Das Geheimnis der blauen Steine - Markus W. Tauderer - E-Book

Das Geheimnis der blauen Steine E-Book

Markus W. Tauderer

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Beschreibung

Minac, ein Schildknappe, und sein Herr, Ritter Filliac, sind zu Besuch auf der Burg eines alten Bekannten. Der Aufenthalt auf der Regenbogenburg ist eigentlich nur ein Anstandsbesuch in einem benachbarten Königreich, um alte Beziehungen aufrechtzuerhalten. Minac und ein befreundeter Knappe genießen die Zeit auf der Burg, doch plötzlich tauchen fremde Ritter mit fragwürdigen Motiven auf. Wem dienen diese Männer? Was führen sie im Schilde? Und was ist dieses Geheimnis der blauen Steine? Minac wird, ohne es zu wollen, in sein erstes großes Abenteuer geworfen und muss sich vielen Gefahren stellen. Fremde Burgen, unwirtliche Wälder, geheimnisvolle Höhlen, Ritter, Könige und vieles anderes erwarten den jungen Schildknappen in dieser fiktiven Geschichte.

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Seitenzahl: 509

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Das Geheimnis der blauen Steine

 

Markus W. Tauderer

 

Das Geheimnis der blauen Steine

 

Abenteuer-Roman

 

Das Buch:

Dieser Roman spielt in einer fiktiven, vage mittelalterlichen, Welt. Er erzählt vom ersten Abenteuer des Schildknappen Minac, der sich durch eine Geschichte aus Wäldern, Burgen und Rittern bewegt. Die Sprache ist vereinfacht dargestellt und Gewalt ist reduziert, daher ist der Roman für ein jüngeres Publikum geeignet.

 

Der Autor:

Markus Tauderer lebt und schreibt in Österreich und tauchte schon als Kind gern in verwunschene Wälder, fremde Welten und steinerne Ruinen ein. Das Geheimnis der blauen Steine ist der erste Roman des Autors. Sollte ihnen das Buch in irgendeiner Weise zusagen, würde ich mich über eine positive Bewertung sehr freuen.

 

Impressum

Texte und Bildgestaltung:

© Copyright by Markus W. Tauderer 2024

 

Verlag:

Selbstverlag

Markus W. Tauderer

Salzburg

divzero.at/dread

 

Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

 

Landkarte

Prolog

 

Die Sonne brannte vom Himmel herab. Eine leichte Brise machte die Hitze erträglich. Der Wind kam vom nahen Fluss heran und umspielte sanft Pferde sowie Reiter. Das Wasser des kleinen Baches plätscherte gemächlich dahin und zog fröhliche Kurven. Von den nahen Bäumen des Waldrandes hörte man die Geräusche der Tier- und Insektenwelt. Vögel und Grillen aller Arten zwitscherten und zirpten in den sonnigen Tag hinein. In der Ferne ragten gewaltige Berge in den Himmel und verbanden sich zu einer mächtigen Bergkette. Die dichten Mischwälder bahnten sich ihren Weg von hoch oben bis weit hinunter in die Täler. Die Straße selbst war nicht mehr als ein bereits überwucherter Trampelpfad, doch die Pferde hatten keinerlei Mühe damit. Das rhythmische Klappern der Hufe passte sich nahtlos in die Szenerie. Zwischendurch mischte sich jedoch immer wieder ein störendes Geräusch in die Idylle. Es klang wie wenn etwas Metallisches auf Glas schlug. Immer wieder und wieder, ein stetes Klack, Klack, Klack. Irgendwann ertönte eine ruhige aber genervte Stimme:

                »Verstaue die Sachen besser.«

                Eine aufdringliche, aggressive Stimme antwortete:

                »Sie sind bestens verstaut!«

                Die erste Stimme seufzte laut und beide schwiegen wieder. Bei jedem Wippen der Pferde hörte man das klackende Geräusch. Nach einiger Zeit jedoch verschwand das Geräusch dann. Es schien, als hätte sich irgendetwas in der Tasche verschoben, sodass die besagten Gegenstände nicht mehr aneinanderstießen.

                »Sag ich doch«, grummelte die zweite Stimme trotzig.

Die Antwort darauf war lediglich ein entnervtes Seufzen und so zogen Tiere und Reiter weiter durch die friedliche Landschaft. Stets begleitet vom angestrengten Zirpen der Grillen, dem bunten Pfeifen der Vögel und dem sanften Rauschen des Flusses.

I Auf der Regenbogenburg

 

Minac und Jarrac

 

Minac atmete tief ein und schnell wieder aus. Er sah den Hieb rechtzeitig von links kommen und blockierte geschickt mit seinem Schild. Angespannt wehrte er den Angriff erfolgreich ab und stieß die Waffe seines Kontrahenten hinfort. Sein Gegenüber trug, ebenso wie er selbst, einen geschlossenen Eisenhelm, einen dicken, wattierten Waffenrock, sowie Schild und Schwert.

                Ohne Nachzudenken griff er nun selbst an, senkte das kleine Rundschild leicht und versetzte dem Gegner einen Schwinger mit der Waffe. Dieser konterte den Angriff mit dem eigenen Schild und preschte vorwärts. Minac hatte mit diesem Manöver gerechnet und wich geschickt zur Seite aus. Staub wirbelte vom trockenen Boden auf und schränkte die, durch den Helm ohnehin schlechte, Sicht weiter ein. Die Sonne brannte vom Firmament herab und heizte zusätzlich zum Kampf seinen Körper auf. Er schwitzte und keuchte bereits stark. Minac atmete so wie er es gelernt hatte; tief und möglichst ruhig. Als nächstes probierte er eine Finte, um den Gegner aus der Reserve zu locken. Vielleicht konnte er ihn zu einem Fehler bewegen. So täuschte er einen Angriff von rechts vor, entblößte jedoch dann seine Schildseite und stieß stattdessen von links zu. Für einen Moment sah es so aus, als würde der Plan aufgehen, doch sein Kontrahent musste diesen Zug vorhergesehen zu haben. Die Klinge seines Gegners sauste heran, parierte sein eigenes Schwert und krachte durch seine Abwehr durch. Die Wucht des Stoßes raubte ihm den Atem und er ging keuchend und überrascht zu Boden. Hustend riss er sich den Helm herunter und blickte nach oben zu seinem Widersacher und dessen hölzerner Schwertspitze, die nur eine Handbreit vor seinem Gesicht schwebte.

                »Du hast gewonnen, ... ich ergebe mich... aber wie hast du...?«, keuchte Minac seinem Gegenüber zu.

                Dieser nahm ebenso den Helm herunter und das jugendliche, verschwitzte Gesicht eines etwa Sechzehnjährigen grinste ihn breit an. Er hatte blondes Haar, welches ihm bis zur Nase reichte und durch die Nässe im Gesicht klebte. Seine Augen waren von einem sehr dunklen Braun und er trug eine kleine Narbe über der rechten Braue, welche sich waagrecht, einige Fingerbreit, über dem Auge dahinzog. Sein Grinsen war herzhaft und breit. Dies war Jarrac, der Knappe von Ritter Vestiac vom Regenbogenberg.

                »Du hast gut gekämpft, aber der letzte Versuch war zu leicht zu durchschauen. An deiner Beinarbeit musst du auch noch etwas üben, die wirkt verkrampft, aber dein Schwertarm ist schon sehr flink und stark für einen Vierzehnjährigen!«, antwortete Jarrac. Damit reichte er ihm, immer noch schnaufend und leicht grinsend, eine Hand und half ihm hoch.

                Die Kritik war schwer zu ertragen, aber es stimmte und er musste es sich eingestehen, um besser zu werden. Das Kompliment hingegen verschlang er geradezu vor Freude und konnte sich trotz der Schmerzen und Erschöpfung ein Lächeln nicht verkneifen. Als Jarrac den Grinser von ihm sah, packte er ihn mit dem Arm am Kopf und wuselte ihm durchs Haar. Minac konnte nur laut Grummeln, er war zu schwach, um ihn wegzustoßen. Seufzend ertrug er die Geste, als Jarrac ihn auch schon wieder losließ und zu ihm meinte:

                »Nun komm, gehen wir uns erfrischen. Außerdem müssen wir noch die Pferde striegeln. Du weißt ja wie streng mein Herr ist und deinem Herrn wollen wir ebenso keinen Grund zur Kritik geben.«

 

Streng waren sie die alten Herren, das stimmte, aber er wusste nicht so genau wer strenger war, sein eigener Herr, Ritter Filliac vom Rabenfelsen, oder Jarracs Herr, Ritter Vestiac. Ritter Filliac trug den Zunamen »Einauge«, da er nur mehr ein gesundes Auge hatte. Über dem anderen, dem Rechten, trug er stets einen schwarzen Verband, schräg um den Kopf gewickelt. Das verlieh ihm ein düsteres Aussehen. Minac wusste bis heute nicht, wieso sein Herr und Meister nur mehr ein Auge hatte. Unter den Bediensteten wurde gemunkelt, dass er diese Verletzung in einer großen Schlacht davongetragen hatte, aber keiner wusste es wirklich. Mit anderen Rittern hatte Minac bisher nur wenig zu tun gehabt. So hatte er nie die Zeit oder gar den Mut gefunden einen nach dieser Geschichte zu fragen. Aber wer weiß, vielleicht würde Ritter Filliac es ihm ja höchstpersönlich eines Tages erzählen, er musste sich lediglich beweisen, da war er sich sicher.

