Das Geheimnis der Kosta Konkordia - Patrick Salm - E-Book

Das Geheimnis der Kosta Konkordia E-Book

Patrick Salm

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Beschreibung

Die Kosta Konkordia, ein Kreuzfahrtschiff mit mehreren Tausend Personen an Bord, läuft auf Grund und sinkt. Viele Menschenleben finden dabei in den kalten Meeresfluten ihren Tod. Die Kosta Konkordia, ein Kreuzfahrtschiff mit mehreren Tausend Personen an Bord, läuft auf Grund und sinkt. Viele Menschenleben finden dabei in den kalten Meeresfluten ihr Ende. Unter den Überlebenden ist Silvan Aebischer, ein Physiker, der mit seinen Kollegen für die Berechnung des Kurses verantwortlich war. Er will nicht an einen Fehler bei der Berechnung glauben und macht sich daran, zu ergründen, was hinter dem Untergang des Luxusliners steckt. Dabei kommt er dunklen Machenschaften auf die Spur. Die Havarie wurde ganz bewusst herbeigeführt. Was hat der Mann mit dem Aktenkoffer, der auch Passagier auf dem Schiff war, damit zu tun? Und wohin ist die schöne Anna verschwunden, die ebenfalls gerettet werden konnte? Zusammen mit deren besten Freundin macht sich Silvan auf die Suche und gerät dabei in einen Strudel voller Gefahren und Leidenschaft.

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Seitenzahl: 322

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Personenverzeichnis

Abdullah Beblawi

Chef von Al Traga

Adrian

älterer Mann im Haus in Giglio

Anna Steinmeyr

Model bei Moving Beauty, Freundin von Franziska

David Oppenberg

Oberst im Generalstab

Ephraim Wildersteyn

Major im Generalstab

Franco Trondo, Dottore

Ermittler im italienischen Strafwesen

Franziska Löwenthal

Chefin Moving Beauty, Freundin von Anna

Günther

Basejumper, Freund von Anna

Hakim

Kämpfer von Al Traga

Juan und Stefanie

Modedesigner

Dr. Markus Keller

Bundesamt für Justiz- und Polizeiwesen, Schweiz

Matti

Junge aus Holland

Nuri

Kämpfer von Al Traga

Roger

Mitarbeiter im Ingenieurbüro in Zug

Silvan Aebischer

Physiker / Ingenieur, Ingenieurbüro in Zug

Erich Schildmann

Sicherheitsexperte in Kunst und Kultur

Urs

Geschäftsführer Ingenieurbüro in Zug

Zarif

Kämpfer von Al Traga

Kerzen reflektieren den Glanz ihrer Lichter in den Fensterflächen und verzaubern unseren Speisesaal in eine richtige Wohlfühloase. Kontrastreich, das unter dem Sternenhimmel mattschwarz glänzende und sich leicht kräuselnde Mittelmeer. Ohne Erschütterungen, lautlos und beinahe schwebend, nähern wir uns den vor wenigen Minuten noch unsichtbar aus dem Meer aufragenden, dunklen Felsenmassen. Vereinzelte Lichter zeugen von näher rückender Zivilisation, die Insel Giglio liegt vor uns.

Evergreens aus den Sechzigern, aus behänden Fingern des Pianisten am Flügel, geben uns an diesem Abend das Gefühl von Geborgenheit und den Glauben, alles sei machbar. Die erlesene Gesellschaft am runden Tisch und die attraktive Dame, deren Blick mich soeben flüchtig streift, verstärken dieses schöne Gefühl. Als Anna Steinmeyr stellt sie sich vor. Sie ist in Begleitung von Herrn Erich Schildmann, einem im Kunst- und Kulturbereich tätigen, erfolgreichen Sicherheitsexperten, beide sind wohnhaft in Stuttgart. Nicht der Zufall hat uns an diesem Tisch zum Dinner zusammengeführt. Ein weiteres Paar und auch ich sind geladene Gäste der Reederei der Kosta Konkordia, auf Kreuzfahrt von Civitavecchia, dem westlichem Mittelmeer folgend über Savona, Barcelona, Alexandria nach Haifa, Israel, und zurück nach Civitavecchia. Jeder von uns hat in einer Form die Anerkennung der Reederei erworben, und zum Dank wurde uns diese Kreuzfahrt geschenkt.

Der gutaussehende Juan, in Begleitung der hübschen, etwas kindlich wirkenden Stefanie, beide aus Salzburg, gewann den ersten Preis beim Designwettbewerb der Kosta Konkordia für das Dress der Crew. Voller Stolz erklärt er die Vorzüge und die Designidee am dunkelblauen Anzug des im Moment mit Nachschenken des edlen Haut-Brion beschäftigten Kellners. «Es war mir wichtig, Eleganz und Zweckmässigkeit zu vereinen.» Seinen Worten folgend, gleitet die Hand symbolisch über den Zweiknopf-Anzug, mit Verweis auf die betonte Schulterpartie und die leicht taillierte Form des Sakkos. Stolz folgt Stefanie den Worten ihres begnadeten Modedesigners. Ihr leicht zur Seite geneigter Kopf und die sanft errötenden Wangen lassen fühlen, dass ihr «Giorgio Armani» sie auch in anderen Belangen begeistern kann.

Herrn Schildmanns überheblich vorgetragene Äusserungen zeigen einen selbstbewussten Mann um die fünfzig mit angegrauten Schläfen, fester Statur und einer, für meine Vorstellung von einem Sicherheitsexperten in der Kunstszene, wenig einfühlsamen Wortwahl. Wie man sich doch durch Äusseres täuschen lassen kann. «Im Rumpf unseres Schiffes schlummern Kunstschätze im Werte von mehr als einhundert Millionen Euro.» Seine mit geschwellter Brust lautstark verkündeten Worte sind auch am Nebentisch verstanden worden, Köpfe drehen sich in unsere Richtung und fragende Blicke finden sich beim Gegenüber. «Aus Picassos Blauer Periode etwa ‹Der Blaue Akt› und das Porträt seiner Muse ‹Dora Maar›, dann ‹Die fliessenden Uhren› und ‹Die brennende Giraffe› von Dalí, um nur einige der Preziosen zu erwähnen. Im Kunstmuseum in Tel Aviv wird in vier Wochen die Ausstellung ‹Picasso, Dalí und Miró› Zehntausende von Touristen anlocken. Ich bin der Sicherheitsverantwortliche für diese Ausstellung in Tel Aviv und auch für den Transport und die Sicherheit der teuren Kunstwerke an Bord zuständig.» Irgendwie erinnern mich Herr Schildmanns Ausführungen an auswendig gelernte, farblos vorgetragene Gedichte aus meiner Schulzeit. Auch seiner Begleitung scheinen die Worte keine Emotionen ins Gesicht zu zaubern. Lustlos stochert ihre Gabel zwischen Bratkartoffeln, Broccoli und dem Rindsfilet hin und her. Dieses ungleiche Paar erzeugt Spannung, nicht nur für uns Aussenstehende, offensichtlich knistert es bei den beiden heftig im Gebälk. Meine Gedanken kreisen um diese schöne Dame und den um mindestens zwanzig Jahre älteren Herrn Schildmann sowie die Frage, welche Motive sie wohl zusammengeführt haben mögen.

