Das Dschungelbuch 1 & 2 - Rudyard Kipling - E-Book

Das Dschungelbuch 1 & 2 E-Book

Rudyard Kipling

4,8

Beschreibung

Die Geschichten von Mogli, der bei Wölfen aufwächst, und seinen Freunden, dem Panther Baghira und dem Bären Balu, zählen zu den bekanntesten Erzählungen der Weltliteratur. Bis heute beflügeln Rudyard Kiplings Dschungelbücher Phantasie und Sehnsucht der Leser, der (ganz) jungen und jugendlichen, der erwachsenen. Denn es ist ein Werk für alle Generationen, das vom Aufwachsen Moglis im Dschungel ebenso erzählt wie von Purun Baghat, dem hohen Minister, der eines Tages alles stehen und liegen lässt, um in den Himalaya aufzubrechen und sich den letzten Fragen des Lebens zu stellen. Diese Ausgabe folgt, anders als bisherige Übersetzungen, der von Kipling autorisierten 'Outward Bound Edition', in der die Mogli Geschichten vollständig im ersten Band des Dschungelbuchs versammelt sind, die berühmten anderen Erzählungen wie Rikki-Tikki-Tavi oder Die weiße Robbe im zweiten Teil. Erstmals können die deutschen Leser so den Abenteuern des 'Menschenwelpen' Mogli im zusammenhang und bis ins Erwachsenenalter als Wildhüter folgen. Um diese Geschichte, Im Rukh, ist unsere Edition erweitert. Kiplings überbordende Erzähllust und unübertroffene Erzählkunst hat zahlreiche Schriftsteller beeinflusst und seine Leser immer wieder aufs Neue fasziniert. In seiner Übertragung hält Andreas Nohl dem reichen literarischen Stil Kiplings, in dem sich Altsprachliches mit überraschenden Neuwendungen mischt, die Treue, ohne sich jedoch sklavisch zu unterwerfen. So nah am Original, so modern und betörend war Kiplings Dschungelbuch auf Deutsch noch nie.

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RUDYARD KIPLING

DSCHUNGELBUCH 1 & 2

HERAUSGEGEBEN UND ÜBERSETZT

VON ANDREAS NOHL

ILLUSTRIERT VON SARAH WINTER

Inhaltsverzeichnis
DSCHUNGELBUCH 1 & 2
VORWORT
DSCHUNGELBUCH 1
MOGLIS BRÜDER
JAGDLIED DES SEONI-RUDELS
KAAS JAGD
WANDERLIED DER BANDAR-LOG
WIE DIE ANGST KAM
DAS GESETZ DES DSCHUNGELS
»TIGER! TIGER!«
MOGLIS LIED
LASS DEN DSCHUNGEL LOS!
MOGLIS LIED GEGEN DIE MENSCHEN
DES KÖNIGS ANKUS
DAS LIED DES KLEINEN JÄGERS
ROTHUND
CHILS LIED
DER FRÜHLINGSLAUF
ABSCHIEDSLIED
IM RUKH
DSCHUNGELBUCH 2
»RIKKI-TIKKI-TAVI«
DARZEES PREISLIED
DIE WEISSE ROBBE
LUKANNON
TOOMAI, DER ELEFANTENJUNGE
SHIVA UND DER GRASHÜPFER
QUIQUERN
»ANGUTIVAUN TAINA«
DIE LEICHENBESTATTER
WELLENLIED
DAS WUNDER DES PURUN BHAGAT
LIED DES KABIR
DIE DIENER IHRER MAJESTÄT
PARADE-LIED
NACHWORT
ANMERKUNGEN

VORWORT

Ein Werk wie das vorliegende verdankt sich in weiten Teilen dem Wohlwollen von Fachleuten, und der Herausgeber bliebe der großzügigen Unterstützung, die er erfahren hat, nachgerade alles schuldig, wenn er seinem warm empfundenen Dank nicht Ausdruck verliehe.

Sein Dank gilt zuvörderst dem gelehrten und vortrefflichen Bahadur Schah[1], Lastenelefant Nr. 174 in indischen Diensten, der zusammen mit seiner liebenswürdigen Schwester Pudmini[2] freundlicherweise die Geschichte »Toomai, der Elefantenjunge« und zahlreiche weitere wichtige Informationen beigesteuert hat, die in »Die Diener Ihrer Majestät« Eingang gefunden haben. Moglis Abenteuer sind bei verschiedenen Gelegenheiten und an unterschiedlichen Orten von mehreren Auskunftgebern gesammelt worden, von denen die meisten streng anonym bleiben möchten. Jedoch erlaubt sich der Autor nach so langer Zeit, einem Hindugentleman alter Schule, einem hochgeschätzten Bewohner der oberen Hänge des Jako[3] für seine überzeugende, wenngleich etwas sarkastische Einschätzung des Nationalcharakters seiner Kaste – der Languren[4] – zu danken. Ikki[5], ein Gelehrter von grenzenlosen Kenntnissen und ebensolchem Fleiß, Mitglied des unlängst aufgelösten Seoni-Rudels, der sich als Künstler einen Ruf auf den meisten Jahrmärkten Südindiens erworben hat, wo der maulkorbbewehrte Tanz mit seinem Herrn die Jungen, Schönen und Gebildeten aus vielen Dörfern anzieht, hat überaus wertvolle Informationen zu Menschen, Sitten und Gebräuchen beigetragen. Diese haben Eingang gefunden in die Geschichten »Tiger! Tiger!«, »Kaas Jagd« und »Moglis Brüder«. Was die Grundzüge der Erzählung »Rikki-Tikki-Tavi« angeht, so steht der Herausgeber hier in der Schuld eines der führenden Herpetologen[6] Nordindiens, eines furchtlosen und unabhängigen Forschers, der infolge des Entschlusses, das Wissen dem Leben vorzuziehen, kürzlich Letzteres geopfert hat, weil er sich zu intensiv dem Studium unserer asiatischen Thanatophiden[7] widmete. Ein glücklicher Zufall gestattete es dem Herausgeber, bei einer Schiffsreise auf der Empress of India einem Mitreisenden in einer Kleinigkeit behilflich zu sein. Wie reich dieser geringe Dienst vergolten wurde, mögen die Leser der »Weißen Robbe« selbst beurteilen.

DSCHUNGELBUCH 1

MOGLIS BRÜDER

Chil, der Schwarzmilan, bringt die Nacht heran,

Mang, die Fledermaus, lässt sie frei.

Und die Herden all sind in Pferch und Stall,

Denn bis morgen ist hier unser Reich.

Kraft und Tapferkeit haben ihre Zeit,

Pranke, Klaue, Reißzahn sind bereit.

Hört den Ruf im Wald! – Allen gute Jagd,

Die im Dschungel achten das Gesetz!

Nachtgesang im Dschungel[1]

Um sieben Uhr an einem sehr warmen Abend in den Seoni-Bergen[2] erwachte Vater Wolf aus seiner Tagesruhe, kratzte sich, gähnte und spreizte seine Pfoten, eine nach der anderen, um das Schlafgefühl aus ihren Spitzen zu vertreiben. Mutter Wolf lag da, die große graue Nase quer über das Knäuel ihrer vier quiekenden Welpen gesenkt, und der Mond leuchtete in den Eingang der Höhle, wo sie alle lebten. »Oachch!«, sagte Vater Wolf, »es ist Zeit, wieder auf die Jagd zu gehen.« Und er wollte gerade den Abhang hinunterspringen, als ein kleiner Schatten mit buschigem Schwanz über die Schwelle trat und winselte: »Viel Glück soll dir werden, o Herr der Wölfe, und viel Glück und scharfe Zähne den edlen Kindern, auf dass sie nie die Hungrigen in dieser Welt vergessen.«

Es war der Schakal – Tabaqui, der Schüssellecker –, und die Wölfe Indiens verachten Tabaqui, weil er herumläuft und Unheil anrichtet, Tratsch erzählt und Lumpen und Lederreste von den Müllhaufen der Dörfer frisst. Aber sie fürchten ihn auch, weil Tabaqui leichter als sonst irgendwer im Dschungel toll werden kann, und dann vergisst er, dass er je vor irgendwem Angst hatte. Er rennt dann durch den Wald und beißt jeden, der ihm in die Quere kommt. Selbst der Tiger nimmt Reißaus und versteckt sich, wenn der kleine Tabaqui toll wird, denn die Tollheit ist das Schmachvollste, das einem wilden Tier widerfahren kann. Wir nennen es Tollwut oder Hydrophobie, aber sie nennen es Dewanee – Wahnsinn – und machen sich eilends davon.

»Dann komm eben herein und sieh dich um«, sagte Vater Wolf, »aber hier gibt es kein Essen.«

»Für einen Wolf nicht«, sagte Tabaqui, »aber für jemand so Geringes wie mich ist ein blanker Knochen ein Festmahl. Wer sind wir, die Gidar-log [das Schakalvolk[3]], dass wir heikel und wählerisch sein sollten?« Er verzog sich geschwind in den rückwärtigen Bereich der Höhle, wo er einen Hirschknochen fand mit etwas Fleisch daran, und da ließ er sich nieder und knackte vergnügt am Endstück.

»Besten Dank für das gute Essen«, sagte er und leckte sich die Lefzen. »Wie schön sind doch die feinen Kinder! Wie groß ihre Augen! Und dabei noch so jung! Wirklich, wirklich, ich hätte wissen müssen, dass die Kinder von Königen Männer sind, von Anfang an.«

Nun wusste Tabaqui so gut wie jeder andere, dass nichts so schädlich ist, wie Kindern ins Gesicht Komplimente zu machen, und es freute ihn, dass Vater und Mutter Wolf sich sichtlich unwohl fühlten.

