Das Geheimnis des Korallenschiffs - Frank Wallner - E-Book

Das Geheimnis des Korallenschiffs E-Book

Frank Wallner

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Beschreibung

Seit Tagen beobachtet Gondwana das kleine Holzhaus unterhalb der Berner Alpen. Er weiß, dass die alte Schatzkarte noch im Besitz des Bergbauern Gostelli ist. Er will dieses verdammte Korallenschiff, das er für den wertvollsten Schatz auf diesem Planeten hält, finden. Koste es was es wolle. Doch wie kommt ein Schiff aus Korallen in die Alpen? Wer hat es gebaut und wo kommt es her? Von wem wird das Korallenschiff bewacht?

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Seitenzahl: 107

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Für Marita Erika

Eine sichere, aber zuweilen etwas unheimliche Art und Weise, sich die Vergangenheit ins Gedächtnis zurückzurufen, besteht darin, eine vollgestopfte Schublade mit Gewalt zu öffnen.

Wenn man etwas Bestimmtes sucht, findet man es nicht, doch hinten fallt etwas heraus, das häufig viel spannender ist.

J.M. Barrie Widmung „Peter Pan“

1904

Inhalt

Das Geheimnis des Korallenschiffs

Der Trommler von Romea

Die Nachtigall

Helix die schwarze Perlensonne

Lockbold und Klaubold in Troll-Vegas

Eine Luke in die Unterwelt

Louisa und der Professor

Ein Brief an Jules Verne

Briefgedicht

Schutzengelballade

Amselsonett

Fliederduft

Wassertropf

Kroküsse

Zitronenschuft

Wattenlichter

G-Räusche

Unruhe

Bierbaum und der wilde Eber

Bierbaum und der Schatz des Nibelungen

Ein Menschlein stirbt im Walde

Schlussakkord

Das Geheimnis des Korallenschiffs

Seit Tagen beobachtet Gondwana das kleine Holzhaus unterhalb des Dreigestirns der Berner Alpen: Eiger, Mönch und Jungfrau. Er weiß, dass die alte Karte noch im Besitz des Bergbauern Gostelli ist, der dort wohnt. Gondwana, einstmals Professor für Prähistorische Archäologie an der Universität Bern, hat seinen Lehrstuhl gegen den eines Räubers eingetauscht. Sein Bart ist in den letzten Jahren grau geworden. Seine Augen aber gleichen noch immer denen eines Luchses. Er will dieses verdammte Schiff, das er für den wertvollsten Schatz auf diesem Planeten hält, finden. Koste es was es wolle. Die Berge werden dann seinen Namen: ‚Gondwanamassiv’ tragen.

Es ist noch früher Morgen. Professor Gondwana sieht, wie Gostelli’s Feriengäste, seine Enkelkinder Ole und Henriette, die Zwiefleralm verlassen. Er erkennt deutlich die Karte in der Hand des Jungen und folgt den beiden hinab in die Schlucht.

„Bitte lass uns umkehren, Ole. Die Berge und die steilen Felsen in diesem Tal machen mir Angst“, fleht Henriette ihren großen Bruder an. „Großvater macht sich bestimmt Sorgen um uns“. Henriette schaut in den Himmel, der in diesem Tal des Berner Oberlandes nur ein kleines Fenster, umrahmt von mächtigen Granitfelsenist. Bis vor einer Stunde war der Himmel noch blau. Jetzt wird er von dunkelgrauen Wolken bedeckt. Auch das schmale Tal füllt sich immer mehr mit Nebelschwaden, die wie Spinn-weben an den nackten Felsen entlang ziehen.

„Hab keine Angst, Schwesterchen“, versucht Henriettes zwei Jahre älterer Bruder sie zu beruhigen. „Wir müssen gleich die Stelle erreicht haben, die auf der alten Landkarte aus Großvaters Kiste mit einem Schiffssymbol gekennzeichnet ist. Vielleicht ist dort ein alter Piratenschatz versteckt. Komm Henriette, wir gehen noch zehn Minuten, okay? Sollten wir bis dahin nichts gefunden haben, kehren wir um und suchen morgen weiter.“ Ole beugt sich zu seiner Schwester, die etwa einen Kopf kleiner ist, hinab, zieht sanft an ihrem strohblonden Zopf und nimmt sie an die Hand.

„Also gut, zehn Minuten, aber keine Minute länger.“

Der Weg wird immer steiniger. Ständig müssen die Geschwister großen Felsbrockenausweichen. Die schroffen Felswände rücken immer näher zusammen.„Irgendetwas riecht hier komisch. Riechst du das auch?“, fragt Henriette ihren Bruder.