Abgelenkt von diesem illustren Paar, den weichen Klängen des Pianos und dem edlen Ambiente im Erste-Klasse-Speisesaal entschwinden meine kurz vorher gehegten Bedenken wegen der meines Erachtens gefährlich nahen Vorbeifahrt unseres Luxusschiffes an der Insel Giglio.

Erneut streift mich Annas Blick, dieses Mal länger als vorhin. Dunkelbraune, schöne Augen mit einem unergründlichen, erotischen Hauch, lange, ebenfalls dunkelbraune Wimpern und der sinnliche, in kräftigem Rot geschminkte Mund, dazu die gewellten, dunkelbraunen bis weit in den Rücken fallenden Haare und ihr brauner Teint vervollkommnen das Bild der Schönheit mir gegenüber. Führt das Schicksal Regie?

Obwohl mir dies erst später bewusst wird, spielt in diesem Moment der Mann am Flügel den aus dem Film «Titanic» bekannten Song «My Heart Will Go On» von Céline Dion, und sozusagen als Höhepunkt erscheint vor unseren Fenstern die in herrlichen Farben beleuchtete Ortschaft Giglio. Winkende Menschen, beeindruckt vom riesigen Kreuzfahrtschiff unmittelbar vor ihrer Haustüre, und das zweimalige Ertönen des Schiffhorns, bekannt als Verneigung, begeistern auch die Gäste im gediegenen Speisesaal.

Warm, Annas Lächeln. Verlegen streift sie ihr Haar nach hinten, zwei mit Diamanten behangene, in Weissgold gefasste Ohrringe treten zum Vorschein, ihre Bewegung lässt sie ihren Rücken etwas aufrichten, weich treten ihre Brüste unter dem weissen Top und dem edlen, eng geschnittenen, lachsfarbigen Blazer hervor. Diese Frau beherrscht das ABC der Verführung.

Ich bin an der Reihe, mich vorzustellen. «Silvan Aebischer, wohnhaft in Zug in der Innerschweiz. Bald werde ich meinen fünfunddreissigsten Geburtstag feiern, und wie Sie sehen, haben dies einige Haare auch schon zur Kenntnis genommen.» Schmunzeln auf den Gesichtern am Tisch. «Meine Anwesenheit in diesem erlauchten Kreise hat natürlich ebenfalls mit der Kosta Konkordia zu tun. Unser Unternehmen entwickelt hochkomplexe Systeme zur Effizienzsteigerung von Mobilität jeglicher Art. Wir entwickelten für die Kosta Konkordia ein Steuerungssystem, welches Strömung, Wind und Wellengang berücksichtigt und den Kurs sowie die Fahrgeschwindigkeit laufend optimiert. Bei Gegenwind fährt das Schiff also langsamer, um dann bei Rückenwind oder vorteilhafterem Wellengang den Rückstand wieder aufzuholen. Bis zu fünfzehn Prozent …» Ein heftiger Stoss erschüttert das Schiff und lässt meine Stimme versagen. Klirrende Gläser und beunruhigte Gesichter am Tisch, die Hände des Pianisten am Flügel ruhen auf seinen Oberschenkeln. Unheimliche Stille. Was war das?

Lähmung bemächtigt sich meiner. Ich vermute den Grund des soeben erfolgten Schlages und des bis tief ins Mark dringenden Geräusches zu kennen – augenblicklich muss ich mich übergeben, nur die Stoffserviette verhindert Schlimmeres.

Es ist meine Schuld, schreit es in meinem Inneren. Ich habe den Kurs des Schiffes falsch berechnet. Dunkle Nacht hüllt mich in ein grauenhaftes psychisches Tief.

Irgendwie schaffe ich den Weg vom Speisesaal aufs Deck und übergebe mich, mit der einen Hand an der Reling festhaltend, erneut. Vier Mal habe ich meine Berechnungen überprüft, alle Koordinaten berücksichtigt, und nun ist das Schiff auf Grund gelaufen. Wie stark ist es beschädigt? Ein leiser Hoffnungsschimmer – vielleicht nur einige Kratzer. Dann erlebe ich die Erschütterung wieder und höre das schleifende Geräusch. Das muss mehr sein als eine Bagatelle. Erhärtet werden meine schlimmsten Befürchtungen durch die plötzliche Ruhe. Keine Vibrationen sind mehr spürbar, die Motoren haben ihren Dienst eingestellt. Vermutlich ist der Maschinenraum bereits mit Meerwasser geflutet. Dunkle Nacht. Ich falle zu Boden, ziehe mich an der Reling erneut hoch. Wird das Schiff mit viertausend Menschen an Bord untergehen? Ein weiterer Teil des Mageninhalts ergiesst sich an die Relingwand.

Die Kosta Konkordia fährt noch immer, langsam entfernt sie sich vom Lichtermeer Giglios und nimmt Kurs auf die offene See. Die Masse des Schiffes hält es in Fahrt, anscheinend manövrierunfähig wird es langsamer, schlimmer kann es nicht mehr kommen.

Eine Viertelstunde ist seit dem Aufprall verstrichen, das Schiff steht still, es beginnt sich zu drehen, der Nordostwind bestimmt das Schicksal unseres Schiffes und er sollte zum Retter von vielen tausend Menschen werden – der Wind treibt den führerlosen Ozeanriesen, nun entgegen der ursprünglichen Fahrtrichtung um einhundertachtzig Grad gedreht, zurück zur Insel Giglio.

Eine Hand legt sich auf meine Schulter, es ist Annas Hand. «Silvan, was ist geschehen und weshalb der plötzliche Zusammenbruch?» Es sind tröstend gemeinte Worte aus ihrem sorgenerfüllten Gesicht. «Ich habe den Kurs falsch berechnet, wahrscheinlich wird das Schiff sinken.»

Inzwischen wimmelt es von besorgten Menschen an Deck, beruhigende Meldungen aus dem Lautsprecher gehen im Getümmel vollkommen unter, Panik macht sich breit.

Anna gelangte ohne Begleitung Herrn Schildmanns aufs Deck, auch die beiden jungen Leute sind in dem Gewühl nicht mehr ausfindig zu machen.