Tabaqui saß da und weidete sich an dem Unheil, das er angerichtet hatte; dann sagte er voller Schadenfreude:

»Schir Khan[4], der Große, hat seine Jagdgründe verlegt. Er wird im nächsten Mond in diesen Bergen jagen, hat er mir erzählt.«

Schir Khan war der Tiger, der zwanzig Meilen entfernt im Gebiet des Waingungaflusses lebte.

»Dazu hat er kein Recht!«, begann Vater Wolf aufgebracht – »Beim Gesetz des Dschungels, er hat kein Recht, sein Revier ohne rechtzeitige Warnung zu verlegen. Er wird jedes Stück Wild im Umkreis von zehn Meilen verjagen, und ich – ich muss dieser Tage für zwei töten.«

»Seine Mutter hat ihn nicht umsonst Lungri [den Lahmen] genannt«, sagte Mutter Wolf besonnen. »Er lahmt seit seiner Geburt auf einer Pfote. Deshalb tötet er bloß Vieh. Jetzt sind die Dorfbewohner am Waingunga zornig auf ihn, und er kommt hierher, um unsere Dorfbewohner zu erzürnen. Sie werden den Dschungel in Brand stecken, wenn er schon über alle Berge ist, und wir und unsere Kinder müssen flüchten, wenn das Gras brennt. Wir sind Schir Khan wirklich sehr dankbar!«

»Soll ich ihm euren Dank ausrichten?«, fragte Tabaqui.

»Hinaus!«, schnappte Vater Wolf. »Hinaus und geh mit deinem Herrn jagen! Du hast genug Schaden angerichtet für eine Nacht.«

»Ich gehe«, sagte Tabaqui gelassen. »Man kann Schir Khan unten im Dickicht hören. Ich hätte mir die Nachricht sparen können.«

Vater Wolf lauschte, und unten im Tal, am kleinen Fluss, hörte er den harten, wütenden, fauchenden, jaulenden Singsang eines Tigers, der nichts erbeutet hat und den es nicht stört, wenn der gesamte Dschungel davon erfährt.

»Der Schwachkopf!«, sagte Vater Wolf. »Beginnt die nächtliche Arbeit mit so einem Lärm! Bildet er sich ein, unsere Hirsche seien wie seine fetten Waingunga-Ochsen?«

»Schsch! Weder Ochsen noch Hirsche jagt er heute Nacht«, sagte Mutter Wolf. »Er jagt Menschen.« Das Jaulen hatte sich in eine Art surrendes Schnurren verwandelt, das aus allen Himmelsrichtungen zu kommen schien. Es war das Geräusch, das Holzfäller und fahrendes Volk, die im Freien schlafen, aufscheucht und manchmal genau ins Maul des Tigers treibt.

»Menschen!«, sagte Vater Wolf und bleckte seine weißen Zähne. »Foachch! Gibt es nicht genügend Käfer und Frösche in den Wasserlöchern, dass er Menschen fressen muss, und noch dazu auf unserem Land?«

Das Dschungelgesetz, das nie etwas ohne Grund festlegt, verbietet es allen Tieren, Menschen zu fressen, außer wenn sie ihren Jungen das Töten beibringen, und dann müssen sie außerhalb der Jagdgründe ihres Rudels oder ihrer Sippe jagen. Der eigentliche Grund dafür ist, dass das Töten von Menschen früher oder später die Ankunft von weißen Männern auf Elefanten zur Folge hat, mit Gewehren und Hunderten von braunen Männern mit Gongs und Leuchtraketen und Fackeln. Dann haben alle im Dschungel zu leiden. Die Tiere geben allerdings als Grund dafür an, dass der Mensch das schwächste und wehrloseste aller Lebewesen ist und dass es deshalb unfair ist, ihn anzutasten. Außerdem sagen sie – und das stimmt –, dass Menschenfresser räudig werden und ihre Zähne verlieren.

Das Schnurren wurde lauter und endete mit einem »Aaarrrh!« aus voller Kehle, als der Tiger sprang.

Dann ertönte ein Heulen – ein untigerisches Heulen – von Schir Khan. »Daneben«, sagte Mutter Wolf. »Was ist geschehen?«

Vater Wolf lief ein paar Schritte hinaus und hörte Schir Khan wütend vor sich hin schimpfen und murren, während er im Unterholz herumstolperte.

»Der Dummkopf war töricht genug, in das Lagerfeuer der Holzfäller zu springen und hat sich die Tatzen verbrannt«, schnaubte Vater Wolf. »Tabaqui ist bei ihm.«

»Etwas kommt den Berg herauf«, sagte Mutter Wolf und zuckte mit einem Ohr. »Mach dich bereit.«

Die Büsche im Unterholz raschelten ein wenig, und Vater Wolf duckte sich auf seine Hinterläufe, bereit zum Sprung. Dann hättest du, wenn du dagewesen wärest, etwas höchst Erstaunliches sehen können – der Wolf bremste mitten im Sprung ab. Er machte einen Satz, ehe er gesehen hatte, was er ansprang, und versuchte dann plötzlich innezuhalten. Am Ende schoss er vier oder fünf Fuß senkrecht in die Höhe und landete dann fast wieder auf dem Ausgangspunkt.

»Ein Mensch«, schnappte er. »Ein Menschenwelpe. Sieh nur!«

Direkt vor ihm stand, an einen niedrigen Ast geklammert, ein nacktes braunes Baby, das gerade erst laufen konnte – so weich und mit so niedlichen Grübchen, wie nur je eines in der Nacht eine Wolfshöhle aufgesucht hat. Es blickte Vater Wolf ins Gesicht und lachte.

»Ist das ein Menschenwelpe?«, fragte Mutter Wolf. »Ich habe noch nie einen gesehen. Bring ihn her.«

Wölfe sind gewohnt, ihre eigenen Welpen herumzutragen, und können, wenn nötig, ein Ei ins Maul nehmen, ohne es zu zerbrechen, und obwohl sich Vater Wolfs Fänge um den Rücken des Kindes schlossen, machten seine Zähne nicht einmal einen Kratzer in die Haut, als er es zwischen die Wolfswelpen legte.

»Wie klein! Wie nackt und – wie mutig!«, sagte Mutter Wolf leise. Das Baby drängelte sich zwischen die kleinen Wölfe, um an die warme Haut zu kommen. »Ahai! Er nimmt seine Mahlzeit mit den anderen. Das ist also ein Menschenwelpe. Na, hat es je eine Wölfin gegeben, die sich rühmen konnte, einen Menschenwelpen unter ihren Kindern zu haben?«

»Ich habe schon von so etwas gehört, aber nie in unserem Rudel oder in meiner Zeit«, sagte Vater Wolf. »Er hat überhaupt kein Fell, und ich könnte ihn mit einem Tritt erlegen. Aber schau, er sieht sich um und hat keine Angst.«

Der Höhleneingang verdunkelte sich plötzlich, denn Schir Khans großer Quadratschädel drängte sich mitsamt den Schultern in den Eingang. Tabaqui hinter ihm quiekte: »Mein Herr, mein Herr, da ist es hineingegangen.«

»Schir Khan erweist uns große Ehre«, sagte Vater Wolf, aber seine Augen blitzten zornig. »Was braucht Schir Khan?«

»Meine Beute. Ein Menschenjunges ist hierher gekommen. Seine Eltern sind davongelaufen. Gebt es her!«

Schir Khan war in das Lagerfeuer eines Holzfällers gesprungen, wie Vater Wolf gesagt hatte, und der Schmerz in seinen verbrannten Tatzen machte ihn rasend. Aber Vater Wolf wusste, dass der Höhleneingang für einen Tiger zu eng war. Selbst dort, wo Schir Khan stand, waren seine Schultern und Vorderpfoten so eingezwängt wie bei einem Menschen, der versucht, in einem Fass zu kämpfen.

»Die Wölfe sind ein freies Volk«, sagte Vater Wolf. »Sie empfangen Befehle vom Anführer des Rudels und nicht von irgendwelchen gestreiften Viehmördern. Der Menschenwelpe gehört uns – wir töten ihn selber, wenn wir das wollen.«

»Wenn ihr wollt und wenn ihr nicht wollt! Was ist das für ein Geschwätz vom Wollen? Beim Bullen, den ich getötet habe, muss ich hier stehen und in eurem Hundekobel die Beute wittern, die mir zusteht? Ich bin es, Schir Khan, der spricht.«

Das Gebrüll des Tigers erfüllte die Höhle mit Donnerhall. Mutter Wolf schüttelte die Welpen ab und sprang vor. Ihre Augen, zwei grüne Monde, starrten in die funkelnden Augen Schir Khans.

