Das Erbe der Nephilim II - Friedhelm Klaus Neyer - E-Book

Das Erbe der Nephilim II E-Book

Friedhelm Klaus Neyer

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Beschreibung

Es ist noch nicht vorbei ... Die Nephilim sind wieder da. Katarinka Varga, Stefanus, Professor Bantleon, Helmut Zahn und Paula glauben, dass es lebende Nephilim geben muss. Immer noch. Akribisch folgen sie einer Spur, die vor Jahrtausenden gelegt wurde. Die Hinweise, die sie entdecken, führen sie von Frankreich über die Slowakei nach Südostanatolien. In einer uralten, neolithischen Anlage erleben sie schließlich eine Überraschung, die größer nicht sein könnte ... und erhalten ein Angebot, mit dem keiner von ihnen gerechnet hätten.

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Seitenzahl: 344

Veröffentlichungsjahr: 2023

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F. K. Neyer

Das Erbe der Nephilim II

Die letzte Bastion

Das Buch

Es ist noch nicht vorbei ...

Die Nephilim sind wieder da.

Katarinka Varga, Stefanus, Professor Bantleon, Helmut Zahn und Paula glauben, dass es lebende Nephilim geben muss. Immer noch.

Akribisch folgen sie einer Spur, die vor Jahrtausenden gelegt wurde. Die Hinweise, die sie entdecken, führen sie von Frankreich über die Slowakei nach Südostanatolien.

In einer uralten, neolithischen Anlage erleben sie schließlich eine Überraschung, die größer nicht sein könnte ... und erhalten ein Angebot, mit dem keiner von ihnen gerechnet hätten.

Der Autor

F. K. Neyer wurde im Jahr 1960 in einem kleinen Dorf im Schwabenland geboren. Er ist seit über 40 Jahren verheiratet und hat zwei Töchter. Nach der mittleren Reife 1977 war er zuerst in unterschiedlichen Berufen tätig, bevor er eine Ausbildung zum Programmierer ihm ermöglichte, in den frühen 90er-Jahren des 20. Jahrhunderts in die aufstrebende IT einzusteigen. Nach Jahrzehnten in dieser Branche erfüllte er sich im vorgezogenen Ruhestand im Jahr 2022 einen langgehegten Wunsch und begann zu schreiben.

Impressum:

Texte:

© Copyright by F. K. Neyer

Umschlaggestaltung:

© Copyright by F. K. Neyer

Bild: 㼀Metropolitan Museum of Modern Art (lizenzfrei)

Dieses Werk ist Fiktion. Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser Veröffentlichung darf in irgendeiner Form mit irgendwelchen Mitteln vervielfältigt, verbreitet oder übertragen werden, außer nach vorheriger schriftlicher Genehmigung des Autors. Namen, Charaktere und Ereignisse sind entweder vom Autor frei erfunden oder werden als fiktives Element verwendet. Die Orte werden teilweise namentlich genannt und sind real. Darüber hinaus ist jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen unbeabsichtigt und rein zufällig.

Verlag:

Friedhelm Neyer, Hauffstraße 21/1

73084 Salach

[email protected]

Vertrieb:

epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Kapitel 1

L’Abbaye Nouvelle, Department Dordogne, Frankreich

Vier Jahre waren seit den verstörenden Ereignissen auf der weitgehend unbekannten Insel Ailsa Craig im Firth of Clyde in Schottland vergangen. Mit eigenen Augen hatte er gesehen, was geschehen war. Eine Erklärung konnte er in all der Zeit nicht finden.

Bruder Stefanus seufzte tief und nahm einen großen Schluck von dem tiefroten, beinahe schwarzen und sehr trockenen Wein. Obwohl der alte Klosterweinberg zusehends verwahrloste, konnte er ihm noch immer jedes Jahr etliche Flaschen abtrotzen.

Die sagenumwobene Tafel des Egrigoroi[1] Semyazza war nach ihrer aufwändigen Rekonstruktion in einem seltsamen, schwarzen Strudel verschwunden. Ein Phänomen, das, folgte man der Theorie von Professor Walter Bantleon, alles hätte sein können. Angefangen bei einem Wurmloch, einer so genannten Einstein-Rosen-Brücke oder einem Raum-Zeit-Wirbel.

Damit wurde die ursprüngliche Annahme, die Tafel sei eine Art Sender, zur Tatsache. Sie hatte sich selbst irgendwohin gesendet. Falls das der eigentliche Zweck der Steintafel war und keine Art Notfallschaltung. Wo immer im Universum dieses Ziel sein mochte. Vielleicht Millionen Lichtjahre entfernt. In der Vergangenheit. Jahrtausende in der Zukunft. Niemand würde es jemals herausfinden.

Regierungen in der ganzen Welt schwiegen, wie nicht anders zu erwarten war, das Geschehen mustergültig tot. Selbst im Dark Web, diesem verborgenen aber keineswegs geheimen Teil des Internets, tauchten keinerlei Spuren des Ereignisses auf.

Der Abschlussbericht eines internationalen Komitees, dessen Mitglieder nirgendwo erwähnt wurden, verschwand in den unergründlichen Tiefen eines Geheimarchivs der US-Regierung. Dort würde es mit Sicherheit bis ans Ende aller Tage bleiben. Niemand bekäme diesen Bericht jemals zu sehen.

Den unbekannten Mitgliedern dieses Komitees wurden dramatische Strafen angedroht. Falls sie auch nur ein Sterbenswörtchen ausplauderten und damit, wie üblich in solchen Fällen, die nationale Sicherheit der USA gefährdeten. Dramatisch bedeutete in diesem Kontext einen ebenso erholsamen wie unbegrenzten Aufenthalt im offiziell nicht existierenden Camp X-Ray auf dem Militärstützpunkt Guantanamo auf der ansonsten wunderschönen Karibikinsel Kuba.

Inzwischen hatten die Menschen diesen einschneidenden Vorfall, der allgemein als die Anomalie bezeichnet wurde, längst wieder vergessen. Wenige Tage nach dem Auftreten dieser Anomalie wurde bekannt, dass ein Student der Astrophysik – Ian McBannon aus Glasgow – spurlos verschwunden war. Nachdem er seltsame Impulsfolgen veröffentlicht hatte, deren Ursprung zweifelsfrei im Firth of Clyde lag.

Politiker jedweder Couleur äußerten mit sattsam bekanntem, betroffenen Gesichtsausdruck größtes Bedauern darüber, versicherten aber ebenso einstimmig wie unglaubwürdig, dass McBannons Verschwinden nicht das Geringste mit den Ereignissen auf Ailsa Craig zu tun habe.

Man hätte die veröffentlichten Impulsfolgen für kurze Zeit im Internet auffinden können, bevor sie auf ebenso unerklärliche Weise wie ihr Entdecker wieder verschwunden waren. Davon gingen jedenfalls die Regierungen der Welt aus. Das musste nicht zwangsläufig den Tatsachen entsprechen, das weltweite Netz war mittlerweile so weit verzweigt, dass auch die mächtigsten Regierungen keine vollständige Kontrolle darüber erlangen konnten. Irgendetwas Neues und vor allem Unerklärliches verbreitete sich mit Lichtgeschwindigkeit auf vielfältigen Wegen.

