2,99 €
Bella ist eine berufstätige Frau, die sich klare Ziele setzt. Eines davon ist es, die beendete Beziehung mit Lars endgültig ad acta zu legen. Um mehr Abstand zu bekommen, fährt sie mit ihrem schwulen Freund Dirk nach Venedig. Beide erhalten dort die Chance auf eine neue Liebe.
Doch zunächst müssen sie das mysteriöse Verhalten von Bellas neuer Eroberung aufklären. Eine Verfolgungsjagd durch die Gassen und über die Brücken der Lagunenstadt führt sie an ihr Ziel heran. Große Meisterwerke in den Kirchen der Stadt begegnen ihnen, die mal mehr und mal weniger die Aufmerksamkeit der Reisenden finden. Denn immer wichtiger werden die kriminellen Machenschaften, die Bella und Dirk aufdecken und die im Zusammenhang mit einem Brand stehen. Bella setzt alles daran, um eine gemeinsame Zukunft mit ihrem venezianischen Verehrer zu ermöglichen. Wird sie dieses Ziel erreichen?
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2020
Sara Kalling
Das Geheimnis des Gondoliere
Bella in Venezia – Eine neue Liebe
Bella ist eine berufstätige Frau, die sich klare Ziele setzt. Eines davon ist es, die beendete Beziehung mit Lars endgültig ad acta zu legen. Um mehr Abstand zu bekommen, fährt sie mit ihrem schwulen Freund Dirk nach Venedig. Beide erhalten dort die Chance auf eine neue Liebe.
Doch zunächst müssen sie das mysteriöse Verhalten von Bellas neuer Eroberung aufklären. Eine Verfolgungsjagd durch die Gassen und über die Brücken der Lagunenstadt führt sie an ihr Ziel heran. Große Meisterwerke in den Kirchen der Stadt begegnen ihnen, die mal mehr und mal weniger die Aufmerksamkeit der Reisenden finden. Denn immer wichtiger werden die kriminellen Machenschaften, die Bella und Dirk aufdecken und die im Zusammenhang mit einem Brand stehen. Bella setzt alles daran, um eine gemeinsame Zukunft mit ihrem venezianischen Verehrer zu ermöglichen. Wird sie dieses Ziel erreichen?
Francesco hatte es genauso gemacht, wie es ihm gesagt wurde. Doch jetzt hatte er diesen Geruch in der Nase und ihm sprühten Funken aus dem Kasten an der Wand entgegen. Es fing an, stark nach verbranntem Gummi zu riechen. Er spürte, wie das Adrenalin seinen Körper zur Flucht vorbereitete. Hier konnte etwas nicht stimmen, da war er sich sicher! Hektisch drehte er sich um und suchte einen Feuerlöscher. Nichts zu sehen. Eigentlich hatte er das auch gar nicht erwartet. Schließlich arbeitete er hier, um dieses Haus auf den neuesten Stand zu bringen. Er musste unbedingt an die Werkzeugkisten gelangen und einen Feuerlöscher holen, doch die standen zwei Räume von ihm entfernt. Plötzlich sah er den Kopf des älteren Firmeninhabers im Rahmen der Holztür. Was hieß hier schon älter? Es trennten Francesco mit seinen 20 Jahren nur ein paar Jahre von seinem Vorgesetzten. Der hatte die Augen weit aufgerissen und schrie ihn an: »Hau bloß ab, Francesco! Hier draußen qualmt es schon gewaltig!«
Jetzt war er sich endgültig sicher, dass etwas schief gegangen war und sprang von den Knien auf, blickte auf den offenen Kabelkanal. Da qualmte es mittlerweile so stark, dass er die Öffnung nicht mehr erkennen konnte. »Dieses venezianische Gebäude ist über 200 Jahre alt und das Holz gut getrocknet«, schoss es durch seinen Kopf. »Das brennt bestimmt wie Zunder. Wo ist die nächste Treppe?« Mit ein paar Schritten war er an der Holztür und konnte von seinem Chef nur noch die aufgeregte Stimme hören. »Hier her! Hier her!«, schallte es ihm entgegen.
Durch die Rauchentwicklung war nicht mehr viel von dem Raum zu erkennen, in dem er jetzt versuchte sich zurechtzufinden. Die Stimme kam aus der linken Richtung und Francesco erinnerte sich, dass da ein Treppenhaus war. Er fasste an die Wand an seiner Seite und bewegte sich unsicher nach vorn. Unwillkürlich musste er husten.
