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Tommy hat zwar keine magischen Zauberkräfte wie Harry Potter. Trotzdem erlebt er Unglaubliches, dank einer ganz neuen Erfindung seines Vaters: Dies ist ein Zeitfernglas, mit dem man in die Vergangenheit blicken kann. Tommy erhält ein Probeexemplar zum Testen. Dabei entriegelt er in der Not eine Funktion, die es ihm ermöglicht, sich zeitweise leibhaftig in frühere Zeiten zu versetzen. Bei seinen Ausflügen in die Zeit vor Tausenden von Jahren rettet Tommy den Jungen Tschuko aus drohender Lebensgefahr. Beide werden Freunde, erobern die Höhle eines Höhlenbären und hecken allerlei lustige Streiche aus. Gelingt es ihnen auch, Wölfi, den niedlichen Welpen, zu retten? Der soll nämlich beim Fest der Wintersonnwende in der Urzeit-Sternwarte dem Gott Habaku der Finsternis geopfert werden. Tommy erlebt nicht nur spannende Abenteuer, er erfährt auch, wie die Menschen der Steinzeit lebten und die ältesten Sternwarten der Menschheit funktionierten. Und er gibt den Anstoß zur Rettung der Reste einer solchen Anlage.
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Seitenzahl: 195
Veröffentlichungsjahr: 2019
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Verpasste Ferien, aber
Drei Schweigeprüfungen
Das fantastische Zeitfernglas
Wie Tommy Tschuko entdeckt und dieser in Lebensgefahr gerät
Tschuko in Not - kann Tommy ihn retten?
Schelte zu Hause
Zuflucht - ausgerechnet in der Bärenhöhle?
Gedanken über den Mond
Rätselhafte Geschichten und Irkids Tanz
Handy in der Steinzeit?
Ein Wettkampf mit List und Tücke
Friedensschluss und Wölfi's erste Rettung
Die erstaunliche Sternwarte
Tommys Weihnachtswunsch
Das große Winterfest und sein unerwarteter Ausgang
Aufregungen vor Weihnachten
Anhang Wissenswertes
WISSENSWERTES 1
Büffel, Bären, Mammuts und andere Tiere der Steinzeit
WISSENSWERTES 2
Wie aus Gräsern Getreide wurde, und welche weiteren Pflanzen man damals schon anbaute
WISSENSWERTES 3
Wie man in der Steinzeit oder beim Überlebenstraining Feuer macht
WISSENSWERTES 4
Monate, Mondjahr und Sonnenjahr und warum schon in der Steinzeit Sternwarten nützlich waren
WISSENSWERTES 5
Vollmond, Halbmond, Neumond
Kennst du Tommy? Ich meine den Tommy dieser Geschichte. Den kennst du bestimmt noch nicht. Und schon gar nicht kennst du Tschuko, seinen außergewöhnlichen Freund aus Ur-Ur-Zeiten, der wie ein Eichhörnchen klettern kann.
Tommy ist ein ganz gewöhnlicher Junge aus einer ganz gewöhnlichen Stadt. Aber auch ganz gewöhnliche Jungen können einmal etwas völlig Außergewöhnliches erleben. Unsere Geschichte handelt auch von Tschuko aus der Urzeitsiedlung. Das ist ebenfalls ein Junge, und die Leute aus seinem Dorf halten ihn auch nicht für ungewöhnlich, abgesehen davon, dass er flink und gewandt wie kein anderer klettern kann. Dass Tommy und Tschuko Freunde wurden, ist aber etwas ganz und gar Außergewöhnliches, ja fast Unglaubliches, und davon handelt dieses Buch.