«Bleiben Sie in meiner Nähe, Anna. Ich werde Sie in Sicherheit bringen.» «Wegen dem bisschen Neigung wird das Schiff doch nicht untergehen», lauten ihre beherzten Worte. Jetzt wird auch mir die Tatsache mit der Krängung des Rumpfes bewusst, und somit habe ich hundertprozentige Gewissheit, dass das Schiff untergehen wird – noch nie hat sich ein mit Wasser volllaufendes Schiff wieder selbständig aufgerichtet.

Endlose Minuten verstreichen, die Neigung wird stärker, uns an der Reling festhaltend verfolgen wir die Bewegungen des langsam auf die Küste Giglio zutreibenden, riesigen Schiffes. Endlich, nach über zehn Minuten, bewegt sich die Kosta Konkordia nicht mehr, sie ist auf Grund gelaufen. Dafür beschleunigt sich die Krängung in Richtung der Küste zugewandten Seite.

«Wir werden kentern, Anna. In dieser Situation könnten die Rettungsboote zur Falle werden. Lassen Sie uns versuchen, auf die andere Seite des Schiffes zu gelangen.»

Der Wille zu überleben lässt im Moment keinen Raum für Schuldgefühle. Ich will sie und mich retten. Während ich Anna an der Hand hinter mir herziehe, erfolgt der Wechsel auf die Backbordseite. Die zunehmende Neigung des Schiffes und die hysterisch umherirrenden Menschen erschweren den Weg. Wir befinden uns auf einer gefährlichen Klettertour über eine zunehmend schiefer werdende Ebene.

«Silvan, bitte warten Sie einen Moment. Meine Schuhe behindern mich zu sehr.»

Ich helfe Anna, während sie ihre dunkelblauen High Heels von den Füssen streift. Hektische Durchsagen aus den Lautsprechern. Nun sind es die Schwimmwesten, die angezogen werden sollen, Minuten vorher wurden Passagiere mit Schwimmwesten zurück in die Kabinen beordert, das Chaos ist perfekt. – Rette sich, wer kann, lautet die Devise.

Ein unerwartetes Problem offenbart sich in diesem Moment. Durch die Neigung des Schiffes zur Küste hin ragt die Backbordseite in die Höhe, wir müssen unbedingt einige Stockwerke tiefer in die Nähe des aus dem Wasser ragenden Rumpfes.

Das Treppenhaus zeigt in die Tiefe, doch das stimmt eigentlich nicht mehr, es führt nun schräg nach unten. Obwohl die Stufen schief stehen, ist es im Moment noch möglich, das Treppenhaus zu begehen. Wenige Menschen halten sich hier auf – glücklicherweise –, sie drängen sich auf die der Insel zugewandte Seite und kämpfen um Plätze in den Rettungsbooten.

Helikopterlärm, gleissende Scheinwerfer, Fischkutter, auftauchende Fähren, schreiende Menschen – so stelle ich mir die Hölle vor. Anna zittert heftig, die eisige Kälte vorhin an Deck, keine Schuhe an den Füssen und der wenig schützende Blazer lassen sie leiden.

Ein wahrer Spiessrutenlauf erwartet uns im Treppenhaus. Immerhin sind die Stufen mit Teppichen bezogen und lindern den Schmerz von Annas erstarrenden Füssen. Schritt um Schritt, uns einmal am Geländer hochziehend, dann uns wieder anderweitig festhaltend, gelangen wir auf der stetig schiefer werdenden Treppe Stockwerk um Stockwert in die Tiefe – neue, nun vermehrt sich hysterisch überschlagende Weisungen ertönen aus den Schiffslautsprechern.

Verzweifeltes Rufen eines Kindes lässt uns innehalten, es dringt aus einem nicht mehr beleuchteten Korridor zu den Kabinen. Mithilfe des Lichtes meines Handys erkennen wir den an der schrägen Korridorwand sitzenden, weinenden Jungen.

«Komm mit uns, wir werden dir helfen, junger Mann», sage ich zu ihm.

Wackeligen Schrittes, halb auf dem Korridorboden und halb an der Seitenwand laufend, stolpert er uns entgegen. Ich reiche ihm die Hand. Seine Worte verstehen weder Anna noch ich, doch er fühlt, dass wir ihm helfen werden. Noch eine letzte Etage, dann haben wir es geschafft.

Im vierten Stockwerk lag unser Speisesaal, auf gleicher Höhe befinden oder befanden sich die Rettungsboote. Nun sind wir im Deck «Kolanda», dem untersten, und gelangen erneut in die erbarmungslose Kälte der Januarnacht.

Gleissendes Licht vom Helikopter erfasst uns drei Rettungssuchende. Der Scheinwerfer schwenkt von uns weg, er weist zu einer über den Rumpf hinunter führenden Strickleiter, deren Ende wir nicht erkennen. Die Helikopter-Crew leitet uns mit ihrem Lichtkegel zur rettenden Strickleiter.

«Ich kann nicht mehr, meine Beine versagen, wie soll ich hier hinunter steigen?» Anna ist dem Weinen nahe.

«Halten Sie durch, Anna. Noch diese Leiter, dann sind wir in Sicherheit.»

Den Kopf dem Rumpf zugewandt, steige ich als Erster auf die Strickleiter. Es folgen der Junge und nach nochmaligem Ermuntern Anna. Dicht aneinander gedrängt, meine Hände auf der Höhe von Annas Schultern, an der Strickleiter festhaltend, ein Ausrutschen würde in meinen Armen enden, nähert sich das kompakte Menschenpaket Tritt um Tritt dem eines gefrässiges Ungeheuer wirkenden, dunkeln Meeres. Unheimlich empfinde ich den glitschigen mit Bewuchs und Muscheln übersäten, vormals unter der Wasserlinie liegenden, schwarzen und kalten Rumpf des riesigen Schiffes, und bedrohlich ragt der seitliche Stabilisator in die Höhe. Vibrationen und schauderhafte Kratzgeräusche, durch das Metall des Stahlrumpfes verstärkt, lassen erahnen, welche Kräfte auf das Schiff einwirken, während es sich weiter zur Seite neigt und sich in den Felsen verkrallt – hoffentlich hält der Untergrund. Nicht auszudenken, was geschehen würde, sollte der Rumpf weiter in die tiefe See abgleiten.

Die Rundung des Schiffskörpers erlaubt nun erstmals einen Blick bis zur Wasserlinie. Ein Fischkutter steht am Ende der Leiter. Die letzten zehn Meter sind überwunden, kräftige Fischerarme helfen ins rettende Boot.