„Ja, es riecht wie Rauch oder Feuer oder irgendetwas da zwischen. Vielleicht sind in der Nähe Wanderer oder Bergsteiger, die hier übernachten wollen und ein Lagerfeuer angezündet haben.“

„Ich weiß nicht, wer will in diesem düsteren Tal eine Nacht verbringen, Ole. Also ich jedenfalls nicht. Komm, wir kehren um.“ Henriette zieht an Oles Hand.

„Warte mal Schwesterlein, siehst du das?“

„Was? Ich sehe nichts, wie auch, es wird ja immer dunkler und außerdem ist mir kalt.“

Ole lässt Henriettes Hand los und bückt sich hinter einem Felsvorsprung hinab.

„Ich glaube, ich habe ein Fossil aus der Urzeit gefunden. Es sieht wie ein großes Schneckenhaus aus.“

„Lass es liegen, Ole, wir sagen lieber Großvater Bescheid, vielleicht lebt das Fossil noch?“.

“Henriette, Fossile sind versteinerte Pflanzen oder Tiere, die aus einer Zeit stammen, lange bevor es Menschen gab. Also, ich hebe das versteinerte Schneckenhaus jetzt auf.“

„Auwa!, glucks, glucks.“

„Hast du etwas gesagt, Henriette“, ruft Ole in Richtung seiner Schwester, die in zwei Meter Abstand zu dem Felsvorsprung stehengeblieben war.

„Nein, ich habe nichts gesagt, Ole.“

„Das Schneckenhaus scheint mit dem Felsen verwachsen zu sein. Es sitzt fest, ich kriege es nicht ab.“

„Auwa! Finger weg! Von wegen Schneckenhaus. Das ist meine Ammonitenkrone, glucks, glucks“, ruft eine fremde Stimme.

Ole springt vor Schreck auf, läuft mit drei großen Schritten zu seiner Schwester und stellt sich schützend vor sie. Beide starren zu dem Felsvorsprung, hinter dem ein kleines schuppenartiges Wesen mit einer schneckenhausartigen Krone auf dem Kopf, der dem eines Minidelfins ähnelt, hervorschaut.

„Ole, Ole schnell, wir müssen weglaufen. Das ist bestimmt ein böser Berggeist“, ruft Henriette und erste Tränen kullern über ihr Sommersprossengesicht.

„Berggeist, glucks, glucks, dass ich nicht lache“, entgegnet die Schuppengestalt den beiden Geschwistern und tritt hinter dem Felsvorsprung hervor.

„Ich bin Amaltheus, zweiter Kapitän des Korallenschiffs, glucks.“

„Hast du gehört Henriette“, flüstert Ole seiner Schwester ins Ohr. „Er ist Kapitän. Dann hat die Karte wohl recht, dass hier ein alter Piratenschatz versteckt ist.“

„Was flüstert ihr da?“ meldet sich das Schuppenwesen wieder zu Wort. „Ihr kommt doch nicht etwa von diesem Fossilienräuber Gondwana, glucks?“

„Wir kennen keinen Gondwana. Bitte tue uns nichts“, antwortete Henriette ängstlich und schmiegt sich noch fester an ihren großen Bruder.

„Na, dann habt ihr aber Glück, glucks, glucks, sonst hättet ihr eine schmerzhafte Bekanntschaft mit unserem gefährlichen Sognathus machen müssen, glucks!“. Der schuppige Kapitän tritt einen Schritt näher an die Geschwister heran. Henriette und Ole beobachten, wie das Schuppenwesen auf seinen kleinen Beinchen, die wie Schwimmflossen aussehen, versucht, auf dem steinigen Untergrund Halt zu finden.

„Aber wenn du kein Berggeist bist, großer Kapitän, was bist du dann für ein Wesen?“, fragt Henriette immer noch mit ängstlicher Stimme.

„Wir sind Ammoniten-Wassergeister aus dem Jura-Ozean. Wir mussten hier, in dieser verdammten Schlucht, mit unserem Korallenschiff notstranden!“

„Du bist also nicht allein“, fragt Ole und versucht dabei, seiner Stimme einen männlichen Klang zu geben.

„Nein, glucks, glucks. Allein kann man kein Korallenschiff wie unsere stolze ‚Sastrea’ steuern. Wir sind sechs Wassergeister, das heißt, jetzt sind wir nur noch fünf, weil ...“

„Hast du das gehört, Ole, fünf Wassergeister. Wir müssen auf der Stelle verschwinden.“

„weil … unser erster Kapitän Ammonitas während der letzten Eiszeit vor eintausend Jahren an dieser Stelle erfroren ist. Ich, Amaltheus, bin sein Nachfolger und bewache sein Grab, solange bis das Wasser zurückkehrt, glucks, glucks.“

„Ich glaube Henriette, wir erleben gerade die unglaublichste Geschichte unseres Lebens und ich fürchte, zum Umkehren ist es bereits zu spät“, sagt Ole mit fester Stimme, die auch der Wassergeist hören kann.

