Das dunkle Spiel - Robyn J. Ashton - E-Book

Das dunkle Spiel E-Book

Robyn J. Ashton

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Beschreibung

“Ein schwacher Gott ist nicht mehr als ein leiser Windhauch im Sommer.” Daskoniens Thron und Sicherheit sind in Gefahr. Der Kampf um die Vorherrschaft zwischen den schwarzen Priestern des Diakron und den Anhängern der alten Götter entfacht einen bedrohlichen Funken, der das Königreich in einem Feuersturm aus Chaos und Aufruhr zur verbrennen droht. Das Schicksal eines ganzen Volkes liegt nun in den Händen zweier Brüder, die nicht wissen, dass sie Brüder sind. Der eine geboren als Prinz, der andere als Kind eines Schmieds. Wie werden sie ihre Seite wählen und wer fällt zuerst: der Thron, die Priester oder die Götter? Fesselnde High Fantasy für Fans von G.R.R. Martin und Robin Hobb.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Ähnliche


 

 

Robyn J. Ashton

Das dunkle Spiel

Amboss und Feder

Copyright © 2024 by

Robyn J. Ashton

c/o Block Services

Stuttgarter Str. 106

70736 Fellbach

 

Lektorat: Janika Mielke

Korrektorat: Francy Schneider

Satz & Layout: Robyn J. Ashton/Francy Schneider

Umschlagdesign: Magicalcover

Bildmaterial: Freepiks/Depositphotos

Illustrationen: Ulrike Grabowski

Übersetzung Gedicht: Marcel Hennicke

Druck: Tolino Media

ISBN: 9783759217608

 

Alle Rechte vorbehalten

Das dunkle Spiel

Amboss und Feder

 

 

von

Robyn J. Ashton

 

Für die Träumenden, die in den Schatten das Licht sehen.

Für die Suchenden, die sich selbst verloren haben.

Und für alle, die an die Magie glauben, die in uns wohnt.

 

Liebe Leser:innen,

dieses Buch behandelt Themen, die potenziell belastend wirken können. Daher findet ihr hinten im Buch eine Content-Note.

Achtung, diese Liste enthält Spoiler für die ganze Geschichte.

Wichtige Namen und ihre Aussprache

Liamh            Li-äm

Kerian            Ke-ri-an

Aysling      Äsch-lin

Rian            Ri-an

Cadoc            Kä-dock

Liora            Li-ora

Neeve            Niif

Nevin            Niif’n

Tyron            Tü-ron

Sionn            Shuun

 

 

Dreimal trifft man die Dreigestaltige.

Beim ersten Mal ist sie jung und speist dich.

Beim zweiten Mal ist sie alt und tränkt dich.

Beim dritten Mal spreizt sie die Schwingen und opfert dich.

- Prophezeiung eines namenlosen Drui -

 

Ein schwacher Gott ist nicht mehr als ein leiser Windhauch im Sommer.

Morhain, Göttin des Krieges und der Fruchtbarkeit, hatte nahezu ihre gesamte Kraft eingebüßt, nachdem Thalondias Bruderschaft begann, Daskonien zu besetzen. Ihr Überleben lag damit in den Händen zweier Brüder, die nicht wussten, dass sie Brüder waren. Der eine, geboren als Sohn eines Königs, der andere als Kind eines Schmieds.

Diese Geschichte beginnt jedoch viele Jahre zuvor. Denn ehe die Brüder das Licht der Welt erblickten, mussten drei Menschen zueinanderfinden, die unterschiedlicher kaum sein konnten. Eine Drui, die uns alten Göttern huldigte; ein Schmied, der nicht an sein Schicksal glaubte; ein Kronprinz, der auf der Flucht vor seinen Pflichten in einen Straßenkampf geriet. Nur drei Figuren, die das große Spiel um das Fortbestehen ihrer Welt eröffnen würden.

 

Amboss, Feder und Kessel

 

Daskonien, 1621

Liamh ließ den Hammer auf den glühenden Stahl niedersausen, dass die Funken in alle Richtungen flogen. Mit muskulösen Armen und geschickten Händen formte er das Metall, das unter den Hieben des Schmiedeeisens nachgab. Es war ein kunstvolles Handwerk, das sein Onkel ihn mit Hingabe gelehrt hatte, doch Liamh fehlte die letzte Spur Herzblut, welche ihn eines Tages zu einem Meister seines Fachs machen könnte. Die Hitze der Esse und der kraftvolle Rhythmus der Hammerschläge auf dem Amboss waren vertraute Elemente in Liamhs Leben. Aber tief im Innern spürte er den unstillbaren Wunsch, mehr zu erreichen.

Der Tag vor dem Pferderennen, das die Feierlichkeiten zu Samhain abschließen würde, begrüßte langsam die Abenddämmerung. Liamh beendete sein Tagwerk und hängte seinen kleineren Hammer in den Gürtel über seinem Leinenhemd. Das restliche Werkzeug fand schnell seinen Platz in der Schmiede. Es wurde Zeit für seine abendliche Runde durch die Straßen von Laith.

Im flackernden Schein der Leuchtpfannen durchzogen Schatten die geschwungenen Gassen. Liamh zog seinen Umhang fester um sich und eilte zwischen den Häusern hindurch, während der Fäustel an seinem Gürtel immer wieder gegen seinen Oberschenkel schlug.

Bei nächster Gelegenheit würde er sich eine geeignete Halterung für den Hammer kaufen müssen.

Samhain war die Zeit, in der die Grenzen zwischen den Reichen der Lebenden und der Toten verschwammen, und man sich von Geistern und Kreaturen erzählte, die zu jener Phase ihr Unwesen trieben. Wie sehr würden sich die Menschen fürchten, wenn sie wüssten, wie viele Geschöpfe auch an anderen Tagen als Samhain die unsichtbaren Pforten zwischen den Welten durchschreiten konnten. Die Geister der Verstorbenen beschränkten sich wohl auf diese eine Nacht.

Aber das galt bei Weitem nicht für die Sidhe oder andere Wesen, wie den Geist der Nordmoore, der als Kind getarnt seine Opfer ins Verderben lockte; die geheimnisvollen Klageweiber, deren Anwesenheit und Gesang den Tod einer geliebten Person heraufbeschwor. Es waren die eingeflüsterten Worte der Darrigh, dunklen Geistern, die sich nachts mit Vorliebe an die Betten kleiner Kinder oder junger Frauen setzten und ihnen Albträume in die Köpfe pflanzten. Sie alle wanderten zu jedem ihnen beliebenden Zeitpunkt über die Grenze.

In der Luft lag der Geruch von Feuer und Rauch, vermischt mit dem Aroma von getrockneten Gewürzzweigen, Heidekraut und Laub, mit denen die Stadtbewohner ihre Häuser schmückten, um böse Geister fernzuhalten. Gegen das Geschehen auf der Straße waren diese Maßnahmen jedoch nutzlos. Ein weiterer Grund für Liamhs Streifzüge durch die Gassen.

»Lasst mich los! Ich habe nichts, was ich Euch geben könnte«, durchbrach eine Jungenstimme die Nacht.

Liamh hielt inne. Die Stimme war aus der nächsten Querstraße gekommen.

Ein hämisches Lachen folgte, dann ein dumpfer Aufprall. »Es wird sich schon was finden, Lockenkopf.«

Ein Mädchen in zerfleddertem Kleid und mit Schmutz im Gesicht war um die Ecke gehuscht und gegen Liamh geprallt. »Schulligun’«, nuschelte es und suchte das Weite, als wäre die Mutter mit dem Kochmesser hinter ihm her. Dabei presste es einen winzigen Stoffbeutel fest an seine Brust.

Mit einem Griff an den Gürtel versicherte sich Liamh, dass noch alles da war, wo es hingehörte, bevor er um die Ecke trat.

»Lasst mich lo…-« Ein junger Mann mit dunklen Locken hing im Schwitzkasten eines bulligen blonden Burschen, dessen zwei Kumpanen, ein Hänfling, ebenfalls blond, und ein großer schlaksiger Knabe mit einer dunkelblauen Schirmmütze, die er mit dem Schirm nach hinten aufgesetzt hatte, laut feixten. Sie alle trugen Umhänge, die aus auffallend leichtem Stoff gefertigt waren. Typisch für Kaufleute.

»Du hattest reichlich Münzen für die dreckige Flussratte, die gerade weggerannt ist, Lockenkopf. Meinst du, die holt davon morgen wirklich Brot und Bier für ihren Vater?«, keifte der Bullige. Seine Statur erinnerte an einen wilden Eber. Nicht so muskulös, aber kompakt.

Liamh trat energisch einen Schritt vor. »Drei gegen einen? Mutig, ihr Münzenlecker«, rief er mit fester Stimme. Ein Windstoß lüftete seinen Umhang und ließ den Hammer bedrohlich hervorschauen, während Liamh die drei Kaufmannssöhne herausfordernd anfunkelte.

»Wie nennst du uns?« Der Eber, offenbar der Anführer, lockerte den Griff ein wenig.

»Lass. Ihn. Los.«

Die zwei größeren Burschen warfen sich einen Blick zu, der Lockenkopf schnappte nach Luft, als sie ihn unsanft fallen ließen. Der Hänfling drückte sich gegen die Hauswand, die Hand auf dem Oberarm des japsenden Dunkelhaarigen, um ihn am Fortlaufen zu hindern. Gleichzeitig bauten sich die anderen vor Liamh auf und stießen ihm provozierend gegen seine Brust und Schulter. Liamh öffnete seinen Stand auf Schulterbreite und spannte seinen Körper an. Die Raufbolde müssten ihn schon mehr als nur schubsen, um ihn von den Füßen zu holen.

