Tatort Pfaueninsel - Dieter Landgraf - E-Book

Tatort Pfaueninsel E-Book

Dieter Landgraf

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Beschreibung

Ein raffiniert ausgeklügelter Versicherungsbetrug beschäftigt die SOKO Pfaueninsel. Ein vorgetäuschter Raubmord führt die Ermittlungen wiederholt in die Irre. Habgier, Leidenschaft und Intrige der Beteiligten treiben die Kommissare an den Rand der Verzweiflung. Dann geschieht ein weiterer Mord.

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Der Autor

Dieter Landgraf studierte Sport und Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Heute lebt er im beschaulichen Lichterfelde-Süd am Stadtrand von Berlin.

Weitere Titel des Autors:

Die Tote unter dem Schlehendorn

Sandras Rache

Bei Erbschaft Mord

Dieter Landgraf

Tatort Pfaueninsel

Kriminalroman

©2017Dieter Landgraf

Verlag:Buchtalent - eine Verlagsmarke der tredition GmbH, Hamburg

www.buchtalent.dewww.tredition.de

ISBN

978-3-7323-8494-5

978-3-7323-8495-2

978-3-7323-8496-9

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Prolog

Mit einem fröhlichen 'Guten Morgen' betritt Hauptkommissarin Veronika Sommercamp das Dienstzimmer der Mordkommission in Ballenhainischen und setzt sich an ihren Schreibtisch. Mit Blick auf den Tortenkarton neben der Kaffeemaschine äußert sie: »Wie ich sehe, gibt es heute etwas zu feiern.«

Kommissar Jens Knobloch erwidert gut gelaunt: »Der Grund dafür könnte kein besserer sein. Die freien Tage werde ich richtig genießen. Zudem soll eine Urlaubsrunde auf alle Fälle schönes Wetter garantieren. So behaupten es zumindest stets alle Kollegen, die weiter im Büro arbeiten müssen.«

Die Ursache für die entspannte Stimmung ist der erfolgreiche Abschluss eines komplizierten Kriminalfalls. Nach wochenlanger akribischer Ermittlungsarbeit legte der Täter am vergangenen Freitag ein umfassendes Geständnis ab. Die Kommissare freuen sich auf den vor ihnen liegenden einwöchigen Kurzurlaub.

In der Dienstelle sind sie heute lediglich anwesend, um den Bericht zu dem abgeschlossenen Mordfall ihrem Dienststellenleiter zu übergeben und die Urlaubsscheine in Empfang zu nehmen. Die Dokumentation mit der umfassenden Beweisführung liegt akkurat abgeheftet auf dem Schreibtisch von Jens Knobloch. Es fehlt nur noch die Unterschrift der Hauptkommissarin.

Jens Knobloch überlegt: Aufgrund des erfolgreichen Abschlusses der Ermittlungsarbeit wird die ganze Sache recht schnell erledigt sein - unser Chef wird noch ein paar der üblichen anerkennende Worte finden – dann ist endlich Freizeit angesagt und er kann sich im vollen Umfang seiner Familie widmen.

Veronika Sommercamp telefoniert seit geraumer Zeit mit ihrer Mutter und kündigt an, sie bereits morgen zu besuchen. Die Botschaft scheint bei der Gesprächsteilnehmerin am anderen Ende der Telefonleitung riesige Freude auszulösen. Zumindest deutet das wiederholte und herzhafte Lachen der Hauptkommissarin darauf hin. Jens Knobloch schaut ungeduldig zu ihr hinüber. Doch seine Kollegin plaudert unbeirrt weiter.

Damit ihm die Zeit nicht zu lang wird, begibt er sich zu der grünen Magnettafel, um die bildliche und graphische Darstellung des letzten Falles zu entfernen. Zum Befeuchten des Schwammes verlässt der Kommissar kurz den Raum. Auch bei seiner Rückkehr telefoniert Veronika Sommercamp noch angeregt weiter. Sorgfältig löscht er die handschriftlichen Aufzeichnungen und reibt die Tafel mit einem Tuch trocken. Plötzlich öffnet sich geräuschvoll die Tür und die Sekretärin des Dienststellenleiters betritt mit forschem Schritt den Raum. In der Mitte des Zimmers bleibt sie stehen und schaut Jens Knobloch über den Rand ihrer Lesebrille vorwurfsvoll an. Nichts Gutes verheißend äußert die Sekretärin ziemlich ungehalten: »Was ist nur heute bei Ihnen los. Seit etlichen Minuten versuche ich, Sie telefonisch zu erreichen. Doch stets sind beide Apparate besetzt.«

Jens Knobloch blickt auf seinen Schreibtisch und sieht, dass der Hörer neben dem Telefon liegt. Schuldbewusst äußert er kleinlaut: »Entschuldigung. Ich muss ihn versehentlich beim Aufstehen heruntergestoßen haben.«

Als die Sekretärin die betroffen Miene des Kommissars bemerkt, sagt sie versöhnlich: »Kann schon einmal passieren. Für lange Erklärungen haben wir keine Zeit. Ihr sollt sofort beim Chef erscheinen.«

Veronika Sommercamp beendet das Telefongespräch mit ihrer Mutter bereits bei den ersten Worten der Sekretärin. Mit einem Lächeln erklärt sie: »Unserem Dienststellenleiter wollten wir in den nächsten Minuten auch ohne Ihre Aufforderung einen Besuch abstatten. Also, wozu die ganze Aufregung? Der Bericht zu unserem letzten Fall ist durch mich lediglich noch zu unterschreiben. Es dauert nur wenige Minuten. Sie können schon voraus gehen. Wir folgen Ihnen umgehend.«

Die Sekretärin duldet jedoch keinen Widerspruch. In der Stellung als Chefsekretärin ist sie gewohnt, dass ihre Anweisungen befolgt werden. Im Umgang mit den männlichen Kollegen gibt es in dieser Hinsicht keine Probleme. Nur die Hauptkommissarin versucht, sich hin und wieder zu widersetzen. In den meisten Fällen jedoch ohne Erfolg. So geschieht es auch diesmal. Mit energischem Ton fordert die Sekretärin die Kommissare auf: »Ich sagte 'sofort'! Bitte folgen Sie mir!«

Jens Knobloch steht bereits pflichtbewusst neben der Tür. Der Hauptkommissarin bleibt nichts weiter übrig, als seinem Bespiel zu folgen. Eine Bemerkung kann sie sich dennoch nicht verkneifen. Mit einem ironischen Unterton äußert Veronika Sommercamp: »Selbstverständlich kommen wir gerne mit. Schließlich übermitteln Sie auch nur die Anweisungen Ihres Vorgesetzten. Wegen uns soll Ihnen selbstverständlich kein Ärger entstehen.“

Auf dem Weg in die Chefetage fragt Veronika Sommercamp ihren Kollegen: »Was ist eigentlich mit unseren Urlaubsscheinen? Ich will hoffen, dass die Abgabe nicht durch dich vergessen wurde.«

»Du kannst beruhigt sein. Bereits heute Morgen zum Dienstantritt gab ich die Anträge im Sekretariat des Dienststellenleiters ab. Es gibt doch im Moment wohl nichts Wichtigeres.«

Damit ihre Worte nicht von der Sekretärin vernommen werden, sagt die Hauptkommissarin im Flüsterton: »Um welche Sache wird es sich wohl handeln, dass wir zum Chef gerufen werden? Ob ihn vielleicht die Anzahl der Überstunden zu hoch angesetzt sind? Bisher gab es doch niemals eine Beanstandung.«

»Das kann ich mir beinahe nicht vorstellen. Unsere Dienstzeiten notiere ich täglich. Dadurch besteht stets einen korrekten Überblick über unsere tatsächliche Arbeitszeit. Zudem weiß er doch selbst aus eigener Erfahrung, welchen zeitlichen Aufwand die Ermittlungen erfordern.«