Tommy war sehr krank gewesen, und das ausgerechnet in den großen Schulferien. Nicht einmal in den Urlaub konnten er und seine Eltern verreisen. Tommys Vater versprach ihm zum Ausgleich für den entgangenen Urlaub ein Geschenk, eine neue Erfindung seines Vaters und seiner Kollegen in der Elektronikfabrik, in der sein Vater tätig war. Und mit dieser Erfindung könne Tommy noch viel interessantere und spannendere Abenteuer erleben als irgendwo im Urlaub auf der Welt. Tommys Vater verlangte aber von Tommy erst einmal, dass er drei Schweigeprüfungen bestehen müsse, bevor er in Vaters Geheimnis eingeweiht werden würde.
"He, Tommy, räum mal endlich deine Legos und tausend Spielsachen aus dem Flur", schimpfte Tina, Tommys ältere Schwester, "dauernd stolpert man über dein Gerümpel, wenn man ins Bad will.“
"Tu ich, gnädiges Fräulein, wenn DU es sagst", erwiderte Tommy – er betonte das DU. "Und deine Inline-Skates und deinen Puppenkram, der da auch im Flur herum liegt, werfe ich gleich in den Mülleimer", wollte Tommy fortfahren, aber er verkniff sich das. Schließlich hatte er seinem Vater versprochen, drei Tage lang nicht mit Tina zu zanken und seinen Mund auch dann zu halten, wenn es ganz, ganz schwer fällt. Tina war ja, zugegeben, manchmal ganz nett, spielte mit ihm oder nahm ihn mit ins Schwimmbad. Aber manchmal konnte Tina auch unausstehlich sein, so wie jetzt.
Momentan war Tina aber doch ziemlich erstaunt, Tommy nicht in ein aufregendes Gezänk verwickeln zu können. Finster war Tommys Ausdruck schon, aber kein Wort kam über seine Lippen. Tommys ungewöhnliche momentane Schweigsamkeit war Teil einer wichtigen Prüfung.
Prüfungen? Prüfungen in der Schule? Tommy ging in die vierte Klasse der Grundschule. Da hat man ja Lesen und Schreiben gelernt, aber so richtige Prüfungen macht man, gottlob, noch nicht, schon gar nicht zu Hause. Nein, es geht nicht um Schulprüfungen mit Schreiben, Lesen, Mathe oder Englischdiktat. Es waren Prüfungen, die sein Vater ihm auferlegt hatte und die Tommy bestehen musste, bevor sein Vater ihn in sein großes Geheimnis einweihen wollte. Sein Vater wollte herausfinden, ob Tommy auch schweigen und ein Geheimnis ganz für sich behalten kann.
Erste Prüfung:
Verrate deinen Freunden und den Jungen von der Nachbarschaft niemals, wo das Nest des Eichhörnchens zu finden ist.
Das war nämlich in Omas und Opas Garten, ein paar Straßen weiter entfernt. Der Garten war groß, fast wie ein Wald. Er stand voller Büsche und hoher Bäume: Fichten, Kiefern, Ebereschen, ein großer Nussbaum, zwei Apfelbäumchen und noch manche Bäume mehr, die Tommy noch nicht so genau kannte. Tommy selbst hatte schon die Eichhörnchen gesehen. Es waren zwei, eines mit feuerrotem Fell, das andere mit braunem Kleid, und beide mit langem, buschigem Schwanz. Sie flitzten die Bäume stammauf, stamm-ab, sprangen mit gestrecktem Schwanz von Ast zu Ast, von Baum zu Baum, erfassten mit ihren Vorderpfoten blitzschnell sogar ganz dünne Äste und stürzten niemals ab. Ab und zu verweilte eines im Geäst und knabberte an einer Nuss (die Opa in Ritzen der Baumrinde gesteckt hatte), oder machten einen Besuch im Vogelhäuschen. Die Meisen gönnten den Eichhörnchen die paar geklauten Erdnüsse und Sonnenblumenkerne; denn Opa sorgte stets für Nachschub. Oft sah man auch, wie sie Nüsse in der Erde unter Büschen vergruben. So legen sich nämlich Eichhörnchen einen Vorrat für den Winter an. Allerdings entdecken manchmal auch die Mäuse ein Versteck und klauen dann das Futter.
