Das Geheimnis der Flüstermagie (Band 2) – Sophies Prüfung - Marliese Arold - E-Book

Das Geheimnis der Flüstermagie (Band 2) – Sophies Prüfung E-Book

Marliese Arold

0,0
11,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ein dunkles Geheimnis ... Sophie wohnt noch immer auf dem Hof ihrer Tante Kathi, umgeben von Tieren und magischen Wesen, deren Sprache sie versteht. Als ihr Schwarm Silvio beschuldigt wird, mit einer verräterischen Hüterin zusammenzuarbeiten, kann Sophie dies gar nicht glauben. Silvio beteuert zwar seine Unschuld, doch bevor er etwas beweisen kann, ist er verschwunden. Zusammen mit ihrer besten Freundin Paula stellt Sophie eigene Nachforschungen an und gerät dabei in größte Gefahr. Wird sie die Prüfung vor dem Großen Rat bestehen, und gibt es für Silvio noch eine Chance?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 229

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Wölfe für Paula

Der Holzwicht-Beweis

Ein schrecklicher Verdacht

Der magische Wald

Aufbruch in der Nacht

Schwarz und Weiß

Der Atem des Untiers

Hüterin des Waldes

Die große Ratsversammlung

Die Eignungsprüfung

Flucht in die Berge

Per Schlange durch die Welten

Die Dämonin im Baum

Reise in der Unterwelt

Begegnung auf der Brücke

»Ich weiß nicht, ob ich meine Wellensittiche so lange allein lassen kann«, sagte Paula am Telefon.

Ich verdrehte die Augen, denn ich wünschte mir im Moment nichts mehr, als noch länger auf dem Hof meiner Tante Kathi bleiben zu können. Eigentlich sollte ich in ein paar Tagen meine Koffer packen und in meine Heimatstadt zurückreisen, um die nächsten drei Wochen bei meiner Freundin Paula zu verbringen. Meine Eltern waren ja immer noch auf Kreuzfahrt. Jetzt hatte ich Paula am Telefon den Vorschlag gemacht, ob sie nicht lieber zu mir auf Kathis Hof kommen wollte, weil sich hier gerade lauter aufregende Dinge ereigneten.

Wirklich unglaublich aufregende Dinge!

Beispielsweise die Geburt eines Einhornfohlens. Oder die Begegnung mit einem Riesenvogel Roch, der Schlimmes hatte durchmachen müssen. Nur mit großer Mühe war es uns gelungen, das Greifenweibchen Adelinde zu retten und vor dem Tod zu bewahren.

Noch vor kurzer Zeit hätte ich das alles auch für Märchen gehalten. Ich konnte nachvollziehen, dass Paula Zweifel hatte.

»Und wer sagt mir, dass du dir das alles nicht nur ausgedacht hast, weil es auf dem Hof deiner Tante in Wahrheit stinklangweilig ist?«

Ich seufzte tief. »Komm her und überzeug dich mit deinen eigenen Augen!«

»Aber wenn das alles nicht stimmt, dann langweile ich mich genaus–«

»Und es gibt Wölfe«, unterbrach ich sie. »Riesige Wölfe. Ihr Fell ist silbern, und sie haben meiner Tante gestern Nacht Fleischbällchen aus der Hand gefressen.«

Paula quietschte begeistert. »Wow!«

Genau wie ich war sie ein Fan von Wölfen, die leider nur allzu oft von den Menschen verteufelt wurden.

»Mit etwas Glück kannst du sie vielleicht auch sehen«, versuchte ich, Paula aus der Reserve zu locken.

Ich spürte, wie Paula am Telefon mit sich kämpfte.

»Aber mein Salzwasseraquarium …«

»Versorgt deine Mutter.«

»Und meine beiden Meerschweinchen …«

»Die lässt deine Mutter bestimmt auch nicht verhungern.«

»Und Caruso?«

Caruso war Paulas roter Kater. Ziemlich verfressen.

»Der speckt vielleicht endlich ein paar Gramm ab, während du weg bist. Deine Mutter lässt sich von ihm nicht so leicht erweichen, die hätte ihn schon längst auf Diät gesetzt.«

Jetzt seufzte Paula. »Na gut«, sagte sie. »Ich frage meine Eltern, und dann gucke ich nach einer günstigen Bahnverbindung.«

Ich stieß einen Freudenschrei aus.

