Das Geheimnis der Haushälterin - Dieter Landgraf - E-Book

Das Geheimnis der Haushälterin E-Book

Dieter Landgraf

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  • Herausgeber: neobooks
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2018
Beschreibung

Der Millionär und Gesundheitsfanatiker Friedbert Voß wird in der Sauna seiner Villa am Akaziensee leblos aufgefunden. Sein Hausarzt diagnostiziert einen natürlichen Tod. Zur Trauerfeier erscheinen alle Familienangehörige. Beim Verlesen des Testaments des Verstorbenen kommt es zum Eklat. Die dreißig Jahre jüngere Haushälterin Solveig Lilienthal erbt die Hälfte des Vermögens. Die vier Töchter von Friedbert Voß reagieren wütend und empört. Der außereheliche Sohn Malte Baader dagegen nimmt die Festlegung im Testament gelassen entgegen. Keiner der Anwesend ahnt, dass ein intimes Verhältnis zwischen ihm und der Lebensgefährtin seines Vaters besteht. In der Nacht nach dem Begräbnis wird die Leiche der ältesten Tochter, Saskia Jungblut, am Seeufer gefunden. Sie wurde heimtückisch ermordet. Bei den Ermittlungen stellt sich recht schnell heraus, dass es keine Aussicht auf die Lösung des Falles gibt. Die Ermittlungsakte wird geschlossen. Dann geschieht ein weiterer Mord.

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EPUB

Seitenzahl: 368

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Dieter Landgraf

Das Geheimnis der Haushälterin

Kriminalroman

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Die Tote am See

In der Villa

Vernehmung der Familienangehörigen

Zurück im Kommissariat

Die Haushälterin

Besuch in der Villa

Die Soko ‚Erbe‘

Die Observierung

Eine neue Spur

Das verspätete Paket

Die Hauptkommissarin in Baden-Baden

Solveig Lilienthal erhält Besuch

Ein halbes Jahr vorher

Malte in Akazienaue

Die Freundin

Die Verwirklichung des Planes

Der Geburtstag

Die Beerdigung

Eiskalt und skrupellos

Die Weihnachtspakete

Das Alibi

Die Frist läuft ab

Vollendete Täuschung

Der letzte Akt

Aufregender Hinweis

Das Verhör

Impressum neobooks

Die Tote am See

Der Spätherbst zeigt sich an diesem Sonntagmorgen von seiner goldenen Seite. Vereinzelt ziehen weiße Wolken am tiefblauen Himmel vorüber. Nichts erinnert mehr an das neblig trübe Novemberwetter der vergangenen Tage. Das bunte Herbstlaub weist die für die Jahreszeit typische gelbe Farbe auf. Die Abgrenzungen zwischen den Wiesen und Äckern links und rechts der Bundesstraße vermitteln den Eindruck, als hätte ein Landschaftsarchitekt mit einem Lineal die scharfen Konturen der Feldraine akkurat eingezeichnet. Die reizvolle Landschaft des Naturparks Sandahlener Heide wird durch wenige Ortschaften beeinträchtigt. Selbst diese passen sich mit ihren malerischen Fachwerkhäusern der Natur an. Der weiße Rauch aus vereinzelten Schornsteinen steigt kerzengerade in die Luft. Er steht in einem reizvollen Kontrast zu dem azurblauen Himmel.

Die Bundesstraße scheint um diese Jahreszeit nahezu verwaist zu sein. Ebenda, wo sich in den Urlaubsmonaten permanent Caravans und Personenkraftwagen Stoßstange an Stoßstange aneinanderreihen, ist heute dagegen kaum ein Fahrzeug unterwegs. Das Blaulicht auf dem Dach der Dienstlimousine des Kriminalkommissariates von Ballenhainischen erweist sich als vollkommen überflüssig. Mit hoher Geschwindigkeit nähern sie sich dem Ort Akazienaue. Die Insassen interessieren sich weder für die reizvolle Landschaft noch für das um diese Jahreszeit recht ungewöhnliche sonnige Herbstwetter. Kriminalhauptkommissarin Veronika Sommercamp und Kommissar Jens Knobloch erhielten vor wenigen Minuten die Nachricht über den Fund einer Wasserleiche im Akaziensee. Aus ihrer langjährigen Berufserfahrung wissen sie, dass damit das dienstfreie Wochenende beendet ist. Bei der Ankunft auf dem Parkplatz des Hotels ‚Haus am Akaziensee' sehen sie den Menschenauflauf. In dem zweihundert Einwohner zählenden idyllischen Ferienort sprach sich der Fund einer Toten in Windeseile herum. Beim Aussteigen sagt Jens Knobloch: »Wo kommen nur die vielen Leute her. Außerhalb der Urlaubszeit ist Akazienaue eher ein überschaubares kleines Dörfchen mitten im Naturpark. Nach meinem Wissen erwacht es erst zu Beginn der Hochsaison. Dann beherbergen der Campingplatz, die privaten Pensionen im Ort und das Hotel im Vergleich zur Einwohnerzahl die doppelte Anzahl von Gästen.«

»Das ist im Moment wahrlich nicht mein Problem. Vielmehr beschäftigt mich, wie wir schnellstmöglich zu der Stelle gelangen, an der man die Leiche fand«, äußert Veronika Sommercamp ungeduldig.

Die Blinklichter der Polizeieinsatzwagen und der beiden Fahrzeuge des Rettungsdienstes signalisieren den Kommissaren unmissverständlich den Brennpunkt des Geschehens. Polizeiwachtmeister Fritz Bauerstolz hat trotz der Absperrung mit rotweißen Flatterbändern sichtliche Mühe, den Fundort der Toten vor übertrieben Neugierigen abzuschirmen. Mühsam bahnen sie sich einen Weg nach vorn. Keiner der Schaulustigen ist gewillt, auch nur einen Zentimeter von seinem erkämpften Beobachtungsplatz freizugeben. »Benehmt euch nicht derartig starrköpfig. Bildet eine Gasse, damit die Hauptkommissarin recht rasch nach vorn gelangt. Sie ist genauer gesagt zum Arbeiten hier. Nicht wie ihr, die nur Maulaffen feilhaltet«, hören sie die sonore Stimme ihres Kollegen. Wie gewohnt spricht er ruhig und sachlich auf die allzu Aufdringlichen in den vorderen Reihen ein.

Schließlich kommen die beiden Kriminalkommissare am Seeufer an. Es ist ein reizvoller Anblick, wie sich die Laubbäume mit ihrem herbstlichen Blätterkleid im glasklaren Wasser des Akaziensees spiegeln. Wie auf der Fahrt hierher steht ihnen für die Beachtung der Natur im Moment absolut nicht der Sinn. Ihre ganze Aufmerksamkeit gehört den Begebenheiten am Ufer des Sees.

»Hallo Monika«, begrüßt Veronika Sommercamp die neben der Leiche kniende Pathologin Dr. Bieberstein. Beide kennen sich seit vielen Jahren der Zusammenarbeit und haben zahlreiche Fälle gemeinsam gelöst.

»Kommt unbesorgt näher Die Spurensicherung hat den Strand sowie die daran angrenzende Rasenfläche bereits untersucht. Die Ergebnisse sind auf dem Weg in das Kriminaltechnische Institut. Soweit ich es mitbekommen habe, wurden zahlreiche Fußabdrücke genommen. Das Tatwerkzeug fanden unsere Kollegen bisher nicht. Auch sonstige Gegenstände, die mit dem Verbrechen in Zusammenhang stehen könnten, wurden nicht gesichtet.«

»Ist dir bekannt, um wen es sich bei der Leiche handelt?«, fragt Veronika Sommercamp..