Die Eichhörnchen hatten oben im Astwerk der Fichte ihr Nest gebaut. Besser gesagt, eine Hütte. Jäger sagen Kobel dazu. Mit Zweigen hatten sie eine kugelförmige Behausung zusammen-geflochten, größer als ein Fußball. Die Kugelhütte hatte zwei Öffnungen, eine unten seitlich zum Hineinschlüpfen und eine kleinere als Notausgang nahe am Baumstamm, durch die sie fliehen konnten, falls mal ein Baummarder ihnen nachstellen sollte. Die Hütte war mit trockenem Moos, Laub und Vogelfedern ausgepolstert. Jetzt im Herbst, da die Tage kälter wurden, bastelten die beiden Eichhörnchen eine Tür vor den Haupteingang, verkrochen sich immer öfter für lange Zeit in ihrem Baumhaus, deckten sich mit ihrem Schwanz zu und schliefen eng zusammengerollt. Jeden Morgen jedoch krochen sie für eine Stunde aus ihrem Nest, um Morgensport zu treiben und sich ein Frühstück zu suchen. Es konnten auch mal zwei Stunden sein, wenn ein warmer Sonnenstrahl sie verlockte, sich längere Zeit draußen sehen zu lassen und Nüsse, die sie selbst oder Opa versteckt hatten, zu suchen oder an Maiskolben zu knabbern.
Warum wohl Tommys Vater ihn ermahnt hatte, das Nest nie zu verraten? Nun, er kannte die Schlingel aus der Nachbarschaft. Vom alten Holzzaun um den Garten waren nur noch morsche Reste übrig. Durch die Lücken konnte leicht ein Kind schlüpfen, und so mancher Junge und manches Mädchen gelangte auch hin und wieder durch den Zaun in den Garten. Bloß um herauszufinden, ob auch wirklich Eichhörnchen in dem kugeligen Asthaufen sind, hätte vielleicht der eine oder andere Junge Stöcke und Steine den Baum hoch geworfen, wie es manche auch taten, wenn sie Walnüsse vom Nussbaum herunterschießen wollten. Vielleicht hätte Lars, der Nachbarsjunge, sogar mit dem Flitzebogen Pfeile nach oben geschossen. Lars war meistens ein guter Kumpel, aber einer, der fast immer macht, was er will – und leider ein guter Schütze.
Die Aufgabe, den Ort des Nestes nicht zu verraten, war für Tommy ein Leichtes, weil Vater ihm erklärt hatte, warum er schweigen solle; eben, um die Eichhörnchen vor rücksichtslosen Jungen zu schützen. Tommy gab das Versprechen, das Versteck der Eichhörnchen über den ganzen Herbst und Winter hinweg bestimmt nie zu verraten. So war es auch; Tommy hielt Wort. Nie wurde von Oma oder Opa berichtet, dass irgendwer die Eichhörnchen gestört hätte.
Zweite Prüfung:
Verrate nie den verborgenen Schatz im Bach
Die zweite Prüfung war der ersten ähnlich. Manchmal machte Tommy mit seinem Mountainbike einen Ausflug in die Wälder in der Umgebung der Stadt. Sein Vater, seltener auch Tina und seine Mutter oder ein Freund, begleiteten ihn. Heute war es allein Papa, der mit ihm hinaus geradelt war und deshalb sollte es auch ein bisschen abenteuerlich werden. Ziel war die Gegend, wo der Jugendzeltplatz gewesen war. Im Wald gab es eine Schlucht, nicht gleich 1000 Meter tief wie der Grand Canyon in Amerika, den Tommy mal im Fernsehen gesehen hatte, aber doch ganz schön tief. Wäre ein großes Haus mit drei Stockwerken in der Schlucht gestanden, hätte nur das Dach oben herausgeschaut. Durch die Schlucht floss ein Bach, der ein paar Kilometer weiter in den Fluss mündete. Nahe am Eingang zur Schlucht ragte drüben überm Bach eine hohe Felswand empor und in der Felswand gab es eine Felsenhöhle. Zu Tommys Leidwesen hatte jemand ein Tor mit zwei Türflügeln anbringen lassen, das nun verschlossen war. Schade, Tommy hätte gern in die Höhle geschaut. "Ob da ein Höhlenbär drin gehaust hat?", fragte er seinen Vater.