»So ein Mist«, sagte er laut. »Bin ich verantwortlich für den Brand?«
Der Arbeitsplatz lag im oberen Teil des Gebäudes und es waren eine Menge Stufen zu überwinden, um den rettenden Hintereingang zu erreichen. Vielleicht war es etwas tiefer einfacher und das Feuer hatte sich noch nicht bis in die unteren Stockwerke vorgefressen. Er hustete nochmals, hielt die rechte Hand vor den Mund und hatte beim Vorwärtstasten plötzlich einen Türknauf in der linken Hand. Er drehte den Knauf herum, drückte die Tür auf und blickte in das Treppenhaus. Alles war klar zu erkennen und auf dem obersten Absatz standen seine beiden Chefs und winkten ihm hektisch zu. »Mach die Tür zu, damit sich das Feuer nicht so schnell in die unteren Etagen ausbreitet!« Francesco trat aus der Rauchwolke, die sich hinter ihm ausbreitete, heraus und für einen theatralischen Moment sah es wirklich so aus, als sei er der Hölle entronnen. Er ließ die Tür ins Schloss fallen und stürmte zur obersten Stufe. Zu dritt rannten sie die Treppen hinunter. Zwei Stockwerke tiefer stand ein kleines Fenster offen und der Ruf: »Hilfe, Feuer! Hilfe, Feuer!«, drang an ihr Ohr.
Francesco blieb kurz stehen: »Was haben wir verdammt noch mal gemacht! Ich habe genauso gearbeitet, wie ihr es mir gesagt habt. Hoffentlich ist die Tür unten auf, damit wir in die Gasse entkommen können!«
Die anderen waren ein paar Stufen tiefer und drehten sich kurz um.
»Lauf! Lauf! Rede nicht herum. Die Tür unten ist ein Notausgang und kann von innen entriegelt werden.«
Francesco nahm zwei bis drei Stufen auf einmal und registrierte dabei deutlich, wie der Geruch des brennenden Holzes sich auch im Treppenhaus ausbreitete. Er geriet noch mehr in Panik und dachte an die hübsche Giulia, die er erst vor kurzem kennengelernt hatte und an seine Eltern, die ihre Hoffnungen in ihn gesetzt hatten. Er musste hier heil herauskommen!
»Ich bin zu jung zum Sterben. Ich bin zu jung zum Sterben«, keuchte er undeutlich vor sich hin und versuchte nicht über die anderen zu stolpern, die vor ihm auf der Flucht waren.
Kurz vor dem Erdgeschoss liefen ein paar Handwerker aus den unteren Etagen bereits Richtung Notausgang und als sie endlich unten angekommen waren, gab einer dem anderen die Klinke in die Hand.
Auf der Gasse hatten sich viele Menschen versammelt und blickten nach oben. Eine Frau hielt sich ein Taschentuch vors Gesicht. War das der Rauchentwicklung und dem Geruch geschuldet oder weinte sie? Die Flammen schlugen aus dem Dach und schienen sich mit rasender Geschwindigkeit auszubreiten. Die anderen Gebäude waren nur ein paar Meter entfernt und die große Gefahr bestand, dass das Feuer übergreifen könnte und sich auf die Nachbargebäude ausbreitete. Er spürte eine Hand auf seiner Schulter und drehte sich um. Seine beiden Chefs standen vor ihm und sagten, dass er sofort nach Hause gehen und auf keinen Fall Details über die Vorgänge erzählen sollte. Sie würden versuchen, ihn aus der Angelegenheit herauszuhalten, sich um den Rest kümmern und morgen mit ihm reden.
Francesco röchelte etwas und rang nach Atem. Tatsächlich verspürte er den Drang sofort zu verschwinden, um seine Eltern und Giulia zu sehen. Was sollte jetzt werden? Hatte er seine Zukunft verspielt und würde sich Giulia – die süße Giulia – demnächst einen neuen Freund suchen, weil er zur Verantwortung gezogen würde? Ohne ein Wort zu sagen drehte er sich um und rannte davon.
Das Autoradio war auf laut gestellt, als Bella mit ihrem silbergrauen A3 über die niederrheinische Landstraße nach Kaldenkirchen fuhr. In einem Song kamen Männer schlecht weg und dieser Aussage konnte sie nur voll zustimmen. Gerechterweise musste sie allerdings sagen, dass manche Frauen auch nicht besser waren. Ihre beste Freundin Ulla war längst nicht mehr ihre beste Freundin. Ausgerechnet sie hatte ein Verhältnis mit Lars angefangen und dabei hatte Bella noch bis vor kurzem gedacht, dass Lars ihr Mann fürs Leben wäre. Jetzt hockte sie also in diesem 10.000-Einwohner-Kaff am Niederrhein und musste den beiden hin und wieder über den Weg laufen, weil sich das bei dieser Einwohnerzahl einfach nicht vermeiden ließ. Sechs Monate war die Trennung her und in ihrer Gefühlswelt war immer noch alles durcheinander.
»Kaldenkirchen geht nicht mehr!«, schrie Bella laut.