»Und ich bin es, Raksha [die Dämonin], die antwortet. Der Menschenwelpe ist meiner, Lungri – meiner für mich! Er wird nicht getötet. Er wird leben, um mit dem Rudel zu rennen und mit dem Rudel zu jagen; und am Ende, pass auf, du Jäger kleiner nackter Welpen – Froschesser – Fischjäger –, wird er dich jagen! Jetzt verzieh dich, oder, bei dem Sambhur[5], den ich getötet habe (denn ich esse kein verhungertes Vieh), du verbranntes Dschungeltier gehst lahmer noch zu deiner Mutter zurück als du in die Welt gekommen bist! Geh!«

Vater Wolf beobachtete sie voller Verwunderung. Er hatte die Tage beinahe vergessen, da er Mutter Wolf in gerechtem Kampf gegen fünf andere Wölfe gewonnen hatte, als sie im Rudel mitlief und den Namen Dämonin nicht aus Schmeichelei führte. Schir Khan hätte sich möglicherweise Vater Wolf entgegengestellt, aber gegen Mutter Wolf konnte er sich nicht behaupten, denn er wusste, dass sie bei seiner jetzigen Position im Vorteil war und bis auf den Tod kämpfen würde. Daher zog er sich knurrend aus dem Höhleneingang zurück. Aber draußen brüllte er:

»Jeder Hund bellt in seinem eigenen Garten! Wir werden ja sehen, was das Rudel zu dieser Aufzucht eines Menschenwelpen sagt. Der Welpe gehört mir, und zu guter Letzt wird er zwischen meine Zähne kommen, ihr buschschwänzigen Diebe!«

Mutter Wolf ließ sich schwer atmend zwischen die Welpen fallen, und Vater Wolf sagte ernst:

»In einem Punkt hat Schir Khan Recht. Der Welpe muss dem Rudel vorgeführt werden. Willst du ihn immer noch behalten, Mutter?«

»Behalten?«, japste sie. »Er ist nackt gekommen, in der Nacht, allein und sehr hungrig, und dennoch hatte er keine Angst. Schau, er hat schon eins meiner Babys zur Seite geschubst. Und dieser lahme Schlächter hätte ihn getötet und wäre zum Waingunga gelaufen, während die Dorfbewohner uns aus Rache aus all unseren Höhlen gejagt hätten. Ihn behalten? Mit Sicherheit behalte ich ihn. Lieg still, kleiner Frosch, ach du Mogli[6] – denn Mogli, den Frosch, werde ich dich nennen – die Zeit wird kommen, da jagst du Schir Khan, wie er dich gejagt hat.«

»Aber was wird das Rudel sagen?«, fragte Vater Wolf.

Das Dschungelgesetz legt unmissverständlich fest, dass ein Wolf, wenn er heiratet, sich von seinem Rudel zurückziehen darf, aber sobald die Welpen alt genug sind, um auf ihren Beinen zu stehen, muss er sie zum Rudelrat bringen, der gewöhnlich einmal im Monat bei Vollmond stattfindet, damit die anderen Wölfe sie kennenlernen können. Nach dieser Begutachtung dürfen die Welpen herumlaufen, wo sie wollen, und bevor sie nicht ihren ersten Hirsch getötet haben, wird es keinem erwachsenen Wolf des Rudels verziehen, wenn er einen von ihnen umbringt. Kann der Mörder gefunden werden, ist seine Strafe der Tod; und wer eine Minute lang darüber nachdenkt, wird begreifen, dass es so sein muss.

Vater Wolf wartete, bis die Welpen ein wenig laufen konnten, dann nahm er sie und Mogli und Mutter Wolf in der Nacht der Rudelversammlung mit zum Ratsfelsen – einer von Steinen und Felsbrocken bedeckten Bergkuppe, wo sich an die hundert Wölfe unbeobachtet aufhalten konnten. Akela, der große, graue Einzelgänger, der dank seiner Stärke und Schlauheit das ganze Rudel führte, lag in voller Länge auf seinem Felsen ausgestreckt, und darunter saßen über vierzig Wölfe aller Größen und Farben, von dachsfarbenen Veteranen, die in der Lage waren, einen Hirsch allein zu erledigen, bis zu jungen schwarzen Dreijährigen, die sich einbildeten, sie könnten das auch. Der Einzelgänger war nun schon seit einem Jahr ihr Anführer. Er war in seiner Jugend zweimal in eine Wolfsfalle geraten, und einmal war er verprügelt und für tot liegengelassen worden, daher kannte er die Sitten und Gebräuche der Menschen. Es wurde sehr wenig gesprochen am Felsen. Die Welpen purzelten in der Mitte des Kreises, um den ihre Eltern saßen, übereinander, und hin und wieder ging ein Wolf schweigend zu einem der Welpen, sah ihn sich genau an und kehrte dann auf lautlosen Pfoten wieder zu seinem Platz zurück. Manchmal schob eine Mutter ihr Junges hinaus ins Mondlicht, um sicherzugehen, dass es nicht übersehen wurde. Akela rief wieder und wieder von seinem Felsen: »Ihr kennt das Gesetz – ihr kennt das Gesetz. Schaut gut hin, ihr Wölfe!« Und die besorgten Mütter nahmen den Ruf auf: »Schaut – schaut gut hin, ihr Wölfe!«

Schließlich – und Mutter Wolfs Nackenhaare stellten sich auf, als der Augenblick kam – schob Vater Wolf ›Mogli, den Frosch‹, wie sie ihn nannten, in die Mitte, wo er sitzen blieb und vergnügt mit ein paar Kieselsteinen spielte, die im Mondlicht glitzerten.

Akela hob den Kopf gar nicht erst von den Pfoten, sondern fuhr mit seinem eintönigen Ruf fort: »Schaut gut hin!« Hinter den Felsen ertönte ein gedämpftes Brüllen – die Stimme Schir Khans, der rief: »Der Welpe gehört mir. Gebt ihn mir. Was hat das freie Volk mit einem Menschenwelpen zu schaffen?« Akela zuckte nicht einmal mit den Ohren, er sagte nur: »Schaut gut hin, ihr Wölfe! Was hat das freie Volk mit Befehlen von anderen als dem freien Volk zu schaffen? Schaut gut hin!«

Tiefe Stimmen knurrten im Chor, und ein Jungwolf im vierten Lebensjahr warf Schir Khans Frage an Akela zurück: »Was hat das freie Volk mit einem Menschenwelpen zu schaffen?« Nun legt das Dschungelgesetz fest, dass, wenn es Streit darüber gibt, ob ein Welpe vom Rudel angenommen werden darf, mindestens zwei Rudelmitglieder, die nicht Vater oder Mutter sind, für ihn sprechen müssen.

»Wer spricht für diesen Welpen?«, fragte Akela. »Wer vom freien Volk spricht?« Es kam keine Antwort, und Mutter Wolf machte sich bereit und wusste, es würde, sollte es zum Kampf kommen, ihr letzter sein.

Da erhob sich die einzige andere Kreatur, die beim Rudelrat zugelassen ist – Balu[7], der schläfrige braune Bär, der den Wolfswelpen das Dschungelgesetz beibringt: der alte Balu, der kommen und gehen kann, wohin er will, weil er nur Nüsse und Wurzeln und Honig isst – Balu erhob sich auf die Hintertatzen und brummte.

»Menschenwelpe – Menschenwelpe?«, fragte er. »Ich spreche für den Menschenwelpen! Ein Menschenwelpe tut nichts Böses. Ich bin zum Reden nicht begabt, aber ich sage die Wahrheit. Lasst ihn mit dem Rudel laufen und nehmt ihn auf wie die anderen. Ich selbst werde sein Lehrer sein.«

»Wir brauchen noch einen«, sagte Akela. »Balu hat gesprochen, und er ist der Lehrer unserer jungen Welpen. Wer spricht außer Balu?«

Ein schwarzer Schatten ließ sich in den Kreis hinabfallen. Es war Baghira, der schwarze Panther, tintenschwarz von oben bis unten, aber in einem gewissen Licht kamen die Pantherflecken zum Vorschein, wie das Muster von Moiréeseide[8]. Alle kannten Baghira, und niemand hatte Lust, sich mit ihm anzulegen, denn er war schlau wie Tabaqui, mutig wie ein wilder Büffel und so rücksichtslos wie ein verwundeter Elefant. Aber seine Stimme war so weich wie wilder Honig, der vom Baum tropft, und sein Fell weicher als Daunen.

»O Akela, und ihr vom freien Volk«, schnurrte er, »ich habe in eurer Versammlung keine Stimme, aber das Dschungelgesetz sagt, wenn es wegen eines Welpen einen Zweifel gibt, bei dem es nicht um Leben und Tod geht, dann kann das Leben des Welpen für einen Preis gekauft werden. Und das Gesetz schreibt nicht vor, wer den Preis zahlen darf und wer nicht. Habe ich Recht?«

»Gut, gut!«, sagten die jungen Wölfe, die immer Hunger haben. »Hört auf Baghira. Der Welpe kann für einen Preis gekauft werden. Das ist Gesetz.«

»Im Bewusstsein, dass ich kein Recht habe, hier zu sprechen, bitte ich um eure Erlaubnis.«

»Also sprich«, riefen zwanzig Stimmen.

»Einen nackten Welpen zu töten, ist eine Schande. Außerdem werdet ihr mehr Vergnügen an ihm haben, wenn er größer ist. Balu hat für ihn gesprochen. Nun füge ich Balus Wort einen Bullen hinzu: einen fetten Bullen, gerade erst geschlagen, kaum eine halbe Meile von hier, wenn ihr den Menschenwelpen nach dem Gesetz aufnehmen wollt. Fällt euch das schwer?«

Zahllose Stimmen gellten durcheinander: »Was macht das schon? Er wird im Winterregen sterben. Er wird in der Sonne verdörren. Was kann uns ein nackter Frosch schon schaden? Lasst ihn mit dem Rudel laufen. Wo ist der Bulle, Baghira? Der Welpe soll aufgenommen werden.« Und dann erscholl Akelas tiefes Bellen, und er rief: »Schaut gut hin – schaut gut hin, ihr Wölfe!«

Mogli war immer noch in sein Spiel mit den Kieselsteinen vertieft und bemerkte gar nicht, wie die Wölfe einer nach dem anderen kamen und ihn musterten. Schließlich liefen sie alle den Berg hinunter zu dem toten Bullen, und nur noch Akela, Baghira, Balu und Moglis Wölfe blieben übrig. Schir Khan brüllte immer noch durch die Nacht, denn er war außer sich, dass man ihm Mogli nicht überlassen hatte.