"Vielleicht, Tommy, Höhlenbären gab es vor vielen tausend Jahren; heute aber gibt es nur noch Knochen von ihnen im Museum.“
Tommy und sein Vater lehnten ihre Fahrräder an einen Baumstamm, schlossen sie ab, versteckten ihre Fahrradhelme im Gebüsch und gingen zu Fuß auf einem Pfad weiter in die Schlucht. Das klare Wasser des Baches plätscherte über Steine; manchmal gab es einen kleinen Wasserfall; manchmal staute sich das Wasser zu einem kleinen Tümpel auf. Es war zwar schon Herbst und das Wasser ziemlich frisch - ehrlich gesagt, es war recht kalt. Trotzdem zog Tommy die Schuhe aus und watete vorsichtig über die glitschigen Steine.
Tommys Vater kam hinzu und sagte: "Mal sehen, ob da nicht Krebse leben?" Er bückte sich und hob vorsichtig große, aber locker liegende Steine hoch.
Und siehe, unter dem fünften Stein fanden sie in einer Mulde einen Flusskrebs. Drohend hob er seine großen, zangenförmigen Scheren. Tommy erschrak schon ein bisschen.
"Kann der Krebs nicht zubeißen? In den Finger oder den Fuß zwicken?", fragte er zur Vorsicht.
"Ja", sagte sein Vater, "das kann er wohl. Wir wollen ihn auch nicht weiter stören", und so legte Vater ganz vorsichtig den Stein wieder an seinen Platz.
Dann fanden sie sogar noch etwas viel Selteneres: Muscheln. Du denkst Muscheln seien doch nichts Besonderes. Mancher hat schon am Strand Muschelschalen gesammelt, oder im Fischgeschäft ganze Muscheln gesehen. Aber in einem Bach?
"Pst, das sind ja Flussperlmuscheln", sagte der Vater. "Von den meisten sind leider nur noch die Schalen übrig geblieben; denn wenn sie noch leben würden, würden sie rasch ihre zwei Schalen zusammenklappen und sich darin verstecken."
Nur zwei Muscheln hatten ihre Schalen rasch geschlossen, als der Schatten der zwei neugierigen Menschen auf sie gefallen war. Tommys Vater erklärte weiter:
"Wenn man die Schalen von Muscheln, die noch leben, vorsichtig öffnet und man viel Glück hat, kann es sein, dass eine Perle herausfällt. Und solche Perlen sind echt wertvoll. Jede Muschel mit einer Perle drin ist eine kleine Schatztruhe, die man erst einmal finden muss und die man nicht mit roher Gewalt öffnen darf, sonst geht die Muschel zugrunde und bald gäbe es überhaupt keine Perlmuscheln mehr."
Tommys Vater erzählte weiter: "Früher, als es noch viele Perlmuscheln gab, schickte der Ritter vom Falkenstein jedes Jahr seine Jäger und Knechte aus, um Perlen zu sammeln. So konnte der Ritter seiner Prinzessin jedes Jahr zu ihrem Geburtstag eine wertvolle Perlenkette schenken. Leider gingen die Männer vom Falkenstein und wildernde andere Leute so brutal mit den Muscheln um, dass nur wenige überlebten.