»Was geht es dich an, was wir mit dem Bengel anstellen?«, schnauzte der Eber, während ihm Liamh ruhig und gelassen gegenüberstand. Sein Freund grinste selbstsicher und verschränkte die Arme vor der Brust. Liamh unterdrückte ein ebensolches Grinsen. Er kannte seine Stärken und überhebliche Gegner waren ihm die liebsten.

Ein ungleiches Bild, dieses Duell mit doppelter Übermacht. Dennoch zuckte Liamh keinen Deut zurück, sondern musterte seine Widersacher abschätzig. Ein Gegner, der einen Kopf größer oder mindestens zweimal so breit war wie er, hatte ihn noch nie abgeschreckt, und die beiden Kaufleute besaßen nur die Oberarme von Männern, die Ware von ihrem Lager zu einem Stand trugen. Sie konnten sicherlich schwere Stoffbündel und Fellstapel wuchten, für eine körperliche Auseinandersetzung waren sie damit jedoch nicht gerüstet.

Liamh grinste bei dem Gedanken an die Worte seine Onkels. Das sind Muskeln wie ein Blasebalg. Dick und mit Luft gefüllt. Mit ruhiger Hand löste er seinen Umhang und ließ ihn über die Schultern auf den Boden gleiten, bereit für den anstehenden Kampf. Hinter ihm tauchte die Leuchtpfanne das Geschehen in schattenhafte Bilder.

»Nicht euer Problem, was mich das angeht«, erwiderte Liamh gedehnt. »Lasst ihn in Ruhe oder ihr werdet es bereuen.«

Die jungen Männer lachten spöttisch und der größere packte Liamh grob an der Schulter. Ein fataler Fehler. Liamh, nicht in seiner ersten Schlägerei, ließ sich in die Bewegung fallen und rammte dem Hünen die geballte Hand in den Magen.

Das Geräusch von Fäusten, die auf Fleisch trafen, erfüllte die Gasse, untermalt vom Schnaufen und Keuchen der Kaufleute. Die Burschen waren schwer wie Mehlsäcke, die, einmal in Bewegung gekommen, alles niederwalzten. Gegen Liamhs Geschick und Wendigkeit hatten sie damit wenig entgegenzusetzen – zu wenig. Einer zu ungelenk, einer zu schmerzerfüllt, um mit seinem Tempo mitzuhalten. Liamh gewann von Augenblick zu Augenblick an Überlegenheit.

Als es seinen Angreifern gelang, ihn in der schmalen Gasse in die Enge zu treiben, griff er nach seinem Hammer und die Buschen wichen zurück. Liamh schnellte vor und stieß dem Anführer den Hammer zwischen die Beine, der daraufhin zu Boden fiel und sich schreiend wand. Seine Hände presste er keuchend auf seinen Schritt, Schweißperlen auf seiner Stirn und seine fahlen Gesichtszüge zeugten von heißen Schmerzen. Liamhs Treffer war punktgenau gelandet und hatte dem Hünen das Geschenk eines kinderlosen Lebens beschert.

Es war überdeutlich: Was die Kaufmänner an Muskelkraft und Größe hatten, stand in keiner Relation zur Entschlossenheit und dem Geschick des Schmieds. Ein gezielter Stoß in den malträtierten Magen des Schlaksigen ließ auch diesen zu Boden gehen.

 

Der Geruch von Erbrochenem breitete sich in der Gasse aus, was dem Hänfling, der noch immer versuchte, den Lockenkopf an der Wand zu fixieren, ein gequältes Würgen entlockte.

Liamh wog den Hammer mit spielerischer Gelassenheit in seiner Schlaghand und wandte sich dem Würgenden zu. »Macht, dass ihr verschwindet, Münzenlecker.«

Der Junge zögerte keinen Moment und stolperte zu seinen Freunden, die sich mühsam aufrappelten. Gemeinsam mit seinen Handlangern räumte der wilde Eber hinkend und schimpfend das Feld, während sich der befreite Dunkelhaarige ermattet an der Wand entlang in die Hocke gleiten ließ.

Erschöpft ließ Liamh seinen Hammer sinken und wandte sich ihm zu. »Bist du in Ordnung?»

Der Angesprochene nickte, auch wenn Liamh bereits erste blaue Schatten an seinem Hals ausmachte, wo der Arm des Ebers zugedrückt hatte.

»Dann lass uns gehen. Ich kenne jemanden, der sich deine Verletzungen ansehen kann. Mein Name ist Liamh.«

»Danke, Liamh«, antwortete der Junge mit zittriger Stimme und fuhr sich mit der Hand über sein Gesicht. »Ohne deine Hilfe wäre ich wohl jetzt Shorfan-Futter. Ich wollte nur der Kleinen helfen, aber die ist direkt weggelaufen.«

»Das Mädchen mit dem Stoffbeutel?«

»Ja. Sie hatte diese Typen um Geld gebeten, die wollten ihr nichts geben. Als ich ihr Geld zugesteckt habe, sind sie …-« Er stockte und sah Liamh beschämt an. »Ich habe mich wirklich nicht gut geschlagen. Im Gegensatz zu dir. Was du mit dem Hammer gemacht hast, war beeindruckend. Und … angsteinflößend.«

Liamh steckte den Fäustel zurück in den Gürtel und streckte dem Jungen die Hand entgegen. »Des Schmieds bester Freund. Ohne einen treuen Gefährten sollte man nicht durch manche Gassen streifen. Du musst aufpassen, wo du des Nachts langgehst.«

Ein erneutes Nicken. »Wenn mein Vater hiervon erfährt, habe ich vermutlich viel gravierendere Probleme.« Sein Blick glitt den Berg hinauf, zur Burg.

Überrascht zog Liamh eine Augenbraue hoch. »Was hast du gesagt?«

Der Lockenkopf zuckte jäh zusammen. »Nichts. Nur so ein Gedanke, der mir durch den Kopf gegangen ist.«

Bedächtig hob Liamh seinen braunen Wollumhang auf, klopfte den Dreck der Straße von dem groben Stoff und legte ihn sich um die Schultern. Zum Glück hatte der Mageninhalt seines Gegners das Kleidungsstück verfehlt. Mit ruhigen Fingern band Liamh den Umhang fest und betrachtete den namenlosen Jungen.

Beide trugen sie einen braunen Wollumhang mit einer Schnürung über der Brust, Tartanhosen und ein Leinenhemd, gehalten von dem typischen gewebten Wollgürtel, der mehrfach um die Taille gewunden worden war.

Forsch zog er sein Gegenüber näher an die Leuchtpfanne. Im flackernden Licht der Flammen erkannte Liamh, dass der Gürtel des Jungen mit über fünf verschiedenen Farben gewebt sein musste. Diese Anzahl war dem Königshaus vorbehalten.

»Nur ein Gedanke? Das denke ich nicht. Deine Probleme sind echt. Entweder bist du ein Dieb, der einen königlichen Gürtel trägt, oder …-«

 

»Oder ich bin Prinz Rian und habe mich heimlich aus der Burg geschlichen, weil ich einmal etwas Normalität erleben wollte. Und allein entscheiden wollte, wohin ich gehe, was ich tue.«

Liamh lachte auf. »Sich mit drei Kaufleuten anzulegen, wenn man keine Erfahrung im Straßenkampf hat, ist keine kluge Entscheidung.« Prinz Rian lief ohne Schutz durch die nächtlichen Straßen. Das war ein Wink des Schicksals für einen Schmied wie ihn, der mehr sein wollte als ein Handwerker.

Liamh ließ den Arm des Prinzen los. »Du solltest einen gewöhnlichen Gürtel tragen, bevor andere spitzbekommen, wer du bist. Kann ja nicht immer deinen königlichen Hals retten. Ich zeig dir den schnellsten Weg zurück.«

Den Schrecken der unliebsamen Begegnung noch in den Knochen, zog Rian sein Hemd gerade, steckte es wieder in die Hose und zupfte die Ärmel zurecht. Ein leises Lächeln stahl sich auf seine Lippen, als er Liamh ansah. »Dann lass uns gehen.«

Sie verschwanden gemeinsam im Dunkel der Gasse, nicht ahnend, dass Liamh genau dies die kommenden Jahre machen würde – als Mitglied der königlichen Garde und als Rückendeckung auf den nächtlichen Straßen.

So fanden die ersten zwei des Trios zueinander.

Am selben Abend bereitete sich Aysling O’Scath fernab der Hauptstadt in der Provinz Scatholg auf ihr Ritual vor.

Scatholg war im ganzen Land für seine saftigen und schmackhaften Äpfel bekannt. Seit jeher war es eine Tradition, dass sich junge Frauen am Abend von Samhain vor einen Spiegel setzten und einen Apfel aßen.

Waren die Ahnen gnädig gestimmt, würden sie ihnen ihren künftigen Gatten im Spiegel zeigen.

Drei Jahre lang hatten die Ahnen geschwiegen und allmählich lief Aysling die Zeit davon. Die Burschen in Scatholg waren arbeitsam und ehrlich, doch nicht das, wonach sie sich sehnte. Aysling wollte einen Partner und keinen Mann, den nur der Bestand des Viehs und das Wetter interessierten. Eines Tages würde sie über Dun Nagara, die große Festung von Scatholg herrschen. Wie sollte das mit einem einfachen Bauern gelingen? Ihre Hoffnung lag in diesem Ritual und dem festen Glauben daran, dass die Ahnen ihr einen Mann fanden, der ihr ebenbürtig war.