Natürlich konnte man mit den herkömmlichen Suchmaschinen wie Google oder Yahoo diese Daten niemals finden. Es gab jedoch andere, wesentlich effizientere Suchalgorithmen, die selbst vermeintlich unauffindbare Informationen fanden.

Von den unzähligen Hackergruppen abgesehen, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, den Regierungen auf die Finger zu schauen. Mit legalen Mitteln ebenso wie mit illegalen.

Ein verschwommenes, siebzehn Sekunden langes Video, auf dem ein schwarzer Wirbel über der Insel zu sehen war, wurde nach angeblich tiefgehender Analyse von dem sogenannten Komitee als gefälschte Videoaufzeichnung eines lokal begrenzten Tornados identifiziert. Ein Tornado, den es, meteorologisch betrachtet, in diesen Breitengraden gar nicht geben kann. Gut gemacht zwar, wie das Komitee einräumte, aber eben eine Fälschung.

Bruder Stefanus hatte Katarinka Varga, seine Nachfolgerin als Wächterin der Fragmente vor vielen Jahren aktiviert. Damit gab er gleichzeitig den größten Teil seiner Fähigkeiten an sie weiter. Dennoch wurde er das Gefühl nicht los, dass es noch nicht zu Ende war.

Seit einiger Zeit glaubte er, eine Präsenz wahrzunehmen. Ganz ähnlich der, die ihm aufgefallen war, während er noch auf der Suche nach einer Nachfolgerin war und diese in Katarinka aufspüren konnte. Und doch war diese Präsenz vollkommen anders. Stefanus war überzeugt, dass es auf der Erde noch mindestens ein, vielleicht sogar mehrere Lebewesen geben musste, die eine nahezu identische. mentale Signatur besaßen – und diese ausstrahlten. Diese Aura stimmte nicht hundertprozentig mit der typischen Signatur eines Wächters überein. Eine solche hätte er zweifellos erkannt. Die unbekannte Aura war mächtig. Wesentlich stärker, als es die von Katarinka jemals war. Ausschließen konnte er auch, dass es sich um die Signatur eines Jägers handelte, denn der Letzte war Hosni Mubarak gewesen, den seine Deaktivierung in der Oase Siwa das Leben gekostet hatte.

Diese Signatur war roh, urtümlich, beinahe archaisch. Als ob das zugehörige Lebewesen erst vor kurzem aus einem langen Schlaf erwacht wäre und jetzt seine Fähigkeiten erkundete. Genaugenommen war es die Ausstrahlung eines Geschöpfes, das gar nicht existieren konnte. Anders als alles, was ihm in seinem langen Leben jemals begegnet war.

Ich werde herausfinden, was vor sich geht, dachte er verbissen, irgendwo muss es einen Hinweis geben. Und wenn ich sämtliche Aufzeichnungen erneut lesen muss, um herauszufinden, ob sich damals etwas ereignet hat, das dafür relevant ist. Und ich werde herausfinden, wem diese Signaturen gehören.

Seine Gedanken eilten noch weiter zurück in die Vergangenheit. Stefanus war inzwischen 143 Jahre alt und hatte zu seinen damaligen Mitstreitern seit ihrer Rückkehr von der schottischen Insel nur noch zu Paula Zahn sporadischen Kontakt.

Mitstreiter war nicht das richtige Wort, Gegenspieler hätte es eher getroffen. Es hatte keinen echten Streit gegeben, nur langwierige Diskussionen über das Für und Wider von Katarinkas Plänen. Er und Paula waren die Einzigen, die sich gegen Katarinkas Ziele ausgesprochen hatten. So sah es zumindest lange aus.

Bis zum Schluss war er sicher gewesen, dass auch Paula dagegen stimmen würde. Alle anderen waren längst auf die Linie Katarinkas eingeschwenkt. Weshalb Paula bei der Abstimmung doch für die Rekonstruktion der Tafel gestimmt hatte, war ihm bis heute ein Rätsel geblieben.

Katarinka hätte sich von nichts und niemandem davon abbringen lassen, die Tafel des Semyazza wieder zusammenzusetzen. Ihrer eigenen Überzeugung und ungeachtet ihrer Aufgabe als Wächterin der Fragmente zuwiderlaufend, wie sie später erstaunlicherweise einräumen musste. Sie sei von irgendetwas beeinflusst worden. Etwas, das sie nicht kannte und gegen das sie keinerlei Gegenwehr aufbauen konnte. Für ihn war klar gewesen, dass es sich um die Fragmente handeln musste. Sie versprach aber, das Ergebnis der Abstimmung zu akzeptieren, und hätte sich an ihr Versprechen gehalten. Mit jedem der Bruchstücke, das sie und Helmut Zahn aufgespürt hatten, war diese Wirkung, diese Beeinflussung stärker geworden.

Stefanus war sich die ganzen Jahre sicher, dass es das war, konnte es aber nie belegen. Außerdem hätte Katarinka das zu diesem Zeitpunkt niemals eingestanden. Dieser Logik folgend hätte die Beeinflussung nach dem Verschwinden der Tafel zurückgehen und schließlich aufhören müssen. Ob das tatsächlich der Fall war, entzog sich seiner Kenntnis.

Kapitel 2

Arbeitszimmer Professor Bantleon, Tübingen

Seit er von Ailsa Craig zurückgekommen war, zerbrach sich Professor Walter Bantleon den Kopf darüber, was dort geschehen war. Was die beeindruckenden, unerklärlichen Phänomene bedeuteten. Er sah sich außerstande, diese Effekte zu erklären. Seit Tagen überlegte er, wer aus seinem Bekanntenkreis ihm bei der Lösung dieses Rätsels behilflich sein könnte. Wer aus seinem Umfeld verfügte über ausreichend Wissen? Er konnte ebenso wenig sagen, welches Wissen das sein müsste.

Ihm als Archäologen war das Altertum wohlvertraut. In seinem Fachgebiet Babylon und Mesopotamien war er einer der führenden Experten weltweit.

Für das, was er gesehen hatte, gab es keine Erklärung. Genau das sorgte für seine Nervosität. Es war nicht möglich, dass es in der Natur irgendetwas geben konnte, wofür kein logischer Grund existierte. Ursache und Wirkung. Sowohl im Makro- als auch im Mikrokosmos musste es für alles eine Ursache geben. Irgendjemand musste diese Phänomene erklären können.

Kurt Valkenburg, schoss es ihm durch den Kopf, er ist der Richtige dafür.

Sie hatten vor Jahrzehnten gemeinsam das Studium der Archäologie begonnen. Vier Semester lang hatten sie sich mit den Grundlagen der Altertumsforschung geplagt. Kurz vor Ende des vierten Semesters hatte ihm Kurt erklärt, dass er das Archäologiestudium aufgeben und sich auf Astrophysik konzentrieren wolle. Was ihn zu diesem Schritt veranlasste, konnte oder wollte er nicht weiter begründen.