Außerdem gibt es fast keine Bachforellen mehr. Die jungen Muschelkinder aber brauchen Forellen, an denen sie sich festklammern können. Wenn nämlich nach der Schneeschmelze im Winter oder nach langem Regen der Bach anschwillt, würden die reißenden Fluten die kleinen Muschelkinder fortschwemmen und mit Sand und Geröll zuschütten. Forellen aber können auch gegen reißende Fluten schwimmen und notfalls in Unterwasserhöhlen am steilen Bachufer oder unter großen Steinen Schutz suchen. Die Muschelkinder klammern sich an den Kiemen der Fische fest, bis sie groß genug sind, um sich selbst zwischen Steine einklemmen zu können."
"Klar, Tommy, Hand aufs Herz, dass es hier Flusskrebse gibt und sogar Perlmuscheln, verraten wir niemandem."
"Klar", sagte Tommy, "Hand aufs Herz", und er hielt bis heute sein Wort.
Dritte Prüfung:
Leicht gesagt, schwer getan
Die dritte Prüfung schien kinderleicht zu sein, so dachte Tommy, und versprach ohne Zögern, die Prüfung mit links zu erledigen: Drei Tage lang sich so zu benehmen, wie es seine Mutter wünscht: morgens frisch und rechtzeitig aus dem Bett, nicht mit Tina zanken, wer zuerst ins Bad darf, Frühstücken und die Schultasche packen, ohne zu trödeln, in der Schule immer – na ja, fast immer – aufpassen, nicht mit den Schulkameraden raufen oder ihnen mit der Wasserpistole einen Wasserstrahl ins Genick schießen, nachmittags zügig die Hausaufgaben machen, sich nicht von Tina ärgern lassen, und was so alles Mütter von ihren Kindern wünschen. Nicht einmal den Kinderkanal im Fernsehen sollte er an diesen drei Tagen einschalten. Vor allem aber, das musste er seinem Vater versprechen, durfte Tommy in dieser Zeit kein einziges Mal etwas behaupten, das gar nicht stimmt. Er sollte nicht flunkern und prahlen, schon zweimal Max im Ringkampf bezwungen zu haben, und nicht sagen, er habe neulich beim Fußball vier Tore geschossen, obwohl es nur eins war, und nicht behaupten, er könne schon ganz allein mit der Fernsteuerung ein Modellflugzeug fliegen lassen. Na ja, versprochen war das alles leicht, doch ganz schwer, das drei Tage lang durchzuhalten. So ganz perfekt hat Tommy die Prüfung auch gar nicht bestanden. Die Legos und Playmobilmännchen lagen eben doch auf dem Flur herum, wie wir schon hörten. Doch Vater war nicht so arg streng und bis er abends nach Hause kam, waren die Legos und Playmobils auch fein säuberlich versorgt. Die Hauptsache war, dass Tommy das Wichtigste eingehalten hatte: Er hat seinen Mund gehalten, wenn ihn jemand ärgerte, und nicht geflunkert und mit tollen Leistungen geprahlt.
An einem Sonntag war es soweit; Tommy durfte mit seinem Vater in die Elektronikfabrik fahren, von der die Leute tuschelten, dort sei Geheimnisvolles im Gang. Dort sollte er sein ungewöhnliches Geschenk erhalten. Sein Vater riet ihm, seinen Schulrucksack mitzunehmen, natürlich leer, damit das Geschenk auch Platz haben sollte.
Die Fabrik war geschlossen, wie dies an Sonntagen immer der Fall war. Aber Tommys Vater war schließlich Leiter der Forschungsabteilung und hatte Schlüssel zum Haupttor und zu den Laboratorien seiner Abteilung. Manchmal musste er auch an Sonntagen nach dem Rechten sehen und Apparate kontrollieren.
Um die Fabrik war ein hoher Zaun aus starken Metallstäben, die oben wie Speere eine scharfe Spitze trugen. Dort wo die Straße auf den Zaun zulief, war ein großes Schiebetor. Neben dem Tor befand sich ein Häuschen mit einem Schiebefenster, hinter dem gewöhnlich ein Pförtner saß. Heute am Sonntag saß da niemand. An Werktagen hätte der Pförtner mit finsterem Blick gefragt, was der kleine Junge hier soll. Niemand durfte ohne einen speziellen Ausweis mit seinem Passfoto drauf oder einer Extraerlaubnis an der Pforte vorbei in die Fabrik gehen, nicht einmal der Sohn eines Abteilungsleiters oder die Tochter des Direktors.
