Das Geheimnis des Ordens  - Die Tempelritter-Saga: Band 23 - Stefan von Losa - E-Book
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Das Geheimnis des Ordens - Die Tempelritter-Saga: Band 23 E-Book

Stefan von Losa

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Beschreibung

„Für mich sind alle Menschen Sünder. Und wenn es an der Zeit ist, dann züchtige ich sie!“ – „Die Tempelritter-Saga“ jetzt als eBook bei dotbooks. Im prunkvollen Jerusalem wird alles für das bevorstehende Osterfest vorbereitet. Auch die Gefährten Sean, Suleiman und Elazar helfen mit. Die Stimmung ist ausgelassen und fröhlich. Doch dann geschieht etwas, das den Frieden in der Heiligen Stadt zerstört: Auf Sean wird ein gefährliches Attentat verübt, dem er nur knapp entkommt. Die Freunde setzen alles daran, die Auftraggeber ausfindig zu machen – und geraten dabei in die Fänge eines fanatischen Ordens, der die Herrschaft über das Morgenland an sich reißen und die ketzerischen Tempelritter vernichten will … Die Tempelritter, der mächtigste Orden des Mittelalters: Eine packende Abenteuer-Saga, die mehrere Kontinente und Jahrzehnte umspannt! Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 349

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Über dieses Buch:

Im prunkvollen Jerusalem wird alles für das bevorstehende Osterfest vorbereitet. Auch die Gefährten Sean, Suleiman und Elazar helfen mit. Die Stimmung ist ausgelassen und fröhlich. Doch dann geschieht etwas, das den Frieden in der Heiligen Stadt zerstört: Auf Sean wird ein gefährliches Attentat verübt, dem er nur knapp entkommt. Die Freunde setzen alles daran, die Auftraggeber ausfindig zu machen – und geraten dabei in die Fänge eines fanatischen Ordens, der die Herrschaft über das Morgenland an sich reißen und die ketzerischen Tempelritter vernichten will …

Die Tempelritter, der mächtigste Orden des Mittelalters: Eine packende Abenteuer-Saga, die mehrere Kontinente und Jahrzehnte umspannt!

Über den Autor:

Der Autor Stefan von Losa entstammt einem alten Familiengeschlecht, dessen Wurzeln bis in die Zeit der Süpplingenburg im Braunschweiger Land zurückreichen. Während seines Geschichtsstudiums erforschte er das spannungsreiche Verhältnis des Erzbistums von Magdeburg zum deutschen Zweig der Tempelritter eingehend.

Stefan von Losa lebt mit seiner Familie im heimatlichen Süpplingenburg.

Für die Tempelritter-Saga schrieb Stefan von Losa auch den folgenden Band:

»Die Tempelritter-Saga – Band 19: Der Wolf von Roslin«

***

eBook-Neuausgabe Juni 2016

Dieses Buch erschien bereits 2007 unter dem Titel Der geheimnisvolle Ritterorden bei Pabel Moewig Verlag

Copyright © der Originalausgabe 2007 by Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

Copyright © der Neuausgabe 2014 bei dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von thinkstock/iStock/Milen Kaluchev und shutterstock/Kiselev Andrey Valerevich

ISBN 978-3-95520-834-9

***

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Stefan von Losa

Das Geheimnis des Ordens

Die Tempelritter-Saga

Band 23

dotbooks.

ERSTER TEIL

1

Jerusalem, Frühjahr im Jahr des Herrn 1326

Sean of Ardchatten spürte, wie eine leise Melodie in seinem Inneren aufstieg. Er war versucht, sie nachzusingen. Immer, wenn er an die Liebe dachte, hörte er eine innere Musik. Der junge Schotte zog seine kleine dreilöcherige Beinflöte aus dem Mantel und sah sie lange an. Dann setzte er sie so vorsichtig an den Mund, als könne er sich beim Spiel daran verletzen. Er spitzte die Lippen und spielte die ersten Töne. Sie stiegen an den Mauern der himmlischen Stadt empor, bis zum blauen Himmel hinauf. Ein Schwarm Vögel löste sich von der Klagemauer und flog den sacht verklingenden Lauten hinterher.

Nach einigen Tönen setzte Sean sein Instrument ab und blickte sich um. Die wenigen Betenden um ihn herum waren in ihr andächtiges Tun versunken. Sie wiegten sich ruckartig vor und zurück und murmelten leise Worte oder stießen klagende Laute aus. Sean hob die Flöte wieder an den Mund und beendete seine Melodie, ein melancholisches Liebeslied, das er in Schottland gelernt hatte. Es handelte vom Abschiednehmen.

Der Mann, sehr traurig, nahm den Abschied an, das Mädchen kam ihm ganz nahe, mit heller, glatter Haut …

Als der letzte Ton verklungen war, steckte Sean sein Instrument wieder ein. Vor dem Hintergrund der sanften, gefühlvollen Melodie wirkte seine Geste abrupt, fast ein wenig verstohlen, ganz so, als schäme er sich für seinen Gefühlsausbruch.

Es war lange her, dass Sean zum letzten Mal auf der Flöte gespielt hatte. Fast ebenso lange hatte er nicht mehr an die jungen Frauen gedacht, die seinen Lebensweg bisher gekreuzt hatten. Jetzt jedoch übermannte ihn die Sehnsucht, und er konnte nichts dagegen tun. Vor allem die Erinnerung an Guinivevre of Annan, seine allererste Liebe, ließ ihn nicht los, aber auch Angelique und Madeleine hatten sich tief in sein Gedächtnis und sein Herz eingegraben. Guinivevre, die ihn einst verführt hatte, als er erst vierzehn gewesen war, war in den Tiefen seines Lebensweges verschwunden. Angelique war der Pest zum Opfer gefallen. Und Madeleine, Madeleine, die er immer nur von ferne hatte bewundern können, weil Uthman ibn Umar, sein älterer sarazenischer Freund, ihr Herz erobert hatte, lebte jetzt hinter dicken, düsteren Klostermauern.

Sean hatte immer Trost in der Musik gefunden. Er wusste, dass die Melodien ausschließlich zum Lob Gottes erklangen. Dass die wahren Gesänge unaufhörlich zwischen den Gestirnen und Sphären in den höchsten Höhen erschallten und dass alle Melodien, die die Musikanten erdachten, nur armselige Bemühungen waren, sie nachzuspielen. Trotzdem hellte sich sein Gemüt immer wieder auf, wenn er selbst spielte oder sang oder wenn er anderen Musikanten zuhörte, die auf der Knieharfe, der Fiedel, der Laute oder dem Scheitholt spielten.