»Ja, brüll du nur«, murmelte Baghira in seine Schnurrhaare, »denn es kommt die Zeit, wo dieses nackte Ding dich nach einem anderen Lied brüllen lässt, oder ich müsste mich sehr in den Menschen täuschen.«

»Das hast du gut gemacht«, sagte Akela. »Die Menschen und ihre Welpen sind sehr klug. Er kann uns eines Tages noch eine große Hilfe sein.«

»Wahrhaftig, eine Hilfe in der Not, denn keiner kann erwarten, das Rudel für immer zu führen«, sagte Baghira.

Akela sagte nichts. Er dachte an die Zeit, die für jeden Anführer eines Rudels kommt, wenn die Kraft ihn verlässt, wenn er schwächer und schwächer wird, bis er schließlich von den Wölfen getötet wird und ein neuer Anführer auftritt – um zu seiner Zeit ebenfalls getötet zu werden.

»Nehmt ihn mit«, sagte er zu Vater Wolf, »und unterrichtet ihn, wie es sich für einen Angehörigen des freien Volks gebührt.«

Und so wurde Mogli in das Seoni-Wolfsrudel aufgenommen, auf Balus gutes Wort hin und zum Preis eines Bullen.

Nun musst du dich damit abfinden, zehn oder elf ganze Jahre zu überspringen und dir nur auszumalen, welch staunenswertes Leben Mogli unter den Wölfen führte, denn wenn man das alles aufschriebe, würde es viele, viele Bücher füllen. Er wuchs mit den Welpen auf, wobei sie natürlich schon ausgewachsene Wölfe waren, ehe er überhaupt zu einem richtigen Kind wurde, und Vater Wolf brachte ihm sein Geschäft bei und was die Dinge im Dschungel zu bedeuten haben, bis jedes Rascheln im Gras, jeder Hauch der warmen Nachtluft, jeder Ruf der Eulen über seinem Kopf, jedes kratzende Krallengeräusch einer Fledermaus, die für eine Weile in einem Baum schlief, und jedes Platschen eines kleinen Fischs, der in einem Tümpel hochsprang, so viel Bedeutung für ihn hatte wie die Büroarbeit für einen Geschäftsmann. Wenn er nicht gerade lernte, saß er draußen in der Sonne und schlief und aß und ging wieder schlafen. Wenn er sich schmutzig oder verschwitzt fühlte, schwamm er in den Urwaldtümpeln, und wenn er Lust auf Honig hatte (Balu erklärte ihm, Honig und Nüsse seien genauso wohlschmeckend wie rohes Fleisch), kletterte er in die Höhe, und wie das geht, zeigte ihm Baghira. Baghira legte sich immer weit vorne auf einen Ast und rief: »Komm mit, Kleiner Bruder«, und anfangs klammerte Mogli sich fest wie ein Faultier, aber später schnellte er fast so tollkühn durch die Äste wie die grauen Affen. Er nahm auch seinen Platz am Ratsfelsen ein, wenn das Rudel zusammenkam, und dort machte er eine Entdeckung: Wenn er einem Wolf unverwandt in die Augen starrte, musste der Wolf den Blick senken, und deshalb starrte Mogli zum Spaß. Oftmals zog er seinen Freunden aber auch die langen Dornen aus den Pfoten, denn Wölfe leiden schrecklich unter Dornen und Kletten im Fell. Manchmal ging er nachts den Hügel hinab in das bebaute Land und schaute sich neugierig die Dorfbewohner in ihren Hütten an, aber er misstraute den Menschen, denn Baghira hatte ihm eine viereckige Kiste mit einem Fallgitter gezeigt, die so geschickt im Dschungel versteckt war, dass er beinahe hineingelaufen wäre, und er hatte ihm erklärt, dies sei eine Falle. Am allerliebsten ging er mit Baghira in das dunkle warme Herz des Urwalds, um den ganzen schläfrigen Tag zu verdösen und ihm nachts bei der Jagd zuzusehen. Baghira tötete, was ihm in die Quere kam, wenn er Hunger hatte, und Mogli machte es genauso – mit einer Ausnahme. Sobald er alt genug war, um die Dinge zu verstehen, erklärte ihm Baghira, er dürfe nie Rinder anrühren, weil er um das Leben eines Bullen in das Rudel eingekauft worden war. »Der ganze Dschungel steht dir zur Verfügung«, sagte Baghira, »und du kannst alles töten, wofür du stark genug bist, aber um des Bullen willen, der dich erkauft hat, darfst du niemals Vieh töten, ob jung oder alt. Das ist Dschungelgesetz.« Und Mogli hielt sich getreulich daran.

Und er wuchs und wurde stark, wie ein Junge werden muss, der nicht merkt, dass er etwas lernt, und der an nichts anderes in der Welt zu denken hat als ans Essen.

Mutter Wolf erklärte ihm ein paarmal, dass man Schir Khan nicht über den Weg trauen dürfe und dass er ihn eines Tages töten müsse. Zwar hätte ein junger Wolf zu jeder Stunde an diesen Rat gedacht, aber Mogli vergaß ihn, denn er war nur ein Junge – auch wenn er sich selbst als Wolf bezeichnet hätte, wäre er irgendeiner menschlichen Sprache mächtig gewesen.

Schir Khan lief ihm im Dschungel ständig über den Weg, denn als Akela älter und schwächer wurde, freundete sich der lahme Tiger mit den jüngeren Wölfen des Rudels an, die ihm folgten, um Essensreste von ihm abzubekommen, etwas, das Akela niemals zugelassen hätte, wenn er noch in der Lage gewesen wäre, seinen Einfluss geltend zu machen. Schir Khan schmeichelte ihnen immerfort und zeigte sich erstaunt, dass so tüchtige junge Jäger sich von einem sterbenden Wolf und einem Menschenwelpen anführen ließen. »Ich habe gehört«, pflegte Schir Khan zu sagen, »dass ihr beim Rat nicht wagt, ihm in die Augen zu schauen«, und dann knurrten die jungen Wölfe und sträubten das Fell.

Baghira, der seine Augen und Ohren überall hatte, wusste davon, und ein paarmal setzte er Mogli wortreich auseinander, dass Schir Khan ihn eines Tages umbringen würde, aber dann lachte Mogli und antwortete: »Ich habe das Rudel, und ich habe dich; und auch Balu würde, obwohl er so faul ist, doch sicher für mich ein oder zwei Hiebe austeilen. Warum sollte ich mich fürchten?«

Eines sehr warmen Tages kam Baghira eine neue Idee – geboren aus etwas, das er gehört hatte. Vielleicht hatte Ikki, das Stachelschwein, es ihm erzählt; jedenfalls sagte er zu Mogli, als sie tief im Dschungel waren und der Junge seinen Kopf auf Baghiras schönes schwarzes Fell gelegt hatte: »Kleiner Bruder, wie oft habe ich dir schon erzählt, dass Schir Khan dein Feind ist?«

»So viele Male wie Nüsse auf der Palme da sind«, sagte Mogli, der natürlich nicht zählen konnte. »Na und? Ich bin schläfrig, Baghira, und Schir Khan ist bloß ein langer Schwanz und ein großes Mundwerk – wie Mao, der Pfau.«

»Aber das ist nicht die Zeit zum Schlafen. Balu weiß es, ich weiß es, das Rudel weiß es, und sogar die dummen, dummen Hirsche wissen es. Tabaqui hat es dir auch gesagt.«

»Hoho!«, sagte Mogli. »Tabaqui ist vor Kurzem zu mir gekommen und hat unverschämt dahergeredet, ich sei ein nackter Menschenwelpe und nicht mal fähig, nach Erdnüssen zu graben, aber ich habe Tabaqui am Schwanz gepackt und ihn zweimal gegen eine Palme geschwungen, um ihm bessere Manieren beizubringen.«

»Das war eine Dummheit, denn Tabaqui ist zwar ein Unheilstifter, aber er hätte dir etwas berichtet, das dich persönlich angeht. Mach die Augen auf, Kleiner Bruder. Schir Khan wagt nicht, dich im Dschungel zu töten, aber vergiss nicht, Akela ist sehr alt, und bald kommt der Tag, an dem er keinen Bock mehr erlegen kann, und dann wird er nicht mehr Anführer sein. Viele der Wölfe, die dich genau angeschaut haben, als du zum ersten Mal vor den Rat gebracht wurdest, sind ebenfalls alt, und die jungen Wölfe glauben, so wie sie es von Schir Khan gelernt haben, dass ein Menschenwelpe im Rudel nichts zu suchen hat. Es dauert nicht mehr lange, dann bist du ein Mann.«

»Und soll ein Mann nicht mit seinen Brüdern laufen?«, fragte Mogli. »Ich bin im Dschungel geboren. Ich habe das Dschungelgesetz befolgt, und es gibt bei uns keinen Wolf, aus dessen Pfoten ich noch keinen Dorn gezogen habe. Sie sind doch meine Brüder!«

Baghira streckte sich zu voller Länge aus und schloss die Augen halb. »Kleiner Bruder«, sagte er, »taste unter meinem Kinn!«

Mogli streckte seine kräftige braune Hand aus, und direkt unter Baghiras seidigem Kinn, wo die riesigen Muskelwülste von dem glänzenden Fell verborgen wurden, entdeckte er einen kleinen haarlosen Fleck.