Tommys Vater schloss das Tor auf. Sie gingen zur großen Eingangstür des Fabrikgebäudes. Vater schloss auf. In der Eingangshalle sah Tommy eine Tür ohne Türschnalle und links neben der Tür an der Wand Knöpfe mit Zahlen drauf.
"Da geht's bestimmt in den Fahrstuhl", dachte Tommy So war es auch. Vater drückte auf einen beleuchteten Knopf mit einem Pfeil drauf, der nach oben zeigte. Die Tür öffnete sich und sie betraten den Fahrstuhl. Tommys Vater drückte auf den Knopf für den 4. Stock. Als sie ausstiegen, kamen sie in einen langen Gang, der Tommy an die Gänge seiner Schule erinnerte. Aber der Gang hier war ganz sauber und die Wände nicht mit lauter schrägen Buchstaben und Fratzen und anderen Graffitis 'verziert'.
In Papas Labor sah es aus wie in einer Elektronikwerkstatt, in der man Fernseher und Handys und all so was repariert. Überall standen Computer auf den Tischen. Viele Geräte waren offen und man sah dünne, flache Kabel, die eine Fülle von Krimskrams miteinander verbanden. In der Mitte des Raumes gab es noch etwas Sonderbares: ein Gewirr von dreieckigen Metallschienen und runden Stäben. Auf den Schienen waren kleine Spiegel aufmontiert und Stäbe, die wie Kugelschreiber aussahen, aber auf ihrer Spitze einen glitzernden Kristall trugen. Drum herum stand allerlei Zeugs, das sehr technisch aussah, als hätte jemand alle Teile eines großen Elektronik-Baukastens ausgeräumt und zusammen montiert. Das Ganze war umgeben von einem Glaskasten. An dem war ein Schild angebracht:
Vorsicht!
Hochfrequenzlaser
Zeitmessung,
Zeitverkürzung
Das Innere des Glaskastens war erfüllt von einem feinen Nebel, durch den rote, grüne und blaue Lichtstrahlen drangen. An den Kristallen änderten die Strahlen ihre Richtung. Aufeinander-gestapelte Kästen mit vielen Knöpfen, Steckbuchsen und rot blinkenden Zahlen standen hinter dem Glaskasten. Sie waren mit Kabeln mit Computern verbunden. Tommy konnte gar nicht nachdenken, was das technische Zeug sein könnte; denn ein Schauspiel fesselte seine Aufmerksamkeit: Plötzlich begannen die Lichtstrahlen zu flackern. Bündel von Blitzen schossen aus dunklen Röhren und verschwanden in anderen dunklen Röhren.
"Die geraden, bunten Strahlen sind Laserstrahlen, Tommy", sagte sein Vater; und weil Laser ein englisches Wort ist, sagte er "Lejser." Tommy kannte das Wort aus einem Comic, aber das hier sah ganz anders aus als die Laserkanone, mit der der Held und seine Gegner im Comickampf herumgeschossen hatten.
"Wozu ist das gut?", wollte Tommy wissen.
"Hier messen wir Zeit, wie lange ganz kurze Augenblicke dauern, Augenblicke, die eine Million mal kürzer sind, als wenn du ganz schnell "topp" sagst. Aber wir können auch bis auf eine hundertstel Sekunde genau 100 Millionen Jahre messen. Wir brauchen dieses Zeitmessgerät, damit wir unser neuestes Geheimgerät weiter entwickeln können - keine Geheimwaffe, wie du vielleicht denkst, und auch keinen Satelliten. Der ist schon seit einigen Wochen fertig und umkreist im Weltraum unsere Erde. Jetzt entwickeln wir etwas ganz Neues, das es noch nie gegeben hat und viel aufregender ist und das nicht bloß Energie verbraucht, sondern Energie einsammelt - wie grüne Pflanzenblätter und Solarzellen.“
"Und was ist das für ein Gerät, was macht man damit?", wollte Tommy wissen.