»Unsere Beziehung ist langweilig und eintönig geworden«, hatte Lars sich beschwert und sie zu Dingen genötigt, die sie nicht wollte. Sie wünschte sich eine treue Beziehung, der Sex mit Lars reichte ihr. Doch er fing an zu experimentieren und verlangte etwas von ihr, an das sie lieber nicht mehr denken wollte.
»Soll doch Ulla, die Schlampe, auf die toleranten Parties und in die Erotik-Kinos mitgehen!«, schrie sie als nächstes den Klängen aus dem Radio entgegen. Ihre tiefe Traurigkeit schlug allmählich in Wut um und das war gut so!
Ihr Halt war jetzt ihr bester Freund Dirk. Dirk war in ihren Augen nicht nur sexy und verständnisvoll, sondern er konnte auch zuhören und sich mit ihren Problemen auseinandersetzen. Stundenlang diskutierten sie bei Kerzenschein und Rotwein die persönlichen Lebensfragen und das Heil der Welt. Dirk hatte nur einen Nachteil – er war schwul. Für Kuscheln und hin und wieder ein Küsschen reichte es. Ansonsten hatte er seine eigenen Beziehungsprobleme und war ständig auf irgendwelchen Internetseiten unterwegs, die ihm einen Partner vermitteln sollten, aber meist nur zu einem schnellen Sexerlebnis führten.
»Wenigstens hat er Sex!«, jammerte Bella und hörte jetzt aus dem Radio die Behauptung, dass Diamanten die besten Freunde einer Frau seien.
Draußen zog die flache Landschaft an ihr vorbei, die sie in ihrer Weite früher als wunderschön und beruhigend empfunden hatte. Mittlerweile war dieses Gefühl eher in Richtung deprimierend und monoton übergegangen. Licht und Schatten wechselten sich in ihrem Auto ab, während sie durch ein Waldgebiet fuhr, dessen Bäume noch nicht das volle Laub zeigten. Die vorhandenen Blätter hatten aber bereits das intensive und hoffnungsvolle Grün, das es nur zu dieser Jahreszeit gab.
»Es ist Frühling!«, rief sie sich selber zu und stellte die Musik lauter.
Bella fuhr mit einem Lächeln auf den Lippen weiter. Die Abendsonne breitete ihre Strahlen über die Felder aus und bald würden die Wiesen mit Blüten übersät sein und die gelben Flachsfelder sich im Wind wiegen. Das warme Licht und der Gedanke an die kommenden Monate ließen Bella etwas positiver denken. Sie liebte den Frühling und den Sommer! Ihre Begeisterungsfähigkeit flackerte wieder auf und – waren da nicht noch Dirks Zukunftspläne, über die es sich lohnte nachzudenken? Diese Pläne liefen momentan auf einen Umzug hinaus, weil er in Düsseldorf einen Job als Banker gefunden hatte.
Bellas Überlegungen wendeten sich ihrem eigenen Job zu. Die Stelle in Neuss machte ihr immer noch Spaß. Die Arbeit in dem japanischen Unternehmen brachte Abwechslung, Reisen und nicht nur öde Büroarbeit mit sich. Trotzdem schlichen sich langsam Wünsche nach einer Veränderung in ihre Gefühlswelt ein und daran waren nicht nur die Erlebnisse mit ihrem Verflossenen schuld. Dirks Idee, sich gemeinsam eine Wohnung oder ein Haus in Düsseldorf oder Neuss zu mieten, war wirklich reizvoll. Heute Abend wollte sie unbedingt mit ihm über dieses Vorhaben telefonieren. Ein Schaumbad in ihrem Badezimmer unter der Dachschräge und mit Blick in den Himmel sollte sie entspannen. Es war immer noch ihre gemeinsame Wohnung und Teile der Einrichtung gehörten Lars. Warum holte er das Zeug nicht endlich ab? Wenn Ullas Wohnung zu eng ist, sollte er den Kram doch irgendwo einlagern! Seine Möbel hatte sie nie gemocht und seine blöden Plakate von Rennautos und einer entsprechenden Spielzeugauto-Sammlung hätte sie am liebsten aus dem Fenster geworfen.
Sie lenkte den A3 in ihre Wohnstraße und parkte in der Garage des kleinen Mehrfamilienhauses, in dem sie das Dachgeschoss bewohnte.
Als erstes ging Bella in den Keller und holte zwei Umzugskartons. Den ganzen Rennauto-Kram von Lars wollte sie sofort in die Kartons packen und dann ab damit in die Garage.
»Einen Schlüssel hat er noch und soll sich das Zeug gefälligst morgen abholen«, sagte sie laut und hatte dabei die noch gefaltete Pappe in den Händen.
Gesagt, getan. In ihrer Wohnung stellte sie die Kartons auf und mit wenig Feingefühl landeten darin die Metall- und Plastik-Teile.