In sicherem Abstand beobachtet Professor Gondwana, wie die Geschwister mit jemandem reden. Er ist ihnen bis an das Ende dieser Schlucht gefolgt, ohne von ihnen bemerkt zu werden. Ein Geruch wie heißer Teer oder Asphalt liegt in der Luft. Die Sicht wird immer schlechter. Die Dämmerung ist bereits hereingebrochen. Mit seinem dunkelgrauen Umhang und der Kapuze ist er von den nackten Felsen nicht zu unterscheiden. Nur seine sechzig Jahre alten Luchsaugen lassen ihn jetzt im Stich.

Gondwana öffnet seine lederne Umhängetasche, holt sein Fernrohr heraus und schaut hindurch. Nichts, er sieht nichts als einen Felsvorsprung am Ende der Schlucht. Die Geschwister sind verschwunden. Nur ein Kauz fliegt lautlos über dieses unheimliche Tal. Gondwana fingert nach seinem silbernen Revolver, den er letztes Jahr einem Ranger in den Rocky Mountains abgenommen hatte, weil dieser Kerl ihm den Mammutknochen nicht freiwillig geben wollte.-Er musste deshalb mit seinem Schweizer Messer ein wenig nachhelfen. Gondwana geht,mit dem Revolver im Anschlag, entschlossen zu der Stelle, wo er Gostelli’s Enkelkinder zuletzt gesehen hat.

„Grüezi, hier ist die Kantonspolizei Bern, Hauptwache Interlaken-Jungfrau-Region, was kann ich für Sie tun?“

„Grüezi, hier ist Gostelli von der Zwiefleralm unterhalb der Eigernordwand. Meine Enkelkinder sind verschwunden.“

Der wachhabende Kantonshauptmann Uri schaut auf die Wanduhr in seiner Wachstube. Es ist kurz nach zweiundzwanzig Uhr an diesem schönen Juniabend.

„Seit wann sind sie denn schon verschwunden, Gostelli?“

„Nun ja, seit heute Nachmittag. Die Kinder wollten einen Ausflug in die Berge machen“, antwortet der Großvater von Henriette und Ole aufgeregt. “Ich habe aber erst jetzt bemerkt…“

„Was haben Sie bemerkt, Gostelli, was? Nun sagen Sie es schon!“

„Also, die Kinder haben wahrscheinlich die alte Schatzkarte mitgenommen!“

„Schatzkarte?“

„Ja, die von der Fossischlucht. Sie müssen mir helfen, Herr Hauptmann!“ Gostelli fasst sich an sein schwaches Herz. Das Atmen fällt ihm schwer.

„Fossischlucht, Schatzkarte, soso. Ist das nicht die Schlucht, wo es spukt und böse Geister ihr Unwesen treiben?“

„Ja, genau die ist das.“

„Aber, wieso haben Sie eine Schatzkarte von der Fossischlucht, Gostelli? Egal, ich komme mit einer Suchmannschaft zu Ihnen hoch. Machen Sie im ganzen Haus die Lichter an, damit wir die Zwiefleralm schnell finden können!“ Hauptmann Uri schaut aus seiner Wachstube hinaus auf das Gebirgsmassiv. Der Mond ist aufgegangen und bescheint die schneebedeckten Gipfel.

„Seit vorsichtig und stoßt euch nicht an den Kopf, glucks, glucks“, sagt der Wassergeist Amaltheus zu Henriette und Ole als er sie in eine Höhle hinter dem Felsvorsprung führt. Nach ein paar Schritten wird es immer heller und die Höhle immer breiter und höher, sodass die Geschwister jetzt bequem aufrecht gehen können. Nur dieser seltsame Brandgeruch wird immer stärker.

„Was riecht hier so komisch?“, fragt Henriette den Wassergeist und hält sich dabei die Nase zu.

„Das ist Birkenpech, glucks. Das brauchen wir, um die Planken an unserem Korallenschiff abzudichten.“

„Interessant“, staunt Ole, „woraus wird dieses Birkenpech hergestellt?“

„Aus dem Harz abgestorbener Birken. Woraus sonst, glucks. Aber ihr Bergmenschen wisst ja doch nichts über Schiffe, glucks, glucks.“

„Da irrst du dich Amaltheus. Wir kommen beide aus Hamburg. Unser Vater baut bei Broom & Tross große Ozeanriesen. Wir besuchen ihn dort manchmal. Bei Großvater Gostelli sind wir nur in den Ferien. Ich könnte euch helfen, euer Korallenschiff wieder flott zu machen“, antwortet Ole. Plötzlich gickst Henriette wie ein ängstliches Kind, das eine Spinne sieht. „Was ist mit dir?“ fragt Ole besorgt.

