut. Ihr Blick beruhigt sich ein wenig, als sie das Kleingeld am Tisch sieht, das der Bürgermeister hinterlassen hat.

Ein älterer und strubbeliger Herr im zerknitterten Gewand sitzt in der Sonne und seine Augen wandern wahllos am Boden umher. Als die Polizei an ihm vorüber rauscht, sieht er überrascht in den blauen Himmel.

»Komisches Wetter.«

Reißend hakt ein alter, großer Mann mit Schweiß auf der Stirn im Gemüsegarten. Er wischt sich seine silbernen Haare zurück und blickt hinunter auf die Straße, auf der die Polizeiautos auch an ihm vorbeikommen. Sein Haus ist das letzte im Dorf am Südende. Danach preschen die Polizisten an einer Wiese entlang, bis sie mit der Straße im Wald verschwinden. Der große alte Mann hat ein Stofftuch hervorgezogen, tupft sich den Schweiß von der Stirn und blickt den Autos länger nach, als sie eigentlich zu sehen sind.

Jakob kommt langsam und sichtlich vorsichtig um die Ecke eines Hauses in demselben idyllischen Dörfchen. Noch ein paar Schritte und er befindet sich an der Durchfahrtsstraße, auf der wenige Momente zuvor die Polizeiautos vorbeigefahren sind. Er blickt hin und her, es ist kein Mensch zu sehen oder zu hören. Die Durchfahrtsstraße geht auf der Nordseite bergauf, biegt sich durch das Dorf zu einem großen S. Zumindest soweit man es aus dieser Position ahnen kann.

Wieder entscheidet er sich für eine Richtung, wandert die Straße bergab an Häusern vorbei, die allesamt leer wirken. Der Zustand der Häuser ist aber nicht schlecht, sogar Blumen wachsen und blühen in den Fenstertrögen, die eindeutig von Menschenhand gezähmt und gezogen wurden. Nur ein Gebäude scheint sehr heruntergekommen zu sein. An der vernachlässigten Fassade lässt sich das Wort Schule gerade noch entziffern.

Als Jakob das Café entdeckt, geht er schnurgerade darauf zu und setzt sich in den Gastgarten. Er ist sich sicher, dass jemand hier sein würde. Die Türe ins Café ist geöffnet und es entwischt ländliche Musik nach draußen: Schlager, die nicht ganz Jakobs Sache sind.

Nachdem er es sich gemütlich gemacht hat, sieht er sich – langsam entspannter – um. Auf der anderen Straßenseite stehen die Wirtin und der Wirt, starren ihn regelrecht an. Vorerst ist er überrascht darüber, die beiden doch recht korpulenten Personen nicht eher entdeckt zu haben. Als verschmölzen sie mit der Umgebung. Anspannung und ein ungutes Gefühl kehren in seine Gebeine zurück.

Sein Blick war längst in die andere Richtung gewandert. Als er nochmal zu ihnen späht, stapfen die beiden langsam ins Wirtshaus zurück. Verwundert sieht Jakob ihnen nach, bis er jemanden neben sich bemerkt und erschreckt. Im ersten Moment erkennt er nur einen runden Körper, der Blick nach oben offenbart das mürrische Gesicht der Café-Besitzerin.

»Wo hat man Sie denn ausgegraben?«

Trotz des kurzen Schreckens ist Jakob sofort wieder in der Gegenwart und spricht langsam und sicher.

»Ihnen auch einen guten Morgen.«

»Bilden Sie sich nicht ein, dass Sie in dem unsauberen Aufzug auch nur einen Schritt in mein Café setzen dürfen.«

Sie spricht zwar hochgestochen, man merkt allerdings sofort, dass es eigentlich nicht ihre Art zu sprechen ist. Bei Fremden tut sie das womöglich von Haus aus.

»Solange Sie mir die Bestellung rausbringen.«

»Haben Sie überhaupt ein Geld?«

Jakob fasst tief in seine Hosentasche und zieht ein paar

Münzen – verklebt mit Erde und Blättern – heraus, die er auf dem Tisch präsentiert.

»Geld stinkt ja nicht«, versucht er zu beruhigen.

»Aber dreckig ist es schneller als man denkt.«

Sie überfliegt die paar Münzen.

»Das reicht gerade einmal für einen halben Kaffee.«

Jakob nickt die Münzen an, blickt dann hoch ins Gesicht der Café-Besitzerin und sagt extra freundlich:

»Ich bitte darum!«

Einmal tief schnaufend und untermauert mit einem kurzen Brummen zum Ende hin, stöckelt sie in das Café zurück.

Jakob kennt diese Art von Menschen und auch wenn er kein großer Freund davon ist, findet er sie doch irgendwie und auf eigenartige Weise charmant. Hier ist der Kunde nicht König. Vielmehr müsste er sich fast entschuldigen, weil er die Frau- und Herrschaften stört.

Im Café schaltet die Besitzerin die Kaffeemaschine ein, holt Milch aus dem Kühlschrank und knallt sie auf den Tresen direkt neben das Telefon. Dann hebt sie den Hörer und wählt.