"Dort im Tresor ist es.“ Vater ging zu einer Metalltür an der Wand. Daneben war eine Klappe. Die öffnete sein Vater, und Tommy sah ein Tippfeld ähnlich wie beim Geldautomaten an der Bank, bei der seine Mutter manchmal Geld holte. Tommys Vater tippte, ohne dass Tommy zusehen konnte, auf den Tippfeldern eine lange Reihe von Zahlen und Buchstaben ein. Dann öffnete er die Tür des Tresors und holte ein Gerät heraus. Es sah einem Fernglas ähnlich, hatte aber einen Kasten um die Gucklöcher herum und einen Griff ähnlich dem Griff einer Pistole. Vorne waren zwei große, runde, gewölbte Glasfenster und hinten zwei kleine. Es waren Linsengläser. An dem Kasten war eine Kurbel angebracht und oben war ein Umschalthebel zu sehen.
Und Tommy bemerkte kleine Antennen und einen Minilautsprecher wie bei einem Handy. Tommy war ein bisschen enttäuscht, dass ihm Vater nur ein besonderes Fernglas zeigen wollte und nicht ein neu entwickeltes 3D-Smartphone oder einen Satelliten, war aber doch neugierig.
"Das ist eines von drei Prototypen unserer neuen Erfindung, die wir erst in den letzten Monaten gebaut haben " sagte der Vater.
"Prototypen, Papa, was sind das?"
"Das sind die allerersten Geräte ihrer Art, die man baut, um sie zu testen, bevor man neu erfundene Geräte in ein Raumschiff oder einen Satelliten einbaut, oder in größerer Zahl zum Verkaufen herstellt."
Tommys Vater legte das Instrument beiseite, ging zu einem Schrank, holte ein ganz gewöhnliches Fernglas heraus.
"Bevor ich dir das Besondere an diesem Spezialfernglas erkläre, nimm doch mal dieses gewöhnliche Fernglas in die Hand", sagte sein Vater und reichte es ihm. Sie gingen zur Wand gegenüber der Tür, durch die sie gekommen waren.
"Schau mal durch, hier durch die zwei kleinen Gucklöcher, und suche die Türklinke, wie ich es gerade mache.“ Tommys Vater machte es vor und drehte dabei an einem Rädchen in der Mitte des Fernglases, bis die Türklinke scharf zu sehen war. Dann hielt Tommy das Fernglas vor seine Augen und bald hatte er die Türklinke im Blick.
"Siehst du die Klinke?"
"Ja, jetzt sehe ich sie, ganz nah.“
"So, nun drehe das Fernglas um, schau durch die großen Gläser und suche wieder die Türklinke.“
"Jetzt sehe ich sie ganz klein und weit weg.“
"Siehst du", sagte Tommys Vater, "mit dem Fernglas sieht man Dinge, als wären sie näher als sie in Wirklichkeit sind, oder als wären sie weiter weg, je nachdem, wie herum man durchblickt. Nun denk mal: Wäre es nicht spannend, wenn sich auch die zeitliche Entfernung verlängern oder verkürzen ließe? Beim Verlängern der Zeit würde sich das, was einmal war, noch weiter in die ferne Vergangenheit verschieben; das wäre nicht besonders spannend. Aber mit Verkürzen der Zeit ließe sich Vergangenes näher an die heutige Zeit heranholen, sogar bis in die Gegenwart - das jedenfalls war meine Idee"
"Und jetzt wird es spannend", sagte sein Vater weiter. Er holte aus dem Tresor noch ein breites Stirnband und zog es Tommy über den Kopf und die Ohren.