                Ritter Vestiac hingegen war zwar etwas jünger als Filliac, aber trotz allem noch unheimlicher. Er wirkte stets aufgeregt und war schnell beleidigt. Außerdem sah er einen immer grimmig an. Noch grimmiger als es Filliac mit dem einen Auge tun konnte. Zudem vermutete er überall immer Feinde und Verschwörungen. Ja, bei genauerer Überlegung war Ritter Vestiac wesentlich strenger und vor allem unheimlicher. Minac beneidete Jarrac darum nicht und war froh darüber, der Knappe von Ritter Filliac zu sein.

                Während er so in Gedanken versunken hinter Jarrac herging, wäre er beinahe in selbigen hineingelaufen. Dieser war abrupt stehen geblieben. Minac bremste mit Müh und Not und war sich der Umgebung erst dann bewusst. Waren dies nicht die Gänge zur Küche? Wollte Jarrac sich in der Küche erfrischen, oder war das lediglich eine Abkürzung zum Hintertor? Er kannte die Wege und Räume der Regenbogenburg noch nicht so gut. Es war die Feste von Jarracs Herrn, dem Ritter Vestiac. Die Stammburg von dessen Vorfahren stand relativ hoch am Regenbogenberg, gerade noch unterhalb der Waldgrenze. Wenn man weiter nach oben wanderte, wich der Wald einer Buschlandschaft. Ging man sogar noch weiter bis zum Gipfel, veränderte sich die Landschaft zu einer felsigen Ödnis. Die Spitze des Berges war stets in Wolken gehüllt und an sonnigen Tagen, an denen die feuchte Luft der Trockenen wich, konnte man das Wunder bestaunen, vom welchem der Berg seinen Namen hatte: ein mächtiger Regenbogen, welcher den gesamten Berg umgab. Minac selbst war erst seit wenigen Tagen hier und hatte dieses Naturschauspiel noch nicht mit eigenen Augen gesehen. Mehrere der Bediensteten hatten ihm jedoch schon davon vorgeschwärmt und er hoffte, dass er irgendwann die Chance haben würde es zu sehen.

                Jarrac war von einer großen, fülligen Frau in weißer Kleidung aufgehalten worden. Sie hatte eine weiße Mütze auf und war offensichtlich eine Köchin, vielleicht sogar die Küchenchefin. Minac kannte von der Küche noch niemanden und hielt sich daher im Hintergrund zurück. Die Frau schien erbost zu sein, ihre Stimme war aufgeregt und laut:

                »Ihr Burschen habt hier nichts verloren, hier wird ernsthaft gearbeitet! Es ist bald Mittagszeit und wir haben hier viel Stress! Außerdem tragt ihr Dreck in meine Küche! Geht woanders spielen!«                 Jarrac ließ sich davon nicht beeindrucken, er blieb sogar sehr locker, während Minac bereits unterbewusst einen Schritt zurück gemacht hatte, antwortete dieser:

                »Wir wollen ja gar nichts aus der Küche stibitzen. Aber wir müssen auf dem schnellsten Weg zum Hintertor. Wir sind im Auftrag von Ritter Vestiac unterwegs, also lass uns durch Kastiara!«

                Diese antwortete nur mit einem:

                »Pah... aber fasst mir ja nichts an!«, und eilte davon.

                Jarrac drehte sich zu Minac um, zwinkerte ihm zu und packte seine Hand. So eilten sie durch die Küche hindurch und kamen schließlich zum Hintertor.

                Minac hätte sich das niemals getraut. Er war sich sicher, dass Ritter Vestiac ihnen keinen Auftrag gegeben hatte und so war es eindeutig eine Lüge gewesen. Das war nicht ehrenhaft, dafür konnte man sogar bestraft werden. Eigentlich hatte er gute Lust Jarrac darauf hinzuweisen, aber er traute sich einfach nicht, außerdem war während dem Laufen keine Zeit dafür.

 

Die zwei Knappen passierten das kleine Tor, welches immerhin drei Schritt hoch war, und befanden sich schon außerhalb der Burg. Ein Wächter stand am Ausgang und lehnte an der Burgmauer. Er trug ein Lederwams, einen Nasenhelm, einen Speer und ein Schild, in deren Mitte ein kleines Wappen prangte. Dieses war ein geteilter Schild. Oben sah man drei goldene Fische auf silbernem Grund. Dies war die Standarte von König Ladalwen. Unten sah man einen dunklen Berg und darüber einen Regenbogen, das Ganze auf silbernem Grund; das Wappen von Ritter Vestiac. Minac mochte das Wappen. Es war freundlich und aufmunternd und passte aber seiner Meinung nach irgendwie gar nicht zu diesem finsteren Ritter. Sein eigener Herr, Ritter Filliac, hingegen hatte ein wilderes Wappen. Oben am Schild sah man einen schwarzen Adler auf rotem Grund. Dies war das Zeichen von König Idaniac. Unten prangte ein düsterer, schwarzer Rabe auf silbernem Grund. Das Wappen der Burg vom Rabenfelsen, der Stammfeste Ritter Filliacs.

 

Jarrac blieb gar nicht stehen, rief dem Wächter aber noch zu:                 »Nustiac, wir gehen nur schnell zum Fluss und kommen dann wieder!«

                Dieser nickte lediglich und blieb auf seinem Posten stehen. Minac folgte dem Knappen und die beiden rannten über die Wiese in Richtung Wald. Es waren nicht viele Schritte und schon waren sie an den ersten Bäumen vorbei und mitten im Gestrüpp. Der Wald bestand großteils aus Nadelhölzern und nur wenigen Laubbäumen. Die Regenbogenburg lag bereits so hoch am Berg, dass die Laubbäume in nur geringer Anzahl wuchsen und die Nadelbäume die Vorherrschaft inne hatten. Es war ein luftiger und lichter Wald mit wenig Unterholz. Die Luft roch frisch und nicht stickig und duftete nach Nadeln, Harz und Moos. Jarrac zerrte Minac an einigen Bäumen und Büschen vorbei, dabei wichen sie einer Vielzahl an Moosfeldern und Pilzen aus. Dann kamen sie auch schon an einem kleinen Bächlein an. Dieses rauschte vor ihnen von links nach rechts, bildete Kurven, kleine Wasserfälle und einige Tümpel. Minac gefiel es. Das ganze wirkte idyllisch und friedlich. Mit einem tiefen Atemzug saugte er die angenehmen Gerüche des Waldes ein.

                Sein Gefährte deutete auf einen Stapel an Holzeimern, die in der Nähe standen und begann sich bereits die Hose auszuziehen:

                »Da nehmen wir später jeder zwei volle Eimer mit frischem Wasser mit. Für die Pferde! Das Brunnenwasser wird nur zum Trinken benutzt.« Damit warf sich Jarrac in einen kleinen Tümpel des Baches und schrie laut auf wegen der Kälte. Minac ließ sich nicht lange bitten und machte es dem Älteren nach. Eine wilde Wasserschlacht mit Schlamm und Wasser entbrannte. Der kleine Fluss war eisig, aber Minac hielt es ganz gut aus, solang er nicht zu tief ins Wasser eintauchte.

                Nach nur wenigen Minuten war beiden eisig kalt und sie stiegen heraus und zogen sich ihre Kleidung wieder an. Sie füllten jeder zwei Eimer und machten sich auf den Rückweg. Die Holzeimer waren groß und schwer und die Seile zum Tragen daran schnitten leicht in die Hände und schmerzten. Minac wünschte sich er hätte seine Lederhandschuhe angezogen, aber an Eimer-tragen hatte er im Traum nicht daran gedacht. So plagten sich die beiden ab und kamen schließlich wieder zurück zur Burg.

 

Als sie aus dem Wald kamen, musste Minac doch wieder staunen. Die Regenbogenburg war eine mächtige alte Wehranlage. Sie verfügte über ein halbes Dutzend großer Türme und eine gewaltige Außenmauer, die sicherlich an die fünf Schritte hoch war. Ein Angriff auf diese Burg schien hoffnungslos. Überall befanden sich kleine Schießscharten und Zinnen hinter denen Bogenschützen Schutz suchen konnten. Außerdem mussten etwaige Angreifer zunächst das wilde, steile Terrain überwinden und befanden sich dann bereits im Pfeilhagel der Verteidiger. Jarrac hatte noch andere Verteidigungsmechanismen erwähnt, die Minac aber nicht vertraut waren.

                »Hat die Burg schon mal jemand erobert?«, fragte Minac, während sie das Tor passierten.

                »Nein, seit sie gebaut wurde, ist die Regenbogenburg noch nie von Feinden eingenommen worden, behauptet zumindest Ritter Vestiac.«

                »Und wann wurde die Burg erbaut?«, hakte Minac nach.

                Jarrac zuckte mit den Schultern, soweit es die schweren Holzeimer zuließen: »Das weiß ich nicht.«

                Minac hoffte, dass er niemals so etwas grausames wie eine Burgbelagerung miterleben musste. Es erschien ihm brutal und unehrenhaft sich hinter dicken Mauern zu verstecken und die Feinde ungesehen anzugreifen.