Sean saß auf einem der Steinquader, die für die Ausbesserung der Klagemauer herangetragen worden waren. Die Mauer ragte mit ihrer rauen, von kargem Grün überwucherten Fassade aus riesigen, unregelmäßig versetzten Quadern vor seinen Blicken auf. Darüber schwebte die goldene Kuppel des Felsendomes, der zuvor die Grabeskirche des Heilands gewesen war. Wenn er seinen Blick weiter zum mächtigen Tempelberg, dem jetzigen Haram al-Sharif, schweifen ließ, konnte er gerade noch das Dach der Al Aqsa-Moschee erkennen. Und die Juden in ihren langen, fließenden Gewändern beteten vor ihrer eigenen Synagoge unter freiem Himmel der Klagemauer. In ihrer Sprache hieß sie Hakotel Hamaravi. Sie betrachteten sie als ein Symbol der Stadt und der Erlösung. An diesen Ort trugen sie all ihre Sehnsüchte und Träume; und hier empfingen sie göttliche Ratschlüsse.

Sean nahm den lauen Wind wahr, der über die Stadt zwischen Ölberg und Wüste zog. Feine Wolken bildeten sich am Himmel. Vielleicht würde es bald wieder regnen. Es hatte den ganzen Winter über geregnet, das war ungewöhnlich, aber kurz vor Ostern war die Sonne heraufgezogen, und seither überstrahlte sie alles. Jerusalem rüstete sich für das heiligste Fest des christlichen Jahreskreises, das auf ihre Weise auch Juden und Muslime begingen.

Plötzlich fühlte Sean sich einsam. Inmitten des sich mehr und mehr füllenden Platzes glaubte er, all seine Freunde verloren zu haben. Gewiss, Suleiman und Elazar warteten in der Südstadt auf ihn. Aber wo war Henri? So lange er denken konnte, war Henri de Roslin, der ehemalige Tempelritter, bei ihm gewesen, durch ihn hatte er vom Templerorden erfahren und war der Gemeinschaft der Brüder beigetreten. Von Henri hatte er alles gelernt. Aber jetzt war sein Meister aus Jerusalem fortgezogen. Er lebte weit entfernt in Aleppo. Und mit ihm die treuen Freunde Joshua ben Shimon und Uthman ibn Umar.

Sean wurde plötzlich bewusst, dass es nie mehr so sein würde, wie es einmal war. Die Folgen dieses schlichten Gedankens waren für den jungen Schotten unerträglich. Warum schreitet die Zeit immer nur in eine Richtung fort?, fragte er sich. Warum macht sie nicht einmal Halt oder kehrt um? Dann könnten wir Feste des Wiedersehens feiern. Geliebte, verschollene Menschen umarmen. Und wir könnten unseren verschlungenen Lebensweg begradigen.

Weil das aber nicht geht, müssen wir einen geliebten Menschen nach dem anderen begraben und werden immer einsamer.

In seine Gedanken hinein ertönten Posaunenklänge. Von fern her kündigte sich eine Prozession an. Sean konnte nicht erkennen, von welchen religiösen Führern sie gelenkt wurde. Die Christen konnten in Jerusalem ihren Ritualen nachgehen, vor allem die Franziskaner genossen bei den mameluckischen Stadtherren hohes Ansehen. Aber sie waren eine Minderheit, die unter Beobachtung stand. Den Ton gab der Islam an, der Glaube, der auf einem Buch gründete wie das Christentum. Und er duldete das dritte große Volk des Buches – das Judentum. In Jerusalem lebten sie alle dicht an dicht zusammen.

Friedlich. Aber unter der Oberfläche brodelte es.

Sean erhob sich. Er wollte eintauchen in diese Stadt. Er wollte untertauchen.

Bevor die Prozession den Platz an der Klagemauer erreicht hatte, war Sean in den engen, gewundenen Gassen der Stadt verschwunden. Er erfreute sich am Lärm und an dem bunten Treiben. Nach den heftigen Schauern der vergangenen Wochen waren die Gassen feucht, teilweise matschig. Die Frauen überquerten sie auf kurzen, unter die Füße geschnallten Holzstelzen. Wenn sich die Straße abwärtsneigte, rutschte der Matsch unter dem eigenen Körpergewicht fort, sodass man gehörig aufpassen musste, wenn man nicht hinfallen wollte.

Überall stank es nach Abfällen und Essensresten, auf den Haufen vor den Häusern saßen Trauben bläulicher Fliegen. Handwerker hämmerten, Frauen sangen, Nachbarn stritten sich vor ihren kleinen, wegen der ständigen Feuergefahr in wenn auch geringen Abständen zueinander gebauten Häusern. Jeder verkaufte vor seinem Haus, was ihm beliebte. Sean benötigte nichts, aber er betrachtete neugierig die Auslagen und nahm begierig die betörenden Düfte in sich auf. Jedes der kostbaren Gewürze besaß seinen eigenen Geruch, ebenso wie all die anderen feilgebotenen Waren.

In Jerusalem strömte alles zusammen. Sean liebte diese herrliche Stadt.

An Verkaufsständen, die oft nur aus einem Brett bestanden, das über zwei Böcken lag, hackten kräftige Arme Fleisch – koscheres Fleisch. Eine Räucherei präsentierte allerdings lange Speckstreifen in einem Holzrahmen, dazu harten Dörrfisch. Wasser, Eselsmilch und Wein wurden von jungen Bediensteten in Krügen ausgeschenkt. In den Schmieden stoben die Funken. Und das Geschrei nahm zur Mittagszeit hin immer mehr zu.

Sean ging weiter. Überall brannten noch die Holzfeuer und Pechfackeln. In manchen Keramikschalen auch glänzende Tropfen von Weihrauch. Manche Mädchen gingen leicht geschürzt durch die Menge, aber die meisten Frauen verhüllten sich und versuchten, nicht aufzufallen. Aus den Schenken drang lautes Gelächter. Und vor den Teestuben saßen alte Männer, tranken aus Gläsern und rauchten die Wasserpfeife.

Vor manchen rot oder blau angemalten Häusern sah Sean Wappen und Wimpel. Sie wiesen auf das Osterfest hin. Sean schlenderte rastlos weiter. Aber er wurde langsam ruhiger, die Schwermut fiel allmählich von ihm ab. Und als er die Werkstatt seines Freundes Elazar ben Aaron erreicht hatte, ging es ihm schon wieder viel besser. In dieser Werkstatt stellte der Ziehvater des jungen Juden Spielzeug, Kämme und Waffengriffe her, und manchmal auch gut ausgewogene Würfel für die Arbeiter, obwohl das Glücksspiel in Jerusalem verboten war.