»Keiner im Dschungel weiß, dass ich, Baghira, dieses Mal trage – das Mal des Halsbands; und dennoch, Kleiner Bruder, bin ich unter Menschen geboren, und unter Menschen starb meine Mutter – in den Käfigen des königlichen Schlosses in Udaipur[9]. Das war der Grund, weshalb ich im Rat den Preis für dich bezahlt habe, als du ein kleiner, nackter Welpe warst. Ja, auch ich bin unter Menschen geboren. Ich hatte den Dschungel nie gesehen. Sie fütterten mich hinter den Gitterstäben aus einer Eisenpfanne, bis mir eines Nachts klar wurde, dass ich Baghira bin – der Panther – und keines Menschen Spielzeug, und mit einem einzigen Tatzenhieb zerbrach ich das alberne Schloss und entkam. Und weil ich über die Menschen Bescheid weiß, bin ich im Dschungel noch furchterregender geworden als Schir Khan. Ist es nicht so?«

»Ja«, sagte Mogli, »der ganze Dschungel hat Angst vor Baghira – alle außer Mogli.«

»Ach, du bist ein Menschenwelpe«, sagte der schwarze Panther zärtlich, »und so wie ich in meinen Dschungel zurückgekehrt bin, so musst du am Ende zu den Menschen zurückgehen – zu den Menschen, die deine Brüder sind –, es sei denn, du wirst beim Rat getötet.«

»Aber warum – warum sollte mich irgendwer töten wollen?«, fragte Mogli.

»Schau mich an«, sagte Baghira, und Mogli schaute ihm gerade in die Augen. Der große Panther wandte nach einer halben Minute den Kopf ab.

»Darum«, sagte er und fuhr mit der Tatze über die Blätter. »Nicht einmal ich kann dir in die Augen schauen, und dabei bin ich unter Menschen geboren, und ich habe dich lieb, Kleiner Bruder. Die anderen, die hassen dich, weil ihre Augen den deinen nicht begegnen können – weil du klug bist – weil du die Dornen aus ihren Pfoten gezogen hast – weil du ein Mensch bist.«

»Diese Sachen habe ich nicht gewusst«, sagte Mogli unwillig und runzelte über seinen dichten schwarzen Brauen die Stirn.

»Was ist das Dschungelgesetz? Schlag zuerst und danach gib Laut. Gerade an deiner Sorglosigkeit erkennen sie, dass du ein Mensch bist. Aber sei klug. Ich spüre in meinem Herzen, dass, wenn Akela seine nächste Beute verfehlt – und bei jeder Jagd kostet es ihn mehr, den Bock zu stellen –, das Rudel sich gegen ihn wenden wird und gegen dich. Sie werden einen Dschungelrat abhalten am Felsen, und dann – und dann – ich hab’s!«, sagte Baghira und sprang auf. »Geh du rasch hinunter zu den Menschenhütten im Tal und nimm ein bisschen von der roten Blume, die sie da wachsen lassen, damit du, wenn die Zeit kommt, einen noch stärkeren Freund hast als mich oder Balu oder die aus dem Rudel, die dich lieb haben. Hol die rote Blume!«

Mit der roten Blume meinte Baghira das Feuer, bloß dass kein Lebewesen im Dschungel das Feuer bei seinem richtigen Namen nennt. Jedes Tier lebt in Todesangst davor und erfindet hundert Ausdrücke, um es zu beschreiben.

»Die rote Blume?«, fragte Mogli. »Die wächst in der Dämmerung vor ihren Hütten. Ich werde etwas davon holen.«

»Da spricht der Menschenwelpe«, sagte Baghira stolz. »Vergiss nicht, dass sie in kleinen Töpfen wächst. Hol schnell einen davon und behalte ihn bei dir für den Notfall.«

»Gut«, sagte Mogli, »ich gehe. Aber bist du sicher, o mein Baghira« – er legte den Arm um den prachtvollen Hals und blickte tief in die großen Augen – »bist du sicher, dass all das Schir Khans Schuld ist?«

»Beim zerbrochenen Schloss, dem ich meine Freiheit verdanke, ich bin sicher, Kleiner Bruder.«

»Dann, beim Bullen, der mich erkauft hat, werde ich Schir Khan den vollen Preis dafür bezahlen lassen, und es könnte sogar ein bisschen mehr werden«, sagte Mogli und sprang davon.

»Das ist ein Mensch. Das ist ganz und gar ein Mensch«, dachte Baghira, als er sich wieder hinlegte. »O Schir Khan, nie war eine Jagd schwärzer als deine auf den Frosch vor zehn Jahren!«

Mogli war schon weit durch den Wald gerannt, und sein Herz schlug ihm heiß in der Brust. Er kam bei der Höhle an, als der Abenddunst aufstieg, holte tief Luft und blickte ins Tal hinab. Die Welpen waren unterwegs, aber Mutter Wolf hinten in der Höhle erkannte an seinem Atmen, dass irgendetwas ihren Frosch bedrückte.

»Was gibt es, Sohn?«, fragte sie.

»So ein Fledermaustratsch über Schir Khan«, rief er zurück. »Ich jage heute Nacht bei den gepflügten Feldern.« Und er preschte bergab durch die Büsche bis zum Wasserlauf am Grund des Tals. Dort hielt er inne, denn er hörte den Jagdruf des Rudels, hörte das Röhren des gehetzten Sambhur und das Schnauben, als der Bock, in die Enge getrieben, sich seinen Jägern zuwandte. Dann erklang das böse und bittere Geheul der jungen Wölfe: »Akela! Akela! Der Einzelgänger soll seine Kraft zeigen. Platz für den Rudelführer! Spring, Akela!«

Der Einzelgänger musste bei seinem Sprung das Ziel verfehlt haben, denn Mogli hörte seine Zähne aufeinanderschlagen und dann ein Jaulen, als der Sambhur ihn mit dem Vorderhuf umstieß.

Mogli wartete nicht weiter ab, sondern stürzte weiter, und das Gebell hinter ihm wurde leiser, während er weiter zum Ackerland rannte, wo die Dorfleute wohnten.

»Baghira hat die Wahrheit gesagt«, keuchte er, als er sich in einen Haufen Viehfutter neben einem Hüttenfenster kauerte. »Morgen ist der Tag für uns beide, für Akela und mich.«

Dann drückte er sich die Nase am Fenster platt und beobachtete das Feuer auf dem Herd. Er sah, wie die Frau des Bauern in der Nacht aufstand und es mit schwarzen Brocken fütterte, und als der Morgen kam und der Dunst ganz weiß und kalt war, sah er, wie das Kind des Bauern einen korbgeflochtenen Topf nahm, der innen mit Lehm ausgekleidet war, ihn mit rotglühender Holzkohle füllte und ihn unter seiner umgehängten Decke hinaustrug, um sich um die Kühe im Stall zu kümmern.

»Ist das alles?«, fragte Mogli. »Wenn ein Welpe das kann, braucht man keine Angst zu haben.« Also stapfte er um die Hausecke, begegnete dem Jungen, nahm ihm den Topf aus der Hand und verschwand im Dunst, während der Junge vor Schreck laut aufheulte.

»Sie sind mir sehr ähnlich«, dachte Mogli und blies in den Topf, wie er es die Frau hatte tun sehen. »Dieses Ding wird sterben, wenn ich ihm nichts zu essen gebe.« Und er streute Zweige und trockene Rinde auf das rote Zeug. Auf halber Höhe traf er Baghira, auf dessen Fell die Tautropfen wie Mondsteine schimmerten.

»Akela hat die Beute verfehlt«, sagte der Panther. »Sie hätten ihn schon gestern Nacht umgebracht, aber sie wollten auch dich. Sie haben dich auf dem Berg gesucht.«

»Ich war auf dem gepflügten Land. Ich bin bereit. Sieh nur!« Mogli hielt den Feuertopf hoch.

»Gut. Also, ich habe gesehen, wie Menschen einen Ast in das Zeug gesteckt haben, und sofort hat dann die rote Blume an seinem Ende geblüht. Hast du keine Angst?«

»Nein. Warum sollte ich mich fürchten? Ich erinnere mich jetzt – wenn es kein Traum ist –, dass ich, ehe ich ein Wolf wurde, neben der roten Blume lag, und es war warm und schön.«

Den ganzen Tag saß Mogli in der Höhle und fütterte seinen Feuertopf und tauchte Äste hinein, um herauszufinden, wie sie reagierten. Er fand einen Ast, der ihn zufriedenstellte, und als am selben Abend Tabaqui erschien und ihm ziemlich flegelhaft mitteilte, er werde am Ratsfelsen erwartet, lachte er, bis Tabaqui davonrannte. Dann ging Mogli, immer noch lachend, zum Rat.

Akela, der Einzelgänger, lag neben seinem Felsen, zum Zeichen, dass die Führung des Rudels offen war, und Schir Khan lief mit seiner Gefolgschaft von Reste fressenden jungen Wölfen ungeniert auf und ab und genoss ihre Schmeicheleien. Baghira lag dicht neben Mogli, und der Feuertopf stand zwischen Moglis Knien. Als alle versammelt waren, begann Schir Khan zu sprechen – was er nie gewagt hätte, als Akela noch im Vollbesitz seiner Kräfte war.

»Er hat kein Recht dazu«, flüsterte Baghira. »Sag das! Er ist der Sohn eines Hundes. Er wird Angst bekommen.«

Mogli sprang auf. »Freies Volk«, rief er. »Führt Schir Khan das Rudel? Was hat ein Tiger mit unserer Führung zu schaffen?«

»Ich habe gesehen, dass die Führung noch offen ist, und da ich gebeten worden bin zu sprechen …«, rechtfertigte sich Schir Khan.

