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Das Ereignis ist eine Erzählung von Rainer Maria Rilke. In dieser Ausgabe zusammen mit Der Sterbetag. Auszug: Man saß beim Tee bei Frau von S ... - Auf dem blendend weißen Tischtuche stand der mächtige russische "Samovar" und begleitete mit melodischem Summen die Gespräche. Die Ereignisse des Tages waren nach allen Seiten gewendet und gedreht worden, die Kunstausstellungen und Theater boten keinen allzureichen Stoff im Frühherbst. Es drohte eine jener Pausen einzutreten, welche wie dicke Luft alle bedrückt und ängstigt, und in welche dann die Kaffeelöffel und Tassen laut und gellend hineinklingen.
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Seitenzahl: 14
Veröffentlichungsjahr: 2022
Man saß beim Tee bei Frau von S . . . – Auf dem blendend weißen Tischtuche stand der mächtige russische ›Samovar‹ und begleitete mit melodischem Summen die Gespräche. Die Ereignisse des Tages waren nach allen Seiten gewendet und gedreht worden, die Kunstausstellungen und Theater boten keinen allzureichen Stoff im Frühherbst. Es drohte eine jener Pausen einzutreten, welche wie dicke Luft alle bedrückt und ängstigt, und in welche dann die Kaffeelöffel und Tassen laut und gellend hineinklingen.
Aber die Hausfrau empfand die Gefahr. Frau von S . . ., eine noch junge, rotblonde Witwe, machte den Vorschlag, jeder sollte die interessantesten Begebenheiten seines Lebens erzählen. Beifall.
Ein junger Mann, von des Zufalls und weiland seines Papas Gnaden Baron, – begann. –
Er näselte ein paar Abenteuer, mühsam und von dem Lachen über die Fürtrefflichkeit seines eigenen Witzes immer wieder unterbrochen, hervor; Abenteuer, deren Szenerie immer ›Bretter‹ oder ›Brettchen‹ von der Bedeutung der Welt, deren Hauptpersonen jene Damen mit den kurzen Röcken und dem kurzen Verstand, mit leichten Füßen und noch viel leichterem Herzen waren. – Mehrere Male war die Dame vom Hause gezwungen zu hüsteln, wenn der glattrasierte, blinzelnde Freiherr sich allzu eingehender Detailmalerei befleißte. Dann kniff er wie beschämt seine farblosen Augen zusammen und errötete bis an die spärlichen mattblonden Haupthaare.
Endlich hatte er geendet. – Er meckerte in seiner Weise ein Lachen vor sich hin. Die Herren lachten mehr oder weniger herzlich mit, die Damen hatten die Teetassen an den Lippen, so daß man ihre Mienen nicht gut betrachten konnte.
Hierauf polterte ein Major ein paar Erinnerungen wach, sprach, lachte, fluchte und kommandierte in einem fort, ohne Rast, daß es klang wie Kleingewehrschnellfeuer . . .
Und dann Der und Jener.
Einer wußte auch von Ägypten zu erzählen. Lebendig schilderte er die Wüstenreise mit ihren Schrecken und Fährlichkeiten.