»Lars kriegt jetzt eine kurze Nachricht von mir und soll hier gefälligst antanzen«, schloss sie die Aktion für sich ab. Die erste Ladung Spielzeugautos brachte sie sofort nach unten und stellte sie neben ihr Auto, der zweite Karton sollte dort morgen früh seinen Platz finden.
Nun konnte der angenehme Teil des Abends für sie beginnen. Bella streute etwas Badezusatz in die Wanne. Dieses sogenannte Bade-Konfetti hatte sie mal in New York gekauft. Mit dem Wasserstrahl hielt sie auf die angeblichen Papierschnipsel, die wirklich wie bunte Konfetti aussahen. Es fing schnell an zu schäumen und eine beruhigende, blumige Duftnote breitete sich aus, die sie sehr liebte.
»Rotwein, wo ist der Rotwein? Zum Entspannen brauche ich auch ein Glas Rotwein!«
Schnellen Schrittes ging sie in die Küche, öffnete den kleinen Abstellraum und griff sich den Rioja Reserva aus dem Weinregal. War sie wegen diesem Arsch auf den Suff gekommen? Bella blieb kurz stehen und dachte nach, dann beschloss sie, dass sie ihr Leben neu aufstellen würde.
»Die Flasche auf und etwas atmen lassen«, war ihr nächster Gedanke.
Im Schlafzimmer legte sie ihre Bürokleidung ab und platzierte sie zunächst sorgfältig auf einem Stuhl. Als Produktmanagerin für Blu-ray-Player und externe Festplatten hatte sie häufigen Kundenkontakt und musste entsprechend gekleidet sein. Ein gepackter Koffer für die plötzliche Reise oder den Notfall stand immer in ihrem Büro.
Auf ihren Job war Bella besonders stolz, weil Technikprodukte meist von Männern betreut wurden und sie sich bei ihrer Bewerbung vor fünfeinhalb Jahren gegen mehrere männliche Kandidaten durchsetzen konnte. Das hatte sie ihrer intensiven Vorbereitung auf die technischen Eigenschaften der Produkte zu verdanken. Dieses Wissen hatte die aus Tokio angereisten Manager schließlich überzeugt, sich für sie zu entscheiden.
Nackt schritt Bella über den Flur zurück in die Küche. Der große Spiegel an der Garderobe hielt sie auf und mit kritischem Blick musterte sie sich von oben bis unten. Diesen forschenden Scanner-Blick wandte sie sonst nur bei Kolleginnen im Büro an.
»Die Bauch-Beine-Po-Kurse im Frauen-Fitness-Studio waren nicht umsonst«, stellte sie zufrieden fest.
Für bald 39 Jahre konnte sich ihre Figur wirklich noch sehen lassen.
»Ich geh doch glatt für Ende 20 durch«, war ihre nächste Feststellung.
Sie drehte sich um, schaute über die Schulter und betrachtete zufrieden ihren knackigen Po. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Auf der rechten Pobacke war eine kleine Rose tätowiert. Dieses Tattoo war während eines Urlaubs entstanden. Sie zog damals mit Lars durch Ibiza-Stadt und beide hatten über den Durst getrunken. Aus ihrer überbordenden Stimmung heraus suchten sie ein Tattoo-Studio auf und mussten den Betreiber erst zur Arbeit überreden, weil er keine alkoholisierten Touristen mit seiner Kunst verzieren wollte.
»Die kleine Rose ist doch neutral«, hatte sie schon damals gedacht. Lars hingegen musste mit einem Herzen und ihren Initialen auf seinem Hintern leben.
Bella lächelte weiter bei dem Gedanken an das Tattoo ihres Ex-Freundes und setzte ihren Weg in die Küche fort. Es musste sich doch um Himmels Willen noch etwas gescheites Männliches finden lassen, damit mal wieder starke Hände diese Rundungen liebkosten!
Genug davon und den Rotwein in das große bauchige Glas gekippt! Ab ins Bad und vorsichtig in die Badewanne. Erst mal mit dem kleinen Zeh des rechten Fußes vorgefühlt. »Aua!« Da musste noch etwas kaltes Wasser rein. Sie drehte den Kaltwasserhahn auf und fühlte nochmals nach. Jetzt war die Temperatur in Ordnung. Der Raum wurde stimmungsvoll durch eine große weiße Kerze beleuchtet, das Glas Wein und das Handy lagen auf ihrem Eileen-Gray-Tisch mit der runden Glasplatte, den sie neben die Wanne gestellt hatte. Ihr Körper tauchte bis zum Oberkörper ins wärmende Nass ein und sie streckte sich wohlig aus.
»Ahhhh!«
Jetzt begann die erhoffte Entspannung und sie dachte wieder darüber nach, was als nächstes in ihrem Leben passieren sollte?