Er hatte davon geredet, dass es in der Archäologie kaum eine Möglichkeit geben würde, einen vernünftigen Job zu ergattern. Dieses Gebiet sei eine brotlose Kunst, in der nur wenige erfolgreich arbeiten und forschen würden. Astrophysik dagegen sei die Disziplin der Zukunft und würde diesen Job verschaffen. Wo immer auf der Erde das sein mochte.

Danach hatten sie sich nur noch unregelmäßig getroffen. Diese Treffen waren zunehmend spärlicher geworden und hatten schließlich ganz aufgehört.

Bantleon wusste, dass sein ehemaliger Studienkollege am Genfer Kernforschungsinstitut »Conseil europèen pour la Recherche nuclèaire«, allgemein unter dem Namen CERN bekannt, arbeitete und forschte. Eine ganze Reihe Artikel aus seiner Feder waren im Lauf der Jahre sowohl in Nature als auch in Science veröffentlicht worden. Valkenburgs Studium der Astrophysik hatte ihn letztlich zur Teilchenphysik geführt, die er seitdem zu seinem Lebensinhalt erkoren hatte. Mit der Berufung an den LHC[2] erfüllte sich sein Lebenstraum. Falls es überhaupt jemanden gab, der ihm die Vorgänge auf der schottischen Insel erklären konnte, war es Kurt Valkenburg. In jeder Hinsicht.

Professor Bantleons eigentliches Problem bestand eher darin, Stefanus davon zu überzeugen, mit nach Genf zu kommen. Damit wollte er sich beschäftigen, sobald er Valkenburg erreicht hatte. Er holte sein zerfleddertes Notizbuch heraus und wählte die Vorwahl +41 für die Schweiz, die 22 für Genf und die letzte, hoffentlich aktuelle, Durchwahl Valkenburgs. Die Leitung rauschte. Ein Knacken überlagerte das Rauschen. Einen Moment lang huschte ihm der Gedanke durch den Kopf, die Verbindung könnte abgehört werden. Nicht zuletzt forschte man am CERN an Themen, an denen das Militär in einer Vielzahl von Staaten interessiert sein könnte.

Was er mit Kurt besprechen wollte, unterlag sicher nicht der Geheimhaltung. Nicht das, was er am Telefon preisgeben würde. Details müssten sie ohnehin persönlich bereden. Bantleon hatte Glück. Kurts Nummer war immer noch dieselbe.

»Wer stört? Wer begehrt etwas von mir?«, schallte die hohe Stimme Kurts aus dem Hörer.

»Kurt, der Abtrünnige. Alter Ignorant!« antwortete er.

»Wer sind sie? Was wollen sie von mir? Ich kaufe nichts! Woher haben sie diese Nummer?« fauchte es aus dem Telefon, gefolgt von: »Wer hier ein Ignorant und Abtrünniger ist, wird sich noch herausstellen. Walter, freut mich, von dir zu hören. Was verschafft mit die unglaubliche Ehre deines Anrufs?«

»Direkt wie immer«, lachte Bantleon, »keine Umwege, was?«

»Umwege und Umleitungen«, dozierte der Physiker, »führen hier und da auch zum angestrebten Ziel. Trotzdem sind sie nicht der direkte Weg. Wo drückt der Schuh, Walter?«

»Nicht am Telefon, Kurt«, erwiderte Bantleon gedämpft, »wir müssen uns treffen. Schnellstmöglich! Wir brauchen dringend deine Expertise und kommen gern nach Genf dafür.«

»An der Stelle würde ich jeden anderen aus der Leitung werfen, Walter«, sagte Valkenburg, »aber du hast mich neugierig gemacht. Wenn du nach fünfundzwanzig Jahren meine Expertise anfragst, muss irgendetwas größeres dahinterstecken. Wobei braucht ein Archäologe die Hilfe eines überarbeiteten Teilchenphysikers? Ganz nebenbei bemerkt«, setzte Valkenburg hinzu, »wer ist wir?«

»Lach’ jetzt bloss nicht, Kurt«, erwiderte der Professor, »ich versuche, den Vertreter einer uralten Organisation zum Mitkommen zu bewegen. Er weiß alles über das Thema, bei dem wir auf deine Expertise angewiesen sind.«

»Raus’ mit der Sprache, Bantleon«, schnappte Valkenburg, »worum handelt es sich? Woraus machst du ein so großes Geheimnis? Übrigens, falls du mit dieser uralten Organisation die katholische Kirche meinen solltest, kannst du es vergessen. Du weißt, dass ich mit den Herrschaften in ihren Fantasieuniformen nichts am Hut habe. Vorher kehrt der Rhein seine Fließrichtung um.«

Bantleon wusste, dass Kurt vom Vatikan mehrfach öffentlich scharf kritisiert worden war, weil er und seinesgleichen angeblich an den Grundlagen der Schöpfung herumpfuschten.

»Beruhige dich, Kurt. Die Kirche hat nichts damit zu tun. Den Rest erzähle ich, wenn wir uns treffen. Wann passt es dir?«

Schweigen in der Leitung. Nach einem Moment wieder Valkenburg: »Wie wäre es mit Freitag kommender Woche? Am späten Nachmittag?«

»Ausgezeichnet, Kurt«, betätigte Bantleon den Terminvorschlag, »diesen Vorlauf werde ich benötigen, um den Mann für meine Idee zu gewinnen. Du kannst dich schon jetzt auf eine Überraschung gefasst machen. Wir versuchen, gegen 18 Uhr am Genfer Flughafen zu sein. Ich werde dort einen der kleineren Konferenzräume reservieren, damit wir ungestört sind. Ich melde mich etwa eine Stunde vor unserer Ankunft bei dir. So bleibt dir ausreichend Zeit, um zum Flughafen zu kommen. Ist das akzeptabel für dich?«

»In Ordnung«. Bantleon hörte die Ironie in der Stimme Valkenburgs, »es scheint tatsächlich bedeutend zu sein, wenn du diesen Aufwand betreibst. Pass’ auf bei den Eidgenossen. Die sind ziemlich penibel, wenn es um Geschwindigkeitsüberschreitungen geht. Könnte teuer werden. Ich weiß, wozu er Mustang in der Lage ist. Hast du den überhaupt noch?«

»Keine Sorge«, wiegelte der Professor ab, »ich halte mich zurück. Und ja, ich habe ihn bis zum heutigen Tag. Wer würde ein Schmuckstück freiwillig hergeben?«

»Ich erwarte deinen Anruf. Muss ich irgendetwas vorbereiten?«

»Deine Expertise reicht vollkommen«, erwiderte Bantleon, »hmm ... es könnte sein, dass ... nein, das sage ich dir, wenn wir uns sehen.«

»Jetzt hast du mich noch neugieriger gemacht. Ein kleiner, bescheidener Tipp vielleicht? Womöglich muss ich doch spezielle Vorbereitungen treffen?«

»Nicht nötig, Kurt. Belassen wir es vorläufig dabei. Ich bin nicht darauf aus, Staub aufzuwirbeln. Du erfährst alles am Freitag nächste Woche.«

»Staub aufwirbeln! In Ordnung«, stimmte der Physiker zu, »ich bin gespannt, was du entdeckt hast, dass für jemanden von ... wem auch immer von Interesse sein könnte.«

»Wir sehen uns in ein paar Tagen, Kurt. Pass’ auf, dass deine Teilchen nicht mit Überlichtgeschwindigkeit entfleuchen.«

Valkenburg lachte und legte auf.