»Ja, die Tote hat eine Handtasche bei sich. Den Inhalt habe ich sichergestellt.«

Dr. Monika Bieberstein übergibt der Kriminalhauptkommissarin eine Plastiktüte. Dabei führt sie weiter aus: »Es scheint nichts zu fehlen. Ausweis, Führerschein und Kreditkarte sind hier drin. Der ganze Inhalt wird im Labor untersucht. Einschließlich der Analyseergebnisse erhaltet ihr sie in Kürze zugestellt.«

»Ist es dir möglich, eine erste Aussage zum Todeszeitpunkt zu treffen?«, will Veronika Sommercamp weiter wissen.

»Ja, unter allem Vorbehalt einer Erstuntersuchung schätze ich ein, dass die Leiche nicht länger als zwölf Stunden im Wasser lag. Natürlich präzisiere ich die Uhrzeit. Freilich erst dann, nachdem die Tote von mir auf dem Obduktionstisch in der Pathologie untersucht wurde.«

Jens Knobloch mischt sich in das Gespräch ein und fragt: »Steht fest, dass sie ertrunken ist, oder sind Spuren von äußerer Gewalt erkennbar? Sie erwähnten bei unserer Ankunft ein Tatwerkzeug, welches nicht gefunden wurde.«

»Die Todesursache ist von mir im Augenblick nicht mit hundertprozentiger Sicherheit zu bestimmen. Die Strieme um den Hals ist ein eindeutiges Strangulierungsmerkmal. Ob diese Gewalteinwirkung zum Tod führte oder ihr Kopf gewaltsam unter Wasser gedrückt wurde, ist bei der ersten Inaugenscheinnahme nicht mit Gewissheit zu sagen. Die Untersuchung der Lunge der Toten müsst ihr abwarten. Also, übt euch ein wenig in Geduld.«

Veronika Sommercamp schaut sich den Inhalt der von Dr. Monika Bieberstein übergebenen Plastiktüte an. Die Angaben auf dem Personalausweis und der Kreditkarte sind deutlich lesbar. Es handelt sich bei der Leiche um Saskia Jungblut, einer fünfzigjährigen Frau, die in Sommerfeld geboren wurde. Der gegenwärtige Wohnort bleibt den Augen der Kommissare verborgen. Die Information steht auf der Rückseite des Ausweises, die durch andere Papiere aus der Handtasche der Toten verdeckt wird.

»Einen Raubmord können wir zumindest auszuschließen«, bemerkt Veronika Sommercamp, »ich gehe davon aus, dass der Täter bei einer vorsätzlichen Tötung aus materiellen Beweggründen, die Kreditkarte nicht außer Acht gelassen hätte.«

Jens Knobloch nickt zustimmend und begutachtet nochmals sorgfältig den Inhalt der Tüte. »Wow, was haben wir denn hier«, ruft er und stößt einen leisen Pfiff aus.

»Was hast du derart Interessantes entdeckt, um wie ein Straßenjunge zu pfeifen?«, fragt Veronika Sommercamp belustigt.

»Sieh hierher! Eine Visitenkarte vom Hotel ‚Haus am Akaziensee‘. Das ist ein erster Anhaltspunkt. Es besteht die Möglichkeit, dass es sich bei der Toten um einen Hotelgast handelt.«

Veronika Sommercamp schaut auf das Kärtchen und bemerkt: »Hoffentlich haben wir Glück. Dann verlieren wir zumindest keine Zeit, um Näheres zur Identität der Toten zu erfahren. An der Rezeption wird man uns sicher im Handumdrehen Auskunft geben.«

Beide begeben sich über die Uferpromenade hinauf zum Hotel. Nach der Hälfte der Wegstrecke tönt ihnen ein umgängliches ‚Hallo’ entgegen. Auf der Terrasse steht Armin Wenzel, Eigentümer des ‚Haus am Akaziensee'. Die beiden Kriminalkommissare sind für ihn keine Unbekannten. Erst vor acht Wochen hat er mit ihnen an einem Tisch in der Gaststätte zusammengesessen. Der Grund war die Aufklärung des Mordes an dem ärztlichen Direktor des Klinikums in Ballenhainischen. Armin Wenzel gab ihnen den ausschlaggebenden Hinweis für die Lösung des Gewaltverbrechens. Ebenfalls spielte der Hotelbesitzer vor annähernd sechzehn Jahren eine maßgebliche Rolle in einem Mordfall. Er fand damals die durch einen Giftmord ums Leben gekommene Tierärztin Paula Pattberg unweit vom Ort unter einem Schlehendorn. Aufgrund dessen ist es nicht verwunderlich, dass er die Kommissare wie alte Bekannte begrüßt. »Ich habe Sie erwartet. Wenn es eine Tote gibt, dann dauert es nicht lange, und die Kripo steht auf der Matte. Kommen sie herein. Auf uns wartet ein frisch gebrühter Kaffee.«

Sein legerer Umgangston ist ihnen geläufig und sie stoßen sich in keinerlei Hinsicht daran. Das Gegenteil ist der Fall. Jens Knobloch geht auf die zwanglose Begrüßung ein und sagt mit einem verschmitzten Lächeln: »Wenn es sich in dieser Art weiter entwickelt, dann wird Akazienaue zu einem Knotenpunkt des kriminellen Geschehens im Landkreis. Sie müssen aufpassen, dass unter solchen Bedingungen überhaupt noch Gäste zu Ihnen kommen. Zumindest hätte ich als Hotelgast eine höllische Angst, dass mir ebenfalls irgendetwas zustößt.«

»In dieser Hinsicht widerspreche ich Ihnen energisch. Bei unserem letzten Zusammentreffen handelte es um eine Person aus der Hauptstadt und nicht um einen hier ansässigen Dorfbewohner. Ich lebe seit dreißig Jahren hier. Es war immer geruhsam und beschaulich in unserer Gemeinde. Zugegeben, bis auf die Ausnahme mit der Giftmörderin. Doch lassen wir die alten Geschichten. Wie kann ich Ihnen diesmal behilflich sein?«

»Bei der Toten unten am Strand ist nicht ausgeschlossen, dass sie zu Ihren Gästen gehörte. Zumindest fanden wir in ihrer Handtasche ein Kärtchen von dem Hotel«, sagt Veronika Sommercamp.

»Wie lautet denn ihr Name? Gegenwärtig sind nicht mehr als fünf Zimmer belegt. Ich denke, die Anzahl ist überschaubar.«

»Er handelt sich um Saskia Jungblut. Mehr wissen wir im Moment nicht.«

»Der Name kommt mir bekannt vor. Schauen wir ohne größeren Aufwand in meinen schlauen Aktenordner. Dort sind die Anmeldeformulare abgeheftet. Faktisch betreibe ich den Papierkram hauptsächlich wegen der Steuer.«

Triumphierend hält er ein Formular in der Hand und bemerkt: »Sehen Sie, bei mir herrscht preußische Ordnung. Ein Griff genügt und sie haben die gewünschten Angaben. Die Dame stammt aus Rudolstadt. Das liegt im Thüringischen. Sie ist vor zwei Tagen angereist. Es hängt sicher mit der Beerdigung zusammen. Das ist keine Spekulation von mir. Gestern waren alle Gäste in schwarz gekleidet. Zu ihnen gehörte Saskia Jungblut.«

»Um wem handelt es sich bei dem Verstorbenen?«, fragt Jens Knobloch.

»Friedbert Voß wurde beigesetzt. Er kaufte vor zwei Jahren die prächtige Stadtvilla oberhalb vom Akaziensee. Das Grundstück umfasst mehr als viertausend Quadratmeter. Obendrein hatte er sich eine Luxusyacht angeschafft. Es wird gemunkelt, dass er verdammt reich sei und sein Vermögen im Ausland erlangt habe. Genauere Angaben sind mir nicht bekannt. Meine Aussagen beziehen sich auf das, was einem mehr oder weniger erzählt wird.«

»Erstaunlich, dass sich ein Millionär in Ihrem bescheidenen Ort niedergelassen hat. Das hört man nicht alle Tage. Wie alt ist er geworden?«

»Er feierte erst vor kurzem seinen fünfundsiebzigsten Geburtstag. Na ja, wahrhaft kein Alter, um sich von der Welt zu verabschieden. Dem Tod entkommt niemand. Ich vermag in dem Zusammenhang nur den bekannten Spruch zu strapazieren, dass keiner, auch wenn er noch so viel Geld besitzt, davon verschont bleibt.«

»Woran ist er denn gestorben?«, fragt Jens Knobloch weiter.