»Mal etwas Abstand kriegen und eine Reise machen«, sagte sie in Richtung des großen Dachfensters und blickte dabei in den dunkelblauen Abendhimmel über Kaldenkirchen. Aufmerksam betrachtete sie die Sterne und erkannte im Zentrum ihres Fensters das Sternbild des Großen Wagens. Sofort fiel Bella ihr erster Freund Jens ein, der oft stundenlang mit seinem Teleskop auf dunklen Wiesen stand, um den Abendhimmel zu beobachten. Manchmal war sie mit ihm unterwegs und wenn es die Temperatur erlaubte hatten sie Sex neben dem Stativ des Fernrohrs. Für diesen Zweck klemmte immer eine große zusammengerollte Decke auf dem Gepäckträger ihres Fahrrads.
»Das war so schön«, erinnerte sich Bella gefühlvoll und ihre Gedanken schweiften weiter ab. Sie strich mit den Händen über ihren Körper. Sie genoss die Wärme des Wassers und das Gefühl auf ihrer Haut. Jens war immer so leidenschaftlich und ungestüm gewesen, dass sie ihn manchmal bremsen musste. Bella dachte an seinen festen Körper, die muskulösen Beine – doch ihre Gedanken spielten ihr einen Streich. Hatte sie nicht mal mit Lars auf einer Mauer gesessen und den Abendhimmel über Ibiza beobachtet? War es nicht zu einem Streit über die Bezeichnung eines Sternbilds gekommen? Dieser Gedanke beendete abrupt ihre aufkommenden Gefühle und sie ärgerte sich erneut über Lars, setzte sich etwas höher in der Badewanne, griff zum Rotweinglas auf dem Tisch und nahm einen Schluck. Sie ließ den Rioja über ihre Zunge rollen und versuchte, sich wieder auf ihr eigentliches Ansinnen zu konzentrieren.
Wo sollte es denn immer mal hingehen? Rom, San Francisco und Istanbul fielen ihr ein. Dann erinnerte sie sich an ein Gespräch mit ihrer Düsseldorfer Freundin Helga. Sie sprach neulich mit ihr über Venedig. Helga reiste schon seit vielen Jahren in die Lagune und verliebte sich immer mehr in diese Stadt.
Bella überlegte laut: »Warum nicht? Aber allein nach Italien?«
Sie seufzte und schaute erneut aus dem Dachfenster.
Jetzt war Dirk gefragt und Bella stellte das Glas auf den Tisch neben der Wanne, trocknete sich kurz die Hände im Badetuch ab, das über ihr an der Wand hing, um dann entschlossen zum Telefonhörer zu greifen. Dirks Kurzwahl stand an oberster Stelle der Anrufliste. Die Nummer von Lars hatte sie auf den letzten Platz geschoben.
Das Klingeln am anderen Ende wurde schnell beendet und sie hörte Dirk sagen: »Meine Liebe, schön dass du anrufst. Ich hätte auch gleich zum Hörer gegriffen.«
Wenn sie sich nicht persönlich sehen konnten, gehörte zumindest ein Anruf zu ihrem abendlichen Ritual.
Bella fiel sofort mit der Tür ins Haus: »Ich will mit dir verreisen und habe dabei an Venedig gedacht, weil Helga immer so euphorisch davon berichtet.«
Dirk stöhnte gequält auf: »Venedig! Du weißt doch, dass ich es nicht so mit den Hot-Spots des internationalen Tourismus habe. Florenz hat mich letztes Jahr schon wegen der vielen Leute total fertig gemacht. Lange Schlangen vor den Museen, Touristen, die Touristen vor Denkmälern fotografierten, überteuerte Preise, Gedränge in den Gassen und Händler, die mit ihren Angeboten nervten.«
Bella dachte nicht lange über ihre Überzeugungstaktik nach und machte mit ihrer Stimme auf kleines Mädchen: »Och bitte, bitte, Dirki-Maus, komm doch mit. Ich habe heute über unsere Umzugspläne nachgedacht und würde diesen Punkt nach der Reise mit dir in Angriff nehmen. Außerdem hat Helga doch erzählt, dass man in Venedig den Touristenmassen aus dem Weg gehen kann.«
Kurzes Schweigen auf der anderen Seite. Dirk überlegte. Er würde schon sehr gern mit Bella in die Düsseldorfer Richtung ziehen. Diese täglichen Autofahrten zur Arbeit störten ihn gewaltig und konnten keine Dauerlösung sein. Mit einem leisen Seufzer willigte er schließlich kompromissbereit ein und hörte von der begeisterten Bella: »Ich umarme Dich!«
Dann stellte er die obligatorische Frage, die Bella schon von ihm erwartet hatte.