Beim Betreten des Zimmers des Dienststellenleiters kann sich Veronika Sommercamp des Eindruckes nicht erwehren, dass seine Begrüßungsworte etwas verlegen klingen. Er vermeidet den Blickkontakt und äußert: »Bei der Lösung des doch recht komplizierten Falles haben Sie hervorragende Arbeit geleistet. Für die telefonische Information am Freitagabend bedanke ich mich nochmals recht herzlich.«

Veronika Sommercamp ist sichtlich irritiert. Sollte er sie deswegen zu sich beordert haben? Die Hauptkommissarin kann es sich kaum vorstellen. Etwas zaghaft kommt über ihre Lippen: »Der Bericht ist bereits fertig. Ich wollte ihn gerade unterschreiben, als uns die Nachricht erreichte, dass wir umgehend zu Ihnen kommen sollen.“

»Den Bericht können Sie mir anschließend übergeben. Ihre korrekte Arbeit kenne ich bereits seit vielen Jahren und habe keinerlei Zweifel, dass dieser wie üblich ohne Korrektur an die Staatsanwaltschaft übergeben werden kann. Das ist auch nicht der Grund für unser Gespräch.«

Jens Knobloch äußert: »Dann nehmen Sie wohl Anstoß an der Zahl der Überstunden? Ich versichere Ihnen, dass die Aufstellung von mir korrekt angefertigt wurde. Wenn es erforderlich sein sollte, kann ich dazu auch meine handschriftlichen Aufzeichnungen nachreichen.«

»Nein, nein, darum geht es überhaupt nicht. Ihre Urlaubsanträge hatte ich bereits genehmigt, als mich ein Amtshilfeersuchen der Berliner Kollegen erreichte. Wegen derzeitiger Überlastung bitten Sie um Unterstützung für die Aufklärung eines Mordes, der sich an einem recht beliebten und gut besuchten Ausflugsziel ereignete. Dementsprechend besteht ein großes öffentliches Interesse.«

Veronika Sommercamp zuckt sichtlich zusammen. Sie war auf alles vorbereitet. Aber dass nun wieder nichts aus ein paar freien Tagen werden sollte, trifft die Hauptkommissarin heftig. Dabei stehen ihr noch Urlaubstage aus dem vergangenen Jahr zu. Ein Einspruch erscheint zwecklos. Wie sie den Dienststellenleiter kennt, gab er sicher bereits sein Einverständnis für die personelle Unterstützung.

Ihre Enttäuschung kann Veronika Sommercamp nur mit Mühe verbergen. Trotzdem fragt sie: »Um was für eine Hilfe soll es sich denn handeln? Es sind sicher nur die üblichen Befragungen von Personen durchzuführen, die mittelbar etwas mit der Tat zu tun haben könnten. So etwas führen bei uns Wachtmeister durch. Wir beide sind aber ausgebildete Kriminalkommissare.«

»Mir liegt es fern, Sie nur für Hilfsdienste zur Verfügung zu stellen. Es handelt sich um die komplette Übernahme eines Mordfalls. Für die Ermittlung wird eine Sonderkommission eingerichtet. «

In Veronika Sommercamp erwacht sofort das Interesse. Sie übt ihren Beruf mit Leidenschaft aus. Sachlich und nüchtern fällt dementsprechend ihre Frage aus.

»Wo geschah das Verbrechen und wann ist es passiert?«

»Auf der Pfaueninsel im Südwesten Berlins. Mich erreichte die Nachricht vor einer halben Stunde. Mehr kann ich dazu im Moment nicht sagen. Die Kollegen der Spurensicherung und die Pathologin müssten bereits am Tatort eingetroffen sein. Sollten Sie spezielle Wünsche haben, dann können wir diese telefonisch durchgeben.«

»Die Insel ist mir bekannt. Als uns neulich Freunde besuchten, unternahmen wir dorthin einen Ausflug. Wenn mich meine Erinnerungen nicht trügen, erreicht man die Pfaueninsel nur mit einer Fähre«, äußert Veronika Sommercamp.

»Dann besitzen Sie ja bereits Ortskenntnisse über den Tatort. Der Fährmann wird sich sicher erinnern können, wer die Ermordete begleitete. Für Sie als eine erfolgreiche und erfahrene Kriminalpolizistin liegt die Übernahme der Position des Leiters einer solchen Sonderkommission in den richtigen Händen.«

»Welchen Namen haben unsere Kollegen der Sonderkommission gegeben?«, will die Hauptkommissarin noch wissen.

»Soweit mir bekannt ist, gibt es dafür noch keine Bezeichnung.«

Jens Knobloch zeigt sich nicht gerade hellauf begeistert über den Auftrag und setzt zu einer Bemerkung an: »Aber so ohne weitere Informationen …«

Weiter kommt er mit seinem Einwand nicht. Veronika Sommercamp unterbricht ihn und sagt: »Ein ‚Aber’ steht im Augenblick nicht zur Debatte. Damit verlieren wir nur Zeit. Ich benötige die Handynummer der Ärztin, die am Fundort die Leiche untersucht. Alles Andere besprechen wir im Auto. Die zirka einstündige Fahrzeit wird dazu ausreichend sein. Die erforderlichen Auskünfte zur dem Geschehen sind wie stets nur vor Ort einzuholen.«

Sie wendet sich ihrem Vorgesetzten zu und äußert scherzhaft: »Die ‚SOKO Pfaueninsel’ nimmt umgehend die Ermittlungen auf. Nach erfolgreicher Aufklärung stehen wir in Kürze wieder für Sie zur Verfügung.“

Der Dienststellenleiter zeigt sich über die Reaktion seiner Hauptkommissarin hocherfreut. Ihr entschlossenes Handeln schätzt er bereits seit vielen Jahren. Wieder einmal beweist sie sich als eine geeignete Nachfolgerin, wenn er sich in absehbarer Zeit in den Ruhestand verabschieden wird. Darüber gab es bisher noch keine Unterredung. Der Dienststellenleiter nimmt sich fest vor, nach Abschluss des Sondereinsatzes mit der Hauptkommissarin dazu ein längst fälliges Gespräch zu führen.

»Dann kann ich nur noch viel Erfolg wünschen. Bitte unterrichten Sie mich ständig über den Verlauf der Ermittlungsarbeit.«

Beim Verlassen des Dienstzimmers bemerkt Veronika Sommercamp zur Sekretärin: »Bitte geben Sie mir die Telefonnummer der Pathologin. Doch halt! Noch besser wird sein, ihr unser Kommen umgehend anzukündigen. Die Leiche soll bis zu meinem Eintreffen am Fundort dort verbleiben. Wir sind spätestens in einer Stunde vor Ort.«

Schon setzt die Sekretärin zu einer Erwiderung hinsichtlich der Befugnis einer Auftragserteilung an, als sie im letzten Moment das zustimmende Nicken ihres Chefs bemerkt. Statt eine unpassende Bemerkung von sich zu geben, greift sie zum Telefon und gibt der Pathologin Bescheid. Der Dienststellenleiter geht schmunzelnd an seinen Schreibtisch zurück und überlegt: Die zwei Frauen gehören zweifellos zu den besten Mitarbeitern, die auf der Polizeistation tätig sind. Aber enge Freundinnen werden sie sicherlich nie werden. Solange die Arbeit nicht darunter leidet, soll es mir letztendlich egal sein. Von einem tieferen Nachdenken über die Situation wird er durch das Läuten des Telefons abgehalten. Immer noch zufrieden lächelnd geht er an seinen Schreibtisch zurück.