Jerusalem war wohl die einzige Stadt auf der Welt, in der jeder seinem Gott ganz nahe war. Das hörte sich gut an, aber es brachte auch Unannehmlichkeiten mit sich. Weil hier auf vieles Rücksicht zu nehmen war, gab es beispielsweise auch viele Verbote.

Elazars Ziehvater Ben Shalon sah nur kurz auf, als Sean die Werkstatt betrat. Er nickte ihm freundlich zu und beugte sich wieder über seine Werkbank. Auch Seans junger Freund war beschäftigt, doch er lachte bei Seans Anblick. Sean setzte sich hinter die beiden und sah ihnen über die Schulter. Hier fühlte er sich wohl. Es war warm in der Werkstatt, und es roch angenehm nach Knochenstaub, Leim, nach Holz und Schweiß.

Seans Blicke flogen über die wenigen Dinge in der Werkstatt, die für den Meister auch Wohnstatt war, er schlief auf großen Kissen, die an der Wand lagen. Elazar schlief oft im Freien hinter dem Haus, aber manchmal auch auf einem einfachen Holzgestell über dem Bett. Ben Shalon hatte den Jungen an Sohnes statt angenommen, einige Zeit, nachdem Elazar nach Jerusalem gekommen war, um das Grab des Hohepriesters Simon aufzusuchen. Elazars eigene Familie war in Überlingen, einer deutschen Stadt am Bodensee, einem Pogrom zum Opfer gefallen. Durch die Ritzen der Bretter, die das Viereck der Werkstatt bildeten, fielen Sonnenstrahlen, auf denen übermütig Staub tanzte. Hier drinnen war es still.

Sean sah den beiden Arbeitenden zu. Er rührte sich nicht. Ben Shalon und Elazar bewegten sich mit genauen, ruhigen Gesten. Und in Sean verflüchtigte sich nach und nach das Gefühl der Einsamkeit, das ihn so lange bedrückt hatte.

*

Suleiman war von der Schmiede außerhalb der Stadt gekommen, wo sein Vater Abu Lahab kostbare Schwerter und Dolche herstellte. Er wartete auf seine Freunde.

Suleiman fühlte sich in seiner Heimatstadt wie ein Fisch im Wasser. Seit seiner Kindheit hatte er sämtliche Viertel unzählige Male durchquert. Heute patrouillierten in den breiteren Straßen der Südstadt nicht nur Muslime, die laut aus dem Koran rezitierten, sondern auch Frauen. Das waren dichtende Kriegerinnen, die auf Pferden herumritten und den Frauen des Propheten Mohammed mit eigenen Versen huldigten.

Suleiman lauschte. Diese Dichterinnen gehörten einer neuen Bewegung an. Dichterinnen hatte es in der Arabia schon immer gegeben, aber diese hier schreckten nicht einmal vor dem blutigsten Gemetzel zurück.

Die Kriegerinnen zogen ab, es blieben die, die umhergingen und nichts taten, als in die Sonne zu blinzeln. Auffallend viele eitle junge Männer und Frauen in teuren Kleidern waren in den Straßen unterwegs, die im letzten halben Jahr gepflastert worden waren. Eine nicht geringe Minderheit von ihnen gehörte der Familie des mameluckischen Paschas Selim von Jerusalem an. Sie alle bewegten sich gestelzt, gestikulierten affektiert, sangen zur Laute und warfen mit Geldstücken um sich. Auf ihren Schultern saßen dressierte Singvögel. Ihre Väter arbeiteten entweder in den Stuben der hohen Beamten oder waren Besitzer der großen Karawansereien oder Reedereien an der Küste des Mare Mediterraneum.

Gold, Musik, Tanz und ausgelassene Lustbarkeiten in einem bislang unbekannten Maße zeugten davon, wie die Menschen im muslimischen Reich sich und ihren Reichtum feierten. Hatte Allah nichts dagegen?

Aber fragten sie ihn wirklich?

Suleiman wusste es nicht. Seine Freunde Sean und Elazar wussten es sicher auch nicht. Das Leben in Jerusalem verlief in seinen eigenen Bahnen. Und es gab auch die andere Seite: halb nackte Bauarbeiter, die Steine schleppten und Karren schoben, die Träger der Silos, Bettler, Krüppel, die Sklaven, die den Herren der prächtigen Villen am Stadtrand dienten. Denn überall in Jerusalem wurde auch hart und gottesfürchtig gearbeitet. Suleiman durchquerte gerade ein Viertel, in dem Rosentinkturen, seidene Turbane, Zähne aus Gold, Brillengestelle aus Silberdraht und künstliche Glieder aus Elfenbein hergestellt wurden.

Die Welt der einfachen Leute zog Suleiman stärker an. Wenn sich ein schmutziger Arbeiter auf die Knie warf, um in Richtung Mekka zu beten, und seine schweißüberströmte Stirn in den Straßenstaub drückte, dann wurde Suleiman wieder bewusst, dass hier immer noch das Gesetz des Islam regierte. Alles war an seinem Platz.

Jetzt freute er sich auf seine Zusammenkunft mit Sean und Elazar. Seit die drei aus Aleppo zurückgekehrt waren, wo sie Henri, Joshua und Uthman besucht hatten, waren sie sich noch näher gekommen. Es war eine Zeit des Vergnügens und Lernens gewesen.

Kurz bevor Suleiman die Werkstatt von Elazars Ziehvater am Rand des Armenischen Viertels erreichte, spürte er plötzlich in seinem Rücken Blicke auf sich gerichtet, die ihn nicht losließen. Suleiman blieb stehen. Ihm wurde unbehaglich zumute. Er drehte sich schnell um. Im Hintergrund verschwand eine gedrungene Gestalt in einem Häusereingang.

Suleiman versuchte, das Gefühl, bedroht zu sein, abzuschütteln. In einer Stadt wie Jerusalem wurde man ständig von irgendjemandem angesehen. Man sah jemanden, der einem interessant vorkam, und beobachtete ihn eine Weile. Das war völlig normal.

Doch Suleiman hatte schon seit Tagen das Gefühl, verfolgt zu werden.

Und hatte Sean ihm nicht etwas Ähnliches berichtet?

Suleiman wusste, dass es auch böse Blicke gab, die durchaus nicht an einen leiblichen Träger gebunden waren. Es gab Dschinns, die den Menschen übel mitspielen wollten.

Er ging weiter. Während er ging, drehte er sich immer wieder einmal rasch um. Und jedes Mal verschwand ein Schatten hinter ihm und verschmolz mit der Umgebung.

Al-Quds schien plötzlich eine Stadt der Schatten zu sein.