»Was läuft denn dort zurzeit in der Oper?«
Dirk hatte seinen Computer noch an und schaute nach, indem er die Homepage des venezianischen Teatro La Fenice aufrief.
»Lohengrin!«, schrie er erfreut in den Hörer.
Das gehörte auch zu den Nachlässen von Bellas Ex-Freund Lars: Musik des Komponisten Richard Wagner. Die merkwürdige Kombination aus Autorennen und Wagner, für die Lars sich interessierte, fand Bella damals besonders spannend. Sie hatte etwas übrig für Menschen, die nicht glatt waren und in irgendein Klischee passten. Ihr Freundeskreis bestand sowieso aus lauter Typen, die irgendwelche Besonderheiten vorweisen konnten. Vor ihrem Kennenlernen hielt sie nicht wirklich viel von den wagnerschen Klangballungen. Lars hingegen wollte neben Autorennen ständig Wagner-Aufführungen besuchen. Anfangs ging ihr das auf die Nerven und nur ihre starken Gefühle für diesen Mann führten dazu, dass sie sich ständig in irgendwelchen Opernhäusern der näheren und weiteren Umgebung aufhielt. Ein netter Nebeneffekt waren die Kurzreisen, die manchmal damit verbunden waren und zum Beispiel zu ein paar Tagen Paris, London oder Madrid führten. Irgendwann fand Bella, zu ihrem eigenen Erstaunen, sogar die Musik gut und fing an, sich CD-Aufnahmen freiwillig anzuhören. Die Oper Lohengrin wurde zu ihrem Liebling und so passte es doch gut ins Reiseprogramm, dass dieses Werk im Teatro La Fenice aufgeführt wurde.
Dirk teilte mit Lars die Liebe zu Wagner und die beiden Männer in Bellas Leben hatten oft Gespräche über diesen Komponisten und seine musikalische und menschliche Bewertung. Dirk war mit Wagner-Musik vorbelastet. Sein Vater hatte verschiedene Engagements als Opernsänger und trat oft im Ring des Nibelungen auf. Letztlich hatte Dirk nur aus Mitgefühl für Bella den Kontakt zu Lars abgebrochen. Eigentlich verstand er sich sehr gut mit ihrem Ex-Lover und schätzte auch dessen sexuelle Offenheit.
»Ich liebe dich, Dirk«, flötete sie in den Hörer. »Nur schade, dass du schwul bist.«
Dirk erwiderte genervt, dass sie das jedes Mal zu ihm sagte und wollte sich lieber um Hotelzimmer, Flüge und Karten für die Oper bemühen. Anfang bis Mitte Mai sollte es losgehen und sie wollten sich eine Woche Zeit nehmen, um die Stadt kennenzulernen und zu erkunden. Beide waren noch nie in Venedig gewesen.
»Ich ruf später wieder an und berichte von den Ergebnissen meiner Planung«, verkündete Dirk, der es liebte Reisen zusammenzustellen und statt bei einer Bank auch gut in der Tourismusbranche hätte arbeiten können.
Bella legte den Hörer zurück auf die runde Glasplatte und griff wieder zum Rioja. Der runde, vollmundige Geschmack des Weins mit dem wunderbaren Kirscharoma breitete sich auf ihrer Zunge aus. Richard Wagner! Sie hatte einiges über den Meister gelesen. Vor allem seine Frau Cosima interessierte Bella seit langem. Die Frau hatte nach dem Tod ihres Mannes im Sinne des Verstorbenen gehandelt und die Bayreuther Festspiele zu einer Zeit weitergeführt, als man Frauen nicht allzu viel zutraute. Neben der Festspielleitung führte sie auch Regie, kümmerte sich um die Familie, den Haushalt und die Vermarktung der Festspiele. Hatte sie nicht Kontakt mit dem frühen Reiseveranstalter Thomas Cook aufgenommen, um Engländer für einen Besuch in Bayreuth zu interessieren? War Richard Wagner nicht in Venedig gestorben? Bella kramte in ihren Erinnerungen und ihr fiel ein, dass Wagner im Winter 1883 – kurz vor seinem Dahinscheiden – im venezianischen Palazzo Vendramin für seine Familie und sich Zimmer gemietet hatte. Er kämpfte am Todestag mit Herzproblemen und starb auf der Bank in seinem Ankleidezimmer. Bella setzte das Weinglas an und nahm einen weiteren Schluck. Cosima war wohl keine sehr sexuelle Frau und zu ihrem Leidwesen war ihr Gatte umso häufiger mit Kontakten zum weiblichen Geschlecht beschäftigt. Bella seufzte, ließ noch etwas warmes Wasser in die Wanne laufen und lehnte sich wieder zurück. Waren wirklich alle Männer Schweine oder kommt da noch mal was Passables auf mich zu? Muss ich mich darauf einstellen für immer allein zu bleiben? Sind die Guten wirklich schon vergeben?