»Mo shinshir, ich bitte euch«, sprach Aysling leise zu ihren Ahnen, dann setzte sie sich auf den Boden vor dem Spiegel und breitete ihre Gaben aus. Kräuter, Milch, etwas Brot und Äpfel. Sie drapierte alles zwischen sich und dem Fenster und vergewisserte sich, dass der Spiegel vollständig vom Fenster abgewandt stand. Dann nahm sie einen weiteren Apfel aus ihrem Korb und schnitt ihn langsam auf. Die Kerne legte sie sorgfältig auf ein cremefarbenes Leinentuch mit grünen gestickten Ranken an den Rändern, während sie die Worte murmelte, die seit Generationen von der Mutter an die Tochter weitergegeben wurden.

»Geister meiner Vorfahren, ich rufe euch und lade euch ein, mich in dieser Nacht zu begleiten. Ihr wacht über mich, schützt mich und weist mir den Weg. Nehmt meine Gaben und leitet mich auch im nächsten Jahr.«

Genüsslich biss sie in den Apfel und kaute ihn bedächtig. Süßer Saft füllte ihren Mund aus und lief an ihrem Kinn entlang, während Aysling ihren Blick fest auf den Spiegel gerichtet hielt.

Die Oberfläche leuchtete sanft auf, dann schwand das Licht und Aysling sah wieder einmal nur ihr eigenes Gesicht.

Doch bevor sie sich enttäuscht abwenden konnte, bemerkte sie eine dunkle Stelle, an der sich eigentlich eine Kerze spiegeln sollte. Aysling rutschte ein Stück vom Spiegel weg. Was geschah hier? Sie sollte ein Gesicht sehen, nicht ein Nichts. Hatte sie das Ritual falsch ausgeführt oder ihre Ahnen verärgert? Der Fleck füllte den Bereich neben Ayslings Spiegelbild aus und obwohl sie erst flüchten wollte, starrte sie nun wie hypnotisiert auf das Glas. In dem Schatten bildete sich eine helle, fast weiße Wolke und Aysling schob ihr Gesicht vor.

Allmählich erkannte sie den Schemen eines Mannes, der auf sie zuging. Er war in die Uniform der königlichen Garde gewandet, doch statt des Speeres schulterte er einen schweren Hammer. Alles an ihm strahlte Stärke und Entschlossenheit aus.

»Wer bist du?«, flüsterte Aysling. Diesen Mann würde sie nicht in Scatholg finden, doch als ältestes Kind war ihr Platz hier. Aysling fuhr mit den Fingerspitzen über die Kälte des Spiegels. Dieser Mann war die Wahl ihrer Vormütter und sie musste einen Weg finden, ihn zu treffen.

»Mo mháthair mhór«, wandte sie ihre Worte an die große Mutter. »Was kann ich tun?« Der Spiegel schwieg und Aysling lehnte ihre Stirn gegen ihn. Vor ihrem inneren Auge ritt sie über die grünen Hügel Scatholgs, die sich farbenprächtig und weich vor dem Grenzgebirge ausbreiteten. Aber sie war nicht allein. Das Pferd neben ihr trug einen Mann, der in Gesicht und Gestalt ihrem Zwillingsbruder Conlan glich.

Auf seinen Schultern lag ein Bärenfell. Aysling legte nun beide Hände auf das Spiegelglas.

Sie erkannte sich, in dem weißen Leinengewand einer Drui, dem gewebten Gürtel in blau, grün, rot und weiß und einem luftigen grünen Umhang, auf dessen Rücken eine Krähe gestickt war. Im Galopp ritten sie auf Dun Nagara zu, doch je näher sie der Burg kamen, umso mehr veränderte sich der Mann neben ihr, bis er schließlich Gardeuniform und Hammer trug.

Überrascht sank Aysling zurück auf den Boden. Er würde eines Tages mit ihr hier leben. Nach und nach formte sich eine Idee in Aysling. Es war an der Zeit, dass nicht nur ein Drui am Königshof weilte, sondern eine Heilerin der O’Scath, dem ältesten und mächtigsten Drui-Clan. Conlan konnte sie für eine Zeit vertreten, bis sie mit ihrem Mann heimkehrte.

Und mit dem Entschluss der Dritten im Bunde begann das Unglück dieser Geschichte.

Das Schicksal gönnte ihnen acht ruhige Jahre. Liamh und Aysling heirateten. Rian trug Sorge, dass sein Beschützer in die Reihen der Garde aufgenommen wurde. Acht Jahre lang diente Aysling uns alten Göttern unbehelligt als Drui, führte am Hof von Laith die Rituale aus. Doch dann starb der König und der Kronprinz konnte sich seinen Pflichten nicht länger entziehen. Er musste seine Position auf dem Spielbrett der Politik einnehmen.

 

Bauernopfer

 

Daskonien, 1629

»Politik ist nicht mehr als ein Schachspiel, in dem Könige Bauern opfern.«

Das Lebensmotto seines Vaters war König Rian allgegenwärtig. Auf seinem Schreibtisch stapelten sich Pergamente und einzelne Papiere, die längst hätten bearbeitet werden müssen. Der Brief in seiner Hand trug das Siegel von König Tyron von Thalondia. Die Hochzeit zwischen Tyrons Tochter und ihm war schon vor Jahren beschlossen worden. Ein Abkommen ihrer Väter. Und nun dieses Schreiben mit den Forderungen, die Rian zu erfüllen hatte, um die Ehe mit Prinzessin Liora eingehen zu dürfen.

Im Vorfeld der Eheschließung werdet Ihr zum Glauben des Diaros, dem einzigen Gott, konvertieren. Wir werden einige unserer Glaubensbrüder mit der Prinzessin entsenden. Ihr gestattet ihnen, eine Abtei zu gründen. Innerhalb der nächsten fünf Jahre wird Daskonien den neuen Lehren folgen.

Rian war, wie alle Daskonier, im Glauben an das Geschlecht der Clan Danu und der großen Mutter Athan aufgewachsen. Das ganze Leben seines Volkes richtete sich nach den Monden und den Festen zu Ehren von uns Göttern aus. Er selbst war, nach alter Tradition, durch die symbolische Vermählung mit der Muttergöttin gekrönt worden.

Den neuen Lehren folgen.

Liamh und Aysling würden dies sicher nicht tun, davon konnte Rian ausgehen. Eine Drui, die sich vor einem Kreuz verneigte, war in Daskonien undenkbar.

Der Brief fiel zu Boden, doch Rian hob ihn nicht auf. Tyrons Forderung war unverschämt, aber Daskonien konnte sich einen Feind wie Thalondia nicht leisten. Und Rian hatte als Herrscher und Vater seines Volkes für die Sicherheit des Landes zu sorgen.

Sein Blick fiel auf das Schachbrett am Fenster. Das Licht traf durch die hohen Scheiben mit den feinen Bleisprossen auf die geschnitzten Figuren, die Partie war in vollem Gang. Rian spielte immer Weiß, doch der nächste Zug auf dem Brett gehörte Schwarz. Das Getrappel von Lastpferden und die Rufe der letzten Handwerker und Händler, die im Hof die wöchentliche Aufwartung machten, schallten zu Rian hoch.

Es war noch etwas Zeit, bis Liamh eintreffen würde. Zeit, in der Rian eine Entscheidung treffen musste. Wie im Schach würde der König zwischen der Opferung des Bauern oder der Dame wählen müssen.

Liamh genoss derweil den Blick über die sanften Hügel südlich von Laith. Das Schloss thronte auf einem Felsen über der Stadt und von der Wehrmauer aus konnte man Feinde schon von Weitem sehen. Stolz, ein Teil dieser Welt zu sein, stützte Liamh seine Unterarme auf die Brüstung der oberen Wehrmauern und ließ seinen Blick weiter schweifen, ohne zu ahnen, dass er diese Burg eines Tages als Feind erstürmen würde. Von dort oben wirkte die Brücke über den Dombadh winzig, der Fluss selbst nur wie ein blaugrüner Gürtel, der sich an die Stadt schmiegte.

 

Die Sonne sank träge hinter den Burgfelsen und endlich kam Bewegung in Liamh. Zur Dämmerung sollte er Rian treffen und das bedeutete, er würde zu spät zum Schachspiel kommen. Im äußeren Hof herrschte Aufbruchstimmung. Gardisten überblickten das bunte Treiben der Händler, Fürsprecher und Handwerker, die zum Tor strömten. Einer von Ihnen eilte entschlossen durch die Menge Richtung Innenhof, wurde jedoch am inneren Tor von Wachleuten gestoppt und unter Protest zurückgeschickt. Die Gardisten salutierten Liamh, der sie mit einem kurzen Nicken grüßte. Für mehr war keine Zeit. Der König wartete.

Vor der Tür zu Rians Gemächern blieb Liamh stehen, überprüfte den Sitz seiner Uniform und beruhigte seinen Atem. Das ungute Gefühl, das ihn am Morgen beschlichen hatte, ließ sich nicht vertreiben. Rian hatte sich den Tag über kaum aus den Klauen der Berater retten können, zur Abendtafel war er ebenfalls nicht erschienen. Stattdessen hatte er ihn zu dieser späten Stunde zu sich bestellt. Liamh drückte die Schultern nach hinten und klopfte energisch an die Tür. Ein Kammerdiener ließ ihn eintreten und schloss die Tür von außen. Noch etwas Neues an diesem Tag.

»Du bist spät dran, Liamh.« In Rians Stimme lag kein Ärger, aber auch der übliche freundschaftliche Tonfall fehlte. Halb versunken hinter einem Berg von Dokumenten auf seinem Schreibtisch, blickte er seinem Freund entgegen.