Die beiden Kriminalkommissare haben unterdessen ihren Dienstwagen erreicht. Während Veronika Sommercamp das Navigationsgerät bedient, starte Jens Knobloch den Motor. Immer noch ärgerlich über den verpatzten Urlaub macht er sich lautstark Luft: »Verdammter Mist! Muss uns gerade jetzt solch eine Geschichte in die Quere kommen! Warum habe ich mich nur damals für den Beruf eines Kriminalbeamten entschieden? Morgen wollte ich für ein paar Tage nach Spanien fliegen. An der Costa del Sol herrscht für unsere Verhältnisse das schönste Sommerwetter. Selbst die Eintrittskarten für die Alhambra habe ich gestern Abend noch per Internet gebucht. So hätte ich mich nicht in die Schlange der an der Kasse anstehenden Touristen einreihen müssen. Es ist schon manches Mal ziemlich hart, bei der Kripo zu arbeiten.«

Veronika Sommercamp unterbricht das Betätigen der Tastatur am Navigationsgerät und sagt mitfühlend: »Glaubst du, mir geht es anders. Meine Mutter ist überglücklich, dass ich sie wieder einmal besuche. Und nun diese Enttäuschung. Doch es zwang uns niemand, den Beruf eines Kriminalkommissars zu ergreifen. Die eine oder andere Unregelmäßigkeit im Dienstablauf gehört doch einfach mit dazu. Willst du nun wegen dieser Geschichte deinen Beruf aufgeben? Das nehme ich dir nicht ab.«

Jens Knobloch beruhigt sich inzwischen weitgehend und antwortet: »Natürlich möchte ich keinen anderen Beruf ausüben. Mit der jetzigen Situation habe ich mich bereits abgefunden. Also beweisen wir vielmehr, wozu Kommissare aus der Provinz fähig sind.«

Veronika Sommercamp atmet hörbar auf. Ein mürrischer und an allem zweifelnder Kollege wäre wohl auch das Letzte, was sie im Augenblick ertragen könnte.

1. Kapitel

Der Fundort

Das Navigationsgerät leitet die Kommissare zu der kleinen Landspitze am Düppeller Forst. Dort befindet sich die Anlegestelle der Fähre für die Besucher der Pfaueninsel.

Auf dem Parkplatz vor dem Hafen sind nur noch wenige freie Stellplätze zu entdecken. Beim Aussteigen aus dem Dienstwagen äußert Jens Knobloch: »Es sieht ganz danach aus, als wollten nicht Wenige den Andrang an den Wochenenden ausweichen und haben sich den heutigen Tag für einen Besuch der Pfaueninsel ausgesucht.«

»Die Leute verstehe ich recht gut. Neulich waren wir mit unseren Bekannten an einem Sonntag hier. Auf dem Parkplatz war keine Stelle mehr frei, so dass die Besucher die Autos am Straßenrand abstellten«, bemerkt Veronika Sommercamp.

»Heute ist Montag und viele nutzen das herrliche Frühlingswetter für einen Ausflug. Die können es vielleicht gut haben. Nur wir müssen leider arbeiten.«

»Nun fange nicht schon wieder an zu jammern. Mir wäre auch lieber, wenn wir nur zu unserem Vergnügen hier wären und den Park und die Natur genießen könnten. Jetzt will ich mich erst einmal orientieren, wie man den Fährhafen erreicht.«

Jens Knobloch schaut sich um und sagt: »Ich glaube, am Ende des Parkplatzes scheint es eine Abkürzung zu geben. Zumindest deutet es ein kleiner Trampelpfad an.«

Bevor Veronika Sommercamp etwas erwidern kann, steht ihr Kollege bereits am Abhang und winkt sie zu sich. Im Nu erreichen sie die Anlegestelle. Das Fährschiff legt soeben ab. Bevor es wieder am diesseitigen Ufer ankommt, bleibt den Kommissaren ein wenig Zeit zum Umschauen. Jens Knobloch steht vor einer Informationstafel und studiert die Parkordnung.

Mit einem leisen Pfiff macht er sich bemerkbar und äußert: »Es scheint, als würde die Pfaueninsel tatsächlich ein Stück unberührte Natur sein. Die Besucher dürfen keine Hunde oder andere Tiere, Fahrräder, Inlineskates und Skateboards mitbringen. Auch das Rauchen, die Wege zu verlassen oder Angeln ist untersagt. Hier ist praktisch alles verboten. «

Veronika Sommercamp stellt sich neben ihn und erwidert: »Ein Glück nur, dass es solche Bestimmungen gibt. Dann bleibt uns wenigstens all das Schöne in seiner Ursprünglichkeit recht lange erhalten. Du siehst doch selbst, wie viele Menschen praktisch auf die Insel drängen.«

Langsam gleitet die Fähre durch den schmalen Wasserarm der Havel dem Ufer entgegen. Neben den Kommissaren wartet eine ansehnliche Menschenmenge auf das Übersetzen auf die Insel.

Beim Betreten des Fährschiffes zeigen Veronika Sommercamp und Jens Knobloch dem Herrn in Seemannsuniform ihre Dienstausweise. Er murmelt mit zusammengebissenen Zähnen: »Blöde Sache. Gerade beginnt die Saison und dann passiert so etwas. Der Rettungswagen und auch das Bestattungsfahrzeug sind schon an Ort und Stelle. Ich will nur hoffen, dass ein solcher Vorfall sich nicht negativ auf die Besucheranzahl auswirkt.«

„Wie gelangen wir denn zu dem Fundort der Leiche?«, erkundigt sich Jens Knobloch.

Nach dem Ablegen der Fähre erklärt der noch immer recht grimmig schauende Fährmann: »Wenn wir am Ufer ankommen, begeben Sie sich nach Rechts und gehen den kleinen Anstieg hinauf. Nach dem Passieren der historischen Fontäne sind es nur noch etwa fünfzig Meter bis zum Fundort der Toten.«

Als die Kommissare entsprechend der Beschreibung an einer Weggabelung ankommen, sehen sie die weiträumig mit rot-weißen Flatterbändern abgesperrt Fundstelle der Leiche. Die Kollegen von der Spurensicherung verrichten eifrig ihre Arbeit. Erst nach Vorzeigen des Dienstausweises gestattet der diensthabende Wachtmeister den Zugang.

Mit schnellen Schritten gehen Veronika Sommercamp und Jens Knobloch auf dem Rettungswagen zu. Eine Gruppe von mehreren Personen ist in ein angeregtes Gespräch vertieft.

»Veronika Sommercamp«, stellt sich die Hauptkommissarin vor, »unser Erscheinen wird von Ihnen sicher schon ungeduldig erwartet.«

Eine junge Frau schaut sich um und sagt hocherfreut: »Tatsächlich warte ich schon eine ganze Weile auf Sie. Ihre Ankunft wurde telefonisch avisiert. Mein Name ist Dr. Nadine Giovanni. Die Tote wurde von mir bereits untersucht. Bei dem jungen Mann an Ihrer Seite handelt es sich entsprechend der Ankündigung um Kommissar Knobloch.«

»Das trifft zu. Der Fall wurde mir erst vor einer Stunde übertragen. Wir haben uns beeilt, um so rasch wie möglich hier zu sein. Schneller ging es wahrhaftig nicht.«

Lachend unterbricht Dr. Nadine Giovanni die Ausführungen von Veronika Sommercamp und sagt: »Ich arbeite bereits seit zehn Jahren in der Pathologie. Bei mir brauchen Sie sich wahrlich nicht zu entschuldigen. Jetzt bin ich erst einmal froh, dass Sie überhaupt in so kurzer Zeit hier angekommen sind. Dann wollen wir uns auch nicht länger mit Konversationen aufhalten und umgehend zu den für Sie relevanten Fakten kommen.«

Dr. Nadine Giovanni nimmt die Decke von der Toten und zeigt auf deren Hals. Dazu führt sie aus: »Das Opfer wurde erwürgt. Bei dem Täter muss es sich um eine kräftige Person handeln. Der Angriff ist so überraschend gekommen, so dass kaum Spuren von Gegenwehr zu verzeichnen sind. Unter den Fingernägeln befanden sich ein paar Stofffasern. Aber das ist auch gleich alles. Ich bin mir dabei nicht einmal sicher, ob diese vom Täter stammen. Einen Vergleich können wir sowieso erst dann durchführen, wenn von Ihnen die ersten Verdächtigen ermittelt wurden.«

»Können Sie schon eine Aussage zum Zeitpunkt der Tat machen?«, fragt Veronika Sommercamp.