»Aber dann musst du mir auch diesen Silvio vorstellen«, verlangte Paula. »Und mir haarklein erzählen, was da genau zwischen euch abgeht.«

»Versprochen!«, sagte ich, obwohl ich das selbst nicht so genau wusste. In Silvios Nähe begann mein Herz immer wie verrückt zu rasen. Er war so geheimnisvoll. Und er wusste viel mehr als ich über den magischen Wald und seine Geschöpfe, denn er war ein Hüter und Bewahrer. Okay, er würde eines Tages einer werden, im Moment befand er sich noch in Ausbildung.

»Ich ruf dich wieder an und gebe dir Bescheid, wann ich komme«, sagte Paula. »Jetzt muss ich aufhören, es gibt Mittagessen.« Sie verabschiedete sich mit einem Kussgeräusch.

Ich legte mein Handy zur Seite und stellte fest, dass ich glücklich vor mich hin grinste. Paula würde kommen! Und ich konnte dadurch meinen Aufenthalt bei meiner Tante um drei Wochen verlängern – fast bis zum Ende der Sommerferien! Wenn das kein Grund zum Jubeln war!

Ich lief nach unten in die Küche, um meiner Tante gleich die freudige Nachricht mitzuteilen.

Der Raum war voller Qualm, Kathi zog gerade ein Blech mit völlig verkohltem Apfelkuchen aus dem Ofen. Sie fluchte vor sich hin.

»Jetzt ist der verdammte Herd auch kaputt! Das hat mir gerade noch gefehlt.«

Ich riss das Fenster auf, um den Qualm hinauszulassen. Dabei fiel mein Blick automatisch auf die Scheune. Der schwere Sturm, den wir vor Kurzem gehabt hatten, hatte das ganze Dach zerstört. Kein Ziegel war heil geblieben, und auch die nackten Dachbalken standen kreuz und quer. Es war ein furchtbarer Anblick. Wunderbarerweise hatte sich herausgestellt, dass meine Tante gegen Sturmschäden versichert war. Bald würde die Scheune ein schönes, neues Dach bekommen, ohne dass Kathi (die ohnehin immer knapp bei Kasse war) einen einzigen Cent dafür bezahlen musste. Ich glaubte immer noch nicht, dass das Ganze mit rechten Dingen zugegangen war. Meine Tante war nicht der Typ, der sich gegen alles absicherte, und meiner Meinung nach hatte da Noah Nachtnebel, Silvios Onkel, seine Finger im Spiel. Er war ebenfalls ein magischer Hüter – und vielleicht besaß er noch weitere geheimnisvolle Kräfte, von denen wir nichts ahnten.

»Da ist nichts mehr zu retten!«, brummte Kathi hinter meinem Rücken. »Der schöne Kuchen!«

Ich hörte das Bedauern in ihrer Stimme. Mir tat es auch leid, denn Kathis Apfelkuchen war legendär. Sie konnte ausgezeichnet backen. Wenn es nicht so viel Arbeit auf dem Hof geben würde, dann hätte ich bestimmt schon etliche Kilo zugenommen, weil ich einfach nicht widerstehen konnte. Apfelkuchen mit frischer Sahne – von Kathis eigener Kuh Brigitte – mmmhhh! Die Kuh stand allerdings bei einem befreundeten Bauern, nicht hier auf dem Hof. Dort hatte sie Gesellschaft von anderen Kühen. Bei uns gab es ältere und ausgediente Pferde, einen Esel, zwei Wollschweine, Ziegen, Kaninchen und Meerschweinchen und auch etliche Vögel. Meine Tante hatte ein großes Herz für Tiere, die keiner mehr wollte und die hier in Ruhe leben durften. Nur die Ziegen bildeten eine Ausnahme. Kathi hatte nämlich vor, Produkte aus Ziegenmilch herzustellen und sich dadurch etwas dazuzuverdienen. Der Hof finanzierte sich hauptsächlich durch Spenden und Patenschaften.

Mein Liebling war der pechschwarze Noriker Hjalmar, ein Kaltblut. Er war das Pferd aus meinen Träumen. Wir hatten ein paar Anfangsprobleme miteinander gehabt, aber inzwischen verstanden wir uns super! Buchstäblich! Ich konnte seine Gedanken hören und er meine. Durch ihn hatte ich erst richtig begriffen, dass auch ich eine besondere Gabe besaß. Sie hatte sich erst hier auf dem Hof gezeigt, obwohl ich mir schon bei Paulas Kater Caruso ein oder zwei Mal eingebildet hatte, seine Gedanken zu empfangen. Ich weiß, das klingt verrückt, aber inzwischen glaubte mir auch Paula, dass ich die Sprache der Tiere verstehen konnte. Umberto, der Esel, hatte die Angewohnheit, in Reimen zu sprechen, und Susi, das Wollschwein, redete mich auf Plattdeutsch an. Wirklich irre, was hier auf dem Hof passierte, doch der magische Wald toppte das alles um ein Vielfaches. Nie hätte ich gedacht, dass meine Ferien bei Tante Kathi so aufregend werden würden!