»Tut mir leid.« Mit seiner Hand rieb sich Liamh über die Nasenwurzel. »Ich …«

»Setz dich einfach. Der Tag war lang genug. Wenigstens einmal kann ich es mir jetzt gemütlich machen. Wie wäre es mit einem Apfelsaft?«

Es war ein offenes Geheimnis, wie sehr Liamh diesen Saft liebte, denn die Äpfel stammten aus Scatholg, der Heimatprovinz seiner Frau. Mit federnden Schritten durchquerte Liamh den Raum, ergriff zwei Becher sowie den buntbemalten Tonkrug von der hölzernen Anrichte neben dem Fenster und wandte sich damit zur kleinen Sitzecke links von dem Möbelstück. Hier hatte Rian sich bereits mit einem müden Seufzen in einen der kleinen Sessel sinken lassen. Schweigend schenkte Liamh seinem alten Freund ein und musterte ihn.

Die Schultern waren nach vorn gesunken, als würden sie die Last der Welt tragen. Dunkle Schatten unter den Augen verrieten Liamh, dass sein alter Freund zu wenig Schlaf fand. Die Arme lagen kraftlos auf den Lehnen, die Finger leicht gekrümmt und ein genauerer Blick verriet, dass Rians Gewandung zerknittert und fleckig war, als hätte er diese schon am Vortag getragen.

»Du siehst erschöpft aus, Rian. Wenn ich das anmerken darf.«

Ein humorloses Lachen entschlüpfte Rian. »Verdammt, Liamh. Seit wann sprichst du wie diese Speichellecker? Wo ist mein Schmied mit der schnellen Faust geblieben?« Überraschend energisch griff er nach seinem Becher und prostete ihm zu.

Rasch erwiderte Liamh die Geste. »Dein Schmied ist hier, bei einem Treffen außerhalb unserer üblichen Zusammenkünfte und du bist hinter diesen Papierbergen verschwunden.« Mit der freien Hand deutete er schmunzelnd zum Schreibtisch des Königs, wo sich neben den Papieren ein umgekipptes und halb leeres Tintenfässchen auf einen Teller mit Resten einer kleinen Zwischenmahlzeit ergossen hatte. »Nichts davon gibt mir das Gefühl, dass du nur mit dem Schmied reden willst.«

Doch das Schmunzeln verging ihm, sobald sich ihre Blicke kreuzten. Rians Blick war glasig und verloren, als ob er in weiter Ferne etwas suchte, das nur er sehen konnte. Was war geschehen?

»Willst du mir nicht sagen, was los ist?« Leicht besorgt lehnte Liamh sich in seinem Stuhl zurück und beobachtete, wie Rian nun angestrengt das Schachbrett musterte, als ob er eine der weißen Figuren in Bewegung setzen wollte. »Mein König, der nächste Zug auf dem Brett ist meiner.«

Rian blickte auf. »Ja, natürlich. Aber das soll nun nicht von Belang sein. Du wirst nach Scatholg gehen.«

»Jetzt? Rian, du bist seit nicht einmal zwei Monden König. Hältst du es für sinnvoll, den Anführer deiner Garde an das andere Ende des Landes zu schicken? In einem Mond startet die Auswahl der neuen Rekruten.«

»Du hast einen Großteil dieser Männer in den letzten Jahren im Nahkampf ausgebildet. Traust du ihnen nichts zu?«

Liamh hob das Kinn ein wenig an und schob den Kopf leicht nach vorne. »Ich würde meine Hand für sie ins Feuer legen.« Nachdenklich drehte er den Becher in seiner Hand hin und her, bevor er einen tiefen Schluck nahm. »Also Scatholg. Aysling wird sich freuen. Sie hat ihre Sippe lange nicht gesehen, und wird sich sicherlich freuen, unser Kind bei ihnen auf die Welt zu bringen.« Er hielt inne und ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen. »Das hatte ich dir noch gar nicht gesagt. Ich weiß es auch erst seit einigen Tagen.« Das Glücksgefühl, als Aysling ihm von der Schwangerschaft erzählt hatte, durchströmte ihn erneut. Wie warme Milch, welche die Kehle hinunterläuft und sich im Magen zu einem warmen See ausbreitet.

Rians Augen, die zuvor noch glasig und müde gewirkt hatten, begannen zu leuchten. Die dunklen Ringe unter seinen Augen schienen für einen Moment weniger sichtbar, während seine Lider sich hoben und sein Blick klarer und fokussierter wurde. »Das sind wunderbare Nachrichten, Liamh! Aber du hast mich falsch verstanden.« Mit seinen letzten Worten fror das Lächeln, das sich auf seine Lippen geschlichen hatte, für einen Moment ein.

»Du erwartest doch nicht, dass ich ohne sie gehe? Bei allem Respekt, das kann und werde ich nicht machen.« Liamh spannte sich an. Was stimmte heute nicht mit Rian?

Rian schüttelte den Kopf. »Ich will, dass du dortbleibst.«

»Warte, was?«

»Du wirst von nun an in Scatholg leben.«

In Liamh arbeitete es. Aysling vermisste ihre Heimat, besonders zu den heiligen Festen. Dort zu leben würde ihr gefallen, doch ihn ließ das Gefühl nicht los, dass hinter Rians Entschluss eine furchtbare Wahrheit stand. Warum sollte Rian ihn, seinen ältesten Freund, nicht mehr um sich haben wollen? Unschlüssig fuhr er sich mit der freien Hand durchs Haar, stellte dann den Becher, den er noch immer umklammerte, etwas zu fest auf den Tisch. Kleine Spritzer Saft verteilten sich zwischen den Bauern auf dem Schachbrett. »Im Ernst? Du möchtest, dass …-«

»Geh heim! Sag Aysling Bescheid! Ihr reist noch vor Lughnasad ab.«

»Das sind nur wenige Tage, Rian.«

»Wir diskutieren das nicht, Liamh. Meine Entscheidung steht.« Rian klang verärgert, weshalb Liamh einen versöhnlichen Ton anstimmte.

»Darf ich wenigstens wissen, warum?« Er hob behutsam drei der Bauern hoch und tupfte den Saft mit seinem Ärmel vom Brett.

Rian nahm ihm die Figuren ab, rieb sie trocken, bis der letzte Rest Apfelsaft fort war, und platzierte sie wieder, seinen Blick gesenkt. »Was macht das für einen Unterschied? Betrachte es als meinen letzten Befehl an dich.«

»Deinen letzten Befehl? Ich kann mich nicht erinnern, dass du mir jemals einen gegeben hast.«

»Bislang war das nicht nötig, Liamh. Du wusstest immer, was du zu tun hattest und wo dein Platz war.«

»Das weiß ich auch jetzt.« Liamhs Nasenflügel bebten, seine Augen blitzten. »Vor acht Jahren habe ich dir versprochen, dich vor allen Feinden zu beschützen. Mich fortzuschicken, ergibt keinen Sinn.« Er machte eine wegwerfende Bewegung mit seinem Arm und brachte seinen Becher gefährlich ins Wanken. Gerade so konnte er ihn vor dem Umstürzen retten. Dann schwenkte er den Kopf, um seinen Nacken knacken zu lassen, wobei er einen Brief am Boden neben Rians Stuhl am großen polierten Schreibtisch registrierte. Liamh erhob sich, stampfte zum Tisch und hob den Brief auf. Schweres Papier, Thalondisches Siegel. Das sah nach schlechten Nachrichten aus. »Hat dein Befehl hiermit zu tun?« Er legte den Brief vor Rian auf das Schachbrett, achtlos Figuren zur Seite schiebend.

Rian griff unwillkürlich danach. »Ich sagte doch, ich werde das nicht diskutieren. Akzeptiere einfach, dass du nichts mehr ausrichten kannst. Das ist … Politik.«

Angespannt lehnte Liamh sich über den Tisch und streckte fordernd die Hand aus. Der Geschmack des süßen Saftes in seinem Mund verwandelte sich langsam in Essig.

»Was ist das? Ich bitte dich. Nicht als Anführer deiner Garde, sondern als dein Freund. Was steht da, dass du mich fortschickst?«

Rian schob seinen Arm beiseite und öffnete den Brief. Dann las er: »Wir werden einige unserer Glaubensbrüder mit der Prinzessin entsenden.« Sein Blick huschte über das Schriftstück, bevor er den nächsten Abschnitt murmelte. »Innerhalb der nächsten fünf Jahre wird Daskonien den neuen Lehren folgen.« Er ließ das Schreiben sinken und sah seinem Freund fest in die Augen. »Du kannst mit Aysling nicht bleiben. Das weißt du so gut wie ich.«

Fassungslos öffnete Liamh den Mund. »Du verkaufst uns für eine Prinzessin? Ersetzt uns durch thalondische Speichellecker? Glaubst du, du kannst mich einfach aus dem Spiel nehmen?« Was ein Wechselbad der Gefühle! Erst pures Glück beim Gedanken an die Schwangerschaft seiner Frau und nun dies. Liamh schmeckte förmlich, wie der See aus Milch sauer geworden war. Dieser Verrat seines Freundes war wie ein harter Stein, der alle Luft und Freude aus ihm herauspresste.