Der Professor wusste natürlich von Ian McBannon. Dessen spurloses Verschwinden hatte in der akademischen Gemeinde ziemliche Aufregung verursacht. Nicht nur bei denen, die ich aus berufsmäßigem Interesse damit befassten. Man sollte davon ausgehen dürfen, dass es in der Wissenschaft keine Zensur gibt. Doch das war Wunschdenken.

Kapitel 3

Tübingen, Deutschland

Walter Bantleon konnte sofort losfahren. Das im vergangenen Jahr eingereichte und genehmigte Sabbatical wir noch nicht abgelaufen. Kein Grund, sich erneut abzumelden. Gleichwohl rief er kurz im Institut an, um der Assistentin des Dekans von einer weiteren Abwesenheit in Kenntnis zu setzen.

In Gourdon würde er wieder im selben Hotel übernachten und hatte dem Maitre seine Ankunftszeit bereits mitgeteilt, verbunden mit der Bitte um eine Zimmerreservierung. Wie zu erwarten, war der Hotelier erfreut, den Professor wieder zu beherbergen. Ein wenig enttäuscht zeigte er sich darüber, dass Bantleon dieses Mal allein kommen würde.

L’Abbaye Nouvelle, Department Dordogne, Frankreich

Nach einer entspannten Fahrt war der Professor am frühen Nachmittag im Hotel eingetroffen und jetzt auf dem Weg zu der alten Abtei. In der Hoffnung, dort Bruder Stefanus auch anzutreffen.

Sein unangemeldetes Auftauchen war Absicht. Er befürchtete, der Mönch würde es sonst sofort ablehnen, mit ihm nach Genf zu kommen. Ohne den Grund dafür zu kennen. Er wollte ihn überraschen und mit seiner Idee konfrontieren. Einem Gespräch mit einem renommierten Physiker über die Vorgänge auf Ailsa Craig würde er sich kaum widersetzen. Stefanus konnte sich ebenso wenig einen Reim auf die unerklärlichen Phänomene machen.

Bantleon stellte den Mustang, der längst mit neuen Weißwandreifen ausgestattet war, auf dem geschotterten Platz vor dem hölzernen Anbau ab. Bummelte langsam zur Tür und sah sich dabei um. Vielleicht war Stefanus hier irgendwo zugange. Nein, niemand zu sehen. Er hieb mit der Faust gegen das massive Holz der Tür und wartete. Nach einigen Minuten wurde das schlichte Fenster in der Tür aufgerissen. Das bärtige Gesicht des ehemaligen Wächters erschien darin. Es war nicht zu übersehen, dass er sofort lospoltern wollte. Dann erkannte Stefanus ihn. Er sagte kein Wort, knallte den Schieber zu und öffnete schleunigst die massive Tür.

»Professor«, es war nicht zu überhören, dass er überrascht war, »freut mich, sie zu sehen. Ich habe immer damit gerechnet, dass sie eines Tages hier auftauchen. Kommen sie, wir gehen hinein.«

Er trat einen Schritt zur Seite und ließ ihn eintreten. Bantleon schlenderte langsam durch den langen, düsteren Gang in den einzigen Raum des Anbaus. Die Wände waren immer noch deckenhoch mit Sackleinen abgehängt. Der strenge, manchmal beißende Gestank, der die Luft hier früher verpestet hatte, war verschwunden. Offenbar war Stefanus zur Einsicht gekommen, dass Hühner und Schweine keine Haustiere sind.

»Setzen sie sich, bitte«, forderte Stefanus ihn auf und stellte gleichzeitig zwei Wassergläser auf den grob gezimmerten, langgestreckten Tisch, »ein Glas Wein kann nicht schaden.«

Unbewusst verzog der Professor sein Gesicht.

Der Mönch konnte sich sein Lachen nicht verkneifen und sagte: »Herr Professor, ich weiß, dass ihnen der Klosterwein nicht schmeckt. Sie müssten dann eben mit Leitungswasser vorliebnehmen.«

»Na ja«, erwiderte er beschämt, »nicht schmecken ist übertrieben. Der Wein ist ... nun, ein bisschen speziell.«

Stefanus lachte wieder und schenkte die beiden Gläser ein. Randvoll. Bantleon wusste, dass er den Wein nicht ablehnen durfte. Selbst wenn Stefanus scheinbar Verständnis dafür zeigte, das er ihn eigentlich nicht trinken wollte. Er prostete dem alten Mann zu, nahm einen großen Schluck und vermied es, sein Gesicht allzu auffällig zu verziehen. Dieser Jahrgang war noch ... trockener, als der vor vier Jahren. Er stellte sein Glas ab. Wartete darauf, dass der ehemalige Wächter seine Fragen stellte. Dass er das tun würde, war klar. Er hatte den Professor nicht erwartet. Zumindest nicht heute. Er würde mit Sicherheit wissen wollen, was den Archäologen hierher führte.

»Also, Herr Professor«, begann Stefanus erwartungsgemäß, »was führt sie zu mir? Dass sie mir einen reinen Freundschaftsbesuch abstatten, können wir ausschließen, nicht wahr?«

Bantleon wägte seine nächsten Worte sorgfältig ab. Er durfte nicht mit der Tür ins Haus fallen. Er musste zunächst das Interesse des ehemaligen Wächters wecken. Vor allem anderen durfte er nicht sofort irgendwelche Anforderungen stellen.