                Als die beiden das Tor passierten, nickte ihnen Nustiac ausdruckslos zu und die zwei Jungen betraten die Burg durch das Hintertor. Sie mühten sich ab möglichst ungesehen durch die Küchengänge zu kommen und schafften dies trotz tropfender Eimer. Dann erreichten sie den Innenhof, durchschritten diesen und gelangten zu den großen Ställen. Dort machten sie sich ans Striegeln und Waschen der vier Pferde. Ritter Vestiac ritt eine kräftige Schimmelstute, Jarrac einen schlanken Braunen. Ritter Filliac hingegen hatte ein großes schwarzes Pferd und Minac lediglich eine alte, aber treue Stute mit braunem Fell und rötlichen Flecken darauf. Filliacs Ross trug den klingenden Namen Dunkelwind und es war ein feuriges Pferd. Minacs Stute war schon in die Jahre gekommen, aber trotzdem noch kräftig und sehr treu. Sie genoss es sehr gestriegelt zu werden. Ihr Name lautete Misa.

                So schruppten die zwei Knappen bis ihnen die Hände vor Schmerzen pulsierten. Dann war es auch schon bereits kurz vor Mittag und sie ließen sich erschöpft neben den Pferden nieder.

                »Vielleicht hätten wir vorher die Pferde striegeln und uns danach erfrischen sollen?«, meinte Minac zu Jarrac, doch dieser winkte ab:

                »Wir sitzen ohnehin nicht am Tisch mit den hohen Herren, sondern bei den Bediensteten und die riechen auch nicht viel besser!«                 Damit grinste er Minac an und klopfte ihm auf die Schulter. Die beiden erhoben sich ächzend und machten sich auf den Weg zum großen Saal, in dem das Essen serviert wurde.

                Minac fand diesen Wesenszug von Jarrac nicht besonders ansprechend. Er wirkte ein wenig arrogant, wenn er so von den Bediensteten sprach. Als wäre er etwas besseres. Auch das mit der Lüge hatte er nicht vergessen. Trotz all dem Spaß den sie gehabt hatten, fand er dieses Verhalten fehl am Platz. Minac nahm sich fest vor, Jarrac darauf anzusprechen. Am besten wenn sie dann in den Betten waren. Minac hatte eine Schlafmatratze in Jarracs Zimmer erhalten. So konnte er sein Anliegen dann in Ruhe vorbringen.

               

 

Unerwartete Gäste

 

Es dauerte nicht lange und sie erreichten den großen Saal. Es war eine gewaltige steinerne Halle. Im Süden gab es ein großes doppelflügeliges Tor, welches in den Burghof führte. An der Nordseite befanden sich zwei kleinere geschlossene Türen. Die Ostseite hatte ebenfalls zwei Türen. Durch eine von diesen betraten die Knappen den Saal, die andere stand offen und mehrere Küchenbedienstete kamen der Reihe nach mit Tellern voll Speisen herein. Ein würzig-salziger Duft lag in der Luft. Minac lief das Wasser im Munde zusammen.

                Die meisten Plätze waren bereits besetzt. An der hohen Tafel im Norden sah er den Burgherren Ritter Vestiac sitzen. Zu dessen Linker saß seine Frau die Herrin Kalsta. Sie trug ein hübsches dunkelgrünes Kleid und hatte langes braunes Haar. Leider konnte Minac ihr Gesicht nicht erkennen, da sie einen langen Schleier vor dem Gesicht trug, welcher ihr Antlitz komplett verbarg.

                Eine seltsame Sitte, vielleicht ist sie krank, dachte er sich, oder es war eine modische Erscheinung. Zur Rechten von Vestiac saß Ritter Filliac. Er war gerade ins Gespräch mit dem Burgherrn vertieft und trotzdem schien er aufmerksam zu sein. Mit einem kurzen Blick zu Minac gab er ihm zu verstehen, dass er ihn bemerkt hatte. Dies freute ihn ungemein. Als Knappe der eigentlich gerade noch Page gewesen war, soviel Aufmerksamkeit zu erhalten, machte ihn etwas stolz.

                Jarrac deutete ihm zu folgen und sie machten sich auf zu einem Tisch am anderen Ende der Halle. Dort erkannte er einige der Waffenknechte der Burg, sowie Unric den obersten Jäger der Regenbogenfeste. Die beiden nahmen Platz am Tisch und schnappten sich sogleich etwas von den reichlich gefüllten Tellern vor ihnen. Es gab Brot, Krautsuppe, Gemüseauflauf und etwas Wild. Nach dem ersten Bissen merkte Minac erst wie hungrig er eigentlich war. Seit dem Frühstück waren doch einige Stunden bereits vergangen und er hatte viel anstrengende Arbeit verrichtet. Er war schon gespannt, was so alles für den Nachmittag noch auf dem Plan stand.

                »Glaubst du wir werden heute noch auf die Jagd gehen?«, fragte er Jarrac leise. Dieser war jedoch gerade ins Gespräch mit Unric vertieft und gab Minac mit einem Wink zu verstehen das er warten solle.

                Etwas enttäuscht blickte er wieder zur hohen Tafel hinauf. Dort waren Ritter Vestiac und Ritter Filliac immer noch in ein angeregtes Gespräch vertieft. Leider saß er soweit weg, dass er nicht einmal Wortfetzen verstehen konnte. Die Mimik von Ritter Filliac sah jedoch düster aus und Ritter Vestiac schien aufgeregt zu sein und machte immer wieder wilde Gesten mit den Händen. Seufzend nahm sich Minac noch etwas zu essen und zu trinken und blickte nach rechts. Dort saßen zwei Waffenknechte der Regenbogenburg. Er kannte ihre Namen nicht, aber auch die zwei waren ins Gespräch vertieft. Sie unterhielten sich offensichtlich über irgendwelche Krankheiten, die ihre Frauen ausgefasst hatten. Vielleicht hatte dies etwas mit dem Schleier der Herrin zu tun. Er nahm sich vor die beiden zu fragen sobald sich die Gelegenheit bot. Minac wollte sich jedoch nicht uneingeladen in deren Gespräch einklinken. Einerseits hatte er keine Ahnung von dem Thema und andererseits fehlte ihm der Mut sich einfach so den zwei Unbekannten aufzudrängen. Er seufzte und widmete sich notgedrungen seinem Holzteller.

                Mittlerweile waren neue Tabletts mit Speisen hereingetragen worden. Es gab Honigkuchen und Met zum Trinken. Minac wusste, dass der Met alkoholisch war und so hielt er sich damit zurück. Als angehender Ritter wollte er sich keine Peinlichkeiten leisten. Außerdem empfand er es als unangebracht sich dem Alkohol hinzugeben. Zuhause hatte er schon einige Male erlebt, was ein richtig berauschter Kerl für Unsinn redete und anrichten konnte. Auch hatte er Ritter Filliac eingehend beobachtet und im Gegensatz zu Ritter Vestiac hielt auch dieser sich mit dem Alkohol zurück. Dies bestärkte seine Entscheidung zusätzlich. Neben ihm jedoch hatte Jarrac schon ordentlich zugelangt und wirkte immer ausgelassener und schon leicht angetrunken. Die Lippen schürzend nahm sich Minac ein Stück Honigkuchen und wollte gerade hinein beißen, als das große Tor im Süden lautstark aufgestoßen wurde.

 

Zwei Ritter in Kettenhemden und Eisenhelmen mit Gesichtsmaskenen standen im Toreingang. Eine frische Brise Luft strömte zwischen den zwei Gestalten hindurch in die Halle herein. Sie hatten keine Waffen gezogen, aber ihre Schilde in der Hand. Diese waren geteilte Schilde. Der eine zeigte unten eine Eiche in grün und braun auf silbernem Grund und der andere einen schwarzen Turm auf rotem Grund, ebenfalls unten. Auf der oberen Hälfte sah man auf beiden Schilden das gleiche: einen schwarzen Turm auf blauem Grund. Das Wappen der Ritter von König Malag!

 

Überall am Tisch bereitete sich Schweigen aus. Trinkbecher wurden abgestellt und der gesamte Saal drehte sich zu den Neuankömmlingen. Zunächst herrschte Stille, doch nach und nach entstand überall Geflüster. Eine knisternde Spannung lag in der Luft. Minac schluckte schwer und hatte seinen Honigkuchen ungeschickt auf den Teller fallen lassen. Neben ihm funkelte Jarrac mit zusammengekniffenen Augen zu den Rittern im Tor hinüber.