Rian beugte sich wieder über das Schachbrett und griff nach der weißen Dame. Was machte er da? Schwarz war am Zug. Die Dame fegte einen schwarzen Bauern vom Feld. »Ja, Liamh. Einfach so.« Er deutete auf den gefallenen Bauern. »Du solltest gehen. Ihr habt für eure Reise viel vorzubereiten.«

Liamh schüttelte den Kopf. Das hatte Rian gerade nicht wirklich getan. Dennoch lag der Bauer zu Füßen der weißen Dame. Wie gern hätte er seinem alten Freund ein wenig Verstand eingeprügelt. Doch dies waren nicht die Gassen von Laith, sondern die königlichen Gemächer. Also holte er tief Luft, atmete langsam aus und stand auf. »Wie du befiehlst, mein König.«

Er verbeugte sich steif und wandte sich, etwas zu schnell für das höfische Protokoll, zum Gehen um. »Du weißt, wo du mich findest, wenn du mich doch einmal brauchst.« Mit diesen Worten öffnete er die Tür und verließ geschlagen den Raum, wie der Bauer auf dem Schachbrett.

Rian nahm den Bauern in die Hand. Seine Knöchel traten weiß hervor, als er seine Finger um die Figur schloss. Niemand sah, wie er den Bauern behutsam an seinen Platz zurückstellte. Niemand hörte seine leisen Worte der Entschuldigung. »Politik ist nicht mehr als ein Schachspiel, in dem Könige Bauern opfern.« Und mit diesem Zug hatte Rian genau das getan. Der König von Daskonien hatte seinen Bauern geopfert.

 

Damenwahl

 

Aysling legte mit ruhiger Hand ihr Kräutermesser auf den Tisch, die stark geschwungene Schneide zeigte von ihr weg, und drehte sich zu ihrem Gatten um. »Nichts geschieht grundlos, Liamh. Was auch immer Rian gesagt und getan hat, das war nicht aus einer Laune heraus.« Sie strich eine rote Strähne aus ihrem Gesicht. »Wiederhol bitte, was in dem Brief stand.«

»Er wird diese thalondische Prinzessin heiraten. Mit ihr reisen diese Priester und wir«, er deutete auf Aysling und sich selbst, »sollen uns diesen neuen Lehren beugen. Er stellt diese Frau über alles!« Liamhs Gesicht lief rot an, seine rechte Hand ballte er zur Faust.

Aysling zögerte kurz, dann ging sie auf Liamh zu und legte sanft ihre Hand auf seinen Arm. »Beruhige dich, mein Liebster. Wir werden dem Befehl Folge leisten und uns nach Scatholg zurückziehen.« Sie sah ihn aus ihren meergrünen Augen an und obwohl dieser Blick seit Jahren seine Heimat war, war Liamh zu aufgewühlt, als dass ihn das Meergrün heute beruhigen konnte. Die Faust war so fest geballt, dass sein Arm zitterte.

»Du willst nachgeben?«, hakte er nach. »Einfach aufgeben?«

»Aufgeben?«, sagte Aysling und schüttelte sacht den Kopf. »Niemals. Liamh, gerade du solltest meine Sturheit kennen. Aber ich bin Drui, und als solche kann und werde ich mich keinem neuen Glauben beugen.«

»Natürlich werden wir uns dem nicht beugen. Doch nach Scatholg ziehen, kann nicht die Lösung sein.«

»Nach Scatholg zurückkehren«, wandte Aysling ein. »Ich kehre zurück. Mit dir an meiner Seite.« Die Erinnerung an ihre Vision in Scatholg regte sich in ihr. Heimkehren war das einzig Richtige. Sie spürte es. »Hierzubleiben wäre mein Untergang. Wir alle wissen das.«

Die Wahrheit in Ayslings Worten sickerte langsam in Liamhs Verstand. Wie Honig in gekochte Äpfel. Liamh öffnete seine Faust und verwob seine Finger mit Ayslings. Die Schwielen auf seiner Haut zeugten nicht länger von Schmiedearbeiten, sondern vom Training mit Bogen und Schwert. »Glaubst du, in Scatholg wären wir sicher? Wenn diese fremden Priester erst einmal in Daskonien sind und Rian ihnen gehorcht, werden sie sich im ganzen Land ausbreiten.«

Aysling trat näher an ihren Gatten heran und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. »Unser Familiensitz liegt in Scatholg. Die Provinz trägt unseren Namen. Lass Rian der König in der Hauptstadt sein und ihn seine Prinzessin heiraten. Wir wissen nicht, was dort sonst noch vor sich geht. Aber in Scatholg gelten die Regeln der O’Scath.« Stolz schwang in jedem ihrer Worte mit.

O’Scath war einer der vier alten Clans in Daskonien. Kein König Daskoniens hatte es je gewagt, gegen Scatholg zu ziehen. Scatholg, die Heimat der köstlichsten Äpfel und der mächtigsten Druiden. Hier war der Glaube an Götter, Geister und mystische Wesen entstanden, als wir Athannan dieses Land zum ersten Mal betreten hatten. Jedes Kind in den vier Provinzen kannte die Geschichten über den Fortschritt und die Kultur, die mit uns Einzug hielt.

Auch Liamh. Und mit der Zeit schien er zu begreifen, dass er mittlerweile zu einem der großen Clans gehörte, die Daskonien in der Vorzeit zu dem Land gemacht hatten, das er kannte. Kein Clan war, neben den O’Ceann, die den König stellten, so sehr verehrt und gefürchtet wie die O’Scath.

Liamh zog Aysling behutsam in seine Arme und entspannte sich mit jedem Atemzug ein wenig mehr. »Dann lass uns heute Nacht das Nötigste packen und morgen abreisen.« Sanft legte er seine Finger unter ihr Kinn und hob es eine Winzigkeit an. Dann hielt er inne. »Ich werde mich noch von meinem Onkel verabschieden müssen. Gleichwohl sollten wir uns beeilen. In fünf Tagen ist Lughnasad und es ist ein Dreitagesritt. Du solltest zum Fest bereits zu Hause sein, anstatt auf dem Rücken eines Pferdes. Ich würde dir eine Kutsche bestellen, wenn sie schnell genug …-« Ayslings Finger legten sich auf seine Lippen.

»Eine Kutsche ist für feine Damen und nicht geeignet für den schnellsten Weg nach Scatholg. Wir nehmen die Pferde und reiten über die Pfade im Moor. Lass die Kutsche mit unseren wichtigsten Dingen den langen Weg nehmen.«

»Das Moor?«, sein Daumen strich sanft über ihre Wange. »Es ist deine Heimat. Wenn du dir des Weges sicher bist, folge ich dir. Für mich brauchst du die Kutsche nicht. Das Wichtigste steht direkt vor mir.« Mit diesen Worten löste er sich von Aysling, küsste sie liebevoll auf die Stirn und verließ ihren Raum.

In dieser Nacht fand keiner der drei Freunde Schlaf. Aysling packte mit Bedacht und Sorgfalt Kleidung und ihr Werkzeug zusammen, einen Teil davon würde sie für die Kutsche zurücklassen.

 

Liamh streifte ein letztes Mal durch die Straßen der Stadt und sah bei Sonnenaufgang ein letztes Mal von der Burgmauer hinab auf Laith, das im sanften Morgenlicht erwachte. Rian verbrachte die halbe Nacht an seinem Tisch und bearbeitete Papiere. Doch der Blick auf das Schachspiel lenkte ihn immer wieder ab.

Wie ein böses Omen lauerte die unbeendete Partie im flackernden Halbschatten, den die Leuchtpfanne im Hof durch das Fenster tanzen ließ. Ein hungriges Tier, das den Rest seiner Mahlzeit erwartete. Hektisch kritzelte er eine Notiz für Liamh, dann, nach einem hastigen Frühstück, gab er den Zettel an seinen Kammerjungen und zog sich zurück. Er konnte nicht mehr viel tun. Nichtsdestotrotz musste er diesen einen Schritt auf Liamh zu wagen.

Heute zum Mittag, meine Gemächer.

Diese Nachricht sollte Liamh jedoch nicht mehr erreichen. Schwarz war am Zug, und der Bauer hatte seinen Zug getan. Es gab kein Zurück.

Die schwarze Dame hatte sich zurückgezogen und der weißen Dame den Weg geebnet. Aber noch saß Liora von Thalondia im Palast ihres Vaters und bemühte sich, ihre vor Aufregung schweißnassen Hände aus den feinen Handschuhen zu ziehen. In wenigen Tagen würde sie ihre Heimat verlassen und mit einer Equipe von Priestern und Mönchen nach Daskonien aufbrechen. Was die Prinzessin davon hielt, interessierte niemanden.

Für Tyron, Herrscher über Thalondia und die östlichen Reiche, war seine jüngste Tochter ein Handelsgut. Diese Ware würde ihm Einfluss in Daskonien verschaffen und damit endlich den Landweg zum Rest der Halbinsel freigeben.

Er ahnte nicht, dass er ein weiterer Herrscher auf dem thalondischen Thron sein würde, der das ferne Himoto nicht seinem Reich einverleiben würde.

Liora wiederum wusste nichts von dem hehren Plan ihres Vaters. Sie verstand, dass ihr Glaube an einen Gott der einzig richtige sein musste. Und nur deshalb stellte man ihr die Priester zur Seite. Blind für die Wahrheit, wie verdorben auch der gläubigste Mann sein konnte, fragte sich Liora heute, ob Handschuhe am daskonischen Hof zum Protokoll gehörten.