»Es muss gestern zwischen sechzehn und zweiundzwanzig Uhr geschehen sein. Sobald ich die Tote auf dem Obduktionstisch gründlich untersucht habe, erfolgt selbstverständlich eine Präzisierung der Uhrzeit.«

Jetzt beteiligt sich auch Jens Knobloch an dem Gespräch und äußert: »Auf der Informationstafel an der Anlegestelle der Fähre steht, dass diese nur bis zwanzig Uhr betrieben wird. Demnach müsste der Täter gegen Abend die Insel wieder verlassen haben.«

»Deine Bemerkung ist richtig, wenn man voraussetzt, dass er nicht mit einem Boot auf die Insel kam«, wendet Veronika Sommercamp ein.

Ein Herr vom Bestattungsinstitut meldet sich zu Wort und erklärt: »Es liegt mir fern, mich in Ihre Arbeit einzumischen. Jedoch erachte ich die Feststellung für sehr unwahrscheinlich, dass einer über das Wasser auf die Insel gelangte. Das Anlegen am Ufer der Pfaueninsel ist strengstens untersagt. Selbst das Baden ist verboten. Ein Boot hätte demnach zu viel Aufmerksamkeit erregt. Zudem besitzt jedes Wasserfahrzeug ein Kennzeichen. Das Risiko, die Kriminalpolizei auf seine Spur zu lenken, wäre viel zu groß für den Täter.«

Veronika Sommercamp nickt zustimmend und sagt: »Danke für den Hinweis. Wir werden Ihre Anmerkung auf alle Fälle bei den Ermittlungen berücksichtigen.«

Dr. Nadine Giovanni schaut von der Fundstelle der Toten hin zum Gebüsch und dann wieder auf den Parkweg. Sie schüttelt leicht mit dem Kopf und äußert: »Eine Sache macht mich stutzig. Der Täter platzierte die Tote direkt am Wegrand. Davon zeugen die Schleifspuren von den Büschen bis fast an den Rand des Rasens. Mir kommt es vor, als sollte damit bereits der erste Besucher die Leiche entdecken. Aber vielleicht gibt es dafür eine ganz einfache Erklärung. Ich finde es nur etwas ungewöhnlich.«

Die Hauptkommissarien pflichtet ihr bei: »Ich stimme Ihnen zu. Gewöhnlich geschieht an Tatorten genau das Gegenteil. Die Opfer werden eher versteckt, als dass sie vom Täter derartig präsentiert werden, wie in diesem Fall.«

»Konnten die Kollegen von der Spurensicherung das Tatwerkzeug sicherstellen?«, will Jens Knobloch wissen.

»Ja, es handelt sich um ein Kunstfaserseil. Der Täter wendete bei der Strangulierung die sogenannte Lassoschlinge an. Diese lässt sich leicht zuziehen, so dass das Opfer fast keine Chance besitzt, sich gegen den Angriff zur Wehr zu setzen oder zumindest die Hände zwischen Hals und Seil zu stecken.«

»Wenn ich Sie richtig verstehe, dann war die Schlinge durch den Täter bereits vorbereitet, damit er sie recht schnell um den Hals des Opfers legen konnte und das Opfer damit keine Möglichkeit zu einer Gegenwehr besaß«, kommentiert Veronika Sommercamp die Ausführungen.

»Anders kann es wohl nicht gewesen sein. Ein spontanes Handeln des Täters schließe ich nahezu aus. Vielmehr weisen alle Umstände auf eine sorgfältig geplante Tat hin. Es scheint, als wurde selbst das gesamte Umfeld vorher akribisch genau ausgesucht.«, bestätigt Dr. Nadine Giovanni.

»Im Moment kann ich mir nicht erklären, wie das Opfer ohne Gegenwehr ins Gebüsch gelangte. Eine Gewaltanwendung können wir entsprechend Ihrer ersten Untersuchung vernachlässigen«, stellt Jens Knobloch nachdenklich fest.

»Darüber lohnt sich im Moment keine Spekulation. Vielmehr möchte ich wissen, um welche Person es sich bei der Toten handelt. Gibt es dazu bereits einen Hinweis?«, fragt die Hauptkommissarin.

»Der Personalausweis befindet sich in der Handtasche. Damit sind Sie im Besitz des Namens und auch der vollständigen Adresse der Getöteten. Es scheint, als habe es der Täter darauf abgesehen, dass wir ohne Mühe die Identität der Toten feststellen. Ansonsten hätte er nicht die Tasche am Tatort belassen«, antwortet Dr. Giovanni.

»Fiel Ihnen sonst noch etwas auf, was für uns interessant sein könnte?«

»An den Fingern des Opfers fehlen zwei Ringe. Zumindest deuten die verbliebenen weisen Stellen am Mittelfinger und dem Ringfinger darauf hin. Auch anderen Schmuck, wie Armreifen oder eine Halskette, konnte ich nicht finden. Ob sie solche Wertstücke vor der Tat trug, wird die weitere Untersuchung in der Pathologie ergeben. Die Entfernung solcher Accessoires durch eine andere Person hinterlässt in der Regel minimale Hautabschürfungen, die mit bloßem Auge nicht zu erkennen sind. Übrigens sind die nach meiner ersten Wahrnehmung recht kostbaren Ohrstecker eingewachsen. Sie konnte der Täter auf alle Fälle nicht mitnehmen.«

»Befanden sich noch weitere Gegenstände in der Handtasche. Vor allem interessiert mich, ob die Tote Bargeld oder eine Kreditkarte bei sich führte.«

Dr. Nadine Giovanni nimmt eine Plastiktüte zur Hand und zeigt sie den Kommissaren.

»Hier sehen Sie den Inhalt. Außer dem Lippenstift, einem kleinen Handspiegel, einem Kamm, einer Packung Papiertaschentücher und drei Tickets für die Benutzung der Fähre befand sich nichts weiter darin. Die Gegenstände werden Ihnen nach der Laboruntersuchung umgehend übergeben.«

Jens Knobloch notiert sich die Adresse der Toten und bemerkt: »Dann lassen Sie die Sachen in das Kriminaltechnische Institut bringen. Ich bin fast überzeugt, dass an der Handtasche und deren Inhalt keine Spuren des Täters gefunden werden. Es sieht ganz danach aus, dass es sich um einen Raubmord handelt und der Mörder sicher Handschuhe trug.«

Die Kollegen der Spurensicherung beendeten in der Zwischenzeit ihre Arbeit und verlassen das Gelände. Veronika Sommercamp schaut sich nochmals an der Fundstelle um und sagt schließlich: »Frau Dr. Giovanni, es würde mich freuen, wenn Sie mir die ersten Ergebnisse der Obduktion schon vorab des schriftlichen Berichtes telefonisch übermitteln.«

»Selbstverständlich informiere ich Sie so rasch wie möglich. Mir ist schließlich bekannt, wie wichtig vor allem die ersten achtundvierzig Stunden für die Lösung eines Mordfalles sind.«

Veronika Sommercamp und Jens Knobloch verabschieden sich von der Ärztin und begeben sich zurück an die Anlegestelle der Fähre. Auf dem Weg dorthin sagt die Hauptkommissarin: »Als erstes werden wir den Fährmann befragen, ob ihm am gestrigen Tag drei Personen auffielen, von denen dann eine vom Inselrundgang nicht zurückkehrte.«

»Wieso sprichst du von drei Personen?«

»Ganz einfach. In der Handtasche des Opfers befanden sich drei Tickets. Dementsprechend befand sich die Tote beim Betreten der Insel in Begleitung.«

Den Kommissaren kommt entgegen, dass nur fünf Personen an Anlegestelle auf die Überfahrt warten und der Fährmann nicht den neugierigen Fragen der Besucher ausgesetzt ist. Unverzüglich kommen sie mit ihm ins Gespräch.