»Sie haben natürlich recht, Stefanus«, bestätigte er dessen Annahme, »für einen Freundschaftsbesuch fährt niemand tausend Kilometer. Sehen sie, ich ....«

»Sie brauchen meine Hilfe oder zumindest meine Unterstützung, habe ich recht?«

»Woraus schließen sie das, Stefanus?«

»Herr Professor, das ist akademisches Geplänkel«, erwiderte er, »sie scheinen vergessen zu haben, wer ich bin. Zu dem bin ich fast dreimal so alt wie sie. Ich habe nicht nur mehr als hundert Jahren Lebenserfahrung, sondern auch ein ganz besonderes Gespür für Menschen. Ich ahnte schon, weshalb sie hergekommen sind, als sie draußen vor der Tür standen. Den größten Teil meiner Fähigkeiten habe ich bei Aktivierung Katarinkas an sie weitergegeben, gleichwohl kann man nicht alles auf diese Weise transferieren. Eine ausgeprägter Reife und eben dieses besondere Gespür bleiben mir für den Rest meiner Tage.«

»Dann muss ich zunächst nicht ins Detail gehen«, antwortete der Professor erleichtert, »sie haben recht. Es geht um Ailsa Craig. Um die Vorgänge dort, die ich nicht verstehe. Ich hasse es, etwas nicht zu verstehen. Und«, setzte er nach einem Moment hinzu, »ich habe das Gefühl, dass es noch nicht vorbei ist. Dass das nicht alles gewesen sein kann. Dass noch irgendetwas kommen muss. Das kann nicht das Ende gewesen sein. Das wäre unlogisch. Nein, in höchstem Maße sinnlos.«

Stefanus trank einen Schluck Wein. Gedankenverloren sah er den Archäologen an. Obwohl er diese Fähigkeit nicht mehr hatte, schien es, als wolle er ihn lesen. »Erstaunlich, dass sie zu einem fast identischen Ergebnis wie ich gekommen sind. Wie sind sie zu dieser Annahme gelangt?«

»In der ersten Zeit nach Ailsa Craig habe ich mich in meinem eigentlichen Fachgebiet vergraben. Habe versucht, das alles zu vergessen. Zunehmend haben mich die Überlegungen beherrscht, was es für einen Sinn haben sollte, eine Tafel aus hochkomplexen Schaltkreisen zu konstruieren. In einer Vollendung, die wir in hundert Jahren noch nicht erreicht haben werden. Und sie anschließend zu zerstören. Inzwischen bin ich zur Überzeugung gekommen, dass es völlig irrelevant war, wer die Tafel wieder zusammensetzt. Sie wäre immer mit denselben Effekten verschwunden, nachdem sie vollständig war. Ein Automatismus. Die Wächter hätten es nicht verhindern können. Banal ausgedrückt war die jahrtausendelange Arbeit vergebens. Irgendwann wäre es geschehen. Vielleicht zufällig, vielleicht auch durch die Jäger. Meiner bescheidenen Meinung nach hat das Verschwinden und das zwangsläufig damit verbundene Wiederauftauchen der Tafel irgendwo im Universum – oder in einer anderen Zeit – irgendetwas ausgelöst. Von dem niemand bisher etwas ahnt. Ich befürchte, dass wir in naher Zukunft sehen werden, was das ist. Und ich bin sicher, dass wir das nicht erleben wollen.«

Stefanus’ Augen blitzten ganz kurz grünlich auf. Bantleon verspürte keinerlei Beeinflussung, der alte Mann hatte diese Fähigkeit an seine Nachfolgerin abgegeben.

»Weshalb sind sie wirklich hergekommen, Herr Professor?« wollte er wissen. »Keine Geschichten bitte. Sagen sie einfach, wie ich ihnen helfen kann. Wenn mich es mir möglich ist, werde ich ihnen diese Hilfe nicht verweigern.«

»Na schön«, erwiderte Bantleon, »kurz und bündig. Kommen sie mit mir nach Genf. Ich möchte sie mit einem Teilchenphysiker zusammenbringen, der uns erläutern kann, was auf Ailsa Craig geschehen ist.«

»Ich glaube nicht«, brummte Stefanus, »das ein Physiker diese Vorgänge erklären kann. Wie könnte er das? Sie vergessen offenbar, dass wir es mit großer Wahrscheinlichkeit mit einer auf der Erde unbekannten Physik zu tun haben.«

»Und sie vergessen dabei anscheinend, dass die Grundlagen der Physik in unserem Universum überall dieselben sind. Sein müssen. Die Naturgesetze gelten für alle Bewohner dieses Universums. Auch denn die Menschheit mit Sicherheit eine ganze Menge davon nicht kennt. Mein früherer Studienkollege Kurt Valkenburg weiß mehr, als wir alle zusammen und kann uns auf die richtige Spur bringen.«

Stefanus war alles andere als überzeugt und brachte das auch deutlich zum Ausdruck: »Was sollte der Mann denn noch herausfinden? Die Tafel ist verschwunden und wird nicht wieder auftauchen. Wir werden nie erfahren, wohin sie verschwunden ist. Ebenso wenig wie wir erfahren werden, welche Technologie sich dahinter verbirgt. Es gibt keine Aufzeichnungen des Ereignisses, die man analysieren könnte. Falls es auf dieser Insel irgendwelche Spuren gegeben hat, sind diese nach Jahren nicht mehr nachweisbar.«

»In diesem Punkt irren sie sich, Stefanus!« behauptete Bantleon.

»Was meinen sie damit, Herr Professor?« er war verblüfft. »Niemand von uns hat irgendwelche Aufzeichnungen gemacht.«

»Ich widerspreche Ihnen nicht«, sagte Bantleon, »nicht, was unsere Gruppe angeht. Dennoch existiert ein siebzehn Sekunden langer Videoclip, auf dem der schwarze Wirbel deutlich zu sehen ist. Diese Sequenz ist viral gegangen und wird für immer im Internet kursieren. Er ist der visuelle Beweis, dass dort irgendetwas geschehen ist. Die Videosequenz zeigt nichts, das beunruhigend wäre oder das irgendetwas erklären würde.«

Nach einem Schluck Wein fuhr er fort. »Wesentlich wichtiger ist das, was ein Student der Astrophysik aus Glasgow, der seine Antennen zufällig richtig ausgerichtet hatte, aufgefangen und gespeichert hat. Seltsame Impulsfolgen, die ihm nie zuvor untergekommen sind. Weder Funkwellen noch ein Pulsar oder ein schwarzes Loch. Den Ursprung dieser Impulse konnte er eindeutig auf Ailsa Craig verorten. Ian McBannon hat diese Aufzeichnungen auf einschlägigen Seiten im Web veröffentlicht. Leider hat die NSA im Auftrag der US-Regierung das alles aufgespürt und gelöscht. Behaupten die Herrschaften jedenfalls. Ich dagegen gehe davon aus, dass sich jemand in den dunkelsten Ecken des Dark Web eine Kopie dieser Daten beschafft hat. Regierungen mögen mächtig sein. Sie können eine ganze Menge vertuschen und tun das jeden Tag. Doch das Internet, speziell das Dark Web, können auch sie nicht lückenlos überwachen.«

Bantleon bemerkte sofort, dass es ihm gelungen war, die Aufmerksamkeit Stefanus’ zu wecken. Er war dennoch skeptisch und erwiderte: »Sie haben mich überzeugt. Fast. Natürlich bin ich daran interessiert, herauszufinden, was geschehen ist. Ich verstehe nur noch nicht, wie sie an die Informationen herankommen wollen, die von den USA gelöscht wurden.«

»Sehen sie, Stefanus«, erläuterte ihm der Professor geduldig, »das ist der springende Punkt. Die USA und ihre Dienste behaupten, dass diese Aufzeichnungen entfernt worden seien. Das tun sie in solchen Fällen immer. Das trifft sicher nicht zu. Kein Geheimdienst der Welt löscht jemals irgendetwas. Schon gar nicht etwas, das sie nicht verstehen. Diese Daten sind nicht weg. Sie wurden als geheim klassifiziert. Wahrscheinlich verschlüsselt und irgendwo auf einem Server gespeichert.«