 

Ankunft

 

Scatholg, zwei Tage vor Lughnasad

»So also sieht das Ende der Welt aus.« Liamh wandte sich zu Aysling und deutete auf das Hochmoor, das vor ihnen lag. »Wie viele Menschen in diesen Sümpfen schon den Tod gefunden haben? Wir hätten doch mit einer Kutsche am Fluss entlangreisen sollen.«

Aysling schüttelte den Kopf. »Das wäre ein zu großer Umweg. Niemals würden wir es rechtzeitig zu den Feierlichkeiten nach Hause schaffen.«

»Nach Hause.« Liamhs Stimme klang leise und wehmütig. »Alles, was ich als Zuhause kannte, ist verbrannt oder liegt hinter uns.«

»Es ist meine Heimat, Liamh. Ich habe sie für dich verlassen und nun kehren wir gemeinsam hierher zurück.«

Liamh griff die Zügel seines Pferdes fester. Aysling hatte recht. Sie hatte ihre Heimat verlassen, um ihn in Laith zu finden. Ohne zu wissen, ob sie je ihre Provinz wiedersehen würde. In der Hoffnung, dass er mit ihr leben wolle, hatte sie ihren Lieben den Rücken gekehrt. »Wer bin ich, dass ich dir nicht überallhin folgen würde, Aysling? Ich gehöre dir wie du mir. Wo auch immer wir gemeinsam sind, wird unsere Heimat sein.«

Aysling lächelte sanft. »Und das hier ist nicht das Ende der Welt. Dieses Moor ist unser Schutzwall. Und es ist der kürzeste Weg nach Hause.«

Nachdenklich betrachtete Liamh die vor ihm liegende Landschaft. Niedrige, struppige Pflanzen drängten sich dicht an dicht auf dem Boden. Bräunliche Gräser wechselten sich mit grünen Halmen ab und wiegten sich im milden Sommerwind. In Richtung der Berge gab es noch einen Rest Fichtenwald, verstreut in einzelnen Bauminseln. Ihr Grün war dunkel, warm und einladend. Einzelne hellgraue Felsen durchbrachen das braungrüne Meer. Und wenn er genau hinsah, konnte er das Glitzern von Wasser erkennen. Die raue Schönheit dieser Landschaft zog ihn in seinen Bann, je länger er sich in ihr verlor.

Einzig die Berührung von Ayslings Bein an seinem Schenkel ließ ihn neben ihr verharren. »Mo chroí, ich höre es nach mir rufen«, sagte Liamh.

Aysling beugte sich zu ihm, griff nach den Zügeln, zog sie über den Hals des Tieres und trieb ihren Schecken behutsam an. »Dann wollen wir diesem Ruf folgen. Ich werde dich sicher in die Heimat führen.«

Die Hände am Sattelknauf, schloss er die Augen und begab sich in Ayslings Hand, lauschte dem hungrigen Schmatzen des Moores unter den Hufen der Pferde, spürte den Wind auf seiner Haut. Der Flügelschlag der Vögel, die sie aufscheuchten, drang ebenso an seine Ohren wie die sanften Stimmen, die immer wieder seinen Namen flüsterten. Und während Liamh sich all diesen Eindrücken ergab, führte die junge Drui ihn an unserem Tor vorbei, bis sie die ersten violettfarbenen Ausläufer erreichten, die das Moos und die Wassergräser allmählich ablösten. Und mit der Farbe verstummten die Stimmen.

Die Sonne senkte sich über den Horizont, als Liamh und Aysling durch das malerische Dorf ritten, auf dem Weg zur majestätischen Burg Dun Nagara. Die roten und orangefarbenen Sonnenstrahlen tauchten die steilen Klippen und die zerklüfteten Mauern der Burg in ein warmes goldenes Licht.

Sie passierten die große Straße von Kilfadha, dem Dorf unterhalb der Burg. Das geschäftige Treiben des Tages fand Stück für Stück ein Ende, je länger die Strahlen der müden Sonne wurden. Ein kleines Mädchen mit zerzausten braunen Haaren kam angelaufen und hielt Aysling einen Strauß bunter Feldblumen hin, den sie lächelnd entgegennahm.

Der Wind trug den Geruch von Gischt und Moos durch die Luft, als Aysling und Liamh die kleine Steinbrücke erreichten, die Dun Nagara und Kilfadha verband, und vermischte sich mit dem einladenden Duft von frischem Stew, sobald sie vor den Toren der Burg hielten.

»Conlan!«, schallte Ayslings Ruf über den Burghof. Es dauerte einen Moment, dann öffneten sich die Tore knarrend und ein Mann in Lederrüstung und einem Bärenfell als Umhang trat aus dem Gebäude. Er hatte die Augen seiner Schwester, aber sie waren von einem kalten Glanz erfüllt. »Du siehst erstaunt aus. Überrascht, dass ich zurückgekehrt bin? Entschuldige, aber die Umstände haben keine Ankündigung zugelassen.«

Conlan O‘Scath zog die Brauen zusammen und starrte sie an. »Überrascht, dass du mit einem Mann zurückkehrst, den niemand kennt«, erwiderte er scharf. »Und noch überraschter, dass du es wagst, unangekündigt aufzutauchen.«

 

Die Feindseligkeit in seiner Stimme war nicht zu überhören, ebenso wenig wie die Ablehnung und der Zorn, der sich in Conlan breitgemacht hatte, nachdem er am Morgen von seinen Kundschaftern erfahren hatte, dass seine Schwester auf den Familiensitz zurückkehren würde.

Liamh trieb seinen Rappen entschlossen neben Ayslings Pferd, seine Miene gelassen, wenngleich sein Blick Conlan durchbohrte wie ein Schwert. »Aysling ist die rechtmäßige Erbin von Scatholg«, erwiderte er mit einer bedrohlichen Klarheit in der Stimme. »Du bist nicht in der Position, ihr die Heimkehr zu verwehren.«

»Erbin.« Conlan lachte bitter auf. »Pah! Du warst jahrelang verschwunden, Aysling, und glaubst, jetzt mit diesem … Fremden aufzukreuzen? Woher sollen wir wissen, dass du nicht zurückgekommen bist, um Ansprüche zu stellen, die dir nicht zustehen?«

Ayslings Augen funkelten kalt wie die Sterne am klaren Nachthimmel. Als ältestes Kind der O’Scath stand ihr die Herrschaft über die Ländereien zu. Mit ihrer Abreise nach Laith vor etwa acht Jahren hatte sie diesen Anspruch nicht verwirkt, und Conlan war zum Verwalter der Burg einberufen worden. So hatten es die Alten des Rates beschlossen.

»Du kannst an meinen Absichten zweifeln, so viel du willst«, sagte sie ruhig, aber mit einer Entschlossenheit, die jeden Zweifel zerschmetterte, »doch Dun Nagara ist mein, und das wird sich nie ändern.«

»Erbe«, sagte Conlan und schnaubte. »Du bist eine Drui, Aysling. Du sammelst Pflanzen, liest aus Stöcken und Steinen und siehst den Vögeln beim Fliegen zu. Was weißt du schon über das Führen und Verwalten einer Burg?«

Liamh legte besänftigend eine Hand auf Ayslings Schulter, sein Blick scharf auf Conlan gerichtet. »Du solltest lernen, deiner Schwester Respekt entgegenzubringen. Sie ist die rechtmäßige Herrin dieses Landes, und du wirst dich ihrer Autorität unterwerfen.«

Die Spannung in der Luft war greifbar, als sich die Geschwister stumm gegenüberstanden. Schließlich trat Conlan einen Schritt zurück und verbeugte sich leicht, wenn auch widerwillig. »Wie du wünschst, Schwester«, sagte er mit gespielter Höflichkeit. »Willkommen zurück in Scatholg und deiner Heimstatt Dun Nagara.«

Aysling nickte knapp und betrat mit Liamh an ihrer Seite die Burg, bereit, sich ihrer neuen Herausforderung als Herrin von Scatholg zu stellen. Noch im Vorbeigehen spürte sie den kalten Blick ihres Bruders im Rücken, und sie wusste, dass der wahre Kampf erst jetzt begann.

Laith, wenige Tage später

In den Straßen von Laith waren die Überbleibsel des Erntefestes überall zu sehen. Langsam verwelkende Blumengirlanden, geflochtene Strohkränze an Türen und Fenstern, grüne und goldene Tücher und Wimpel, die leise im Wind flatterten. Es herrschte geschäftiges Treiben. Frische Blumenbänder mit roten, blauen und weißen Blüten wurden aufgehängt. Banner in den thalondischen Farben folgten. Am Schloss selbst wurde der Eingang mit geschnitzten thalondischen Wappen geschmückt. Eine riesige Blumenstaffade umrahmte den dunklen Steinbogen, durch dessen Tunnel man in den äußeren Schlosshof kam. In wenigen Stunden würde Liora von Thalondia in Laith Einzug halten.

Die junge Prinzessin blickte von der offenen Kutsche in die Gesichter der Menschen am Straßenrand. Kleine blaue Wimpel mit rotem Kreuz wurden geschwenkt. Man rief ihren Namen. Liora krallte ihre Hand in den weichen Stoff ihres Kleides, so viel Aufmerksamkeit war ihr unangenehm. Aber das war ihr Schicksal. Schon bald würde sie die Königin all dieser Menschen und aller anderen im Land sein. Der süße, schwere Duft der Blüten vermischte sich mit dem Aroma von kleinen Garküchen, die Fisch und Kräuter auf offener Flamme herrichteten.

Die rechte Hand zum Gruß erhoben, drückte sie den Rücken durch, straffte die Schultern und legte ihr schönstes Lächeln auf. Jubelrufe und kleine Blumensträuße erreichten ihre Kutsche, und doch hörte Liora zwischen all den Huldigungen immer wieder Zwischenrufe. »Was willst du hier? Wir brauchen keine fremde Prinzessin.« Liora versuchte, die Rufe zu ignorieren. »Wahre Schönheit findet man nur bei den daskonischen Frauen.« Stoisch winkte sie weiter, auch wenn ihre Bewegungen an Eleganz verloren. Die Rufe trafen die junge Frau tiefer, als sie sich eingestehen wollte.