»Olaf Möhrmann«, stellt er sich vor, »Sie sind doch die beiden von der Kripo.«

»Richtig. Ich habe auch nur eine kurze Frage. Erinnern Sie sich eventuell an drei Personen, von denen am Abend nur zwei wieder von der Insel zurückkehrten?«, will Veronika Sommercamp wissen.

Olaf Möhrmann überlegt nur kurz und antwortet: »Am gestrigen Tag war eine Menge los. Gegen dreizehn Uhr fuhren vier vollbesetzte Busse auf den Parkplatz. In der Regel sind diese mit achtzig Personen besetzt. Es handelte sich um Teilnehmer von Seniorenreisen. Es verwunderte mich schon ein klein wenig. Üblicher Weise werden solche Fahrten bekanntlich vor allem unter der Woche durchgeführt. Deshalb blieben mir die Reisegruppen im Gedächtnis haften. Auf meiner Fähre finden aber nur einhundertfünfzig Personen Platz. Ich musste mich beeilen, damit bei den Besuchern wegen all zu langer Wartezeit kein Unmut entsteht. Schließlich bin ich im gewissen Sinne für die Besucher ein Dienstleister und alle sollen zufrieden sein.«

»Wenn ich es richtig verstehe, dann fuhren Sie in kurzer Zeit drei Mal hin und zurück.«

Olaf Möhrmann kratzt sich verlegen den Nacken und erwidert: »Na ja, sagen wir Zweimal. Bei den vielen Leuten habe ich ein klein wenig geschummelt und auf der Fähre jeweils zehn Personen zusätzlich mitgenommen. Das war wirklich eine Ausnahme. Eigentlich kam es mir darauf an, die Reisegesellschaften nicht zu trennen.«

»Wegen eines eventuellen Verstoßes gegen die Sicherheitsbestimmungen brauchen Sie sich wegen uns keine Gedanken zu machen. Wir sind aus einem ganz anderen Grund hier. Wenn Ihnen bei der Überfahrt zur Insel wegen der vielen Besucher nichts auffiel, dann vielleicht auf der Rückfahrt? Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich eine solche Reisegesellschaft nur in der ganzen Gruppe auf der Insel bewegt. Unter den Teilnehmern gibt es doch sicher die unterschiedlichsten Interessen.«

»Mit Ihrer Annahme liegen Sie richtig. Jedoch gebe ich bei der Rückfahrt von der Insel keine Obacht, wer sich an Bord befindet. Schließlich haben alle ihren Obolus bereits entrichtet. Zudem stellen die Gäste oftmals nur Fragen, wenn wir rüber zur Insel fahren. Nach dem Rundgang sind die meisten Besucher ziemlich fußlahm und freuen sich, im Wirtshaus zur Pfaueninsel entspannt ein Glas Bier zu trinken.«

»Ist Ihnen vielleicht eine Frau in einem schwarz weißen Chiffonkleid aufgefallen? Vom Alter her ungefähr vierzig Jahre alt. Sie bezahlte für drei Personen«, fragt Jens Knobloch.

Anstatt einer Antwort erntet der Kommissar lediglich einen missbilligenden Blick des Fährmannes, weil sich inzwischen an der Landspitze eine ansehnliche Menschentraube gebildet hat. Alle warten ungeduldig auf die Überfahrt. Von den Fahrgästen sind vereinzelte ärgerliche Rufe zu hören: »Geht das hier nicht ein wenig schneller? Wir wollen unsere Zeit nicht mit unnützen Warten vergeuden.«

Auf seine wiederholte Bitte, ihm doch die Frage zu beantworten, äußert Olaf Möhrmann etwas ungehalten: »Es ist wohl nicht zu überhören, dass man nach mir verlangt. Entweder, Sie fahren nochmals mit mir hinüber zur Insel oder verlassen die Fähre. Doch prophezeie ich Ihnen schon im Voraus: Es würde reine Zeitverschwendung sein. Mehr, als was ich Ihnen bereits mitteilte, werden Sie durch mich nicht erfahren.«

Nachdem die Besucher nunmehr schon im Chor rufen: »Abfahren! Abfahren!«, verlassen die Kommissare eiligst das Fährschiff.

Als hätte er sich doch eines Besseren besonnen, ruft Olaf Möhrmann den Kommissaren zu: »Nach den von mir erwähnten vier Reisegesellschaften erschien noch eine weitere Seniorengruppe. Es handelte es sich um fast einhundert Personen, die sich an Bord begaben. Durch das Kassieren und die Beantwortung der zahlreichen Fragen fehlte mir einfach die Zeit, auf deren Garderobe zu achten. Solche Kleinigkeiten, welche Person wie viel Tickets löst, interessieren mich auch nicht wirklich. Mehr dazu kann ich Ihnen nicht mitteilen.«

Auf dem Weg zum Parkplatz äußert Jens Knobloch: »Die letzte Bemerkung von Olaf Möhrmann macht mich nachdenklich. Bei einer Reisegruppe erfolgte die Bezahlung der Überfahrt doch sicher durch den Reiseleiter. Also muss ihm doch die Person aufgefallen sein, die separat drei Tickets erwarb. Ich kann mich des Eindruckes nicht erwehren, dass er uns viel mehr erzählen könnte. Ihm scheint dazu im Moment die Zeit zu fehlen.«

»Heute werden wir ihn dazu nicht mehr befragen. Du hast doch selbst bemerkt, dass er durch seine Fahrgäste viel zu sehr abgelenkt ist, um über unsere Fragen nachzudenken. Es wird wohl besser sein, Olaf Möhrmann zu einem Gespräch aufs Revier einzuladen.«

Beide steigen in den Dienstwagen ein. Veronika Sommercamp äußert: »Gib mir doch bitte die Adresse der Toten. Wenn sie Familie hat, dann steht uns wieder einmal eine der unangenehmen Pflichten bevor. Das Überbringen von Todesnachrichten wird sicher auch zukünftig nicht zu meinen bevorzugten Beschäftigungen als Hauptkommissarin gehören.«

***

An der Pforte zum Grundstück der auf dem Personalausweis stehenden Adresse betätigen die Kommissare vergeblich den Klingelknopf. Schließlich wird eine Nachbarin aufmerksam und ruft: »Bei den Brockmanns ist um diese Zeit keiner zu Hause. In der Regel sind sie auch vor zwanzig Uhr hier nicht zu erreichen.«

»Können Sie uns vielleicht sagen, wo wir Herrn Brockmann antreffen?«

»Aber selbstverständlich. Denen gehört doch der Herrenausstatter in Wilmersdorf. Die Adresse finden Sie im Internet.«

Die Kommissare bedanken sich für die Auskunft. Jens Knobloch ermittelt die Straße und Hausnummer umgehend auf seinem Smartphon. Die Hauptkommissarin kündigt Herrn Brockmann telefonisch ihren Besuch an.

»Puh! Da werden wir sicher kein Glück mit einem Parkplatz haben«, äußert der Kommissar recht pessimistisch.