Der Steuerstand ist bereits von dicht gedrängten Menschen überfüllt. Die Treppe, auf welcher uns ein Fischer nach unten begleitet, führt in den Maschinenraum. Ölverschmierte Stufen, schmutzige Wände und Maschinenteile. Es stinkt fürchterlich nach Fisch, Diesel und Öl – trotzdem fühlen wir uns in der Wärme wie im siebten Himmel. Anna sitzt auf einer schmutzigen Decke auf einer Bank, ihr vormals edler Blazer zeigt intensive Spuren der Rettung.

Sie lächelt, das Lächeln gilt ihrem Retter, der Retter, der sie und alle Passagiere in diese Notsituation manövriert hat.

Wenig später betritt der Steuermann mit feuchten Augen den Maschinenraum. Gerührt verkündet er, dass die Eltern des Jungen – er heisst Matti und stammt aus Holland – unversehrt in Giglio auf ihren verschollenen Sohn warten. Freudentränen suchen den Weg über mehrere Wangen. Anna zieht Matti auf ihren Schoss, sitzend schmiegt er sich in die Geborgenheit der schönen Frau.

Weiter füllt sich der Maschinenraum mit Menschen, Menschen gezeichnet vom Schrecken der letzten zwei Stunden. Niemand spricht, die Leere sitzt tief in ihren Seelen.

Neben Anna auf der schmutzigen Bank ruht mit geschlossenen Augen mein Kopf auf meinen Armen – das psychische Tief führt erneut Regie. Meine Berechnungen wurden auch von Kollegen unserer Firma überprüft, alle gelangten zum gleichen Resultat, mindestens fünfhundert Meter betrug der Sicherheitsabstand zum nächsten Punkt der Insel Giglio. Unsere Berechnungen berücksichtigten alle Untiefen und gefährlichen Riffs. Was ist falsch gelaufen? Weshalb fuhr dieses Schiff so nahe an der Insel vorbei und kollidierte schlussendlich mit dem Felsen? Erstmals seit dem verhängnisvollen Crash erlebe ich so etwas wie Erleichterung. Ich rede mir ein, keinen Fehler begangen zu haben. Dem Zusammenstoss muss ein anderer Auslöser zu Grunde liegen, so oder ähnlich versuche ich mich von der vernichtenden mir eingebildeten Last zu befreien.

Ich sehe die schlanken, zitternden Füsse der noch immer frierenden Anna. Erleichtert, mit einem «Danke, Silvan» nimmt sie es an, dass ich meine Socken über ihre eisig-kalten Füsse streife.

Inzwischen sitze ich wieder aufrecht neben der mir sanft zulächelnden schönen Frau. Ich meine, sogar so etwas wie ein Glücksgefühl in ihren Zügen zu erkennen. Ist es, weil Matti wohlbehütet in ihren Armen schläft oder weil ihr meine Nähe guttut? Vermutlich von beidem ein wenig.

Ein nächster Fischkutter steht bereit, weitere Passagiere aufzunehmen.

«Halten Sie sich von der Maschine fern», die mahnenden Worte des Steuermannes. Heftig zittert der schwere Diesel, die Kipphebel der Ventilsteuerung auf den Zylinderköpfen vollführen einen wilden Tanz, infernalisch ist der Motorenlärm unter Deck.

«Ich werde nochmals kurz nach oben gehen, Anna. In spätestens fünf Minuten bin ich zurück.»

Was sich mir nun offenbart, übersteigt meine schlimmsten Befürchtungen.

Bedrohlich, als möchte der riesige, dreihundert Meter lange, auf Steuerbordseite liegende Rumpf uns im nächsten Augenblick unter sich begraben, baut sich die Metallmasse vor dem zerbrechlich erscheinenden Fischkutter auf.

Mit jedem Meter weiter Richtung Hafen von Giglio verändern sich die Schreckensbilder, mindestens drei Viertel des Schiffes liegen unter der Wasserlinie. Gespenstisch, die schräg aus dem Wasser ragende Kommandobrücke und die noch immer leuchtenden Scheinwerfer der bereits untergegangenen Decks. Überall wimmelt es von Rettungsbooten.

Meine Handbewegungen und mein Kopfschütteln beim Hinuntersteigen in den Maschinenraum lassen Anna unzweifelhaft erkennen, welche Dramatik ich ausserhalb des Maschinenraumes erleben musste.

«Unglaublich, diese Bilder möchte ich Ihnen ersparen.»

Mitfühlend lege ich ihr meine Hand auf die Schulter. Den Kopf mit geschlossenen Augen in Annas weiche Rundungen eingebettet, fühlt sich Matti sichtlich geborgen. Es scheint so, als wollte er sich nie mehr von der schönen Frau lösen. Ich habe Verständnis für Mattis Verhalten, geht es mir doch auch ein bisschen wie ihm, ihre anziehende Nähe erfüllt auch mich mit Wärme.

Kurze fünf Minuten sind seit dem Ablegen vom Rumpf der Kosta Konkordia verstrichen, helfende Menschen vertäuen den Fischkutter am Pier von Giglio. Frierende und bedrückte Passagiere, teils in Wolldecken gehüllt, warten auf eine Fähre, die sie zum Festland bringen soll. Mittendrin das in einen Freudentaumel versinkende Ehepaar. «Matti, Matti!» Herzzerreissend, das Wiedersehen.

Ein älterer Mann muss uns beobachtet haben, auf dem Vorplatz der provisorisch eingerichteten Meldestelle tritt er auf uns zu.

«Scusi, Signori, ich weiss, Sie beide haben vieles durchgemacht.» Sein Blick gilt auch Annas nur in Socken steckenden Füssen. «Selbstlos den Jungen vor dem sicheren Ertrinken zu retten, das war grossartig. Ich habe auch einen Sohn und für ihn würde ich mein Leben geben. Wenn Sie möchten, können Sie die Nacht in meinem Haus verbringen, es würde mich sehr freuen.»

Dunkelbraune Augen sagen ja. Wir machen uns auf den Weg.

«Ich fühle, dass es Ihnen wieder besser geht, Silvan. Hat sich an Ihren Befürchtungen wegen der Schuldfrage Entlastendes ergeben?»

Ich erzähle ihr von meinen Gedanken bezüglich der mehrfachen Überprüfung des Schiffskurses unter Einbeziehung weiterer Kollegen unseres Ingenieurbüros und der Vermutung, dass ein noch nicht erklärbarer Vorfall das Schiff von der geplanten Route abweichen liess.

Vorbei am beleuchteten Giglio Castello über kaltes Kopfsteinpflaster auf leicht ansteigendem Gelände gehend, erreichen wir nach kaum hundert Metern das bescheidene, ohne Dachvorsprung gebaute kleine Haus.