»Stör dich nicht daran, Prinzessin. Sie werden noch erkennen, was du für dieses Land bedeutest«, raunte der Mann neben ihr. Er war in eine schwarze Kutte gehüllt, die seine massige Gestalt und die dunklen Augen gefährlich wirken ließ. »Du bist ihre neue Königin. Sie werden schnell lernen, wo ihr Platz ist.« Beim ernsten Unterton erschauderte Liora, aber sie rang sich ein gezwungenes Lächeln ab.

»Das klingt ja fast wie eine Drohung, Jacob«, tadelte sie sanft. Auch wenn Jacob sie auf Geheiß ihres Vaters nach Daskonien begleitete, war er ihr unangenehm. Sie hätte die Begleitung ihres Mentors Gisbert bevorzugt. Als Kind hatte sie immer befürchtet, eines Tages an einen solchen Mann wie Jacob als Gatte zu geraten.

Mit ihrer freien Hand tastete sie unwillkürlich nach dem Brief unter ihrem Mieder, den sie in den letzten Wochen immer und immer wieder gelesen hatte.

Ich kann mir kaum vorstellen, welch gemischte Gefühle dich dabei durchströmen mögen: Abschied von deinen Lieben, deinen vertrauten Orten und Gewohnheiten. Doch sei versichert, dass ich deinen Mut und deine Bereitschaft, dieses Bündnis einzugehen, tief bewundere. Die Worte hallten in ihr nach, ließen ihr Lächeln freier werden. Möge dein Weg hierher sicher und wohlbehalten sein. Ich erwarte deine Ankunft mit großem Respekt und Hoffnung auf das, was die Zukunft uns beiden bringen mag.

Liora hatte jedes Wort des Briefes in sich aufgesogen. »In Verbundenheit und Vorfreude«, murmelte sie die letzten Zeilen. Rian von Daskonien schien vollkommen anders zu sein als ihr Vater oder Jacob.

Nach schier endlos erscheinenden Gassen und Kurven passierte die Kutsche das Tor zum Schlosshof. Ein Diener öffnete ihr die Tür und Liora setzte behutsam ihre Füße auf festen Boden. Das Kopfsteinpflaster, graue Schlossmauern, die hinter und links von ihr hochragten, nahm Liora kaum wahr, ebenso beiläufig streifte ihr Blick die Damen und Höflinge, die sich am Rand des Hofes aufgereiht hatten, um ihre neue Königin zu begutachten. Es war das Gebäude zu Lioras Rechten, mit hohen Fenstern und leuchtend gelb gestrichener Fassade, welches ihre Aufmerksamkeit fesselte. Die große Halle von Laith war, anders als in ihrem Palast daheim, ein eigenes Gebäude.

Am Eingang zur Festhalle stand Rian mit einem warmen Lächeln, das seine Augen nicht erreichte. Zu sehr schmerzte ihn der Verlust seines besten Freundes. Er konzentrierte sich ganz auf die junge Frau, die erhobenen Hauptes auf ihn zuschritt. Liora von Thalondia. Seine Zukunft.

»Willkommen in Daskonien, meine Liebe«, begrüßte er sie. Jacob, der schweigend hinter Liora ging, beachtete er nicht weiter. Mit dem Priester würde er sich später beschäftigen.

Liora lächelte und strich mit Spitzenhandschuhen ein wenig verlegen ihr dunkelblaues Kleid glatt. »Vielen Dank für den freundlichen Empfang. All die Blumen in der Stadt und die Banner und Wimpel.« Der König, ihr künftiger Gatte, war schlank und großgewachsen. Seine breiten Schultern unter dem grünen Wams luden zum Anlehnen ein, am faszinierendsten waren jedoch seine grauen Augen, die Liora an regennasse Felsen erinnerten.

»Nun, wir alle wollen, dass du dich in deiner neuen Heimat willkommen fühlst.« Rian bot ihr einen Arm. »Lass uns mit der Feier beginnen und unsere gemeinsame Zukunft begrüßen.«

Arm in Arm schritten sie die Stufen hinauf, unter dem gespannten Blick der Menschen im Hof. Rian und Liora, ein ungleiches Paar, dessen Schicksal fortan untrennbar mit dem von Daskonien verbunden sein sollte. Nicht ahnend, dass ihre Zweckehe zu Liebe, Verrat und Tod führen würde, betraten sie den imposanten Festsaal. Und mit dem ersten Krug Bier waren auch die Zwischenrufe und Jacob vorerst vergessen.

 

 

Hochzeit

 

Laith, 9. Mond des Jahres 1630

»Du vergisst deinen Platz, Jacob.« Rians Stimme war kühl und fest, während er dem bulligen Priester ins Gesicht sah. »Du sprichst mit deinem König, nicht mit einem deiner Mönche.« Er hatte sich hinter seinem Schreibtisch verschanzt, Papiere lagen quer durcheinander, das Tintenfässchen hing bedrohlich schief auf seinem Ständer. Wie sinnbildlich das Chaos auf dem Tisch doch für das königliche Gemüt stand. Der restliche Teil des Studierzimmers war akkurat eingerichtet. Ein Stuhl für Besucher vor dem Schreibtisch, über dem Kamin hing das königliche Wappen. Gegenüber der Feuerstelle befanden sich zwei hohe Fenster mit weißen, schmucklosen Vorhängen. Die Anrichte an der Wand zwischen den Fenstern war aus rötlich schimmerndem Kirschholz und mit verschiedenen Tonkrügen und Bechern bestückt. In der rechten Fensternische befand sich ein kleiner Tisch mit zwei Sesseln und einem exquisit gearbeiteten Schachspiel. Vermutlich das wertvollste Stück im ganzen Raum.

Jacob verzog keine Miene. Rian war ein König, aber gewiss nicht seiner. »Meine Mönche würden auch niemals ihre Pflicht vergessen oder ein Versprechen brechen. Du, König, bekommst unsere Prinzessin. Dafür nimmst du unseren Glauben ab, und wir errichten unsere Kirchen und Klöster in deinem Land. Nun, du hast unsere Prinzessin.

Es ist an der Zeit, deinen Teil der Vereinbarung zu erfüllen.« Jacobs Stimme war kalt, wie Wasser zur Schneeschmelze.

Rian runzelte verärgert die Stirn. In den Wochen seit ihrer Ankunft hatte Jacob ihm immer wieder aufgelauert. Dieser Priester war lästig. Die knappe Zeit vor der Vermählung hatte Rian nutzen wollen, um Liora besser kennenzulernen. Eine sanfte Frau, die nach außen hin naiv wirkte, aber in den wenigen Gesprächen, die er allein mit ihr führen konnte, schien sie intelligent und humorvoll. Als König war man selten allein, und jetzt begannen die Vorbereitungen für die Hochzeit und seine Taufe. Zuerst die Taufe, dann die Hochzeit. Rian griff nach einem Schriftstück auf seinem Tisch und tat, als würde er es lesen.

»Ich erwarte eine Antwort!«

»Und ich erwarte Respekt, Priester.« Rian legte das Papier nieder. »Meine Taufe wird noch geplant, deine Prinzessin ist noch nicht meine Königin, und du willst schon jetzt deine Häuser bauen?«

»Ich …«

Rian hob warnend die Hand. »Du sprichst von einem Abkommen zwischen Königen. Ich bin Tyron von Thalondia Rechenschaft schuldig, nicht dir. Du bist in meinem Land, in meinem Haus. Du isst von meinen Speisen, trinkst aus meinen Bechern, und erdreistest dich dennoch, Forderungen an mich zu stellen?« Rian stand abrupt auf, der Holzstuhl schabte schrill über den Steinboden. »Nach der Hochzeit ist euer Teil der Vereinbarung erfüllt, nicht vorher. Also komm mir nicht mit weiteren Forderungen. Kümmere dich lieber um die Vorbereitung meiner Taufe.«

Jacob starrte Rian an. Dieser Ausbruch kam unerwartet. Er würde das königliche Geheimnis schon noch lüften. Für den Augenblick war Rian in der stärkeren Position und Jacob klug genug, dies zu erkennen. »Natürlich. Ich bitte um Verzeihung«, sagte er mit sanfter Stimme und trat einen Schritt zurück. »Hin und wieder gehen die Pferde mit mir durch. Mein Glaube ist mein Leben, da vergesse ich mitunter, wie es für andere sein muss. Ich werde alle Vorkehrungen überwachen und dich morgen für eine weitere Unterweisung in die Heilige Schrift aufsuchen.«

Mit diesen Worten ließ er Rian allein, der zum ersten Mal ernsthaft an der Richtigkeit seiner Entscheidung zweifelte. Aber Rian war der Vater eines Volkes, und die Liebe zu einem seiner Untertanen durfte seine Pflicht gegenüber all den anderen nicht verletzen. In Situationen wie diesen erinnerte Rian sich daran, wie er als Kind oft versucht hatte, ein normaler Junge zu sein. Doch nun war er erwachsen. Wie schon sein Vater und dessen Vater vor ihm musste auch Rian erkennen, dass es zahlreiche Opfer kosten würde, König zu sein.

Noch wusste niemand, nicht einmal ich, wie viel unschuldiges Blut durch König Rians Entscheidung vergossen werden würde.