„Hilfe, Hilfe, es will mich auffressen“, kann Henriette noch antworten und fällt in Ohnmacht.

Das Gicksen war bis vor den Höhleneingang zu hören, an dem jetzt auch Professor Gondwana angekommen ist.

Da der Eingang der Wassergeisterhöhle nur ein kreisrundes Loch, etwa so groß wie ein Gullydeckel ist, beschließt Gondwana vor der Höhle zu warten. Er überprüft seinen schussbereiten Revolver und legt sich auf die Lauer.

Etwa zur gleichen Zeit ist auch Hauptmann Uri mit seiner Suchmannschaft auf der Zwiefleralm angekommen.

„Na, dann erzählen Sie mal, Gostelli, was hat es mit der Schatzkarte auf sich und woher haben Sie die?“, fordert der Wachtmeister den besorgten Großvater auf.

„Wollen wir uns denn nicht lieber sofort auf die Suche nach den Kindern machen? Es ist gleich Mitternacht. Ich erzähle Ihnen unterwegs, was ich von der Karte weiß.“

„Also gut. Zündet eure Fackeln an, Leute, wir steigen hinunter in das verdammte Fossital!“ fordert Hauptmann Uri die Suchmannschaft auf.

„Sieh nur, was du angerichtet hast, Sognathus“, sagt Amaltheus mit ernstem Blick. „Du kannst doch nicht einfach dem Mädchen von hinten durch die Beine hopsen. Am besten wir bringen sie zu Nerinea. Die weiß bestimmt, wie man deiner Schwester helfen kann“, fordert der Wassergeist Ole auf.

„Wer ist denn Nerinea, das klingt ja wie ein Mädchenname?“

„Da hast du in gewisser Weise recht, glucks. Unsere Schwester Nerinea ist eine Wassernixe. Sie kocht leckere Krebssuppe für uns, backt köstliche Algenplätzchen und pflegt uns, wenn wir die Schuppenkrankheit haben. Wo ist nur Sognathus geblieben? Ich hätte noch ein Fröschlein mit zu quaken.“

„Ist dieses kleine Wesen tatsächlich ein Dinosaurier?“, fragt Ole schnaufend dazwischen.

„Naja, Dino ist vielleicht etwas übertrieben. Sagen wir einmal, Sognathus ist ein Saurierküken, glucks, glucks. Er war der kleinste seiner Art, als wir damals mit unserem Korallenschiff über das Jurameer fuhren und in dieser verdammten Schlucht gestrandet sind, glucks, glucks. So, wir sind jetzt da. Dort ist unser Korallenschiff.“

Fast hätte Ole seine kleine Schwester fallengelassen. Die Höhle hatte jetzt die Größe eines Zirkuszeltes erreicht. Sie schillert und funkelt in leuchtenden Farben: wie lavendelblau, burgunderrot und in Farben, die Ole noch nie zuvor gesehen hatte. In der Mitte der Höhle befindet sich ein unterirdischer See, auf dessen silbernem Wasser ein kleines zweimastiges Segelschiff schwimmt. Das Schiff sieht wie die Zuckergusskrone auf einer Hochzeitstorte aus. Vorsichtig setzt Ole seine Schwester am Ufer des unterirdischen Silbersees ab. Seine Oberarme schmerzen. Zärtlich streicht er über ihr Gesicht. Ihre Augen sind immer noch ge-schlossen, als ob sie schläft.

„Darf ich vorstellen, glucks, glucks“, unterbricht der Wassergeist Amaltheus die Stille, „Nerinea - unsere Schwester.“

Aus dem Wasser des Sees schlängelt sich ein zauberhaftes Wesen. Nerinea, die Wassernixe, ähnelt Arielle, der Meerjungfrau, die Ole und Henriette schon viele Male in dem gleichnamigen Film gesehen haben, nur mit einem Unterschied: Nerinea ist echt. Sie beugt sich über Henriettes Gesicht und streift dabei mit ihrem schuppigen Leib Oles Hand. Ole hatte vermutet, dass sich Wasser-geister nass und kalt anfühlen. Diese Berührung aber war angenehm warm und weich.

„Wo bin ich, wo sind Ole und dieses schreckliche Ungeheuer, das mich fressen will?“