»Wie sollen wir an diese Datensätze herankommen?« unterbrach der ehemalige Wächter, »dazu fehlen uns die Mittel. Unsere Organisation hat sich nie mit dieser Technologie befasst.«

»Wir benötigen die Hilfe von jemanden, der mit diesen Dingen vertraut ist. Der über die notwendige Ausstattung verfügt und gewillt ist, uns zu unterstützen. Auch da habe ich schon eine bestimmte Gruppe im Visier.«

Stefanus wiegte den Kopf hin und her. Brummelte etwas Unverständliches in seinen Bart und wurde dann deutlicher. »Verzeihen sie Herr Professor, wenn ich hier die Rolle des advocatus diaboli übernehme. Ihnen ist schon klar, dass wir uns nicht mit der Gemeindeverwaltung von Gourdon anlegen, sondern mit der NSA? Oder einer anderen, vergleichbaren Organisation mit drei Buchstaben?«

»Und wenn schon«, widersprach Bantleon, »die Vergangenheit lehrt uns, dass mit steigender Größe einer Organisation deren Sicherheitsmaßnahmen zunehmend durchlässiger werden. Das ist bei der NSA nicht anders.«

»Na schön«, sagte Stefanus, »gehen wir einen Moment davon aus, dass uns jemand dabei helfen kann, diese Daten zu beschaffen. Bleibt das Problem, dass wir vermutlich auf eine Verschlüsselung stoßen werden.«

»Das habe ich berücksichtigt«, behauptete Bantleon, »es gibt überall Hacker, die ebenso gut oder besser als die Leute der NSA sind. Außerdem – alles, was von Menschen verschlüsselt wurde, kann von Menschen wieder dekodiert werden. Wäre das nicht so, hätte eine Verschlüsselung doch gar keinen Sinn.«

»Sie sind hartnäckig, Herr Professor«, erwiderte Stefanus, »und ich beginne, ihre Motivation zu verstehen. Wir haben uns also die Daten beschafft und es ist uns gelungen, diese zu entschlüsseln. Was dann? Spätestens ab dem Zeitpunkt wird man hinter uns her sein. Wir haben es mit Leuten zu tun, die vor nichts zurückschrecken, um ihre Geheimnisse zu schützen.«

»Auch dass mag sein«, sagte der Professor, »in diesem Fall bin ich jedoch sicher, dass die Herrschaften nicht einmal annähernd wissen, was sie da geheimhalten. Die Daten sind unter Verschluss, weil sie etwas sind, was sie nicht verstehen.«

Stefanus stimmte dem Professor halbherzig zu. »Was nützen uns diese Daten? Auch wir wissen nicht, worum es sich handelt. Sollten wir nicht doch davon ausgehen, dass die Konstrukteure der Tafel einer anderen Physik folgen als die Menschen?«

»Das ist nicht der Fall«, widersprach Bantleon kühn, »wir wissen ja nicht einmal sicher, ob es andere Universen gibt. Wir können davon ausgehen, dass diese Wesen aus unserem Universum kommen. Dann gelten für sie dieselben physikalischen Naturgesetze wie für uns auch. Möglich, dass sie Weitere entdeckt haben, die wir nicht kennen und vielleicht nie kennenlernen werden. Die zugrundeliegende Physik ist und bleibt dieselbe. Außerdem sind die Impulse nicht von den Erbauern der Tafel verschlüsselt worden. Wozu hätte sie das tun sollen? Was wir brauchen sind die Rohdaten, die von Mr. McBannon aufgefangen wurden. Gehen sie davon aus«, betonte Bantleon seine nächsten Worte, »dass seit Wochen eine ganze Menge Leute damit beschäftigt sind, diese zu finden und die Codierung zu knacken. Dieser geballten Rechenpower haben alle Regierungen der Erde nichts entgegenzusetzen. Diese Leute haben gefunden, was sie gesucht haben. Auf einem Server der NSA in Vermont, der beim ICANN[3] nicht registriert ist. Ich will gar nicht wissen, wie aufwändig diese Suche war. Hätte ich den üblichen Preis für diese Dienstleistung bezahlen müssen, würde mein Gehalt nicht einmal annähernd ausreichen. Leider«, fuhr Bantleon fort, »können wir McBannon nicht mehr nach seiner Meinung zu diesen Daten fragen.«

»Verstehe ich nicht«, sagte Stefanus, »weshalb sollte uns Mr. McBannon nicht helfen können oder wollen? Ihm sollten doch alle willkommen sein, die sich dafür interessieren.«

»Ja, dass wäre wohl der Fall«, erwiderte Bantleon, »wenn der junge Mann nicht wenige Tage, nachdem er diese Impulsfolgen ins Netz gestellt hat, spurlos verschwunden wäre. Vielleich ist er tot. Vielleicht auch nicht. Es existieren keinerlei Berichte über einen Unfall mit Todesfolge. Es gibt nichts. McBannon ist weg. Würde mich nicht wundern, wenn man ihn auf einer Black Site irgendwo im ehemaligen Ostblock entsorgt hätte. Wer könnte so etwas bewerkstelligen? Außer einer der Organisationen, deren Namen sich aus drei Großbuchstaben zusammensetzt.«

»Jetzt haben sie mich, Herr Professor. Wenn ich irgendetwas dazu beitragen kann, diesen Herrschaften das Leben schwer zu machen, hält mich nichts davon ab. Es darf nicht sein, dass ein paar wenige alle anderen kontrollieren. Ihnen vorschreiben, was sie wissen dürfen und was nicht. Und das ohne Kontrolle durch unabhängige Stellen«, brummt er, »quis custodiet ipsos custodes?[4]«

»Das ist in der Tat die Frage«, erwiderte Bantleon.

Kapitel 4

L’Abbaye Nouvelle, Department Dordogne, Frankreich

Letztlich war es dann doch nicht so einfach gewesen, den alten Mann zu der Reise zu überreden. Stefanus schienen die Argumente gegen die Fahrt nach Genf nicht auszugehen. Nicht nur mit dem Auto, sondern mit dieser grünen Höllenmaschine.

Bantleon hatte ihn inzwischen davon überzeugen können, dass für die Konstrukteure der Tafel dieselben Naturgesetze galten wie überall im Universum. Nicht das es nicht noch weitere Gesetzmäßigkeiten geben könnte, die im Bereich des Möglichen lägen. Die der Mensch bislang nur nicht gefunden habe. Von denen niemand erwartete, dass sie überhaupt existieren. Die Tatsache, dass beim Verschwinden der Tafel physikalische Effekte aufgetreten seien, zusammen mit dem Hinweis auf die Daten McBannons, die man in jedem Fall untersuchen müsse, hatte den Ausschlag gegeben.