*

Elazar legte das Werkzeug zur Seite und stand auf. Auch sein Ziehvater Ben Shalon blickte jetzt entspannt durch das kleine Fenster auf die Straße. Es war Zeit für die Mittagspause. Elazar legte Sean die Hand auf die Schulter. Dann gingen sie hinaus in die Sonne, um Suleiman zu treffen.

Elazar hatte der Besuch in Aleppo nachhaltig beeindruckt. Joshua hatte ihm zum Abschied eine Goldmünze geschenkt, die er jetzt als Amulett um den Hals trug. Ein Schutz gegen alle Gefahren. Doch in der Welt der Juden war der einzig wirksame Schutz die Hand Gottes. Das wusste der breitschultrige Junge mit den goldfarbenen Augen seit dem Pogrom in Überlingen nur allzu gut. Die Münze war nur ein liebevoll ausgewähltes Geschenk.

Aber es war ihm sehr teuer.

»Ich habe in Aleppo Trauer in den Augen von Joshua gesehen«, sagte Elazar zu Sean. »Es ist sicher nicht leicht, sein Leben in die Hände von Jüngeren zu legen. Es muss wie ein kleiner Tod sein.«

»Auch Henri sah traurig aus«, erinnerte sich Sean. »Uthman ebenso. Sie sind noch nicht so alt, dass sie nicht weiter kämpfen könnten. Besonders für Uthman ist das eine schwere Entscheidung gewesen. Doch sie war richtig. Denn bei Gott – sie haben enorm viel geleistet und viel erreicht.«

»Dein Meister Henri hat sein ganzes Leben dem Orden der Tempelritter geweiht«, sagte Elazar. »Und man hat es ihm nicht gedankt. Man hat ihn angeklagt und ausgestoßen. Ein ganzes Leben voller Gefahren, Verrat und Verfolgung! Wie hat er das nur ausgehalten?«

»Er hatte gute Freunde an seiner Seite«, sagte Sean. »Und auch überall dort, wohin er kam. Und er besaß einen hervorragenden Knappen!«

Elazar lachte. »Bescheiden bist du nicht gerade!«

»Das war nicht ernst gemeint«, sagte Sean ebenfalls lachend. »Aber gute Freunde hatte er, und dazu zählte auch ich. Henri ist jedenfalls nie allein gewesen. Hinzu kommt, dass ihn der Gedanke der Vergeltung angetrieben hat: Er wollte sich an den Verrätern des Tempelritterordens rächen. Meistens war es allerdings so, dass diese ihn verfolgten und er fliehen musste. Zum Nachdenken kam er dann lange nicht. Es ging oft genug ums nackte Überleben, aber wir sind immer entkommen, oft genug im letzten Moment.«

»Das meine ich doch – was hat er denn von seinem Leben gehabt? Es war ein ständiger Kampf!«

»Und wir führen ihn fort, Elazar! Wir treten in die Fußstapfen der Alten und kämpfen für den Frieden. Das haben wir unseren alten Herren in Aleppo versprochen.«

»Mir wird angst und bange, wenn ich daran denke, welche Verantwortung wir damit übernommen haben, Sean!«

»Willst du dein Versprechen zurücknehmen?«

»Nein, auf keinen Fall! Ich stehe zu meinem Wort! Und es ist auch eine großartige Aufgabe, für die es zu leben lohnt. Aber du weißt, Yerushalaiym ist ein gefräßiges Tier, das immer mit geschärften Krallen auf der Lauer liegt.«

»Ein gutes Bild, mein Elazar! Wir werden dieses Tier zähmen!«

Die hochgewachsene Gestalt Suleimans tauchte auf der anderen Straßenseite auf. Dann verdeckte ihn eine Gruppe von verschleierten Frauen, die augenscheinlich Besorgungen erledigten. Die Freunde warteten, bis er wieder sichtbar wurde. Suleiman verhielt sich seltsam. Der Junge mit dem kurzen Bart und den fliegenden schwarzen Locken sah sich immer wieder um. Dann stand er unter einem Torbogen der Arkaden eine Weile wie erstarrt und blickte in die Auslagen eines Ladens. Er verharrte lange. Sein Verhalten gab den Freunden Rätsel auf. Als Sean gerade hinüberrufen wollte, drehte sich Suleiman um und erblickte die Freunde. Er winkte, überquerte die Straße und kam auf sie zu.

Plötzlich bemerkten sowohl Sean als auch Elazar, wie sich hinter ihm eine Gestalt in den Schatten des halbrunden Torbogens drückte. Jemand wollte soeben aus seinem Versteck hervorkommen, sah dann aber offenbar, dass zwei Augenpaare auf ihn gerichtet waren, trat rückwärts über die ausgetretenen Steinstufen zurück und drückte sich wieder in den Schatten.

Sean erhaschte seinen Umriss. Ein kleiner, gebückter Mann mit langen, rudernden Armen.

»He, Suleiman! Inchallah!«

»Gott sei auch mit euch, meine Freunde!«

Sean zog Suleiman hinter die Aufbauten eines Lederhändlers. Der Besitzer kam sofort auf sie zu in der Hoffnung auf ein Geschäft. Sean machte jedoch eine abwehrende Geste. Er spähte noch einmal hinüber auf die andere Straßenseite.

»Kann es sein, dass dich jemand verfolgt?«, fragte er leise. »Ich hatte den Eindruck …«

»Ich habe auch dieses Gefühl«, bestätigte Suleiman. »Aber ihr wisst ja, Al-Quds ist voller dunkler Gestalten, von denen man nicht weiß, was man von ihnen halten soll. Es kommt mir oft vor, als würden sie von den Schatten geboren. Wenn die Nacht weicht, bleiben sie einfach zurück und nehmen irgendeine Gestalt an.«

»Klingt gespenstisch«, sagte Elazar und schüttelte sich.

»Ja, die himmlische Stadt ist oft eine Stadt der Schatten«, bestätigte Sean leise. »Aber zum Glück auch eine Stadt des herrlichsten Lichts.«

»Wir sollten jedenfalls aufmerksam sein«, sagte Elazar.

»Und wir sollten uns gegenseitig von allem erzählen, was uns auffällt«, meinte Sean. »Denn es kann sein, dass bereits an falsche Ohren gedrungen ist, was wir vorhaben. Es gibt eine Menge Leute, die es gar nicht gut finden, wenn wir als kleine, neutrale Schutztruppe in der Stadt für Ordnung sorgen. Ruhe und Ordnung nutzen nur den Besonnenen. Die Fanatiker streben nach dem Gegenteil, sie wollen Chaos und Angst unter die Menschen streuen. Und sie tun alles dafür, um ihr Spiel treiben zu können.«

»Wir trennen uns für kurze Zeit«, schlug Elazar vor. »Suleiman geht mit Sean weiter. Ich bleibe hier und kümmere mich um den kleinen Verfolger, der da drüben im Trüben fischt.«

»Lass mich die Verfolgung aufnehmen, ich bin kampferprobter«, schlug Sean vor.