»Jetzt bloß nicht grübeln«, dachte sie und war dankbar für den Klingelton des Telefons. Auf dem Display sah sie Dirks Portrait, das sie auf ihrer letzten gemeinsamen Reise gemacht hatte.
»Ich habe für den neunten Mai einen Flug von Düsseldorf nach Venedig gefunden«, informierte er sie mit stolzem Ton. »Ein günstiges Hotel gibt es etwas abseits der Hauptsehenswürdigkeiten und Karten für eine Loge im La Fenice kosten uns jeweils 129 Euro. Das wird insgesamt nicht billig.«
Bella überlegte kurz und entschied: »Buche die ganze Chose jetzt sofort und ich beantrage morgen Urlaub in der Firma.«
Dirk hatte sie am Abreisetag schon um sechs Uhr telefonisch geweckt. Das war hilfreich, weil sie sonst verschlafen hätte.
Eine Sex-Bekanntschaft von ihm wollte sie mit seinem Auto zum Flughafen bringen. Mit diesem Typ hatte Dirk doch tatsächlich schon drei Mal das Bett geteilt.
»Wird da was Dauerhaftes draus?«, fragte sie sich, während sie geduscht und angezogen in ihrer Küche saß und schnell etwas frühstückte. Dirk konnte ihr die Frage bisher nicht beantworten und sie wollte auch nicht weiter nachhaken. Zumindest könnte sie gleich mal einen Blick auf den neuen Lover werfen und Dirk dann im Flugzeug ihre Meinung über den Typ sagen. Beziehungen waren Bella wichtig, das interessierte sie, und sie konnte stundenlang darüber reden, wer mit wem warum oder warum nicht oder vielleicht doch etwas hatte.
Es klingelte an der Tür und sie fuhr den Griff ihres Koffers aus. Dirk kam ihr auf der Treppe entgegen. Der Gentleman wollte ihr beim Tragen helfen. Er sah mal wieder sehr gut aus und sie sagte es ihm auch. Seine 1,87 Meter Gardemaß verteilten sich auf einen durchtrainierten Körper und waren mit einer Jeans und einem hellblauen Pulli perfekt gekleidet. Die dunklen Haare hatte er auf drei Millimeter abrasieren lassen und endlich war oben am V-Ausschnitt wieder Brusthaar zu erkennen. Gott sei Dank! Er hatte mit der Ganzkörper-Rasur aufgehört. Bella mochte Brusthaare und der neue Lover anscheinend auch. Für seine 36 Jahre sah Dirk weitaus jünger aus. Daher konnte er sich wohl den neuen Liebhaber Kevin an Land ziehen, der erst 25 Jahre alt war.
Bella stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss auf die Wange, dann schlüpfte sie in ihre Schuhe und zog den Schlüssel aus der Tür. Sie hatte für die Reise zu einer bequemen Jeans gegriffen und eine weiße Knitter-Bluse darüber gezogen. Die war zwar nicht mehr der letzte modische Schrei, schien ihr aber für die engen Flugzeugsitze gut geeignet. Eine glattgebügelte weiße Bluse hätte sie durch die eingesessenen Falten nach dem Flug garantiert geärgert. Dirk bewunderte zunächst ausgiebig ihre neue Frisur mit schulterlangen Haaren und blonder Tönung. Bella musste sich im Treppenhaus um die eigene Achse drehen, damit er sie von allen Seiten betrachten konnte. Mit diesem Lob ihres besten Freundes hatte sich in ihren Augen der kurzfristige Gang zum Coiffeur schon gelohnt. Sie schloss die Tür ab und warf im Erdgeschoss den Zweitschlüssel in den Briefkasten einer Nachbarin, die sich um die Pflanzen auf ihrer Loggia kümmern wollte.
Unten stand Kevin – ein Name bei dem es ihr grauste – neben seinem schwarzen Golf und konnte nun erstmals kritisch von ihr begutachtet werden.
»Sei gnädig mit ihm«, flüsterte Dirk ihr noch an der Haustür zu.
Der Mann bot äußerlich keinen Grund ungnädig mit ihm zu sein. Ein hübsches Bürschchen mit dunkelblonden Haaren erwartete sie, begrüßte sie freundlich, und hatte sich anscheinend schon im Partnerlook mit Dirk gekleidet: Jeans und hellblauer Pulli – allerdings mit einem runden Ausschnitt. Die Koffer wurden verstaut und sie setzte sich hinter Dirk, der auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte, auf die Rückbank.