»Ich muss alles wegwerfen«, klagte Kathi. »Die verkohlten Reste kann man nicht einmal mehr den Schweinen geben.«

O ja. Ich konnte mir gut vorstellen, wie Susi ihren behaarten Schweinerüssel rümpfen würde. Wat för ’n Schiet!

»Ich habe gerade mit Paula telefoniert«, erzählte ich. »Sie fragt ihre Eltern, ob sie kommen darf.«

Da Kathi nicht gleich antwortete, hakte ich nach. »Es ist dir doch recht, oder?«

Sie nickte geistesabwesend. »Doch ja, klar.«

Ihre Gedanken schienen noch immer bei dem verkohlten Apfelkuchen zu sein.

»Lass das Blech einfach auskühlen, ich kratze nachher alles ab«, schlug ich vor.

Sie hob den Kopf. »Und was essen wir jetzt zu Mittag?«

»Spiegeleier? Das geht ziemlich schnell.« Ich sah im Kühlschrank nach, ob wir noch Eier hatten. Ein einziges verlorenes Ei befand sich noch im Fach. Die anderen hatte meine Tante zum Kuchenbacken verwendet. Kurz entschlossen lief ich nach draußen, um im Hühnerstall nachzusehen, ob eine freundliche Henne vielleicht schon ihr Sonntagsei gelegt hatte.

Die Hühner genossen schon die Sonne. Eines lag aufgeplustert im Wellness-Modus auf dem Pflaster. Die weiße Henne, Anführerin der Hühnerschar, beobachtete mich scharf. Obwohl sie mich inzwischen gut kannte, erregte ich immer noch ihr Misstrauen.

»Alles gut, Lady Macbeth«, sagte ich zu ihr. »Ich tu euch nichts, das müsstest du längst wissen. Ich will nur mal gucken, ob eine von euch Damen vielleicht inzwischen ein Ei gelegt hat.«

Unverschämtheit! Da kommt die Tussi einfach, nimmt uns unsere Eier weg und hat nicht einmal Futter dabei!

»Das tut mir leid«, sagte ich zerknirscht. »Das nächste Mal bringe ich euch was, versprochen!«

Sorg lieber dafür, dass wir Mädels endlich einen Hahn bekommen! Wir brauchen einen Beschützer! Es sind Wölfe in der Nähe!

Ich stutzte. Woher wusste die Henne etwas über die Wölfe? Hatten die silbernen Wächter des Waldes etwa ihr Domizil verlassen? Ging das überhaupt? Konnten die magischen Tiere die Grenze zur Realität überwinden? Oder schlich irgendwo ein fremder Wolf herum, der sich schon die Lippen nach unseren Hühnern und Ziegen leckte?

»Ich werde Kathi Bescheid sagen«, teilte ich der Leithenne mit. »Meine Tante entscheidet, ob ihr einen Hahn bekommt oder nicht.«

Hoffentlich entscheidet sie sich richtig!

Ich seufzte. Lady Macbeth konnte ganz schön anspruchsvoll sein. Und ziemlich herrisch war sie auch. Ich hatte meine Zweifel, ob sie einem Hahn so einfach die Führung der Hühnerschar überlassen würde, egal, was sie jetzt gerade behauptete.

Du Dummkopf! DARUM geht es doch gar nicht. Wir Mädels wollen endlich kleine Küken …

Ich musste grinsen, als ich im Hühnerstall verschwand. Seitdem ich die Sprache der Tiere verstehen konnte, war mein Leben eindeutig abwechslungsreicher geworden.

Ich hatte Glück und fand im Nest drei Eier. Normalerweise holte Kathi morgens die Eier aus dem Hühnerstall. Aber manche Hennen waren Spätaufsteherinnen beziehungsweise Spätlegerinnen, wie auch am heutigen Sonntag. Die drei Eier und das Ei im Kühlschrank ergaben für Kathi und mich eine Mahlzeit. Jede würde zwei Spiegeleier auf Toastbroten bekommen. Dazu noch einen frischen Salat. Bestens.

Eine halbe Stunde später saßen wir hinter dem Haus im Garten und schlemmten. Kathi sah erschöpft aus, während ich das Gefühl hatte, vor Energie und Lebensfreude gleich platzen zu müssen. Ich freute mich auf den Besuch von Paula und die Aussicht, länger auf Kathis Hof bleiben zu dürfen. Und sicher würde ich bald auch Silvio Lichtwald wiedersehen. Schon der Gedanke an ihn ließ mein Herz fröhlich hüpfen. Ich hatte fast ein schlechtes Gewissen, weil es mir so gut ging, während meine Tante eindeutig über etwas nachgrübelte.