»Also, verbürgen möchte ich mich nicht dafür. Sein Gärtner erzählt überall im Dorf, dass Friedbert Voß absolut friedlich und für immer eingeschlafen sei. Wie man nicht müde wird zu betonen, war er ein regelrechter Gesundheitsfanatiker. Außerdem trieb er regelmäßig Sport. Kein Wunder, bei einer dreißig Jahre jüngeren Haushälterin war sicher eine gehörige Portion Kondition erforderlich«, äußert Armin Wenzel und lächelt bei dieser Bemerkung vieldeutig.

Jens Knobloch befriedigt die Auskunft nicht vollständig. Der Tod eines bemerkenswert vermögenden Einwohners in diesem kleinen Ort gibt ihm zu denken. »Eine letzte Frage: Sie sind über alles, was in Akazienaue passiert, recht gut informiert. Dann ist Ihnen sicher bekannt, wer den Totenschein ausstellte?«

»Aber gewiss. Es war Dr. Frank Ringhof, der Hausarzt des Verstorbenen. Er wurde von der Haushälterin Solveig Lilienthal in die Villa gerufen. Ich nehme an, dass sie an eine Rettung oder Wiederbelebung glaubte. Zumindest erzählte es der Gärtner am Stammtisch in meiner Gaststätte. Bei solchen Schilderungen höre ich voller Interesse zu. Man muss schließlich Bescheid wissen, was in unserer Gemeinde geschieht«, fügt er schmunzelnd hinzu.

Veronika Sommercamp hat das Gespräch anfangs aufmerksam verfolgt. Im Moment scheint ihr die Beschäftigung mit einer Person, die eines natürlichen Todes gestorben ist, ausreichend zu sein. Sie unterbricht das Gespräch der beiden Männer und äußert: »Kehren wir bei allem Respekt vor dem Verstorbenen zu unserem aktuellen Fall zurück. Saskia Jungblut wurde hinterrücks ermordet. Das steht zumindest nach den ersten Untersuchungen durch Dr. Monika Bieberstein fest. Wir durchsuchen zunächst das Hotelzimmer. Es ist denkbar, dort einen ersten Hinweis auf den Täter oder die Täterin zu finden.«

Armin Wenzel schaut auf das Schlüsselbrett an der Rezeption und runzelt seine Stirn. Ein wenig ratlos sieht er die Kommissare an und sagt: »Es ist eigenartig. Wenn meine Gäste die Unterkunft verlassen, dann hinterlegen sie ihren Zimmerschlüssel am Tresen. Der Schlüssel von Zimmer zwei fehlt. In ihm war Saskia Jungblut untergebracht.«

»Was ist daran außergewöhnlich? Sicher wurde von ihr das Hotel nur zu einem kurzen Spaziergang verlassen. Sie hielt die Hinterlegung nicht für erforderlich oder vergaß es schlicht und einfach«, äußert Veronika Sommercamp.

»Das wäre das erste Mal, dass einem Gast so etwas passiert. Damit nicht laufend Schlüssel verloren werden oder bei der Abreise aus Unachtsamkeit im Reisegepäck verschwinden, hängt an jedem ein recht schweres Akazienblatt aus Messing. Es ist sperrig und auf alle Fälle nicht für die Aufbewahrung in einer Damenhandtasche geeignet.«

»Damit könnten Sie recht haben. In der Handtasche ist er mit Sicherheit nicht gewesen. Sonst hätte man ihn uns mit den Ausweispapieren übergeben«, bemerkt Jens Knobloch.

»Möglicherweise lässt sich das Problem ganz einfach lösen, indem wir nachschauen, ob sie ihn beim Weggehen heute Nacht stecken ließ. Zuvor gebe ich den Kollegen der Spurensicherung Bescheid. Sie erhalten den Auftrag, sich das Zimmer von Saskia Jungblut gründlich anzuschauen. Es könnte durchaus sein, dass sie vor dem Verlassen des Hotels Besuch bekommen hatte«, äußert Veronika Sommercamp.

Vor der Zimmertür ziehen die Kommissare die Füßlinge an und streifen sich die Latexhandschuhe über. Nachdem sie den Raum betreten haben, wendet sich Jens Knobloch an Armin Wenzel: »Wie sie sehen, steckt der Schlüssel von innen. Saskia Jungblut hatte offenbar keine längere Abwesenheit aus dem Zimmer geplant. Bitte warten sie in der Gaststätte auf uns. Wir kommen in Kürze wieder zu Ihnen.«

Enttäuscht, dass er bei der Durchsuchung ausgeschlossen wird, begibt sich Armin Wenzel nach unten. Die Kommissare schauen sich im Zimmer der Ermordeten um. Veronika Sommercamp stellt fest: »Es sieht danach aus, als wurde Saskia Jungblut durch irgendetwas gestört. Auf dem Tisch steht der Handspiegel, daneben liegen die Haarbürste, die Utensilien für die Pflege der Fingernägel sowie die Nachtcreme.«

»Woran erkennst du, dass sie abgelenkt wurde?«, fragt Jens Knobloch interessiert.

»Eine Frau hat dafür einen Blick. Alle Dinge liegen griffbereit an ihrem Platz. Wogegen ein Wattebällchen, welches man zum Entfernen von Fingernagellack benutzt, weder auf dem Tisch noch im Papierkorb zu sehen ist.«

Jens Knobloch öffnet das Schmuckkästchen. Es ist bis an den Rand gefüllt mit Halsketten und Ringen. Er zeigt es der Hauptkommissarin und sagt: »Auf den ersten Blick scheint nichts zu fehlen.«

Veronika Sommercamp schaut sich den Inhalt an. Sie nimmt einen mit Edelsteinen besetzten Armreifen in die Hand. Verwundert ruft sie aus: »Oh! Das scheint echter Schmuck zu sein. Ohne genauere Prüfung würde ich sagen, dass er einen hohen Wert besitzt. Das ist kein Billigkram aus der Modeschmuckabteilung eines Warenhauses. Dieser hier stammt von einem begnadeten Juwelier. Es ist eine, selbst von einem Laien erkennbare, ausgesprochen filigrane Arbeit.«

Jens Knobloch nimmt die Ausführungen seiner Vorgesetzten zur Kenntnis und kommentiert gelassen: »Der Täter hat es keinesfalls auf den Schmuck abgesehen. In dem Fall hätte man die Tote eher hier im Hotelzimmer gefunden. Ich schaue im Reisegepäck nach. Möglicherweise entdecke ich irgendetwas Interessantes.«

Er nimmt den Koffer aus dem Schrank. Entgegen seinen Vorstellungen beinhaltet er nichts weiter als Kleidung, die man für ein paar Tage Abwesenheit von zu Hause benötigt.

»Ich finde nichts Bemerkenswertes und stelle ihn wieder zurück«, bemerkt Jens Knobloch.