                Plötzlich schlug Ritter Vestiac mit der Faust hart auf den Tisch, so das die hohe Tafel erbebte, dann erhob er sich und rief laut:

                »Wer seid ihr? Gebt euch zu erkennen!«

                Die Leute im Saal hatten sich kurz zu Ritter Vestiac gedreht, beugten sich jetzt aber sogleich wieder in Richtung Toreingang. Einer der fremden Ritter erhob das Wort:

                »Begrüßt man so seine Gäste?«, hallte er herausfordernd durch den Raum. Erst jetzt nahmen diese die Helme ab. Ihre Gesichter waren überraschend jung. Derjenige der gesprochen hatte, trug sein Haar kurz rasiert zu dunklen Stoppeln. Das Haar des anderen war mittellang und blond. Beide waren rasiert. Ihre Augen waren hellblau. Jener welcher sich gemeldet hatte, sah Ritter Vestiac ernst an und sprach erneut:

                »Dies hier neben mir ist Ritter Ternok und ich bin Ritter Rasal. Wir kommen von weit her und sind auf der Durchreise. Wir sind als Boten unseres Königs Malag unterwegs und sind ausgesandt worden, um eine Nachricht an den Hofe Königs Ladalwen zu bringen. Wir bestehen auf das Gastrecht! Wir sind müde und auch unsere Pferde brauchen dringend Erholung!«

                Wieder trat eine Stille ein. Das Gastrecht war in allen Königreichen hoch geachtet. Normalerweise wurde man als Reisender überall empfangen und aufgenommen. Man bekam Essen und Unterkunft ohne Gegenleistung, auch wenn erwartet wurde, dass man einem Gastgeber nicht zu lange zur Last fiel. Das Gastrecht einzufordern war durchaus möglich, aber eher ungewöhnlich und mutete schon sehr arrogant an.

                Minac überlegte fieberhaft was er alles über das Reich von König Malag wusste, aber es war nicht viel. Es lag weit im Norden von hier, während sich die Lande seines eigenen Königs Idaniac im Osten befanden. Im Südwesten von beiden Reichen lag das Gebiet von König Ladalwen. Die Regenbogenberg thronte genau in der Mitte dieser drei Länder. Es herrschte zwar kein Krieg zwischen den drei Königreichen, aber ab und an hörte man von Zwischenfällen an den Grenzen. Diese betrafen jedoch zumeist die Königreiche von Malag und Ladalwen. Das Reich von Idaniac wirkte ein wenig wie ein neutraler Puffer zwischen den Ländern. Sein Vater hatte ihm einst erzählt, dass der Hauptunterschied zwischen den Königreichen darin lag, dass das Reich von König Idaniac keine Erbmonarchie war, sondern ein Wahlkönigtum. Das bedeutete, dass bei ihnen zu Hause, im Gegensatz zu den Reichen Ladalwens und Malags, die Kinder nicht automatisch zu Königen wurden. Es lag an den hohen Fünf, eine Gruppe von mächtigen Rittern, einen neuen König auszuwählen. Man nannte sie auch den hohen Rat oder nur Rat. Des Weiteren hatten sie die Möglichkeit den alten König abzusetzen, sollte dieser nicht mehr im Sinne des Reiches handeln. Dies war natürlich noch nie vorgekommen, stellte aber eine Absicherung gegen einen Herrscher dar, der sich dem Bösen verschrieben hatte und seine Untertanen knechten wollte. In den Reichen König Ladalwens und König Malags war dies anders. Hier erbte immer der älteste Sohn die Krone, die restlichen Kinder gingen mehr oder weniger leer aus. Auch das konnte bisweilen zu Streit führen. Im Königreich Ladalwens war es sogar möglich, dass die Töchter die Führung über das Reich übernahmen, sofern sich keine Söhne fanden. Dies war sogar einmal passiert, hatte man Minac gesagt, aber es lag schon sehr lange zurück und er wusste nichts genaueres darüber. Im Königreich von König Malag herrschte dieser angeblich unumschränkt. Das bedeutete, dass dieser tun und lassen konnte was er wollte. Er hatte einmal bei einem Gespräch seines Vaters mitbekommen, wie dieser gemeint hätte, dass König Malag verrückt geworden sei und die Hand nach König Ladalwens Reich ausstreckte. Als er seinen Vater gefragt hatte, was dies denn bedeute, hatte dieser nur den Kopf geschüttelt. Vielleicht bräuchte König Malag auch so etwas wie die hohen Fünf um gerechter regieren zu können, überlegte Minac.

                Ritter Vestiac erhob wieder die Stimme und dröhnte durch die Halle:

                »Ritter Rasal und Ritter Ternok, ich heiße euch willkommen auf der Regenbogenburg! Setzt euch doch an meine Tafel und brecht das Brot mit uns, meine Pagen werden sich um eure Rösser und Quartiere kümmern!«, damit machte er eine einladende Geste auf die große Haupttafel. Er lächelte dabei leicht, doch Minac war sich nicht sicher ob dies ein ehrliches und aufrichtiges Lächeln war. Es wirkte etwas gekünstelt, sofern er dies aus dieser Entfernung sagen konnte. Doch das Lächeln schien keine Wirkung auf die fremden Ritter zu haben. Ritter Rasal hob die Hand:

                »Wir gehen sogleich auf die Quartiere, wir sind müde und erschöpft.«

                Damit drehten sich die zwei Ritter um und verließen die Halle. Ein Raunen ging durch den großen Saal. Das Ritual des Brotbrechens abzulehnen, galt als großer Affront gegen den Hausherrn. An allen Tischen wurde getuschelt. Minac blickte wieder zu Ritter Vestiac. Dieser wirkte sonderbar gefasst. Seine Gesichtszüge waren ruhig und glatt. Minac hätte schwören können, dass sich der Ritter der Regenbogenburg furchtbar laut über das rohe Verhalten der fremden Ritter aufregen würde, aber dem war nicht so.

                Ein Blick nach links zeigte ihm jedoch Jarracs wutverzerrtes Gesicht. Dieser schnaubte und murmelte irgendwelche Wörter, von denen er wohl froh sein konnte sie nicht zu verstehen. Als Minac wieder hoch zur Tafel schaute, um Ritter Filliac zu sehen, trafen sich ihre Blicke. Dieser nickte ihm leicht zu und flüsterte dann zu seinem Nachbar Ritter Vestiac. Minac wusste, was dies bedeutete. Sein Herr wollte ihn noch sprechen, bevor sie beide in ihren Zimmern verschwanden.

                Gerade als er sich fragte, wann er sich wohl erheben dürfte, rief Ritter Vestiac in die Runde:

                »Ich erkläre das Mittagsmahl für beendet!«

                Damit erhob sich der Burgherr und verließ den Saal. Zunächst entstand noch Murren und Getuschel auf den Bänken und Tischen, doch als die ersten Pagen hereinkamen, begann sich die Halle zu leeren. Auch Jarrac erhob sich seufzend und kniff Minac in den Arm:

                »Komm, gehen wir aufs Zimmer. Hier gibt es nichts mehr für uns zu tun.«

 

 

Der Auftrag

 

Jarrac eilte ihm schweigend voran. Er legte ein ganz schönes Tempo vor und so mühte sich Minac ab, um nicht abgehängt zu werden. Eiligen Schrittes und ohne Worte gingen sie durch die Korridore der Burg bis sie ihr gemeinsames Zimmer erreichten. Jarrac öffnete die kleine Holztüre und trat unversehens ein, Minac machte Anstalten ihm zu folgen, doch da fiel ihm gerade noch ein, dass sein Herr ihn ja sehen wollte. So blieb er stehen und rief:

                »Ich komme gleich nach Jarrac, Ritter Filliac wollte mir noch etwas mitteilen!«

                Minac rannte los und hörte hinter sich, bevor die Türe zufiel, noch Jarrac rufen:

                »Nimm Wasser und Wein mit, sofern du was auftreiben kannst!«

                Wasser und Wein? Er war sich nicht sicher, ob es klug wäre, wenn Jarrac noch mehr Alkohol genießen würde. Wasser ginge in Ordnung, Wein würde er wohl keinen besorgen, überlegte er insgeheim. Seine flinken Beine trugen ihn durch das alte Steingemäuer und es dauerte nicht lange, als er vor dem Zimmer seines Herrn ankam. Wie es sich gehörte klopfte er ein paar Mal an und wartete dann. Es vergingen einige Augenblicke, aber niemand rührte sich. Es schien als wäre sein Herr noch unterwegs. Minac seufzte und setzte sich auf den Boden neben die Türe. Der grobe Stein war kalt und rau. Die Einrichtung des Ganges war karg. Es gab zwei Kerzen an der Wand, die aber nicht angezündet waren und nordseitig ein kleines Fenster, durch welches frische, warme Luft hereinströmte. In einiger Entfernung im Süden war ein weiteres kleines Fenster. Diese zwei Öffnungen waren die einzigen Lichtquellen im Moment und schafften es gerade mal so den düsteren Steingang zu erhellen.

                Minac lehnte sich ausatmend zurück und verlor sich in seinen Gedanken. Vor seinem geistigen Auge war er wieder zurück auf der Burg seiner Familie. Er stand im schlammigen Innenhof und trainierte mit seinem Vater den Schwertkampf. Immer wieder bekam er Prügel durch das geschickt geführte Holzschwert seines Gegners. Viele Stunden hatten sie dort im Hof und auch anderen Orten trainiert, damit er nicht völlig ohne Grundwissen zu einem fremden Ritter aufbrechen hatte müssen.

                Mittlerweile waren wieder einige Jahre vergangen und er fand, dass er gar nicht so ein schlechter Schwertkämpfer geworden war. Natürlich, wenn er an den heutigen Trainingskampf mit Jarrac dachte, kamen ihm wieder Zweifel, aber hatte dieser ihn nicht sogar gelobt?