»Von wem?«, fragte Mogli. »Sind wir alle Schakale, dass wir um diesen Viehmetzger herumscharwenzeln? Die Führung des Rudels geht nur das Rudel an.«

Es ertönten Rufe wie »Schweig, du Menschenwelpe!«, »Lasst ihn reden. Er hat unser Gesetz befolgt.« Und schließlich donnerten die Ältesten des Rudels: »Lasst den toten Wolf sprechen!« Wenn ein Anführer des Rudels seine Beute verfehlt hat, wird er als ›toter Wolf‹ bezeichnet, solange er lebt, was gewöhnlich nicht lange ist.

Akela hob müde seinen alten Kopf:

»Freies Volk, und auch ihr, Schir Khans Schakale, viele Jahre habe ich euch zur Jagd geführt und wieder heim, und während meiner ganzen Zeit wurde keiner gefangen oder verkrüppelt. Nun habe ich meine Beute verfehlt. Ihr wisst, dass das ein Komplott war. Ihr wisst, dass ihr mich zu einem Bock gebracht habt, der noch voll bei Kräften war, um meine Schwäche bloßzustellen. Das war schlau eingefädelt. Es ist euer Recht, mich nun hier auf dem Ratsfelsen zu töten. Daher frage ich: Wer kommt, um dem Einzelgänger den Garaus zu machen? Denn nach dem Dschungelgesetz ist es mein Recht, dass ihr einzeln kommt.«

Es folgte langes Schweigen, denn kein Wolf hatte Lust, mit Akela auf Leben und Tod zu kämpfen. Dann brüllte Schir Khan: »Pah! Was haben wir mit diesem zahnlosen Narren zu schaffen? Er ist dem Tod geweiht! Der Menschenwelpe ist es, der schon zu lange lebt. Freies Volk, sein Fleisch gehörte von Anfang an mir. Gebt ihn mir. Ich habe diesen Menschenwolf-Unsinn satt. Er hat den Dschungel zehn Jahre lang gestört. Gebt mir den Menschenwelpen, sonst jage ich für immer hier und gebe keinen einzigen Knochen ab. Er ist ein Mensch, eines Menschen Kind, und ich hasse ihn bis ins Mark meiner Knochen!«

Da schrie mehr als die Hälfte des Rudels: »Ein Mensch! Ein Mensch! Was hat ein Mensch mit uns zu schaffen? Soll er doch nach Hause gehen.«

»Und alle Dorfleute gegen uns aufbringen?«, röhrte Schir Khan. »Nein, gebt ihn mir. Er ist ein Mensch, und keiner von uns kann ihm in die Augen schauen.«

Akela hob wieder den Kopf und sagte: »Er hat unser Essen geteilt. Er hat bei uns geschlafen. Er hat Wild für uns gehetzt. Er hat kein Wort des Dschungelgesetzes gebrochen.«

»Außerdem habe ich mit einem Bullen für ihn bezahlt, als er aufgenommen wurde. Der Wert eines Bullen ist gering, aber Baghiras Ehre ist etwas, wofür er möglicherweise kämpfen wird«, sagte Baghira mit sanfter Stimme.

»Ein Bulle, der vor zehn Jahren bezahlt wurde!«, knurrte das Rudel. »Was gehen uns Knochen an, die schon zehn Jahre alt sind?«

»Oder ein Gelöbnis?«, sagte Baghira und fletschte seine weißen Zähne. »Und euch nennt man das freie Volk!«

»Kein Menschenwelpe kann mit dem Dschungelvolk laufen«, brüllte Schir Khan. »Gebt ihn mir!«

»Er ist unser Bruder in allem, außer im Blut«, fuhr Akela fort, »und ihr wollt ihn hier töten! Wahrhaftig, ich habe zu lange gelebt. Manche von euch sind Viehfresser, und von anderen habe ich gehört, dass ihr auf Schir Khans Weisung in dunklen Nächten Kinder von den Schwellen der Dorfbewohner raubt. Daher weiß ich, dass ihr feige seid, und zu Feiglingen spreche ich nun. Es ist gewiss, dass ich sterben muss, und mein Leben hat keinen Wert, sonst würde ich es gegen das Leben des Menschenwelpen eintauschen. Aber ich verspreche um der Ehre des Rudels willen – eine Nebensache, die ihr ohne Anführer vergessen habt –, wenn ihr den Menschenwelpen nach Hause gehen lasst, werde ich euch, wenn es ans Sterben geht, nicht einen Zahn zeigen. Ich werde ohne Kampf sterben. Das wird dem Rudel zumindest drei Leben retten. Mehr kann ich nicht tun; aber wenn ihr einwilligt, kann ich euch die Schande ersparen, die auf den fällt, der einen Bruder tötet, welchem kein Vorwurf zu machen ist – ein Bruder, für den gesprochen und der ins Rudel eingekauft wurde nach dem Dschungelgesetz.«

»Er ist ein Mensch – ein Mensch – ein Mensch!«, knurrte das Rudel, und die meisten Wölfe begannen sich um Schir Khan zu scharen, dessen Schwanz bereits hin und her peitschte.

»Jetzt liegt die Sache in deiner Hand«, sagte Baghira zu Mogli. »Wir können jetzt nichts mehr tun als kämpfen.«

Mogli erhob sich – den Feuertopf in den Händen. Dann streckte er die Arme aus und gähnte die Versammlung an, aber innerlich raste er vor Wut und Kummer, denn wie es ihre Art ist, hatten die Wölfe ihm nie zu verstehen gegeben, wie sehr sie ihn hassten. »Hört zu, ihr da!«, rief er. »Das Geschwätz dieses Hundes ist ganz überflüssig. Ihr habt mir heute Nacht so oft gesagt, dass ich ein Mensch bin (und dabei wäre ich gerne bis zu meinem Lebensende als Wolf bei euch geblieben), dass ich glaube, ihr sprecht wahr. Darum nenne ich euch nicht länger meine Brüder, sondern Sag [Hunde], wie es sich für einen Menschen gehört. Was ihr tun werdet und was nicht, habt nicht ihr zu bestimmen. Die Entscheidung liegt bei mir, und damit wir klarer sehen, habe ich, der Mensch, ein wenig von der roten Blume mitgebracht, die ihr Hunde so fürchtet.«

Er schleuderte den Feuertopf zur Erde, und ein paar der roten Kohlen steckten ein trockenes Moosbüschel in Brand, das aufflammte, so dass die ganze Versammlung sich entsetzt von den züngelnden Flammen zurückzog.

Mogli stieß seinen dürren Ast in das Feuer, bis die Zweige Feuer fingen und knisterten, und er schwang ihn inmitten der geduckten Wölfe über seinem Kopf.

»Du bist der Meister«, sagte Baghira mit verhaltener Stimme. »Rette Akela vor dem Tod. Er war seit jeher dein Freund.«

Akela, der grimmige alte Wolf, der nie in seinem ganzen Leben um Erbarmen gefleht hatte, warf Mogli einen mitleidheischenden Blick zu, als der Junge splitternackt, mit lang über die Schultern wallenden Haaren dastand, im Licht des brennenden Asts, der die Schatten springen und flackern ließ.

»Gut!«, sagte Mogli und blickte langsam von einem zum anderen. »Ich sehe, dass ihr Hunde seid. Ich gehe von euch zu meinem eigenen Volk – wenn es mein Volk ist. Der Dschungel ist mir verschlossen, und ich muss eure Rede und eure Gesellschaft vergessen, aber ich habe mehr Erbarmen als ihr. Da ich euer Bruder war in allem außer im Blut, verspreche ich: Wenn ich ein Mensch bin unter Menschen, werde ich euch nicht an die Menschen verraten, wie ihr mich verraten habt.« Er versetzte dem Feuer einen Tritt, so dass die Funken sprühten. »Es soll kein Krieg sein zwischen einem von uns und dem Rudel. Aber ich habe noch eine Schuld zu begleichen, bevor ich gehe.« Er schritt vorwärts zu der Stelle, wo Schir Khan saß und verdattert in die Flammen blinzelte, und packte ihn am Haarbüschel unter seinem Kinn. Baghira hielt sich hinter ihm, für alle Fälle. »Auf mit dir, du Hund!«, rief Mogli. »Auf, wenn ein Mensch spricht, sonst stecke ich deinen Pelz in Brand!«

Schir Khans Ohren waren zurückgelegt, und er schloss die Augen, denn der brennende Ast war sehr nahe.

»Dieser Viehmörder hat gesagt, er würde mich bei der Ratsversammlung töten, weil er mich nicht getötet hat, als ich ein Welpe war. So und so verprügeln wir Hunde, wenn wir Menschen sind. Rühr nur ein Schnurrhaar, Lungri, dann ramme ich dir die rote Blume in den Schlund!« Er schlug Schir Khan mit dem Ast über den Schädel, und der Tiger winselte und jaulte in Todesangst.

»Pah! Versengte Dschungelkatze – geh jetzt! Aber merke dir, wenn ich das nächste Mal zum Ratsfelsen komme, wie ein Mensch kommen soll, dann mit Schir Khans Fell auf dem Kopf. Im Übrigen kann Akela frei von hier gehen, um zu leben, wie es ihm gefällt. Ihr werdet ihn nicht töten, weil ich es nicht will. Auch glaube ich, ihr solltet nicht länger hier sitzen und die Zungen heraushängen lassen, als wärt ihr etwas Besonderes, statt Hunde, die ich vertreibe – so! Geht!« Das Feuer brannte heftig am Ende des Asts, und Mogli ging den ganzen Kreis ab, schlug nach rechts und links, und die Wölfe rannten heulend davon, als die Funken ihren Pelz verbrannten. Zuletzt waren nur noch Akela, Baghira und vielleicht zehn Wölfe, die Moglis Partei ergriffen hatten, übrig. Da begann etwas tief drinnen in Mogli zu schmerzen, wie ihn noch nie im Leben etwas geschmerzt hatte, und er schniefte und schluchzte, und die Tränen rannen ihm übers Gesicht.