Als er im Begriff ist, das Gepäckstück zu verstauen, ruft Veronika Sommercamp: »Moment, halte bitte inne! Da ragt ein Briefumschlag zu einem Drittel aus der Seitentasche des Koffers heraus.«

Jens Knobloch stutzt: »In der Tat. Den habe ich übersehen.«

Er nimmt ihn zur Hand und faltet den Brief auseinander. Ohne auf eine Aufforderung zu warten, liest er den Text vor: »Liebe Saskia, du bist die Einzige, die sich in den letzten zwei Jahren um mich gekümmert hat. Deshalb gehört dir die Hälfte des Vermögens. So habe ich es in meinem Testament festgelegt. Ich hoffe, dass du damit glücklich wirst und das Geld Dir ein unbeschwertes Leben ermöglicht. Pass auf dich auf! Deine Geschwister werden es dir neiden.«

»Das ist knallhart formuliert. Ich vermute, wir haben damit ein recht eindeutiges Motiv für den Mord«, ruft Veronika Sommercamp erstaunt aus, »es passiert selten, dass wir zu Beginn der Ermittlung den Beweggrund für ein Verbrechen präsentiert bekommen.«

»Damit erklärt sich, warum dem Täter oder der Täterin weder die Kreditkarte noch der Schmuck interessierten. In dem Fall scheint es sich nicht allein um ein paar tausend Euro zu handeln. Mir kommen sofort die Worte von Armin Wenzel in Erinnerung, als er uns über die gestrige Beerdigung berichtete. Er äußerte unter anderem, dass der Dahingeschiedene sehr vermögend gewesen sei. Es scheint so, dass dieser Herr zukünftig recht bedeutend für unsere Ermittlung sein könnte«, führt Jens Knobloch aus.

»Wie war gleich der Name des Verstorbenen, der gestern beerdigt wurde?«, fragt die Hauptkommissarin.

Jens Knobloch schaut in sein Notizblock und antwortet: »Er heißt Friedbert Voß. Es empfiehlt sich, dass wir uns rasch einen Überblick über seine Vermögensverhältnisse verschaffen. Darüber hinaus sind die Familienangehörigen aufzufordern, vorläufig im Haus zu bleiben und sich für eine Befragung bereitzuhalten.«

»Zumindest für die nächsten vierundzwanzig Stunden. Wenn wir bis dahin keine Beweise haben, dann haben wir keinerlei Berechtigung, sie länger hierzubehalten«, merkt Veronika Sommercamp einschränkend an.

»Ich denke, dass in dem Fall die Ermittlungen ausgesprochen einfach sind. Die gesetzlich vorgeschriebenen Fristen reichen für die Befragung der verdächtigen Personen völlig aus. Schließlich halten sie sich alle unter einem Dach auf.«

Im Gastraum wartet Armin Wenzel ungeduldig auf die beiden Kommissare. Er sieht sich zum wiederholten Mal berufen, eine überaus bedeutsame Rolle bei der Aufklärung eines Mordes zu spielen. Voller Neugier fragt er: »Haben Sie bereits einen Anhaltspunkt, wer Saskia Jungblut ermordete? Wenn nicht, biete ich Ihnen selbstverständlich meine Hilfe an.«

Veronika Sommercamp muss über die Diensteifrigkeit des Hotelbesitzers kurz lächeln. Allerdings wird sie sogleich wieder ernst und antwortet: »Wenn wir irgendetwas finden, wird es beim jetzigen Stand der Ermittlung mit Sicherheit von uns nicht publiziert. Dessen ungeachtet beantworte ich Ihnen gerne den zweiten Teil Ihrer Äußerung. Nach Lage der Dinge benötigen wir Ihre Hilfe. Setzen wir uns gemeinsam an einen Tisch, um darüber zu sprechen.«

Jens Knobloch nimmt sein Notizbuch zur Hand und sagt: »Schildern Sie uns bitte einmal den Ablauf des gestrigen Tages. Wir hätten gerne gewusst, wie sich die Familienmitglieder verhielten. Es ist denkbar, dass es eine Abweichung vom normalen Verhalten gab. Möglicherweise ist Ihnen eine Besonderheit aufgefallen.«

Armin Wenzel schildert bis ins Detail den Tagesablauf. Bei der ausführlichen Beschreibung seines Fünf-Gänge-Menüs unterdrückt Veronika Sommercamp mit Mühe ein Gähnen. Mit einem Male wird sie hellhörig, als er sagt: »Die Trauergemeinde kam vom Friedhof und begab sich ohne Verzug in den Salon. Dort wurden die Familienmitglieder von Dr. Bert Salomon erwartet.«

An dieser Stelle unterbricht die Hauptkommissarin den Redeschwall von Armin Wenzel: »Wer ist Herr Salomon und welchen Raum bezeichnen sie mit ‚Salon’?«

»Es handelt sich um einen Empfangsraum für spezielle Anlässe. Dort wird man nicht vom üblichen Hotel- und Gaststättenbetrieb gestört. Dahin hatte der Rechtsanwalt des Verstorbenen die Kinder und die Haushälterin von Friedbert Voß zur Eröffnung des Testamentes eingeladen. Einen solchen Raum mit einer gewissen intimen Atmosphäre findet man sonst nirgendwo in der ganzen Umgebung«, fügt Armin Wenzel selbstbewusst hinzu.

»Um wie viele Personen hat es sich dabei gehandelt?«, will Jens Knobloch wissen.

»Hm, ja, also, es war Solveig Lilienthal anwesend. Sie führte den Haushalt des Dahingeschiedenen. Die anderen Anwesenden kannte ich nicht. Sie wohnen alle hier im Hotel. Das Beste wird es sein, dass ich den Aktenordner mit den Anmeldescheinen hole. Dann ist ausgeschlossen, dass mir ein Fehler unterläuft.«

Jens Knobloch bemerkt: »Saskia Jungblut ist uns bekannt. Es handelt sich dabei um die Ermordete. Den Anmeldeschein zeigten Sie uns bereits.«

»Ja, dann waren weiterhin anwesend Freya Damaschke mit ihrem Ehepartner Norbert, Alida und Tassilo Morgenroth sowie Dagmar und Falko Rosenkranz.«

»Dementsprechend sind sieben Personen zur Testamentseröffnung erschienen«, wirft Jens Knobloch ein.

»Nein, es waren acht. Ich war mit meinen Ausführungen nicht zu Ende, als sie mich unterbrachen. Zu den Anwesenden gehörte außerdem Malte Baader. Es handelt sich um den Sohn von Friedbert Voß.«

»Wieso heißt der Sohn Baader und nicht Voß. Ist er verheiratet und hat den Namen seiner Frau angenommen?«, fragt Veronika Sommercamp.

»Malte Baader ist ein uneheliches Kind, in gewissem Sinne der Halbbruder der vier Töchter. Er erschien erst kurz vor Beginn der Trauerfeier. Alle anderen wohnen seit zwei Tagen im Hotel.«

»Eine Sache verstehe ich nicht«, wendet sich Jens Knobloch an die Hauptkommissarin, »wenn Friedbert Voß eine geräumige Villa besitzt, warum sind seine Kinder dann im Hotel untergebracht?«

Armin Wenzel meldet sich beflissen zu Wort und erklärt: »Die Frage kann ich Ihnen sofort beantworten. Der Verstorbene verfügte es ausdrücklich in seinem letzten Willen. Das teilte mir der Rechtsanwalt Dr. Bert Salomon mit. Ich habe ihm die gleiche Frage gestellt, die Sie soeben an die Hauptkommissarin richteten.«

»Sie wissen ja eine ganze Menge«, sagt Veronika Sommercamp anerkennend, »woher stammen die Detailkenntnisse? Selbst die Konstellationen innerhalb der Familie sind Ihnen bekannt, obwohl die Familienangehörigen erstmals in ihrem Hotel übernachten.«

Voller Stolz auf das soeben gehörte Lob sagt Armin Wenzel: »Ich unterhalte mich gerne mit meinen Gästen. Viele von ihnen erkundigen sich nach den besten Wanderwegen. Andere hingegen planen eine Bootsfahrt und benötigen dafür Tipps von mir. Die gebe ich sehr gerne. Man glaubt kaum, wie mitteilungsfreudig Menschen sind, wenn man ihnen genügend Aufmerksamkeit schenkt.«

»Dann ist Ihnen sicher ebenfalls bekannt, was in dem Testament verfügt wurde?«, fragt Veronika Sommercamp.