Der Tag der königlichen Hochzeit brach an einem klaren, sonnigen Morgen an. Die Luft war frisch, wie im zehnten Mond eines Jahres üblich, und die Sonne würde ihre Mühe haben, die Kälte zu vertreiben. Der Paradeplatz vor dem Schloss war mit bunten Bändern und Blumen geschmückt, während sich allmählich die Bewohner Laiths versammelten, um Zeugen dieser historischen Vereinigung zu werden. Die Vertreter der verschiedenen Clans bevölkerten die vorderen Reihen, dort, wo man sitzen konnte. Die Bürgerlichen der Stadt verteilten sich im hinteren Teil und an den Seiten des Platzes.

Einige von ihnen interessierte mehr die Zeremonie und das anschließende Essen, andere wollten die neue Königin sehen. Nur wenige schienen sich aufrichtig über die Vereinigung von Rian und Liora zu freuen.

Das Gerede über den Nutzen und den Verstand einer fremdländischen Königin ebbte jedoch rasch ab, sobald der wohlbekannte Klang der daskonischen Trommel ertönte. Das königliche Paar trat aus der steinernen und schmucklosen Pforte, die das Bürgertum vom höfischen Leben trennte. Sie stellte eins von insgesamt vier Toren dar, war jedoch im Vergleich zum Wehrtor mit den mächtigen Türmen klein und nahezu unscheinbar. Einzig die kleine Steinbrücke, die den Graben zwischen dem Paradeplatz und der äußersten Umwallung überwand, lud ein, näherzutreten.

Lioras dunkelblaues Samtkleid fiel geschmeidig an ihr herab und war mit filigranen goldenen Brokatfäden durchwirkt. Ein Schlitz an der Vorderseite ließ bei jedem Schritt das Unterkleid aus mehreren Lagen hellgolden glitzernder Seide hervorschimmern. Mit beifälligem Gemurmel begrüßten die Gäste den schlichten daskonischen Schnitt des Kleidungsstücks, wenn auch die Farbwahl ihre thalondische Herkunft betonte.

Rian trug das traditionelle Gewand aus muschelweißem Leinen, darüber die Ionar in einem so satten Blau wie die See vor Scatholg. Die Krönung war jedoch der Brat, der typisch daskonische Mantel, der passend zu Lioras Kleid aus golddurchwirktem, blauem Samt gefertigt worden war.

»Er nimmt schon ihre Farbe an, was kommt noch?«, tuschelte ein Mann in den hinteren Reihen.

»Still, nachher hört dich der schwarze Mann und züchtigt dich«, frotzelte sein Nachbar.

»Ja, vermutlich schlägt er mich an ein Kreuz wie diesen armen Wicht da.« Mit einer Kopfbewegung deutete er auf das kunstvoll gearbeitete gigantische Holzgestell mit dem gekreuzigten Sohn des Diaros, dem einzig wahren Gott nach den Lehren des Diakron. »Muss ein freundlicher Gott sein, wenn er seinen eigenen Sohn bereitwillig opfert«, setzte der Mann sarkastisch nach.

Sie ahnten nicht, wie prophetisch diese Worte für die kommenden Jahre sein würden.

Der Mann in Schwarz schritt dem Königspaar mit ernster Miene und hochaufgerichtet voran und führte sie zu den Holzbänken vor dem Kreuz. Jacob hob die Hände und begann mit den traditionellen Worten des Diakron: »Im Angesicht des Einen, unseres Herrn und Gottes, in dieser heiligen Stunde und an diesem heiligen Ort sind wir versammelt, um die Vereinigung von König Rian von Daskonien und Prinzessin Liora von Thalondia zu bezeugen.« Seine Worte trugen die Kraft der Jahrhunderte eines starken Glaubens und waberten schwer in der Luft.

Rian und Liora wandten sich einander zu und reichten sich die Hände. Monoton und routiniert fuhr Jacob fort. »Rian, nimmst du Prinzessin Liora zur Frau, um sie zu lieben und zu schützen, in Freude und Kummer, in Gesundheit und Krankheit, solange ihr beide lebt?«

»Ich nehme sie zur Frau«, antwortete Rian mit fester Stimme. Sein Blick ruhte auf Liora, die ihn zärtlich ansah.

»Und du Liora, nimmst du König Rian zum Mann, um ihn zu lieben und zu ehren, in Freude und Kummer, in Gesundheit und Krankheit, solange ihr beide lebt?«

»Ich nehme ihn zum Mann«, sagte Liora klar und entschlossen.

Jacob umfasste ihre Hände, während er sprach: »Mögen eure Herzen in Liebe und Treue vereint sein, möge euer Band stark sein wie die Wurzeln der uralten Eiche, und möget ihr in Glück und Frieden wandeln.« Dann griff er beinahe widerwillig nach dem geflochtenen Band, das ihm einer der Clanführer reichte. Es vereinte die Farben der vier großen Stämme, deren Oberhäupter bis auf eine Ausnahme anwesend waren, und war mit silbernen Fäden ergänzt. Innerlich seufzend, legte Jacob den Stoff um die verschlungenen Hände von Rian und Liora.

»Ein Band, euch zu vereinen. Ein Band, euch ein Leben lang zu binden. Möge es euch halten, führen und niemals reißen.« Die Worte eines Mannes aus der Menge ließen Rian aufhorchen. Diese Stimme kannte er. Owen O’Fair. Liamhs Onkel und Ziehvater. Ob Liamh auch hier war? Die leise Hoffnung, die in Rian aufkeimte, würde bald schwinden, wenn er das Fehlen einer Delegation aus Scatholg bemerkte.

Die versammelte Menge verharrte einen Augenblick in ehrfürchtigem Schweigen, als die letzten Worte verklungen waren. Dann brach ein Jubel aus, der alle zweifelnden Stimmen für einen Tag übertönen sollte. Mädchen aus der Stadt begannen zu tanzen, ihre Röcke flatterten im Wind, die Klänge von Geigen und Flöten erfüllten die Luft. Fasziniert beobachtete Liora, wie ihre Körper nahezu starr anmuteten, aber im Rhythmus der Musik mit einer ansteckenden Harmonie und Freude sich drehten, sprangen und hüpften, als ob es kein Morgen gäbe.

Beim Bankett, das in prächtigen Zelten stattfand, erhob Jacob einen Kelch mit Wein und sprach einen Segen für das Brautpaar aus, der von der festlichen Stimmung getragen wurde.

»Möge eure Liebe süß wie der Honig sein, stark wie eine Eiche und beständig wie der Fluss am Fuße dieser Burg.«

Rian und Liora saßen nebeneinander, ihre Blicke voller Zärtlichkeit, während sie die segnenden Worte des Priesters annahmen. Nur wer genau hinsah, erkannte den Anflug von Traurigkeit in Rians Augen. Die königlichen Gäste hoben ihre Gläser und stießen an, und das Festmahl begann unter Gelächter, Musik und Gesang. Liora hörte Lieder, deren Texte ihr nach wenigen Wiederholungen des Refrains im Kopf blieben, aber es gab auch Stücke, die in der alten Sprache Daskoniens vorgetragen wurden. Einer Mundart, die nur die Ältesten noch fließend beherrschten sowie Drui und die wandernden Sänger und Geschichtenerzähler. Der melodische Klang der Worte zog Liora in ihren Bann und zum ersten Mal seit ihrer Ankunft fühlte sie sich von allen Willkommen geheißen.

»Wenn ich heut nach Hause komme, erzähl ich Mutter von der königlichen Hochzeit im Jahre 1629 und dem König mit dem blauen Brat«, grölte ein Mann quer durch das Zelt. Gelächter setzte ein und sein Sitznachbar klopfte rhythmisch mit den Händen auf die Tischplatte, räusperte sich kurz und stimmte dann mit der Melodie eines Trinkliedes ein.

»Wenn ich heut nach Hause komme, erzähl ich Mutter von der königlichen Hochzeit im Jahre 1629 und dem König mit dem blauen Brat und seiner leuchtenden Königin.«

»Wenn ich heut nach Hause komme, erzähl ich Mutter von der königlichen Hochzeit im Jahre 1629 und dem König mit dem blauen Brat und seiner leuchtenden Königin und dem Blumenkübel auf dem Hof.«

Es wurde gejohlt und gelacht, die Becher immer wieder gefüllt und jeder, der noch weit genug denken konnte, dichtete einen mehr oder weniger schmeichelhaften Zusatz an die Strophe.

Liora verbarg an manch einer Stelle ihr Gesicht an Rians Schulter, errötend bei der Wortwahl der Daskonier, konnte aber nicht umhin, immer wieder dem ansteckenden Lachen nachzugeben, das auch ihren Angetrauten auf dem Stuhl neben ihr schüttelte.

»Sind dir diese Lieder unangenehm?« Rian hob Lioras Kinn leicht an, ihr Gesicht hatte die Farbe des roséfarbenen thalondischen Weins angenommen, den sie sich zur Vermählung gewünscht hatte. »Ich könnte ihnen sagen, dass sie was anderes singen sollen.«

»Oh nein, es ist eigentlich recht erbaulich. Nur …-«

»Ungewohnt?«

Lioras zartes Nicken schickte eine Welle von Wärme durch Rians Körper. Mit starken Armen umfasste er sie und zog sie von ihrem Stuhl auf seinen Schoß. »Das hier ist Daskonien, meine Königin. Du bist hier frei von den höfischen Zwängen deines Vaters.«

»Aber haben sie dich nicht in einem Vers ausgelacht?«

»Als König bin ich wie ihr Vater und welches Kind treibt keinen Schabernack? Bei solchen Festen können sie beinahe alles sagen, was sie wollen. Und ganz unwahr ist es ja nicht … dieses Gerede vom kleinen König.«

Er lachte schallend, als er Lioras fassungslosen Gesichtsausdruck sah, und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. »Es ist mein Name. Rian. In der alten Sprache bedeutet er: kleiner König.«