Der gutmütige Herr führt uns hinein. «Hier, das Zimmer meines Sohnes, er ist auf Montage im Ausland. Sie dürfen auch das Bad benützen.» Während wir uns einrichten, meldet sich der liebenswürdige alte Mann erneut an der Türe. «Diese Hausschuhe werden der Dame guttun. Für den kleinen Hunger einige Früchte, Brot und Käse.» Mit einem vielsagenden Lächeln sagt er: «Sie sind ein solch schönes Paar», drückt uns – «die haben Sie sich verdient» – eine Flasche Prosecco und zwei Gläser in die Hand und verlässt das Zimmer. Unser Lachen, das erste übrigens seit dem Dinner im Speisesaal, könnte herzhafter nicht sein. Wenn der Herr wüsste, wie lange sich das schöne Paar schon kennt!

«Lass uns du sagen, Anna.»

Ihr spontanes Lächeln sagt ja.

Wir sitzen uns am kleinen Tisch gegenüber, Häppchen um Häppchen entschwinden in hungrigen Mägen und der prickelnde Prosecco legt sich beruhigend auf die belastenden Gedanken.

«Ihr alle am Tisch habt die Anspannung zwischen mir und Herrn Schildmann erlebt und werdet euch gefragt haben, welche Interessen uns verbinden.» Annas intensiver Schluck aus dem Sektglas lässt die Überwindung, die sie diese persönliche Äusserung gekostet hat, spüren, und mit einem vielsagenden Lächeln sagt sie: «Es gab noch jemanden am Tisch, der sich mit persönlichen Details outete.» Tief ist ihr Blick aus wunderschönen Augen. «Dir schien es wichtig, dein Alter mitzuteilen. Ich wusste, für wen diese Information bestimmt war. Es hat mich sehr gefreut!»

Blicke in glänzenden Augen, Annas Worte lassen mich nervös am Sektglas schlürfen, ich sehe Stefanies errötende Wangen, als ihr Juan vom edlen Dress der Crew vorschwärmte. Feinfühlige Hände folgen den Konturen des Sektglases. «Weisst du, eigentlich wurde ich zu dieser Reise überredet. Herrn Schildmann habe ich nämlich erst vor drei Tagen kennengelernt. Hätte ich gewusst, auf was ich mich einlasse, wäre ich nie auf diese Kreuzfahrt mitgegangen.» Erneut ein kräftiger Schluck aus dem Glas. «Seit dem Tod meines Lebenspartners vor einem Jahr plagen mich heftige Schuldgefühle. Sein Hobby hat ihn sein Leben gekostet. Günther starb als Basejumper in Lauterbrunnen in der Schweiz. Eine instabile Fluglage liess ihn in die Felswand prallen, woraufhin er ungebremst an dieser entlang abstürzte», sagte sie, den Blick gesenkt, nach einem kurzen Seufzen. «Obwohl ich nicht am Ort des Geschehens war, oder vielleicht gerade deshalb, leide ich seither sehr. Psychologische Hilfe hat nichts an meinen Albträumen geändert, seit seinem Tod lebe ich zurückgezogen.» Erneutes Seufzen. «Erst auf Drängen meiner Arbeitskollegin und Chefin, wieder am Leben teilzunehmen, habe ich für diese Kreuzfahrt zugesagt. Fünfzehntausend Euro wurden mir von Herrn Schildmann geboten – für diese Summe arbeite ich sonst vier Monate! Meine Aufgabe bestand darin, Herrn Schildmann zu begleiten, als schönes Anhängsel sozusagen, aber ohne weitere Verpflichtungen. Meinem Wunsch nach getrennten Kabinen auf der Kosta Konkordia wurde entsprochen und er wurde auch vertraglich festgehalten. Und dann dieser Reinfall – Herr Schildmann ist ein unsympathischer, lautstarker Angeber. Schleimig eröffnete er mir vor dem heutigen Galadinner, nicht gewillt zu sein, jede Nacht allein zu verbringen. Es mutet beinahe als Fügung des Schicksals an, dass dieses Unglück mit der Kosta Konkordia geschah – entschuldige Silvan, ich weiss, es tönt ziemlich makaber, aber ich bin froh, dass dieses Engagement für mich zu Ende ist.» Und den letzten Frust von der Seele redend. «Ich kann es kaum nachvollziehen wie dieser ekelhafte Typ als Sicherheitsexperte in der Kunstszene Fuss fassen konnte.»

Ein Lächeln huscht über meine Lippen – Verunsicherung beim Gegenüber.

«Anna, genau dasselbe empfand ich beim Gespräch am Tisch.»

Strahlendes Lächeln zeigt sich zwischen sinnlichen Lippen. «Du hast von einer Arbeitskollegin gesprochen, welcher beruflichen Tätigkeit gehst du nach?»

«Ich arbeite in einer Modeagentur in Stuttgart, zu Beginn als Model, nun in der Organisation von Modeshows oder Messen, seit einem Jahr bleibe ich dem Laufsteg fern.»

Bereits die Hälfte der Flasche Prosecco ist in geniessenden Gaumen entschwunden. Ich fülle die Gläser erneut nach. Exotisches Braun und sanfte Rottöne vermischen sich in Annas Augen. Beim Galadinner am Tisch kämmten feingliedrige Finger ihr dunkelbraunes Haar nach hinten, dieses Mal begleitet von einem sehnsuchtsvollen Leuchten ihrer wunderschönen Augen.

Anna hadert mit sich, etwas scheint sie zu beschäftigen. Sie lächelt, dann wendet sie den Blick ab, jetzt atmet sie hörbar durch und fasst einen anscheinend mutigen Entschluss. «Obwohl wir uns erst wenige Stunden kennen, weiss ich, dass du der Mann sein könntest, der meinem Leben wieder Sinn gibt. Bitte, ich weiss, das klingt verrückt, ich weiss ja nicht einmal, ob du verheiratet bist oder in einer Beziehung lebst. Vielleicht wegen dem Schock der Havarie und dem knapp nur entronnenen Tod, reagiere ich dermassen emotional. Als ich dir am Tisch gegenübersass, reifte ein Wunsch in mir, welcher mich nicht mehr los lässt, Silvan.» Sie atmet heftig. Nach einer erneuten Pause sagt sie leicht stotternd: «Das wollte ich dir eigentlich nicht erzählen aber der Alkohol scheint mich zu benebeln und mir sämtliche Hemmungen zu nehmen.» Feurige Augen lassen mich nicht mehr los.

«Erzähl schon, schöne Frau, so schlimm wird es wohl nicht sein. Ich mag es, wenn du dich mir anvertraust.» Anna erhebt sich vom Stuhl. «Ich hoffe, dich mit meinen Wünschen nicht zu erschrecken.»

Mein Lächeln zeigt ihr, wie schwer mich ihr Wunsch belasten könnte.