»Um Gottes willen! Ich lausche doch nicht an den Türen. Nachdem der Rechtsanwalt das Hotel verlassen hat, haben sich die Gäste mit keinem Wort mehr mit mir unterhalten. Allein Saskia Jungblut und Solveig Lilienthal zeigten ein recht freundliches Gesicht. Für die anderen schienen die Verfügungen von Friedbert Voß offenkundig nicht ihren Vorstellungen zu entsprechen. Sie zogen sich sofort in ihre Zimmer zurück. Zugegebenermaßen sind das alles lediglich Vermutungen von mir. Genaueres kann ich Ihnen zu den Vorgängen nicht sagen.«

Veronika Sommercamp entgegnet: »Ich finde es absolut nicht ungewöhnlich, dass man nach Kenntnis einer Erbschaft das Bedürfnis verspürt, erst einmal allein und unter sich zu sein. Es betrifft schließlich ein größeres Vermögen. Auf diese Weise hatten Sie sich bei ihren Bemerkungen zu den Verstorbenen geäußert.«

»Ja, das stimmt. Bevor die Töchter Kenntnis von dem Testament erhielten, haben alle vier stundenlang zusammengesessen und sich lebhaft unterhalten. Es fällt einem auf, wenn die Stimmung mit einem Mal umschlägt.«

»Demzufolge sind alle Gäste auf ihren Zimmern geblieben und verzichteten auf ein gemeinsames Abendessen«, stellt Jens Knobloch fest.

»Das wiederum auch nicht. Gegen zwanzig Uhr saßen alle erneut in der Gaststätte und haben zusammen das Abendbrot eingenommen. Ich hatte den Eindruck, dass eine gedrückte Stimmung herrschte. Die Töchter wechselten kaum ein Wort miteinander. Einzig und allein Malte Baader und Saskia Jungblut unterhielten sich ab und zu. Die vier Frauen sind nach einer halben Stunde wieder auf ihre Zimmer gegangen. Die Männer dagegen hielten sich noch längere Zeit an der Bar auf. Es hatte den Anschein, dass sie, im Gegensatz zu ihren Ehefrauen, mit der Erbschaft recht zufrieden waren.«

»Wissen Sie, zu welcher Uhrzeit die Ehemänner und Malte Baader die Hotelbar verließen?«, fragt Veronika Sommercamp.

»Das kann ich Ihnen auf die Minute genau sagen. An diesem Abend hatte ich mir vorgenommen, die Übertragung eines Fußballspiels anzuschauen. Wegen der vier Trinkbrüder wurde nichts daraus.«

»Nun sagen Sie uns schon die Uhrzeit«, äußert sich Veronika Sommercamp ungeduldig. Die Hauptkommissarin befürchtet, dass Armin Wenzel entsprechend seiner ausschweifenden Erzählweise, augenblicklich anfängt, ausführlich über ein verpasstes Fußballspiel zu berichten.

»Es war gegen Mitternacht, als sie schließlich gingen. Aber von gehen konnte keine Rede sein. Die waren alle sternhagelvoll und mussten sich gegenseitig stützen. Zudem redeten sie wirren Zeugs. Immerzu handelte es sich ums Geld und was sie damit anfangen werden. In ihrem alkoholisierten Zustand konnte man das nicht wirklich ernst nehmen.«

»Wie erfolgte denn das Bezahlen der Rechnung? Hat einer von den Herren die ganze Zeche beglichen?«

»Nein, nein, die Kosten für die Getränke habe ich auf die Hotelrechnung gesetzt. Da kommt erst bei der Bezahlung am Abreisetag die richtige Katerstimmung auf. Mir war es an diesem Abend recht. Der Umsatz hat mich auf alle Fälle für das entgangene Fußballspiel entschädigt. Ich möchte nicht wissen, was deren Frauen sagen, wenn sie die Rechnung von der Herrenrunde zu Gesicht bekommen. An diesem Abend wurde nur das Teuerste getrunken, was ich anzubieten habe. Doch das ist nicht mein Problem.«

»Eine letzte Frage. Trauen Sie einem der Männer zu, dass er nach dem Verlassen der Bar aus dem Haus ging und sich mit dem Opfer getroffen hat?«, fragt Veronika Sommercamp.

»Auf keinen Fall. Die hatten noch heute Morgen glasige Augen und deren Alkoholfahne überlagerte den aromatischen Kaffeeduft im Frühstücksraum bis in den letzten Winkel. Von denen war niemand in der Lage, um Mitternacht auch nur einen Fuß vor die Tür zu setzen.«

Die Kommissare fordern die Familienmitglieder auf, vorläufig Akazienaue nicht zu verlassen und sich für eine Vernehmung bereitzuhalten. Veronika Sommercamp äußert gegenüber ihren Kollegen: »Ich fahre sofort in die Pathologie und du sprichst mit Solveig Lilienthal. Lasse dir vor allem die Kopie des Testamentes zeigen. Der Rechtsanwalt übergab sicher den Begünstigten ein solches Papier. Noch besser wird sein, du bringst es gleich mit. Denke bitte daran, dir einen Überblick über die Vermögensverhältnisse zu verschaffen. Ebenso interessiert mich der Wert der Villa. In zwei Stunden bin ich wieder hier. Dann fangen wir mit den Befragungen an. Die Mitarbeiter von der Spurensicherung werden inzwischen die Fingerabdrücke und die DNA von den Familienmitgliedern abnehmen.«

In der Villa

Jens Knobloch lässt sich von Achim Wenzel den Weg zu dem Haus von Friedbert Voß beschreiben. Nach zwanzig Minuten Fußmarsch steht er vor einer eindrucksvollen Villa. Sein Blick fällt auf ein im charmanten Stil der fünfziger Jahre erbautes Gebäude. Umsäumt wird das Haus von einer überaus beachtenswerten parkähnlichen Gartenanlage. Der Pool am Ende des Grundstückes scheint beheizbar zu sein. Das bläulich schimmernde Wasser weist zumindest darauf hin. Ansonsten wäre um diese Jahreszeit das Schwimmbecken geleert. Alles vom Feinsten, stellt Jens Knobloch fest und betätigt den Klingelknopf. Unter Benutzung der Wechselsprechanlage bittet er um Einlass. Das Summen am Türgriff signalisiert ihm, dass er eintreten kann. Mit Blick auf den Dienstausweis sagt Solveig Lilienthal statt einer Begrüßung sichtlich verunsichert: »Polizei? Sie sind Kriminalkommissar. Was führt Sie zu mir?«

Ihre Verblüffung legt sie im Handumdrehen ab und bittet ihn, einzutreten. Dem geübten Auge des Kommissars entgeht nicht ihre sichtliche Nervosität, die sie hinter einem freundlichen Mienenspiel zu verbergen versucht. Nachdem beide in der Couchgarnitur Platz genommen haben, mustert der Kommissar unauffällig seine Gesprächspartnerin. Vom Alter her schätzt er sie auf Mitte Vierzig. Die langen braunen Haare umrahmen ein ebenmäßig geformtes, äußerst anmutsvolles Gesicht. Die sinnlichen Lippen und die großen Augenlider mit dem sparsam verwendeten Make-up unterstreichen ihr attraktives Erscheinungsbild. Nur die sorgfältig lackierten langen Fingernägel und der kostbare Schmuck, den sie an den Handgelenken und Fingern trägt, passen nicht recht in das Bild, welches sich der Kommissar unter einer Haushaltshilfe vorstellt. Insgesamt besitzt sie eine sympathische Ausstrahlung. Ihr interessantes Aussehen unterstreicht sie obendrein mit einem bezaubernden Lächeln. Der Kommissar kann sich des Eindruckes nicht erwehren, dass es ein wenig aufgesetzt wirkt. Er glaubt, bei ihr eine gewisse Unsicherheit zu verspüren. Die kaum merkliche Angespanntheit führt Jens Knobloch auf seine Dienstellung zurück. Ein solches Verhalten hat er öfters auch bei anderen Personen bemerkt. Er misst der Wahrnehmung im Moment keine weitere Bedeutung bei. Vielmehr lässt ihn das in den frühen Vormittagsstunden ungewöhnlich gepflegte Erscheinungsbild ins Grübeln kommen. Umgehend löst er sich von der Betrachtungsweise des Äußeren und der subjektiven Beurteilung ihres Aussehens. Der Kommissar beginnt die Unterhaltung mit einer Frage, die mehr einer Feststellung gleicht: »Sie haben von dem Vorfall in der vergangenen Nacht gehört und können sich denken, weshalb ich zu Ihnen gekommen bin.«