»Was ist das? Was ist das?«, fragte er. »Ich möchte den Dschungel nicht verlassen, und ich weiß nicht, was das ist. Sterbe ich, Baghira?«

»Nein, Kleiner Bruder. Das sind bloß Tränen, wie die Menschen sie gebrauchen«, sagte Baghira. »Jetzt weiß ich, dass du ein Mann bist und kein Menschenwelpe mehr. Der Dschungel ist dir ab jetzt tatsächlich verschlossen. Lass sie fließen, Mogli. Es sind bloß Tränen.« Also saß Mogli da und weinte, als sollte ihm das Herz brechen, und er hatte noch nie zuvor im Leben geweint.

»Jetzt«, sagte er, »gehe ich zu den Menschen. Aber zuerst muss ich meiner Mutter Lebewohl sagen.« Und er ging zu der Höhle, wo sie mit Vater Wolf lebte, und er weinte an ihrem Fell, während die vier Welpen jämmerlich heulten.

»Ihr werdet mich nicht vergessen?«, fragte Mogli.

»Nie, solange wir deiner Spur folgen können«, sagten die Welpen. »Komm an den Fuß des Bergs, wenn du ein Mensch bist, dann reden wir mit dir. Und wir kommen nachts auf die Felder und spielen mit dir.«

»Komm bald!«, sagte Vater Wolf. »O kluger kleiner Frosch, komm bald wieder, denn wir sind alt, deine Mutter und ich.«

»Komm bald«, sagte Mutter Wolf, »mein kleiner nackter Sohn, denn höre, Menschenkind, ich habe dich mehr geliebt als je meine eigenen Welpen.«

»Ich komme bestimmt«, sagte Mogli. »Und wenn ich komme, werde ich Schir Khans Fell auf den Ratsfelsen legen. Vergesst mich nicht! Sagt allen im Dschungel, sie sollen mich nie vergessen!«

Es dämmerte bereits, als Mogli allein den Berg hinunterging, um die geheimnisvollen Wesen kennenzulernen, die man Menschen nennt.

JAGDLIED DES SEONI-RUDELS

Als der Morgen nahte, rief der Sambhur

Einmal, zweimal und wieder!

Und die Hindin sprang, und die Hindin sprang

Vom Waldteich, wo sie Nahrung fand.

Allein auf Kundschaft erblickt’ ich dies

Einmal, zweimal und wieder.

Als der Morgen nahte, rief der Sambhur

Einmal, zweimal und wieder!

Und ein Wolf schlich zurück, und ein Wolf schlich zurück,

Dem wartenden Rudel zu melden das Glück,

Und wir suchten und bellten auf seiner Spur

Einmal, zweimal und wieder!

Der Morgen kam und das Wolfsrudel rief

Einmal, zweimal und wieder!

Pfote, die spurlos den Dschungel durchlief!

Auge, das sieht – im Dunkeln sieht!

Zunge, gib Laut dazu! Hört! O hört!

KAAS JAGD

Seiner Flecken freut sich der Leopard, der Büffel ist stolz auf sein Horn.

Sei reinlich: die Stärke des Jägers erkennt man am Glanz seines Fells.

Wenn du merkst, dass der Ochse dich schleudern, der Sambhur dich aufspießen kann,

So brauchst du das nicht zu verkünden; das weiß man im Dschungel schon lang.

Belästige nicht fremde Welpen, begrüß sie als Schwester und Bruder,

Denn sie sind zwar klein und niedlich, doch vielleicht ist ein Bär ihre Mutter.

»Der Beste bin ich!« sagt der Welpe voll Stolz auf die erste Beute.

Doch der Dschungel ist groß, und der Welpe ist klein. Er soll schweigen wie andere Leute.

Lehrsätze Balus[1]

Alles, was hier erzählt wird, geschah eine Weile, bevor Mogli aus dem Seoni-Wolfsrudel ausgeschlossen wurde und sich an Schir Khan, dem Tiger, rächte. Es geschah in den Tagen, als Balu ihn das Dschungelgesetz lehrte. Der große, ernste, alte, braune Bär war hocherfreut, einen so aufgeweckten Schüler zu haben, denn die jungen Wölfe lernen immer nur diejenigen Lehren des Dschungelgesetzes, die sich auf ihr Rudel und ihren Stamm beziehen, und laufen davon, sobald sie den Jagdvers aufsagen können: »Pfoten, die kein Geräusch machen, Augen, die im Dunkeln sehen, Ohren, die die Winde in ihren Höhlen hören, und scharfe weiße Zähne, daran erkennt man unsere Brüder, mit Ausnahme von Tabaqui, dem Schakal und der Hyäne, die wir hassen.« Aber Mogli, der Menschenwelpe, musste eine Menge mehr lernen. Manchmal kam Baghira, der schwarze Panther, durch den Dschungel geschlendert, um nachzuschauen, ob sein Liebling Fortschritte machte, und hörte dann, den Kopf an einen Baum gelehnt, schnurrend zu, wie Mogli Balu die Lehren des Tages vortrug. Der Junge konnte beinahe so gut klettern wie schwimmen und beinahe so gut schwimmen wie rennen, daher brachte Balu, der Lehrer des Gesetzes, ihm die Wald- und Wassergesetze bei: wie man einen morschen Ast von einem gesunden unterschied, wie man höflich mit den Wildbienen sprach, wenn man fünfzig Fuß über dem Erdboden auf ein Nest von ihnen stieß, was man zu Mang, der Fledermaus, sagen musste, wenn man sie am Mittag in den Ästen störte, und wie man die Wasserschlangen im Teich warnte, bevor man zu ihnen ins Wasser sprang. Kein Dschungelbewohner wird gerne gestört, und alle sind jederzeit bereit, auf einen Eindringling loszugehen. Außerdem hatte Mogli den Jagdruf des Fremden zu erlernen, der, wann immer ein Dschungelbewohner außerhalb seiner eigenen Jagdgründe auf die Pirsch geht, so lange laut wiederholt werden muss, bis er beantwortet wird. Er bedeutet übersetzt: »Erlaube mir, hier zu jagen, denn ich habe Hunger.« Und die Antwort lautet: »Dann jage nach Nahrung, aber nicht zum Vergnügen.«

Daran kannst du sehen, wie viel Mogli auswendig lernen musste, und er bekam es gründlich satt, hundert Mal dasselbe aufzusagen, aber wie Balu eines Tages zu Baghira sagte, als Mogli eins hinter die Ohren bekommen hatte und zornig weggelaufen war: »Ein Menschenwelpe ist ein Menschenwelpe, und er muss das ganze Dschungelgesetz lernen.«

»Aber er ist doch noch so klein!«, sagte der schwarze Panther, der, wäre es nach ihm gegangen, Mogli verwöhnt hätte. »Wie soll denn sein kleiner Kopf all deine langen Reden behalten?«

»Ist irgendetwas im Dschungel zu klein, um getötet zu werden? Nein. Deshalb bringe ich ihm diese Dinge bei, und deshalb gebe ich ihm einen Klaps – nur ganz sanft –, wenn er etwas vergisst.«

»Sanft! Was verstehst du denn von Sanftheit, alte Eisenpranke?«, brummte Baghira. »Sein Gesicht ist heute voller blauer Flecken von deiner – Sanftheit, Uachch!«

»Besser er hat von Kopf bis Fuß blaue Flecken von mir, der ihn liebt, als dass ihm aus Unwissenheit etwas zustößt«, antwortete Balu sehr ernst. »Ich lehre ihn gerade die Meisterworte des Dschungels, die ihn beschützen sollen bei den Vögeln und dem Schlangenvolk und bei allen, die auf vier Pfoten jagen, außer seinem eigenen Rudel. Er kann jetzt von allen Dschungelbewohnern Schutz beanspruchen, wenn er nur die Worte behält. Ist das nicht ein paar Klapse wert?«

»Na, dann pass auf, dass du den Menschenwelpen nicht umbringst. Er ist kein Baumstamm, an dem du deine stumpfen Krallen schärfen kannst. Aber wie gehen diese Meisterworte? Ich leiste zwar eher Hilfe, als dass ich darum bitte« – Baghira streckte eine Tatze aus und bewunderte die stahlblauen, meißelscharfen Krallen an ihrem Ende –, »aber ich wüsste es dennoch gerne.«

»Ich rufe Mogli, dann sagt er sie auf – wenn er will. Komm, Kleiner Bruder!«

»Mein Kopf brummt wie ein Baum voller Bienen«, sagte eine verdrießliche kleine Stimme über ihnen, und Mogli rutschte den Baumstamm herunter, sehr wütend und beleidigt, und als er den Erdboden erreichte, fügte er hinzu: »Ich komme wegen Baghira und nicht wegen dir, dicker alter Balu!«

»Das ist mir ganz egal«, sagte Balu, obwohl er verletzt und bekümmert war. »Dann sag Baghira die Meisterworte des Dschungels auf, die ich dir an diesem Tag beigebracht habe.«

»Meisterworte für welches Volk?« fragte Mogli, hocherfreut, sich produzieren zu können. »Der Dschungel hat viele Sprachen. Ich kann sie alle.«

»Ein bisschen kannst du, aber nicht viel. Siehst du, Baghira, sie bedanken sich nie bei ihrem Lehrer. Nicht ein einziger kleiner Wölfling ist jemals zurückgekommen, um dem alten Balu für seine Lehren zu danken. Dann sag mal das Wort für die Jägervölker – du Schlaukopf.«

»Wir sind von einem Blut, du und ich«, sagte Mogli, wobei er die Worte mit dem Bärenakzent aussprach, den alle Jägervölker benutzen.