"Wozu?", wollte Tommy wissen.
"Das ist eine Art Antenne, der deine Augen, deine Gedanken, deine Fantasie und deine Ohren mit einem Sender verbindet, der im Fernglas drin steckt.“
Nun reichte er Tommy das Spezialfernglas. "Wenn du die Türklinke wieder siehst, drehe langsam an dieser Kurbel, doch bloß einen Tick über die 1 hinaus.“
Als Tommy die Klinke im Blick hatte, begann er langsam an der Kurbel zu drehen. Und was sah er? Die Klinke ging herunter, ohne dass eine Hand zu sehen war (denn die war auf der anderen Seite der Tür), die Tür öffnete sich und herein kamen .Tommys Vater....und dahinter....Tommy selbst. Dann verschwanden sie irgendwo im Zimmer.
"Was war denn das?" fragte Tommy, erschrocken und erstaunt.
Sein Vater erwiderte: "Das waren wir selbst, als wir vorhin hereinkamen."
"Also ist das wohl eine Videokamera?" meinte Tommy.
"Nein Tommy, als wir hereinkamen, lag das Fernrohr doch noch im Tresor hinter einer dicken Metalltür. Wie hätte es uns aufnehmen können? Siehst du, was wir hier in meinem Labor entwickeln, ist ein Zeitfernrohr. Wir bauen ein ganz neu erfundenes Gerät, mit dem wir wirklich in die Vergangenheit sehen können. Und wenn du an der Kurbel zurückdrehst, kommst du auch wieder in die Gegenwart zurück. Leider ist es mir und meinen Ingenieuren hier noch nicht gelungen, über die Gegenwart hinaus in die Zukunft zu sehen. Wir wollten doch zu gerne wissen, was morgen, und was übermorgen, und was in hundert Jahren passiert.
Mit unserem Fernglas kannst du aber jederzeit jeden beliebigen Ort aussuchen und schauen, was dort in der Vergangenheit alles passiert ist. Je weiter du an der Kurbel drehst, desto weiter kannst du in die Vergangenheit zurückblicken.“
"Auch in die Zeit der Dinosaurier?", wollte Tommy wissen.
" Nein, so weit noch nicht; das schafft das Gerät bis jetzt noch nicht. Wäre auch zu gefährlich, wenn man plötzlich vor einem Tyrannosaurus rex stünde oder am Krater eines feuerspuckenden Vulkans. Es reicht aber schon 12 000 Jahre zurück, sagte sein Vater.
"Weitere fantastische Eigenschaften unserer Erfindung erkläre ich dir später. Man sollte das neue Superfernrohr jetzt schon ausgiebig testen, auch wenn wir noch nicht 1 Million Jahre zurück oder in die Zukunft sehen können.“
"Darf ich es auch testen?" fragte Tommy erwartungsvoll, während er mit offenen Augen das Fernglas studierte und am liebsten gleich die Kurbel ausprobiert hätte.
"Ja, Tommy, das ist dein Geschenk: Du gehörst zu den ganz wenigen Personen, die das Gerät testen dürfen. Um es noch genauer zu sagen: Außer dem Erfinder bist du vorerst der Einzige, der es testen darf.“
"Und wer ist der Erfinder?"
"Natürlich ich", sagte sein Vater, und es klang schon etwas Stolz in seiner Stimme. "Wir zwei sind von jetzt ab ein verschworener Geheimbund. Doch musst du mir hoch und heilig drei Versprechen geben.“
"Und welche?", wollte Tommy gleich wissen.
"Bevor ich dir die Versprechen abnehme, muss ich aber erst etwas am Zeitfernrohr einstellen. Weißt du, es wäre gar nicht erlaubt, in die Vergangenheit von Personen, die jetzt noch leben, hineinzuschauen. Wir wollen doch nicht Leute ausspionieren; das wäre ungesetzlich. Wir dürfen nur sehen, was vor hundert Jahren und früher passierte.“