»Nein, ich mache es«, beharrte Elazar mit fester Stimme und reckte die Schultern.

»Vielleicht gibt es gar keinen Verfolger«, meinte Suleiman. »Wir sollten nicht hysterisch werden. Oft genug sind es nur harmlose Tagelöhner, die ihre Dienste anbieten wollen und infrage kommende Herren taxieren.«

»Oder es sind Spitzel der Behörden«, sagte Sean. »Hatten wir es nicht auch schon mit gedungenen Kreaturen irgendwelcher obskurer Orden zu tun? Orden entstehen hier besonders leicht, gerade in Jerusalem finden ihre Gründer schnell jemanden, der sie unterstützt und ihnen Geld gibt.«

»Das sehen wir dann schon«, meinte Elazar. »Aber wenn wir tun wollen, was wir uns vorgenommen haben, dann müssen wir jedem Verdacht nachgehen.«

»Wann treffen wir wieder zusammen?«

»Wir treffen uns in zwei Stunden am Brunnen des al-Mustafir. Dann werden wir genauer wissen, ob wir in dieser Stadt noch sicher sind.«

»Bist du bewaffnet?«, fragte Suleiman.

»Natürlich, ich habe meinen Krummdolch im Gürtel wie ihr auch.«

»Sei vorsichtig!«, riet Sean besorgt. »Du bist kämpferisch nicht gut ausgebildet.«

Elazar lachte nur.

Suleiman kniff ihm freundschaftlich in die Wange.

2

Die Stadt der Schatten

Als der Mann in das Licht trat, kniff er die Augen zusammen. Das Licht schmerzte. Er war es nicht gewohnt. Im steil aufsteigenden Garten Gethsemane über dem Tal, in dem Jerusalem lag, gab es auch viel Schatten. Aber vor dem Mariengrab, das der Mann aufgesucht hatte, strahlte das Sonnenlicht, als wolle es die Begräbnisstätte der Jungfrau Maria in strahlendem Glanz und Glast verbrennen.

Der Mann stolperte über eine Wurzel. Er stieß ein Knurren aus. Uralte Korkeichen, bizarr gewucherte Pinien und Olivenbäume mit dichtem Dach machten den Garten Gethsemane zu einem paradiesischen Fleckchen Erde. Vielleicht war dieser Ort sogar das biblische Paradies höchstselbst. Das Knurren des Mannes war in einen anderen Laut übergegangen. Er schluchzte leise.

Wenn er solcherlei Gedanken hegte, übermannte ihn immer ein Gefühl, das er selbst nicht verstand.

War es Trauer? Liebe? Oder Hass?

Er hörte sich wimmern und stolperte weiter. Dann hatte er die Rückseite des Mariengrabes erreicht. Hier stand die achtseitige, weiße Kapelle. Die Kapelle der Unschuld und der Reinheit. Und des Blutes.

Jesus Christus war nach dem letzten Abendmahl mit seinen Jüngern hierhergekommen. Im Garten hatte er auf die Verräter gewartet.

Heute stand am Rand des Mariengartens die Kapelle seiner Himmelfahrt. Die halbrunde Kuppel erinnerte den Mann an eine weibliche Brust. Wieder spürte er in sich ein flatterndes Schluchzen aufsteigen. Er unterdrückte es nicht. Mit feuchten Augen ging er weiter und bemerkte nur nebenbei, wie Entgegenkommende ihn anstarrten. Es waren Pilger in weißen Gewändern, jemand trug ein Kreuz auf den Schultern. Ein anderer hielt eine Geißel in den Händen.

Sie sollten zur Hölle fahren!

Er erreichte eine kleine Pforte in der Mauer und verließ den Kapellenbezirk des Gartens. Im Schatten eines besonders schönen Olivenbaums, dessen Krone bis fast auf den roten Boden hinunterreichte, ließ er sich fallen.

In seinem Rücken spürte er die ruhige, warme Kraft des uralten Baumstamms. Diese Energie ging allmählich auf ihn über.

Er war so dankbar.

Er ruhte aus.

*

Etwas wirkte seltsam an dem Raum. Lag es an seinem milchigen Halbdunkel? Die drei Anwesenden verschmolzen darin, es schien ihnen so ganz recht zu sein. Sie hatten die hölzernen Fensterläden zugeklappt. Vielleicht lag es auch an dem Geruch nach Kampfer und nach Weihrauch. Seit dem frühen Abend roch es säuerlich. Auf dem runden Klapptisch lagen Andachtsfiguren, daneben eine Bibel in lateinischer Handschrift.

Einer der Anwesenden erneuerte die heruntergebrannten Tropfen des Duftharzes aus einem vergoldeten Behältnis, dann sagte er: »Es heißt, unser Herz soll in Betrachtung unserer Sünden in bitteren Tagen wie in eine Premse eingeklemmt sein. Nun, die bitteren Tage sind gekommen.«

»Haben wir das verschuldet?«

»Nein, wir nicht, wir sind reinen Geistes und reinen Gewissens. Und dennoch ist unser Herz schwer.«

»Und wenn wir nicht mehr in der Gunst unseres Herrn stehen?«

»Wie sollte das möglich sein! Wir sind seine Köpfe und Hände, wir befreien die anderen aus ihrem selbst verschuldeten Leid. Deshalb sind wir hier.«

»Genauso ist es.«

»AVE MUNDI DOMINA!«

Sie betrachteten stumm das Marienbild, die bleiche Jungfrau mit dem Kind auf dem Arm. Gerade weil sie einer weltlichen Verbindung angehörten, sehnten sie sich danach, dazuzugehören. Einer streichelte jetzt die anmutige Halbfigur auf dem Emblem. Seine Hände glitten über alle Körperformen, waren aber ruhig dabei. Die anderen lächelten verständnisvoll, sie wussten, wie es gemeint war, sie alle verspürten diese Liebe und verehrten diese anbetungswürdige Gestalt. Sie stand auf einem Halbmond, von Sonnenstrahlen umgeben.

Es war die einzige Frau, der sie nahe sein wollten.

Dafür taten sie alles.