»Gut. Jetzt das für die Vögel.«

Mogli wiederholte den Satz, aber mit dem Pfiff des Milans am Ende.

»Jetzt für das Schlangenvolk«, sagte Baghira.

Die Antwort war ein absolut unbeschreibliches Zischen, und Mogli hüpfte ausgelassen umher, klatschte in die Hände, um sich selbst zu applaudieren, und sprang Baghira auf den Rücken, wo er seitwärts sitzen blieb, mit den Fersen auf das glänzende Fell trommelte und Balu die schlimmsten Grimassen schnitt, die er sich nur ausdenken konnte.

»Da haben wir’s! Das war doch einen kleinen blauen Fleck wert«, sagte der braune Bär liebevoll. »Eines Tages wirst du noch an mich denken.« Dann wandte er sich Baghira zu, um ihm zu erzählen, wie er Hathi, den wilden Elefanten, der alles über diese Dinge weiß, um die Meisterworte gebeten hatte, und wie Hathi Mogli zu einem Tümpel mitgenommen hatte, um das Schlangenwort von einer Wasserschlange zu erfragen, weil Balu es nicht aussprechen konnte, und dass Mogli nun einigermaßen gegen alle Unfälle im Dschungel gefeit war, weil weder Schlange, noch Vogel, noch anderes Getier ihm etwas tun würden.

»Deshalb muss er vor niemandem Angst haben«, endete Balu und klopfte sich stolz auf seinen dicken pelzigen Bauch.

»Außer vor seinem eigenen Stamm«, murmelte Baghira leise; dann sagte er laut zu Mogli: »Schone meine Rippen, Kleiner Bruder! Was soll denn all das Gehopse?«

Mogli hatte versucht, auf sich aufmerksam zu machen, indem er an Baghiras Schulterfell zog und ihm heftige Tritte versetzte. Als die beiden ihm zuhörten, schrie er aus vollem Halse: »Und dann werde ich ein eigenes Volk haben und sie den ganzen Tag durchs Geäst führen.«

»Was ist das für eine neue Verrücktheit, kleiner Träumer von Träumen?«, fragte Baghira.

»Ja, und Zweige und Dreck auf den alten Balu schmeißen«, fuhr Mogli fort. »Das haben sie mir versprochen. Auah!«

»Fhhuuff!« Balus große Tatze schaufelte Mogli von Baghiras Rücken herunter, und als der Junge da zwischen den großen Vorderpfoten lag, konnte er sehen, dass der Bär wütend war.

»Mogli«, sagte Balu, »du hast mit den Bandar-log gesprochen – dem Affenvolk.«

Mogli schaute zu Baghira, um zu sehen, ob der Panther auch wütend war, und Baghiras Augen waren hart wie Jadesteine.

»Du warst bei dem Affenvolk – den grauen Affen – dem Volk ohne Gesetz – den Allesfressern. Das ist schändlich.«

»Als Balu mir am Kopf wehgetan hat«, sagte Mogli (der immer noch auf dem Rücken lag), »bin ich weggelaufen, und die grauen Affen sind von den Bäumen heruntergekommen und hatten Mitleid mit mir. Niemand sonst hat sich um mich gekümmert.« Er schniefte ein bisschen.

»Das Affenvolk und Mitleid!«, schnaubte Balu. »Die Stille des Wasserfalls! Die Kühle der Sommersonne! Und dann, Menschenwelpe?«

»Und dann, und dann haben sie mir Nüsse und gute Sachen zu essen gegeben, und sie – sie haben mich an den Armen in die Baumwipfel getragen und gesagt, ich bin ihr Blutsbruder, außer dass ich keinen Schwanz habe, und ich soll eines Tages ihr Anführer sein.«

»Sie haben keinen Anführer«, sagte Baghira. »Sie lügen. Sie haben schon immer gelogen.«

»Sie waren sehr nett und haben gesagt, ich soll wiederkommen. Warum bin ich nie zum Affenvolk mitgenommen worden? Sie stehen auf den Hinterbeinen wie ich. Sie hauen mich nicht mit harten Pfoten. Sie spielen den ganzen Tag. Lass mich aufstehen! Böser Balu, lass mich hoch! Ich will wieder mit ihnen spielen.«

»Hör zu, Menschenwelpe«, sagte der Bär, und seine Stimme grollte wie Donner in einer heißen Nacht. »Ich habe dich das ganze Dschungelgesetz gelehrt für alle Dschungelvölker – außer für das Affenvolk, das in den Bäumen lebt. Sie haben kein Gesetz. Sie sind verfemt. Sie haben keine eigene Sprache, sondern benutzen gestohlene Wörter, die sie hören, wenn sie oben in den Ästen lauschen und spähen und warten. Ihre Art ist nicht unsere Art. Sie haben keine Anführer. Sie haben kein Gedächtnis. Sie prahlen und plappern und geben vor, ein großartiges Volk zu sein, das bald großartige Taten im Dschungel vollbringen wird, aber wenn nur eine Nuss zu Boden fällt, brechen sie in Gelächter aus, und alles ist vergessen. Wir vom Dschungel haben nichts mit ihnen zu tun. Wir trinken nicht, wo die Affen trinken, wir gehen nicht die Wege, die die Affen gehen, wir jagen nicht, wo sie jagen, wir sterben nicht, wo sie sterben. Hast du mich je vor dem heutigen Tag von den Bandar-log sprechen hören?«

»Nein«, flüsterte Mogli, denn der Dschungel war nun, da Balu geendet hatte, sehr still.

»Die Dschungelbewohner verbannen sie aus ihrem Mund und aus ihren Gedanken. Sehr viele sind sie, böse, schmutzig, schamlos, und ihr Ziel, wenn sie überhaupt feste Ziele haben, ist es, dass die Dschungelbewohner Notiz von ihnen nehmen. Aber wir nehmen nie Notiz von ihnen, selbst wenn sie uns Nüsse und Dreck auf den Kopf werfen.«

Kaum hatte er geendet, da prasselte ein Regen von Nüssen und Zweigen durch die Äste herab, und sie konnten Husten und Geheul und wütendes Gehüpfe hoch oben in den dünnen Ästen hören.

»Das Affenvolk ist verboten«, sagte Balu, »verboten für die Dschungelbewohner. Merk dir das!«

»Verboten«, sagte Baghira. »Dennoch bin ich der Meinung, Balu hätte dich vor ihnen warnen sollen.«

»Ich – ich? Wie sollte ich denn darauf kommen, dass er mit solchem Abschaum spielen würde? Das Affenvolk! Foachch!«

Wieder prasselte es auf ihre Köpfe herunter, und die beiden trotteten davon und nahmen Mogli mit. Was Balu über die Affen gesagt hatte, entsprach voll und ganz der Wahrheit. Sie gehörten in die Baumwipfel, und da Tiere, die auf vier Pfoten gehen, selten nach oben schauen, gab es keine Gelegenheit, dass die Wege der Affen und der Dschungelbewohner sich kreuzten. Aber wann immer die Affen einen kranken Wolf oder einen verwundeten Tiger oder Bär fanden, quälten sie ihn, und sie warfen zum Spaß Stöcke und Nüsse auf alle Tiere in der Hoffnung, Aufmerksamkeit zu erregen. Dann heulten und kreischten sie immer sinnlose Gesänge und luden die Dschungelbewohner ein, auf die Bäume zu klettern und mit ihnen zu kämpfen, oder sie fingen ohne Grund wilde Schlachten untereinander an und ließen die toten Affen herumliegen, wo die Dschungelbewohner sie sehen konnten. Ständig waren sie gerade dabei, einen Anführer zu wählen und eigene Gesetze und Bräuche zu erfinden, aber das trat nie ein, weil ihr Gedächtnis nicht von einem Tag bis zum nächsten reichte, was sie allerdings damit ausglichen, dass sie einen Spruch erfanden: »Was die Bandar-log jetzt denken, wird der ganze Dschungel später denken«, und das tröstete sie gewaltig. Keines der Tiere konnte sie erreichen, aber andererseits kümmerte sich auch keins der Tiere um sie, und deshalb freuten sie sich so, als Mogli kam, um mit ihnen zu spielen, und als sie hörten, wie wütend Balu war.

Mehr hatten sie überhaupt nicht beabsichtigt – die Bandar-log beabsichtigen niemals etwas. Aber einer von ihnen hatte eine, wie ihm schien, glänzende Idee, und er erzählte allen anderen, es wäre sehr nützlich, Mogli in ihrem Stamm zu haben, weil er als Schutz vor dem Wind Zweige zusammenflechten könne, und wenn sie seiner habhaft wurden, könnten sie ihn dazu bewegen, es ihnen beizubringen. Mogli als Kind eines Holzfällers besaß natürlich alle möglichen Instinkte und baute häufig kleine Hütten aus abgefallenen Ästen, ohne darüber nachzudenken, warum er das tat, und das Affenvolk, das ihn aus den Bäumen beobachtete, staunte höchlichst über sein Spiel. Diesmal, sagten sie, würden sie wirklich einen Anführer bekommen und das klügste Volk des Dschungels werden – so klug, dass alle anderen aufhorchen und sie beneiden würden. Daher folgten sie Balu und Baghira und Mogli ganz leise durch den Dschungel, bis die Zeit für den Mittagsschlaf kam, und Mogli, der sich sehr schämte, zwischen Panther und Bär einschlief, fest entschlossen, nie mehr etwas mit dem Affenvolk zu tun zu haben.