                »Keine Zeit für Träumereien!«, rief sein Vater und schlug ihm auf den rechten Arm. Der Schmerz durchzuckte ihn kurz, dann rappelte er sich keuchend auf und hob sein Holzschwert für den nächsten Durchgang. Sein Vater, Ritter Undar, hatte dennoch immer ein leichtes Lächeln für ihn bereit. Und auch dieses Mal sah er das Grinsen und neue Kraft durchflutete ihn sogleich. Mit wilder Energie, aber doch nicht ungestüm, drängte er auf den größeren Gegner ein. Es schien fast, als würden seine Hiebe und Angriffe den gewünschten Erfolg zeigen, doch plötzlich bemerkte Minac wieder das sanfte Lächeln seines Vaters und er wusste, er hatte einen Fehler begangen. Grob landete er auf seinem Hintern und verlor die Waffe. Sein Bein und seine Finger schmerzten und er war völlig außer Atem. Ritter Undar zwinkerte ihm zu und hielt ihm eine seiner großen Hände entgegen und sprach zu ihm:

                »Du musst deinem Kontrahenten immer einen Schritt voraus sein und dich nie in Sicherheit wiegen. Wie beim Schach.«

                »Minac«, hörte er von weiter weg, blickte aber immer noch erschöpft seinem Vater ins Gesicht.

                »Minac, du Träumer!«, erklang es lauter und eindringlicher.

 

Plötzlich spürte er einen sanften Tritt, welcher ihn aus dem Tagtraum herausholte. Verwirrt blickte er sich um. Die Tür zu Ritter Filliacs Zimmer stand offen. Minac linste hinein und sah seinen Herrn, wie sich dieser gerade das Wams auszog.

                Auweh, er hatte ihn gar nicht bemerkt, so vertieft war er in den Tagtraum gewesen! Eilends sprang er hoch und flitzte ins Zimmer. Behutsam schloss er die Türe und blieb abwartend im Raum stehen. Instinktiv wollte er schon die Kleidung seines Herrn sortieren und falten, aber dann fiel ihm gerade noch ein, dass Ritter Filliac das lieber selbst machte. Seine Mutter würde wohl sowohl seinen Herrn als auch ihn schelten. Bei dem Gedanken musste er etwas grinsen. Ritter Filliac hatte das verschmitzten Lächeln bemerkt, als er mit nacktem Oberkörper vor ihm stand:

                »Was gibt es da zu Grinsen? So alt und schwach bin ich auch noch nicht!«

                Minacs Lächeln erstarb, er schluckte schwer und blieb ruhig stehen.

                »Spaß beiseite Minac, die Lage ist ernst und so wollen wir ihr auch begegnen«, fuhr er fort. Das eine verbliebene Auge funkelte ihn mysteriös und unheimlich zugleich an.

                »Diese Ritter aus dem Reiche König Malags sind keine gute Botschaft. Ich weiß nicht was sie vorhaben, aber es kann nichts  Aufrechtes sein. Malag und seine Ritter gelten als üble Gesellen.«

                »Wird es Krieg geben, Herr?«, fragte Minac.

                »Auch das kann ich nicht vorhersagen. Ich würde gern umgehend zu König Idaniac reiten und ihm hiervon berichten, aber wir haben vorher noch eine andere Mission«, fuhr Filliac fort.

                Minac starrte ihn etwas sprachlos und aufgeregt an. Er würde ihn so gerne fragen was denn los sei und was sie tun sollten, doch er traute sich nichts zu sagen, bevor sein Herr fertig gesprochen hatte. Dieser fuhrt fort:

                »Hör gut zu Minac. Wie du wohl weißt ist Ritter Vestiac der Herr dieser Burg und auch ein treuer Diener von König Ladalwen.«

                Minac nickte ernst.

                »Er hat mich gebeten, diese fremden Ritter ein Stück zu begleiten, bis ein anderer Ritter von König Ladalwen zu uns stoßen wird. Er selbst möchte in der Burg bleiben, für den Fall, dass sonderbare Dinge an der Grenze passieren sollten. Ein Bote von Vestiac wird vorausreiten und seinem König Bericht erstatten und vorwarnen. Wir werden die Ritter ein Stück begleiten und nach zwei oder drei Tagen wird dann Ritter Nandoro von Burg Großfels uns einholen und ablösen. Danach werden wir uns von der Gruppe trennen und auf dem schnellsten Weg zu unserem König reisen und ihm alles berichten was vorgefallen ist. Hast du das verstanden Minac?«

                Er schluckte schwer und war in höchstem Maße aufgeregt. Sein Puls ging rasend schnell, er hörte seinen eigenen Herzschlag laut und hoffte, dass Ritter Filliac ihn nicht hören konnte.

                Ein richtiger Auftrag! Sie mussten fremde Ritter durch quasi unbekannte Länder eskortieren! Und er, Minac der treue Knappe von Ritter Filliac, war mittendrin!

                Minac atmete tief ein und aus und wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. Dann nickte er seinem Herrn langsam aber bestimmt zu:

                »Ich verstehe Herr und ich bin bereit!«

                Dieser nickte ihm seinerseits ernst zu und das einzelne Auge funkelte ihn eindringlich an:

                »Sehr gut. Jetzt geh in dein Zimmer und packe, ich vermute wir müssen morgen ganz früh raus. Früher als sonst. Die fremden Ritter wünschen sicherlich keine Eskorte, daher dürfen wir uns nicht abhängen lassen. Geh jetzt!«

 

 

Vorbereitungen

 

Mit aufgerissenen Augen nickte Minac und verließ eilends das Zimmer. Er spurtete leichtfüßig durch den Steingang und war froh niemanden auf dem Weg zu treffen. Er war schon fast bei der Kammer, als ihm Jarracs Wunsch nach Wein und Wasser wieder einfiel. Sich auf die Stirn schlagend, machte er kehrt und rannte den Gang zurück und dann die Treppen hinab. Bei den Gängen rund um den Hauptsaal konnte er tatsächlich noch einen Pagen abfangen.

                Dieser trug ein kleines Holztablett mit zwei Karaffen und mehreren benutzten Bechern.

                »Verzeih, aber ist das vielleicht Wasser?«, fragte er ihn.

                »Einmal Wein und einmal Wasser, aber schon halb leer«, kam die Antwort samt gehobener Augenbraue.

                »Jarrac hätte gerne Wein und Wasser, dürfte ich das Tablett vielleicht haben? Ich trage die Sachen dann auch persönlich in die Küche, versprochen!«

                »Für Jarrac? Hm, na dann hier bitte. Mit dem fange ich lieber keinen Streit an.«

                Damit reichte der Page ihm das Tablett und machte sich davon. Minac wunderte sich noch kurz ob der letzten Aussage, zuckte aber dann mit den Schultern und ging eilig los. Eigentlich hatte er ja keinen Wein mitnehmen wollen, aber im Grunde war es auch nicht seine Sache. Er wagte es nicht zu Laufen, da er sonst sicher alles verschütten würde, aber er bemühte sich um etwas Tempo.

                Nach kurzer Zeit und einigen Treppen kam er auch schon beim Zimmer an und trat einfach ein. Jarrac stand ohne Hemd im Raum und fuchtelte wie wild mit seinem kurzen Schwert herum. Es sah weit weniger elegant aus, als der Trainingskampf, welchen die beiden am Vormittag absolviert hatten.

                »Da bist du ja endlich!«, rief Jarrac und ließ sein Schwert aufs Bett fallen. Minac erschien das etwas nachlässig, aber es war auch nicht seine eigene Waffe. Jarrac konnte tun und lassen was er wollte.

                »Hier, ich habe Wein und Wasser aufgetrieben, gut was?«

                Damit stellte er das Tablett ab und schenkte Wein für sein Gegenüber und Wasser für sich ein. Dieser pfiff anerkennend und setzte sich auf ein Bärenfell am Boden, während er zum Becher griff.

                »Nicht schlecht Minac, damit habe ich gar nicht mehr gerechnet. Prost!«

                Sie stießen beide mit den Trinkbechern an und jeder genoß das eigene Getränk. Während Jarrac am Fell saß, setzte sich Minac auf seine Heumatratze und atmete tief ein und aus. Jarrac schwieg, oder war offensichtlich nicht für ein Gespräch bereit und so begutachtete er den angenehm, kühlen Raum.

                Es gab zwei kleine Fenster, die beide offen waren und frische Luft und Licht spendeten. Im Winter konnte man sie mittels fülligen Fellen zuhängen, aber er wusste von daheim, dass dies kein sonderlich guter Schutz gegen die Kälte war. Das Zimmer verfügte über ein hölzernes Bett, dies war Jarracs Schlafstatt und eine, mit Heu gefüllte, Matratze am Boden daneben. Dies war sein Nachtlager. Außerdem gab es einen Nachttopf, den sie sich jedoch teilen mussten.

                Komischerweise hatte er sich von Jarrac einreden lassen, dass er ihn als Gast dauernd putzen musste. Wenn er so darüber nachdachte, fand er das nicht wirklich fair oder angemessen.

                Weiters gab es ein paar heruntergebrannte Kerzen, die sie Abends anzündeten und Jarrac besaß eine alte Holztruhe, in welcher er einige persönliche Gegenstände aufbewahrte. Er selbst hatte sich einen hölzernen Stuhl besorgt, auf und um den herum, er seine Sachen stapelte. Sehr spannend fand Minac einen kleinen Wandteppich, auf dem einige schöne Webarbeiten ein Bild darstellten. Der Teppich zeigte einen Berg mit einer Burg sowie viel Wald und einen Regenbogen über der ganzen Szenerie. Am Fuße des Berges waren zudem mehrere Dutzend Ritter und Knappen versammelt.