Die Jungs fingen ein Gespräch über Musik an und gerieten gleich in einen Streit. Kevin hatte eine große Sammlung mit 80er-Jahre Pop-Musik. Wagner fand er langweilig und erntete dafür Spott von Dirk, der ihm mangelnde Bereitschaft unterstellte, sich in eine neue Materie hineinzudenken. Außerdem hatte Kevin heute Morgen nach dem Duschen sein Handtuch nicht zum Trocknen aufgehängt und die Zahnpastatube nicht verschlossen. Dirks frisch aufgebrühter Kaffee war für Kevin hingegen zu schwach geraten. Bella fragte sich, ob die beiden das Bett ein viertes Mal teilen würden? Der Disput ging nahtlos weiter. An Dirks Tonfall erkannte sie, dass er auch so seine Zweifel an der Beziehung hatte.
Bella schaute aus dem Wagenfenster, freute sich auf den Aufenthalt in Venedig und versuchte nicht mehr zuzuhören, während die Jungs im Frontteil des Autos ihre Auseinandersetzung mit gegenseitigen Vorwürfen fortsetzten.
Dirk und sie hatten sich in einer Kneipe in Viersen kennengelernt. Zehn Jahre war das jetzt her und in dieser Zeit waren sie so unzertrennlich geworden, dass auch kleinste Nuancen im Verhalten des anderen Bände zu ihnen sprachen.
Die Fahrt von Kaldenkirchen zum Flughafen Düsseldorf nahm aufgrund der dichten Verkehrslage mehr Zeit in Anspruch als geplant. Die Jungs wurden immer nervöser.
»Ich hab dir doch gesagt, lass uns eine halbe Stunde früher losfahren«, raunzte Kevin Dirk an und der blaffte zurück: »Wenn du nicht immer so lange im Badezimmer bleiben würdest, wären wir eine halbe Stunde früher zu Bella gefahren.«
Kevin warf ihm einen empörten Blick zu. »Sieh mich an! Mit so einem geilen Aussehen fällt man nicht einfach aus dem Bett. Da gehört genügend Zeit fürs Styling dazu!«
Bella musste unwillkürlich lachen. »Wir schaffen das noch, regt euch ab«, versuchte sie die hysterischen Geschöpfe zu beruhigen.
Eine Platzreservierung hatten sie bereits im Internet vorgenommen und somit gab es nur noch die Kofferaufgabe und die Sicherheitskontrolle als Hürden, bevor es endlich in südliche Gefilde losgehen konnte.
Die Kofferaufgabe stellte sich dann allerdings wirklich als Hürde heraus, weil das Kofferband Probleme bereitete und der Check-in sich dadurch stark verzögerte. Dirks Freund hatte zu diesem Zeitpunkt bereits den Rückweg nach Kaldenkirchen angetreten, um dort sein kleines Café am Kirchplatz rechtzeitig zu öffnen. Er rang sich zwar noch zu einer Umarmung für Bella und Dirk durch, wirkte aber leicht verärgert, als er zur Rückfahrt ins Parkhaus ging.
So standen die Reisenden nun zu zweit und nervös in der Mehrfach-Schleife, die sich bis zum Schalter zog. Fünfzehn Minuten dauerte es, bis wieder Bewegung in die ungeduldig wartende Menschenmenge kam. Das Kofferband hatte seinen Dienst endlich wieder aufgenommen. Eine dreiviertel Stunde später warteten sie vor der Fluganzeige am Boarding-Schalter. Bis sie endlich auf ihren vorgebuchten Plätzen am Notausgang saßen, verging eine weitere Stunde.
Die Maschine war nicht voll und in der Reihe neben ihnen saß, bis auf einen italienisch aussehenden Geschäftsmann, kein weiterer Fluggast. Ein Mann mit langen Beinen wollte sich gern umsetzen, doch die Stewardess lehnte das mit dem Hinweis ab, dass die Plätze mit mehr Sitzabstand nur noch gegen Aufpreis vergeben würden. Eine elegante Dame in der Reihe davor war bereit, die 35 Euro zu zahlen. Sie wurde allerdings von einer Flugbegleiterin nicht neben ihnen, sondern in der ersten Reihe des Flugzeugs platziert. So lag ein angenehmer und entspannter Flug in XL-Sitzen vor ihnen. Diesen bezahlbaren Luxus gönnten sie sich, weil ihnen die ganze Fliegerei mittlerweile nur noch auf die Nerven ging und sie diese Umstände am Flughafen, die Fahrt dorthin und die langen Wartezeiten als notwendiges Übel empfanden.
Der Airbus stand länger als erwartet an der Fluggastbrücke, bis er endlich zur Startbahn rollte und Richtung Westen abhob. Bella begann mit ihrem Lieblingsthema Beziehungen, während der Pilot einen Schwenk nach Süden vollzog. »Da hast du dir ja was Leckeres fürs Bett geholt.«
Dirk zog die Stirn hoch und blickte ihr in die Augen: »Das wird nichts.«