»Was soll sich zugetragen haben? Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.«

»Das Vorkommnis ist im ganzen Ort bekannt. Haben Sie sich am heutigen Vormittag mit niemand unterhalten?«

»Nein. Ich habe mich soeben zum Ausgehen vorbereitet, um ins Hotel zu gehen. Dort übernachteten alle Familienmitglieder. Heute fahren sie wieder zurück und ich beabsichtige, ihnen Lebwohl zu sagen. Seit Sie sich als Kriminalkommissar vorgestellt haben, überlege ich, was es für einen Grund gibt, mich aufzusuchen. Friedbert, äh, Herr Voß, ist einer Krankheit erlegen, leider um einiges zu früh. Wenn mir das, als gewissermaßen Außenstehende, einmal dahingehend gestattet ist, zu sagen.«

Dieser geringfügige Lapsus, ihren Arbeitgeber mit dem Vornamen zu titulieren, entgeht Jens Knobloch nicht. Doch im Moment schenkt er dem keine weitere Beachtung und sagt: »Der Grund für meinen Besuch ist nicht der Tod von Friedbert Voß. Auch interessiert mich im Augenblick nicht, was Sie für ihren verstorbenen Dienstherrn empfinden. Leider ereignete sich in der vergangenen Nacht etwas Abscheuliches. Saskia Jungblut fiel einem Gewaltverbrechen zum Opfer. Sie wurde hinterrücks ermordet. Aus diesem Grund bin ich zu Ihnen gekommen. Außerdem möchte ich mir einen Überblick über die Vermögensverhältnisse von dem Verstorbenen verschaffen. Zu diesem Zweck ist Ihr Einverständnis erforderlich, weil ich aufgrund der Kürze der Zeit keinen Durchsuchungsbefehl besitze. Sollten Sie unumstößlich darauf bestehen, werde ich einen solchen problemlos ausstellen lassen. Wenn Sie nichts zu verbergen haben, und davon gehe ich im Moment aus, steht der Durchsicht der Bankunterlagen und gegebenenfalls vorhandener Wertpapiere keinesfalls etwas im Wege.«

Solveig Lilienthal zögert einen kurzen Moment mit der Antwort. Dann äußert sie sichtlich betroffen: »Saskia! Um Gottes willen! Das ist furchtbar. Wann und wie ist es geschehen. Kennen Sie den Täter oder läuft der Verbrecher noch frei herum?«

»Die Ermittlungsarbeiten begannen vor wenigen Stunden. Aufgrund der Kürze der Zeit ist es mir nicht möglich, Ihre Frage zu beantworten.«

»Selbstverständlich gestatte ich Ihnen, sich überall im Haus umzusehen. Wenn ich zur Aufklärung der abscheulichen Bluttat beitragen kann, dann stellen Sie mir Ihre Fragen. Ich wüsste im Augenblick jedoch nicht, wie ich Ihnen behilflich sein könnte.«

»Das wird nicht schwierig sein. Sie brauchen mir einzig und allein wahrheitsgemäß zu antworten.«

»Ich habe nichts zu verschweigen. Beginnen Sie mit Ihrem Verhör. Dahingehend werden doch derartige Gespräch bei Ihnen bezeichnet«, sagt Solveig Lilienthal in einem dezent ironischen Ton.

»Dann fangen wir mit einer absolut anspruchslosen Frage an: Wo waren Sie gestern Abend? Vor allem interessiert mich die Zeit zwischen Mitternacht und zwei Uhr morgens.«

»Ich war hier im Haus. Völlig allein. Es gibt niemand, der meine Aussage bestätigt. Nach einem überzeugenden Alibi klingt das wahrlich nicht. Genauso oder ähnlich denken Sie doch jetzt mit Sicherheit.«

»Darauf komme ich nochmals zurück, wenn uns die Pathologie den genauen Todeszeitpunkt mitgeteilt hat. Beschreiben Sie mir bitte, was Saskia Jungblut für ein Mensch war. Sie besuchte sicher mehrere Male ihren Vater hier in Akazienaue. Dabei lernten Sie seine Tochter kennen.«

»Saskia war die einzige von allen Geschwistern, die mehrmals bei uns vorbeikam. Sie hing mit viel Herzblut an ihrem Vater. Auch mir gegenüber verhielt sie sich stets überaus korrekt.«

»Was wollen Sie damit zum Ausdruck bringen? Gibt es einen Grund, weshalb sich die Tochter Ihres Arbeitgebers anders verhalten sollte?«

»Nein, nein! Überhaupt nicht«, äußert sich Solveig Lilienthal hastig.

»Warum betonen Sie, dass Saskia Jungblut sich Ihnen gegenüber derartig untadelig verhalten habe. Waren Sie eventuell mehr, als nur die Hausangestellte von Friedbert Voß?«

Solveig Lilienthal schaut ein wenig verlegen zur Seite. Dann äußert sie zaghaft: »Sie werden es ohne jeden Zweifel von anderen erfahren. Somit kann ich es Ihnen genauso zum gegenwärtigen Zeitpunkt sagen. Wir hatten ein Verhältnis miteinander. Es handelte sich nicht um eine Affäre. Ich war die Lebensgefährtin von ihm. Zugegebenermaßen ohne Trauschein. Es war mehr als Zuneigung. Wir verliebten uns ineinander. Es entstand schlicht und einfach aus dem gemeinsamen Miteinander. Sein Vermögen interessierte mich nicht im Geringsten. Friedbert Voß war ein großartiger Mensch. Ich vermisse ihn zutiefst.«

»Der beträchtliche Altersunterschied hat Ihnen nichts ausgemacht?«, fragt Jens Knobloch.

»Nein, ihm hat man sein Alter weder angesehen noch angemerkt. Er trieb regelmäßig Sport und hielt sich darüber hinaus durch den wöchentlichen Saunabesuch recht fit.«

»Haben die Kinder von Friedbert Voß von dem Verhältnis irgendetwas mitbekommen?«

»Ja, Friedbert berichtete mir nach Telefonaten wiederholt, wie er darunter leide, dass ich von den Familienmitgliedern nicht als Lebensgefährtin anerkannt werde. Ausgenommen davon sind Saskia und Malte Baader. Obwohl Letzterer am wenigsten mit seinem Vater telefonierte. Am schlimmsten benahm sich allerdings Alida Morgenroth. Sie besuchte uns im Vorfeld der Beerdigung nicht ein einziges Mal und rief darüber hinaus auch nicht an. In seinem Harmoniebestreben hielt Friedbert den Kontakt zu ihr dennoch aufrecht.«

»Sie sprachen von seinem Sohn. War er in den letzten zwei Jahren hier zu Besuch?«

»Malte Baader kam in Begleitung seiner Mutter. Sie hatte vor vielen Jahren eine Affäre mit Friedbert. Ich nehme an, dass er die große Liebe ihres Lebens war. Indes bedeutete ihm damals die Familie mehr, als diese Liebschaft. Jedenfalls hat er seine Ehegattin und die Kinder wegen einer anderen Frau nicht im Stich gelassen.«