                Jarrac erwähnte einmal, dass es sich hier, offensichtlicherweise, um die Regenbogenburg handelte. Ritter Vestiac schien ihm auch von dem dargestellten Ereignis erzählt zu haben, aber Jarrac hatte es schlichtweg vergessen. Minac konnte darüber nur stillheimlich den Kopf schütteln. Wie war es möglich  etwas derartig Wichtiges nur zu vergessen? Es war unübersehbar ein bewegendes Ereignis gewesen, wenn sich soviele Ritter versammelten. Insgeheim nahm sich Minac vor, den Herrn der Burg darüber zu fragen, aber bisher hatte sich nie die Gelegenheit dazu ergeben. Ritter Vestiac war immer schwer beschäftigt, zumindest hatte er nie Zeit für ihn. Außerdem war er auch ein wenig unheimlich und so hatte sich Minac nicht sonderlich ins Zeug gelegt, um ein Gespräch mit ihm zu führen. Damit war er auch ein wenig selbst Schuld und musste sich damit abfinden.

                Das Zimmer besaß, im Gegensatz zu etwa Ritter Filliacs Raum, keinen Spiegel und auch keinen kleinen Wassertrog für frühmorgendliches Gesichtswaschen. Jarrac und er mussten dazu jedes mal zum Brunnen oder zum Fluss eilen. Dafür war jedoch die Aussicht aus den beiden Fenstern besser, als die aus Ritter Filliacs Zimmer. Wenn man sich aus dem rechten Guckloch hinausbeugte und weit nach rechts blickte, sah man den Regenbogenfluss. Dies war jedoch nicht der kleine Bach, an dem Jarrac und er heute morgen gebadet hatten. Nein, dieser war nur ein kleiner Ausläufer des Regenbogenflusses. Jener war ein prächtiger großer Strom, der sich gemächlich den Regenbogenberg hinunterschlängelte. Wenn man zur richtigen Zeit hinblickte, konnte man ein fantastisches Farbenspiel aus allen möglichen Farben sehen. Die Lichtstrahlen schimmerten stets von Rot bis Grün und Violett und auch in Blau und Gelb. Bei Regen und zugleich guten Lichtverhältnissen, raste das Wasser des Flusses nur so bergab und spritzte gewaltig. Dann konnte man überall schäumenden Nebel erspähen, welcher in den Regenbogenfarben sich über den dichten Wald legte. Dieses Naturschauspiel war zwar nicht ganz so einzigartig, wie jenes des Regenbogens, aber dennoch ein bemerkenswerter Anblick. Minac hatte es bereits einmal gesehen und nicht mehr aufhören können es zu bestaunen.

 

                »Diese Ritter sind böse«, ertönte es leise von Jarrac.

                Minac schüttelte die Gedanken an das Regenbogenfunkeln des Flusses ab und blickte zu Jarrac.

                »Du meinst die fremden Ritter aus dem Königreich Malags?«

                »Genau die. Hast du nicht gehört wie sie meinen Herrn beleidigt haben? Das Gastrecht eingefordert und zugleich jeglichen Anstand über Bord geworfen. Das Brot mit dem Gastgeber nicht zu brechen ist eine schwere Sünde!«

                »Aber was kann man da nun machen?«, wollte Minac wissen.

                »Man hätte sie der Burg verweisen sollen. Dann müssten sie im Wald am Boden schlafen.«

                Minac überlegte etwas. Ja, es stimmt, verdient hätten die Ritter es auf jeden Fall. Aber wäre das ehrenhaft gewesen? Minac glaubte nicht und so teilte er seine Meinung dazu:

                »Aber das wäre wieder ein Bruch des Gastrechtes gewesen. Dann wäre man doch nicht besser als sie. Dein Herr hat schon richtig gehandelt.«

                Darüber knurrte Jarrac nur etwas und nahm einen tiefen Schluck von seinem Trinkbecher.

                Minac überlegte ob er ihm vom Auftrag seines Herrn erzählen sollte oder nicht. Er hätte es sehr gern getan, vielleicht wäre Jarrac erstaunt gewesen, oder hätte ihm noch ein paar gute Tipps mitgeben können. Doch nach den letzten Ereignissen des Tages hielt es Minac für nicht klug und auch nicht angebracht, ihn darüber aufzuklären. Er war sich sicher, dass Ritter Vestiac ihm alles beizeiten erzählen würde. Und falls Jarrac nicht zu lange schlafen würde, hätte er auch die Möglichkeit die Abreise mit eigenen Augen zu verfolgen. Mit den Mengen an Alkohol die der Knappe jedoch vertilgt hatte, glaubte Minac nicht so recht daran, dass er es schaffen würde aus den Federn zu kommen.

                So beschloss er abzuwarten bis Jarrac sich zu Bett legen würde, um danach in Ruhe seine sieben Sachen packen zu können. Es dauerte auch nicht mehr lange, dann war der betrunkene Knappe bereit für sein Bett. Einen vollen Becher leerte er noch und schlief im Anschluss auf seinem Fell ein. Minac seufzte und machte sich daran seinen Zimmergenossen aufs Bett zu hieven und die Stiefel und Hose auszuziehen. Ein monotones Schnarchen erfüllte das kleine Zimmer. Zufrieden nickte er für sich selbst und begann zu packen.

                Aus dem Stapel an Sachen kramte er zuerst seine Waffen hervor. Dies waren ein verzierter Dolch samt Dolchscheide, den er von seinem Bruder erhalten hatte. Die Klinge war sehr scharf und er hatte sich schon zweimal daran geschnitten. Dieses einzigartige lange Messer musste seinen Bruder einiges gekostet haben. Für Minac war es jedoch wertvoller als alles Gold und Silber der Welt. Er würde niemals den stolzen Blick und das anerkennende Nicken seines Bruders vergessen, als er ihm den Dolch überreichte und alles Gute für die Reise wünschte.

                Die Dolchscheide hängte er an seinen Gürtel. Weiters prüfte er sein Kurzschwert samt Schwertscheide. Es war eine einfache Klinge ohne Verzierungen. Eines von vielen gleichen Stücken, welches er aus der Waffenkammer seines Vaters erhalten hatte. Dennoch, oder vielleicht darum, pflegte er die Waffe mit besonderer Sorgfalt. Auch dieses Stück hängte er an den Gürtel. Seine letzte Waffe war sein kurzer Jagdbogen, den er bereits seit einem Jahr besaß. Er prüfte die Beschaffenheit des Holzes und der Sehne und verstaute ihn mitsamt Köcher und Pfeilen an den Satteltaschen.

                Nun zog er seinen wattierten Waffenrock an. Es war eine steife Tunika aus mehreren Schichten Stoff, die einen geringen Schutz gegen Hiebe bot. Es war kein Vergleich zu einem Kettenhemd oder gar einem Harnisch, aber es war das beste, das er bekommen hatte. Leider roch der Waffenrock schon etwas. Er war sehr schwer zu reinigen, sobald er einmal etwas Schmutz und Schweiß abbekommen hatte. Als angehender Knappe blieb ihm jedoch keine Wahl und so erduldete er den riechenden Stoff mit stoischer Miene. Eines Tages, wenn er zum Ritter geschlagen werden sollte, würde er auch eine Rüstung von seinem Vater bekommen. Beim Gedanken daran lächelte er kurz geistesabwesend.

                Ansonsten sortierte Minac noch zwei größere Beutel mit Wasser und zwei leere Beutel für Proviant, den er noch aus der Küche besorgen musste, zurecht. Es gab auch eine Handvoll kleine Kerzen, etwas Salz und Haselnüsse als Notproviant. Minac verstaute außerdem seine restliche Kleidung. Er hatte noch einen Schlechtwetterumhang und eine zweite Garnitur Kleidung, bestehend aus einer leichten grauen Stoffhose und einem grünen Wams. Zu guter Letzt zählte er seine verbliebenen Münzen. Es waren lediglich ein halber Silbertaler und sieben Kupferlinge. Zum Glück kümmerte sich Ritter Filliac um die Reiseausgaben, aber viel Taschengeld war es dennoch nicht. Seufzend steckte er die paar Münzen in einen kleinen Beutel und diesen an seinen Gürtel. Er war fast bereit!

                Nachdem er alles gepackt hatte, stahl er sich noch einmal aus dem Zimmer, um etwas etwas Reiseproviant aus der Küche zu besorgen. Zudem nahm er das Tablett mit Wasser- und Weinkrug mit. Vor Ort traf er Kastiara die Chefköchin und hatte etwas Angst vor ihr. All seinen Mut zusammennehmend fragte er sie aufs geradewohl heraus:

                »Frau Kastiara, ich weiß es ist spät und ihr seid schwer beschäftigt, aber hättet ihr vielleicht für meinen Herrn Ritter Filliac und mich noch etwas Reiseproviant über? Außerdem wollte ich diese Krüge zurückbringen!«

                Kastiara hob erstaunt eine Augenbraue und lächelte dann mit einem breiten Grinsen im Gesicht:

                »Ha, du hast aber gute Manieren! Da könnte sich Jarrac ruhig etwas abschauen.«

                Minac war überrascht und die Überraschung schien ihm im Gesicht zu stehen, als sie fortfuhr:

                »Sei unbesorgt, ich habe genau das richtige für dich und deinen Herrn.«

                Die einnehmend freundliche Küchenchefin half ihm bereitwillig mit dem Proviant. Er erbeutete etwas frisches Brot, Speck und harten Käse, sowie einige weiße und schwarze Rüben und eine kleine Flasche Schnaps. Was er mit dem Schnaps anfangen sollte, wusste er zwar nicht, weder Ritter Filliac noch er tranken Alkohol, aber er nahm alles an. Kastiara war wirklich freundlich und hilfsbereit, er hatte völlig unnötigerweise vor ihr Angst gehabt.