Seine Stimme klang betrübt. »Aber wir müssen uns dennoch fragen, ob unser Tun mit unserem Auftrag immer übereinstimmt, denn es schließt Gewalt ein. Es schließt vielleicht Ungerechtigkeit ein, die wir doch gerade beseitigen wollen. Es könnte Unschuldige treffen.«

»Unschuldige? Wir wandeln auf einem schmalen Grat, das ist klar. Aber unschuldig ist niemand. Es trifft immer die Richtigen, auch auf Umwegen. Sie sind alle Sünder.«

Einer goss aus einer bauchigen Flasche, die Spuren von Staub trug, funkelnden roten Wein in Silberkelche. Auf der Flüssigkeit brach sich das Licht der Kerzen.

»Wenn sie zugänglicher wären, würden wir diese Strafgerichte nicht brauchen. Aber sie begreifen nicht. Sie verraten das Ideal durch falsche Eitelkeit und niedere Instinkte. Sie häufen immer mehr Reichtum an und verstehen nicht, dass er uns nur symbolisch etwas geben soll, so verlieren sie ihre eigenen Grundsätze und Ziele aus den Augen. Wir müssen sie daran erinnern.«

»Wenn sie doch daran erstickten! Wenn sie sich doch selbst auslöschten! Wie viel leichter wäre alles! Dann wären wir nicht gezwungen, diese schrecklichen Dinge zu tun.«

»Sie geben sich Prunk und Hoffahrt hin. An den christlichen Höfen und hier in der mameluckischen Stadt verhalten sie sich übrigens gleich, wie wir gesehen haben. Es sind keine Unterschiede mehr erkennbar. Es ist noch erträglich, aber bald wird es das nicht mehr sein. Bis dahin müssen wir die Farben eingedunkelt, die Macht von den Feinden, die jetzt frech den Ton angeben, übernommen und die alten Gesetze wieder eingeführt haben.«

»Seht ihr! Deshalb ist Gewalt gerechtfertigt. Sie ist in unserer Zeit unverzichtbar. Nur dank ihr können wir ein Zeichen setzen, das alle wahrnehmen.«

»Wenn du es so sagst, Bruder, klingt es ganz einleuchtend!«

»Gewalt ist ein unbestechliches und auch unschuldiges Zeichen, ein wahres Fanal. Denn was wird sonst noch wahrgenommen in dieser Zeit des Getöses, des schamlosen Genusses, der eitlen Selbstdarstellung, der Ablenkung um jeden Preis von den einstigen Idealen!«

Sie hoben die Kelche und tranken. Einer trank so hastig, dass ihm Tropfen des Rotweins über die Lippen und in den Bart liefen. Es sah aus, als blute er. Er machte keine Anstalten, diesen Eindruck zu vermeiden.

»Aber seht, wie allein schon unser Gespräch darüber uns von den anderen abhebt. Denn sie hatten niemals Skrupel, zu morden, zu vergewaltigen und zu brandschatzen, wenn es um ihre Interessen ging. Sie dürsteten nach Macht, und sie haben sie sich genommen. Sie waren hungrig nach dem Gehorsam der anderen und haben ihn bekommen. Wir hingegen plagen uns mit Selbstzweifeln.«

»Aber das müssen wir auch tun, zu allen Zeiten. Auch dann, wenn wir das Regiment übernehmen. Ich habe wirklich Angst vor dem Moment, in dem wir es vergessen. Das darf niemals geschehen!«

»Wer wird also sterben müssen?«

Einer nahm den Kelch, trank noch einmal und deutete dann auf ein Pergament, das eine Reihe von Namen auflistete.

»Diese hier. Wenn wir siegreich in die himmlische Stadt zurückkehren wollen, muss dies alles getan sein.«

»Bei Gott! Wie viele sind es?!«

»Viele!«

*

Der Mann im Garten Gethsemane schüttelte sich vor Ekel. Der Gestank war noch tief in ihm.

Er roch den Unrat, alle diese Rückstände, die Menschen auf der Erdenscheibe hinterließen. Ja, Erdenscheibe! Flach und stumpf und kreisrund. Wie sonst sollte es möglich sein, dass diese stinkenden Abwässer nicht an den Seiten abflossen, sondern sich in immer gleichbleibenden, tiefen Pfützen hielten, durch die er gewatet war. Durch Wasser, das nie einen reinigenden Lichtstrahl gesehen hatte, dunkles, stinkendes Wasser, weit entfernt von dem schäumenden, sprudelnden Nass, das die Menschen in der Oberwelt kannten.

Wenn er an die frischen Wasserkaskaden dachte, deren Gischt allein schon belebte, wenn sie auf der Haut lag, dann hörte er sich innerlich unbändig fluchen. Gleichzeitig mäßigte er sich wieder. Maria, dachte er, Heilige Jungfrau voller Gnaden. Du bist rein wie das Wasser dort oben. Das helle Wasser, das man trinken konnte. Das alle tranken.

Nur er nicht.

Er träumte nur jede Nacht davon.

Hier im Garten Gethsemane war es schön und nicht zu hell. Und es duftete betörend. Der Mann mit dem bleichen Gesicht eines Menschen, der lange im Dunkeln gesessen hatte, kannte die Namen der Blumen und Pflanzen nicht. Es waren Wesen, die nie zu ihm gesprochen hatten. Er blickte hinüber zu Maulbeer-Feigen und Korkeichen, in denen Vogelschwärme saßen, und er dachte, dass es große, fremde Wesen seien.

Er wusste nur, dass hier der Herr Jesus auf seinen Tod gewartet hatte. Vielleicht unter jenem Baum. Und er selbst wartete darauf, wieder zu leben. Dafür wollte dieser Orden sorgen. Jetzt brauchten sie ihn endlich.

Unten, woher er kam, waren nur lichtloses Dunkel und stinkende Abwässer, die sich in unterirdischen Seen sammelten, schwarzer Urgrund, in den man nicht hineinzuschauen wagte.

Wusste überhaupt auch nur ein einziger Bewohner der himmlischen Stadt davon, dass es diese Unterwelt gab? Die ganze Stadt war seit ewigen Zeiten unterhöhlt. Eine Stadt unter der Stadt. Und eine Kloake unter der Kloake. Früher dienten die Labyrinthe als Fluchtweg, dann als Pfade für Schmuggler. Dann hatten sich Ketzer dorthin zurückgezogen. Er hatte selbst noch solche gekannt. Man hatte immer wieder einmal daran gebaut, zuerst nach der Zerstörung durch die römischen Heere, dann alles aufgegeben – und wieder angefangen. Da unten sammelte sich alles.

Und er war dorthin verbannt worden. Es war ein Kampf gegen die Übelkeit.

Andererseits war er dort unten dem Herrn Jesus und dessen Todesstätte näher. Denn es war damals im Untergrund geschehen. Danach hatten sie in Hunderten von Jahren ihre Stadt darübergebaut, als sei es nicht geschehen. Sie wuchs und wuchs. Aber unten blieb der Matsch in den Katakomben.