«Nimmst du mich in deine Arme? Ich möchte dir jetzt nicht in die Augen sehen, wenn ich dir mein Geheimnis anvertraue. Ausser der mit Schuldgefühlen belasteten Anna gibt es auch eine zweite, von erotischen Fantasien beflügelte Anna, und diese raubt mir beinahe jede Nacht den Atem.»

Sie legt ihre Arme um meinen Hals und kuschelt sich leidenschaftlich an mich. Herrlich fühlen sich ihre vollen Brüste, ihr flacher Bauch und das einladende Becken an. Nur flüsternd teilt sie sich mir mit. Ich verstehe trotzdem jedes Wort und fühle ihr Verlangen.

«Seit längerer Zeit – bereits vor Günthers Tod – träume ich davon, gedemütigt zu werden, mich einem Mann hinzugeben, zu unterwerfen. Und heute sitze ich dir gegenüber. Ich bin nicht mehr Herrin meiner Sinne, Silvan. Entschuldige mein unverzeihliches Outing. Es würde mir sehr wehtun, wenn dich meine Offenbarung abschreckt.» Meine heftige Erregung lässt sie die Antwort fühlen, noch intensiver schmiegt sie sich an mich. «Du bist der Mann, mit dem ich das erleben möchte, Silvan. Dieser Schock heute liess mich schwach werden. Wer weiss, vielleicht ist dies die einzige Gelegenheit, die uns bleibt. Ich möchte mit dir schlafen. Hättest du Lust, mein strenger Meister zu sein, mich zu demütigen und zu beherrschen? Ich werde mich fallenlassen und mich dir völlig hingeben.»

Heiss und kalt läuft es mir den Rücken hinunter. Sieht sie in meine Seele? Nur dank des in den Blutbahnen zirkulierenden Alkohols entgleitet mir meine kaum mehr zu kontrollierende Erregung noch nicht. Devot lächelnd fragt sie: «Hilfst du mir aus meinem Blazer und dem Top?» Wie Gott sie schuf, steht die erregende Frau vor mir, einzig das rote Seidenhöschen verweilt an ihrem eleganten Körper. Behutsam drehe ich Anna mit dem Rücken zu mir. «Ich werde dir nun mit meinem Ledergürtel deine Arme straff auf dem Rücken zusammenbinden, Anna.» Ich meine, ein lustvolles Nicken zu erkennen. Knapp unterhalb ihrer Schultern ziehe ich den Gürtel zusammen.

Anna stöhnt: «Oh, wie ich das liebe, bitte Silvan, sei streng zu mir.»

Eine weitere Gurtwindung ist möglich, fünf Zentimeter fehlen, dann lässt sich der Schnallenverschluss schliessen. Tief spannt der Gürtel in ihre schlanken Oberarme, majestätisch ragen ihre Brüste in die Höhe. «Silvan, du machst mich verrückt, völlig wehr- und willenlos, oh, wie ich das liebe …», stöhnt es aus ihrem tiefen Inneren.

Verklärt blickend verfolgt Anna, wie ich in ihr weisses Top einen Knoten knüpfe. Sie weiss, weshalb ich dies tue, und öffnet erwartungsvoll ihren sinnlichen Mund.

Ich trete hinter sie. Nicht wie von ihr erwartet dringt der weiche Stoffknebel in ihren Mund. Es ist meine Hand, die sanft nach unten gleitet und ebenso sanft ihr feuchtes Höschen über die eleganten Beine streift. Vor ihren Augen zerknülle ich ihr reizvolles Accessoire. «Jetzt darfst du deinen Mund öffnen, schöne Frau.»

Behutsam führe ich das Höschen in ihren Mund, bis nichts mehr sichtbar bleibt. Alles soll schön am «Ort» verweilen, deshalb folgt nun das zum Knebel geformte weisse Top. Anna hält ihre Augen geschlossen. Tief geht ihr Atem und sie taucht ein ins Land ihrer Sehnsüchte. Zitternd und kaum mehr in der Lage, mich selber zu kontrollieren, fordere ich Anna auf, meine Worte zu wiederholen: «Ich liebe es, von dir geknebelt zu werden und heftigen Sex zu erleben.»

Nur dumpfes Stöhnen dringt aus ihrem Innern. Sie versucht nicht einmal meinen Worten Folge zu leisten.

«Das finde ich nicht lieb von dir, Anna. Wegen deiner Weigerung, meinem Wunsche zu folgen, werde ich den Knebel nun fester verknoten. Bekommst du noch genügend Luft zum Atmen, schöne Frau?»

Anna nickt.

«Soll ich noch etwas straffer binden?»

Erneut ein lustvolles Nicken.

Noch kräftiger dringen der Knebel und Knoten zwischen die edlen weissen Zähne, keuchend geht ihr Atem. Anna verliert sich, intensiver werden ihre Lustlaute.

Willenlos lässt sich Anna aufs Bett tragen und tief stöhnend geniesst sie den Moment beim Hinabgleiten auf meinen Schoss.

Lustvolle Bewegungen ihrer Hüften folgen, dann ein kurzes Innehalten, von dumpfen Lustlauten geleitet, woraufhin sie sich in Ekstase reitet. Bestimmt und trotzdem gefühlvoll kneifen und verdrehen meine Finger ihre harten Brustwarzen.

Anna besteht nur noch aus Lust, aber nicht nur sie. Langsam entgleitet auch mir die Kontrolle. Sie fühlt den nahenden Höhepunkt und hält inne. Sie will alles auskosten, das Finale hinauszögern.

Die Zeit scheint still zu stehen, im Zeitlupentempo nähern wir uns dem heftigsten Erdbeben, dann die erlösende, jetzt von rasenden Hüftbewegungen begleitete Explosion – völlig erschöpft sinkt die schöne Frau auf meinen Oberkörper.

Befreit vom Höschen und dem Ledergurt kuschelt Anna sich an ihren strengen Liebhaber.

«Das war himmlisch, Silvan …»

Sanft fallen ihre dunkelbraunen Haare über ihre Wangen, sie schmeicheln dem exotischen Äusseren der friedlich schlafenden Schönheit, entspannte Atemzüge signalisieren ihre Geborgenheit im kleinen Wohnhaus auf Giglio. Eigentlich müsste auch ich im Tiefschlaf liegen, doch die Ereignisse vor Giglio lassen mich nicht zur Ruhe kommen.