Zur Überraschung des ehemaligen Wächters war Bantleon im Besitz der Rohdaten. Er hatte nicht erwartet, dass der Professor diese aufspüren konnte. Für ihn war es unvorstellbar, dass ein paar langhaarige Hacker die allmächtige NSA bezwingen konnten und die Daten entwendet hatten.

»Mit der Eisenbahn wäre es mir lieber gewesen«, Stefanus’ Unbehagen über die bevorstehende Fahrt mit dem Mustang war nicht zu übersehen.

»Stefanus«, schmunzelte Bantleon, »so schlecht fahre ich dann auch wieder nicht. Außerdem bräuchten wir mit dem Zug über dreizehn Stunden und müssten viermal umsteigen. Das kann noch weniger in ihrem Interesse sein.«

Missmutig brummelte der ehemalige Wächter vor sich hin: »Wenn es keine andere Option gibt. Alt genug bin ich geworden. Ob ich die Fahrt in der Höllenmaschine überlebe, spielt auch keine Rolle mehr.«

Der Professor erklärt ihm, dass sie am nächsten Morgen gegen neun Uhr fahren müssten, damit sie rechtzeitig am Genfer Flughafen ankommen würden. Sie könnten Valkenburg nicht warten lassen.

»Valkenburg? Seltsamer Name. Weshalb treffen wir ihn am Flughafen?«, brummte Stefanus, »sagten sie nicht, ihr Freund arbeite am CERN?«

»Tut er auch«, erwiderte der Professor, »Kurt will fürs Erste jede Verbindung zu seinem Institut vermeiden. Daher der Flughafen. Dort können wir ihm ungestört unsere Fragen stellen. Höchstwahrscheinlich hat er bereits eine Theorie zu den Vorfällen auf Ailsa Craig. Ich habe einen der kleineren Konferenzräume reserviert. Wir sind also ungestört.«

»Sie wussten von Anfang an, dass ich mitkomme, nicht wahr?«

»Selbstredend«, schmunzelte Bantleon, »sie wären nicht der, der sie sind, wenn ihre Neugier nicht wesentlich größer wäre als die Angst vor der Fahrt in meiner grünen Höllenmaschine. Sie brennen doch auch dafür, endlich zu erfahren, was auf dieser Insel geschehen ist. Habe ich nicht recht?«

»Haben sie. Mir war nur nicht klar, dass ich so leicht zu durchschauen bin.«

Der Professor lachte und bat Stefanus um ein Glas des sehr trockenen Rotweins.

»Was hat sie dazu veranlasst, das CERN einzuschalten?« Stefanus blieb beharrlich.

»Das sehen sie vollkommen falsch«, widersprach der Professor energisch, »ich habe nicht das CERN eingeschaltet. Ich habe lediglich einen Freund gebeten, uns seine Einschätzung zu geben. Kurt würde diese Angelegenheit niemals im Namen seines Instituts kommentieren. Dort arbeiten zwar viele brillante Wissenschaftler. In Disziplinen, die sich einem normalen Menschen nicht annähernd erschließen. Keiner von diesen Leuten würde eine offizielle Stellungnahme abgeben. Zumal bisher unbekannt ist, was McBannons Rohdaten enthalten. Wir gehen davon aus, dass sie die unerklärlichen Vorfälle zumindest etwas erhellen können. Ob das zutrifft, werden wir sehen.«

Stefanus schüttelte den Kopf und erwiderte: »Weshalb sollte die NSA versucht haben, diese Daten zu unterdrücken? Was gewinnen sie dabei?«

»Aus dem einfachsten denkbaren Grund.«

»Der da wäre?«

»Hätten die Schlapphüte herausgefunden, was in diesen Daten steckt, wäre das meinen Hackerfreunden nicht verborgen geblieben. Es ist ein Reflex aller Geheimdienste, Zwischenfälle, die sie nicht begreifen, vorsorglich zu vertuschen. Weil sie in ihrer alles umfassenden Paranoia permanent argwöhnen, das andere mehr in Erfahrung bringen könnten. Damit schaffen sich diese Organisationen ihre Existenzberechtigung selbst. Die größte Sorge der USA ist, dass die Russen oder die Chinesen zuerst irgendetwas herausfinden, was sie nicht wissen.«

Stefanus grübelte einen Moment über Bantleons Worte nach. Dann merkte er an: »Wenn sie diese Daten haben, kann uns dieser Valkenburg dann zumindest eine Theorie anbieten?«

»Ich hoffe es. Er ist einer der Besten auf seinem Gebiet.«

Kapitel 5

L’Abbaye Nouvelle, Department Dordogne, Frankreich

(am nächsten Tag)

Über Nacht waren vom Atlantik bedrohlich dunkle Regenwolken hereingezogen. Im Westen türmten sich gewaltige Wolkentürme auf. Stetig heftiger werdender Donner und furchterregende Blitze zerrissen den Himmel. Es schüttete wie aus Kübeln.

Der unbefestigte Schotter auf dem Vorplatz war nur noch zu ahnen. Ausgedehnte Pfützen, aus denen langsam Seen wurden, überzogen die unebene Fläche. Bantleon warf einen griesgrämigen Blick aus der Tür und rannte zu dem fünfzig Meter weiter abgestellten Ford Mustang. In einer tiefen Wasserpfütze stehend fummelte er den Schlüssel ins Türschloss des Wagens.

Wieder ein paar teure Schuhe im Eimer. Fluchend stieg er in den Achtzylinder. Stefanus schlenderte trotz der herabstürzenden Wassermassen gemächlich über den Vorplatz. Seinen robusten Sandalen schadete das Wasser nicht. Er trug nicht einmal Socken. Der Professor hatte inzwischen seine teuren Slipper ausgezogen und sie zwischen Vorder- und Rücksitz gestellt. Sofern das auserlesene Leder die Nässe unbeschadet überstand, müsste er sie in Genf wieder anziehen können. Widerwillig kam der Mustang auf Touren. Er wartete einen Moment bis Stefanus, kaum vernehmbar vor sich hin brummelnd, eingestiegen war, dann gab er Gas. Traute man den Angaben von Google Maps, sollten sie zwischen 17 und 18 Uhr am Genfer Flughafen sein. Einschließlich eines Tankstopps.

Geneve Aeroport, Genf, Schweiz

Wie man ihm telefonisch mitgeteilt hatte, befand sich der reservierte Raum im Hilton Geneva and Conference Centre. Erst kurz nach 18 Uhr rollte der Sportwagen grollend vor dem Haupteingang des Konferenzzentrums aus. Dienstbeflissen eilte ein Page herbei und erkundigte sich auf Französisch nach ihrem Gepäck. Bantleon erklärte dem Jungen, dass sie nicht einchecken würden. Einer der Konferenzräume sei für sie reserviert. Stefanus ergänzte, dass sie es eilig hätten, er den Wagen parken und die Schlüssel unter dem Namen Bantleon hinterlegen solle. »C'est bon, mon garçon. Nous sommes pressés. Laisse la voiture garée et laissez les clés à la réception sous le nom de Bantleon. Merci.«

Er fummelte einen leicht angeschmutzten Zehn-Frankenschein aus seiner Kutte und drückte ihn dem Jungen in die Hand.