Schlammiger Untergrund, der an einem haften blieb und alles Reine und Weiße beschmutzte, wenn man eintauchte, das war es, was ihn unten erwartete. Beinahe wäre er in dieser Zeit selbst zu Unrat geworden. Zu Dreck in stinkenden Kloaken. Aber er hatte es überlebt.

Der Mann stand auf und ging fluchend unter den Kronen der Bäume umher. Wie hatte er das nur ertragen können! Diese entwürdigende, dunkle Welt, in die man ihn zurückgeschickt hatte! jetzt war er zum Leben erwacht, jetzt setzte er sich in Bewegung, und nie mehr würde er zur Ruhe kommen. Jetzt kam seine helle, leichte Zeit nach der endlosen Zeit in Dunkelheit und Gestank.

Er zog tief die reine, duftende Luft ein. Duft der Erde und des Himmels.

Bevor er in den Garten Gethsemane gegangen war, hatte er mit seinen wenigen Sachen um sich geworfen, die ihm geblieben waren, er trampelte auf ihnen herum und konnte gar nicht damit aufhören. Es war eine tief in ihm wie ein Knoten sitzende Last, von der er sich befreien wollte. Er hörte seltsame Laute, die er wohl selbst ausstieß.

Als der Schweiß nur so an ihm herabfloss und helle Rinnen in sein verschmutztes Gesicht und auf seinen mageren Leib zeichnete, trat er seinen Gang nach oben an. Es gab nur wenige Ausgänge. Es schmerzte zuerst, er musste sich gegen die Helligkeit schützen so gut er konnte. Jetzt hatte er sich allmählich an das Licht gewöhnt. Aber etwas anderes blieb unerträglich.

Immer war er nur als Zweiter wahrgenommen worden. Immer hatte der andere triumphiert. Sie hatten ihn beauftragt, wenn es an der Zeit war. Warum hatte er das mit sich machen lassen! Jetzt sollte es anders werden. Jetzt war seine Zeit gekommen. Seit er zurück war, hatte er schnell gelernt.

Er war in seine Fußstapfen getreten, einige seiner Auftraggeber hatten den Unterschied nicht einmal bemerkt. Jetzt war er am Zug. Endlich!

Und er schwor sich, nicht mehr davonzugehen.

Er bezog die Behausung, die sein Ebenbild ihm triumphierend gezeigt hatte. Er erinnerte sich noch genau an seine Fratze voll Hohn und brüderlichem Hass. Zu mehr war er nicht imstande gewesen. Das war vorbei. Sein Zwilling war verschwunden. Gestorben, Teil des Matsches unten geworden.

Er wollte nicht über die Art und Weise seines Todes nachdenken.

Der bleiche Mann im grauen Fellmantel richtete sich alles nach seinem Bedürfnis her und schmiedete seine Pläne. Auch in der Fremde hatte er zu tun gehabt. Solange sein Ebenbild gelebt hatte, hatte er sich aus Scham und Wut versteckt. Und aus zügellosem Hass gegen sein Abbild, denn er kannte sich genau, seine Maßlosigkeit, seinen ungezügelten Abscheu, die weiß glühende Wut angesichts der Frevler und Ungläubigen. Davor hatte selbst er Angst, er musste sich dagegen schützen. Aber das hatte er nun nicht mehr nötig.

Sein rechter Arm schmerzte. Seit dem Morgen spürte er ein starkes Ziehen von der Schulter herab bis in die Fingerspitzen. Die Kälte und Feuchtigkeit saß in seinen Gliedern. Jerusalem war nur an der Oberfläche warm. Er musste den linken Arm benutzen, um seine Kleidung zu richten. Das war für ihn ungewohnt. Das Leben war immer ungerecht gegen ihn gewesen.

Wenn er gefordert worden wäre, hätte er Großes leisten können. Niemand hatte es von ihm verlangt. Sie hatten über ihn hinweggesehen! Er war überhaupt nicht wahrgenommen worden! So landete er in der Kloake der himmlischen Stadt, die immer schon ein Zufluchtsort gewesen war.

Nur sein Ebenbild war von ihnen beauftragt worden, seit die Kreuzfahrer abgezogen waren. So, als gäbe es nur einen. Bei diesem Gedanken schrie er auf. Er schrie und lauschte dann dem Echo nach. Das Echo stieg auf in den blauen Himmel, Vögel stoben davon.

Ihn hatte man vergessen. Über seine Bitten, mit den letzten Kreuzfahrern nach Akkon und von dort aus ins Abendland zurückfahren zu dürfen, nach Deutschland, woher er kam, hatten sie nur gelacht. Die Schwertrassler brauchten ihn dort nicht.

Hier ist Dreck, hier bleibst du!

Er schloss die letzten Haken seines gegerbten, grauen Fellmantels. Denn trotz der Sonnenstrahlen war ihm kalt. Der Mann freute sich, jedenfalls fühlte er ein ähnliches Gefühl in sich, auch wenn es sein Herz nicht erreichte. Etwas, das mit Genugtuung einherging, mit einem scharfen Stich im Inneren. Endlich gab es etwas zu verrichten!

Sie hatten sich seiner erinnert! Sie hatten ihn wahrgenommen!

Der Orden war aus dem Abendland zurückgekehrt!

Der bleiche Mann blickte um sich und fühlte sich gedemütigt von dem Schmutz, den er um sich herum sah. War ihm dieses Schicksal wirklich widerfahren? Warum hatte er sich nicht gewehrt, als seine Auftraggeber ihn in die Unterwelt der schönen, der himmlischen Stadt zurückgeschickt hatten? Hatte er die Aufträge etwa nicht gewissenhaft ausgeführt? Sie hatten seine Leistungen einfach nicht gewürdigt, und daran war zweifellos sein eigen Fleisch und Blut schuld gewesen!

Das alles musste jetzt und sofort ein Ende haben! Er war zurück. Und ganz gewiss, um weiter im Elend zu leben.

Ich bekomme nur eine Gelegenheit, dachte er. Sie geben mir nur eine. Aber dann bin ich an seiner Stelle. Dort beiße ich mich fest. Ich gehe niemals zurück.

Wie hieß der Mann? Er ist größer als ich! Aber ich habe ihn schon einmal besiegt. Und er weiß bis heute nicht, dass ich es war. Er glaubt bis heute, es sei der Herr Teilhard gewesen. Aber in der Stadt hat er mich plötzlich angesehen.