»Wo lebst du denn? In der City gibt es genügend Parkhäuser. An welcher Stelle wir unseren Dienstwagen abstellen, ist im Moment meine geringste Sorge. Viel mehr beschäftigt mich, weshalb der Ehemann keine Vermisstenanzeige aufgab. Schließlich wurde seine Ehefrau gestern ermordet.«

»Darauf werden wir sicher von Herrn Brockmann eine Erklärung erhalten«, erwidert der Kommissar.

Mit der Bemerkung zu den Parkmöglichkeiten sollte Jens Knobloch recht behalten. Allerdings befindet sich in unmittelbarer Nähe des Herrenausstatters ein riesiges Kaufhaus mit einer dreietagigen Tiefgarage. Nachdem sie den Dienstwagen abgestellt haben, stehen die Kommissare kurze Zeit später vor den Schaufenstern des Herrengeschäftes. In goldenen Buchstaben steht an der Häuserfront: ‚Herrenausstatter Bruno Rosenberger - Inhaber Miriam & Florian Brockmann’. Beim Betrachten der Preisschilder an den Kleidungsstücken der Schaufensterpuppen äußert Jens Knobloch: »Kein Wunder, dass sich die Brockmanns eine Villa in einer der teuersten Wohngegenden von Berlin leisten können.«

»Alles hat eben seinen Preis. Schon auf den ersten Blick sind die Hochwertigkeit der Stoffe und die erstklassige Verarbeitung zu erkennen.«

»Na gut, dann wollen wir deine Bemerkung einfach so stehen lassen. Einen Anzug werde ich mir hier trotzdem nicht kaufen.«

»Ich glaube, uns führt ein ganz anderer Grund hierher, als eine neue Garderobe für dich auszusuchen. Wir sollten deshalb keine Zeit verschwenden und stattdessen umgehend hinein gehen.«

Beim Eintreten werden sie sofort äußerst höflich von einem Herrn im modisch geschnittenen dunkelblauen Sakko begrüßt. Das volle schwarze Haar, die Goldrandbrille und die leichte Bräune seines Gesichtes verraten, dass er viel Wert auf sein Äußeres legt.

»Herzlich Willkommen! Wie kann ich den Herrschaften behilflich sein?

Die geschliffenen Worte und der Tonfall zeugen von einem Geschäftsmann, der sein Klientel zu schätzen weiß. Veronika Sommercamp überlegt: Hier scheint der Kunde tatsächlich noch König zu sein. Sie zückt ihren Dienstausweis. Da sie keine weitere Person im Verkaufsraum bemerkt, sagt die Hauptkommissarin sogleich mitfühlend: »Leider geschah etwas Fürchterliches. Ich muss Ihnen bedauerlicherweise mitteilen, dass wir Ihre Frau vor wenigen Stunden tot auffanden.«

»Wieso? Was soll das heißen? Miriam lebt nicht mehr! Um Gottes Willen! Das klingt unfassbar«, sind seine ersten Reaktionen auf die Worte der Hauptkommissarin.

Veronika Sommercamp kann seine Bestürzung verstehen. Wiederum teilnahmsvoll äußert sie: »Das besonders Tragische an der Nachricht besteht darin, dass Ihre Frau einem Gewaltverbrechen zum Opfer fiel.«

»Ein Verbrechen? Das kann ich nicht glauben. Welcher Grund sollte dafür bestehen? Miriam hatte doch keine Feinde. Sie war der gütigste Mensch, den Sie sich vorstellen können.«

»Nach den ersten Eindrücken am Tatort gehe ich davon aus, dass es sich um einen Raubmord handelt. Zumindest wurde bei ihr kein Bargeld gefunden. Auch die Ringe an ihrer Hand wurden entfernt. Ob sie zudem noch weiteren Schmuck trug oder die Kreditkarte eventuell fehlt, können wir sicher von Ihnen erfahren.«

Florian Brockmann schaut die Kommissare mit einem unsteten und immer noch verständnislosen Blick an. Schließlich äußert er fahrig: »Entschuldigung, ich bin noch ganz durcheinander und kann im Moment keinen klaren Gedanken fassen. Wo geschah denn die furchtbare Tat?«

»Wir fanden Ihre Frau auf der Pfaueninsel.«

»Das ist doch das Naturparadies im Bezirk Wannsee. Vor einigen Wochen las ich darüber einen Artikel in der Zeitung. Für einen Besuch der Insel fehlte mir bisher die Zeit. Miriam äußerte sich in keiner Weise, einen solchen Ausflug allein oder mit einer Bekannten zu unternehmen. Die Geschichte kommt mir recht merkwürdig vor. Mit wem sollte sie nur dorthin gefahren sein?«

»Wann sprachen Sie das letzte Mal mit Ihrer Frau?«

»Es war gestern, als ich unser Haus verließ, um ins Geschäft zu fahren.«

»Geht es vielleicht auch etwas präziser?«

»Gegen acht Uhr.«

»Demnach hatten Sie am gestrigen Sonntag geöffnet?«

»Nein, der Monatsabschluss war fällig. Den fertige ich stets außerhalb der Öffnungszeiten an, um nicht durch die Kundschaft gestört zu werden.«

»Dann verwundert mich, dass Sie gestern den ganzen Tag über nicht ein einziges Mal mit Ihrer Ehefrau telefonierten«, äußert Veronika Sommercamp.

»Das versuchte ich sogar mehrere Male. Leider hatte sie ihr Handy ausgeschaltet.«

»Wo arbeitet denn Ihre Gattin? Die Aufschrift auf der Fassade weist sie neben Ihrem Namen als Inhaberin aus.«

»Uns beiden gehört der Modesalon und wir betreiben ihn auch gemeinsam.«

Bei diesen Worten wird Jens Knobloch misstrauisch. Augenblicklich fragt er: »Warum machte es Sie nicht stutzig, als Sie Ihre Ehefrau bei der Rückkehr aus dem Geschäft nicht zu Hause antrafen? Noch mehr verwundert mich Ihre Gleichgültigkeit. In solch einem Fall gibt man doch eine Vermisstenanzeige auf.«

»Keineswegs. Miriam besuchte mit ihrer Freundin eine Aufführung in der Staatsoper. Ich selbst bin kein großer Freund vom Musiktheater und im Grunde genommen froh, wenn ich sie nicht begleiten muss. Zudem hat sich Miriam heute einen freien Tag genommen.«

»Trotzdem fehlt mir für Ihr Verhalten das Verständnis. Sind Sie denn nicht voller Sorge, dass Ihre Frau gestern Abend nicht nach Hause kam?«

»Das beunruhigt mich durchaus nicht. Wenn es spät wurde, übernachtete sie schon mehrmals bei ihrer Freundin. Das ist für mich weitaus angenehmer, als wenn Miriam nachts allein unterwegs wäre.