Schließlich legte ich mein Besteck hin. Sowohl mein Teller als auch die Schüssel mit dem Salat war sauber leergeputzt, während Kathi noch an ihrem letzten halben Toastbrot knabberte.

»Was ist los, Tante Kathi?«

Zögernd hob sie den Blick vom Tisch und sah mir in die Augen. »Ich mache mir Sorgen«, gestand sie.

Um das zu erkennen, brauchte man keine Hellseherin zu sein.

»Und was genau bedrückt dich?«, hakte ich nach.

»Ach!« Ihr Stoßseufzer kam aus tiefstem Herzen. »Eigentlich alles. Der Hof. Mein Leben. Noah. Wie alles weitergehen soll.«

Moment mal. Noah? Noah bedrückte sie? Ich hatte erst heute Nacht kapiert, dass meine Tante und Noah mehr waren als nur Freunde. Aber das war doch eher ein Grund zur Freude!

Wieder einmal plapperte mein Mund einfach drauflos.

»Noah ist doch ein Supertyp, und ich freue mich, dass ihr jetzt zusammen seid! Warum bedrückt dich die Sache? Auf mich müsst ihr keine Rücksicht nehmen, ich bin alt genug, um das zu verstehen.«

Kathi musste lächeln. »Du bist 13, Sophie, und in deinem Alter ist die Liebe noch wesentlich einfacher als mit Ende dreißig.«

Ich runzelte die Stirn und wollte widersprechen, aber Kathi ließ mich nicht zu Wort kommen.

»Für dich ist alles frisch und neu. In meinem Alter hat man schon bestimmte Vorstellungen und weiß vor allem, was man nicht will. Ich habe mich hier auf meinem Hof gut eingerichtet, und was ich auf keinen Fall brauche, ist Ärger mit einem Mann.«

Ich schnappte nach Luft. Ich hatte Noah Nachtnebel nur immer sehr hilfsbereit und zuvorkommend erlebt. Meine Tante hatte ständig Geldsorgen, und mehr als einmal hatte er ihr geholfen. Mit realem Geld – wie bei der neuen Heizung im Frühjahr – und mit irgendwelchen Tricks, wie jetzt bei dem zerstörten Scheunendach.

»Wieso macht Noah dir Ärger?«, fragte ich deswegen.

»Das macht er ja gar nicht.« Kathi schüttelte den Kopf. »Aber ich weiß genau, dass wir uns früher oder später streiten werden. Das Problem bin ich. Ich glaube, ich kann gar nicht mit einem Mann zusammenleben, zumindest nicht auf Dauer.«

»Will er denn hier einziehen?«, rutschte es mir heraus.

»Nein, so weit sind wir noch nicht, aber …« Meine Tante zuckte mit den Schultern. »Ich glaube, in Wirklichkeit habe ich Angst. Angst davor, Gefühle zuzulassen und dann wieder verletzt und enttäuscht zu werden. Wie schon so oft. Aber lass uns jetzt lieber das Thema wechseln.«

Ich nickte. »Und warum machst du dir Sorgen um den Hof?« Ich konnte meine Neugier leider nur schlecht bremsen.

Kathi lachte trocken auf. »Warum wohl? Es ist immer wieder derselbe Grund: Geld. Wenn ich ein Loch gestopft habe, tauchen schon wieder zwei neue auf. Ich habe so gehofft, dass ich einen besonderen Ziegenkäse herstellen kann und die Leute nach und nach auf meinen Hof aufmerksam werden. Ich wünsche mir insgeheim einen Hofladen, der so viel abwirft, dass auch etwas Geld für die Tiere übrig bleibt. Aber meine ersten Versuche, Käse herzustellen, sind so was von in die Hose gegangen, das mag ich dir gar nicht erzählen.«

»Na ja, du probierst es doch erst seit ein paar Tagen«, meinte ich. »Zu mir sagst du immer, dass man Geduld haben muss.«

»Da siehst du es: Ich halte mich nicht einmal an meine eigenen Ratschläge.« Kathi schnitt eine Grimasse. »Deine Mutter hat schon recht, wenn sie mich für eine Versagerin hält.«

O Mann, sie war heute wirklich schlecht drauf!

»Hast du etwa mit meinen Eltern telefoniert?«, fragte ich. Ein Blick in ihr Gesicht genügte, und ich wusste, dass ich ins Schwarze getroffen hatte.