Wieder und wieder stelle ich mir die beklemmende Frage, wie dies geschehen konnte, und als Steigerung ins Unerträgliche: Hat diese Havarie Menschenleben gekostet? Und wenn ja, wie viele? Wie soll ich mich verhalten? Untersuchungsbehörden werden bald auf unser Ingenieurbüro stossen und belastende Fragen an uns richten. Meine Entscheidung steht fest: Schnellstmöglich zurück nach Zug ins Büro und den gespeicherten Schiffskurs nochmals analysieren und sicherstellen. Ich muss meinen Geschäftsführer über die Havarie der Kosta Konkordia ins Bild setzen – es ist drei Uhr morgens.

Als fast schon erlösend empfinde ich den Klingelton meines Handys, mein Kompagnon und Geschäftsführer unseres Ingenieurbüros kommt mir zuvor. «Was zum Teufel ist geschehen, Silvan? Die Kosta Konkordia ist auf Grund gelaufen und teilweise gesunken?» In seiner Aufregung vergisst Urs die Begrüssung, auch mein persönliches Befinden scheint ihn nicht zu interessieren, hastig fährt er fort: «Silvan, wir müssen alles unternehmen, damit die Ursache der Havarie nicht als eine Falschberechnung unseres Ingenieurbüros ausgelegt wird.» Heftiges Atmen ist aus dem Lautsprecher hörbar. «Welche Teile der Kommandobrücke liegen unter Wasser?» «Nun mal sachte, Urs. Warum interessiert dich, wie viel davon unter Wasser liegt?» Wie aus dem Kanonenrohr geschossen antwortet er: «Du bist doch Taucher. Wir müssen unser Datenrack mit den Koordinaten sicherstellen, mit den gespeicherten Daten werden wir unsere Unschuld beweisen. Auf keinen Fall dürfen wir in die Mühlen der italienischen Strafjustiz geraten. Schadenersatzforderungen in astronomischen Höhen und Anklage wegen Körperverletzung oder eventuell sogar Totschlag wären nicht mehr auszuschliessen.»

In diesen Punkten sind wir uns sogar einmal einig. Zwei gestresste Männer atmen ein erstes Mal durch. Glücklicherweise vermochte das bisherige Gespräch Anna nicht aufzuwecken. Ich möchte sie nicht mit belastenden Tatsachen konfrontieren und führe die Konversation in verhaltenem Ton fort. «Das Schiff liegt auf der Steuerbordseite, das Datenrack wurde von uns auf dieser Seite der Kommandobrücke eingebaut, nach meiner Einschätzung müsste es sich jetzt im überfluteten Teil befinden.»

«Das stimmt mich optimistisch, oberhalb des Wasserspiegels haben wir keine Chance, das Ding zu bergen. Man müsste hinaufklettern, ohne Hilfsmittel nicht vorstellbar.»

Anna dreht sich auf die andere Seite und kuschelt sich ins Duvet, sie schläft noch immer.

«Urs, wenn ich bereit wäre, mich auf deinen Vorschlag einzulassen – woher nehme ich eine Tauchausrüstung und wie gelange ich unbemerkt an den vielen Carabinieri vorbei aufs Schiff?»

«Ich habe bereits Vorkehrungen getroffen, Silvan. Deine Tauchausrüstung hast du bei uns im Archiv eingelagert, inzwischen ist sie in meinem Wagen deponiert. In einer Viertelstunde werde ich losfahren, alles Weitere organisiere ich unterwegs. Bleib mit mir in Kontakt, bestimmt lässt sich auf dem Festland – Orbetello liegt gleich vis-à-vis von Giglio – ein Fischer finden, der mich hinüberfährt.»

Wir beenden das Gespräch, hellwach, aber nachdenklich setze ich mich aufs Bett neben die friedlich schlafende Anna. Ein Gedanke jagt den nächsten. In was bin ich hineingeraten? Zuerst der Crash der Kosta Konkordia, dann die gelungene Rettung vom untergehenden Schiff, ich lernte eine wunderschöne Frau kennen und durfte berauschenden Sex mit ihr erleben. Und nun soll ich zurück auf das gefährliche, stählerne Ungetüm?

Beim Gedanken an die Kosta Konkordia beschleichen mich mulmige Gefühle, meine innere Stimme sendet unmissverständliche Signale. Irgendwie werde ich den Gedanken nicht los, dass der Crash kein Zufall war und ein böser Fluch auf dem Schiff liegt.

Anna liegt, als ob sich nie etwas Schlimmes ereignet hätte, entspannt schlafend auf der Seite. Behutsam lege ich mich neben sie, einige Stunden Schlaf werden mir guttun.

Eine Hand und sanfte Rüttelbewegungen holen mich zurück in die Wirklichkeit. Dunkelbraune, lächelnde Augen verschönern das Erwachen. «Hey du Siebenschläfer, es ist bereits zehn Uhr. Wir können nicht ewig hier bleiben, mein Magen knurrt auch schon heftig.» Ich erschrecke und greife nach meinem Handy. Tatsächlich blinkt die Diode, der Anruf von meinem Kompagnon erfolgte vor einer Stunde – ich muss das Gerät in der Nacht irrtümlich stumm geschaltet haben. «Anna, lass mich noch schnell ein wichtiges Gespräch führen.» «Ich vermute wegen dem unerklärbaren Kurswechsel der Kosta Konkordia?» Ich nicke und drücke die Rückruf-Taste.

Bissen um Bissen eines Apfels entschwinden in ihrem sinnlichen Munde, bezaubernd ist ihr Lächeln. «Es war wunderschön letzte Nacht, Silvan.»

Dann meldet sich Urs. «Dir scheint der Ernst der Lage noch immer nicht bewusst zu sein. Bereits vor einer – » Ich unterbreche ihn. «Entschuldige Urs, mein Handy war stumm geschaltet, wo bist du?» «Kurz vor Giglio. Der Fischer wird mich zum Hotel Arenella fahren, es soll nur wenige hundert Meter vom Havaristen liegen, einen Moment …» Urs bespricht sich mit dem Fischer. «In einer Viertelstunde sind wir dort.» «Den Weg zum Hotel werde ich zu Fuss zurücklegen müssen, in ungefähr einer halben Stunde sollte ich es schaffen. Und noch etwas, halte den Fischer zurück, wahrscheinlich könnte er mich näher an die Kosta Konkordia fahren.» Gemischte Gefühle erkenne ich in den schönen Augen gegenüber.

«Werden wir uns nochmal sehen, Silvan?» Sie lächelt sanft. «Ich möchte dich auf jeden Fall wiedersehen!» Und nach einem Zögern, «oder bist du vergeben, verheiratet oder hast eine Freundin?» Ihre Bedenken schmeicheln mir, auch ich lächle. «Weder Freundin noch Ehefrau. Ich habe noch etwas zu erledigen, Anna, in ungefähr zwei Stunden sollte ich wieder zurück sein, wir könnten dann gemeinsam die Rückreise planen.»

Wir umarmen uns so intensiv, als wäre es das letzte Mal.