»Gab es in der Vergangenheit möglicherweise Spannungen zwischen Ihnen und Gesa Baader. War sie vielleicht sogar eifersüchtig auf Sie?«

»Sicher kann man es in diesem Sinne so bezeichnen. Aber Friedbert hatte sich nun einmal für mich entschieden. Daran war nichts mehr zu ändern. Ich glaube, sie akzeptierte seinen Entschluss, wenn auch schweren Herzens.«

»Sie erwähnten seine Ehefrau. Von ihr habe ich bisher in keinerlei Hinsicht etwas gehört.«

»Frau Voß kam vor fünf Jahren bei einem Autounfall ums Leben. Über sie erzählte mir Friedbert nie irgendetwas und ich wollte ihn über seine Vergangenheit nicht ansprechen. Er muss sie sehr geliebt haben. Das spürt man als Frau.«

»Danke für die Auskünfte. Nunmehr interessiert mich ein anderes Thema. Kannten Sie das Testament bereits vor der Eröffnung durch den Rechtsanwalt oder wurden Sie von den Verfügungen, vor allem zu Ihrer Person, überrascht?«

»Der Inhalt seines letzten Willens war mir nicht bekannt. Friedbert teilte mir einmal beiläufig mit, dass ich nicht mittellos dastehen werde, wenn er nicht mehr auf dieser Welt sei. Weiteres sagte er dazu nicht. Das Thema war für ihn tabu. Ich hatte auch keinen Grund nachzufragen, was er damit meint und habe es dabei belassen. Für mich spielte sein Geld und das gesamte Vermögen zu keiner Zeit eine Rolle.«

»Das sagten Sie mir bereits. Inzwischen ist Ihnen das Erbe bekannt. Um welchen Anteil handelt es sich?«

Solveig Lilienthal steht auf und holt die Kopie des Testamentes sowie weitere Unterlagen über die Villa und das Vermögen von Friedbert Voß aus der Anrichte im Wohnzimmer. Den Stapel Papier legt sie vor Jens Knobloch auf den Tisch und äußert: »Von dem Geld erhalte ich nichts. Mir gehören die Villa und die Yacht, Saskia die Hälfte des Barvermögens und den Rest haben sich die vier Geschwister zu teilen. So steht es hier im Testament geschrieben.«

Jens Knobloch durchblättert einige Seiten, die ihm Solveig Lilienthal übergibt. Er wiegt bedächtig seinen Kopf und sagt: »Dann sind Sie durch den Tod von Friedbert Voß mit einem Male richtig vermögend geworden. Allein die Villa hat einen Kaufpreis von vier Millionen und die Motoryacht kostete vor zwei Jahren fünfhunderttausend Euro.«

»Ihre Bemerkung halte ich für unangemessen. All das gehörte mir als die Lebensgefährtin von Friedbert bereits vor seinem Ableben. Selbstverständlich verkaufe ich das Haus und die Yacht. Ob ich nochmals solch glückliche Jahre wie mit Friedbert erleben werde, steht in den Sternen geschrieben«, seufzt Solveig unüberhörbar.

Jens Knobloch blättert in den Papieren und stößt einen leisen Pfiff aus: »Das Barvermögen entspricht in etwa der Höhe der Werte, die Sie durch das Haus und die Yacht erhalten. Davon stehen Saskia Jungblut die Hälfte und den anderen vier Geschwistern je fünfhunderttausend Euro zu. Eine solche Verfügung ruft doch zweifellos Neid und Missgunst hervor.«

»Wollen Sie damit zum Ausdruck bringen, dass Saskia Jungblut durch ein Familienmitglied ermordet wurde? Das glaube ich nicht. Das Erbe reicht für jeden, um ein finanziell unbeschwertes Leben zu führen.«

Jens Knobloch erkennt, dass er mit seiner unbedachten Äußerung über eine mögliche Täterschaft eines Familienmitgliedes zu weit gegangen ist. Hastig ordnet er die Seiten vor sich auf dem Tisch und sagt: »Den Papierkram können Sie mir mitgeben. In den nächsten sechs Wochen ist Ihnen rechtlich untersagt, irgendetwas aus dem Erbe zu veräußern. Selbstverständlich quittiere ich Ihnen den Erhalt.«

»Nehmen Sie es an sich. Wenn die Unterlagen zur Aufklärung des Verbrechens beitragen, dann habe ich nichts dagegen. Zu dem Versprechen einer umfassenden Unterstützung bei der Lösung des Falls stehe ich nach wie vor. Jedoch beantworteten Sie mir in unserem Gespräch bisher nicht meine anfangs gestellte Frage.«

»Sie meinen die nach dem möglichen Täter?«

»Ja, genau danach hatte ich Sie gefragt.«

»Hm, es ist so«, kommt es ein klein wenig holperig über seine Lippen, »wir verdächtigen von vorn herein keine Personen. Zu den Ermittlungsarbeiten gehört die Untersuchung des gesamten sozialen Umfeldes der Ermordeten. Dazu zählen vor allem die Begünstigten, die im Testament aufgeführt sind. Es handelt sich um die Kinder von Herrn Voß und dementsprechend ebenfalls um Sie.«

»Sie wiederholen sich. Das wurde mir von Ihnen eingangs erklärt. Sie betreiben pure Zeitverschwendung. Ich hoffe, dass Ihnen das nach unserem Gespräch deutlich wurde.«

Jens Knobloch wundert sich über den plötzlichen schroffen Ton, den Solveig Lilienthal anschlägt. Allerdings hat er keine Möglichkeit, länger darüber nachzudenken. Abrupt erhebt sich seine bisher entgegenkommende Gesprächspartnerin aus dem Sessel und sagt: »Wenn es das gewesen ist, möchte ich Ihre kostbare Zeit nicht länger in Anspruch nehmen. Zudem habe ich in Kürze eine Verabredung. Es gehört zu meiner Wesensart, stets pünktlich zu erscheinen. Außerdem sind von mir die Familienangehörigen zu verabschieden. Diese möchte ich unter keinen Umständen warten lassen.«

Mit den üblichen Bemerkungen, dass sie in den nächsten Tagen Akazienaue nicht verlassen dürfe und zu einer weiteren Befragung sich bereitzuhalten habe, verabschiedet sich Jens Knobloch.

Auf dem Weg zum Hotel ‚Haus am Akaziensee‘ denkt er über das soeben geführte Gespräch nach. Woher ist nur der plötzliche Stimmungswandel bei ihr gekommen? Mit einem Schlag erinnert er sich: Während der Unterhaltung läutete das Telefon und jemand sprach auf den Anrufbeantworter. Weil Solveig Lilienthal nicht darauf reagierte, setzte er das Gespräch mit ihr fort und maß dem keine weitere Bedeutung bei. Mit einem gewissen Zeitabstand und dem veränderten Verhalten von Solveig Lilienthal bekommt die zunächst unbedeutend zu scheinende Begebenheit einen gewissen Stellenwert in seinen Überlegungen. Es wäre möglich, dass es sich um eine nicht unwichtige Nachricht auf dem Anrufbeantworter handelt. Es könnte auch sein, dass sie den Anruf erwartete. Denn unmittelbar nach dem Läuten des Telefons gelang es ihr nicht, die zunehmende Nervosität zu verbergen. Letztendlich wurde er recht nachdrücklich um das Verlassen der Villa gebeten. Auf alle Fälle werde ich mir dazu eine Notiz machen, überlegt er. Kurze Zeit später kommt Jens Knobloch wieder im ‚Haus am Akaziensee‘ an.

Vernehmung der Familienangehörigen

Im Hotel erwartet ihn die Hauptkommissarin. Sie hat in dem von Armin Wenzel als 'Salon' bezeichneten Raum Platz genommen. Das Aufnahmegerät für die Vernehmung der Familienangehörigen liegt einsatzbereit auf dem Tisch.

»Gibt es von Dr. Monika Bieberstein greifbare neue Ergebnisse?«, fragt Jens Knobloch.