Nicht weit vom Café entfernt sitzt der Bürgermeister an seinem Schreibtisch und wird vom Telefonklingeln abrupt gestört.

»Ja?«, fragt der Bürgermeister knackig. Die Café-Besitzerin am anderen Ende jammert lautstark in den Hörer.

»Da sitzt a dreckiger, junger Mann ohne Geld vorn in mein’ Gastgarten.«

»Auf meinem Platz?«

»Nein.«

»Ich habe zu tun.«

»Du bist da scheiß Bürgermeister! Also kümmer di gefälligst um die Leute in deinem Dorf!«

Mit einem Mal sitzt er sofort aufrechter da und seine Stimme trifft einen tieferen, stämmigen Ton.

»Jetzt reiß dich zusammen, Irmi! Ich komme in ein paar Minuten runter und dann schauen wir weiter.«

Er knallt den Hören zurück aufs Telefon. Mürrisch räuspert er sich, fährt sich mit einer Hand durch die Haare und blickt sein Gegenüber wieder an.

»Wo waren wir?«

»Wie gesagt: Wir sehen zu, dass der Unfallort so schnell wie möglich geräumt wird. Kann nicht lange dauern.«

Ein Polizist steht vor ihm, ein zweiter steht daneben und ergänzt ungefragt.

»Vor allem, weil die beiden Trotteln eh tot sind.«

Der erste Polizist mustert den zweiten mit einem Blick, der mehr als tausend Worte sagt.

»Was denn? Wenn man es schafft, auf einer Bahnstrecke mit zwei Zugfahrten pro Tag draufzugehen, dann – so leid es mir tut – sind das in meinen Augen Trotteln.«

Der erste Polizist nimmt das nicht so locker.

»Verschwinde nach draußen. Und wenn du heute nochmal das Maul aufmachst, wirst du im nächsten Monat Knödeln verteilen.«

Sichtlich beleidigt, aber stumm, verlässt der zweite Polizist den Raum. Der Bürgermeister unterbricht die ungute Stimmung gleich.

»Also soll ich jetzt rauskommen? Zum Unfallort?«

»Nein, schon gut«, findet der Polizist, »Tun Sie mir nur einen Gefallen und sagen Sie vorerst nichts zur Zeitung, sollte jemand auftauchen.«

Der Bürgermeister nickt, steht auf und reicht ihm die Hand.

Er weiß genau, was damit gemeint ist. Die Regionalmedien reißen sich gerne um solche Storys und spielen diese hoch auf Teufel komm raus, weil hier einfach nicht sehr viel passiert.

»Sicher, kein Problem.«

IV.

Mit stolzem Gang und angespanntem Blick spaziert der Bürgermeister kurz nachher die Durchfahrtsstraße hinunter zum Café. Als die Wirtin ihn vom Gasthaus aus durchs Fenster sieht, schnellt sie zur Eingangstüre und ruft ihm zu.

»Die jungen Gäst sin verschwundn, noch bevor sie das Zimmer zahlen hab’n können!«

»Die hab’n den ersten Zug g’nommen.«

»Wos hob’n sie?«

Der Bürgermeister bleibt stehen.

»Wos willst denn jetzt von mir?«

»I sog nur, dass das nit fair is! Du waßt ja wie das is.«

»Wos ist nicht fair? Scheiß doch auf das bissal Geld.

Hier geht’s immerhin um äußerst wertvolles Menschenleben!«

Noch bevor der Bürgermeister sich umdrehen kann, setzt die Wirtin barsch nach.

»Zwa. Es geht um zwa Menschenleben.«

Der Bürgermeister schenkt ihr einen weiteren unmissverständlichen Blick und setzt seinen Weg fort.

Auf der einen Seite ist er schon stolz auf sein kleines Dörfchen irgendwo im Nirgendwo. Auf der anderen Seite hat er sich wohl schon viel zu lange um viel zu viele Dinge gekümmert und nun glauben alle, er ist für jede Kleinigkeit zuständig.

Der Kaffee ist gerade fertig und die Café-Besitzerin will nach draußen, da bleibt sie stehen und blickt auf die bis fast obenhin volle Tasse. Sie dreht sich zur Spüle, schüttet die Hälfte weg und wischt die Spuren mit einem dreckigen Geschirrtuch ab. Prinzipien sind Prinzipien.

Draußen angekommen, knallt sie Jakob den halben Kaffee vor die Nase.

»Dafür gibt es aber auch nur halbes Trinkgeld.«

Die Café-Besitzerin versucht, einen Moment lang süffisant zu lachen, was nicht ganz funktionieren will. Sie zieht es vor, die Münzen vom Tisch zu zählen und lässt die für sie zu wenig wertvollen liegen.

»Sie können gerne alles nehmen, was ich hab.«

»Das kann ich doch nicht annehmen, der Herr!«,

schießt sie in einem Ton zurück, mit dem sich Jakob wohlfühlt, weil er ihn aus der Stadt kennt. Nicht wirklich freundlich, zumindest irgendwie heimisch.