»Sie haben heute Morgen angerufen, als du noch geschlafen hast«, murmelte Kathi. »Sie haben mich aus dem Schlaf gerissen, und ich könnte mich jetzt noch ohrfeigen, weil ich mein Handy nicht ausgeschaltet hatte.«

Sofort stieg eine Riesenwut auf meine Eltern in mir hoch. Meine Mutter und Kathi waren Schwestern, die nicht unterschiedlicher sein könnten. Sie interessierten sich für völlig unterschiedliche Dinge. Meine Mutter hatte ihr Kosmetikstudio Chez Françoise, und für sie spielten Äußerlichkeiten eine große Rolle. Wie man aussah, was man anhatte, ob man gute Manieren hatte und ob man etwas darstellte. Für meinen Vater waren Ehrgeiz und Zielstrebigkeit wichtig und dass man es im Leben zu etwas brachte. Kathi dagegen tat das, was ihr Spaß machte. Sie hatte ein großes Herz für Tiere und war immer hilfsbereit. Es störte sie nicht, dass sie die meiste Zeit in uralten Jeans und ausgelatschten Schuhen herumlief – Hauptsache, es ging ihren Tieren gut. Tiere, die keiner mehr wollte, waren auf Kathis Hof herzlich willkommen. Meine Tante besaß einiges an Heilwissen, auch wenn sie nie einen Abschluss in Tiermedizin gemacht hatte. Den Tieren war es egal, dass sie keinen Doktortitel hatte, sie fühlten sich trotzdem wohl in Kathis Paradies.

»Was haben meine Eltern zu dir gesagt?«, fragte ich mit belegter Stimme.

»Ach, es ging hauptsächlich um das Dach«, murmelte Kathi. »Sie wollten mir nicht glauben, dass es von der Versicherung bezahlt wird. Franzi traut mir wohl eher zu, dass ich mir eine Knarre besorge und die nächste Bank überfalle.« Sie holte tief Luft. »Vielleicht muss ich das ja auch tun, damit ich mir einen neuen Herd kaufen kann.«

»Den kann man bestimmt reparieren«, meinte ich, obwohl ich keine Ahnung von Technik hatte. »Wer sagt denn, dass du gleich einen neuen Herd brauchst. Außerdem bekommst du vielleicht einen gebrauchten Herd günstig im Internet.«

»Okay, du hast ja recht.« Kathi lächelte mich an. »Heute ist halt irgendwie ein schwarzer Tag, tut mir leid. Morgen ist meine Laune bestimmt wieder besser.«

Schade, dass sie so niedergeschlagen war. Und das nach dieser zauberhaften Nacht, in der Silvio und ich das Einhornfohlen auf den Namen Glückswind getauft hatten. Alles war so wunderbar gewesen! Ich würde mich mein ganzes Leben lang an diese feierliche Nacht erinnern!

Mein Handy, das auf dem Tisch lag, vibrierte. Ich schaute auf das Display. Paula ruft an. Ich drückte auf das grüne Symbol und nahm das Gespräch an.

»Meine Eltern erlauben es«, quietschte mir Paula ins Ohr. »Und ich kann schon am Dienstag kommen. Mein Vater fährt zufällig in die Richtung, und ich kann ein Stück mitfahren. In Schwerin steige ich dann in den Zug. Für die letzte Strecke muss ich einen Bus nehmen. Könnt ihr mich dann abholen?«

Sie nannte Ort und Uhrzeit ihrer Ankunft.

»Klar, das passt.« Ich wiederholte die Daten laut, und Kathi nickte.

»Ich schicke dir alles noch mal per Mail«, sagte Paula. »Für alle Fälle. Damit ihr es nicht vergesst.« Sie quietschte wieder. »Du hast keine Ahnung, wie ich mich freue!«

»Das wird super«, versicherte ich ihr.

»Muss ich was Besonderes mitbringen?«

»Hm. Weiß nicht, Doch. Badezeug! Hier in der Nähe gibt es einen wunderbaren See, da kann man herrlich schwimmen! Und festes Schuhzeug.«

Kathi flüsterte mir etwas zu.

»Meine Tante sagt gerade, dass du keine Gummistiefel mitbringen musst, sie hat genügend.« Ich grinste.

»Auch in Schuhgrüße 41?« Paula lebte auf großem Fuß.

»41?«, fragte ich meine Tante.

Kathi hielt den Daumen hoch.