»Aber warum rief Ihre Frau nicht an und gab Ihnen Bescheid?«

»Das versuchte sie. Doch mein Handy lag im Auto. Die SMS von ihr habe ich erst heute Morgen gelesen. Das beruhigte mich wiederum. Wenn Sie Wert darauf legen, stelle ich es Ihnen gerne für eine Überprüfung zur Verfügung.«

Veronika Sommercamp winkt kurz ab. Sie weiß aus Erfahrung, dass solche Angaben in fast allen Fällen stimmen. Doch eine Sache an der Schilderung Florian Brockmanns gefällt ihr nicht. Deshalb fragt sie nochmals: »Machten Sie sich denn gestern Abend wirklich keine Gedanken, weil Ihre Frau nicht nach Hause kam? Ein Anruf über das Festnetz wäre doch möglich gewesen. Oder kam es öfter vor, dass Ihre Frau nachts wegblieb?«

»Wir besitzen im Haus keinen Festnetzanschluss. Ist nicht notwendig, da wir in der Woche tagsüber nicht in unserer Wohnung sind. Da fallen nur unnötige Kosten an. Zudem führte ich bis in den späten Abend die Inventur hier im Geschäft durch und war erst gegen zweiundzwanzig Uhr zu Hause. Nach einem kleinen Drink legte ich mich auch sofort schlafen.«

»Da es sich um Mord handelt, muss ich Sie fragen, ob es Zeugen gibt, die Ihre Anwesenheit in den Geschäftsräumen bestätigen können?«

»Gestern war Sonntag. Da bleibt der Herrenausstatter üblicherweise geschlossen. Ich hielt mich ausschließlich nur wegen der Inventur hier auf. Für meine Anwesenheit gibt es deshalb verständlicherweise keine Zeugen.«

»Beim Betreten des Geschäftes sahen wir eine junge Frau im Kassenbereich. Es handelt sich doch sicher um eine Angestellte. Entsprechend Ihrer Aussage war sie demnach gestern nicht anwesend.«

»Ihre Wahrnehmung betrifft Frau Wallner. Meine Verkäuferin ist froh, wenn sie mit dem Verwaltungskram in Ruhe gelassen wird. Eine weitere Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter beschäftige ich aus Kostengründen nicht.«

Jens Knobloch wiegt bedenklich den Kopf und sagt: »Überlegen Sie doch bitte nochmals ganz genau. Vielleicht begegnete Ihnen beim Verlassen des Geschäftes eine Person.«

Die Hauptkommissarin ergänzt die Worte ihres Kollegen: »Oder Sie führten in der Zeit von zirka sechzehn bis zwanzig Uhr ein Telefongespräch mit einem Bekannten oder einem Geschäftspartner?«

Florian Brockmann macht ein nachdenkliches Gesicht und zieht die Stirn in Falten. Plötzlich hellt sich seine Miene auf. Wie innerlich befreit äußert er: »Aber natürlich kann ich meinen Aufenthalt hier im Geschäft nachweisen. Es waren noch einige Geschäftsbriefe zu schreiben. Das Programm zeigt das Anlegen und die Änderung eines jeden Dokumentes bis auf die Sekunde genau an.«

Um seine Äußerung zu bestätigen, begibt sich Florian Brockmann sogleich an den Schreibtisch und schaltet den Computer ein. Nachdem der Rechner hochgefahren ist öffnet er den Ordner ‚Schriftverkehr’ und sagt: »Bitte schauen Sie sich die Aufstellung an.«

Unter der Rubrik ‚Änderungsdatum’ befinden sich fünf Dokumente mit dem gestrigen Datum. Die Angabe der Uhrzeit weist eindeutig aus, dass die Briefe von siebzehn bis neunzehn Uhr geschrieben wurden.

»Es ist gut, dass Sie uns für die in Frage kommende Zeit den Anwesenheitsnachweis in den Geschäftsräumen erbringen können.«

Erstaunt fragt Florian Brockmann: »Sie verdächtigen doch hoffentlich nicht mich?«

»Es handelt sich lediglich um polizeiliche Routinearbeit. Bei einem Mordfall untersuchen wir das gesamte Umfeld des Opfers. Nunmehr ist noch eine nicht ganz angenehme Aufgabe zu erledigen. Ihre Frau muss identifiziert werden. Ich hoffe, dass Sie im Moment in der Lage sind, uns in die pathologische Abteilung zu begleiten.«

»Ja, ja, es geht schon. Ich bin nur immer noch ziemlich fassungslos über die Nachricht.«

***

Im Obduktionssaal der Pathologie ist es kühl. Die blauen Wandfliesen und chromfarbenen Kühlkammern für die Toten unterstreichen zusätzlich das aufkommende frostige Gefühl bei Besuchern, die erstmals diesen Raum betreten. So geht es auch Florian Brockmann, als er seinen Fuß über die Türschwelle setzt.

»Kommen Sie ruhig näher. Vor meinen Patienten braucht sich keiner zu fürchten. Die tun niemandem etwas.«

Mit diesen Worten begrüßt Dr. Nadine Giovanni scherzhaft die Eintretenden. Ohne von ihrem Mikroskop aufzublicken erkennt sie aus dem Augenwinkel, dass es sich bei der Besucherin um die Hauptkommissarin handelt. Veronika Sommercamp tritt näher und stellt ihr Florian Brockmann als den Ehepartner der Getöteten vor.

Zugleich wird das Gesicht der Pathologin ernst. Florian Brockmann hatte sie nicht wahrgenommen, da er als Letzter den Raum betrat. Man spürt, dass ihr die flapsige Bemerkung peinlich ist. Leise murmelt sie: »Entschuldigung! Ich bemerkte nicht, dass sich Herr Brockmann in Ihrer Begleitung befindet.«

Dr. Giovanni hält sich damit nicht lange auf. Ohne weitere Umschweife begibt sie sich zum Operationstisch und nimmt die Decke vom Kopf der Toten. Florian Brockmann schaut kurz auf das Antlitz der Leiche und nickt mit dem Kopf. Dann wendet er sich augenblicklich wieder ab und sagt mit brüchiger Stimme: »Es handelt sich um meine Ehefrau. Der Anblick ist für mich wahrlich sehr schwer zu ertragen.«

Veronika Sommercamp fragt Dr. Giovanni: »Gibt es seit unserem gestrigen Gespräch bereits neue Erkenntnisse?«

»Die Uhrzeit kann ich ziemlich genau eingrenzen. Der Tod trat zwischen achtzehn und neunzehn Uhr ein.«

Sie nimmt die Hauptkommissarin zur Seite und sagt: »Das Opfer trug eine Halskette und auch einen Armreifen. Ich konnte es an den winzigen Hautabschürfungen feststellen.«

Florian Brockmann steht bereits an der Tür, so als wolle er den unbehaglichen Ort schnellstmöglich wieder verlassen. Jens Knobloch lässt sich von ihm die Adresse der Freundin seiner Frau geben und schreibt diese in sein Notizbuch. Währenddessen spricht Veronika Sommercamp leise mit der Pathologin.

»Ergab die Blutprobe und die Untersuchung des Mageninhaltes etwas Erwähnenswertes?«

»Nein, es wurden weder die Anwendung eines Betäubungsmittels noch verdächtige andere Substanzen gefunden. Der Bericht wird heute fertig gestellt. Sollten Sie in den nächsten Tagen dazu noch Fragen haben, stehe ich Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung.«

Die Kommissare fahren Florian Brockmann zurück in sein Ladengeschäft. Während der Fahrt äußert er: »Eigentlich wollten wir Anfang des Sommers nach Spanien in den Urlaub fliegen. Stattdessen muss ich jetzt die Beerdigung vorbereiten. Es ist ein harter Schicksalsschlag. Meine Frau wird mir nicht nur als Ehepartner sondern auch im Geschäft sehr fehlen. Sie kümmerte sich um viele Sachen, von denen ich nicht die geringste Ahnung habe.«

»Für Ihren Schmerz habe ich volles Verständnis. Doch mit der Trauerfeier müssen Sie sich noch gedulden. Den Termin der Freigabe für die Beerdigung teile ich Ihnen in den nächsten Tagen mit. Jedenfalls hoffe ich, dass wir die Tat recht schnell aufklären.«

Vor dem Geschäft halten sie an. Bevor Florian Brockmann den Wagen verlässt, fragt Jens Knobloch: »Über den Schaufenstern lese ich drei Namen. Wer ist Herr Rosenberger? Gehört ihm der Herrenausstatter und Sie betreiben gemeinsam mit Ihrer Frau das Geschäft?«