                Zufrieden bedankte er sich und eilte nach oben ins Zimmer. Er prüfte kurz Jarracs Zustand. Dieser schnarchte nach wie vor tief und laut. Sodann legte er sich samt Kleidung ins Bett und deckte sich mit seiner Decke zu. Einen Augenblick lang überlegte er noch, ob er nicht überhaupt wach bleiben sollte, merkte aber dann wie müde er bereits war und verwarf die Idee sogleich wieder. Er musste morgen wahrscheinlich viel Reiten und dazu brauchte er Kraft und Energie. Die bekam er nur durch ausreichend Schlaf, das wusste er. Noch einmal grübelte er fieberhaft was er tun sollte, um nicht zu verschlafen. Ihm war bewusst, dass der Hahn früh krähen würde, aber er wollte noch vor dem Hahn auf sein. Er hatte nicht vor, von Ritter Filliac geweckt zu werden. Tief ausatmend überlegte er weiter und entschloss sich dann, sein Kurzschwert unter sich zu legen. Es war robust genug, um dies auszuhalten und es war sehr unbequem darauf zu liegen. Insgeheim hoffte er, dass er dadurch öfter aufwachen würde und dann zeitig aufstehen konnte. Minac war sehr aufgeregt, dennoch schlief er innerhalb kürzester Zeit ein.

 

II Unterwegs

 

Der Aufbruch

 

Das Krähen des Hahnes riss Minac aus dem Schlaf. Er fluchte insgeheim und fragte sich ob er verschlafen hatte. Ein Blick zum kleinen Fenster zeigte ihm jedoch, dass es noch dunkel war.

                »Dann dürfte der Hahn erst einmal gekräht haben«, überlegte er laut. Ächzend hievte er sich von der Matratze hoch. Sein Rücken schmerzte fürchterlich, dort wo er auf dem Kurzschwert gelegen hatte.                 »Tolle Idee...«, seufzte er laut vor sich hin und sah dann zu Jarrac hinüber. Dieser jedoch schnarchte laut und rhythmisch und lag regungslos auf seinem Bett, genau so wie er ihn gestern abends hineingelegt hatte.

                Kopfschüttelnd packte er seine Beutel und Sachen zusammen,  nahm noch einen Schluck aus seinem Wasserschlauch und verließ das Zimmer. Eilig hastete er die steinernen Korridore entlang zum Innenhof. Die Sonne war immer noch hinter dem Regenbogenberg versteckt und nur wenig Licht erhellte den Hof.

                Relativ nahe am Haupttor entdeckte Minac seinen Herrn Ritter Filliac, welcher dort mit zwei Pferden stand. Der Ritter trug sein Kettenhemd, welches Brust und Oberarme schützte. Dazu hatte er dicke Lederstiefel und Hosen, sowie ein robustes Wams angezogen. Er streifte sich gerade lange Lederhandschuhe über die Hände und klopfte seinem Pferd auf den Rücken. Der Helm und Schild des Ritters befanden sich am Sattel befestigt, das edle Schwert samt Waffenscheide trug er am Gürtel.

                Minac lief geschwind hinüber und stellte fest, dass es sich bei den Pferden um Dunkelwind und Misa handelte. Beide waren gesattelt und schnaubten leicht.

                Ritter Filliac nickte Minac aufmunternd zu:

                »Guten Morgen Minac, ich wollte schon einen Pagen nach dir schicken, aber du bist rechtzeitig hier, die Ritter sind noch nicht aufgetaucht.«

                »Verzeiht Herr, ich hatte mich vorbereitet und sogar auf meiner Waffe geschlafen, aber es hat scheinbar nichts gebracht.«

                Bei den Worten wurde Minac etwas rot und sah kurz verlegen zu Boden. Ritter Filliac hob die Augenbraue des verbliebenen Auges.

                »Wie gesagt, die fremden Ritter sind noch nicht hier, also ist alles in Ordnung ... aber ich werde dir wohl ein paar Tricks zeigen müssen, sobald wir unterwegs sind...«

                Noch bevor Ritter Filliac das letzte Wort herausgebracht hatte, betraten zwei gerüstete Gestalten den Innenhof. Beide trugen Kettenhemden sowie Helm und Schild. Es waren Ritter Ternok und Ritter Rasal. Sie führten ihre Pferde aus dem Stall heraus und begaben sich dann gemächlich zum Haupttor. Das Doppeltor stand bereits offen und zwei Waffenknechte der Regenbogenburg hielten dort Wache. Sie trugen Speere und beobachteten sichtlich müde, aber dennoch aufmerksam, die Geschehnisse.

                Minac sah sich die Rösser der Ritter an. Es waren große braune Streitrösser. Sie schnaubten aufgeregt und waren beide gesattelt. Ihm fielen auch einige zusätzliche Waffen wie Streitkolben und Bögen auf, die dort Platz gefunden hatten. Außerdem wirkten die Satteltaschen mehr als gut gefüllt.

                Als die Beiden neben Ritter Filliac und Minac ankamen, blieben sie stehen und einer erhob das Wort. Beide hatten die Visiere der Helme heruntergeklappt. Minac konnte nur am Wappen auf dem Schild erkennen, dass es sich um Ritter Rasal handelte. Es zeigte einen geteilten Schild. Oben war ein schwarzer Turm auf blauem Grund und unten eine silberne Eiche auf grünem Grund.

                »So früh munter? Sagt mir nicht, ihr wollt rein zufälligerweise in die selbe Richtung wie wir reisen?«, donnerte Rasals unfreundliche Stimme zu ihnen herrüber.

                Minac schluckte schwer, aber Ritter Filliac war die Ruhe in Person als er antwortete:

                »So ist es, wir haben wirklich ganz zufällig den selben Weg und werden euch etwas begleiten. Aber keine Sorge, ihr müsst auf uns keine Rücksicht nehmen.«

                »Wir machen uns keine Sorgen, immerhin herrscht Friede und die Straßen sind sicher. So jedenfalls hat man es uns versichert.«

                »Vor allem wenn man gemeinsam reist, nicht wahr?«, entgegnete Filliac.

                Dabei schnaubte der angesprochene Ritter lediglich:

                »Tut was ihr nicht lassen könnt, aber wir werden schnell reisen, seid also vorgewarnt!«

                Drauf nickte Ritter Filliac und gab auch Minac ein Zeichen. Die vier Reisenden stiegen auf ihre Rösser auf und verließen die Burg. Beim Hinausreiten sah sich Minac noch einmal um und blickte zur Regenbogenburg zurück. Bis auf zwei Wächter am Tor wirkte die Feste völlig verlassen und ruhig. Niemand war aufgestanden, um sie zu verabschieden und ihnen eine gute Reise zu wünschen. Niemand winkte ihnen nach. Minac fühlte sich seltsam leer und einsam. Damals als er von der Burg seiner Familie aufgebrochen war, versammelte sich fast die gesamte Belegschaft und seine Mutter hatte geweint beim Abschied. Auch danach, wann immer er mit Ritter Filliac dessen Burg verließ, waren sie von dessen Frau und anderen Bewohnern verabschiedet worden. Minac beschlich ein ungutes Gefühl. Er konnte es nicht so recht einordnen, aber es war eine gewisse Unruhe die sich in seinem Bauch aufbaute. Kopfschüttelnd blickte er zu Ritter Filliac, welcher neben ihm ritt. Er wirkte zuversichtlich, eisern und konzentriert. Dies beruhigte Minac und er bemühte sich, damit man ihm nichts von seiner Aufgeregtheit ansah.

 

Der Morgen schritt unaufhaltsam voran. Die Sonne war aufgegangen und der Himmel leuchtete blau und wolkenlos. Es war ein warmer, frühlingshafter Tag, perfektes Reisewetter. Minac jedoch hatte kaum Zeit die schöne Landschaft zu genießen, Ritter Ternok und Ritter Rasal legten ein ordentliches Tempo vor. Seine Stute Misa keuchte bereits. Sie war schon in die Jahre gekommen, aber er spürte förmlich, wie sie sich nicht unterkriegen ließ und abmühte die Geschwindigkeit zu halten. Dennoch sorgte er sich um sein treues Pferd. Das feurige Streitross Dunkelwind von seinem Herrn hatte offensichtlich weniger Mühe mit den fremden Rittern mitzuhalten. Ritter Filliac drehte sich ab und an um und erkundigte sich mit seinem Blick nach dem Wohlbefinden von Minac und dessen Stute. Bisher hatte dieser jedoch noch nichts gesagt oder getan, außer an den zwei Rittern dran zu bleiben. Minac folgte, wie es sich für einen guten Knappen gehörte.

                Der Vormittag zog dahin und endlich machten Ritter Rasal und Ternok eine Rast. Zunächst waren sie einige Zeit lang durch  hügeliges Gebiet gereist, dessen Hänge mit wilden Graswucherungen übersät waren. Die Straße hatte sich gemählich mit Biegungen den Berg hinabgeschlängelt. Später waren sie auf den Regenbogenfluss gestossen. Der Pfad, denn viel mehr war es eigentlich nicht, befand sich am westlichen Ufer. Der Weg war halbwegs eben gewesen und die leicht schlammige Straße war stetig bergab verlaufen. Zur Rechten befanden sich noch immer grasbewachsene Hügel, welche allmählich grünen Wiesen wichen. Wenn man nach links, über das Ufer blickte, sah man bewaldete Hügel und dahinter die Bergspitzen des Regenbogengebirges, soweit das Auge reichte. Ritter Rasal und Ritter Ternok hatten eine gute Stelle zur Rast ausgewählt. Der Flussverlauf vollzog hier gerade eine lange Innenkurve und es gab einen leichten Zugang zum Wasser. Sowohl Reiter wie auch Tiere konnten sich hier problemlos am kühlen Nass laben.

                Minac war gerade dabei sein Pferd etwas zu striegeln, während dieses am Fluss trank, als eine unbekannte Stimme ihn hochschrecken ließ. Es war einer der zwei Ritter und Minac glaubte, dass es sich um Ritter Ternok handeln müsste, da er dessen Stimme noch nie gehört hatte:

                »Nicht schlecht für so eine klapprige Stute.«

                Minac lief leicht rot an und ein Beschützerinstinkt machte sich in ihm breit:

                »Misa ist ein treues Ross. Das bisschen Rennen schafft sie mit links!«

                Sein Gegenüber nickte nur stumm und ging wieder weg.

                Ein seltsamer Ritter, dieser Ritter Ternok, überlegte Minac in Gedanken, als sich endlich Ritter Filliac zu ihm bequemte:

                »Minac! Alles in Ordnung? Was wollte Ritter Ternok von dir?«

                »Ich bin mir nicht sicher Herr, ich glaube nur die Leistung von Misa würdigen.«

                Ritter Filliac hob die eine Augenbraue:

                »Du hast gut mitgehalten, auch wenn ich mir kurz Sorgen um Misa gemacht habe. Jedoch glaube ich, dass wir ab nun ein langsameres Tempo zu bewältigen haben. Die Pferde der zwei sind zwar kräftig, aber auch schwer beladen. Rüstung, Reiter, die vielen Waffen ...«

                »... und diese vollen Satteltaschen«, vollendete Minac den Satz.

                »Ja, die sind mir auch schon aufgefallen. Was da wohl drinnen sein mag? Sei es drum. Wir werden jedenfalls diesen Tag noch unterwegs sein. Ich vermute wir werden entweder heute Abend oder morgen Früh dann die Fährstation erreichen. Dort wohnt der Fährmann Brokan. Dieser wird uns mit seinem großen Floß übersetzen. Da passen auch unsere Pferde problemlos darauf und keine Sorge, ich habe genug Geld für die Überfahrt.«

                Dabei grinste Ritter Filliac leicht und Minac lief rot an. Er fühlte sich etwas ertappt, war aber zugleich froh. Er glaubte nicht, das er sich die Überfahrt so ohne weiteres hätte leisten können, wusste aber natürlich auch, dass für allgemeine Ausgaben immer der Ritter für seinen Knappen sorgte.

                »Und nach der Überfahrt, Herr?«

                »Nun ... irgendwann danach wird uns Ritter Nandoro einholen oder entgegenkommen.«

                Ritter Filliac wirkte kurz nachdenklich, bevor er weitersprach:

                »Zur Burg Großfels, wo er residiert, sind es drei oder vier Tagesritte. Ein schneller Reiter, der sein Pferd mehrmals wechseln kann und auch in der Nacht reitet, schafft es vielleicht in einem Tagesritt. Noch gestern Nacht hat Ritter Vestiac seinen schnellsten Boten losgesandt. Das heißt dieser wird Ritter Nandoro heute in der Nacht erreichen. Dann wird uns der Herr von Großfels sogleich entgegeneilen. Im besten Fall müssen wir noch einen Tag mit den Rittern reisen. Im schlimmsten Fall sind es nach der Überfahrt noch  zwei Tage. Ich glaube jedoch, dass Ritter Nandoro sich beeilen wird.«

                Minac überlegte kurz und kratzte sich hinter dem Ohr:

                »Sollten wir in der Nacht Wache halten, Herr?«

                »Ja, das werden wir tun müssen. Man kann diesen Rittern nicht trauen.«

                Bei den Worten blickte Ritter Filliac zu den beiden Rittern hinüber. Diese standen etwas abseits und kümmerten sich um ihre Rösser. Sie redeten miteinander, aber ebenso leise wie sie selbst und so konnte keine der Gruppen sich gegenseitig belauschen.

                »Minac, wir werden noch einen kleinen Happen essen und ich vermute dann geht es weiter. Hör gut zu. Sollten wir irgendwann getrennt werden oder irgendetwas Unvorhersehbares passieren; versuche stets auf schnellstem und zugleich sicherstem Wege zurück ins Reich von König Idaniac zu kommen. Das ist sehr wichtig, hast du das verstanden?«

                Minac wurde etwas aufgeregter. Was genau meinte Ritter Filliac damit? Würden die Ritter von König Malag ihnen etwas antun? Er schluckte schwer und raffte seinen Mut zusammen. Er sah seinem Herrn in die Augen und nickte bekräftigend, traute sich jedoch nicht etwas zu sagen.

                Sie aßen nun eine Portion von dem Proviant, welchen Minac von Kastiara bekommen hatte und füllten die Wasserschläuche auf. Ein paar Minuten vergingen, in denen man lediglich das Rauschen des Flusses und das Zwitschern der Vögel hören konnte. Und wie von Ritter Filliac vorhergesagt, machten sich die zwei Ritter Malags nun wieder auf den Weg. Die beiden hatten ihre Sachen zügig gepackt und waren auf ihre braunen, starken Rösser aufgestiegen. Sie ritten wieder los, etwas langsamer und gemächlicher als vorher. Einer der beiden Ritter, es war Ternok schaute beim Losreiten noch zu Minac hinüber. Sein Blick war vom Helm verborgen, aber schien kurz auf ihm zu lasten, dann wandte er sich der Straße zu.

                Ein eisiger Schauer lief ihm über den Rücken. Hatte Ternok tatsächlich zu ihm geschaut, oder doch auch zu Ritter Filliac oder woanders hin? Er war sich nicht ganz sicher, mit dem Helm samt geschlossenem Visier konnte er es nicht hundertprozentig sagen, doch tief drinnen war er sich fast sicher, dass es ihm gegolten hatte.

                Eingeschüchtert stieg er auf Misa auf. Vorsichtig schaute er zu Ritter Filliac, aber dieser war mit seinem restlichen Gepäck beschäftigt und schien die Blicke des fremden Ritters nicht bemerkt zu haben. Dann war auch sein Herr schon auf dem Ross und sie ritten los. Minac schaute noch ein letztes Mal auf die ruhige Stelle am Fluss zurück und konzentrierte sich dann gänzlich aufs Reiten.

 

Es vergingen etwa zwei Stunden und die Sonne brannte mittlerweile erbarmungslos auf die Reiter herab. Die Ritter Malags hatten bereits ihr Tempo weiter reduziert und Ritter Filliac passte sich daran an, aber Minac mit seiner alten Stute war bereits leicht zurückgefallen. Misa wirkte offensichtlich erschöpft. Noch konnte sie mithalten, aber wie lange noch? Minac machte sich nun ernsthafte Sorgen und auch Ritter Filliac drehte sich öfters um, damit er die Lage einschätzen konnte.

                Der frühe Nachmittag zog dahin und endlich zeigten sich die ersten Wolken am Firmament. Die reduzierte Sonneneinstrahlung brachte eine merkliche Kühlung und Erfrischung. Der rauschende Fluss tat das seinige, während er sich gemächlich durch die Landschaft zog. Rechter Hand machten die Hügel nun allmählich Ackerland Platz und über dem Ufer, auf der linken Seite, war nach wie vor dichter Wald. Nach einer weiteren langen Biegung des Flusses sah Minac einen Holzkarren, welcher am Straßenrand stand. Neben dem Karren verharrte ein großer Ochse und ein einzelner Mann. Der hölzerne Wagen selbst schien beschädigt zu sein, denn das einachsige Gefährt hing auf der rechten Seite schräg am Boden. Eines der beiden Holzräder lag lose daneben.

                Minac beobachtete gespannt, was die Ritter Malags tun würden. Doch diese passierten den Karren und ritten einfach weiter. Er glaubte sogar einen Lacher der Ritter zu hören, war sich aber nicht sicher, da sie doch einen guten Vorsprung hatten.

                Nun hatte auch Ritter Filliac einen kleinen Vorsprung zu ihm selbst und er glaubte jedoch nicht, dass dieser stehenbleiben würde. Immerhin mussten sie die Ritter verfolgen. Wenn sie jetzt ihre Hilfe anboten, würden sie Ritter Rasal und Ritter Ternok aus den Augen verlieren. Sein Herr und Meister blieb dennoch stehen.

 

 

Hilfsbereitschaft