Der Weg zum Hotel Arenella führt auch am kleinen Hafen von Giglio vorbei. Belastende Bilder erschlagen mich, sie übertreffen meine schlimmsten Befürchtungen. Menschen, eingepackt in schwarze Säcke, werden von einem Fischkutter an Land gebracht.

Schwere Gedanken begleiten mich auf dem weiteren Weg zum Hotel Arenella – es spielt keine Rolle ob «nur» ein Mensch stirbt oder hunderte, für den Betroffenen zählt nur sein eigenes Schicksal.

Aus dem Kamin des zur Seite gekippten, nur wenige Meter entfernten Schiffes scheinen Tentakel einer Riesenkrake nach mir greifen zu wollen. Und dieses Monster soll ich besteigen? Ich schüttle ungläubig den Kopf. Jede Pore meiner Haut beginnt sich zu sträuben.

Urs wartet bereits am kleinen Steg beim «Arenella». Der bärtige Fischer reicht mir die Hand. Seine heitere Miene lässt vermuten, dass seine Mühen von Urs grosszügig abgegolten wurden. Nicht ohne Stolz weist Urs auf meine Tauchausrüstung. Wie mir scheint, hat er an alles gedacht: Eine Stirnlampe und ein kleines Werkzeugset mit Schraubenziehern und Zangen ergänzen die umfangreiche Tauchausrüstung.

Bei den wenigen Grad über dem Nullpunkt braucht es einiges an Überwindung, sich in den engen Neoprenanzug hineinzuzwängen. Tatkräftig gehen mir die beiden Männer dabei zur Hand. Die grosse Tauchflasche hängt an meinem Rücken und der Gurt mit Tauchgewichten sitzt nun ebenfalls um meine Taille.

Der Fischkutter nimmt Fahrt auf in Richtung Kosta Konkordia. Wir nähern uns dem Wrack von der Rückseite. Mindestens fünf Boote der Guardia Costiera sichern die Umgebung des Ozeanriesen.

Die Taucherbrille aufgesetzt und den Atemschnorchel im Mund lasse ich mich, auf der von den Polizeibooten abgewandten und nicht einsehbaren Seite, rücklings ins Wasser fallen. Ich bin völlig auf mich allein gestellt, kein Vergleich zu den Tauchgängen mit unserem Tauchclub in Zug. Bis zu eine Stunde schaffte ich es mit einer Flaschenfüllung bei normalen Bedingungen. Hier, unter höchster Anspannung und Stress, wird der Inhalt für maximal eine halbe Stunde reichen.

Zweihundert Meter vor uns liegt das Boot der Guardia Costiera und nochmals zweihundert Meter weiter beginnt das Heck der Kosta Konkordia. Seitlich versetzt vom Polizeiboot, zehn Meter unter der Wasserlinie, untertauche ich das erste Hindernis. Jetzt müsste der Rumpf des Passagierschiffs sichtbar werden. Noch sehe ich nichts, noch immer nichts, meine Atmung gleicht der eines Hundert-Meter-Läufers.

Da, undeutlich erkenne ich im zunehmend von Ölspuren getrübten Wasser erste metallische Umrisse. Es ist ein Teil des riesigen Propellers. Obwohl ich gewusst habe, was mich erwartet, erschrecke ich zutiefst. Endlich sehe ich auch den Rumpf, seitlich noch immer auf gleicher Tiefe. Als ich an ihm entlangtauche, wird nach drei Minuten die riesige Frontkugel des Kreuzfahrtschiffes sichtbar. Kein Taucher ist mir bis hierher begegnet. Die Silhouetten der im Bugbereich nun dichter beieinander stehenden Bootsrümpfe lassen erkennen, aus welcher Richtung die Rettungskräfte in den Schiffsrumpf vordringen.

Erste Fenster der schräg in die Tiefe weisenden, weiträumigen Kommandobrücke treten ins Blickfeld. Wo finde ich den Einstieg auf die Brücke? Entlang der Fensterfront nach oben steigend, nähere ich mich den schwarzen Bootsrümpfen der Rettungskräfte.

Zwei Taucher der Guardia Costiera scheinen einen Weg in den Schiffsrumpf gefunden zu haben. In respektablem Abstand folge ich den Männern. Die ersten Meter verlaufen einem Deck entlang, dann sind die Männer plötzlich verschwunden. Ich erreiche die Stelle und tauche in die Tiefe. Völlige Dunkelheit. Die Kopflampe tritt in Aktion. Nun erkenne ich die beiden Männer wieder, sie bewegen sich in einem Korridor hin zum Heck.

Die Kommandobrücke liegt in der Gegenrichtung. Gespenstisch wirkt der Gang im Licht meines starken Scheinwerfers. Noch 65 Prozent Sauerstoff in der Flasche. Ich atme zu viel. Maximal zwanzig Minuten dürfte der Sauerstoff noch reichen.

Jetzt folgt ein Rechtsknick, erneut in die Tiefe und zehn Meter weiter, endlich ein Eingang zur Kommandobrücke. Ein bizarres Bild erwartet mich. Der Boden der Kommandobrücke steht fast senkrecht, die Konsolen der Steuerstände hängen scheinbar verloren im Raum und der Blick durch die schrägen, stehenden Fenster zeigt keinen tiefblauen Horizont, sondern eiskaltes, dunkles Nichts. In der Tiefe erkenne ich ein Wirrwarr aus umgestürzten Kommandostühlen, diversen Geräten und viel Papier, wahrscheinlich Checklisten der Kosta Konkordia. Und darüber schimmert schwaches Licht aus der vom Wasser nicht überfluteten Kommandobrücke.

Meine Aufmerksamkeit gilt den schräg hängenden Schränken mit den Steuerelementen. Schrank Nummer vier beherbergt unser Rack mit den Kursdaten. Ich traue meinen Augen nicht, beide Schrauben stecken lose in den Gewinden – kein Ruhmeszeichen für unsere Firma. Immerhin lässt sich der Schrankdeckel dementsprechend schnell öffnen und ebenso schnell muss ich erkennen: Das gesuchte Rack steckt nicht mehr in der Halterung.

Da war jemand schneller als ich, aber wer? Die Guardia Costiera sucht zuerst nach Überlebenden. Mein riskanter Tauchgang scheint völlig vergebens. Jäh schiesst mir ein schrecklicher Gedanke durch den Kopf. Wer auch immer dieses Rack aus dem Schalttableau entfernte, wollte nur eines – verhindern, dass die korrekten Kursdaten an die Öffentlichkeit gelangen. Und wenn dieser Jemand dazu bereit ist, ein Schiff mit über viertausend Menschen untergehen zu lassen, ist auch mein Leben nichts mehr wert.