Er verließ den Garten Gethsemane mit einem Laut, der einem Knurren glich. Er tarnte sich nicht. Er wusste nicht, wie er aussah. Wozu auch. Er war immer mit der Dunkelheit verschmolzen. Wenn er »Ich« dachte, dann meinte er Dunkelheit und Gestank. Er war, solange er zurückdenken konnte, immer nur Hass und Gestank gewesen und wütende Anstrengung in der Dunkelheit. Sein Fell übernahm es, seinem fremden Ich, dieser entfernten Gestalt, die er nie deutlich sehen konnte, die passende Außenhaut zu verleihen.

So viel Vergangenheit, dachte er, so viel Zumutungen. Gestern. Vorgestern. Die Nacht davor. Alles Weitere verlor sich im Fluss übel riechender Kanäle.

Jetzt bin ich unverletzbar. Jetzt kann mich niemand mehr aufhalten. All die Schreie, sie haben mich nur am Leben gehalten. All die bösen Gedanken, ich habe es geahnt, sie waren nicht umsonst.

Er verließ den duftenden Garten über den steilen Abhang. Dies war das Paradies, von dem sie alle redeten, aber er musste aufpassen, dass er auf dem feuchten Untergrund nicht ausrutschte.

Der Mann passierte die Grotte, in der Jesus festgenommen worden war. Hier hatte Jesus geweint, er wollte den Kelch der Marter und Schmerzen an sich vorübergehen lassen. Der Mann warf einen Blick in die Grotte. Er fühlte sich dem Heiland so nahe!

Er warf auch einen Blick auf die alte Zisterne. Sollte er wieder untertauchen in die Welt der Schatten und der Feuchtigkeit? Es war einfacher, als sich den Herausforderungen zu stellen.

Denn wenn er versagte, dann war er erledigt.

Der Mann ließ seine Blicke über die Fresken an der Wand wandern, leuchtende, himmelstürmende Farben. Die Kreuzfahrer hatten sie von ihren Gesellen malen lassen. Großartige Gestalten! Wie das leuchtete!

Nein, entschied er. Ich bleibe jetzt. Ich will noch einmal zerstören.

Jesus hatte damals die Zerstörung Jerusalems vorhergesehen. Und es war so gekommen. Die himmlische Stadt wurde dem Erdboden gleichgemacht. Kein Stein der verdammten Juden blieb auf dem anderen. Auch die Tempel und Paläste haben die römischen Horden zerstört. Dann kamen andere. Sie hatten die Stadt wieder aufgebaut, mit ihrer Kanalisation, mit ihren endlosen Gängen, Rinnen und Wasserbetten. Sie bauten ihr eigenes Reich.

Und er würde die Stadt der Sünde endgültig zerstören, das Werk der Prophezeiung vollenden.

Das war er all denen schuldig, die in diesen Mauern die Gottlosigkeit mit ansehen mussten. Den Verrat an der Reinheit.

Der Mann erreichte das Tor. Er taumelte hindurch. Er rempelte erneut einige Pilger an, die am Vorabend des Karfreitags im Garten Gethsemane die Nacht erleben wollten, wie Jesus Christus sie erlebt hatte. Er knurrte sie erneut wie ein Tier an. Dann holte er noch einmal tief Luft, ging mit schnellen, ausgreifenden Schritten in Richtung Tempelberg, ließ ihn linker Hand liegen, passierte das Damaskustor und tauchte im muslimischen Viertel der brodelnden Stadt unter.

Dort warteten die Schatten auf ihn.

*

»Wie fangen wir es an?«

»Können wir hier offen sprechen?«

»Die Herberge ist absolut verschwiegen, sie besitzt die dicken Wände des Felsens vom Berg Zion, niemand hört uns.«

»Wir müssen über die Brunnen gehen.«

»Wie werden sie geschützt?«

»Man schützt sie seit der letzten Seuche gut, aber ihre Verbote sollten uns nicht schrecken. Ein Stück räudiges Vieh oder ein paar tote Ratten in nur einem der hundert Brunnen können schon Wunder wirken.«

»Überall in der Stadt wachen ihre Aufseher, die bei Gefahr ihre Schellen läuten. Sie sind wachsam, es wird also schwierig werden.«

»Aber auch die Müller und andere entleeren doch ihre Hammelkleie ungehindert in die Schmutzbäche, man kann es überall sehen!«

»Wir wollen darüber nicht urteilen, sie haben komplizierte Gesetze mit unzähligen Ausnahmen gemacht. Wir müssen nur eine Lösung finden, um unser eigenes gutes Werk zu tun.«

»Schicken wir den Stinker hin! Er hat sich schon einmal in einem der Frischwasserbehälter zwischen den Brunnen gewaschen, und schon hatten wir die Seuche in der Stadt. Die verdammten Muslime bekamen sie nur schwer in den Griff.«

»So einfach wird es kaum gehen, meine Herren. Aber wir haben inzwischen genug Bornfeger bestochen, sodass der Anschlag auf die eine oder andere Art mühelos klappen wird, wenn wir nur erst den Zeitpunkt festgelegt haben.«

»Wie ist es mit den Stadtbächen? Wäre es nicht einfacher, sie zu verseuchen? Ihre Ufer sind lang, und sie fließen überall hin.«

»Nein, denn genau die werden am stärksten bewacht. Jeder Bader, der Abwasser hineingießt, jeder Gerber, der Häute wäscht, jeder Färber, der Kalkwasser einleitet, jede Magd, die Kleider darin reinigt, werden neuerdings hart bestraft. Es ist dort zu auffällig. Und wir dürfen auf gar keinen Fall entdeckt werden, sonst wird man uns ausweisen.«

»Sie haben überall Vogelbeerbäume gepflanzt, ihre Äste sind noch im Winter voller giftiger Dolden. Wir können sie fällen und ins Fließwasser werfen!«

»Das wäre viel zu offensichtlich!«

»Außerdem ist fließendes Wasser ohnehin nicht für unsere Zwecke geeignet, es löst den Schmutz auf, es verzehrt die Krankheit, bevor sie die Leute erreicht.«

»Mit einer Ausnahme! Wenn wir statt verwesenden Unrats etwas anderes nehmen.«

»Woran denkt Ihr, Bruder?«

»Hat nicht in unserer Heimat der Stadtarzt Ullrich Ellenbog von Feldkirch ein Merkblatt über Gifte schreiben lassen? Ich habe es mitgenommen, als wir nach Jerusalem gezogen sind. Wir könnten uns seine Warnungen zunutze machen.«

»Inwiefern?«

»Er legte fest, worauf die Goldschmiede und verwandte handwerkliche Berufe achten müssen, damit kein Quecksilber, kein Blei und kein Kohlenoxyd in die öffentlichen Wasser gelangen. Wir könnten seine Warnungen als Handlungsanweisung verstehen.«

»Das ist gut!«