»Kein Problem«, sagte ich zu Paula. »Ich freu mich auch ganz doll, dass du kommst! Ich werde die Stunden bis zu deiner Ankunft zählen.«

»Jetzt übertreib nicht gleich«, meinte Paula trocken. »Sag lieber deinem Silvio, dass wir gaaaanz viel zusammen machen werden und er sehen muss, wo er bleibt. Und wehe, wenn er so ein eifersüchtiger Typ ist, der nicht versteht, was echte Mädchenfreundschaft ist.«

Ich lachte, obwohl es mich beim Gedanken an Silvio leicht im Bauch zwickte. Ich hatte keine Ahnung, wie er auf Paula reagieren würde. Und auch darauf, dass ich meinen Schwur gebrochen und ihr von den magischen Wesen im Wald erzählt hatte. Ein ungutes Gefühl wollte sich in mir ausbreiten, und ich versuchte, es zu ignorieren.

»Wir werden bestimmt viel Spaß zusammen haben«, versicherte ich Paula.

»O ja, das glaube ich auch!«, kicherte sie und verabschiedete sich wie immer mit einem lauten Kussgeräusch.

Ich trat unruhig von einem Fuß auf den anderen und sah immer wieder auf meine Handyuhr. Der Bus, mit dem Paula kommen sollte, hatte sich verspätet. Wir warteten jetzt schon geschlagene zwanzig Minuten, und ich wurde immer nervöser. Meine Tante war dagegen die Gelassenheit selbst. Sie lehnte an ihrem alten Auto, hatte die Augen geschlossen und genoss sowohl die Sonne als auch die wohlverdiente Pause von der Arbeit.

»Wieso kommt der Bus nicht?«, murmelte ich. »Hoffentlich ist nichts passiert.«

»Wird schon alles gut gegangen sein«, meinte Kathi, während sich in meinem Kopf bereits die schrecklichsten Bilder zeigten. Ein umgestürzter Bus. Eine durchbrochene Leitplanke. Ein aufgesprungener Koffer, der halb in einem Fluss lag. Meine lebhafte Fantasie spielte mir manchmal üble Streiche.

Zugegeben, heute war ich es, die nicht gut drauf war. Natürlich freute ich mich auf Paulas Besuch, keine Frage. Doch Silvio hatte sich seit Samstagnacht nicht mehr blicken lassen, und die Enttäuschung darüber lag wie ein Schatten auf meiner Laune. Natürlich fragte ich mich, ob ich irgendetwas falsch gemacht hatte oder ob ich Silvio durch eine blöde Bemerkung verletzt hatte. Mein Mundwerk war ja oft ziemlich vorlaut, und manchmal rutschten mir Dinge heraus, die ich eigentlich gar nicht sagen wollte.

Aber diesmal war ich mir keiner Schuld bewusst. Noah war am Sonntagabend und am Montagabend da gewesen, aber ich hatte es nicht fertiggebracht, ihn nach Silvio zu fragen. Ich wollte nicht aufdringlich oder ungeduldig klingen. Stattdessen hatte ich mich nach den Wölfen erkundigt und ihm erzählt, dass die Hühner in Panik geraten waren.

Noah hatte den Kopf gewiegt. »Es ist schon möglich, dass die Wölfe den Wald verlassen haben. In dieser Gegend ist die Grenze ziemlich dünn. Aber keine Sorge, sie werden den Hühnern nichts tun.«

»Die Hennen würden sich sicherer fühlen, wenn sie einen Hahn bekommen würden«, hatte ich mit einem Blick auf Kathi gesagt.

Meine Tante hatte nur die Schultern gezuckt. »Mal sehen. Ich werde mich umhören. Vielleicht hat jemand in der Nachbarschaft einen Hahn abzugeben.«

Für das zukünftige Liebesglück der Hennen würde also gesorgt werden, aber was war mit meinem eigenen? Mit jeder Stunde wurde ich zappeliger, und meine Gefühle wechselten schneller als das Wetter. Mal war ich wütend auf Silvio, dann wieder sorgte ich mich, und fünf Minuten später ärgerte ich mich, weil ich an nichts anderes denken konnte als an ihn und an die wunderbaren Momente, die wir in jener Nacht geteilt hatten. Ich war sicher gewesen, dass er das Gleiche für mich empfand wie ich für ihn. Doch inzwischen waren meine Zweifel ins Riesenhafte gewachsen. Vielleicht war ich ihm ja doch völlig gleichgültig. Kein Wunder, dass ich inzwischen das reinste Nervenbündel war.

Und jetzt ließ auch noch der Bus mit Paula auf sich warten!

Fünf weitere Minuten vergingen. Zweimal versuchte ich, auf Paulas Handy anzurufen, aber es ging nur die Mailbox dran. Es war zum Verzweifeln!