»Ja, sie arbeitete wie immer fleißig. Bei der Toten wurde kein Wasser in der Lunge gefunden. Ein sicheres Zeichen, dass Saskia Jungblut stranguliert und danach in den See gestoßen wurde. Der Todeszeitpunkt liegt zwischen zwölf und ein Uhr. Das vermutete sie ohnehin am Fundort der Leiche.«

»Na ja, zumindest eine gesicherte Erkenntnis«, bemerkt Jens Knobloch, nicht unbedingt begeistert..

»Nun warte doch einmal ab. Das Wichtigste kommt erst noch. Die Kollegen von der Spurensicherung fanden ein Seilende am Seeufer. Es handelt sich eindeutig um das Tatwerkzeug. An Hand des Musters der Abdrücke am Hals von Saskia Jungblut vermochten unsere Kollegen den Zusammenhang nachzuweisen.«

»Gibt es Anhaltspunkte, woher dieses Seil stammt?«

»Bisher leider nicht. Zumindest wäre es möglich, dass es zu einem der Boote an dem Anlegesteg gehört. Das heißt, die dort befestigten Wasserfahrzeuge sind in Augenschein zu nehmen«, antwortet Veronika Sommercamp.

»Das sind in dieser Jahreszeit zum Glück nicht allzu viele Boote, die im Wasser liegen. Wie ich bisher gesehen habe, handelt es sich um sechs Angelkähne. Die werde ich haargenau unter die Lupe nehmen. Für unsere Ermittlung verspreche ich mir dabei keine Wunderdinge. Denn wer wird sich ein solches Seil vom eigenen Boot besorgen, wenn er die Absicht hat, damit einen Mord zu begehen?«, stellt Jens Knobloch fest.

»Im Bericht des Kriminaltechnischen Institutes steht übrigens, dass das Tatwerkzeug mit einem scharfen Messer abgetrennt wurde. Die Schnittstelle ist sicher unschwer zu erkennen. Aber wie du bereits sagtest: Viel weiter wird uns das nicht bringen. Wenden wir uns jetzt besser den Vernehmungen der Familienangehörigen zu. Dabei erhoffe ich mir einige, der Ermittlung dienende, konkrete Hinweise zu erhalten.«

»Bist du nicht neugierig auf die Ergebnisse des Gesprächs, welches ich mit Solveig Lilienthal führte?«

»Doch, doch! Allerdings kennen wir uns zu viele Jahre, als das ich danach fragen müsste. Wenn du brisante Neuigkeit erfahren hättest, dann wüsste ich diese längst … oder?«

»Hast ja recht, unterm Strich ist für uns nichts Verwertbares herausgekommen. Ein hieb- und stichfestes Alibi besitzt sie freilich nicht. Solveig Lilienthal war allein zu Hause. Wie können ihr nicht nachweisen, dass sie um Mitternacht allein die Villa verließ zum Seeufer ging«, erwidert Jens Knobloch.

»Übergab sie dir eine Kopie des Testaments?«, will Veronika Sommercamp wissen.

»Selbstverständlich forderte ich eine solch von ihr. Außerdem überließ mir Solveig Lilienthal die Vermögensaufstellung von Friedbert Voß. Übrigens findet sich der Inhalt des Briefes, den wir bei Saskia Jungblut fanden, im Testament bestätigt. Damit haben ihre Geschwister ein eindeutiges Motiv«, antwortet Jens Knobloch

»Warum schließt du Solveig Lilienthal aus, die Tat begangen zu haben?«

»Ihr gehören Villa und Yacht allein. Deren Wert entspricht der Höhe des Barvermögens, welches die fünf Geschwister erben. Demzufolge bestand keinerlei Veranlassung, Saskia Jungblut zu töten.«

Veronika Sommercamp schaut nachdenklich zu Boden und sagt mit besorgter Miene: »Es sieht ganz nach einem verflixt schwer zu lösenden Fall aus. Wir kennen weder die Stelle, wo Saskia Jungblut in den See gestoßen wurde, noch hat der Täter oder die Täterin am Opfer Spuren hinterlassen. Allein aufgrund eines Motivs haben wir keine Befugnis, eine der dafür in Frage kommenden Personen festzusetzen.«

»Ich nehme an, dass sie vom Ende eines Anlegesteges ins Wasser gestoßen wurde. Es wäre auch vorstellbar, dass der Täter mit einem Boot bis zu Mitte des Sees gefahren ist und sie dort über Bord warf«, sagt Jens Knobloch.

»Das schließen unsere Kriminaltechniker kategorisch aus. In keinem der Angelkähne befinden sich Ruder. Allein mit den Händen den Kahn fortzubewegen, wird als nahezu unmöglich eingeschätzt.«

»Dann beenden wir unsere theoretischen Gedankenspiele und wenden uns der praktischen Arbeit zu. Bestehen bei dir Vorstellungen, mit welcher Person wir die Vernehmung anfangen?«, fragt Jens Knobloch.

»Das ist belanglos. Ich kenne keine der Familienmitglieder. Dir geht es nicht anders. Richten wir uns simpel nach den Zimmernummern und arbeiten diese nach der Ziffernfolge ab«, sagt die Hauptkommissarin.

»Im Grunde genommen gebe ich dir recht. Durch das Gespräch mit Solveig Lilienthal besteht bei mir vor allem ein Interesse an Alida Morgenroth. Sie telefonierte weder mit ihrem Vater, noch stattete sie jemals ihrem Vater einen Besuch in der neuen Villa ab.«

»Ich bin einverstanden. Bitte hole die Person herein, die dich am meisten interessiert.«

Alida Morgenroth betritt mit ihrem Ehemann Tassilo den Salon. Ihre in zarten Pastellfarben gehaltenen Haare sind im Nacken kunstvoll zu einem Dutt zusammengefügt. Im Knopfloch des türkisfarbenen Hosenanzuges trägt sie ein schwarzes Band als Zeichen ihrer Trauer. Man merkt sofort, dass sie sich ihrer Ausstrahlung auf ihr Umfeld bewusst ist. Dagegen wirkt ihr Ehepartner in seinem dunklen Nadelstreifenanzug eher wie ein überflüssiges Zubehör. Der erste Eindruck bestätigt sich, als Alida Morgenroth zu ihm sagt: »Nun setz dich, damit wir alles möglichst schnell hinter uns bringen.«

Dann wendet sie sich an Veronika Sommercamp: »Was wollen Sie überhaupt von uns? Bei mir besteht absolut kein Bedürfnis, hier weiterhin meine kostbare Zeit zu vertrödeln. Ich bin gehalten, das Geld hart zu erarbeiten. Unsere Boutique in Hameln läuft nicht anstandslos von allein. Es ist erforderlich, immer präsent zu sein. Auch um diese Jahreszeit beherbergt unsere Stadt genügend Touristen. Man wird hier behandelt, wie ein kriminelles Subjekt.«

Tassilo Morgenroth scheint der theatralische Auftritt seiner Gattin peinlich zu sein. Er äußert zurückhaltend: »Wir sind zugegeben jetzt schon zwei Tage unterwegs und wollten längst die Rückfahrt angetreten haben. Mit solch einem Vorfall konnte niemand rechnen. Letztendlich verrichten die Kommissare nur ihre Arbeit.«

Der ausgesprochen giftige Blick seiner Ehefrau lässt ihn augenblicklich verstummen. Der Hauptkommissarin sind solche arroganten Auftritte, wie der von Frau Morgenroth, aus der langjährigen Arbeit im Morddezernat nicht fremd. So etwas erlebte sie bereits öfters. Betont ruhig antwortet Veronika Sommercamp: »Ich verstehe, dass es für Sie keine erfreuliche Situation ist. Aber wir ermitteln in einem Mordfall. Da gehören unangenehme Begleiterscheinungen für die einzelnen Betroffenen einfach dazu.«