»Walter«, rief eine hohe Stimme, »wo bleibst du denn? Ich warte seit einer Ewigkeit.«

Ein hochaufgeschossener Mann mit langem, haarigem Anhängsel im Nacken reichte dem Professor zur Begrüßung die Hand.

»Kurt«, schmunzelte Bantleon, »ich hätte dich kaum wiedererkannt. Was zum Henker ist mit deinen Haaren passiert? Wo sind die geblieben? In einem schwarzen Loch verschwunden?«

»War ja klar, dass dir das zuerst auffällt«, knurrte Kurt Valkenburg, »die haben sich nach hinten verlagert. Oben sind es immer weniger geworden. Ich habe die Gravitations-Bosonen im Verdacht.«

Mit einem Blick auf Stefanus, der in seiner zerschlissenen Kutte fehl am Platz wirkte, fuhr er fort: »Dein ominöser Begleiter? Stellst du uns vor?«

»Warte noch einen Moment bitte, Kurt«, erwiderte der Professor, »nicht hier. Lass’ uns hineingehen. Drinnen erkläre ich dir, wer Stefanus ist.«

»Folgt mir unauffällig«, murmelte Valkenburg grinsend, »Raum 2.545 in der zweiten Etage. Pass’ auf, dass uns niemand observiert.«

»Observieren?« wunderte sich Bantleon, »wer sollte uns beschatten. So bedeutend ist keiner von uns.«

»Du hast mit der Heimlichtuerei angefangen, Walter.«

»Heimlichtuerei ...?«

»Du hättest mir am Telefon mehr darüber sagen können. Weshalb wir uns unter allen Umständen hier treffen mussten zum Beispiel.«

Bantleon stimmte ihm zu. »Nicht auszuschließen, dass du recht hast, Kurt. Was du gleich zu hören bekommst, wird dich vom Hocker hauen. Du wirst mir kein Wort glauben.«

»Der Physiker und der Mensch Valkenburg lehnen beide den Glauben ab. Das weißt du, Walter. Glaube ist für die religiöse Masse, zu der ich nicht gehöre. Ich glaube nicht daran, dass irgendetwas existiert. Ich versuche, es zu beweisen oder zu widerlegen.«

»Du hast eine Menge Kopfarbeit vor dir, das verspreche ich dir!«

Der Teilchenphysiker zuckte mit den Schultern. Bantleon war klar, dass sein Freund sich nicht mit Berichten zufriedengeben würde. Auch nicht mit solchen von Augenzeugen wie Stefanus und ihm selbst. Er musste ihm die Rohdaten geben, die die Hackergruppe von der NSA beschafft hatte. Ob Valkenburg in der Lage war, diese zu entschlüsseln, würde sich herausstellen. Aber bestimmt nicht hier. Die Großrechner am CERN konnten den Code sicher knacken. Der Professor hatte es bewusst vermieden, mit dem Aufzug in die zweite Etage zu fahren. Hotels dieser Kategorie rüsten Aufzüge oft mit Kameras aus.

Im Konferenzraum war alles vorbereitet. Beamer und Leinwand. Selbst ein betagter Overhead-Projektor stand zur Verfügung. Auf dem Tisch, der acht Personen Platz bot, standen Thermoskannen mit Kaffee sowie Platten mit einladend angerichteten Häppchen. Bantleon legte seinen Laptop ab und verband ihn mit dem Beamer. Nach einigen Tastendrücken tauchte für ein paar Sekunden das bekannte Windows-Logo auf. Gefolgt von einer grafischen Oberfläche, die auf darstellbare Daten wartete.

Valkenburg ergriff zuerst das Wort: »Was habt ihr für mich? Doch zuerst will ich wissen, wer dein Begleiter ist, der wie ein Mönch aussieht und was er mit allem zu schaffen hat.«

»Es ist kompliziert, Kurt«, begann der Professor zögerlich, »ich gehe davon aus, dass du dich an deine ersten Semester Altertumskunde erinnerst? An Namen wie Egrigoroi, Nephilim und Semyazza?«

»Nimm’ mich nicht auf den Arm, Walter«, brauste der Valkenburg heftig auf, »mit Archäologie habe ich nichts mehr am Hut. Das ist deine Domäne. Wie sollte ein Teilchenphysiker euch bei einem archäologischen Problem unterstützen können? Und ja, natürlich erinnere ich mich an meine ersten Gehversuche an der Uni. Egrigoroi sind die Führer der Nephilim, der gefallenen Engel. Semyazza war angeblich der oberste dieser sagenhaften Gesellen.«

»Zuerst will ich dir meinen Begleiter vorstellen. Stefanus ist kein Mönch. Auch wenn er so aussieht«, begann der Professor, »er hat diese Kleidung gewählt, weil er seit über einem Jahrhundert in einem Kloster in der Dordogne lebt und dort bis vor etwa 20 Jahren das Amt eines Wächters innehatte.«

»Einen Moment«, wieder brauste der Physiker auf, »er lebt seit hundert Jahren in einem Kloster? Walter, ich hatte dich dringend gebeten, mich nicht zu verschaukeln. Genau das scheinst du aber vorzuhaben. Kein Mensch kann über ein Jahrhundert leben und derart rüstig daherkommen wie dein Freund hier.«

»Dr. Valkenburg«, übernahm Stefanus die sich abzeichnende Diskussion, »hören sie mir zu, bitte. Ich versichere ihnen, dass wir nicht die Absicht haben, die sie dem Professor unterstellen. Ich werde ihnen von Ereignissen berichten, die sie für ausgeschlossen halten werden. Die ein Wissenschaftler ihrer Reputation in Zweifel ziehen oder sofort ablehnen muss. Alles andere würde mich dazu veranlassen, ernsthaft an ihrer Qualifikation zu zweifeln. Gleichwohl entspricht jedes Wort den Tatsachen. Worum es sich hier handelt, ist zu bedeutungsvoll, als dass ich es dazu benutzen würde, einem angesehenen Physiker irgendwelche Märchen zu erzählen.«

Valkenburg hatte sich beruhigt. Er erwiderte: »Ich fasse zunächst zusammen. Ihr Name ist Stefanus. Sie behaupten, seit über hundert Jahren in einem Kloster zu leben. Ohne ein Ordensbruder zu sein. Sie werden es mir nachsehen, dass ich überaus argwöhnisch bin und Fragen habe. Wie alt sind sie? Weshalb haben sie in einem Orden gelebt, wenn sie kein Mönch sind? Wie stehen sie mit den gefallenen Engeln in Verbindung? Sie verstehen sicher auch, dass ich sie ein Stück weit kennenlernen möchte, bevor ich mir eure Geschichte anhöre?«

»Selbstverständlich, Herr Dr. Valkenburg«, stimmte Stefanus zu, »ich würde dasselbe von Ihnen verlangen.«

»Klartext, bitte!«