Als meine Laune ihren Tiefpunkt erreicht hatte, rollte der Bus endlich auf den Busbahnhof. Das Fahrzeug war kleiner als erwartet, und Paula war die Einzige, die an dieser Haltestelle ausstieg. Mühsam wuchtete sie ihren großen Koffer und ihre Reisetasche aus dem Bus, dann fielen wir uns in die Arme.

»Ich habe schon gedacht, du kommst nicht mehr!«, gestand ich meiner Freundin.

Paula grinste und schob ihre übergroße Sonnenbrille auf die Stirn. »Wir sind in einer Schafherde stecken geblieben, die ohne Schäfer unterwegs war. Es hat eine Ewigkeit gedauert, bis die Tiere endlich den Weg freigegeben haben. Ich habe ein lustiges Video vom Busfahrer machen können und gleich noch ein paar Schimpfwörter gelernt.«

Kathi hatte ihr Nickerchen (oder ihre Kurzmeditation, wie sie es lieber ausdrückte) beendet, trat auf Paula zu und reichte ihr die Hand.

»Herzlich willkommen! Ich bin Kathi, Sophies Tante.«

»Das habe ich mir schon gedacht. Ich bin Paula.«

Sie schienen sich auf Anhieb zu verstehen, darüber war ich froh. Nicht, dass ich mir deswegen ernsthafte Sorgen gemacht hätte. Paula konnte gut mit Leuten umgehen, und ihre Interessen deckten sich weitgehend mit denen meiner Tante. Genau wie ich engagierte sich Paula für den Natur- und Umweltschutz und wollte möglichst viel darüber erfahren, wie der Mensch die Natur beeinflusste und wie man die Welt ein wenig besser machen konnte. Kathi bot Paula gleich das »Du« an, nachdem wir ihr Gepäck im Kofferraum verstaut hatten und Paula auf den Rücksitz geklettert war. Auf der Fahrt zum Hof stellte Paula unzählige Fragen. Normalerweise war ich ja das Plappermaul, aber an diesem Tag schaffte Paula es locker, mich zu toppen. Sie war einfach in ihrem Element, und ihre Augen leuchteten, als wir an der Weide mit den alten Pferden vorbeifuhren.

»Kannst du bitte mal kurz anhalten, Kathi?«, bat sie.

Meine Tante trat gehorsam auf die Bremse, um uns aussteigen zu lassen.

»Und welches ist denn nun dein Traumpferd?«, fragte Paula, als wir uns nebeneinander übers Gatter lehnten. Die Pferde hatten schon neugierig die Köpfe gehoben und schauten zu uns herüber. Am weitesten entfernt stand Hjalmar, der im Schatten eines Apfelbaums döste. Es war wieder ein sehr heißer Tag, und am Horizont drohten bereits dunkle Wolken.

»Der Rappe da drüben«, erklärte ich.

Für mich gab es kein schöneres Pferd. Sein Fell war schwarz wie Tinte, und wenn es frisch geputzt war, glänzte es wie Seide. Seine Mähne war sehr lang und fiel ihm in Locken über den Hals. Der lange Schweif berührte fast den Boden.

»Ich sehe nur einen alten Ackergaul«, sagte Paula.

Ich gab ihr einen Rippenstoß. »Ackergaul! Wehe, ich höre dieses Wort noch einmal aus deinem Mund.«

Paula lachte, sie hatte mich wieder einmal veräppelt. Bestimmt gefiel ihr Hjalmar genau wie mir. Diese schweren Kaltblutpferde besaßen eine eigene Schönheit. Man konnte sie nicht mit den schlanken, grazilen Vollblütern vergleichen. Dafür besaßen sie große Kraft und Ausdauer. Hjalmar hatte früher Baumstämme gezogen und bei der Waldarbeit geholfen. Er konnte mühelos zwei Reiter gleichzeitig tragen, ohne dass er ins Schwitzen geriet.

Ich erinnerte mich, wie Silvio hinter mir gesessen hatte, und ein Schauder lief über meinen Rücken. Nicht gut! Schnell an etwas anderes denken …

»Und er versteht wirklich deine Gedanken?«, wollte Paula wissen.

Ich nickte.

»Dann sag ihm doch, dass er zu uns an den Zaun kommen soll.«

»Okay.« Ich konzentrierte mich.

Hallo, Hjalmar, ich bin’s, Sophie. Entschuldige, wenn ich dich bei deinem Schläfchen störe, aber meine Freundin Paula möchte dich kennenlernen. Kannst du ein wenig näher kommen?