»Meiner Ehefrau bekam das Geschäft von ihrem Vater überschrieben. Sie führt es bereits in der dritten Generation als Familienunternehmen. Bruno Rosenberger war ihr Großvater. Er eröffnete im Jahre neunzehnhundertzehn ein kleines Ladengeschäft an dem jetzigen Standort und entwickelte es in den folgenden Jahren zur ersten Adresse für wohlhabende Bürger in Berlin und dem Umland. Vor allem in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts erlebte der Herrenausstatter eine regelrechte Blütezeit. Bis auf die Jahre zwischen neunzehnhundertdreiunddreißig bis neunzehnhundertundfünfzig war das Geschäft in Familienbesitz. Mit der Rückerstattung an ehemalige jüdische Besitzer wurde die Erfolgsgeschichte des Hauses fortgesetzt. Vor zehn Jahren überschrieb der Vater meiner Ehefrau das Geschäft und unser Wohnhaus an seine Tochter. Er wollte seinen Lebensabend in Israel verbringen und ging in das Land seiner Urgroßväter zurück.«

Mit einem Male wird Jens Knobloch hellhörig und fragt: »Wenn ich es richtig verstanden habe, dann gehört Ihnen jetzt der Herrenausstatter und auch die Villa in einer der begehrtesten Wohngegenden von Berlin ganz allein? Oder haben Sie Kinder?«

Mit einem bitteren Lachen entgegnet Florian Brockmann: »Das mit dem Wohnhaus stimmt. Doch was soll ich mit sechs Zimmern und zwei Bädern anfangen? Für mich allein ist es viel zu groß. Zudem beschäftigte sich bisher ausschließlich meine Frau mit der Gestaltung und Pflege des parkähnlichen Grundstückes. Dann bliebe noch der Modesalon. Leider ist die Goldschrift über dem Eingang und die schicke Schaufensterdekoration nur noch Fassade. Seitdem in unmittelbarer Nähe das Warenhaus eröffnete, sind die Umsätze derartig zurückgegangen, dass wir praktisch täglich ums Überleben kämpfen. Mit deren Preispolitik können wir nicht mithalten.«

»Noch eine letzte Bitte möchte ich an Sie richten. Es handelt sich um den Schmuck Ihrer Gattin. Ich benötige dringend die Information, ob etwas fehlt. Außerdem sollte von Ihnen unbedingt das Konto hinsichtlich einer möglichen Transaktion überprüft werden«, äußert Veronika Sommercamp.

»Oh je, wenn sie die Karte bei sich hatte, dann kann der Raubmörder das Konto abräumen. Ich muss sofort zur Bank und die Karte sperren lassen.«

»Das ist nun wahrlich nicht erforderlich. Die Sperrung können Sie auch telefonisch veranlassen.«

»Ist schon in Ordnung. Wegen der ganzen Aufregung dachte ich nur im Moment nicht daran.«

»Rufen Sie mich bitte umgehend an. Möglichst gleich morgen Früh und geben Bescheid, ob von dem Konto Ihrer Frau Geld abgehoben wurde.«

»Morgen gegen acht Uhr. Sind Sie um diese Zeit überhaupt schon im Dienst?«

»Das sollte nun wirklich Ihre geringste Sorge sein. Zu Beginn der Ermittlung gibt es für uns Kommissare praktisch keine Freizeit. Je länger es dauert, bis wir den Täter ermittelt haben, desto mehr Zeit hat dieser, eventuell vorhandene Spuren zu beseitigen.«

Veronika Sommercamp nimmt ihre Visitenkarte und die von Jens Knobloch zur Hand und streicht die Telefonnummern des Festnetzanschlusses durch. Dazu erklärt Sie: »Ab sofort erreichen Sie uns in der Polizeidirektion Vier in Berlin. Mein Kollege oder ich werden dann Ihre Ansprechpartner sein. Ansonsten stehen Ihnen natürlich jeder Zeit die Handynummern zur Verfügung.«

»Im Augenblick muss ich die unerwartete schlimme Situation erst einmal verarbeiten. Aber das Leben muss trotzdem weitergehen.«

»Bitte verlassen Sie in den nächsten Tagen nicht die Stadt und halten sich für eventuelle Rückfragen zur Verfügung«, sind die letzten Worte von Veronika Sommercamp, bevor Florian Brockmann den Dienstwagen verlässt. Ohne sich nochmals umzuschauen, verschwindet er mit schnellen Schritten im Geschäft. Jens Knobloch bemerkt nachdenklich: »Für einen vom Schmerz geplagten Ehemann sieht sein Gang ziemlich leichtfüßig aus. Ich habe das Gefühl, als spiele er uns etwas vor.«

»Ich glaube, du irrst dich. Bedenke doch nur sein Verhalten in der Pathologie. Er war durch den Anblick seiner toten Frau derartig erschüttert, dass es ihm praktisch die Sprache verschlug. Eine solche Reaktion kann man nicht vortäuschen.«

»Es wird wohl so sein, wie du sagst. Trotzdem kam es mir vor, als wäre er bei unserem Kommen sichtlich erleichtert gewesen. Vielleicht sehe ich auch nur Gespenster«, erwidert Jens Knobloch mit einem Anflug von Galgenhumor.

***

Noch vor dem offiziellen Dienstschluss erreichen die Kommissare die Polizeidirektion Vier. Beim Betreten des temporären Dienstzimmers sagt Veronika Sommercamp erfreut: »Das nenne ich aber einen angenehmen Empfang.«

Auf den Schreibtischen steht je ein Laptop. Daneben liegen ein Notizblock sowie weitere Büromaterialien. Zwei kleine Sträußchen Tulpen weisen recht eindeutig darauf hin, dass sie hier willkommen sind.

»Schau! Selbst an eine Demonstrationstafel haben unsere Kollegen gedacht«, äußert Jens Knobloch und verweist auf eine Glastafel neben einem der Schreibtische.

»Kollegen ist gut gesagt. Auf mich macht es mehr den Eindruck, als wäre hier eine Kollegin am Werk gewesen. Oder traust du einem deiner Artgenossen zu, dass er uns ein paar Blümchen auf den Schreibtisch stellt?«

Wie zur Bestätigung ihrer Worte öffnet sich die Tür und eine Mitarbeiterin des Polizeireviers betritt das Zimmer.

»Mein Name ist Cordula Weichenberg. Ich koordiniere unter anderem die Arbeit innerhalb unserer Dienststelle. Bei besonderen Wünschen können Sie sich jederzeit an mich wenden. In unserem betriebsinternen System stehen zudem alle wichtigen Informationen auf Ihrem Rechner zum Abruf bereit. Hier sind noch die Haustürschlüssel. Den Empfang bestätigen Sie mir bitte mit Ihrer Unterschrift.«

»Danke für den herzlicher Empfang. Man fühlt sich dadurch umgehend nicht mehr so fremd«, äußert Veronika Sommercamp.

»Es ist nichts Besonderes. Die Hauptsache, Sie fühlen sich bei uns wohl und können sich voll und ganz auf Ihre Ermittlungsarbeit konzentrieren. Doch jetzt sollten wir umgehend zu unseren Dienststellenleiter gehen. Er möchte die neuen Kollegen kennenlernen.«

Nach Erledigung des Antrittsbesuches bekommen sie alle wichtigen Räume des Gebäudes gezeigt. Die Kommissare begeben sich wieder zurück in ihr Dienstzimmer. Recht zufrieden mit den ersten Eindrücken äußert Jens Knobloch: »Die Bedingungen hier sind wirklich richtig gut. Besser kann man sich ein sogenanntes Provisorium nicht wünschen. Ich werde umgehend zur Tafel gehen und damit demonstrieren, dass wir uns bereits mitten in den Ermittlungsarbeiten befinden.«

»So hochtrabend würde ich unsere derzeitige Lage nicht bezeichnen und etwas vorsichtiger formulieren: Wir stehen ganz am Anfang zur Lösung eines Raubmordes.«