Ich dachte schon, du hast mich vergessen! Heute hat mich Mira geputzt, und ich hätte ihr am liebsten gegen das Schienbein getreten, weil sie meinen Schweif ausdünnen wollte. Sie kam sogar mit einer Schere an! So eine Frechheit! Mein Schweif ist völlig in Ordnung, da muss nichts ausgedünnt werden!

Das tut mir leid, Hjalmar! Ich hätte dich gerne selber geputzt, aber ich musste das Zimmer für Paula herrichten.

Ich sah, wie Hjalmar unter dem Baum den Kopf hob und uns einen Blick schenkte.

Ist sie das?

Ja, antwortete ich in Gedanken.

Ich habe jetzt keine Lust. Es ist so heiß, und ich bin froh, dass ich gerade die Fliegen verscheucht habe. Du kannst mir deine Freundin ein andermal vorstellen.

Ich schluckte. »Er hat keine Lust«, sagte ich zu Paula. »Es ist ihm zu heiß.«

Paula runzelte die Stirn. »Na ja, um festzustellen, dass er nicht herkommen will, braucht man keine Gedankenübertragung.«

»Er ist ein bisschen sauer, weil ich ihn heute nicht geputzt habe«, murmelte ich. »Und Mira wollte ihm den Schwanz ausdünnen, das hat er ihr wohl übel genommen.«

»Mira ist eine der Helferinnen?«, fragte Paula nach.

»Ja.« Ich hatte ihr schon von ihr erzählt. Meine Tante beschäftigte gleich drei Mädchen, die ihr stundenweise bei der Arbeit halfen: Mira, Elli und Hatice. Die drei waren anfangs ziemlich eifersüchtig auf mich gewesen, weil sie gedacht hatten, ich wollte ihnen den Job streitig machen. Aber ich war nicht auf dem Hof, um Geld zu verdienen. Im Gegenteil. Meine Mutter hatte ihrer Schwester für meinen Aufenthalt eine fürstliche Summe bezahlt. Denn sonst war niemand verfügbar, der mich »beaufsichtigte«, während meine Eltern ihre Kreuzfahrt antraten. Das Naturcamp, bei dem Paula und ich angemeldet gewesen waren, war leider kurzfristig ausgefallen.

Die anderen Pferde waren inzwischen an den Zaun gekommen und schoben ihre Köpfe übers Gatter. Paula hatte sich tatsächlich mit Leckerlis eingedeckt, die sie jetzt großzügig verteilte.

»Ich bin mal gespannt, ob die Wölfe auch nur in deiner Fantasie existieren«, sagte sie beiläufig, als alle Leckerlis verfüttert waren und sie den Pferden ihre leeren Hände zeigte.

»Ich hab dich nicht angelogen, Paula, das musst du mir glauben«, beteuerte ich und dachte daran, was Noah gesagt hatte.

»Du hast ja jetzt Zeit genug, mich vom Gegenteil zu überzeugen«, meinte sie und schnitt eine säuerliche Grimasse.

Als wir zum Auto zurückgingen, telefonierte Kathi gerade.

»Wie – verschwunden? Das kann doch nicht sein! Bisher hast du doch deine Hand ins Feuer gelegt für deinen Neffen!«

Mir gefror das Blut. Sie musste mit Noah telefonieren. Und der Neffe, um den es ging, war kein anderer als Silvio. Was war passiert?

Jetzt bemerkte Kathi, dass wir neben dem Auto standen.

»Ich muss Schluss machen«, sagte sie schnell. »Ruf mich an, wenn du etwas Neues erfährst.« Sie beendete das Gespräch.

»Na, schon erste Freundschaften geschlossen?«, fragte sie Paula. Ihr Lächeln hatte etwas Gezwungenes.

»Die Leckerlis haben sie jedenfalls gerne genommen«, erwiderte Paula. »Liebe geht eben durch den Magen.«

Meine Kehle war noch immer wie zugeschnürt. »Mit wem hast du gerade telefoniert? Ist was mit Silvio?«

»Das war eine Freundin, und es ist alles in Ordnung«, antwortete meine Tante. Wieder erschien dieses künstliche Lächeln.

Sie log, das spürte ich genau.

»Jetzt steigt ein, oder wollt ihr zu Fuß zum Hof laufen?« Sie deutete zum Himmel. Die dunklen Wolken hatten sich verdichtet. »Da kommt heute noch was.«

»Hoffentlich nicht wieder so ein schlimmer Sturm«, sagte ich. Mein Herz klopfte wie verrückt. Verschwunden – bezog sich das auf Silvio? Das würde auch erklären, warum er in den letzten zwei Tagen nicht aufgetaucht war. Und was bedeutete Kathis Bemerkung: